Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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(14) Lebt Redfern noch?
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Man kann in New York furchtbar einsam sein.
Ich sehe mich noch durch die in wahrstem Sinne vom Sturm leergepeitschten Straßen New Yorks wandern. Man kann in einer großen Stadt sehr einsam sein. Man kann in New York furchtbar einsam sein. Sicher, so glaubte ich damals, war kein Mensch so einsam wie ich. Ich ging auf den Hudson zu. Es mochte so gegen neun Uhr abends sein. Der Sturm wurde immer heftiger. Jetzt stand ich in der westlichsten Avenue, und vor mir, zum Greifen nah, floß der Hudson.
Aber dazwischen lagen noch die Piers des Hafens. Ich ging weiter nordwärts und kam schließlich zur Fünfundsiebzigsten Straße. Jetzt konnte ich ganz nah ans Ufer heran. Ich betrachtete die dahintreibenden Eisschollen und dachte, ein Sprung - und alles ist vorbei.
Ich zog Bilanz.
Ich kann nicht behaupten, daß ich verzweifelt war, nicht einmal besonders unglücklich. Ich machte nur Bilanz.
Und die sah so aus: Mit dem, das ich in Paris und Zürich verdiente und dem, was ich noch besaß, würde ich bestenfalls noch etwa drei Monate auskommen. Ich erinnere mich sogar, daß ich ein Datum ausrechnete. Bis zu dem betreffenden Tag würde ich weiterarbeiten, als ob man drüben mit Ungeduld meine Beiträge erwartete. Und dann eben - Schluß.
Und dann auf einmal war der Bann gebrochen.
Genau eine Woche später kam ein Brief der „Haagschen Post". Man fände diesen oder jenen meiner Artikel sehr hübsch, werde ihn bringen und ich solle solche Sachen weiterhin senden. Anbei ein Scheck.
Und nun war der Bann gebrochen. Innerhalb der nächsten Wochen kamen viele Briefe ähnlichen Inhalts und auch einige Schecks.
Diese waren wichtig, viel wichtiger aber waren die Ermutigungen. Auch meine Arbeit für den „Paris-soir" weitete sich mehr und mehr aus. Zugegeben, da war auch Glück im Spiel.
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Und ich hatte dieses kleine Bißchen Glück ...
Um ein Beispiel zu nennen: Der große Tennisspieler William T. Tilden wohnte, wann immer in New York, im „Algonquin". Ich konnte ihn da fast täglich sehen und erfuhr alles mögliche aus der Tenniswelt.
Oder: Ein amerikanischer Journalist Dämon Runnyon, der übrigens auch bezaubernde und oft verfilmte Kurzgeschichten schrieb, sagte eines Abends zu mir - wir saßen nebeneinander an einem Boxring: „Ich fahre morgen nach Detroit. Dort boxt ein Neger, Amateur noch, der, wie ich glaube, eine große Zukunft hat. Kommen Sie doch mit!"
Ich kam mit und entdeckte, zumindest für Europa, den blutjungen Joe Louis, der in den kommenden Jahren die Boxsensation par excellence werden sollte.
Zu jener Stelle am Hudson aber bin ich nie wieder zurückgegangen. Auch Jahre oder Jahrzehnte später nicht. Schon aus Aberglauben.
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Ich wurde nun laufend in Europa gedruckt .....
....., in dem noch freien Europa, natürlich; also überall, mit Ausnahme von Deutschland. Ich wurde in Ländern gedruckt, deren Sprachen ich gar nicht beherrschte, wie zum Beispiel in der Tschechoslowakei und in Polen, und natürlich auch in Wien. Aber vor allem eben in Paris.
Und Edgar ließ mich aus Paris wissen, daß man dort von meinen Sportberichten sprach.
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Sommer 1935 - Dann kam ein Telegramm aus Paris ....
Trotzdem war mir der Sinn eines Telegramms nicht ganz klar, das mich im Sommer 1935 erreichte. Es lautete: „Erwarten Sie baldmöglichst in Paris." Gezeichnet war die Aufforderung von dem wichtigsten Mann meiner Zeitung, Pierre Lazareff, den ich noch nie gesehen, geschweige denn gesprochen hatte.
Ungefähr drei Wochen später war ich in Paris und stand in einem winzigen Büro Pierre Lazareff gegenüber.
