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"Die Wahrheit" - eine Betrachtung an Beispielen unserer deutschen Geschichte

Alleine die Definition von "Wahrheit" stellt die allermeisten intelligenten Menschen vor ein unlösbares Problem, nahezu identisch mit der unlösbaren Definition von "Gerechtigkeit". Es gab aber Zeiten, da wurde die "Wahrheit" von ganz oben diktiert. Und sie wurde erheblich mißbraucht, um zum Beispiel den Krieg als des "Volkes Wille" in die Köpfe der reichs- deutschen Bevölkerung zu tragen.
Auf den nachfolgenden Seiten lesen Sie viele Artikel aus einer deutschen Wochen- Zeitschrift über den Beginn des ersten Weltkrieges 1914 und den Verlauf dieses Krieges, den das Deutsche Reich samt der österreichischen k&k-Monarchie haushoch verloren hatte. Die besondere Aufmerksamkeit beim Lesen sollte sich auf die heroischen "auschmückenden" Attribute der kriegsverherrlichenden Beschreibungen richten.

Und wie man auch in modernen Zeiten die Wahrheit manipulieren könnte oder kann, lesen Sie in dem Buch des Autors Dr. Eduard Stäuble aus dem Jahr 1979.

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Die Geschichte des Weltkrieges 1914.

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25. Juli 1914 - am späten Abend

Als am 25. Juli (1914) am späten Abend in allen Hauptstädten Deutschlands Ertrablätter oerkündeten, die österreichische Regieruiig habe die diplomatischen Beziehungen zu Serbien abgebrochen und den Krieg erklärt, da ging eine gewaltige Begeisterung durch das ganze Reich. Große Scharen zogen vor die österreichischen Konsulate, um dort Huldigungen darzubringen. „Hoch Osterreich! Nieder mit Serbien!“ das waren die Rufe, die überall vernommen wurden, und die „Wacht am Rhein“, „Heil dir im Siegerkranz“, „Deutschland, Deutschland über alles“ waren Lieder, die überall erschallten.

Es herrschte eine Begeisterung, wie man sie seit 1870 nicht mehr erlebt hatte. Bis spät nach Mitternacht zog die singende Menge durch die Straßen, und in allen öffentlichen Konzertlokalen mußten die deutsche und die österreichische Volkshymne gespielt werden, die stehend angehört wurden. Die Kundgebungen hatten einen durchaus ursprünglichen Charakter. Ein jeder fühlte sich von einem langen Alpdruck befreit, der auf seinem vaterländischen Empfinden gelastet hatte. Endlich, endlich hatte sich Osterreich entschlossen, den serbischen Königsmördern mit der Waffe entgegenzutreten!

Wer diese Tage miterlebt hat, wird zu der Erkenntnis gekommen sein, daß das Bündnis zwischen Deutschland und Osterreich nicht auf einem papierenen Vertrag beruht, sondern auf dem einmütigen Fühlen der Herzen beider Völker, und daß das Wort von der Nibelungentreue kein leerer Schall ist.

Daß diese innige Übereinstimmung Deutschlands und Osterreichs gegen Serbien die entgegengesetzte Stimmung in Frankreich auslöste, darf nicht wundernehmen. Wird doch Frankreich als Hauptgläubiger Serbiens es am eigenen Leibe zu spüren bekommen, wenn Serbien eine schwere Züchtigung erfährt, die seine Finanzlage erschüttert und dadurch Frankreich schädigt.

Am Morgen des 26. Juli 1914 zogen in Paris etwa hundert junge Burschen vor die österreichische Botschaft und brachen in die Rufe aus: „Nieder mit Osterreich! Tod Osterreich!“ Einer der Demonstranten zog eine schwarzgelbe Fahne aus der Tasche, setzte sie in Brand und trat sie mit Füßen. Der österreichische Botschafter erhob sofort beim Auswärtigen Amt Einspruch gegen diese Kundgebungen und verlangte Maßnahmen, die ähnliche Ausschreitungen unmöglich machen würden.

Der Direktor im Auswärtigen Amte sprach sein Bedauern über das Vorkommnis aus und erklärte, die nötigen Vorsichtsmaßregeln sofort treffen zu wollen. Von der österreichischen Botschaft hatten sich inzwischen die Aufwiegler zur russischen begeben, um dort eine Sympathiekundgebung zu veranstalten, doch wurden sie von der Polizei an ihrem Vorhaben gehindert.
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Diese französische Kundgebung war gewissermaßen die Antwort auf die Stimmungsäußerungen des deutschen Volkes, über welche die Pariser Blätter am 26. Juli berichtet hatten. Der erhabene, ernste Eharakter der deutschen Volksbewegung fehlte ihr gänzlich. Unschwer war die Mache zu erkennen, eine Anzahl junger Schreier für die Verteidigung der französischen Geldsackinteressen auf die Beine zu bringen.
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Am 26. Juli 1914

Am 26. Juli brachte das russische Regierungsblatt, die „Nowoje Wremja“, einen Leitartikel, der über die Haltung der russischen Regierung keinen Zweifel übrig ließ. Da hieß es: „Osterreich allein wagt keine Verletzung des internationalen Rechtes. Ein Wort des Deutschen Kaisers genügt, daß Osterreich seine Verbalnote zurücknimmt.

Der Deutsche Kaiser weiß, daß Rußland nicht gleichgültig bleiben kann, sondern gezwungen ist, Serbien mit dem vollen Gewicht seiner Militärmacht zu unterstützen. Der österreichische Überfall Serbiens heißt Krieg mit Rußland. Ein österreichisch- russischer Krieg ruft die Mitwirkung Deutschlands hervor. Ein russisch-deutscher Zusammenstoß zieht Frankreich mit hinein, vielleicht auch England. Die moralische Verantwortung für den drohenden Zusammenbruch der europäischen Zivilisation fällt Deutschland und seinem Führer zu.

  • Anmerkung : Hier wird in 1914 bereits von "dem Führer" gesprochen, das war also keine Erfindung der Nationalsozialisten.


In einem zweiten Artikel schreibt die „Nowoje Wremja“: „Ein friedlicher Ausgang ist nur möglich, wenn Deutschland fest entschlossen ist, jetzt einen Krieg gegen Frankreich und Rußland nicht zu führen. Rußland bleibt ruhig, kennt aber seine historische Pflicht und ist bereit, die entschlossensten Schritte zu tun.“
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Am 27. Juli 1914

Trotz dieser unzweideutigen Stellungnahme Rußlands schlug am 27. Juli Sir Edward Grey im englischen Unterhause Friedenstöne an. Diese Sitzung des englischen Unterhauses ist um so bemerkenswerter, als sie in schroffem Widerspruch zu dem späteren Verhalten Englands steht. Das englische Unterhaus war an dem genannten Tage nachmittags unter Anzeichen großer Erregung zusammengetreten, weil die europäische Krisis und die innerpolitischen Verhältnisse die Mitglieder des Hauses mit größter Besorgnis erfüllten. Bonar Law stellte Fragen betreffend die europäische Lage.

Sir Edward Grey gab darauf folgende Erklärung ab:
„Jch glaube dem Hause ausführlich die Stellung, die die britische Regierung bis jetzt eingenommen hat, darlegen zu müssen. Letzten Freitag morgen erhielt ich vom österreichisch-ungarischen Botschafter den Text der Mitteilungen der österreichisch-ungarischen Regierung an die Mächte, die in der Presse auch erschienen und die die Forderungen Osterreich-Ungarns an Serbien enthalten. Nachmittags sah ich die übrigen Botschafter und drückte ihnen gegenüber die Ansicht aus, daß wir, solange der Streit auf Osterreich-Ungarn und Serbien beschränkt bleibt, kein Recht hätten, uns einzumischen; wenn aber die Beziehungen zwischen England, Deutschland, Frankreich und Rußland bedrohlich würden, sei es eine Sache des europäischen Friedens und gehe uns alle an.

