Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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(6) Revolution
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1918 - Der Ausdruck der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung
Ich erinnere mich noch des Ausbruchs der Revolution im November 1918. Und ich erinnere mich noch, wie mich die Vorgänge belustigten. Das hört sich merkwürdig an, aber es war so.
Ich will erklären: Heute weiß man längst, daß diese Revolution nichts anderes war als der Ausdruck der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, wozu kam, daß nur die rabiatesten Nationalisten, wie etwa unsere Lehrer oder auch viele Beamte und Offiziere, nicht wußten oder wissen wollten, daß dieser Krieg für Deutschland rettungslos verloren war.
Eine Revolution war diese Revolution jedenfalls nicht, obwohl ein paar Tage lang - vor allem im Berliner Zeitungsviertel - ein bißchen geschossen wurde.
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Das konnte man damals, ganz zu Beginn, noch nicht wissen. Das wußte auch mein Vater nicht und nicht die zwei anderen Mitinhaber der Firma, die nach ihrem Gründer G. Benedict hieß.
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Ein Wort über die Firma Benedict meines Stiefvaters ...
Ein Wort über diese Firma, die wohl einmalig in Deutschland, möglicherweise auf der Welt war. G. Benedict verkaufte sehr teure Maßanzüge, vor allem Sportanzüge, Sportmäntel, Regenmäntel. Das Hauptgeschäft aber waren Livreen.
Es bestanden damals in Deutschland noch zahllose Höfe. Der Kaiserhof, der Hof des Kronprinzen, die Höfe der anderen Prinzen von Preußen, die Höfe der Könige in Bayern, von Sachsen, von Baden, Fürstenhöfe, palastartige ähnliche Häuser von anderen Prinzen und Grafen ... unmöglich, sich ihrer aller zu erinnern oder auch nur sie aufzuzählen.
Überall gab es eine stattliche Anzahl von Dienern, Kammerdienern, Reitknechten, Köchen, Jägern, Forstmeistern, Beamten, Chauffeuren, Kutschern. Und die brauchten - natürlich - Livreen.
Nicht etwa pro Person eine. Jeder mußte eine Art von Ausstattung haben, Anzüge für den Vormittag, für den Nachmittag, für den Abend, für Festlichkeiten oder Empfänge, Regenmäntel, Wintermäntel, nicht zu vergessen Hüte und Mützen.
Diese Bekleidungsstücke waren in den Farben des jeweiligen Hofes gehalten. Das Tuch, vielmehr die verschiedenen Tucharten, denn im Winter zog man die Dienerschaft anders an als im Sommer, wurde eigens für den betreffenden Hof hergestellt. Von G. Benedict natürlich.
Und erst die Knöpfe!
Sie waren, versteht sich, verschiedener Größe, und sie waren entweder golden oder silbern - natürlich nicht aus echtem Gold oder echtem Silber-, je nach Wunsch.
Und diese Knöpfe trugen die Wappen des betreffenden Hofes, wobei die Größe des Wappens sich natürlich nach der Größe des Knopfes, will sagen der Knöpfe, richtete.
Und alle diese Knöpfe mußten gestanzt werden, versteht sich; es gab da eine eigene Stanzkammer in unserem Geschäft, wo das eigentliche Stanzen zwar nicht vor sich ging, aber wo ein Vorrat an Knöpfen gehalten und alle Stanzen aufbewahrt wurden.
Der Umfang des Livreengeschäftes war gigantisch. Selbst zu einigermaßen normalen Preisen wäre es bedeutend gewesen. Aber die Preise waren nicht normal, das heißt, sie kamen nicht dadurch zustande, daß die Kosten für Tuch, Futter, Arbeitslohn usw. addiert wurden und daß dazu ein gewisser Prozentsatz an Aufschlägen kam, sagen wir dreißig Prozent oder fünfzig Prozent. Die Preise wurden vielmehr über den Daumen gepeilt.
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Die Fürsten hatten nicht nur keine Ahnung von Preisen
Und der betreffende Fürst oder besser seine Hofverwaltung hatte nicht nur keine Ahnung davon, was so etwas kosten könne oder dürfe. Das interessierte sie auch herzlich wenig, das alles wurde ja teils aus recht ansehnlichen Privatschatullen, teils aus Steuergeldern bezahlt. Und allein schon durch die eigens gestanzten Knöpfe war der betreffende Hof uns ausgeliefert.