Ich hatte begreiflicherweise das nächste Schiff nach Europa genommen; das nächste nach dem großen Boxkampf im Yankee-Stadion in New York, in dem Max Baer vor fünfzigtausend bis sechzigtausend Zuschauern den Italiener Primo Camera zusammengeschlagen hatte.
Vom Pariser Bahnhof war ich nur ins Hotel gefahren, um mein Gepäck zu deponieren, und dann sogleich zum „Paris-soir". Benac war erfreut, mich zu sehen, und auch zugleich besorgt: „Wer wird von New York aus kabeln?" Und vor allem: er hatte keine Ahnung, warum ich nach Paris gekommen war.
„Pierre Lazareff hat mir ein Telegramm geschickt."
„Wenn Lazareff telegraphiert, ist es sicher wichtig und vermutlich etwas Erfreuliches!"
Fünf Minuten lang war ich der glücklichste Mensch der Welt. Der wichtigste Mann an der wichtigsten französischen Zeitung hatte mich nach Paris geholt! Zehn Minuten später war ich der unglücklichste Mensch der Welt.
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Pierre Lazareff sprudelte es nur so aus sich heraus
Da saß also nun Pierre Lazareff, ein sehr kleiner, sehr dünner, fast jungenhafter Mann, in seinem winzigen Büro zusammen mit seinem wichtigsten Mitarbeiter, dem sehr gut aussehenden, schlanken, soignierten Herve Mille.
Lazareff sprang auf, als habe er seit langem nur auf meine Ankunft gewartet und sei unendlich glücklich, daß ich nun endlich, endlich angekommen sei. Und Ähnliches sagte er auch, besser: er sprudelte es nur so aus sich heraus. Ich hatte Mühe, die Hälfte zu verstehen.
Was ich verstand, war: „Warum nennst du dich Riess-Steinam?" Und ohne meine Antwort abzuwarten, dies sei mein Name, fuhr er in schnellstem Tempo fort: „Willst Du Wagner-Sängerin werden?"
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„Warum nennst du dich 'Riess-Steinam' ?"
Da ich das nicht wollte, habe ich mich ab sofort Riess genannt. Er aber sprach in den folgenden Jahren von mir immer als Curt Riess, gab mir also trotz allem eine Art Doppelnamen.
Ab jetzt war ich nur noch "Curt Riess"
Ich begriff schnell: Er hatte „alle" meine Berichte gelesen, was wahrscheinlich nur zur Hälfte stimmte, aber daraus, daß er auf die eine oder andere Arbeit anspielte, ersah ich doch, daß er nicht nur schwindelte.
Und er sagte ungefähr: „Ich bin der Ansicht, daß du auch anderes schreiben kannst!" Mit (dem französischen) Du redete er prinzipiell alle an und erwartete von ihnen das gleiche.
Ich setzte ihm - bedeutend langsamer - auseinander, daß ich in der Tat in Berlin auch anderes geschrieben hatte. Ich fand es übrigens erstaunlich, daß er das aus den Sportberichten, die ich schließlich nicht in meiner eigenen Sprache schrieb, so schnell erfaßt hatte. Und nun traute ich meinen Ohren nicht.
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Du wirst das New Yorker Büro für uns übernehmen
„Du wirst das New Yorker Büro für uns übernehmen. Du mußt dann natürlich auch nach Washington und nach Hollywood. Und überhaupt ... Aber das alles mußt du machen, wie du es für richtig hältst!"
Immerhin: ein deutscher Emigrant amerikanischer Korrespondent der inzwischen größten französischen Zeitung! Ich wurde doch ein wenig stolz und, wie ich heute glaube, nicht ganz zu unrecht. Er nannte dann eine Summe, die er sich als mein Fixum vorstellte. Es war eine sehr anständige Summe ...
„Davon kann man leben", gab ich zu.
„Du mußt anständig leben und repräsentieren. Ich sollte es hier auch, tue es aber fast nie. Mein Fehler! Ein großer Fehler! Aber du wirst repräsentieren. Natürlich auf Spesen!" Er lächelte spitzbübisch.
„Und der Sport?"
„Den machst du nebenbei, sonst würde mir ja Benac die Leviten lesen!"
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Ich wollte doch erst mal ein paar Tage Urlaub machen
Dann wollte er wissen, wann ich wieder nach New York zurückkehren würde. Am liebsten wäre es ihm wohl gewesen, wenn ich gesagt hätte, morgen.