Ich wußte in jenem Augenblick nicht, welchen Standpunkt die russische Regierung eingenommen hatte, und ich konnte deswegen keine unmittelbaren Vorschläge machen; aber ich sagte: Wenn die Beziehungen zwischen Osterreich-Ungarn und Rußland einen bedrohlichen Eharakter annehmen, so scheine mir die einzige Möglichkeit für den Frieden darin zu bestehen, daß die vier an der serbischen Frage nicht unmittelbar interessierten Mächte - nämlich Deutschland, Frankreich, Italien und Großbritannien - in Petersburg und Wien gleichzeitig und zusammen dahin wirken sollten, daß Osterreich-Ungarn und Rußland die militärischen Operationen einstellen möchten, während sich die vier Mächte bemühen würden, eine Beilegung des Konfliktes zu erzielen.

Nachdem ich gehört hatte, daß Osterreich-Ungarn die Beziehungen zu Serbien abgebrochen hatte, machte ich folgenden Vorschlag:
Ich wies gestern nachmittag die britischen Botschafter in Paris, Berlin und Rom telegraphisch an, bei den Regierungen, bei denen sie beglaubigt sind, anzufragen, ob diese gewillt seien, ein Einvernehmen dahin zu treffen, daß der französische, deutsche und italienische Botschafter in London mit mir zu einer Konferenz in London zusammentreten, um sich zu bemühen, Mittel zu einer Beilegung der gegenwärtigen Schwierigkeiten zu finden. Gleichzeitig beauftragte ich unsere Vertreter, jene Regierungen zu ersuchen, ihre Vertreter in Wien, Petersburg und Belgrad zu ermächtigen, die dortigen Regierungen von der vorgeschlagenen Konferenz zu unterrichten und zu ersuchen, alle aktiven militärischen Maßnahmen bis zur Beendigung der Konferenz einzustellen. Darauf habe ich noch nicht alle Antworten erhalten.

Bei diesem Vorschlage ist natürlich ein Zusammengehen der vier Mächte das Wesentliche. In einer so schweren Krisis, wie diese, würden die Bemühungen einer einzelnen Macht, den Frieden zu erhalten, unwirksam sein. Die in dieser Angelegenheit zur Verfügung stehende Zeit war so kurz, daß ich die Gefahr auf mich nehmen mußte, einen Vorschlag zu machen, ohne die üblichen vorbereitenden Schritte zu unternehmen, um mich zu versichern, ob er gut aufgenommen werden würde. Aber da die Dinge so ernst sind, da die Zeit so kurz ist, läßt sich die Gefahr, etwas Unwillkommenes vorzuschlagen, nicht vermeiden. Ich bin trotzdem der Ansicht, daß, angenommen, daß der in der Presse erschienene Text der serbischen Antwort richtig ist, wie ich es glaube, dieser Vorschlag wenigstens eine Grundlage bieten sollte, auf der eine freundschaftliche und unparteiische Gruppe von Mächten, unter denen sich Mächte befinden, die bei Osterreich-Ungarn und bei Rußland gleiches Vertrauen genießen, imstande sein sollte, eine Lösung zu finden, die im Allgemeinen annehmbar sein würde.“

Grey schloß: „Es muß jedem, der nachdenkt, klar sein, daß in dem Augenblick, in dem der Streit aufhört, ein Streit zwischen Osterreich-Ungarn und Serbien zu sein, und ein Streit wird, in den eine andere Großmacht verwickelt wird, dies mit einer der größten Katastrophen enden kann, die jemals das Festland Europas heimgesucht haben. Niemand kann sagen, was das Ende der ausgebrochenen Streitigkeiten sein wird, und ihre mittelbaren und unmittelbaren Folgen werden unberechenbar sein.“
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30. Juli 1914

Nach der Erklärung Greys fragte Harry Lawson, ob es wahr sei, daß der Deutsche Kaiser heute morgen das Prinzip einer Vermittlung, das Grey vorgeschlagen habe, angenommen habe. Grey erwiderte, er sei überzeugt, daß die deutsche Regierung dem Vermittlungsgedanken grundsätzlich günstig sei, aber auf den besonderen Vorschlag, daß man zu einer Vermittlung durch eine Konferenz kommen möge, habe er noch keine Antwort von der deutschen Regierung erhalten.

Diese Friedenskomödie, denn etwas anderes war es nicht, erhält die richtige Beleuchtung durch die nachstehend wiedergegebenen Depeschen, die erst einige Wochen nach der Mobilmachung bekannt geworden sind.

Telegramm des Prinzen Heinrich von Preußen an den König von England vom 30. Juli 1914:

„Bin seit gestern hier. Habe das, was Du mir so freundlich im Buckinghampalast am vorigen Sonntag gesagt hast, Wilhelm mitgeteilt, der Deine Botschaft dankbar entgegennahm. Wilhelm, der sehr besorgt ist, tut sein Äußerstes, um der Bitte Nikolaus’ nachzukommen, für die Erhaltung des Friedens zu arbeiten. Er steht in dauerndem telegraphischen Verkehr mit Nikolaus, der heute die Nachricht bestätigte, daß er militärische Maßnahmen angeordnet habe, welche einer Mobilmachung gleichkommen, und daß diese Maßnahmen schon vor fünf Tagen getroffen wurden. Außerdem erhalten wir Nachrichten, daß Frankreich militärische Vorbereitungen trifft, während wir keinerlei Maßnahmen verfügt haben, wozu wir indessen jeden Augenblick gezwungen sein können, wenn unsere Nachbarn damit fortfahren. Das würde dann einen europäischen Krieg bedeuten. Wenn Du wirklich und aufrichtig wünschest, dieses furchtbare Unglück zu verhindern, darf ich Dir dann vorschlagen, Deinen Einfluß auf Frankreich und auch auf Rußland dahin auszuüben, daß sie neutral bleiben? Das würde meiner Ansicht nach von größtem Nutzen sein. Jch halte dies für eine sichere und vielleicht die einzige Möglichkeit, den Frieden zu wahren. Ich möchte hinzufügen, daß jetzt mehr denn je Deutschland und England sich gegenseitig unterstützen sollten, um ein furchtbares Unheil zu verhindern, das sonst unabwendbar wäre. Glaube mir, daß Wilhelm in seinen Bestrebungen um die Aufrechterhaltung des Friedens von größter Aufrichtigkeit ist, aber die militärischen Vorbereitungen seiner beiden Nachbarn können ihn schließlich zwingen, für die Sicherheit seines eigenen Landes, das sonst wehrlos bleiben würde, ihrem Beispiele zu folgen. Ich habe Wilhelm von meinem Telegramm an Dich unterrichtet, und ich hoffe, daß Du meine Mitteilungen indemselben freundschaftlichen Geiste entgegennimmst, der sie veranlaßt hat. Heinrich.“
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30. Juli 1914

Telegramm des Königs von England an den Prinzen Heinrich von Preußen vom 30. Juli 1914:

