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Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.

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(21) Persönliches, Allzupersönliches

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Ein Wort über meine persönliche politische Einstellung

Hier muß ich wohl ein Wort über meine persönliche politische Einstellung verlieren. Ich war, versteht sich, ein Gegner des nationalsozialistischen Regimes, und das nicht nur, weil ich Jude bin, sondern auch, weil ich jede Art von Diktatur verabscheue.

Und warum tat ich nicht den Schritt zum Kommunismus hin? Ein solcher Schritt hätte nahegelegen. Die Kommunisten waren, wie schon an anderer Stelle bemerkt, eigentlich die einzigen Emigranten, die wirklich aktiv gegen Hitler arbeiteten. Otto Katz hatte mir mehrmals den Vorschlag gemacht, in die Partei einzutreten.

Aber gerade er und seine Freunde machten es mir schwer.
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Keiner von diesen Wohlstands-"Kommunisten" wollte ernsthaft ins Arbeiterparadies nach Moskau ....

Denn sie waren auf ihre Weise genau so unduldsam wie die Nationalsozialisten. Und obwohl sie ständig über die Sowjetunion sprachen und die großen Vorzüge des Lebens dort priesen, wollte keiner von ihnen hinfahren.

Ich erinnere mich, daß Hanns Eisler einmal einen Ausweisungsbefehl bekam. Das bedeutete, daß er die Vereinigten Staaten verlassen mußte, was er dann übrigens lange Zeit doch nicht tat. Wir beratschlagten, wohin er gehen könnte. Ich fragte ganz naiv: „Warum gehst du nicht nach Moskau?"

Er erbleichte, und seine Frau Lou erbleichte. Sie sagten zwar nicht nein, doch es konnte kein Zweifel daran bestehen, daß sie nicht die geringste Lust verspürten, sich in das so gepriesene Paradies der Arbeiter zu begeben.
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Meine zweite Frau Ingrid war Finnin und klärte mich auf

Aber der Hauptgrund, warum ich eigentlich nie in die Partei eintrat, in der ich aus vielen Gründen nichts verloren hatte, war - Ingrid.

Sie war ja Finnin und hatte viele Verwandte in Finnland, und die kamen gelegentlich nach Amerika, auf Besuch oder für immer. Und die erzählten ihr, wie die Russen sich den Finnen gegenüber aufführten, und Ingrid berichtete es mir. Und mehr als einmal mußte ich ausrufen: „Das ist ja genau so wie bei Hitler!"

Es war in der Tat genau so. Daher hatte ich keine Lust, zu einer Partei zu gehören, die schließlich und endlich unter dem Diktat der Sowjetunion stand.
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Meine "wohlhabenden" Bekannten in Hollywood waren fast alle verlogen

Und ich hatte darum sehr wenig Verständnis und man darf wohl sagen, sehr wenig Geduld für meine Bekannten in Hollywood, die zwar sehr viel Geld verdienten, aber unendlich „links" sein wollten.

Wenn es darauf angekommen wäre, zwischen ihren lukrativen Jobs und ihrer politischen Weltanschauung zu wählen - sie wären wohl in ihren Villen mit Swimmingpool und auf ihren Tennisplätzen geblieben.
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Es gab wirklich überzeugte Linke in Hollywood

Es gab natürlich viele wirkliche, das heißt überzeugte Linke in Hollywood, auch unter den Emigranten. Aber sie schwatzten nicht darüber.

Von Lion Feuchtwanger hörte man kaum ein Wort in dieser Beziehung. Fritz Kortner, der ja auch sehr links stand, schimpfte hauptsächlich über die Konspiration der Produzenten gegen ihn, weil sie ihm keine, auch wirklich nicht die kleinste Rolle zuschanzten.

Der Grund dafür war, daß sie ihn für einen schlechten Schauspieler hielten. Er paßte wohl auch nicht in den Hollywooder Stil des Unterspielens. Er war für die Filmstadt zu explosiv.
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Auch Bert Brecht war da ideologisch verlogen ....

