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Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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(26) Es war alles ganz anders

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General Clay sah mich eine Zeitlang schweigend an.

Dann lächelte er: „Es tut mir natürlich leid, daß sie Berlin verlassen. Aber ich verstehe. Sie wollen in die Heimat zurück."

„Going home", sagte er, vielleicht unbewußt, sicher unabsichtlich das berühmte Neger-Spiritual zitierend.

Home. Heimat. Natürlich war Amerika für mich die Heimat geworden und gewesen in den Jahren bis 1944 oder 1945, die Jahrtausende zurückzuliegen schienen. Dort waren meine Artikel, meine Bücher erschienen, dort hatte ich eine Wohnung, mein Sohn lebte in New York, dort hatte ich schließlich mein neues Leben aufgebaut und meine Karriere gemacht. Die Heimat waren die Vereinigten Staaten - so glaubte ich jedenfalls.
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Vor meiner Abreise hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis

Ein paar Monate vor meiner Abreise hatte ich ein merkwürdiges Erlebnis gehabt, worüber ich mir erst später klarwurde. Käthe Dorsch kam schon bald nach ihrer Rückkehr in meine kleine, requirierte Villa, viele Amerikaner bewohnten größere. Sie waren, wie gesagt, alle requiriert worden. Sie waren leer, aber wir hatten ein Lagerhaus mit Möbeln zur Verfügung, die aus den verschiedensten Häusern requiriert worden waren.

Man brauchte bloß anzurufen und bekam, was man verlangte. Meine Villa war sehr nett möbliert, es gab sogar einen Flügel. Die Dorsch sah sich um und sagte schließlich: „Hübsch, sehr hübsch ... Nur, warum hast du eigentlich keine Vorhänge an den Fenstern?"

Das hatte ich völlig vergessen - oder zumindest glaubte ich, daß es sich um ein Vergessen handelte. Aber war dahinter nicht mehr? War dahinter nicht, mir unbewußt, das Wissen, daß ich doch nicht in Berlin bleiben würde?

Übrigens kamen die Vorhänge innerhalb der nächsten Stunden.
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Und dann wurde alles ganz anders.

Aber das wußte ich noch nicht, als ich Ende 1946, in den ersten Dezembertagen, in die USA zurückfuhr, auf einem funkelnagelneuen Frachter der US-Marine, in einer Luxuskabine - überhaupt war das Leben für die acht oder zehn Passagiere an Bord recht luxuriös.

Und warum fuhr ich eigentlich - so plötzlich? Das habe ich mich später oft und nicht ohne Bitterkeit gefragt. Ein Zwang lag nicht vor. Ich war ja kein eingezogener Soldat, mußte also nicht auf Kommando zurückfahren.

Mein Vertrag mit der Agentur lief noch, Clay, Murphy, die OSS - Allen Dulles - konnten mich in Berlin und darüber hinaus in Europa brauchen. Von Käthe, die ich brauchte und ohne die ich mir ein Leben gar nicht mehr vorstellen konnte, gar nicht zu sprechen. Warum also?

Clay sagte: „Ich verstehe das, Sie wollen in die Heimat zurück."
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Ich bekam Sehnsucht nach Käthe und auch nach Berlin

Schon auf dem Schiff - also gewissermaßen bereits auf amerikanischem Boden - bekam ich . Und vorübergehend - aber nur mitunter - verspürte ich Sehnsucht nach Käthe und auch nach Berlinein wenig Angst vor New York, als ob ich die Stadt und das Leben dort nicht aufs intimste kannte. Es war eine Art düsterer Vorahnung, für die jede rationale Begründung fehlte.

Wir legten an. Niemand wartete auf dem Pier auf mich. Ich hatte eigentlich gehofft, mein Sohn würde da sein. Er kam übrigens auch, aber mit solcher Verspätung, daß wir uns verfehlten. Wieder eine düstere Vorahnung.

Und meine Wohnung war nicht leer oder vielleicht gar mit Blumen geschmückt. Rolf wohnte dort - und bis zum Tag davor hatten auch Ilse und mein Sohn dort gewohnt, sie konnten, so meine Sekretärin, vorher keine passende Bleibe finden.