Ich sagte ihm aber, ich wolle ganz gern noch zehn Tage Ferien machen und meinen kleinen Sohn und meine geschiedene Frau wiedersehen. „In einem kleinen holländischen Seebad."
Bei dem Wort „holländisch" fuhr er wie elektrisiert auf und übergoß mich mit einem Wortschwall, von dem ich nichts verstand außer „Haag" und „Redfern", und daß ich möglichst bald telegraphieren oder telephonieren sollte. Und dann schrieb er noch auf einen Zettel das Wort „Redfern", schlug mir leicht auf die Schulter, und ich war draußen.
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Das ganze dauerte nur etwa 10 Minuten
Das war zehn Minuten nach meinem Eintritt ins Büro Lazareffs. So weit, so gut. Oder eigentlich sehr gut. Aber was nun?
Ich fühlte mich plötzlich ganz elend, denn ich begriff instinktiv, daß sehr viel, wenn nicht alles für mich davon abhing, herauszubekommen, was es mit dem verdammten „Redfern" - vielleicht war es auch eine Frau oder eine Stadt? - auf sich hatte und was Pierre Lazareff von mir verlangte.
Ich zog durch die Redaktionsräume und begrüßte alle, die ich kannte, mit den Worten: „Sagt Ihnen das Wort ,Redfern' etwas?" Niemand wußte das geringste mit dem Wort anzufangen.
Deprimiert kehrte ich in mein Hotel zurück, das „Scribe" bei der Oper, in dem ich nun in den nächsten Jahren oft wohnen sollte, holte meine Koffer wieder und fuhr zur Gare du Nord.
Ich war überzeugt, daß Pierre Lazareff, von mir in Sachen "Redfern" enttäuscht, den amerikanischen Posten mit einem anderen besetzen würde. Wenn ich nicht einmal verstand, was er mir auftrug! Ich verstand eben doch noch nicht genug Französisch oder doch nicht gut oder schnell genug.
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Auch gebürtige Franzosen hatten mit Lazareff Probleme
Was ich nicht wußte, war, daß auch gebürtige Franzosen nur Bruchteile von dem mitbekamen, was sich kaskadenartig von Pierres Lippen ergoß. Aber als Emigrant, als Ausländer, wagte ich es nicht, Fragen zu stellen.
Ich erreichte die Gare du Nord, verstaute mein Gepäck, promenierte noch ein wenig auf dem Bahnsteig. Was würde werden? Noch fünf Minuten bis zur Abfahrt des Zuges nach Amsterdam. Noch vier Minuten. Noch drei.
„Paris-soir! Dernière Edition!" - eine Sensation
Da stürmte ein Zeitungs verkauf er den Bahnsteig entlang. Er rief: „Paris-soir! Derniere Edition!" Ich kaufte mechanisch ein Blatt, ging ins Abteil und las auf der ersten Seite, dreispaltig aufgemacht: „Redfern - Est-il encore vivant?" -Lebt Redfern noch?
Und da stand nun alles, was ich wissen wollte oder sollte oder mußte. Redfern war ein Forscher. Vor Jahren war er in den Urwäldern von Holländisch-Guinea verschwunden und längst aufgegeben worden.
Aber vor wenigen Tagen hatte ein nicht weiter identifizierter Mann, der aus dem Innern des Landes kam, eine Telegraphenstation an der Küste erreicht und gefunkt, daß Redfern noch lebe, und zwar bei einem Eingeborenenstamm. Entweder als Gast oder als Gefangener, ganz klar war das nicht. Und der „Paris-soir" verkündete: „Wir werden ihn finden und zurückbringen!"
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Also das war meine Aufgabe - Recherchen anstellen
Nun war mir vieles klar. Ich sollte, natürlich, in Holland Erkundigungen einziehen. Am Abend war ich im Haag, am nächsten Vormittag saß ich einem Beamten des Außenministeriums gegenüber.
Dieses befand sich in einem stattlichen Gebäude, und wie sich bald herausstellte, war es dort keineswegs Alleinmieter. Es verfügte nur über ein paar Räumlichkeiten.
Der Beamte, zu dem ich gekommen war, lächelte. Ja, er habe von dieser Meldung erfahren, aus den Zeitungen, verstehe sich, aber eigentlich hätte er im Ministerium doch etwas direkt hören müssen. Kurz, er glaubte nicht so recht an die Geschichte.