Schließlich traf auch Bert Brecht ein. Er war vor den Deutschen über Skandinavien und Finnland geflohen. Er hätte, als auch dieses letztere Land in Gefahr war, in der Sowjetunion Schutz finden können.

Doch er zog es vor, die Sowjetunion - die damals noch nicht im Krieg mit Hitler stand - nur als Durchgangsstation zu benützen, um in die Vereinigten Staaten zu gelangen.

Es hielt ihn nur wenige Tage im Paradies der Arbeiter, dafür aber dann viele Jahre dort, wo er das Paradies der Kapitalisten vermutete: nämlich in Hollywood.

Er schimpfte zwar ununterbrochen über den Ort, über den Film, über die Produzenten, fand es aber nur selbstverständlich, daß auch ihm gut bezahlte Drehbucharbeit beschafft wurde, was geschah - und seiner Englisch nur radebrechenden Frau Rollen, was aber nicht geschah. Immerhin, seine Kritik erfolgte mit Augenzwinkern.
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Brechts posthum publizierte Tagebücher gaben Auskunft ....

Erst aus seinen posthum publizierten Tagebüchern aus jenen Tagen ist zu ermessen, daß er nicht nur boshaft, sondern auch bösartig sein konnte.

Wenn man liest, was er über Fritz Lang geschrieben hat, der seine Amerikareise finanziert hatte und ihm seine erste gewinnbringende größere Arbeit zuschanzte; oder wie er Thomas Mann beschimpft, ohne daß der geringste Anlaß dazu vorgelegen hätte, wenn man selbstfabrizierte Lügen nicht als Anlässe ansehen will ...

Ich muß gestehen - wieder ein Sprung nach vorn -, daß ich diese Tagebücher in den 1970er Jahren mit Entsetzen gelesen habe.

In Dänemark und Finnland hatte er in ziemlich primitiven Holzhäusern gewohnt und war des Lobes über sie voll. In Hollywood lebte er in einer eleganten geräumigen Villa, die allen Ansprüchen gerecht wurde, und fand das Leben dort unerträglich.

Die Tatsache allein, daß er am Tag von Pearl Harbor nicht den japanischen Überfall in sein Tagebuch eintrug, sondern nur die nicht weltbewegende Tatsache, daß die Freundin von Fritz Lang seiner Tochter einen kleinen Hund geschenkt hatte, sagt eigentlich alles.

Brechts Tagebücher sind eigentlich unerträglich

Diese Tagebücher, die nicht sehr lang nach seinem Tod herausgegeben wurden und ein gewisses Aufsehen in Deutschland machten, sind vom moralischen Standpunkt aus unerträglich.

Dies wurde freilich im Nachkriegs-Deutschland und vor allem in der Ostzone, in der sie herausgegeben wurden, von keinem Kritiker erwähnt. Denn Bert Brecht ist ja ein großer Dichter, nicht wahr !

Natürlich ist er ein großer Dichter und in vieler Hinsicht ein bedeutender Mann gewesen. Aber wir wissen, daß einer ein Dichter oder ein Genie auf diesem oder jenem Gebiet sein kann und trotzdem menschlich recht problematisch.

  • Anmerkung : Ähnliches kam bei Hemmingway auch raus, aber erst sehr sehr spät.


Ich denke etwa an Richard Wagner. Oder an Richard Strauss. Und Brecht war - was er in Hollywood und später in Berlin sagte, beweist es - kein sehr anständiger Mensch.
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Kaum war Amerika in den Krieg eingetreten ....

....... - für Brecht "und Genossen" viel zu spät, da es doch galt, der Sowjetunion beizustehen, in der sie selbst nicht leben wollten -, wurden den sogenannten „feindlichen Ausländern" nun ganz offiziell Schwierigkeiten gemacht.

Feindliche Ausländer, das waren natürlich die unzähligen Japaner - gefragt als Butler, Chauffeure, Gärtner, Wäschereibesitzer, die vielleicht schon seit Generationen in Kalifornien lebten, aber sich nicht hatten naturalisieren lassen, vermutlich, weil sie das für nicht so wichtig hielten - und auch deutsche und österreichische Emigranten, die noch nicht die zur Naturalisation notwendigen fünf Jahre Aufenthalt im Lande aufzuweisen hatten.
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Das waren nun unsere "feindlichen Ausländer" ....

