Von der Flimmerkiste zum PAL-Farbfernsehen
Das vorliegende Büchlein aus dem Jahr 1987 ist eine der wenigen Publika- tionen des ehemaligen "Wiesbadener Fernsehvereins", der 2010 aufgehört hatte, zu existieren.
In diesem Büchlein beschreiben Walter Bruch und weitere Autoren ihre Eindrücke und Erinnerungen und Erfahrungen aus der Zeit, als das Fernsehen noch in der Wiege lag - mit dem Blick auf die Entwicklung in der Stadt Berlin.
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Rundfunk-Premiere nach der Zwangspause
Vom Sender Tegel, dessen technische Einrichtungen sich in einem geschützten Bunker schnell betriebsbereit machen ließen, kamen am 5. Mai 1945 schon die ersten Nachrichtensendungen und bald danach auch Sendungen aus dem Funkhaus. Dort hatte sich unter sowjetischer Kontrolle der »Sender Berlin« etabliert. Die sowjetische Militäradministration behielt dieses Haus auch dann noch, als in Berlin die Viermächte-Verwaltung eingeführt wurde und es dann mitten im britischen Sektor lag.
Die Amerikaner richteten daraufhin in ihrem Sektor den DIAS - Drahtfunk im amerikanischen Sektor - ein, aus dem später, ausgebaut mit einem Sender, der RIAS wurde.
Die Engländer wiederum, denen das alte Funkhaus hätte zufallen müssen, sorgten für eine Zweigstelle des Rundfunks der britischen Besatzungszone und brachten sie im ehemaligen »Haus der Zahnärzte« am Heidelberger Platz in Berlin-Wilmersdorf unter. Sie wurde nach Gründung des Nordwestdeutschen Rundfunks als NWDR-Berlin von ihm übernommen. Im November 1953 wurde daraus dann der Sender Freies Berlin (SFB).
Fernsehpremiere am 25. Dezember 1952
Der Rundfunk war nach dem Kriege sofort wieder da, das Fernsehen mußte noch einige Jahre warten. Es hatte seine deutsche Nachkriegspremiere am 25. Dezember 1952. An diesem Weihnachtsfeiertag begann der Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR) in Hamburg mit der Ausstrahlung des regulären Fernsehprogramms für die Allgemeinheit. Für 5DM Fernsehgebühr konnte von da an jeder dabei sein, der dazu noch 1.500 bis 2.000 Mark für einen Fernsehempfänger ausgegeben hatte.
Die ersten Tage wird dieses Hamburger Programm nur über den Sender Hamburg und den über eine Richtfunkstrecke damit verbundenen Sender Hannover ausgestrahlt. Die »Festsendung«: Ein noch höchst ungelenkes Fernsehspiel »Stille Nacht« und Norbert Schultzes Fernsehtanzspiel »Max und Moritz«.
Ohne Schweiß kein Preis - unendlich viel Arbeit
Dieser feierlichen Premiere war natürlich einiges vorausgegangen. Zunächst einmal brauchte man dazu eine Betriebstechnik. Denn ohne fernsehtechnische Einrichtungen läßt sich nun mal kein Programm aussenden und ohne Fernsehempfänger keines empfangen.
Bis fast zum Ende des Krieges hatte man in Berlin, und für Deutschland nur in Berlin, einen Fernsehversuchsbetrieb, zuletzt zur Unterhaltung von Verwundeten in den Berliner Lazaretten, mit einer schon ganz beachtlichen Technik zu laufen. Soweit diese technischen Einrichtungen nicht den Bomben zum Opfer gefallen waren, wurden sie als von den Besatzungsmächten gesuchte Objekte beschlagnahmt.
Horst Hewel bastelte im Krieg eine Fernsehkamera
Nur eine einzige von dem ehemaligen Telefunken-Angestellten Horst Hewel während des Krieges privat gebastelte Fernsehkamera, als Amateurkamera offiziell nicht existent, überstand, verborgen in seiner Wohnung, dieses Ende. Die einschneidenden Verordnungen der Besatzungsmächte erlaubten in den ersten Nachkriegsjahren u.a. auch keine Beschäftigung mit der Fernsehtechnik. Außerdem hatte man ganz andere Sorgen.