„Dank für Dein Telegramm. Sehr erfreut, von Wilhelms Bemühungen zu hören, mit Nikolaus sich für die Erhaltung des Friedens zu einigen. Ich habe den ernsten Wunsch, daß ein solches Unglück wie ein europäischer Krieg, das gar nicht wieder gutzumachen ist, verhindert werden möge. Meine Regierung tut ihr möglichstes, um Rußland und Frankreich nahezulegen, weitere militärische Vorbereitungen aufzuschieben, falls Osterreich sich mit der Besetzung von Belgrad und benachbarten serbischen Gebietes als Pfand für eine befriedigende Regelung seiner Forderungen zufriedengibt, während gleichzeitig die anderen Länder ihre Kriegsvorbereitungen einstellen. Ich vertraue darauf, daß Wilhelm seinen großen Einfluß anwendet, um Osterreich zur Annahme dieses Vorschlages zu bewegen. Dadurch würde er beweisen, daß Deutschland und England zusammenarbeiten, um zu verhindern, was eine internationale Katastrophe sein würde. Bitte, versichere Wilhelm, daß ich alles tue und auch weiter alles tun werde, was in meiner Macht liegt, um den europäischen Frieden zu erhalten. Georg.“
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31. Juli 1914

Telegramm S. M. des Kaisers an den König von England vom 31. Juli 1914:

„Vielen Dank für Deine freundliche Mitteilung. Deine Vorschläge decken sich mit meinen Jdeen und mit den Mitteilungen, die ich heute Nacht von Wien erhielt und die ich nach London weitergegeben habe. Ich habe gerade vom Kanzler die Mitteilung erhalten, daß ihm soeben die Nachricht zugegangen ist, daß Nikolaus heute Nacht die Mobilisierung seiner gesamten Armee und Flotte angeordnet hat. Er hat nicht einmal die Ergebnisse der Vermittlung abgewartet, an der ich arbeite, und mich ganz ohne Nachricht gelassen. Ich fahre nach Berlin, um die Sicherheit meiner östlichen Grenzen, wo schon starke russische Truppen Aufstellung genommen haben, sicherzustellen. Wilhelm.“

1. August 1914

Telegramm des Königs von England an den Kaiser vom 1. August 1914:

„Vielen Dank für Dein Telegramm von gestern Nacht. Ich habe ein dringendes Telegramm an Nikolaus geschickt, in dem ich ihm meine Bereitwilligkeit ausgesprochen habe, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um die Wiederaufnahme der Verhandlungen zwischen den beteiligten Mächten zu fördern. Georg.“

Telegramm des deutschen Botschafters in London vom 1. August 1914:

„Soeben hat mich Sir Edward Grey ans Telephon gerufen und mich gefragt, ob ich glaubte, erklären zu können, daß für den Fall, daß Frankreich neutral bliebe in einem deutsch - russischen Kriege, wir die Franzosen nicht angreifen. Ich erklärte ihm, ich glaubte die Verantwortung hierfür übernehmen zu können. Lichnowsky.“

Telegramm des Kaisers an den König von England vom 1. August 1914:

„Jch habe soeben die Mitteilung Deiner Regierung erhalten, durch die sie die französische Neutralität unter der Garantie Großbritanniens anbietet. Diesem Anerbieten war die Frage angeschlossen, ob unter diesen Bedingungen Deutschland darauf verzichten würde, Frankreich anzugreifen. Aus technischen Gründen muß meine schon heute nachmittag nach zwei Fronten, nach Osten und Westen angeordnete Mobilmachung Vorbereitungsgemäß vor sich gehen. Gegenbefehl kann nicht mehr gegeben werden, weil Dein Telegramm leider zu
spät kam. Aber wenn mir Frankreich seine Neutralität anbietet, die durch die englische Armee und Flotte garantiert werden muß, werde ich natürlich von einem Angriff auf Frankreich absehen und meine Truppen anderweitig verwenden. Jch hoffe, Frankreich wird nicht nervös werden. Die Truppen an meiner Grenze werden gerade telegraphisch und telephonisch abgehalten, die französische Grenze zu überschreiten. Wilhelm.“

Telegramm des Reichskanzlers an den Kaiserlichen Botschafter in London vom 1. August 1914:

„Deutschland ist bereit, auf den englischn Vorschlag einzugehen, falls sich England mit seiner Streitmacht für die unbedingte Neutralität Frankreichs im deutsch-russischen Konflikt Verbürgt. Die deutsche Mobilmachung ist heute auf Grund der russischen Herausforderung erfolgt, bevor die englischen Vorschläge hier eintrafen; infolgedessen ist unser Aufmarsch an der französischen Grenze nicht mehr zu ändern. - Wir verbürgen uns aber dafür, daß die französische Grenze bis Montag, 3. August, abends 7 Uhr durch unsere Truppen nicht überschritten wird, falls bis dahin die Zusage Englands erfolgt ist. v. Bethmann Hollweg.“

Telegramm des Königs von England an den Kaiser vom 1. August 1914:

„In Beantwortung Deines Telegramms, das soeben eingegangen ist, glaube ich, daß ein Mißverständnis bezüglich einer Anregung vorliegen muß, die in einer freundschaftlichen Unterhaltung zwischen dem Fürsten Lichnowsky und Sir Edward Grey erfolgt ist, als die Frage erörtert wurde, wie ein wirklicher Kampf zwischen der deutschen und französischen Armee vermieden werden könne, solange noch die Möglichkeit besteht, daß ein Einverständnis zwischen Osterreich und Rußland zustande kommt. Sir Edward Grey wird den Fürsten Lichnowsky morgen früh sehen, um festzustellen, ob ein Mißverständnis auf seiner
Seite vorliegt. Georg.“
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2. August 1914

Telegramm des kaiserlichen Botschafters in London an den Reichskanzler vom 2. August 1914:

„Die Anregung des Sir Edward Grey, die auf dem Wunsche beruht, die Möglichkeit dauernder Neutralität Englands zu schaffen, ist ohne vorherige Stellungnahme gegenüber Frankreich und ohne Kenntnis der Mobilmachung erfolgt und inzwischen als völlig aussichtslos aufgegeben. Lichnowsky.“

Das Ergebnis wird jetzt als Intrigenspiel und Farce gedeutet

weiter im Originaltext :

Statt dessen waren England, Rußland und Frankreich untereinander einig, über Deutschland und Osterreich herzufallen, wobei es besonders auf die Vernichtung der deutschen Macht abgesehen war. Das Intrigenspiel, das jetzt vor aller Welt enthüllt ist, war damals noch zu wenig bekannt, und während etwa achtundvierzig Stunden hatte es fast den Anschein, als ob es noch möglich sei, den Krieg zu verhüten. Der Zweck des ganzen Manövers war einzig und allein, Zeit für die eigenen Kriegsvorbereitungen zu gewinnen und Deutschland in Sicherheit zu wiegen.

Der Schwerpunkt der von Deutschland abgegebenen Erklärungen liegt in dem Telegramm Kaiser Wilhelms an den König von England. Auch wenn ein Mißverständnis in bezug auf einen englischen Vorschlag vorlag, so bot doch das Anerbieten des Kaisers England Gelegenheit, aufrichtig seine Friedensliebe zu beweisen und den deutsch-französischen Krieg zu verhindern.