Ilse bat mich, Rolf noch eine Zeitlang bei mir wohnen zu lassen, bis sie eine geeignete und etwas größere Wohnung gefunden hätte. Darüber war ich nicht besonders glücklich, aber ich erklärte mich einverstanden, nicht ahnend, was auf mich zukommen sollte.
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Rolf hatte sich stark verändert.

Er war zwar - nach der Entziehung nicht mehr - geistesgestört - falls er das je gewesen war -, aber er war bösartig, neidisch, unangenehm. Er hatte keine Arbeit gefunden, und seine verschiedenen, schließlich geradezu verzweifelten Versuche in dieser Richtung waren ohne Erfolg geblieben.

In all den Jahren war von dem einst so brillanten und verwöhnten Journalisten keine Zeile gedruckt worden. Das war ihm unverständlich, und das sagte er mir nicht einmal, sondern fast unaufhörlich.

Daß ich Erfolg hatte, konnte er überhaupt nicht begreifen, und das Goebbels- Manuskript, dessen erste Hälfte ich ihm zu lesen gab, fand er indiskutabel.
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Eines Morgens geschah es.

Ich war früher aufgestanden als gewöhnlich und in mein Arbeitszimmer hinübergegangen, in welchem Rolf auf einer Couch zu schlafen pflegte. Er saß an meinem Schreibtisch, alle sonst verschlossenen Schubladen waren geöffnet, mittels Schlüsseln, die an einem Bund hingen, und dieser Bund konnte ihm nur von meiner langjährigen Sekretärin ausgehändigt worden sein.

Damals hätte mir schon klar sein müssen, daß eine Art Feldzug gegen mich im Gange war. Mir war aber vorläufig nur klar, daß Rolf mir nachspionierte.

Er sah mich an. Nicht ängstlich, eher ärgerlich. „Nun kann ich wohl nicht länger hier wohnen bleiben!" Keine Frage, sondern eine Feststellung. - Ich nickte und ging hinaus. Ein oder zwei Stunden später hatte er seine Koffer gepackt und verschwand.
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Das „Goebbels"-Manuskript war mit ihm verschwunden

Was ich nicht bemerkt hatte - ich war nicht auf die Idee gekommen, seine Siebensachen zu durchsuchen: das „Goebbels"-Manuskript war mit ihm verschwunden.

Als ich durch meine Sekretärin - die ja bis zum Hals in dieser Sache steckte, es jetzt aber schon bereute - das Manuskript zurückforderte, lehnte er brüsk ab. Er wollte dafür siebenhundert Dollar Lösegeld - anders kann man es gar nicht formulieren.

Würde er am Ende gar das Manuskript vernichten, das ich so notwendig zu meiner Weiterarbeit brauchte? Ich konnte einen Prozeß führen, aber der würde Jahre dauern. Und die standen mir nicht zur Verfügung.

Ich traf ihn bei einem Anwalt. Ilse war auch dabei. Die beiden taten, als hätte ich ihnen bitteres Unrecht zugefügt. - Warum denn? Es war so unsinnig, daß es schon gespenstisch wirkte. Ich zahlte und erhielt mein Manuskript zurück.
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Ich sah Rolf erst viele Monate später wieder ....

....., als er am Abend am oberen Broadway Zeitungen verkaufte.

Ich glaubte, meinen Augen nicht trauen zu dürfen, dann blieb ich stehen, unfähig, meinen Weg fortzusetzen, der an ihm vorbeifuhren mußte. Es war ein furchtbarer Schock für mich.

War die Familie in solchen finanziellen Nöten, daß er Zeitungen verkaufen mußte? Man verdiente damit nicht viel, es sei denn, man hatte einen Kiosk zur Verfügung, in dem es nicht nur eine Zeitung gab, sondern viele, und daneben Zeitschriften, Schokolade und kleine Heftchen.

Rolf hatte mich gesehen und grinste, als habe nicht ich ihn, sondern er mich ertappt, und sagte: „Da staunst du!"