Die Britten hatten den NWDR geschaffen
Der dringende Wunsch, Nachrichten zu verbreiten, hatte die Besatzungsbehörden veranlaßt, sofort nach dem Zusammenbruch den Rundfunk den Militärregierungen zuzuordnen. Nach der Reorganisation des Hörrundfunks war neben anderen deutschen Rundfunkanstalten als einheitliche Rundfunkanstalt für die ehemalige britische Besatzungszone von der Militärregierung der NWDR geschaffen worden. Infolge seines großen Gebühreneinzugsgebietes stand ihm annähernd die Hälfte der westdeutschen Rundfunkgebühren von zwei DM zur Verfügung. Nur in dieser damals noch reichsten Rundfunkanstalt konnte man sich erlauben, nach einer gewissen Aufbauzeit für den Hörrundfunk etwas von den eingenommenen Rundfunkgebühren für neue technische Entwicklungen abzuzweigen.
Der Engländer Hugh Carleton Greene gab dem Fernsehen eine Chance
So ließen sich Wünsche seines avantgardistischen technischen Direktors Werner Nestel nach einer Wiederaufnahme der technischen Fernsehentwicklung finanziell erfüllen. Nachdem dieses Vorhaben auch das Wohlwollen des von der britischen Militärregierung eingesetzten Koordinators Hugh Carleton Greene, dem späteren Generaldirektor der BBC, gefunden hatte, erwirkte dieser von der britischen Militärregierung eine Lockerung des generellen Verbotes, sich mit Fernsehen zu beschäftigen.
Fernsehstart mit 4.000DM - wenn das das ZDF wüsste
Mit einem ganz bescheidenen Etat - ich glaube, es waren 4.000 DM im Monat - engagierte man einige Fernsehtechniker der ehemaligen Deutschen Reichspost, die sich in Hamburg eingefunden hatten. Sie nahmen dann schon Ende 1948 technische Fernsehversuche im bescheidensten Maße auf.
In einem Zimmer, hoch oben in einem ehemaligen Luftschutzbunker auf dem Heiligengeistfeld machte man die ersten Bilder. Mit Decken und Mänteln hatte man ein Stockwerk tiefer die Fenster verdunkelt, um dieses erste Bild zu sehen. Es kam von der in der Etage darüber stehenden Amateurkamera, die man von dem Amateur in Berlin inzwischen erworben hatte. Zunächst war es die einzige, die man hatte.
Es war primitiv, doch es machte Spaß
Eine Person, von zwei Scheinwerfern angestrahlt, war alles, was man übertragen konnte. Doch die Freude bei der kleinen Gruppe war groß, hatte man doch wieder, was kurz vorher noch militärisch verboten und in den anderen Besatzungszonen noch nicht erlaubt war: Fernsehen.
66 Quadratmeter im Kriegsbunker
Bald zog man in ein 66 Quadratmeter großes Studio im selben Bunker und dann in den in der Nähe liegenden Hochbunker. 400 Quadratmeter hatte man nun für ein Studio zur Verfügung. Innerhalb des Versuchsbetriebes wird über einen ebenfalls in dem Bunker aufgestellten Fernsehsender am 2. März 1951 das erste ganz bescheidene Fernsehspiel nach dem Zusammenbruch, und aus Hamburg das erste überhaupt, ausgestrahlt. Gewählt hatte man Goethes »Vorspiel auf dem Theater«, Regie führte Hanns Farenburg.
Im Dezember 1952 ging es endlich wieder richtig los
Zur offiziellen Eröffnung des deutschen Nachkriegsfernsehens am 25. Dezember 1952 waren die Fernsehsender Hamburg, Hannover und Köln betriebsfähig, doch alle drei sollten gemeinsam das Eröffnungsprogramm aus Hamburg ausstrahlen. Weil aber ein Fernsehsender normalerweise nicht mehr als 50 bis 100 Kilometer überbrücken kann, mußten diese Sender, die das Programm aus Hamburg zu übernehmen hatten, über sogenannte Richtfunkstrecken von Hamburg mit dem Programm versehen werden.