Heinrich Mann und Lion Feuchtwanger und Bert Brecht waren nun, da sich die USA im Krieg mit Hitler befanden, der sie alle verfolgt hatte und gegen den sie alle kämpften, feindliche Ausländer.

Ein amerikanischer Admiral, der über Kalifornien als höchster Militär „herrschte" und von dem man nur deshalb nicht sagen kann, daß er den Verstand verloren haben mußte, weil er offensichtlich nie einen besessen hatte, glaubte allen Ernstes, es bestehe die Gefahr einer japanischen Invasion der kalifornischen Küste.

Offenbar hatte er nie eine Landkarte besichtigt, sonst hätte er wohl wissen müssen, daß Japan um vieles weiter entfernt lag von der kalifornischen Küste als etwa Paris.

Wie dem auch sei: Um der außerordentlichen Gefahr zu begegnen, die Emigranten oder Nichtamerikaner darstellten, ordnete er an, daß alle feindlichen Ausländer nach acht Uhr abends ihre Häuser oder Wohnungen nicht verlassen durften.
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Einige fingen jetzt an, regelrecht zu spinnen ....

Das bedeutete, daß diejenigen unter uns, die bereits amerikanische Pässe besaßen, also Lubitsch, Billy Wilder, Vicki Baum, Fritz Lang, Marlene Dietrich und auch ich, allabendlich zwei oder drei Besuche machen mußten, um die Eingekerkerten zu trösten.

Besonders übel nahm diesen absurden Stand der Dinge Erich Maria Remarque, der in der Bar des Hotels, in dem er wohnte, sich allabendlich darüber ausließ, wie er den japanischen Marinesoldaten durch Rat und Tat, gemeinsam mit Thomas Mann und Bert Brecht, beistehen würde.

Er wich und wankte nicht aus der Bar bis zum Anbruch des nächsten Morgens, als es ihm also wieder gestattet war, sein Hotel zu verlassen und eine nachbarliche Bar aufzusuchen. Der verrückte Admiral half so zumindest den kalifornischen Alkoholkonsum zu steigern.
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Mein Auftrag erwies sich als genauso unsinnig ...

Um es an dieser Stelle zu sagen: Der Auftrag, der mich aus Washington nach Kalifornien gebracht hatte, erwies sich als genau so unsinnig, wie ich es vorher gesagt hatte.

Von keinem der Bewohner der Filmstadt, weder von den deutschen Emigranten noch von den japanischen Gärtnern, drohte auch nur die geringste Gefahr.

Ich ging einige Male zum Büro der Naval Intelligence in Los Angeles und teilte dort mit, daß ich nichts mitzuteilen hatte. Ich sagte auch, daß ich das sogenannte Ausgehverbot für die „feindlichen Ausländer" für unsinnig halte. Man pflichtete mir bei.

Man - das war ein Captain, noch ziemlich jung. Freilich, seine Gründe waren andere als die meinen. Er war der Ansicht, daß man feindliche Ausländer durch solche Verbote nur warne und vorsichtiger mache.

Davon, daß sie überhaupt niemals die Absicht hatten oder haben würden, etwas zu tun, was gegen die amerikanischen Interessen verstoße, war er nicht zu überzeugen.
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Ich lernte auch Clark Gable und Carole Lombard kennen ....

Zu den berühmten Filmschauspielern, die ich gut kannte, gehörte auch Clark Gable, den ich sehr gern mochte, obwohl wir uns immer nur im Atelier sahen oder gelegentlich auch im Speisesaal der MGM, der eigentlich den Stars vorbehalten war, in den ich aber mit Gables Einladung kommen durfte.
Einmal sagte er: „Sie müssen unbedingt Mr. Funny kennenlernen."