Später erfuhr ich, daß er sich nicht darum beworben hatte, Zeitungen zu verkaufen, um Geld zu verdienen, das er wohl brauchte, als vielmehr, um Ilse, mit der er sich inzwischen auseinandergelebt hatte, in Verlegenheit zu setzen - eigentlich zu erpressen.

Ilse fand den Gedanken, daß Bekannte, die in der Gegend wohnten, und das taten einige, ihn als Zeitungshändler sehen würden, einfach furchtbar.
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Sogar meine Sekretärin war zu mir zurückgekehrt

Vorläufig stürzte ich mich in die Arbeit am „Goebbels". Ich sah wenige Menschen. Eigentlich nur meine Sekretärin, die zu mir zurückgekehrt war - reumütig.

Ich sah natürlich meine Eltern. Meine Mutter war tief bedrückt. Rolf hatte - im Wege der Sippenhaftung - Ilse und meinem Sohn Michael, ja sogar Ilses Mutter „untersagt", mit meinen Eltern weiterhin zu verkehren, ja auch nur mit ihnen zu telephonieren. Das verstand meine Mutter ganz einfach nicht - es war ja auch nicht zu verstehen.

Sonst? Manchmal fand Michael zu mir, er war ja nun immerhin schon sechzehn und ließ sich von seinem Stiefvater Rolf nichts mehr untersagen.
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Auch Antonie Straßmann kam gelegentlich vorbei

Eine gute Freundin aus alten Zeiten, das heißt aus den Vor-Hitler-Tagen in Berlin, Antonie Straßmann, damals ein hübsches Mädchen, jetzt eine Dame Ende Dreißig, ehemals eine eher mäßige Schauspielerin, aber begeisterte Sportlerin und Anhängerin der Sechstagerennen, kam gelegentlich vorbei.

Jetzt in Amerika war sie eine sehr tüchtige Managerin der Filiale einer bedeutenden Industriefirma, ich glaube aus Chicago, geworden.

Und auch Gräfin Fira Ilinska und Rosie, Gräfin Waldeck

Da war Gräfin Fira Ilinska, die von ihrem Mann getrennt lebte und die Abteilung Damenkleider eines sehr bekannten Warenhauses an der Fifth Avenue leitete - eine sehr gescheite Frau, außerordentlich elegant und apart, die ich schon vor der Trennung von Ingrid kennengelernt hatte.

Zu meinen guten Freundinnen, die mich oft besuchten, gehörte auch Rosie, Gräfin Waldeck, eine hochgebildete Frau in mittleren Jahren, nicht eigentlich hübsch, aber sehr interessant und faszinierend.

Als junges Mädchen war sie die erste gewesen, die in Heidelberg das Doktorat - ich glaube Jus - gemacht hatte. Sie war gegen Ende des Weltkrieges die Freundin von General Hoffmann gewesen, eines heute völlig vergessenen Mannes, von dem nur Kenner wußten, daß er der eigentliche Sieger der beinahe kriegsentscheidenden Schlacht von Tannenberg war - nicht Ludendorff, dem dieser Erfolg immer zugeschrieben wurde.

Dann der Skandal mit den Ullstein Brüdern

Später hatte sie den berühmtesten Frauenarzt von Berlin (den Berliner Gynäkologen Ernst Gräfenberg) geheiratet, dann Franz Ullstein, einen der fünf Brüder, die den gleichnamigen Verlag leiteten, was einen ungeheuren Skandal entfesselt hatte.

Denn die anderen vier Brüder glaubten fest und steif - und übrigens ohne den geringsten Beweis dafür zu besitzen -, Rosie sei eine französische Spionin. Franz wurde daraufhin seiner Ämter enthoben, ja er erhielt sogar Hausverbot von seinen Brüdern. Es kam zu einem Prozeß, der die ganze deutsche Zeitungswelt in Erregung versetzte und den Franz gewann.

