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Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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(11) Die Flucht

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April 1933 - Es war nach ein Uhr morgens, als "er" anrief.

Ich wußte sofort, wer am Telefon war, ich erkannte die Stimme, seltsamerweise, denn ich hatte den Mann nie gesehen. Es handelte sich um einen Polizeibeamten, nicht einen der ganz hohen, aber er hatte immerhin einiges zu sagen, und, was für mich wichtiger war, er wußte einiges.

Ein alter Sozialdemokrat und durchaus nicht in Sympathie mit dem neuen Regime der Nationalsozialisten. Es war nach ein Uhr morgens, als er anrief.
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März, April 1933 - viele misteriöse Verhaftungen

Es wurden in jenen Tagen - März, April 1933 - viele Verhaftungen vorgenommen; manche der Festgenommenen kamen schon nach wenigen Tagen wieder frei, manche nach Wochen oder Monaten, manche überhaupt nicht mehr. Sie waren ohne Verurteilung in Haft genommen worden, es konnte also niemand wissen, was mit ihnen geschehen würde.

So ähnlich war es auch mit mir. Ich hatte keine Ahnung, warum ich festgenommen werden sollte. Es interessierte mich auch nicht. Mich interessierte nur, nicht verhaftet zu werden.

Es waren nur ein paar Worte - und die Warnungsformel

Um meine bevorstehende Verhaftung handelte es sich nämlich offenbar. Ich weiß nicht mehr genau, was der Mann am Telefon sagte, es waren nur ein paar Worte, aber es handelte sich um eine der vielen Warnungsformeln, die wir vorher vereinbart hatten. Ich sollte mich, falls das noch möglich sei, schleunigst aus dem Staub machen.

Ich war gerade vom Umbruch gekommen, als das Telefon klingelte. Die letzten Worte des Mannes vom Alexanderplatz waren: „Ich hoffe, daß das Wetter günstig ist!"

Ich bejahte, obwohl ich dessen nicht hundertprozentig sicher sein konnte. Ich sagte meiner Sekretärin, so daß die wenigen anderen, die noch in der Redaktion waren, es hören konnten, ich würde noch eine halbe Stunde zu Schwannecke fahren.

Ich nahm die seit langem vorbereitete Aktentasche, in der sich nur das Nötigste befand - Rasierapparat, Seife, Waschlappen, Zahnbürste, Pyjama etc. -, und ließ mir ein Taxi rufen. Ich fuhr aber nicht zu Schwannecke und nicht nach Hause, sondern zum Anhalter Bahnhof.
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Längst kannte ich die Züge, die in solchem Fall in Frage kamen.

In diesem Fall war es der Drei-Uhr-Zwanzig-Zug, den ich bestieg, ein sogenannter Milchzug, der nach Dresden fuhr. Das war einer der Bummelzüge, der an jeder, auch an der kleinsten Station hielt, um unter anderem Milch aus- und einzuladen, und in dem nur wenige Menschen, vor allem Bauern oder kleine Angestellte eben aus diesen kleinen Orten, saßen. Solche Züge wurden - wenigstens vorläufig - nicht kontrolliert.

Gegen acht oder neun Uhr morgens war ich in Dresden, fuhr mit einem anderen Zug zu einer kleinen Station so ungefähr anderthalb bis zwei Stunden (vermutlich Neustadt in Sachsen), nahm dann ein Taxi zu einem Kurhotel, ziemlich hoch oben auf einem Berg oder gar einer Art Gebirge. Das entscheidende: es befand sich unweit der Grenze zur Tschechoslowakei.
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Das Gelände inkognito auskundschaften

Ich mietete ein Zimmer. Mein Gepäck, sagte ich, würde nachkommen. Noch am selben Tag unternahm ich einen Spaziergang zur Grenze, um mich bei den Grenzern als Hotelgast gewissermaßen zu etablieren. Am Abend noch einen. Am nächsten Morgen einen dritten, wobei ich, gleichsam unabsichtlich, die Grenze überschritt. „Nur um mich umzusehen . . .", sagte ich so nebenbei.
Und ein Grenzer: „Kommen Sie nur bald wieder zurück, das Mittagessen im Hotel ..." oder so etwas Ähnliches, Gleichgültiges. Und ich kam wieder zurück.

Am Nachmittag spielte sich das gleiche noch einmal ab. Diesmal ging ich einfach weiter und weiter und weiter.
„He!" rief einer der Grenzer - aber ich war schon um die Wegbiegung verschwunden.