Warum drängte England nur auf Deutschland, das vermitteln sollte, nicht aber auf seinen russischen Freund, daß er seine Mobilmachung einstelle? Es war ein Trugspiel ärgster Art. Das geht auch hervor aus einer Veröffentlichung der französischen Zeitung „Gil Blas“, die lautet:

„In den militärischen Kreisen des Ostens erzählt man sich, daß die Stadt Maubeuge, die unweit der nordöstlichen Grenze Frankreichs an der Bahnlinie Köln—Paris liegt, seit mehreren Wochen mit größeren Mengen englischer Munition versehen werde. Die Stadt Maubeuge ist militärisch von großer Bedeutung. Sie wird im Feldzugsplan des französischen Generalstabs als Konzentrationspunkt für die verbündeten Truppen bezeichnet, die im Kriegsfall von dem englischen General French unter der Oberleitung des französischen Generalissimus Joffre befehligt werden sollen. Nun ist bekannt, daß
die englischen Geschütze nicht das gleiche Geschoß wie die französischen haben. Die beiden Regierungen seien jedoch übereingekommen, schon in Friedenszeiten auf französischem Gebiet diejenigen Munitionsmengen anzuhäufen, die im Kriegsfall für die englische Artillerie notwendig sind.“

Unsere Gegner hofften, dann mit vereinten Kräften in voller Rüstung über das wehrlose Deutschland herfallen zu können. In dieser Rechnung haben sie nur eines übersehen: die deutsche Schlagfertigkeit.
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Kriegserklärung

Am 28. Juli 1914 veröffentlichte eine Ertraausgabe der offiziellen „Wiener Zeitung“ im amtlichen Teile folgende Bekanntmachung :
„Kriegserklärung. - Auf Grund Allerhöchster Entschließung Seiner k. und k. Apostolischen Majestät vom 28. Juli 1914 wurde heute an die Königlich Serbische Regierung eine in französischer Sprache abgefaßte Kriegserklärung gerichtet, welche in deutscher Ubersetzung folgendermaßen lautet:

Da die Königlich Serbische Regierung die Note, welche ihr vom österreichisch-ungarischen Gesandten in Belgrad am 23. Juli 1914 übergeben worden war, nicht in befriedigender Weise beantwortet hat, so sieht sich die k. und k. Regierung in die Notwendigkeit versetzt, selbst für die Wahrung ihrer Rechte und Jnteressen Sorge zu tragen und zu diesem Ende an die Gewalt der Waffen zu appellieren. Osterreich-Ungarn betrachtet sich daher von diesem Augenblicke an als im Kriegszustand mit Serbien befindlich. Der österreichisch-ungarische Minister des Außern: Graf Berchtold.“

Für Deutschland war die Zeit zum Handeln gekommen, als am 29. Juli bekannt wurde, Rußland habe trotz der mit dem Deutschen Kaiser gepflogenen Friedensverhandlungen die Mobilisierung von sechzehn Armeekorps befohlen. Nach den Mitteilungen des Reuterschen Büros beschränkte sich die Mobilmachung auf die militärischen Bezirke von Kiew, Odessa, Moskau und Kasan. In jedem Bezirke standen vier Armeekorps in Friedensstärke. Durch die Mobilisierung wurden die sechzehn russischen Armeekorps auf die Stärke von zweiunddreißig Armeekorps gebracht.

Diese kriegerischen Vorbereitungen Rußlands wurden auch verraten durch eine Ansprache, die der Zar an die Aspiranten der Marineschule in Petersburg, die zu Offizieren ernannt wurden, richtete. Die Ansprache rief stürmische Begeisterung hervor. Der Zar sagte unter anderem: „Ich habe befohlen, Sie angesichts der ernsten Ereignisse, welche Rußland jetzt durchzumachen hat, zusammenzuberufen. Während des Dienstes als Offizier, der Sie erwartet, vergessen Sie nicht, was ich Jhnen sage: Glauben Sie an Gott und haben Sie den Glauben an den Ruhm und an die Größe unseres mächtigen Vaterlandes.“
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Maßnahmen und Gerüchte in Frankreich

Die Bewegungen der englischen Flotte, die Vorbereitungen, welche die neutralen Staaten trafen, die Erklärungen, welche Asquith über den Ernst der Lage im englischen Unterhause abgab, alles wies darauf hin, daß eine Weltkatastrophe bevorstand, wenn auch Asquith immer noch von seinen Bemühungen sprach, den Frieden zu erhalten.

Auch glaubte man noch am 31. Juli, daß alle Gerüchte über eine bevorstehende Mobilisierung der deutschen Armee unbegründet seien. Gleichwohl drückte die Schwere der Situation auf alle Gemüter, und niemand konnte recht glauben, daß das drohende Gewitter ohne schwere Entladungen vorüberziehen werde. Die Nachrichten über umfangreiche Truppenverschiebungen in Frankreich mußten Verdacht erregen, aber noch am 30. Juli hatte die „Agence Havas“, das amtliche französische Nachrichtenbüro, die Stirn, folgende Meldung zu verbreiten:

„Zu Unrecht sind heute Gerüchte in Umlauf gesetzt worden, welche die öffentliche Meinung beunruhigen. Es ist insbesondere unrichtig, daß die Reservisten Befehl erhalten hätten, sich zu ihren Korps zu begeben. Es ist kein einziger Mann zum Ersatz einberufen worden. Die einzigen Maßnahmen, die ergriffen worden sind, waren die Rückberufung von Beurlaubten gewisser Korps und die Rückkehr derjenigen Truppen in ihre Garnisonen, die sich zu weit davon entfernt hatten. Es ist augenscheinlich, daß diese Maßnahmen einen rein verteidigenden Charakter haben und nur zu dem Zwecke ergriffen worden sind, um jeder Möglichkeit zu begegnen. Viel Aufhebens wird auch von gewissen Anordnungen gemacht, die den Zweck verfolgten, den Schutz großer Anlagen und wichtiger Plätze zu sichern. Es ist indessen ganz natürlich, daß Schutzmaßnahmen gegen Sabotagetversuche oder Handstreiche von Anarchisten ergriffen werden.“
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Vorbereitungen am 31. Juli 1914

Im Widerspruch zu dieser Meldung stand aber die Tatsache, daß sich die französische Bevölkerung an der Ostgrenze ganz für den Krieg einrichtete. Alle Lebensmittelläden waren bereits ausverkauft und es herrschte eine schreckliche Geldnot. Alles schien sich auf einen großen Krieg zuzuspitzen. Inzwischen dauerten die Unterhandlungen zwischen Osterreich-Ungarn und Rußland fort, wobei Rußland immer weiter rüstete. Rußland verlangte von Österreich gewisse Garantien für den Fall, daß Serbien geschlagen werden würde. Diese Garantien sollten nicht nur den Besitzstand Serbiens sicherstellen, sondern Rußland verlangte auch, daß Österreich auf gewisse in seinem Ultimatum aufgestellte Forderungen, die Rußlands Ansicht nach gleichbedeutend mit der Ausübung eines Protektorates über Serbien seien, verzichte.

Am Vormittag des 31. Juli beschloß der deutsche Bundesrat bereits ein Getreideausfuhrverbot. Das Wolffsche Telegraphenbüro hatte wenige Stunden vorher die Nachricht verbreitet: „Die Meldungen auswärtiger Blätter, daß morgen in Deutschland die Mobilmachung erfolgen werde, sowie daß Prinz Heinrich nach Petersburg reisen werde, sind, wie wir erfahren, vollkommen unzutreffend.“

Doch lagen am Morgen des 31. Juli 1914 in Berlin an amtlicher Stelle Nachrichten vor, die deutlich erwiesen, daß die russischen Versicherungen, das Zarenreich rüste nur gegen Osterreich-Ungarn und nicht gegen Deutschland, mit den wirklichen Vorgängen nicht übereinstimmten. Es ging aus diesen Nachrichten hervor, daß Rußland an der deutschen Grenze sehr umfassende Kriegsvorkehrungen treffe und daß diese Vorkehrungen schon ziemlich weit gediehen seien.