Eine Order von fünfzigtausend Mark - man bedenke, Goldmark! - war keineswegs eine besonders hohe. Ich erinnere mich noch einer vom Fürsten von Wied, möglicherweise auch zu Wied, erteilten Order.
Der König von Albanien
In einem Anfall von Schwachsinn hatten Vertreter von Deutschland, Frankreich, Rußland und England auf das Drängen des Kaisers hin diesen Herrn zum König von Albanien ernannt. Er stammte aus altem Adel und war verschwistert und verschwägert mit zahlreichen Fürstenhäusern, regierend in vielen Ländern, aber von Albanien wußte er nichts.
Wichtiger wohl noch, daß die Albanier nichts von ihm wußten oder wissen wollten, was offenbar dem Wahlkollegium völlig gleichgültig war. Die Albanier wünschten sich überhaupt keinen König, und sie benötigten auch keinen.
Dieses alberne Vorhaben wurde dann, wohl infolge des ausbrechenden Weltkrieges, abgeblasen, was meinen Vater und seine Sozien verärgerte. Denn die auf die Firma G. Benedict entfallende Order für Livreen betrug, wenn mein Gedächtnis mich nicht trügt, so um eine halbe Million. Und diese Summe wäre ohne Zweifel noch gewachsen.
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Leider war sie nicht Hoflieferant des Kaiserhofes
Die Firma war sechzehn - oder achtzehnfacher Hoflieferant - sehr zum Bedauern der Inhaber war sie nicht Hoflieferant des Kaiserhofes, wohl aber des Kronprinzen, der auch sagenhaft viele Livreen benötigte.
Der Beweis, daß man Hoflieferant war, wurde durch eine Urkunde erbracht, deren viele, eingerahmt natürlich, im Laden hingen. Ferner durften die entsprechenden Embleme das Briefpapier der Firma zieren, und sie waren auch in Metall - ziemlich groß übrigens - über der Fassade des Ladens angebracht.
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........ bis zum 9. November 1918
Allen sichtbar, wie die Inhaber hofften - bis zum 9. November 1918. Obwohl das Geschäft an diesem Tag geschlossen war - alle Läden in der Innenstadt waren geschlossen, natürlich wegen der Revolution n-, fanden sich die drei Mitinhaber dort ein, genauer davor, und musterten beklommen die Embleme, Beweise dafür, daß sie Hoflieferanten waren, also sozusagen fast zu den bisher Regierenden gehörten.
Sie wünschten die Embleme zum Teufel und zerbrachen sich den Kopf darüber, wie sie wohl entfernt oder verdeckt werden könnten.
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Die Volksseele "stürmte" nicht, sie ging spazieren .....
Sie warteten darauf, daß jeden Augenblick die kochende Volksseele die Embleme bemerken und den Laden stürmen und demolieren würde.
Aber die Volksseele kochte keineswegs, sie ging spazieren. Man bemerkte nur Leute, die sich die Revolution ansehen, keine, die sie machen wollten. Den Emblemen geschah nichts - auch sonst geschah so gut wie nichts.
Es mag am Rande vermerkt werden, daß die Embleme während der gesamten Dauer der Weimarer Republik sowohl vor dem Laden als auch auf dem Briefpapier der Firma verblieben. Das war nicht untypisch - wir waren also Hoflieferanten, obwohl es keine Höfe mehr gab.
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Unsere Lehrerschaft war „vaterländisch"
Eine ähnlich deprimierte Stimmung wie die in der Firma G. Benedict breitete sich in unserer Lehrerschaft aus. Sie war eben sehr „vaterländisch", und mit der Flucht des Kaisers und der Ausrufung der Republik ging für die Professoren eine Welt unter.
Sie wären wohl kaum verwundert gewesen, wenn wir, die älteren Schüler, ihnen den Gehorsam verweigert hätten. Denn nun war ja „erwiesen" - so glaubten wir jedenfalls -, daß sie uns mit lügnerischer Propaganda gefüttert hatten.