„Mr. Funny" nannte er seine Frau, die bildschöne, blonde, große Carole Lombard, die nicht nur wegen ihrer darstellerischen Künste, sondern vor allem wegen ihres Witzes berühmt war.

Berühmt war auch - zumindest in Hollywood -, daß ihre Ehe mit Clark Gable eine Musterehe war. Dazu mag auch beigetragen haben, daß die beiden gern und viel tranken.

Clark Gable traf eine Verabredung mit mir für einen der kommenden Abende - und sorgte dafür, daß ein Chauffeur von MGM mich zu ihm brachte. Er wohnte damals, wenn ich nicht irre, in Bel Air, einer der unzähligen Siedlungen der Prominenten.
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Er war den ganzen Abend des 16. Januar 1942 gut gelaunt - bis .....

Als ich gegen acht Uhr ankam, war er allein. Seine Frau hatte sich ganz kurzfristig - vor zwei oder drei Tagen - anheuern lassen, für Kriegsanleihe zu werben. Ich glaube, in Chicago oder irgendwo in Texas.

„Sie müssen mit mir vorlieb nehmen. Mr. Funny kommt erst morgen früh." Dann läutete das Telephon. Sie war am Apparat. Sie sagte, sie käme nicht morgen früh, sondern noch am Abend. Sie habe kurzfristig vom Schlafwagen auf ein Flugzeug umgebucht, das in wenigen Minuten starten und in einer Stunde in Los Angeles landen werde. In spätestens zwei Stunden sei sie also zu Hause.

Die Laune von Clark Gable wurde daraufhin noch besser, als sie vorher gewesen war, wobei auch einige Gläser Whisky das ihre taten.
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.... bis das Telefon klingelte und er kreidebleich wurde

Carole Lombard kam nach zwei Stunden nicht, sie kam auch nach drei Stunden nicht.

Wir entschlossen uns zu essen. „Mr. Funny ißt sowieso nie etwas zu Abend! Sie wissen, ihre Figur ..."
Dann läutete das Telephon. Er nahm ab, und sein Gesicht wurde plötzlich kreideweiß. „Ich weiß von nichts, was ist denn geschehen?"

Er muß wohl keine vernünftige Antwort erhalten haben, denn er hängte auf.
„Wer war es?"
„Die ,Los Angeles Times*. Sie wollen wissen, ob ich etwas zu dem Flugzeugunglück zu sagen habe."

Er kam nicht auf die Idee, daß es sich um das Flugzeug handeln könnte, in dem seine Frau saß. Man hatte ihm keinerlei Auskünfte gegeben, aber langsam begann es ihm doch zu dämmern.

„Ob Mr. Funny . . .?"
Ich meinte, das sei doch recht unwahrscheinlich.

Wieder läutete das Telephon. Diesmal war es die Presseabteilung von MGM. Ich nahm ab. „Gut, daß Sie bei Clark sind! Sehen Sie zu, daß er das Telephon nicht abnimmt. Mr. Tracy wird in wenigen Minuten draußen sein." Da wußte ich eigentlich schon, was geschehen war. Kurz darauf später läutete es an der Haustür.

„Das ist sicher Mr. Funny. Sie vergißt immer ihren Schlüssel!"
Aber es war Spencer Tracy. Er sah bleich aus wie der Tod. Er ging mit ausgestreckten Armen auf seinen Freund Clark Gable zu. „Du mußt stark sein . . ."
Ich ging fort.
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Clark Gable wirkte um zehn Jahre gealtert.

Am nächsten Morgen fuhr ein Extrazug für die Presse nach San Bernardino. Das Städtchen lag an dem Berg, an dem das Flugzeug zerschellt war. Clark Gable war schon dort. Er wirkte um zehn Jahre gealtert.

Als er meine Hand drückte, wußte er wohl kaum, wen er vor sich hatte. Er war gerade in einen Streit verwickelt. Er wollte unbedingt mit dabei sein, wenn man die Leichen oder das, was von den Passagieren übriggeblieben war, suchte und barg.

Der Chef der Publicity-Abteilung der MGM versuchte vergeblich, ihn zurückzuhalten. Man fand nicht viel von Mr. Funny.