Unter diesen Umständen wurden mittags die leitenden Persönlichkeiten der Armee und der Flotte sowie des Auswärtigen Amtes zu einer Beratung im Reichskanzlerpalast zusammenberufen. Diese Konferenz währte bis ein Uhr, und es herrschte in ihr naturgemäß eine überaus ernste Stimmung. Vor dem Reichskanzlergebäude hatte sich, durch die vorfahrenden Automobile und Wagen aufmerksam gemacht, eine große Menschenmenge eingefunden, die mit Spannung zu den Fenstern emporblickte, hinter denen, wie sie nicht mit Unrecht vermutete, entscheidende Beschlüsse gefaßt wurden. Unmittelbar nach Schluß der Beratung wurde schon durch Extrablätter die Mitteilung verbreitet, daß auf Grund des Artikels 68 der Verfassung der Kriegszustand in Deutschland erklärt worden sei, was indessen noch nicht einer Mobilmachung gleichkomme. Der Kaiser verlegte nunmehr seine Residenz von Potsdam nach Berlin (siehe auch S. 12). Etwas später teilte das offiziöse Wolffsche Büro den Beschluß in folgender Form mit: „Aus Petersburg ist heute die Nachricht des deutschen Botschafters eingetroffen, daß die allgemeine Mobilmachung der russischen Armee und Flotte befohlen worden ist. Darauf hat Seine Majestät Kaiser Wilhelm den Zustand der drohenden Kriegsgefahr befohlen. Seine Majestät wird heute nach Berlin übersiedeln.“

Eine weitere amtliche Note, die durch das offiziöse Büro ausgegeben wurde, gibt die Meldung in folgender Fassung.: „Seine Majestät der Kaiser haben auf Grund des Artikels 68 der Reichsverfassung das Reichsgebiet ohne Bayern in Kriegszustand erklärt. Für Bayern ergeht die gleiche Anordnung.“
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Die russische Mobilmachung

Die Erklärung des drohenden Kriegszustandes wird man begreiflich finden, wenn man den Ukas des Zaren über die russische Mobilmachung liest. Dieser Ukas rief unter die
Fahnen:

  • 1. die Reservisten von dreiundzwanzig russischen Gouvernements und von einundsiebzig Distrikten in vierzehn anderen Gouvernements;  
  • 2. einen Teil der Reservisten von neun Distrikten in vier Gouvernements;
  • 3. die Reservisten der Flotte von vierundsechzig Distrikten in zwölf russischen Gouvernements und einem finnländischen Gouvernement;
  • 4. die beurlaubten Kosaken im Dongebiet, Kuban, Terek, Astrachan, Orenburg und Ural;
  • 5. die entsprechende Anzahl von Reserveoffizieren, Arzten, Pferden und Wagen .....


Dies bedeutete eine Mobilisierung von mehr als zwei Dritteln des europäischen Rußlands.
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Der 1. August 1914 - ein Schicksalstag für ganz Europa

Der 1. August 1914 ist nicht nur ein Schicksalstag für Deutschland, sondern für ganz Europa. An diesem Tage wurde die von uns bereits früher erwähnte Vorgeschichte der deutsch-russischen Spannung amtlich veröffentlicht und der ganzen Welt gezeigt, mit welcher Heimtücke Rußland durch sein Oberhaupt, den Zaren Nikolaus, gegen Deutschland und besonders gegen Kaiser Wilhelm vorgegangen ist.

Die amtliche Darstellung, die in der „Norddeutschen Allgemeinen Zeitung“ veröffentlicht wurde, lautet folgendermaßen:

„Nachdem Seine Majestät der Kaiser den Kriegszustand für das Reich erklärt hat, ist der Zeitpunkt gekommen, die Vorgänge, die zu diesem Entschluß führten, in Kürze darzulegen. Seit Jahren hat Österreich-Ungarn gegen Bestrebungen zu kämpfen, die mit verbrecherischen Mitteln unter Duldung und Förderung der serbischen Regierung auf die Revolutionierung und Losreißung der südöstlichen Landesteile Osterreich-Ungarns hinarbeiten. Die Gewinnung dieser Gebiete ist ein unverhülltes Ziel der serbischen Politik. Diese glaubt dabei auf den Rückhalt Rußlands rechnen zu können, in dem Gedanken, daß es Rußlands Aufgabe sei, den südslawischen Völkern seinen Schutz zu leihen. Diesem Gedanken wurde durch Rußlands Bemühungen, den Bund der Balkanstaaten zustande zu bringen, Nahrung gegeben.

Die großserbische Propaganda trat schließlich in der Ermordung des österreichisch-ungarischen Thronfolgers und seiner Gemahlin grell hervor. Die Österreichisch-Ungarische Monarchie entschloß sich, diesem gegen ihren Bestand als Großmacht gerichteten verbrecherischen Treiben ein Ende zu machen. Es mußte sich dabei ergeben, ob Rußland tatsächlich die Rolle des Beschützers der Südslawen bei ihren auf Zertrümmerung des Bestandes der Österreichisch-Ungarischen Monarchie gerichteten Bestrebungen durchzuführen willens war.

In diesem Falle kam ein Lebensinteresse Deutschlands in Frage: der ungeschwächte Bestand der uns Verbündeten Monarchie, dessen wir zur Erhaltung unserer eigenen Großmachtstellung inmitten der Gegner von Ost und West bedürfen. Deutschland stellte sich von vornherein auf den Standpunkt, daß eine Auseinandersetzung mit Serbien eine Angelegenheit sei, die nur Österreich-Ungarn und Serbien angehe. Unter Wahrung dieses Standpunktes haben wir mit der größten Hingabe an allen Bemühungen teilgenommen, die
auf die Erhaltung des europäischen Friedens gerichtet waren.

Österreich-Ungarn gab hierzu die Handhabe, indem es den Mächten wiederholt erklärte, daß es auf keine Eroberungen ausgehe und den territorialen Bestand Serbiens nicht antasten wolle. Diese Erklärungen wurden namentlich in Petersburg mit Nachdruck zur Kenntnis gebracht. Unserem Bundesgenossen haben wir geraten, jedes mit der Würde der Monarchie zu vereinbarende Entgegenkommen zu zeigen.

Insbesondere haben wir allen englischen, auf die Vermittlung zwischen Wien und Petersburg hinzielenden Schritten hilfreiche Hand geliehen. Bereits am 26. Juli lagen zuverlässige Meldungen über russische Rüstungen vor. Sie veranlaßten die deutsche Regierung, am gleichen Tage unter erneuter Betonung, daß Österreich-Ungarn den Bestand Serbiens nicht antasten wolle, zu erklären: vorbereitende militärische Maßnahmen Rußlands müßten uns zu Gegenmaßregeln zwingen, diese müßten in der Mobilisierung der Armee bestehen, Mobilisierung aber bedeute Krieg.

Wir könnten nicht annehmen, daß Rußland einen europäischen Krieg entfesseln wolle. Am nächsten Tage erklärte der russische Kriegsminister unserem Militärattache, es sei noch keine Mobilmachungsorder ergangen, kein Pferd ausgehoben, kein Reservist eingezogen. Es würden lediglich vorbereitende Maßregeln getroffen. Wenn Österreich-Ungarn die serbische Grenze überschreite, würden die auf Österreich-Ungarn gerichteten Militärbezirke mobilisiert, unter keinen Umständen die an der deutschen Front liegenden. Jedoch ließen zuverlässige Nachrichten schon in den nächsten Tagen keinen Zweifel, daß auch an der deutschen Grenze die militärischen Vorbereitungen Rußlands in vollem Gange waren.

Meldungen hierüber häuften sich; trotzdem wurden noch am 29. Juli 1914 von dem russischen Generalstabschef unserem Militärattache erneut beruhigende Erklärungen gegeben, die die Mitteilung des Kriegsministers als noch Voll zu Recht bestehend bezeichneten.

Am 29. Juli ging ein Telegramm des Zaren an den Kaiser ein, worin er die inständige Bitte aussprach, der Kaiser möge ihm in diesem so ernsten Augenblick helfen. Er bitte ihn, um dem Unglück eines europäischen Krieges vorzubeugen, alles ihm Mögliche zu tun, um seinen Bundesgenossen davon zurückzuhalten, zu weit zu gehen.