Doch die Richtfunkstrecke Köln war noch nicht fertig
Diese Richtfunkstrecken bestehen aus Betontürmen, auf denen scheinwerferähnliche Richtantennen (Parabol-Spiegel) die Signale aufnehmen und weiterreichen, so etwa wie in einer Stafette der Stab von Hand zu Hand dem Ziel zuwandert. Diese Fernmeldetürme, in gegenseitiger Sichtweite mit durchschnittlich 50 Kilometer Abstand, mußten errichtet und die sogenannten Verstärkerrelais für eine Auffrischung des ankommenden Bildsignals zur Weiterreichung mußten eingebaut werden.
Im Sommer 1951 arbeiteten die Monteure fieberhaft an der Strecke Hamburg-Köln. Und während sie schwitzten, wartete im Hamburger Luftschutzbunker Werner Pleister, der erste Fernsehintendant der Bundesrepublik, ungeduldig auf die Betriebsfähigkeit der Fernsehbrücke. Es wird Dezember, und noch ist die Strecke nicht betriebsklar. Auch die deutschen Ingenieure können den Zeitverlust, den ihnen der Krieg eingebracht hatte, nicht so schnell ausgleichen. Erschwerend kommt hinzu, daß ein besonders naßkalter Herbst die Betontürme nicht rechtzeitig trocknen läßt.
1952 - Keine Zuschauer, aber es muß losgehen
Hamburg will aber auf jeden Fall noch im Jahre 1952 beginnen, das hat man versprochen, und wenn man dazu am letzten Tag des Jahres eröffnen muß. Schon zweimal hat man schweren Herzens den Termin für die Eröffnungssendung des ständigen Programms verschoben. Noch länger will man nicht warten! Die Bundespost, die für die Verbindungen zuständig ist, kann trotz allen Drängens das Teilstück zwischen Hannover-Mellendorf und Wuppertal innerhalb der geplanten Gesamtstrecke für den NWDR Hamburg - Hannover - Köln nicht zeitgerecht freigeben. So muß schließlich das offizielle Fernsehprogramm mit einem Provisorium beginnen. Hamburg und Hannover strahlen die Festsendung am 25. Dezember aus, während Köln über seinen Sender ein schnell zusammengestückeltes Eigenprogramm ausstrahlt.
Endlich, am 1. Januar 1953, ist es soweit. Die Nord-Süd-, Süd-Nord-Fernsehschiene kann freigegeben werden. Nach und nach kommen weitere Strecken dazu, und heute ist das Bundesgebiet mit einem Fernsehnetz überzogen, das die Sender für zwei Programme zur gleichen Zeit mit Programmerzeugungsstellen in beliebigen Orten verbindet. Doch Anfang 1953 war es noch nicht so weit, daß man in der ganzen Bundesrepublik fernsehen konnte; vieles mußte dazu noch geregelt und aufgebaut werden.
Der ARD-Fernsehvertrag vom März 1953
Im März 1953 wurde zwischen den einzelnen Rundfunkanstalten der sogenannte Fernsehvertrag für ein Einheitsprogramm der »Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschlands« (ARD) abgeschlossen, der dann von den Länderregierungen nach und nach ratifiziert wurde, denn die Rundfunkhoheit liegt nach dem Grundgesetz bei den Bundesländern. Es wurde beschlossen, daß jede einzelne "Anstalt" einen genau festgelegten Teil zu einem gemeinsamen einheitlichen deutschen Fernseh-Programm beizutragen hat.
- »Zentralistisch« wurde durch eine ständige Programmkonferenz mit einem Vertreter jeder Anstalt das Programm geplant.
- »Föderalistisch« blieb aber die Verantwortung für die einzelnen Programmbeiträge, und zwar in voller Verantwortung der produzierenden Anstalten. Jede Anstalt behielt das Recht, einen Beitrag abzuschalten, wenn sie glaubte, ihn nicht verantworten zu können.
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Die englischen Krönungsfeierlichkeiten waren ein Glückstreffer
Ein großes bedeutendes internationales Ereignis gab den Anlaß für die Ouvertüre dieses ARD-Fernsehprogramms. Es waren die englischen Krönungsfeierlichkeiten anläßlich der Thronbesteigung von Königin Elisabeth am 2. Juni 1953.