Zur Zeit des Prozesses hatte sich Rosie schon wieder von ihm getrennt. Gräfin Waldeck wurde sie, als sie zwischen zwei Zügen in Budapest den Grafen heiratete und ihm für diese Gefälligkeit eine gewisse Summe zahlte.
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Ja, so ein Grafentitel ...

Sie glaubte wohl, in den Vereinigten Staaten als Gräfin mehr Chancen zu haben.

Aber da irrte sie sich. Es ging ihr eine Zeitlang, nachdem sie ihr Geld verbraucht hatte - das meiste davon hatten freilich die Nazis gestohlen -, ziemlich schlecht.

Vorübergehend war sie Sekretärin bei Dorothy Thompson, aber die beiden Damen verstanden einander nicht. Dann mußte sie sogar in einer Cafeteria Geschirr abwaschen und Sandwiches machen. Sie, die immer reiche, immer verwöhnte Frau, tat es mit einer Haltung, die uns allen, die sie kannten, Bewunderung abrang.

Später schrieb sie dann einige Bücher, von denen zumindest zwei zu Bestsellern wurden.

Sie war insbesondere in der Klarheit ihres politischen Urteils bewundernswert. Wenn sie einmal eine Meinung gefaßt hatte, konnte nichts - schon gar nicht ein Weltkrieg - sie irre machen. Sie irrte selten. Die Regierungschefs und Minister vieler Staaten hätten von ihr lernen können.
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Eines Morgens - heftige Herzbeschwerden

Eines Morgens wachte ich mit beträchtlichen, wenn auch nicht gerade unerträglichen Herzbeschwerden auf. Ich telephonierte mit meinem Arzt. Ich war etwas in Sorge, denn ich hatte niemals zuvor diese Art von Schmerzen gehabt. Mein Arzt riet mir, schleunigst zu kommen, untersuchte mich und machte auch ein Kardiogramm. Heute weiß ich, daß die dazu notwendigen Apparate noch ziemlich unverläßlich waren.

Die Diagnose: Herzinfarkt. „Eigentlich müßte ich Sie in einer Ambulanz ins Krankenhaus schicken. Aber wenn Sie sich sofort ein Taxi nehmen und zu Hause gleich ins Bett gehen . . . Ich komme dann bei Ihnen vorbei."

Herzinfarkt! ????

Herzinfarkt! Das war damals - zumindest in meinen Augen -fast ein Todesurteil. Der Arzt verordnete denn auch: „Möglichst bewegungslos liegen, an den Füßen Sandsäcke. Und natürlich nicht rauchen. Wieviel Zigaretten rauchen Sie denn täglich? Sechzig?" Er konnte sein Entsetzen nicht verbergen. „Ab heute keine einzige mehr!"

Immer wenn ich an diese Szene denke, muß ich mich an eine andere erinnern, die ein paar Jahre vorher stattgefunden hatte - noch im Krieg.
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Ich rauchte sechzig Zigaretten pro Tag

General Clay fragte mich damals, so betont beiläufig: „Sie rauchen doch auch, wie ich, sechzig Zigaretten pro Tag, Curt. Wie machen Sie das?"

Der Grund der Frage: Die tägliche Zigarettenration - für Soldaten wie für Offiziere bis hinauf zum General - betrug zwei Packungen oder vierzig Zigaretten. Clay wollte wissen, wie ich zu der dritten Packung kam.

„Ganz einfach. Ich tausche. Ich mache mir nichts aus Schokolade. Da findet sich immer jemand, der Nichtraucher ist. Schließlich gab und gibt es überall einen Schwarzen Markt."

Clay: „Nun, ein General kann nicht gut tauschen!"

Brauchte er auch nicht. Längere Zeit besorgte ich ihm Zigaretten. Nach dem Krieg verfügte er natürlich über jede Menge Zigaretten und Whisky zu Repräsentationszwecken.
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Da lag ich nun also - zwölf Wochen ......

Da lag ich nun also - zwölf Wochen hatte mir der Arzt prophezeit - fast bewegungslos in meiner New Yorker Wohnung und war recht verzweifelt. Dabei stellte sich das alles als völlig überflüssig heraus - später.