Eine Stunde nach der Beerdigung, an der ich teilnahm - Clark Gable oder sonst jemand hatte mir eine Einladung geschickt -, meldete er sich freiwillig zur Armee.
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Auch meine 1. Frau und Michael waren feindliche Ausländer

Auch Rolf und Ilse und natürlich mein kleiner Sohn Michael waren feindliche Ausländer. Was das anging, war es meine geringste Sorge. Denn in diesem Haushalt braute sich etwas Furchtbares zusammen.

Ich erwähnte bereits, daß Rolf Nürnberg das Gerücht ausgestreut hatte, ich befände mich in engstem Kontakt mit Moskau, was für mich eine Art Ehre sein sollte.

Er erzählte auch ohne besondere Gründe oder Ursachen, daß er selbst nächtlicherweise oft mit Stalin - Stalin, keinem Geringeren! - telephoniere. Jawohl, mit Stalin persönlich.

Warum? Zu welchem Zweck? Aus welchem Grund? Nirgendwo außer in Hollywood hätte sich jemand gefunden, der solchen Unsinn schluckte. Auch hier gab es viele, die über die Stalin-Gespräche lächelten und die Geschichte für zu albern hielten. Aber es gab auch Gläubige. Man war ja so links!
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Mein Freund Rolf hatte den Verstand verloren ....

Die erschütternde Erklärung für diese Stalin-Geschichte und vieles andere mehr: Mein Freund war nicht mehr bei Verstand. Es dauerte Monate, ja mehr als ein Jahr - ich war in der Zwischenzeit immer wieder in Washington oder New York -, bis wir zu begreifen begannen, warum Rolf sich so seltsam benahm. Ich will die lange und komplizierte Geschichte kurz machen.

Rolf war, wie berichtet, schon in sehr jungen Jahren ein erfolgreicher Journalist in Berlin gewesen. Sicher, das Geld seines Vaters und ein kleines Vermögen, das er von einem Onkel geerbt hatte, räumten ihm manches Hindernis aus dem Weg.

Aber die eigentliche Erklärung seines Erfolges war eben sein spezifisches Talent. Er war ein auf den Westen Berlins ausgerichteter Zeitungsmann. Später bezweifelte ich, ob er auch nur in München oder Prag, geschweige denn in Paris oder New York sich hätte durchsetzen können.

Rolf selbst zweifelte nicht daran. Schließlich hatte ja auch ich mich im Ausland durchgesetzt, und ich war in gewissem Sinne nicht nur sein Freund, sondern ganz sicher seine „Entdeckung".
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Rolf kam stets auf Besucher-Visum nach USA

Anfang der 1930er Jahre war er ja immer wieder nach New York gekommen, aber nicht, wie er es mir und auch anderen vormachte, als bereits Eingewanderter oder Einwandernder, sondern stets auf Besucher-Visum, schon um keine Schwierigkeiten mit den Behörden zu haben, wenn er nach Berlin zurückkehrte. Bei seinen Besuchen in New York und auch in Kalifornien hätte er feststellen müssen, daß ihm sein Berliner Zeitungsruhm in der Neuen Welt nichts half und er es schwer haben würde, vermutlich schwerer als ich, denn es mangelte ihm vor allem an Sprachbegabung.

Auch als er 1936 oder 1937 für immer in die USA kam, geschah es mit einem Besucher-Visum. Er war also niemals eingewandert und wurde daher auch niemals Amerikaner, was zu sein er schon 1940 behauptete. Die Verordnung über feindliche Ausländer entlarvte diese eigentlich völlig überflüssige Lüge.
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Und Rolf entlarvte sich selbst ....

Auch in anderer Beziehung wurde Rolf entlarvt, besser: er entlarvte sich selbst. Trotz seiner vielen Beziehungen konnte er keine Anstellung finden. Auch die Firma, die angeblich Drehbücher kaufte und sie wieder verkaufte, existierte nur dem Namen nach.