  • Anmerkung : Es ist bislang nicht schlüssig erklärt, warum oder daß bereits im April 1933 die deutschen Aussen-Grenzen insbesondere zur Tschechoslowakei wegen eventueller "Reichsflüchtlinge" (im Vgleich zu den ostzonalen "Republikflüchtlingen" bewacht wurden.

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Die Ankunft in Prag

Bald hatte ich ein Dorf erreicht, und am Abend war ich in Prag, wo ich innerhalb einer Stunde in einem Cafe am Wenzelplatz eine ganze Anzahl anderer Emigranten traf.

Obwohl ich nicht zu den Gesuchtesten gehörte, mußte ich doch mit einer möglichen Fahndung rechnen. Ich hatte recht.
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Nach mir wurde in Berlin bereits "gefahndet"

Gleich am Morgen nach meinem sogenannten Verschwinden war die Polizei in unsere Wohnung gekommen - Gestapo gab es damals noch keine. Ilse, die ich nicht eingeweiht hatte - es war für sie besser, vorläufig von nichts zu wissen -, beteuerte in aller Unschuld, sie habe keine Ahnung, warum ich nicht nach Hause gekommen sei, aber das würde sich sicher bald herausstellen.

Die enttäuschten Beamten durchsuchten die Wohnung ziemlich flüchtig und beschlagnahmten schließlich „SOS - Eisberg", ein Buch von Leni Riefenstahl. Weil es einen knallroten Umschlag hatte.
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Die Lage war für uns Emigranten denkbar ungünstig

Prag. Ich fühlte mich noch nicht als Emigrant, als Flüchtling, geschweige denn als Ausgestoßener, eher als einer, der sich erst einmal die Lage in aller Ruhe ansehen will. Sie war, was mich betraf, denkbar ungünstig.

Alle, die Deutschland hatten verlassen müssen und an die deutsche Sprache gebunden waren, also Schriftsteller, Journalisten, Schauspieler, waren nach Prag gegangen - oder nach Wien. In die Schweiz reisten nur wenige; wir - schon war ich einer der „wir", ohne es recht zu begreifen - wußten sehr wohl, daß es fast unmöglich sein würde, in der Schweiz eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten.

In Prag und Wien war zumindest das kein unlösbares Problem.
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"Wir" mußten wieder eine Arbeit finden

Entscheidender, Arbeit zu finden. Das war in den Jahren vor Hitler schon schwierig für Tschechen und Österreicher. Und für Ausländer? Nahezu unmöglich.

Man traf einander in Cafes; man, das waren die Bekannten, auch Freunde aus Berlin. Man war nicht eigentlich deprimiert, eher mißmutig. Man wollte sich nicht einmal selbst zugeben, wie aussichtslos die Lage war. Es gab nur wenige Emigranten, die sich für Emigranten hielten.

Wie lange würde es denn dauern? Ein paar Wochen? Ein paar Monate? Man würde bald wieder zurückkehren.
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Der latente Antisemitismus in den "goldenen Wiener Herzen"

Prag war ja nun wirklich zu eng, um mehr als einigen von uns Existenzmöglichkeiten zu geben. Wien war nicht einmal dazu bereit. Ich spürte deutlich bei den - übrigens nur wenigen - Versuchen, irgendwo, irgendwie unterzukommen, den latenten Antisemitismus, der in den meisten der goldenen Wiener Herzen dominierte.

Viele, mit denen ich in Kontakt kam, hatten wohl mehr Sympathien für Hitler - der ja schließlich auch Österreicher war - als für diejenigen, die vor ihm und um ihr Leben geflüchtet waren.

Der Brief Ilses, der mich noch in Prag erreichte, war nur kurz. Sicher mit Absicht. Geradezu unpersönlich. Es war aus dem Schreiben nicht zu ersehen, daß ich mich außerhalb Deutschlands befand. Ja es war daraus zu ersehen, daß wir in wenigen Tagen dort und dort eingeladen seien - sie wollte wohl den Anschein erwecken, als ob sie mich bald zurückerwarte.

Und doch die Frage: „Wann sieht man sich wieder?"
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Ach, Ilse .....

Meine Frau, die mir doch geholfen hatte, G. Benedict zu entweichen, war nicht gerade begeistert darüber, daß ich Journalist geworden war. Ullstein, das wäre gerade noch gegangen, aber das „12-Uhr-Blatt" mit seinen miserablen Gehältern.