England, Frankreich, Holland, Belgien und die Bundesrepublik Deutschland (jetzt auch noch mit den Fernsehsendern des Hessischen Rundfunks und denen des Südwestfunks, die von diesem Tage an regelmäßig das NWDR-Programm übernahmen) waren dabei.
Als die Engländer diese Übertragung beschlossen, hatten sie keine Ahnung, wie das Bild auf den Empfängern der einzelnen Länder aussehen würde. Von London nach Dover und von dort über den Kanal ging das 405-Zeilen-Bild nach Lille. Dort wurde es vom Bildschirm eines 405-Zeilen-Empfängers mit einer 819-Zeilen-Kamera für das französische Netz sozusagen »abfotografiert«, für die anderen Länder wurde es von einer 625-Zeilen-Kamera für deren Standard aufgenommen. Erstaunlich gut, ein wenig verschwommen, kam es in Hannover an.
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Technisch war die Übertragung der Krönungsfeierlichkeiten eine gigantische Leistung, hatte doch damals das englische Fernsehen nur 405 Zeilen. Die von England kommenden Signale wurden in Holland in unsere 625-Zeilen-Norm umgewandelt und in Frankreich in die dortige 819-Zeilen-Norm. Interessant war, daß Belgien sich an der Weiterleitung der Bildsignale beteiligte, obwohl in Belgien noch kein Fernsehen eingeführt war und man nicht ausstrahlen konnte.
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Die Vision einer EuroVision (hat nichts mit Geld zu tun)
Im ganzen europäischen Bereich wird es etwa 100.000 Empfänger gegeben haben, in Deutschland erst ganz wenige. Deshalb hatte ich in meiner Wohnung in Hannover neben einigen Journalisten die internationale Prominenz aus dieser Stadt versammelt, vornehmlich Engländer und Amerikaner, die bei diesem Ereignis dabeigewesen sein wollten. Von einem der Empfänger wurden Bildschirmaufnahmen gemacht, und ihre Veröffentlichung in der Tagespresse half ebenso wie die Berichte in anderen Zeitungen dem Fernsehgeräteabsatz. Das war der Anlaß für ein europäisches Gemeinschaftsprogramm, der Beginn der heutigen Euro Visionsprogramme.
Nov. 1953 - Die ARD sendet deutschlandweites Fernsehprogramm
Am 1. November 1953 erscheint erstmalig das Zeichen ARD als Ankündigung des deutschen Fernsehprogramms, Zeichen dafür, daß jetzt Bayerischer Rundfunk, Hessischer Rundfunk, Nordwestdeutscher Rundfunk, Süddeutscher Rundfunk und Sender Freies Berlin zum Fernsehprogramm zusammengeschlossen sind.
Noch ein "Event" - 1954 die Fußballweltmeisterschaft
Ein anderes spektakuläres Ereignis verschaffte dem Fernsehen dann weitere Teilnehmer. Im Rahmen der europäischen Fernsehwochen, die vom 6. Juni bis zum 4. Juli 1954 mit Übertragungen in und von acht Staaten mit 45 Fernsehsendern erfolgten, kam als Höhepunkt von der Schweiz aus Bern das Endspiel um die Fußballweltmeisterschaft mit dem überraschenden deutschen Sieg.
Von nun an ist eine Fußballweltmeisterschaft ohne Fernsehen nicht mehr denkbar. Ein halbes Jahr später, Anfang 1955, registrierte man dann den 100.000. Fernsehteilnehmer in der Bundesrepublik, also 500.000 DM monatliche Fernsehgebühren.
1956 - Aus NWDR werden NDR und WDR und SFB
Zum Jahreswechsel 1955/56 wurde der NWDR aufgeteilt in einen Norddeutschen Rundfunk (NDR) und in einen Westdeutschen Rundfunk (WDR), beide als selbständige "Anstalten". Auch aus der Berliner Dependance des NWDR wurde im Einvernehmen mit dem Senat von Berlin eine selbständige Anstalt. Durch das Berliner Gesetz über die Errichtung einer Rundfunkanstalt vom 12. November 1953 wurde der Sender Freies Berlin (SFB) gegründet, an den die Berliner Einrichtungen des NWDR übertragen wurden. Die Sender gehörten weiterhin zur ARD. Später kam noch der Saarländische Rundfunk hinzu.