Denn wie sich dann nach einer Untersuchung in Wien, die Käthe Dorsch veranlaßt hatte, und einer in Berlin herausstellte, hatte ich nie einen Herzinfarkt gehabt.

Die Berliner Diagnose - ein Spezialist von internationalem Format stellte sie bei wiederauftretenden Schmerzen: Ich litt gelegendich - unter rheumatischen Knoten in der Herzgegend. Die waren sehr leicht zu beheben durch Blau- oder Rotlichtbestrahlung und durch Massagen mit Franzbranntwein.

Soviel über meine fast tödliche Krankheit.
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1947 in New York

Aber das wußte ich damals - 1947 in New York - noch nicht. Ich kam mir sehr bedauernswert vor. Würde ich je wieder gesund werden? Würde ich arbeiten können?

Fira (Gräfin Fira Ilinska) besuchte mich, und zu meinem Erstaunen gelegentlich sogar Ingrid Hallen, meine zweite geschiedene Frau, übrigens immer mit einer Flasche Gin bewaffnet - nicht für mich, sondern für sich selbst.
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Und meine Mutter kam fast jeden zweiten Tag.

Sie war fast siebzig Jahre alt und mußte nahezu eine Stunde bis zu mir fahren. Aber sie kam, richtete mein Bett und machte etwas zu essen. Um mich zu beschwichtigen, sagte sie einmal: „Mache dir keine unnötigen Gedanken. Vater und ich kommen auch so ganz gut durch!"

Sie spielte auf das Geld an, das meine Bank monatlich an sie überwies und seit einiger Zeit, ohne daß ich etwas davon ahnte, nicht mehr überwiesen hatte. Sie konnten von diesem Geld leben, nicht gerade üppig, aber sie waren ja so bescheiden.

Wenn man bedenkt, wie sie zu leben gewohnt waren und was mein Vater sich im Vor-Hitler-Berlin hatte leisten können ... Immerhin, ich hatte meine Eltern all diese Jahre ernährt.

Als jetzt meine Mutter sagte, Vater und sie kämen „auch so ganz gut durch", spielte sie auf etwas an, was ich nicht ahnen konnte. Meine Sekretärin hatte ihr nämlich reinen Wein eingeschenkt.
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Zu meinem Geld einige erklärende Worte:

Ich war, als ich Mitte 1943 wieder einmal nach London flog (ich siollte ja über die Schweiz in Deutschland Informationen auskundschaften), mir ziemlich klar darüber, daß ich so schnell nicht wiederkommen würde. Man hatte mir das auch in Washington zu verstehen gegeben.

Ich besaß damals etwas Geld. Natürlich war ich kein reicher Mann, aber immerhin hatte ich genug, um zwei oder drei Jahre davon leben und meine Eltern ernähren zu können. Aber es wäre mir nie in den Sinn gekommen, wenn ich an „später" dachte, daß ich dieses Geld angreifen müßte. Ich hatte seit zehn Jahren und länger immer gut verdient. Warum sollte ich jetzt nicht mehr verdienen?

Als ich nach Europa flog, glaubte ich also nicht an eine baldige Rückkehr. Immerhin zog ich in einen Krieg. Wem sollte ich die Verfügungsrechte über mein Konto geben? Meine Mutter verstand von solchen Dingen überhaupt nichts, und mein Vater war schon sehr alt, er konnte jeden Tag sterben. So gab ich eine Vollmacht meiner Sekretärin, der ich voll und ganz vertraute.
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Und mein ehemaliger Freund Rolf bekam ofter kleine Summen

Die hatte dann zuerst kleinere Summen und dann immer größere an Rolf ausbezahlt. Wie das zusammenhing? Ich habe es nie erfahren. Vielleicht hatte sie anfangs Mitleid mit Rolf, vielleicht übte er irgendeinen Druck auf sie aus.

Wie immer diese Übertragungen meines Geldes hätten begründet werden können - eines mußte ihr klar sein: es handelte sich hier um Diebstahl, um nicht mehr und nicht weniger.