Sie hatte etwa Lust, übers Wochenende an die Ostsee zu fahren. Zwei Stunden mit dem Auto, das war keine große Sache. Warum nicht? Ich teilte ihr mit, ich müsse am Samstag einen Boxkampf wahrnehmen und am Sonntag ein Radrennen. Sie wollte wissen, was das denn einbringen würde; und als ich ihr die lächerliche Summe nannte, schlug sie mir vor, mir das Doppelte zu zahlen, wenn ich mit ihr käme. - Das war nicht ermutigend.
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So begann es - unser schleichendes Auseinanderleben.

Zuerst dachte ich, das sei nur ein Witz, allmählich aber und nach vielen Wiederholungen begann mir zu dämmern, daß sie meinen Beruf nicht ernst nahm. Sie war viel zu reich, als daß sie dem Verdienst, den ich hatte, überhaupt Beachtung schenken konnte.

Und viel zu unerfahren, um zu begreifen, daß man an einen Beruf nur glauben und in seinem Rahmen Erfolg haben konnte, wenn man sich nicht damit zufriedengab, sich von seiner reichen Frau ernähren zu lassen. Und mir schwante, daß mein Vater mit seiner Besorgnis vor einer "zu guten" Partie vielleicht so unrecht nicht gehabt hatte.
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Es kam zu den ersten Streitigkeiten - kleine Bagatellen.

Es handelte sich wohl nie um wirklich Entscheidendes, denn ich könnte heute nicht mehr sagen, worum es ging; ich glaube, ich hätte es schon am Tag nach einem Streit nicht mehr zu sagen gewußt. Ich vermutete damals, daß ihre Mutter da nicht ohne Verantwortung war.

Sie mochte mich wohl nie besonders leiden, ich paßte einfach nicht in ihr Weltbild und war sicher nicht der Mann, den sie sich für ihre Tochter gewünscht hätte. Ich mochte sie anfangs recht gern. Sie war eine schöne Frau, aber ich wußte nicht, worüber ich mit ihr hätte reden sollen.

Ilse fühlte sich von mir „vernachlässigt" - dieses Wort fiel immer öfter; und da hatte sie nicht ganz unrecht. Ich war zwar mit ihr verheiratet, aber eigentlich war ich in erster Linie mit meinem Beruf verheiratet. Sind das nicht fast alle Männer?
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Und dann war da mein Buch.

Eigentlich war Bert Brecht daran schuld. Oft erschien er, schon gegen Morgen, oder man kann auch sagen, erst gegen Morgen, auf der Pressetribüne im Sportpalast, auf der er eigentlich nichts verloren hatte.

Hier im Sportpalast begann unsere Freundschaft, die lange dauerte, obwohl wir bald darauf meist in verschiedenen Ländern oder sogar Erdteilen leben sollten; diese Freundschaft dauerte sogar länger als die darauffolgende Gegnerschaft.

Brecht war sehr am Sport interessiert. Nicht daß er Sport trieb; ich habe selten einen unsportlicheren Menschen kennengelernt, mich eingeschlossen. Aber er ging gern zu Boxkämpfen und Sechstagerennen und sprach manchmal mit mir über den „Unsinn, den Sie da wieder mal geschrieben haben".
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Und dann die Kriminalromane

Wir hatten noch eine andere gemeinsame Leidenschaft. Das waren Kriminalromane. Die verschlang er, allerdings hatte ich ihm voraus, daß ich die englischen und amerikanischen Originale lesen konnte, er nur die deutschen Übersetzungen.

Immerhin gab es auch dort Worte wie Jack und Johnny und Soho und Good bye, und die kamen dann in der „Dreigroschenoper" oder in „Happy End" oder in „Mahagonny" vor.

Er hatte die skurrilsten Einfälle. „Was würde geschehen, wenn plötzlich ein Fahrer umkehrte und in der entgegengesetzten Richtung fahren würde?" Oder: „Was würde geschehen, wenn sämtliche Fahrer absteigen und für eine höhere Gage streiken würden?"
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Meine listigen Angebote schlug er aus

Ich riet ihm, die Fahrer dazu zu überreden. „Da hätte ich wenigstens etwas, worüber ich schreiben könnte."

Er wußte noch etwas Besseres: „Was würde geschehen, wenn ich mit dieser hübschen Frau", er deutete auf eine bekannte Schauspielerin, die in der Loge uns vis-ä-vis saß und Champagner trank, „wenn ich mit der mitten auf der Bahn ..."
„Da würde ich Ihnen tausend Mark zahlen."
„Nur tausend?"
„Für jedes Mal tausend!"
Er tat es dann aber doch nicht.
Stattdessen fragte er mich: „Warum schreiben Sie kein Theaterstück?"
„Worüber?"
„Natürlich über einen Sechstagefahrer oder, sagen wir, über einen Boxer."
„Meinen Sie denn, daß ich das könnte?"
„Probieren Sie's. Oder nein, warten Sie, hat keinen Sinn. So etwas kann keiner spielen."
„Warum nicht?"