Immerhin, ich könne ja mal im Postministerium anfragen. Der Telegraph von Holländisch-Guinea sei staatlich, im Postministerium müsse man von einem solchen Bericht wissen.
Das Haager Postministerium und das Kolonialministerium ?
Ja, das befinde sich im selben Gebäude, nur zwei Stockwerke höher oder tiefer; er nannte auch die Nummern der Zimmer - es war ein halbes Dutzend. Auch dort traf ich gleich auf einen höheren Beamten. Man hielt im Haag offenbar nicht viel von Vorzimmern, Vorzimmerdamen, schriftlichen Anmeldungen.
Der Mann im Postministerium lächelte auch, er hatte ebenfalls von der Geschichte gehört, aber eben auch nur aus Zeitungen, und eigentlich müßte doch sein Amt schon offiziell etwas erfahren haben oder zumindest eine Kopie des betreffenden Kabels besitzen, wenn an der ganzen Sache etwas dran sei.
Aber ich könne ja mal im Kolonialministerium anfragen, das sei nur wenige Schritte entfernt, im selben Stockwerk oder eines höher oder tiefer.
Dort lächelte man auch nur und wußte von nichts, obwohl man eigentlich etwas hätte wissen müssen, und man hielt die ganze Sache für puren Schwindel.
Ich war tief beeindruckt von den holländischen Behörden.
Dieser völlige Verzicht auf Wichtigtuerei, diese bescheidene Sachlichkeit! Wenn ich da an deutsche Ämter dächte!
Ich war auch ein bißchen beeindruckt von der Schnelligkeit, mit der ich das Rätsel Redfern gelöst hatte, und ging zum nächsten Postamt, telephonierte aber wohlweislich nicht, weil ich Lazareffs unverständliche Wortkaskaden fürchtete.
Ich verfaßte stattdessen ein längeres Telegramm an Pierre Lazareff, in dem ich nachwies, daß die ganze Redfern-Geschichte ein Schwindel sei, und dann fuhr ich für zehn Tage auf Ferien.
Als ich mich nach der Rückkehr wieder im „Paris-soir" meldete, rief mir jeder zu, den ich in den Redaktionsräumen oder auf den Korridoren traf, Pierre Lazareff erkundige sich immerfort, wo ich denn stecke.
Pierre Lazareff war inzwischen richtig ungeduldig
Als ich dann in sein Büro trat, sagte er: „Wann fährst du denn endlich nach New York zurück?"
„Ich dachte, so in einer Woche."
„Zu spät! Morgen. Am besten heute. Wir müssen doch die Sache mit Redfern organisieren!"
„Ich habe doch telegraphiert, daß es ihn wahrscheinlich gar nicht mehr gibt."
„Ich weiß. Aber sicher ist das nicht. Und jedenfalls gibt es keinen Grund, ihn nicht zu suchen."
„Aber im Haag glauben alle, daß er längst tot ist!"
„Den Haag ist nicht Paris. Und das ist eine gute Story." Und er setzte mir auseinander, wie er sich alles vorstellte.
Mir schwindelte. „Das kostet doch ein Vermögen!"
„Gewiß, aber es ist gute Propaganda!"
Und so fuhr ich zwei Tage später nach Amerika, um Redfern in Holländisch-Guinea zu suchen. Ich wußte nicht einmal genau, wo das lag.
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New York und das "Büro" des „Paris-soir"
In New York übernahm ich zuerst einmal das Büro des „Paris-soir". Genaugenommen gab es das gar nicht. Es gab einen politischen Korrespondenten namens Raoul de Roussy de Sales, den ich schon vorher flüchtig kennengelernt hatte.
Er war ein mittelgroßer, überaus magerer Mann von vollendeten Manieren, mit dem man sich ausgezeichnet unterhalten konnte. Er war von einer Klarheit, einer Präzision, einer Logik, wie man sie fast nur bei kultivierten Franzosen findet. Er war liebenswürdig und immer ein wenig ironisch.
Er und seine schöne, viel jüngere amerikanische Frau Reine wurden in den nächsten Jahren meine besten Freunde. Übrigens war er erfreut, daß ich ihn entlasten würde. Er arbeitete nicht besonders gern und war zufrieden, sich auf seine politischen Kommentare beschränken zu können.