Meine Sekretärin war bedrückt. Sie konnte es mir gegenüber nicht verbergen. Und eines Tages erzählte sie mir alles - das heißt, daß ich kein Geld mehr besaß.
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Jetzt brauchte ich also doch etwas Geld

Ich war nicht allzu bestürzt. Jedenfalls nicht darüber, daß mein Bankkonto nur noch dem Namen nach existierte, sondern mehr über die mir langsam dämmernde Erkenntnis, daß dieses Geld nicht so schnell ersetzt werden konnte.

Ich hatte in den 1930er Jahren zu denen gehört, die mit viel Arbeit viel Geld verdienen konnten. Jetzt war ich out. Was auch immer ich meinem Agenten vorschlug, was immer dieser meinem Verlag oder den Redaktionen anbot, nichts schien mehr zu interessieren.

Ich begann zu analysieren, was noch übrig blieb

Ich war, das wurde mir klar, ein Anti-Nazi-Spezialist gewesen. Gewiß, ich hatte auch anderes geschrieben,

Unpolitisches, Romane, Novellen, aber meine Marke war die des Hitler-Gegners. Ironie dieser meiner Geschichte: Hitler war tot, was ich so lange ersehnt hatte. Und ich war mit ihm tot - beruflich.

Das verstand ich nicht, denn das wollte ich nicht verstehen. Aber es war nicht zu übersehen. Ich verhungerte zwar nicht, denn mein Agent, der an mich glaubte - er hatte ja schließlich jahrelang viel Geld an mir verdient -, zahlte mir weiterhin Vorschüsse. Aber wie lange würde er das tun? Und was dann?
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Und jetzt hatte ich Zeit für eine Bilanz meines Lebens

Während der vielen Wochen im Bett versuchte ich, eine Bilanz meines bisherigen Lebens zu ziehen. Seltsam, wie wenig mir dazu im Augenblick einfiel. Und wenn ich versuchen würde, meine Erinnerungen zu schreiben? Erinnerungen ...

Irgend etwas aus meinem Leben fiel mir ein, und ich dachte, dies müsse eigentlich in das Buch der Erinnerungen hinein, und am nächsten Tag wußte ich nicht mehr, was es gewesen war, nur daß es unbedingt in das Buch gehörte, wenn es je geschrieben würde. Und ich zerbrach mir den Kopf, was es nun eigentlich gewesen war, ohne daß es mir zu Bewußtsein kam, wie selbstverständlich mir das ungeborene Buch eigentlich schon geworden war.

Und so ging es nun über Wochen und Monate. Etwas fiel mir ein, das ich schon lange vergessen hatte, und ich hatte schon wieder vergessen, was mir gestern eingefallen war.

Ich sprach mit einigen Freunden darüber, und sie meinten - sei es nun aus Höflichkeit oder Interesse -, dieses Buch müsse ich unbedingt schreiben und ich solle doch, gewissermaßen prophylaktisch, Notizen machen.

Aber die machte ich nicht. Aus Aberglauben? Aus Besorgnis, mir würde das Spontane abhanden kommen? Einige meiner Besucher erinnerten sich dieser oder jener Geschichte, die unbedingt „hinein" müsse. Ich stimmte zu, betroffen, denn ich hatte diese Geschichten längst vergessen - oder sollte ich sagen: verdrängt.
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Man könnte seine eigenen Memoiren schreiben

Mir fiel eine Unterhaltung mit Claire Boothe ein, der schönen und begabten Frau und inzwischen Witwe des Gründers von „Time" und „Life", Henry Luce.

Auch sie hatte einmal im Sinn gehabt, ihre Memoiren zu schreiben und, um Material zu finden, ein ganzes Team von Rechercheuren angesetzt. Gerade so, als wolle sie sich über eine ihr unbekannte Persönlichkeit informieren.

„Aber das ist doch natürlich!" sagte sie. „Sind wir uns selbst nicht die unbekanntesten Personen? Was wissen wir noch von dem, was wir vor zwanzig oder dreißig Jahren waren?"