Ich schrieb ein Buch - „Der Kampf meines Lebens"

„Ein Schauspieler kann einen König spielen oder einen Minister oder einen Mörder oder einen Feldherrn, was ja auf dasselbe hinausläuft. Aber einen Sechstagefahrer oder einen Boxer zu spielen, dazu müßte er erst einmal ein paar Jahre trainieren. Dazu müßte er die Muskeln und den Gang und dieses, ja, was immer es ist, im Gesicht haben. Dann schreiben Sie eben kein Stück, sondern einen Roman. Aber etwas sollten Sie doch schreiben."

Ich schrieb auch keinen Roman; aber ich begann - und sicher hatte das mit dem erwähnten Gespräch zu tun - ein Buch zu schreiben, mein erstes. Es wurde ein Buch von neun Sportnovellen und hieß „Der Kampf meines Lebens". Es bekam sogar gute Kritiken, obwohl fast alle meine Kritiker meine Kollegen waren. Und es hatte auch einen gewissen kleinen Erfolg.
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Der Schauspielertreff im berühmten Schwannecke-Lokal

Da war auch immer und immer wieder das Theater. Ich ging nicht nur hin, wenn ich darüber schreiben mußte, ich ging fast immer, wenn mich etwas interessierte. Und mich interessierte viel. Ich war mit einigen Schauspielern bekannt, nicht zuletzt, weil wir ja alle in dem berühmten Schwannecke-Lokal verkehrten. Emil Jannings erzählte mir dort, er wolle eine meiner Sportnovellen verfilmen. Es sollte nicht sein.

Hitler kam dazwischen.

Ich sah auch Werner Krauss wieder öfter. Das war fast stets interessant, manchmal lustig, manchmal weniger. Er trank viel zuviel. Dann schimpfte er auch über die Juden. Ich fragte ihn: „Bist du schon in die Partei eingetreten?"

Das war er nicht, und das würde er auch nie tun, obwohl er später, viele Jahre später, im Film „Jud Süß" eine unrühmliche Rolle oder vielmehr deren fünf spielen sollte. Sein Antisemitismus hatte nichts Prinzipielles. Er hatte mit Max Reinhardt zu tun, den er liebte und haßte. Er war der Meinung, daß Reinhardt ihn nicht mochte, weil er ein „blonder Gay" war (also ein Homosexueller).

Das stimmte natürlich keineswegs. Aber es stimmte schon, daß Reinhardt Krauss lange unterschätzte, daß Krauss bei ihm viele Rollen nicht bekam, die, wie er glaubte und wohl zu Recht glaubte, ihm zustanden. Aber schon Anfang der zwanziger Jahre wurde das anders. Und später war Krauss Reinhardts erster Schauspieler. Trotzdem: die Enttäuschung der ersten Jahre konnte er nie ganz vergessen.
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Ein Rückblich nach Berlin : Werner Krauss

Eines Abends sah ich Krauss in einem ungarischen Lokal unweit der Gedächtniskirche. Er winkte mich an seinen Tisch. Er sah gut aus, wie mir schien, zu gut. Er hatte ein kleines Bäuchlein und verzehrte mit großem Genuß ein sehr fettes Gulasch. Ich war entsetzt.

„Übermorgen ist die Uraufführung vom ,Hauptmann von Köpenick' ", sagte ich vorwurfsvoll. - „Wem sagst du das?"

Im „Hauptmann von Köpenick" spielte Krauss die Titelrolle, den fast verhungerten, eben entlassenen Sträfling. Ich antwortete: „Die Leute werden lachen."
„Woll'n mal sehen." Er aß ruhig weiter, ich hatte ihm den Appetit nicht verdorben.

Am Premierenabend saß ich im Parkett. Wenige Minuten nach Beginn des Stückes mußte Krauss auftreten, sehr schäbig angezogen und sehr schlecht aussehend, geradezu ausgemergelt. Er kam zaghaft herein und bettelte demütig um Arbeit, weil er nichts zu beißen hatte - übrigens in einem Herrenkleidergeschäft, nicht unähnlich der Firma G. Benedict, und wurde unsanft abgewiesen, ja hinausgeworfen.