Am selben Tage erwiderte der Kaiser in einem längeren Telegramm, daß er die Aufgabe eines Vermittlers auf den Appell an seine Freundschaft und Hilfe bereitwillig übernommen habe. Dementsprechend wurde sofort eine diplomatische Aktion in Wien eingeleitet.

Während diese im Gange war, lief die offizielle Nachricht ein, daß Rußland gegen Osterreich-Ungarn mobil mache. Hierauf wies der Kaiser den Zaren in einem weiteren Telegramm sofort daraufhin, daß durch die russische Mobilisierung gegen Österreich-Ungarn seine auf Bitten des Zaren übernommene Vermittlerrolle gefährdet, wenn nicht unmöglich gemacht würde. Trotzdem ließ der Kaiser die in Wien eingeleitete Aktion fortsetzen, wobei die von England gemachten, in ähnlicher Richtung sich bewegenden Vorschläge von der deutschen Regierung warm unterstützt wurden. Über diese Vermittlungsvorschläge sollte heute in Wien die Entscheidung fallen. Noch bevor sie fiel, lief bei der deutschen Regierung die offizielle Nachricht sein, daß der Mobilmachungsbefehl für die gesamte russische Armee und Flotte ergangen sei.

Darauf richtete der Kaiser ein letztes Telegramm an den Zaren, in dem er hervorhob, daß die Verantwortung für die Sicherheit des Reiches ihn zu definitiven Maßregeln zwinge. Er sei mit seinen Bemühungen um die Erhaltung des Weltfriedens bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen. Nicht er trage die Verantwortung für das Unheil, das jetzt der Welt drohe. Er habe die Freundschaft für den Zaren und das russische Volk stets treu gehalten. Der Friede Europas könne noch jetzt erhalten werden, wenn Rußland aufhöre,
Deutschland und Osterreich zu bedrohen. Während also die deutsche Regierung auf das Ersuchen Rußlands vermittelte, machte Rußland seine gesamten Streitkräfte mobil, bedrohte damit die Sicherheit des Deutschen Reiches, von dem bis zu dieser Stunde noch keinerlei außergewöhnliche militärische Maßregeln ergriffen waren. So ist nicht von Deutschland herbeigerufen, vielmehr wider den durch die Tat bewährten Willen Deutschlands der Augenblick gekommen, der die Wehrmacht Deutschlands auf den Plan ruft.“
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Am 1. August 1914 - die Mobilmachung

Am Abend vorher war eine große Volksmenge unter Absingen vaterländischer Lieder vor die Wohnung des Reichskanzlers gezogen. Der Reichskanzler erschien am Mittelfenster des Kongreßsaales, von stürmischen Zurufen begrüßt. Als Stille eintrat, hielt der Kanzler die schon auf S. 12 wiedergegebene Ansprache.

Mit begeisterten Hochrufen auf den Kaiser und den Kanzler und unter dem Gesange der Nationalhymne und der „Wacht am  Rhein“ setzte hierauf der Zug seinen Weg durch die Wilhelmstraße fort.

Auch der Kaiser hatte schon am 31. Juli nach Verkündigung der drohenden Kriegsgefahr eine Ansprache vom Schloß aus an das Volk gehalten. Patriotische Kundgebungen im Lustgarten währten den ganzen Tag, und nachmittags nach sechs Uhr erschienen der Kaiser, die Kaiserin und Prinz Adalbert an dem Fenster des Rittersaales und wurden stürmisch begrüßt. Der Kaiser richtete, von tosenden Zustimmungsrufen übertönt, an die Versammelten die auf S. 12 mitgeteilten, packenden Worte.

Am 1. August nachmittags veröffentlichte der „Reichsanzeiger“ in einer Sonderausgabe folgenden Kaiserlichen Erlaß:

„Ich bestimme hiermit: Das deutsche Heer und die Kaiserliche Marine sind nach Maßgabe des Mobilmachungsplans für das deutsche Heer und die Kaiserliche Marine kriegsbereit
aufzustellen. Der 2. August 1914 wird als erster Mobilmachungstag festgesetzt.

Berlin, den 1. August 1914. Wilhelm I.R. - v. Bethmann Hollweg.“
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Die Bekanntmachung

Gleichzeitig erschienen die Bekanntmachungen der Korpskommandanten der gesamten Armee und Marine, worin die näheren Bestimmungen über die Form der Mobilmachung nebst Bezeichnung der Lokale, in denen sich die Gestellungspflichtigen zu melden hatten, mitgeteilt waren. Diese Einzelheiten waren natürlich bei den verschiedenen Armeekorps verschieden, nur die Mobilmachungstage waren im ganzen Reiche die gleichen. Es hieß da:

Der 2. August 1914 gilt als erster Mobilmachungstag
„ 3. „ 1914 „ „ zweiter „
„ 4. „ 1914 „ „ dritter „
„ 5. „ 1914 „ „ vierter „
und so fort.

Die Wogen der vaterländischen Begeisterung gingen hoch, und ebenso wie acht Tage vorher bei Bekanntwerden des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich und Serbien, so zogen auch jetzt die Volksmassen durch die Straßen und sangen patriotische Lieder. Der Lustgarten in Berlin war am Nachmittag des 1. August 1914 von einer dichtgedrängten Menschenmenge besetzt.

Die Kriegsbegeisterung der Berliner

Etwa um fünfeinhalb Uhr wurde dem Publikum durch Adjutanten, Offiziere und Schutzmannswachtmeister die erfolgte Mobilmachung bekanntgegeben, woraufhin es zu großen Beifallskundgebungen kam.

Um sechs Uhr war im Dom der angeordnete liturgische Gottesdienst, den Oberhofprediger Dryander abhielt. An dem Gottesdienst nahmen auch Damen und Herren aus der Umgebung des Kaiserpaares teil. Eine ungeheure Menschenmenge wälzte sich nach sieben Uhr die Linden hinauf und staute sich vor dem Kronprinzlichen Palais, wo berittene Schutzleute mühsam den Verkehr frei hielten. Die Schlossbrücke war abgesperrt. Plötzlich zeigten sich der Kaiser und die Kaiserin auf dem Mittelbalkon des Schlosses. Sogleich wurde die Absperrung aufgehoben, und die Menge eilte im Laufschritt unter unaufhörlichen Hochrufen über die Brücke vor das Schloß, „Heil dir im Siegerkranz“ und „Deutschland, Deutschland über alles“ singend. Dann hörte man den Ruf „Ruhe !“, und der Kaiser, dessen Stimme deutlich vernehmbar über den Platz klang, hielt folgende kurze Ansprache: „Aus tiefem Herzen danke ich euch für den Ausdruck eurer Liebe,seurer Treue. In dem jetzt bevorstehenden Kampf kenne ich in meinem Volke keine Parteien mehr. Es gibt unter uns nur noch Deutsche (brausender Jubel), und welche von den Parteien auch im Laufe des Meinungskampfes sich gegen mich gewendet haben sollte, ich verzeihe ihnen allen von ganzem Herzen. Es handelt sich jetzt nur darum, daß alle wie Brüder zusammenstehen, und dann wird Gott dem deutschen Schwert zum Siege verhelfen.“

Patriotische Stimmung und „Heil dir im Siegerkranz“

Diese Worte wurden mit stürmischen Hochrufen beantwortet. Während der Kaiser und die Kaiserin sich zurückzogen, erklang „Die Wacht am Rhein“. Der Strom flutete zu den Linden zurück, um sich vor dem Kronprinzenpalast abermals zu stauen. Lebhaft begrüßt durch Händeklatschen und Hochrufe erschien das Kronprinzenpaar auf dem Balkon. Der Kronprinz hatte den dritten Prinzen auf dem Arm, die Kronprinzessin hielt die beiden ältesten Söhne an der Hand.