Das mochte stimmen. Aber das mit dem Exhumierungsteam ging doch wohl nicht für mich. Ich konnte mir nicht gut vorstellen, daß von mir beauftragte und dazu noch bezahlte Leute - bezahlt womit? - sich wie Ankläger vor Gericht einem um ein Alibi verlegenen Angeklagten gegenüber verhalten würden: „Sie behaupten, Sie wissen nicht, wo Sie an dem betreffenden Tag, zur betreffenden Stunde waren? Nun, unseren Nachforschungen zufolge ..."

Der Astrologe Isidor Oblo in New York klärte mich auf

Sollte ich meinen Beruf wechseln - in meinem Alter? War ich wieder so weit wie damals, als ich in den 1930er Jahren nach Amerika gekommen war - oder eigentlich nicht einmal so weit, denn ich hatte ja nicht einmal mehr den „Paris-soir" ?

Ein guter Bekannter aus Hollywood, der Schauspieler Walter Slezak, der sich vorübergehend in New York aufhielt, gab mir die Adresse eines Mannes, den er für einen ausgezeichneten Astrologen hielt und auf den er schwor: Isidor Oblo. Ich telephonierte mit ihm und ging hin. Ich hatte nie etwas von Astrologie gehalten, aber ich war so durcheinander, daß ich bereit war, alles zu versuchen.

Oblo, schlank, eher klein, mit einem spitzen, sehr intelligenten Gesicht, mit wachen Augen hinter seiner Brille, war aufgrund der Daten, die ich ihm hatte zukommen lassen, bereits mit meinem Horoskop fertig.
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Er war also bereits mit meinem Horoskop fertig

Er blickte ernst drein. Ich hätte, so führte er aus, in den nächsten Monaten nichts zu erwarten - aber auch gar nichts.

„Alles wird Ihnen mißlingen! Es ist geradezu Energieverschwendung, noch etwas zu probieren. Glauben Sie mir: erst im nächsten Jahr, genau am 18. Januar 1948, wird sich das Blatt wenden. Sie werden dann in jeder Beziehung Erfolg haben."

Ich glaubte ihm natürlich nicht, arbeitete weiter an Exposes für Verlage und Redaktionen, aber nichts stieß auf Interesse.
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Privates kam hinzu. Ich dachte immerfort an Käthe.

Ich wollte zu ihr zurück. Ich hatte ihr ja versprochen, nach spätestens einem halben Jahr wieder in Europa zu sein, und sei es auch nur für ein paar Monate.

Jetzt schrieb ich ihr kaum noch. Was hätte ich ihr mitteilen sollen? Ihre Briefe zeigten zuerst Erstaunen, später wurden sie gereizt, schließlich mißtrauisch. Die Tatsache, daß ich mein Versprechen nicht hielt, konnte ja schließlich für sie nur einen Grund haben: Ich hatte genug von ihr!

Wie sollte ich ihr, den sie schließlich nie in Geldsorgen gesehen hatte, klarmachen, daß ich kaum das Geld für ein Taxi bis zum Hafen besaß, geschweige denn für die Überfahrt oder für ein wie auch immer geartetes Leben drüben?
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Ich zog die Notbremse

Kurz entschlossen vermietete ich meine Wohnung und nahm das großzügige Angebot Antonie Straßmanns an, zu ihr und ihrer alten, liebenswerten Mutter zu ziehen. Sie bewohnte ein kleines Haus am Hudson, etwa fünfzig Kilometer von New York entfernt. Das Leben dort würde mich so gut wie nichts kosten.

Ich arbeitete wieder an meinem Goebbels-Buch. Ich besuchte zuweilen Fira Ilinska oder meine Eltern. Sonst hatte ich mit niemandem Kontakt, oder doch fast mit niemandem. Ich wartete.
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Damals sah ich auch Eisenhower wieder.

Allen Dulles hatte mich eingeladen, mit ihm zu lunchen. Wir trafen uns in seinem Club, in einem Haus in der Wallstreet gelegen, im selben Haus, in dem sich sein Büro und das seines Bruders befand.