Rolf hatte diese Firma selbst gegründet, zwei Büroräume gemietet und war täglich hingefahren, um - nichts zu tun. Am Ende jeder Woche zahlte er sich seinen Wochenlohn vom eigenen Bankkonto.

Er glaubte, trotzdem nichts zusetzen zu müssen, ja vielleicht sogar Geld hinzuzuverdienen. Er hatte nämlich ein bißchen an der Börse spekuliert, und mit erstaunlichem Erfolg. Mit dem berühmten Anfängerglück, das aber nicht anhielt; schon deshalb nicht, weil er ja nichts von diesen Dingen verstand.
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In Hollywood hatte sich solches herumgesprochen ..

Aber in Hollywood hatte es sich unter den Emigranten schnell herumgesprochen, daß er ein geschickter Spekulant sei. Viele rissen sich geradezu darum, ihm ihre Ersparnisse anzuvertrauen. Und er verlor weiter.

Geld, das ihm, Geld, das seiner Frau gehörte - sie wußte übrigens von alledem nichts -, und auch das von Freunden und Bekannten. Er fühlte den Boden unter sich wanken. Und griff zu - Drogen.

Er nahm - auch das war damals in Amerika keine Seltenheit -Benzydrin, eine Art von Pervitin, also ein Aufputschmittel; Benzydrin, gemischt mit gewissen starken Schlafmitteln, brachte eine rauschartige Wirkung hervor.

Manchen von uns fiel auf, daß Rolf oft stockend und geradezu mühsam sprach und manchmal sehr viel Unsinn - siehe Stalin. Aber niemand ahnte die schreckliche Wahrheit, mit Ausnahme der eben sehr klugen Vicki Baum.

Ilse entdeckte einmal bei ihm eine Apothekerpackung Benzydrin, das eigentlich rezeptpflichtig war, und rief seinen Arzt an. Der beruhigte sie und meinte, Rolfs Erklärung, er habe die Mittel für einen Freund besorgt, sei wohl die richtige. Denn bei dem Zustand seines Herzens würde er bei dem Genuß von täglich zwei oder gar drei Tabletten in kurzer Zeit tot umfallen.

Damals schluckte Rolf zwischen zwölf und vierzehn Tabletten pro Tag.
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Und dann begann sein Kartenhaus zu wanken ....

Sein Kartenhaus begann zu wanken und sehr schnell zusammenzufallen, als Bekannte ihr Geld - nebst kräftigem Gewinn, versteht sich - zurückhaben wollten. Rolf hatte keines mehr. Ilse hatte auch keines mehr.

Ich erlebte eine Szene zwischen ihr und Rolf. Sie beklagte sich, daß ihre New Yorker Bank ihr trotz mehrfacher Mahnungen keine Abrechnungen schicke. Sie fand das unerklärlich, ja geradezu empörend.

Als Rolf gleichfalls entrüstet aus dem Zimmer gestürmt war, fragte ich Ilse, ob Rolf vielleicht Vollmacht über ihr Konto besäße. Und als sie bejahte, sagte ich: „Du hast kein Konto mehr. Und deine Reklamationsbriefe sind von Rolf niemals abgesandt worden."
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Vicki Baum und Fritz Lang hatten mich wegen Rolf "angefordert"

Ich war damals gerade erst wieder zwei oder drei Tage in Hollywood. Vicki Baum und Fritz Lang hatten, übrigens unabhängig voneinander, mir nach Washington telegraphiert, es sei dringend erforderlich, daß ich bei Rolf und Ilse nach dem Rechten sähe. Irgend etwas sei da nicht in Ordnung.

Das erstaunte mich nicht einmal. Rolf hatte mich seit einigen Monaten immer wieder angerufen, meist so zwischen zwei und vier Uhr morgens, hatte vierzig bis fünfzig Minuten unendlich langsam gesprochen und eigentlich nie etwas von Belang gesagt.

Ich brauchte nur ein paar Stunden, um das Ausmaß der Katastrophe zu ermessen. Michael schickte ich sogleich in ein Camp - es war nicht gut für den kleinen Jungen, mitzuerleben, was nun geschehen würde. Vermutlich hatte er schon viel zuviel gesehen und gehört.