Aber in unserem Werner-Siemens-Realgymnasium geschah nichts, wie ja auch in Deutschland so gut wie nichts geschah. Ich jedenfalls erfuhr über die Revolution nur, was in den Zeitungen stand, die ich damals gelegentlich nun doch las.
Selbst erbitterte Kämpfe, die sich die Regierungstruppen, eben noch die Kaiserlichen, mit den Spartakisten ausgerechnet im Zeitungsviertel lieferten - die späteren Kommunisten hatten sich im Spartakusbund zusammengeschlossen -, unterbrachen das Erscheinen der Zeitungen nur vorübergehend, und, Ironie des Schicksals, vor allem die sozialistische Zeitung „Vorwärts" erschien nicht.
Auf den Dächern wurde gekämpft, in den Redaktionen für oder gegen die oder die Seite geschrieben. Auch das war recht typisch.
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Nov. 2018 - mein Name war jetzt Riess-Steinam
Um diese Zeit hatte ich übrigens meinen Namen gewechselt. Mein Stiefvater hatte mich adoptiert. Ein Besuch bei einem Notar, ein paar Unterschriften - das war alles.
Ich hieß also nun nicht mehr Steinam, sondern Riess-Steinam. Ich war ein bißchen stolz auf meinen Doppelnamen. Und ich ärgerte vor allem meine Lehrer damit. Auf den Namen Steinam reagierte ich nicht mehr. Ich hieß Riess-Steinam und verlangte, so angeredet zu werden.
Die Adoption verstimmte meine Verwandten in Würzburg. Warum eigentlich? Ich habe es nie begriffen. Ich habe so vieles nicht begriffen, was die Familie meines verstorbenen Vaters von mir wollte oder nicht wollte.
Im übrigen hatte die Revolution in Würzburg meines Wissens nur eine Folge. Mein Onkel Michael Straus, Bruder meiner Mutter, hatte - ausgerechnet - ein paar Monate zuvor den Titel Königlich-Bayerischer Kommerzienrat erworben; Kostenpunkt vierzigtausend Mark. Nun gab es, zumindest vorläufig, den Titel nicht mehr. Michaels Bruder Rudolf, derjenige, der Carl Riess als heiratsfähig „entdeckt" hatte, sagte ihm mit gemütlichem Zynismus: „Wenn du nochmals vierzigtausend Mark zahlst, dann darfst du deinen ehrlichen Namen wieder annehmen!"
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Die Berliner Revolutionäre im Cafe - im „Romanischen" Haus
In den großen deutschen Städten, vor allem in Berlin, trafen sich die Revolutionäre im Cafe. Die besonders Radikalen in Berlin trafen sich im „Romanischen", dem Literatencafe schlechthin. Dort tranken sie einen Kaffee und vielleicht auch einmal einen Schnaps, sicher ungezählte Glas Wasser und diskutierten.
Ich glaube nicht, daß auch nur ein einziger von ihnen wußte, wie man mit einer Pistole oder gar mit einem Gewehr oder etwa einer Bombe umging. Um so lauter und blutrünstiger redeten sie.
Man wird sich wundern, daß ich trotz meiner Jugend mit dabei war. Ich weiß nicht, wann ich zum ersten Mal ins „Romanische" kam, wohl aber, daß ich oft dort erschien und daß ich von den Habitues am Stammtisch - es gab deren natürlich unzählige - scherzhaft zurechtgewiesen wurde, wenn ich einige Abende nicht erschien, vermutlich, weil die betreffende Dame mich daran gehindert hatte.
Übrigens brachte ich nie eine mit - das wäre unter meiner Würde und wohl auch der des „Romanischen" gewesen.
Benedict Lachmann, ein höchst bemerkenswerter Mann
Wer mich übrigens dort einführte und in dessen Begleitung ich meist kam, war ein gewisser Benedict Lachmann, ein höchst bemerkenswerter Mann. Er war ziemlich groß, eher hager, ging leicht gebeugt, trug sein schwarzes Haar absichtlich unordentlich, sozusagen künstlerisch.