Er machte ein paar Schritte nach vorn, und ich fühlte, wie meine Hände feucht wurden, denn ich fürchtete, daß er es nicht schaffen, sondern auf der Bühne zusammenbrechen würde. Und wußte doch, daß er eigentlich zu dick war und infolge von gutem Essen und Trinken durchaus nicht kraftlos.

Dies war große Schauspielkunst und die besondere und, wie mir schien und noch heute scheint, die einmalige Kunst von Werner Krauss. Er konnte dick sein oder dünn, groß oder klein, ganz wie er wollte, ganz wie die Rolle es verlangte. Wie machte er das?

Ich habe ihn oft danach gefragt. Er hat dann immer die Achseln gezuckt. Vielleicht wußte nicht einmal er selbst es ganz genau. Es war eine Art Selbsthypnose. Und sicher wurden die Zuschauer von ihm hypnotisiert.
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Da saß ich nun in irgendeinem Cafe in Prag .....

....., an meinem Tisch saßen andere Emigranten, die erst vor Tagen oder Wochen gekommen waren. Sie sprachen über Politik oder eigentlich über Hitler. Wie lange würde er es machen? Noch zwei Wochen? Noch vier? Pessimisten meinten, es könne ein Jahr dauern. Und ich dachte eigentlich vor allem an die Vergangenheit.

An die Abende in der Zeitung, die Premieren, die Nächte bei Schwannecke, die Stunden mit Ilse, die Sechstagerennen. Hatte ich denn nie begriffen, was da vor der Tür stand? Offenbar nicht.
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Alle hatten später die gleiche Ausrede, ich beinahe auch

Für mich gab es nicht einmal die Ausrede, die später alle für sich in Anspruch genommen haben. Ich hatte nämlich „Mein Kampf" gelesen, den ersten Band, schon bald nachdem er herausgekommen war.

Er hatte einen gewissen Eindruck auf mich nicht verfehlt. Freilich, daß der Autor jemals an die Macht kommen würde, schien mir undenkbar.
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Wir alle lebten so, als könne das nie geschehen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. -  Dabei gab es die vielen Zeichen an der Wand.
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Die vielen Zeichen an der Wand .....

Die ständig wachsende Arbeitslosigkeit und Unzufriedenheit. Die alarmierenden, aufputschenden Reden Hitlers und seiner Getreuen. Die Saalschlachten zwischen den Nazis und den Kommunisten. Die ersten Straßenschlachten.

Nein, es waren keine Schlachten. Da gingen ein Dutzend oder auch zwei oder drei Dutzend Nazis auf einen oder zwei Juden los. Das war ihr Stil. Damals hätte man schon spüren müssen, wie feige dieses Pack war.
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Und die Partei, die Partei der Feigen, wuchs.

Es war nicht so, daß man diesen Dingen und dem Wissen um sie nicht aus dem Wege gehen konnte. Und genau das hatte ich getan. Politik interessierte mich damals eben nicht, was schon aus dem Grunde falsch war, weil sich ja die Politik - die Nationalsozialistische Partei zum Beispiel - für mich zum Beispiel - interessierte.

Der Abend des schicksalhaften 30. Januar 1933

Und eigentlich machte ich mir auch keine großen Gedanken, als Hitler nun an die Macht kam. Ich hatte den Umbruch der Zeitung an dem Abend des schicksalhaften 30. Januar 1933 und mußte den Artikel über den Fackelzug, den die SA oder SS oder beide ihm gebracht hatten, korrigieren, in Satz geben und dann umbrechen.

Ich las diesen Bericht ohne das geringste Gefühl, ohne Besorgnis, das könne mich angehen, geschweige denn Angst, ganz professionell. Ich veränderte ein paar schwache Stellen und machte sie, wie ich glaube, stärker. Ich war mir der schrecklichen Bedeutung der Stunde überhaupt nicht bewußt. Und dann fuhr ich noch gegen zwei Uhr zu Schwannecke.
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Im Cafe Schwannecke brodelte es

Dort war man allerdings alles andere als ruhig. Unter den Berliner Journalisten gab es damals viele Juden. Und viele standen ziemlich weit links; einige, aber wirklich nur einige wenige, waren sogar Kommunisten.

Sie sprachen, wie mir schien, alle auf einmal, doch, im Unterschied zu sonst, sehr, sehr gedämpft. Die Frage, die immer wieder auftauchte: „Was wird werden?"

Manche fuhren schon am nächsten oder übernächsten Tag ins Ausland, manche erst in den nächsten Wochen. Zu letzteren gehörte auch der Besitzer unserer Zeitung, Professor Walther Steinthal.