Am selben Abend machte auch vor dem Reichskanzlergebäude ein stattlicher Zug halt, der in ernster patriotischer Stimmung „Heil dir im Siegerkranz“ und „Lobe den Herrn“ sang. Der Reichskanzler erschien an einem Fenster des ersten Stocks und richtete an die Menge folgende Worte:

„In Ihrem Liede haben Sie unserem Kaiser zugejubelt. Ja, für unseren Kaiser stehen wir alle ein, wer und welcher Gesinnung und welchen Glaubens wir auch sein mögen. Für ihn lassen wir Gut und Blut. Der Kaiser ist genötigt gewesen, die Söhne des Volkes zu den Waffen zu rufen. Wenn uns jetzt der Krieg beschieden sein sollte, so weiß ich, daß alle jungen deutschen Männer bereit sind, ihr Blut zu verspritzen für den Ruhm und die Größe Deutschlands.

Aber wir können nur siegen in dem festen Vertrauen auf den Gott, der die Heerscharen lenkt und der uns bisher noch immer den Sieg gegeben hat. Und sollte Gott in letzter Stunde uns diesen Krieg ersparen, so wollen wir ihm dafür danken. Wenn es aber anders wird, dann: Mit Gott für König und Vaterland!“

Ahnliche Kundgebungen fanden auch in anderen Landeshauptstädten statt. Es sei noch erwähnt, daß am 1. August nachmittags auch die volle Mobilmachung der französischen Streitkräfte angeordnet worden war. Das Bekanntwerden dieser Tatsache konnte das Tempo der deutschen Mobilmachung nur beschleunigen.
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Für das deutsche Vaterland und die deutsche Kultur

Daß das deutsche Volk trotz der mancherlei innerpolitischen Differenzen während eines dreiundvierzigjährigen Friedens an vaterländischem Geiste nichts eingebüßt hatte, bewies der Eindruck, den der Befehl zur Mobilmachung in allen Teilen unseres Vaterlandes hervorrief.

Uberall einhellige Begeisterung und starker Andrang freiwilliger Kämpfer. Jeder fühlte, daß es galt, nicht nur für das deutsche Vaterland, sondern auch für die deutsche Kultur zu kämpfen. Tiefer Ernst und unerschütterliche Ruhe prägte sich auf allen Gesichtern aus, aber keine Traurigkeit.

Jeder wollte Gut und Blut dem Vaterlande opfern, und wie zur Zeit der Freiheitskriege werden von überallher rührende Beweise der Vaterlandsliebe gemeldet. Hier soll besonders eine Szene erzählt werden, die sich am 1. August abends elf Uhr in Berlin Unter den Linden zugetragen hat. Ein kleines beherztes Persönchen klettert irgendwo empor, an einem Wagen oder an einem Kandelaber. Man kann es im Gedränge nicht sehen. Nelli Petzoldt soll sie heißen.

Zwanzig Jahre ungefähr ist sie alt. Und spricht: „Nun, da das entscheidende Wort gefallen ist, nun, da es uns endlich zur Gewißheit wurde, daß es für unsere deutschen Männer nur noch eine Pflicht gibt, die Pflicht, sich um die Fahne zu scharen, will ich im Namen aller meiner Mitschwestern, die ein für ihr Vaterland schlagendes Herz in der Brust haben, die Worte aussprechen: Wir deutschen Frauen werden unserem geliebten Herrscher und aller Welt zeigen, daß wir würdig sind, tapfere Männer zu haben!

Wie es auch kommen möge, wir werden alles geduldig und mit Würde ertragen, und das soll in dieser schweren Zeit das beste Zeugnis sein für die Größe der deutschen Frau. Stolz sind wir, daß wir deutsche Frauen sind! Das Vaterland ruft, und jeder deutsche Mann wird kommen! Wir aber, die wir zurückbleiben müssen, werden unseren Männern, unseren Söhnen, Vätern, Brüdern und Freunden nicht nachstehen, wir werden unsere Herzen in Demut auf den
Altar des Vaterlandes legen für eine gerechte Sache!

Aus meinem und aus aller deutschen Frauen tiefstem Innern steigt der Wunsch empor: ,Schenke unseren deutschen Streitern, vereint mit unseren Verbündeten, den Sieg und unserem Herrscherhause die Krone des Ruhmes“ — Und unwillkürlich hingerissen, donnernd und brausend, antwortet die tausendköpfige Menge mit dem Vers des Liedes der Deutschen: „Deutsche Frauen, deutsche Treue ...“
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  • Anmerkung aus dem März 2025 : Mehr Unsinn kann man sich heutzutage nach 2 hochkant verlorenen Weltkriegen gar nicht mehr vorstellen - es war die "Denke" und die Zeit von 1914.

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2. August 1914 - der Deutsche Reichstag wird einberufen

Mit kaiserlicher Verordnung vom 2. August wurde der Deutsche Reichstag auf den 4. August einberufen. Noch nie war das Parlament in so bedeutungsvoller Stunde zusammengetreten, und man kann nur wünschen, daß ihm künftig derartige schwerwiegende Beschlüsse, in denen es sich um Weltenschicksale, um Sein oder Nichtsein handelt, erspart werden. Der Deutsche Reichstag zeigte sich der Schicksalsstunde gewachsen. Ein ergreifende Stimmungsbild von der Eröffnung dieser Sitzung, die einen Markstein in der Geschichte des Deutschen Reiches bedeutet, gab „Der Tag“ in seiner Abendausgabe vom 4. August. Es heißt da:

Eine beispiellos große Stunde liegt hinter uns. Im Weißen Saal des altersgrauen Königlichen Schlosses an der Spree hat der Kaiser zu den Vertretern des gesamten deutschen Volkes, zu den Notabeln des Reiches und zu den Mitgliedern des Bundesrats gesprochen: ein weltgeschichtlicher Augenblick, der dem, der ihm beiwohnte, für alle Zeiten unvergeßlich bleiben wird.

Der sanft-gelbliche Schein der Deckenbeleuchtung warf seine Strahlen nieder auf die Statuen aller preußischen Könige, die an den Wänden stehen. Nie wurden in diesem Saale Worte von so ergreifender Bedeutung gesprochen, als in der heutigen Mittagsstunde. Zuerst herrschte tiefes Schweigen, nur zwei rotgekleidete Pagen hielten zu den Seiten des Thrones Wacht. Ganz allmählich trafen die zu der Kundgebung, auf die die Welt lauschte, Berechtigten ein. Als ich die Treppen emporstieg, begegnete mir der Reichskanzler in der großen Uniform der Gardedragoner, gefolgt von seinem Adjutanten, der bereits die Felduniform trug. Der Reichskanzler sah frisch und wohlgemut aus und erwiderte freundlich den Gruß.

Als einer der Ersten traf Unterstaatssekretär Wahnschaffe in der Uniform der Schwedter Dragoner ein, er trug die violette Mappe, in der sich das Manuskript der Thronrede befand .....

Da klingen dumpf noch einmal drei Schläge. Unter Vorantritt des Reichskanzlers, des Großadmirals V. Tirpitz und des bayerischen Gesandten Grafen v. Lerchenfeld kommt der Kaiser langsam die Treppe herabgeschritten. Auf seinem Antlitz sieht man keine Spur von Erregung, er verneigt sich, als der Reichstagspräsident ein begeistertes dreimaliges Hoch auf ihn ausbringt, und schreitet dann ernst, den Helm der Gardeinfanterie in der Hand, die Stufen des Thrones empor. Als ihm die Thronrede überreicht ist, bedeckt er sein Haupt mit dem Helm.