Sein Beruf: Buchhändler. Er hatte irgendwann während des Krieges den „Buchladen am Bayerischen Platz" aufgemacht, keine fünfzig Meter von unserer Wohnung. Der Laden war klein, aber voller Köstlichkeiten. Ich entdeckte dort Dutzende von Schriftstellern und Dichtern einfach dadurch, daß ich ihre Bücher sah und sie zu lesen begann.
Benedict Lachmann war anfangs amüsiert, später doch interessiert an dem Schuljungen, der sich so intensiv mit Büchern abgab. Er erteilte positive und negative Ratschläge, er sagte mir, was man lesen müsse und was man nicht lesen dürfe.
Urteile, die mir oft wie Sakrilege vorkamen, gab er ab, als seien sie die selbstverständlichsten der Welt.
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Lachmanns furchtlose Respektlosigkeit
Er sprach über große Klassiker mit furchtloser Respektlosigkeit, er tat sie als veraltet und langweilig ab.
Ähnliches hatte auch ich in vielen Fällen empfunden - aber nie gewagt, es nur mir selbst einzugestehen. Und hier war einer, der zum Beispiel den ganzen Klopstock mit einem Achselzucken hinwegfegte, der schon bei der Erwähnung von Theodor Körner, damals noch als eine Art Schiller junior verehrt, schallend lachte.
Auf der anderen Seite schätzte er gewisse Bücher sehr hoch ein und veranlaßte mich, sie zu lesen, etwa die „Buddenbrooks" von Thomas Mann. Ich hatte, mir heute unbegreiflich, Romane für nicht lesenswert gehalten und mußte nun eingestehen, daß dafür überhaupt kein Grund vorlag.
Ich las infolgedessen viele Romane, vor allem die Brüder Mann, die großen Russen und, zögernd und mit vorerst nicht allzu viel Verständnis, die großen Franzosen.
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Woher nahm ich eigentlich die Zeit zum Lesen
Immer und immer wieder muß ich mich fragen, wenn ich an diese Periode meines Lebens zurückdenke, woher ich die viele Zeit nahm. Schule, Frauen, Lesen, Romanisches Cafe, Theater.
Eine Erklärung: Ich las nichts Überflüssiges. Das war Benedict Lachmanns Verdienst. Auch, daß er mir ersparte, zu lesen, was vielleicht vorübergehend Sensation machte, doch bald wieder vergessen sein würde.
Für Theater hatte er wenig übrig. Das mußte früher anders gewesen sein. Er sprach gelegentlich über Schauspieler, anerkennend und oft schwärmerisch, aber sie waren alle längst tot.
Reinhardt bedeutete ihm nichts. Von der Oper hielt er wenig - Ausnahme: Mozart! Darüber, daß ich Richard Wagner so inständig liebte, konnte er nur den Kopf schütteln. Das würde sich sehr schnell geben, meinte er, womit er allerdings unrecht hatte.
Rolf Nürnberg aus dem Romanischen Cafe
Einer, den ich im Romanischen Cafe kennenlernte und der später in meinem Leben eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen sollte, war ein gleichaltriger, ziemlich häßlicher junger Mensch, bebrillt und mit - für seine Jugend - erstaunlich schlechter Haltung: Rolf Nürnberg.
Er besaß das, was man eine Berliner Schnauze nennt. Er war ungemein intelligent, wußte über vieles - vor allem über das Theater - erstaunlich Bescheid und war unbarmherzig kritisch, und zwar in einem so herablassenden Ton, daß man sich fragte, was er denn an Leistungen aufzuweisen habe, das ihn zu solcher Arroganz berechtigte, es sei denn sein schwerreicher Vater und die Aussicht auf ein großes Vermögen, hinterlassen von seinem Onkel, das ihm mit Vollendung seines einundzwanzigsten Jahres zur Verfügung stehen würde.
Er galt übrigens als homosexuell, was damals noch interessant war - aber er war es nicht. Sein Einfluß auf mich - darüber werde ich später noch sprechen müssen - war ein durchaus negativer.
Ich wurde, wenn möglich, noch arroganter als er und wußte, wenn auch mit Maßen, alles besser. Leider sagte mir, wie schon in Würzburg, auch jetzt niemand über mich selbst Bescheid. - Ich glaube, mir wäre sonst vieles erspart geblieben.