Rolf Nürnberg (er war kein Jude aber Kommunist) legte lediglich seine Stellung nieder, er sagte, er habe einen diesbezüglichen Tip bekommen. Er blieb aber in Berlin, wo ihm in den nächsten Jahren seltsamerweise nichts geschah. Der Chefredakteur quittierte seine Stellung und verschwand - ich traf ihn später in Amerika wieder.
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Der neue Chefredakteur Walter Kiehl, ein komischer Nazi

Wir bekamen einen neuen Chefredakteur, einen Nazi, der sich seines Verständnisses für Juden rühmte. Schließlich hatte er auch eine jüdische Frau.

Von seinem Kind sprach er immer nur als „der arme Bastard"! Oder waren es zwei Bastarde? Jedenfalls schob dieses Schwein sie bald ab mitsamt der Mutter, die ja an allem schuld war. Er hieß Walter Kiehl und war fast immer besoffen. So mußte ich die Zeitung machen. Mußte ich? Nun, eine Zeitung, die ein paar Tage nicht erscheint oder gar eine Woche, ist tot.
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Ich wollte wissen, wie lange das gut geht .....

Und obwohl es nicht leicht war, sie unter den gegebenen Umständen zu redigieren, machte mir die Sache seltsamerweise Spaß. Es war eine Art Sport, zu sehen, wie lange das gutgehen würde. Auch fühlte ich mich nicht bedroht; noch nicht.

Rolf, den ich fast jeden Abend im „Romanischen" traf, mahnte: „Sei vorsichtig!" Ich oder vielmehr wir bauten eine Sicherung ein. Den Mann im Polizeipräsidium.
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Im übrigen war ich erstaunlich unvorsichtig.

Ich ging zum Beispiel, glaube ich, als einziger jüdischer Kritiker zur Premiere von „Schlageter", einem sehr schlechten Stück des begeisterten Nazis Hanns Johst. Als einziges ist mir davon in Erinnerung geblieben der Satz: „Wenn ich das Wort Kultur höre, entsichere ich meinen Revolver!" So war das ganze Stück. Ich verriß es.

Die weibliche Hauptrolle spielte eine sowohl in Berlin als auch mir völlig unbekannte Schauspielerin namens Emmy Sonnemann; ich schrieb, sie sei eine elende Schauspielerin. Rolf ließ sich die Kritik, als ich sie gerade zu Ende diktiert hatte, am Telefon vorlesen. Dann sagte er zu mir: „Das mit der Sonnemann geht nicht. Weißt du denn nicht, daß sie die Freundin von Göring ist?"

Ich hatte es nicht gewußt, und es interessierte mich auch nicht sonderlich. Ich änderte die Kritik etwas, aber die Sonnemann kam noch schlecht genug dabei weg. Wegen so etwas kamen Menschen später ins KZ. Damals noch nicht.
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Ich nahm mir ein zweites Mal „Mein Kampf" vor.

Ich las das ganze Buch, diesmal die beiden Bände, in zwei Nächten. Und nun wußte ich Bescheid. Ich war natürlich nicht der einzige „Kluge" - aber wir, die manches, keineswegs alles vorhersahen, bildeten doch eine sehr kleine Minderheit.

Zu ihr gehörte mein Onkel Max Straus, Generaldirektor der Plattenfirma Lindström - jetzt in 1977 Electrola - und Mitbegründer der UFA im Jahre 1917. Unter jenen, die er protegiert hatte, war auch ein gescheiter Bankier, einige Zeit Mitglied der liberalen Deutsch-Demokratischen Partei, Hjalmar Schacht.

Mein Onkel hatte auch mitgeholfen, ihn zum Präsidenten der Reichsbank zu machen, aber von diesem Posten trat er zurück, weil er sehr national geworden war, um nicht zu sagen nationalsozialistisch. Es war kein Geheimnis, daß er sich für Hitler einsetzte, als der noch nicht Reichskanzler war, und sich gelegentlich mit ihm photographieren ließ.
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Mein Onkel Max Straus und sein "Freund" Hjalmar Schacht

Diesen Schacht traf nun Onkel Max, als er mit mir die Potsdamer Straße entlangging. Es war ganz zufällig. Mein Onkel hielt Schacht an und fragte: „Nun, Herr Schacht, was sagen Sie jetzt?"

Der hagere Mann mit dem hohen Stehkragen verzog keine Miene: „Ja, für die Juden wird es wohl nicht ganz einfach werden?"
„Und was würden Sie mir raten?" fragte mein Onkel, der schon wußte, was er tun würde, und sich innerhalb der nächsten Wochen nach London absetzte.