Besprechung mit einem von mir herbeigerufenen Arzt. Sicher sei Rolf nicht mehr ganz normal, wenn auch vielleicht nicht im juristischen Sinne unzurechnungsfähig. Es wäre wohl das beste, ihn in eine Anstalt zu bringen. Freilich, nach kalifornischem Recht könne das nur mit seiner schriftlichen Einwilligung geschehen.
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Unterhaltung mit einem Rechtsanwalt.

Zweifellos sei eine Anstalt die beste Lösung. Denn schließlich habe Rolf ihm anvertraute Gelder unterschlagen. In spätestens ein paar Tagen würde sich die Staatsanwaltschaft einschalten und Rolf möglicherweise verhaften lassen.

Die Gerüchte über seine „Beziehungen" zu Stalin seien auch schon bis zu den Behörden gedrungen. Und da er kein Amerikaner sei, ja genaugenommen sich illegal im Lande aufhalte, denn sein Besucher-Visum sei längst abgelaufen, zudem als feindlicher Ausländer ... Ich müsse das verstehen.

Ich verstand. Wir sprachen mit Rolf. Der wehrte sich. Aber schließlich: ins Gefängnis wollte er auch nicht. Wir fanden eine Anstalt - am anderen Ende von Los Angeles, nein, schon in einem anderen Ort.

Bedingungen und Preise waren erträglich. Ich fuhr Rolf in einem von Vicki Baum geliehenen Wagen hin. Er wurde in einen Pavillon eingeliefert, der für leichte Fälle reserviert war.
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Rolf war völlig der Sucht verfallen - Ilse war sprachlos

Am nächsten Morgen durchsuchten Ilse, meine New Yorker Sekretärin, die ich aus Washington mitgebracht hatte, und ich das Haus. Wir fanden in allen nur erreichbaren Verstecken Tabletten, Tausende von Tabletten.

Obwohl Ilse ihm schon einige Male größere Mengen abgenommen hatte, war es ihm möglich gewesen, sich weiterhin welche zu verschaffen - er war wie so viele, die nicht mehr ganz bei Sinnen sind, ungemein listenreich geworden.

Wir fanden übrigens auch, ebenfalls versteckt, zahlreiche Briefe an mich, die selten beendet und auch nie abgesandt worden waren.

Der Inhalt war stets der gleiche: Angst, daß er Ilse verlieren, daß sie ihn verlassen und zu mir zurückkehren würde, weil ich doch viel erfolgreicher war als er. Das würde, so glaubte er, sich bald ändern. Er glaubte immer noch, er würde an der Börse Erfolg haben.

Ilse und ich waren sprachlos. Keiner von uns beiden hatte an eine Wiederaufnahme unserer früheren Beziehungen gedacht. Wir waren Freunde geblieben, gute Freunde, und das war alles.
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Dann klingelte das Telephon - Rolf ....

Mitten in einer von unseren Suchaktionen klingelte das Telephon. Es war Rolf, dem es irgendwie gelungen war, an einen Apparat zu gelangen, obwohl das in der Anstalt streng verboten war.

Ilse weinte, als sie ihm zuhörte. Und schluchzend berichtete sie: „Er sagt, er könne nicht schlafen, es werde die halbe Nacht hindurch in dem Vestibül vor seinem Zimmer Musik gemacht, gesungen und getanzt. Ach, nun ist er wirklich verrückt geworden!"

Wir waren erschüttert. Gegen Abend fuhr ich noch einmal zur Anstalt hinaus, um mit den Ärzten die, wie ich annahm, neue Situation zu besprechen. Ich betrat den Pavillon, in dem Rolf untergebracht war. Tanzende, sogar singende Paare - Patienten. Und Rolf, grinsend auf seinem Bett hockend: „Ihr habt mir natürlich nicht geglaubt! Ihr habt geglaubt, ich sei verrückt geworden!" - Und das alles in einer Irrenanstalt.
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Warum ich das alles erzähle?