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Ich lernte Ernst Lubitsch kennen
Ein anderer, den ich oft und gern sah, war Ernst Lubitsch. Ich kannte ihn seit Jahren, wenn auch nur flüchtig; er war ein - übrigens wenig beachtetes - Mitglied des Reinhardt-Ensembles.
Er spielte kleine und fast durchwegs komische Rollen. Er ging früh in die (Stummfilm-) „Kinobranche" - sein Ausdruck! Er inszenierte und spielte dort kurze Filme - Einakter, Zweiakter, und seine Rolle war fast immer die eines jüdischen „Kommis", den er schamlos übertreibend mit zehn Händen gestikulierend darbot. Die Leute lachten über ihn. Mir erschien das schon damals eher peinlich.
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„Die Augen der Mumie Ma"
Die 1917 gegründete UFA stellte ihn dann - ich habe die Gründe nie erfahren - als Regisseur für tragische Filme ein. Der erste war, wenn ich nicht irre, „Die Augen der Mumie Ma", eine ganz schreckliche Geschichte mit der von Reinhardt aus dem militärisch besetzten Polen importierten bildschönen Tänzerin Pola Negri.
Neben ihr wirkten noch mit das Filmidol aller Backfische zwischen achtzehn und achtundsiebzig, Harry Liedtke, ein charmanter Bursche ohne viele schauspielerische Gaben, und der junge, soeben bei Reinhardt gelandete Charakterschauspieler Emil Jannings, der später einer der prominentesten Filmschauspieler der Welt werden sollte.
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Pola Negri und Emil Jannings und Harry Liedtke
Die drei spielten in einigen Lubitsch-Filmen - die Stummfilme jener Zeit wurden jeweils in ein oder zwei Wochen gedreht-, bis sie sich, wieder unter ihm, in „Madame Dubarry" trafen.
Dieser Film war für damalige Verhältnisse, übrigens auch für heutige, ein Superunternehmen: ein Kostümfest mit vielen aufwendigen Bauten und mit zweitausend oder dreitausend Statisten gedreht.
Und das alles in einer dafür denkbar unmöglichen Zeit, in den letzten Kriegsmonaten und in den ersten Nachkriegsmonaten. Ja, um diese Zeit brauchte Lubitsch bereits mehr als ein paar Wochen für so einen Film.
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„Madame Dubarry" - Der beste Film aller Zeiten
Das Resultat: Der beste Film aller Zeiten, wie es in den Zeitungen hieß, wobei immerhin bedacht werden muß, daß der Film überhaupt noch keine zwanzig Jahre alt war.
Aber diese Beurteilung war zu dieser Zeit keine Übertreibung. „Madame Dubarry" hatte Stil, war großartig und bewegend geschrieben, hinreißend inszeniert. Was freilich die wenigsten beachteten: Die hohe Klasse dieses Meisterwerks war nicht zuletzt den Schauspielern zu verdanken, die fast ausnahmslos aus dem Reinhardt-Ensemble kamen.
Selbst in Paris, London, ja in New York und Hollywood horchte man auf. Für die Mitwirkenden bahnten sich internationale Karrieren an.
Lubitsch selbst wollte es vorläufig nicht wahrhaben. Er war Berliner und konnte sich ein Leben ohne Spreewasser nicht vorstellen. Er sprach oft darüber, auch mit mir, in seiner Stammkneipe bei "Mutter Mentz", dicht am unteren Kurfürstendamm, nur ein paar Schritte von der Gedächtniskirche und dem „Romanischen" entfernt.
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Ich durfte bei den Dreharbeiten dabei sein
Ich war tief beeindruckt von allem, was er sagte, und noch mehr von seinen Filmen. Gelegentlich durfte ich bei den Dreharbeiten dabei sein - keine besondere Schwierigkeit in jenen Tagen, in denen der Film noch stumm war und Nebengeräusche oder Unterhaltungen im Atelier nicht weiter störten.
Ich war - zur Verblüffung meiner den Kintopp verachtenden Freunde aus dem „Romanischen" - ehrlich begeistert von Lubitsch. Der Film war für mich aus der Motzstraßen-Phase herausgewachsen. Er wurde zum großen Erlebnis, fast, aber doch wohl nur fast so stark wie das lebendige Theater.
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