„Wenn ich Sie wäre, würde ich mir einfach vorstellen, im Krieg gefallen zu sein." Sprach's und ging weiter.

Ich vergaß diese Worte nie. Und ich sollte noch einmal Gelegenheit haben, sie zu wiederholen - Schacht gegenüber.
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Familien-Krisenseitung in der Villa in Dahlem

Nur ein paar Tage später berief meine Familie eine Art Sitzung ein, an der übrigens Onkel Max nicht mehr teilnahm. Sie fand in der Dahlemer Villa des Mannes einer meiner Kusinen statt. Wir waren unser zwanzig, nur Männer. Alle meine Verwandten waren Kaufleute, ich bildete die Ausnahme. Sie waren alle sehr ernst und nicht ohne Besorgnis, aber sie waren nicht besorgt genug.

Niemand glaubte so recht, daß über das hinaus, was bereits geschehen war - es handelte sich im wesentlichen um die Verhaftungen von Kommunisten und Sozialisten - noch viel passieren würde. Und ihnen selbst würde überhaupt nichts geschehen.

Das mit dem Antisemitismus, das war doch Wahlpropaganda! Das würde jetzt abgestellt werden, dafür würde auch Hindenburg sorgen.
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Die Männer waren stolz, Deutsche zu sein ...... aber naiv.

Manche der Anwesenden hatten im Weltkrieg für Deutschland gekämpft, hatten Auszeichnungen erhalten. Das mußten die Nazis respektieren! Und überhaupt - wie lange würde der Spuk dauern?
Ich meldete mich zu Wort. Ich sei ganz anderer Ansicht.
„Ich habe ,Mein Kampf gelesen!" Es stellte sich heraus, daß ich der einzige der hier Versammelten war, der das getan hatte. „Glaubt mir, dieser Bursche meint es ernst. Mit seinem Antisemitismus und mit allem anderen."
Gequältes Lächeln. Was ich denn vorschlüge?
„Verkauft eure Geschäfte. Nehmt euer Geld und geht ins Ausland."
„Aber wir sind doch Deutsche!" protestierten sie. Und ihre Geschäfte verkaufen! Die gingen doch sehr gut. Und wenn sie auswanderten, müßten sie Reichsfluchtsteuern bezahlen. Man bedenke: Fünfundzwanzig Prozent!
„Das ist noch billig", bemerkte ich sehr richtig.

Ein Sturm brach los. „Journalisten übertreiben immer!"

Das war des Pudels Kern. Sie mochten mich zwar, einige hielten mich sogar für ganz intelligent, aber ich war schließlich doch nur ein Journalist, nicht wie sie, nicht mit praktischen Lebens-, sprich Geschäftserfahrungen. Ich konnte einfach nicht ganz ernst genommen werden.

Manche von ihnen sah ich an diesem Abend zum letzten Mal. Einige retteten dann doch noch sich selbst und die Ihren, freilich unter Zurücklassung von viel mehr als fünfundzwanzig Prozent ihrer Habe.

Einige standen eines Tages mit zehn Mark an irgendeiner Grenze, mehr hatten sie nicht mitnehmen dürfen. Zwei erschossen sich, einer davon, nachdem er Frau und Kind getötet hatte. Viele wurden in dem einen oder anderen KZ umgebracht.

Zweiundvierzig Mitglieder meiner Familie wurden ermordet, darunter einige, die man während des Krieges in Holland, Belgien und Frankreich, oder wohin sie sonst geflüchtet waren, aufgriff.
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Es gab schon jetzt Leute .......

Es gab schon jetzt Leute, die mich gut kannten und nun nicht mehr kennen wollten, die auf der Straße ostentativ in eine andere Richtung blickten oder durch mich hindurchsahen.

Einer von ihnen war der Kritiker Herbert Ihering, mit dem ich gut stand, oder es wenigstens glaubte. Er hatte sich immer sehr links gegeben, und das sollte er wieder tun, als der Krieg zu Ende war.

Inzwischen hatte er versucht, sich mit den Nazis anzubiedern, was freilich mißlang - nicht sein Verdienst, sondern das ihre.
Nach dem Krieg kannten mich überhaupt viele wieder. Und viele wunderten sich darüber, daß ich ihnen keine Care-Pakete geschickt hatte.

„Wo du doch weißt, wie schlecht es uns geht!" Überflüssig zu sagen, daß keiner von ihnen je daran gedacht hatte, mir ein Paket oder auch nur eine Postkarte zu senden, als ich ins Ausland fliehen mußte.