Sein Bruder John Foster Dulles war auch dabei. Als vierter erschien, ein wenig verspätet, Eisenhower, den ich zum erstenmal ohne Uniform sah. Erstaunlicherweise erkannte er mich sogleich wieder und war sehr nett.
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Dieser Lunch wird mir immer in Erinnerung bleiben

Ich lernte dabei, wie amerikanische Geschichte gemacht wurde und vielleicht auch noch gemacht wird. Eisenhower, der gerade als Chef des Generalstabs zurückgetreten war - oder in der nächsten Zeit zurücktreten wollte -, erzählte:

„Vielleicht gehe ich in die Privatindustrie. Aber nur ein paar Monate. Dann werde ich Chef der Columbia University." - Was mich erstaunte. Er brachte doch dafür gar nichts mit.

Eisenhower erriet meine Zweifel: „Ist ja nur für kurze Zeit. Dann werde ich Präsident der Vereinigten Staaten." - Ich war perplex.

John Foster Dulles: „Darüber darf natürlich noch nicht gesprochen werden. Sie dürfen davon kein Wort veröffentlichen, Curt. Aber es ist schon so. Wir wollen ihn aufstellen, wir, die Republikaner." - „Die Demokraten würden mich auch aufstellen!" lachte Eisenhower. - Was durchaus stimmte.
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Eisenhower war eben sehr populär. Als Sieger.

Als Politiker war er ein unbeschriebenes Blatt. Ich dachte damals, es sei eine gute Idee, Eisenhower aufzustellen. Er hatte sich im Krieg als vorzüglicher Verwaltungsmann erwiesen.

Ich hatte damals öfter gesagt: „Eisenhower ist gar kein General, er ist ein Generaldirektor." Aber was seine Qualifikationen für die Präsidentschaft anging, da irrte ich mich. Er wurde ein schlechter Präsident.
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Es kam der Januar 1948. - und die Prophezeiung wurde war

Ich führte ein sehr ruhiges, aber kein vergnügliches Leben. Dafür sorgten schon meine Gallenschmerzen, die ich bereits früher, aber nur in größeren Abständen gehabt hatte, und nie so schrecklich wie jetzt.

Doch durfte ich mir nichts anmerken lassen. Antonie und ihre Mutter hätten auf einen Arzt bestanden, und den konnte und wollte ich mir nicht leisten. Die Gallenschmerzen gingen auch wieder weg, allerdings noch lange nicht für immer.

Es kam der Januar 1948. Und es kam fast auf den Tag genau alles, was mir Oblo prophezeit hatte. Aus Paris traf ein langes Kabel ein, gezeichnet: Pierre Lazareff.
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Ich solle Berlin-Korrespondent seines Blattes werden

Er war, wie schon berichtet, nachdem die Deutschen aus Frankreich vertrieben worden waren, nach Paris zurückgekehrt. Sein „France-soir" war sehr bald die größte Zeitung Frankreichs. Und seine Frau, Helene Gordon, gründete die Frauenzeitschrift „Elle".

Pierre also fragte an, ob ich sofort - Überfahrt und andere Spesen natürlich bezahlt - Berlin-Korrespondent seines Blattes werden wollte. Und ob ich wollte!

Gleichzeitig rief mich Arnold Gingrich an, eher erstaunt, mich in oder in der Umgebung von New York zu finden, ob ich nicht aus Europa Artikel für seinen „Esquire" schreiben wolle. Garantie: Sechs Artikel pro Jahr, vielleicht auch mehr.

Ein paar Tage später, ich hatte schon die Schiffskarte, ein Brief von Käthe Dorsch, übrigens am 18. Januar geschrieben, aber infolge meiner Adreßänderung verspätet angekommen. Er war sehr lieb und sehr versöhnlich.

Sie habe erst jetzt erfahren, daß es mir nicht so gut ginge, ich solle mir keine Sorgen machen, es würde sicher bald wieder so werden, daß ich zu ihr kommen könne.

Wie herrlich die Welt wieder war!
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