Weil es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Rolf war einer von vielen, die mit der Emigration nicht fertig wurden.

Das zeigte sich auch in der Zukunft. Vorläufig wurde das Haus geräumt, vermietet und später verkauft. Michael nahm ich nach New York mit, wo sich Ingrid vorübergehend um ihn kümmerte. Ilse kam später nach, um sich eine Stellung zu suchen.
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Noch eine angestaute Wahrheit - Ingrid ....

Als ich wieder einmal - diesmal von Washington - nach New York zurückkam, teilte mir Ingrid mit: „Ich glaube, daß wir uns trennen sollten. Wir sehen uns ja kaum noch."

Ich konnte ihr so unrecht nicht geben. Wir sahen uns wirklich nicht mehr sehr oft. Plötzlich begann ich zu lachen. Sie sah mich erstaunt und irritiert an.

„Ingrid, ich lache nicht über dich. Ich lache über mich. Du weißt, die Scheidung von meiner ersten Frau erfolgte eigentlich, weil ich auswanderte. Hitler scheint etwas dagegen zu haben, daß ich verheiratet bin."
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Also Scheidung.

Aber wie? In New York konnte man sich damals nur nach erwiesenem Ehebruch scheiden lassen - das war eine heikle, schwierige, unsaubere und kostspielige Sache: man mußte einen Ehebruchspartner engagieren. In anderen Staaten waren Scheidungen ebenfalls kompliziert.

Am einfachsten waren sie im Städtchen Reno im Staate Nevada. Alles, was dort nötig war: man, daß heißt einer der Partner, mußte sechs Wochen dort gelebt haben. Damit war er automatisch „Einwohner" geworden und konnte am dreiundvierzigsten Tag die Scheidung beantragen, die gewährt wurde, falls die Gegenseite nicht protestierte.
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Reno - also Scheidungen zur Hebung des Fremdenverkehrs.

Ingrid konnte sich nicht sechs Wochen nach Reno setzen, sie hatte ja eine Stellung. Ich konnte es eigentlich auch nicht, aber die Naval Intelligence half mir. Ich fuhr nach Reno, nahm ein Hotelzimmer, und am zweiten Tag holte mich eine Marineordonnanz ab.

Ich würde, so hieß es, in der nächsten Zeit viel für die Naval Intelligence - im Staate Nevada, versteht sich - zu tun haben. Ich befand mich also offiziell immer in Nevada, obwohl ich in Washington und gelegentlich in Hollywood war, das sehr nahe - nicht einmal eine Flugstunde - bei Reno lag.

Am dreiundvierzigsten Tag kam also mein Fall vor Gericht. Der Richter ließ mich, den Hotelportier und den Offizier der Naval Intelligence bestätigen, daß ich ununterbrochen sechs Wochen im Staate Nevada gelebt hätte. (Lauter Meineide.)

Es dauerte vielleicht fünf Minuten, diesen „Beweis" zu erbringen. Eine weitere Minute verging damit, daß mein Anwalt die Scheidung verlangte - wegen „mental cruelty", seelischer Grausamkeit.

Eine weitere Minute verging damit, daß ich ausführte, meine Frau zeige seelische Grausamkeit, denn sie lasse mich nachts nicht lesen, was für mich beruflich sehr wichtig sei.

Ingrids Anwalt, der Sozius des meinen - so ging das in Reno vor sich -, benötigte zehn Sekunden, um „keine Einwände" zu erheben, der Richter dreißig Sekunden, um die Scheidung auszusprechen.
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Das war also eine Scheidung im Staate Nevada

Im Hinausgehen hörte ich den Richter eine Dame fragen, wo sie die letzten sechs Wochen verbracht habe.

Ich trank mit den beiden Anwälten einen Whisky-Soda im nahegelegenen River Side Hotel - viel Zeit hatten sie nicht.

An diesem Morgen standen ihnen noch mehrere Scheidungen bevor. Ich hatte auch wenig Zeit. Mein Flugzeug nach Washington startete in einer knappen Stunde.
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