Ein paar Tage nach dem Familien treffen kam Ewald zu mir.

Wir hatten uns in der letzten Zeit wenig gesehen. Er war inzwischen als Assistenzarzt in Dresden an einer Staatlichen Psychiatrischen Klinik und hatte geheiratet.

Schon nach ein paar Wochen Hitler-Regime hatte ihn der Chefarzt kommen lassen. „Wir waren ja sehr zufrieden mit Ihnen, Herr Kollege, aber (... Juden ...) ..." Kurz, fristlose Kündigung, Rausschmiß.

Ewald beschloß, mit seiner Frau nach Palästina zu gehen. Ich brachte ihn zum Bahnhof. Wir waren ernst. Die Frau und auch seine Mutter weinten. „Nun", meinte ich, „wir werden uns bald wiedersehen."

„Du glaubst doch nicht, daß dies hier so schnell zu Ende geht?"

„Nein, aber ich glaube, daß meine Tage hier gezählt sind."
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Es sollte 30 lange Jahre dauern ......

Damit hatte ich recht. Nicht recht hatte ich, was das Wiedersehen mit ihm anging. Das sollte erst dreißig Jahre später stattfinden.
Einige Tage später fuhr ich - allerdings nur für zwei Tage - nach Seefeld in Tirol.

Dorthin hatte mich der Besitzer des „12-Uhr-Blattes", Steinthal, gebeten, der immer noch glaubte, daß er etwas besäße, und der mit mir die „Lage" besprechen wollte. Als ich dem Schlafwagen entstieg und sein Hotel betrat, sagte man mir, er würde in wenigen Minuten herunterkommen, ich solle im Frühstückszimmer auf ihn warten.

Das tat ich und schlug das aus Berlin mitgebrachte „Berliner Tageblatt" auf.
„Sie kommen aus Berlin?" fragte mich eine mir bekannte Stimme. Und: „Sie haben das ,Berliner Tageblatt4 mitgebracht?"
„Ja, die letzte Ausgabe. Ich kaufte sie mir auf dem Bahnhof, bin aber noch nicht dazu gekommen, sie zu lesen."

Es war Dr. Theodor Wolff, mit dem ich sprach. Ich stand auf und reichte ihm das Blatt. Er warf nur einen Blick auf die Zeitung und verfärbte sich. „Ach, nun haben sie auch meinen Namen fortgelassen."

Es war in der Tat die erste Ausgabe des „Berliner Tageblatts", auf deren Titelseite der Name des „lebenslänglichen" Chefredakteurs fehlte. Ich schwieg.
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Im Kino in Prag : Hitler und immer wieder Hitler!

Der bedeutendste Zeitungsmann Deutschlands wurde nun totgeschwiegen. Ich hatte das Gefühl, einen in gewisser Beziehung historischen Moment zu erleben.

Und nun, ein paar Wochen später nur, war ich, wie Theodor Wolff, selbst emigriert. Ich wandelte durch die Straßen von Prag.

Ich setzte mich in ein Kino und sah mir die Wochenschau an. Hitler und immer wieder Hitler! Ich versuchte zu ergründen - das hatte ich schon vorher getan und würde es immer wieder versuchen -, worin die Faszination dieses Mannes bestand.

Er sah keineswegs gut oder gar bedeutend aus. Er hatte eine unerträglich rauhe Stimme, und sein Deutsch war das eines kleinen, ungebildeten Österreichers.
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Sollte ich bleiben? Sollte ich weiterfahren?

Nach vier oder fünf Tagen brachte mir ein Bekannter, ein nichtjüdischer Kaufmann, der immer mal in Prag zu tun hatte, meinen Paß und andere Papiere, Wäsche und Anzüge, die Ilse schnell gepackt hatte. Das Allernotwendigste und vielleicht ein bißchen mehr. Ich wollte die Koffer erst gar nicht auspacken.

Sollte ich bleiben? Sollte ich weiterfahren? Und wohin?
Später habe ich oft darüber nachgedacht, welche Gefühle mich damals bewegten. Heimweh, wie es jetzt schon viele Emigranten fühlten - nein, Heimweh hatte ich nicht.

Angst? Noch nicht. Eher fühlte ich eine gewisse Unsicherheit. Und Neugier. Mein Leben, unser aller Leben, war nun so voller Geheimnisse.

Ich war frei - und allein. Die Zukunft war wie eine unendliche, mir unbekannte Landschaft.
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