Und laut und vernehmlich tönt seine Stimme durch den Saal. Vor Beginn der Rede hat sich die Kaiserin von ihrem Sitz erhoben, sie hört diese mächtige Kundgebung stehend an. Aller Augen haften an unserem Kaiser. Hoch ausgerichtet, das Blatt in der Rechten, die Linke auf den Degenknauf gestützt, spricht er, und nur ein einziger Wunsch beseelt den Zuhörer, daß alle Deutschen, von der Memel bis zur Maas, das hören möchten, was der Kaiser sagt und wie er es sagt. Man wird von derselben mächtigen inneren Erregung erfaßt, die ihn selbst beseelt, man fühlt, was es ihn kostete, diesen weltenschweren Entschluß zu fassen, der viel Unglück, aber, so Gott will, auch unsäglich Gutes im Gefolge haben wird.

Immer macht- und tonvoller wurde seine Stimme, und es schien, als ob ein verhaltener Zug von Wehmut sein Herz bewegte, da er von der alten, traditionellen und historischen Freundschaft mit dem Zarenreiche sprach. Aber dann wurde er drohend und immer drohender, und der begeisterte Beifall aller Zuhörer bewies, daß es nunmehr mit der deutschen, Geduld zu Ende sei.

Und als der Kaiser dem Schluß seiner Rede nahe war, als er den Appell an alle Völker und Stämme des Deutschen Reichs erklingen ließ, da warf er mit energischem Schwung das Manuskript auf den Thronsessel und sprach den Schluß seiner Rede frei. Wer immer diese Worte hörte, hat nimmermehr tiefer in das Herz eines deutschen Mannes geschaut, weil er selbst dieselben Empfindungen hatte.

Niemand kann die Begeisterung erfassen, die alle ergriff, nie war etwas Ergreifenderes, "als wie" die Parteien des Reichstages dem Kaiser das Gelöbnis der Treue ablegten, niemals ist das „Heil dir im Siegerkranz“ inniger gesungen, als in der heutigen Mittagsstunde, und niemals wurde hochherziger in ein Kaiserhoch eingestimmt, als in das, das der bayerische Gesandte ausbrachte.

Der Kaiser verabschiedete sich mit Händedruck von dem Chef des Generalstabes und von dem Reichskanzler - ein weltgeschichtlicher Augenblick gehörte der Vergangenheit, aber dem immerwährenden Bewußtsein des deutschen Volkes an.
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Die Thronrede selbst lautete:

„Geehrte Herren! In schicksalsschwerer Stunde habe ich die gewählten Vertreter des deutschen Volkes um mich versammelt. Fast ein halbes Jahrhundert lang konnten wir auf dem Wege des Friedens verharren. Versuche, Deutschland kriegerische Neigungen anzudichten und seine Stellung in der Welt einzuengen, haben unseres Volkes Geduld oft auf harte Proben gestellt. In unbeirrbarer Redlichkeit hat meine Regierung auch unter herausfordernden Umständen die Entwicklung aller sittlich-geistigen und wirtschaftlichen Kräfte als höchstes Ziel verfolgt. Die Welt ist Zeuge gewesen, wie unermüdlich wir in dem Drange und den Wirren der letzten Jahre in erster Reihe standen, um den Völkern Europas einen Krieg zu ersparen.

Die schwersten Gefahren, die durch die Ereignisse am Balkan heraufbeschworen waren, schienen überwunden. Da tat sich mit der Ermordung meines Freundes, des Erzherzogs Franz Ferdinand, ein Abgrund auf. Mein hoher Verbündeter, der Kaiser und König Franz Joseph, war gezwungen, zu den Waffen zu greifen, um die Sicherheit seines Reiches gegen gefährliche Umtriebe aus einem Nachbarstaat zu verteidigen. Bei der Verfolgung ihrer berechtigten Interessen ist der Verbündeten Monarchie das Russische Reich in den Weg getreten. An die Seite Österreich-Ungarns ruft uns nicht nur unsere Bündnispflicht, uns fällt zugleich die gewaltige Aufgabe zu, mit der alten Kulturgemeinschaft der beiden Reiche unsere eigene Stellung gegen den Ansturm feindlicher Kräfte zu schirmen.

Mit schwerem Herzen habe ich meine Armee gegen einen Nachbarn mobilisieren müssen, mit dem sie auf so vielen Schlachtfeldern gemeinsam gefochten hat. Mit aufrichtigem Leid sah ich eine von Deutschland treu bewahrte Freundschaft zerbrechen. Die Kaiserlich Russische Regierung hat sich, dem Drängen eines unersättlichen Nationalismus nachgebend, für einen Staat eingesetzt, der durch Begünstigung verbrecherischer Anschläge das Unheil dieses Krieges veranlaßte. Daß auch Frankreich sich auf die Seite unserer Gegner gestellt hat, konnte uns nicht überraschen. Zu oft sind unsere Bemühungen, mit der französischen Republik zu freundlicheren Beziehungen zu gelangen, auf alte Hoffnungen und alten Groll gestoßen.

Geehrte Herren! Was menschliche Einsicht und Kraft vermag, um ein Volk für die letzten Entscheidungen zu wappnen, das ist mit ihrer patriotischen Hilfe geschehen. Die Feindseligkeit, die im Osten und im Westen seit langer Zeit um sich gegriffen hat, ist nun zu hellen Flammen aufgelodert. Die gegenwärtige Lage ging nicht aus vorübergehenden Interessenkonflikten oder diplomatischen Konstellationen hervor, sie ist das Ergebnis eines seit langen Jahren tätigen Übelwollens gegen Macht und Gedeihen des Deutschen Reiches.

Uns treibt nicht Eroberungslust, uns beseelt der unbeugsame Wille, den Platz zu bewahren, auf den Gott uns gestellt hat, für uns und alle kommenden Geschlechter. Aus den Schriftstücken, die Ihnen zugegangen sind, werden Sie ersehen, wie meine Regierung und vor allem mein Kanzler bis zum letzten Augenblick bemüht waren, das Äußerste abzuwenden. In aufgedrungener Notwehr, mit reinem Gewissen und reiner Hand ergreifen wir das Schwert. An die Völker und Stämme des Deutschen Reiches ergeht mein Ruf, mit gesamter Kraft, in brüderlichem Zusammenstehen mit unseren Bundesgenossen zu verteidigen, was wir in friedlicher Arbeit geschaffen haben.

Nach dem Beispiel unserer Väter fest und getreu, ernst und ritterlich, demütig vor Gott und kampfesfroh vor dem Feind, so vertrauen wir der ewigen Allmacht, die unsere Abwehr stärken und zu gutem Ende lenken wolle! Auf Sie, geehrte Herren, blickt heute, um seine Fürsten und Führer geschart, das ganze deutsche Volk. Fassen Sie ihre Entschlüsse einmütig und schnell — das ist mein innigster Wunsch.

Sie haben gelesen, meine Herren, was ich zu meinem Volke vom Balkon des Schlosses aus gesagt habe. Ich wiederhole, ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche und zum Zeugen dessen, daß Sie fest entschlossen sind, ohne Parteiunterschiede, ohne Standes- und Konfessionsunterschiede zusammenzuhalten, mit mir durch dick und dünn, durch Not und Tod zu gehen, fordere ich die Vorstände der Parteien auf, vorzutreten und mir in die Hand zu geloben.“

Diese Worte rissen diese ergrauten Männer hin. Die Hurras und Hochs endeten nicht. Das Zeremonielle war vergessen, man war nicht mehr im Weißen Saal und während die Führer der Parteien vortraten und ohne tiefe Hofverbeugung dem Kaiser die Hand reichten, war mit einem Male das Symbol für den hohen Sinn dieser Stunde gefunden.

(Fortsetzung folgt.)
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