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Fernsehen IST KEIN HEIMKINO

Man hat abends einige gute Freunde zu sich eingeladen, sie sollen zum ersten Mal ein Fernsehprogramm sehen. Es ist 20 Uhr. Die Ansagerin gibt die Sendefolge bekannt, die Tagesschau rollt ab, die Wetterkarte folgt, dann eine Diskussion, weiter eine aktuelle Übertragung und schließlich ein Fernsehspiel. Es soll nicht verschwiegen werden, daß recht oft der erste Eindruck in die Worte zusammengefaßt wird: „Aber das ist ja wie im Kino, nur alles viel kleiner."

Diese spontane Feststellung der Besucher, für die dieser Abend eine Premiere als Fernsehzuschauer ist, wird nicht überraschen. Sie ist naheliegend, und das, das man beim ersten Blick auf den Empfänger sieht, erzwingt geradezu diesen Eindruck. Er kann sich schon beim zweiten Blick, von dem doch auch gesprochen werden sollte, ändern. Bleiben wir bei unserm Beispiel.

Die Tagesschau

Die Tagesschau ist auf Film aufgenommen und zeigt viel Ähnlichkeit mit der Wochenschau. Das Fernsehen ist natürlich schneller. Jeden zweiten Tag kann es seine aktuellen Themen anbieten und irgendwann wird sie (die Tagesschau) ihrem Namen wirklich gerecht werden und täglich eine neue Ausgabe bringen.

Aber sie ist nicht nur schneller, der Zuschauer stellt bald fest, daß die einzelnen Themen z. B. breiter behandelt werden. Auch der Text zu den Bildern ist persönlicher gehalten, gelockerter dahingeplaudert, bisweilen sogar so, als ob man einem guten Freund eigene Schmalfilmaufnahmen von einer Reise erklärt.

Die aktuelle Übertragung

Dann die Wetterkarte: wir kennen sie aus den Tageszeitungen, wir kennen den Wetterbericht vom Rundfunk her. Beim Fernsehen ist es ganz anders. Die Karte entsteht vor den Augen der Zuschauer, Linie um Linie und dazu wird durchaus kein „amtlicher" Text gesprochen, sondern eine behagliche Conference.

Am deutlichsten wird es bei der nachfolgenden Diskussion und der aktuellen Übertragung, daß Fernsehen kein „Heimkino" ist. In beiden Fällen ist die Sendung natürlich vorbereitet, aber ihr Ablauf bestimmt sich aus dem Augenblick. Eine Diskussion kann noch so sorgsam in ihren Umrissen und ihrer Zielsetzung abgestimmt sein - wie oft haben wir es erlebt, daß sie plötzlich eine ganz andere Richtung einschlägt. In ihr rückt auf einmal ein Teilnehmer in den Mittelpunkt, und es kommt auf den Leiter der Sendung an, den Ablauf trotz der veränderten Situation fest in der Hand zu behalten. Er muß Zeit zur Entwicklung eines wesentlichen Gedankenganges gewähren oder ein Abgleiten in eine Nebenfrage verhindern; die Kameramänner müssen dem schnellen Wechsel von Rede und Gegenrede ebenso geschickt folgen, wie sie es erspüren müssen, in ruhigem Beharren auf einem Sprecher zu bleiben, der einen komplizierten Gedankengang entwickelt.

Der Sport

Noch viel häufiger müssen solche oft schnellen Entscheidungen aus dem Augenblick heraus bei allen sportlichen Übertragungen getroffen werden, deren Ablauf ja niemand fest voraussagen kann. Bei diesen Sendungen zeigt es sich am deutlichsten, welch ein Unterschied zu den nachträglich sorgsam bearbeiteten Filmberichten besteht. Diese müssen sich (auch aus zeitlichen Gründen) oft nur auf ein Aneinanderreihen von Höhepunkten begrenzen, während das Fernsehen an den Gesamtablauf gebunden ist: in seinen Längen und seinen Höhepunkten.

Das Fernsehspiel

Auch das Fernsehspiel ist eine dieser live-Sendungen, also eine unmittelbare Sendung. Sie ist bis ins letzte vorbereitet, in vielen Proben ausgefeilt und die Premiere ist vom Lampenfieber nicht anders durchzogen als beim Theater. Der Leser merkt schon, daß „Heimkino" nicht der richtige Ausdruck für „Fernsehen" ist: bei aller Spannung, die einem Film innewohnt, hat das Fernsehen darüber hinaus die Spannung des Einmaligen, desDabeiseinsimAugen-blick des Ablaufes. Es zeigt einen anderen Rhythmus und Aufbau, die Sendungen sind persönlicher, ja intimer.

Viele Programme sind „Gespräche" mit dem Zuschauer; der Partner, den wir auf der Bildfläche unseres Heimempfängers sehen, sitzt gewissermaßen an der freien Seite unseres Tisches und wendet sich ausschließlich an uns, an den einzelnen, an die kleine Gruppe der Familie. Ein „Kino" muß immer mit einer Vielheit von Personen rechnen, und damit auch mit einer Vielheit von Meinungen, Einstellungen, Interessen oder Neigungen. Es ist auch ein anderer „Kontakt" unter mehreren hundert Menschen in einem Filmtheater als zwischen der kleinen Gruppe im Heim, die sich vielleicht leichter, vielleicht schwerer in Bann ziehen läßt, die vor allem aber leichter in einen Gedankenaustausch zur Sendung und während der Sendung treten kann.

Während der Film auf Perfektion abgestellt ist, kann das Fernsehen sie nicht immer garantieren; aber hat nicht gerade das Unvollkommene - wir begegnen ihm täglich - in seiner Echtheit einen besonderen Reiz?

Doch das hier stimmte so noch nicht !

  • Kino - das heißt: wir waren dabei.
  • Fernsehen - das heißt: wir sind dabei.


H.H.

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