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Das Büro bestand aus einem Schreibtisch
Das Büro also: Es bestand aus einem Desk, sprich Schreibtisch, in dem riesigen Redaktionsraum der „Herald Tribüne". Das bedeutete, daß man die neuesten Meldungen, die diese Zeitung ständig erhielt, automatisch auch bekam. Und daß man das Archiv benutzen konnte. Später siedelten wir übrigens zur „Daily News" über.
Ich mietete ein weiteres Hotelzimmer im „Bedford"; die "French Cable Company" installierte dort einen Telex-Apparat, der mich Tag und Nacht mit der Zentrale dieser Gesellschaft verband, die meine Nachrichten direkt an den „Paris-soir" weitergab, respektive seine an mich.
Ich engagierte eine französische Sekretärin. Ich fuhr nach Washington und Los Angeles und verpflichtete dort installierte Journalisten, die sich für nicht allzuviel Geld bereitfanden, mir alle wissenswerten Nachrichten zukommen zu lassen.
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Weil im ,Paris-soir' auch niemand weiß, wo Holländisch-Guinea ist!
Und dann kehrte ich nach New York zurück und widmete mich der Aufgabe, Redfern zu finden. Ich hatte keine Ahnung, wie man die Pläne Pierre Lazareffs in die Tat umsetzen konnte. Und Roussy de Sales grinste nur ironisch, als ich ihm davon sprach.
„Dabei wußte ich bis vor wenigen Tagen überhaupt nicht, wo sich dieses Holländisch-Guinea befindet! Das ist schließlich schon Asien! Warum werde ich, der hier in New York sitzt, damit betraut?"
„Das kann ich Ihnen ganz genau sagen. Weil im ,Paris-soir* auch niemand weiß, wo Holländisch-Guinea ist!"
„Sollte man das Pierre Lazareff nicht mitteilen?"
„Warum, um Gottes willen? Vielleicht will man die Sache von New York aus starten wegen der Publicity! Was weiß ich. Jedenfalls ist das doch eine Chance für Sie!"
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Meine "Chance" erzeugte eine Lawine von Angeboten
Also verfaßte ich schließlich eine sehr ausführliche und kostspielige Annonce und rückte sie in die „New York Times" ein.
Und schon am nächsten Tag begann es. Und es wurde innerhalb von achtundvierzig Stunden zur Lawine. Es meldeten sich aufgrund der Annonce bei mir, will sagen im „Paris-soir"-Büro nicht weniger als zwei Dutzend Kapitäne. Sie alle hatten ein Schiff, sie alle hatten eine Mannschaft oder konnten zumindest sehr schnell eine zusammenstellen.
Sie alle hatten im Augenblick keine Arbeit, und sie alle waren bereit, morgen oder jedenfalls sehr bald nach Holländisch-Guinea aufzubrechen, um Redfern tot oder lebendig zurückzubringen. Und das wollten sie sehr billig machen, fast geschenkt.
Man erinnere sich: es war die Zeit der Weltwirtschaftskrise, und zahlreiche Schiffe und ihre Besatzungen waren in des Wortes wahrster Bedeutung gestrandet.
Glücklicherweise meldeten sich auch Leute, die Ratschläge erteilen konnten und wollten und die etwas von Schiffen und auch von fernen Ländern, die ich allenfalls vom Atlas her kannte, verstanden oder jedenfalls zu verstehen vorgaben.
Ich engagierte einen - nur um herauszufinden, daß er wenn möglich von der Materie noch weniger verstand als ich. Mit seinem Nachfolger hatte ich mehr Glück. Er half mir bei den Entscheidungen, das heißt, ich tat mehr oder weniger das, was er vorschlug.
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"Redfern" war ein Unternehmen geworden, sozusagen über Nacht.
Ich mußte einige Büroräume mieten und einige Sekretärinnen engagieren. Ich forderte und erhielt vom „Paris-soir" erhebliche Summen, um das alles zu finanzieren. Und die Zeitung brachte täglich lange Berichte über das, was zu den Vorbereitungen der Redfern-Expedition geschah.
New Yorker Kollegen, von ihren Büros in Paris alarmiert, erkundigten sich ironisch, ob wir beabsichtigten, den Nordpol zu erforschen. Mir persönlich wäre das lieber gewesen. Vom Nordpol wußte ich zumindest, daß es ihn gab. Was Redfern anging - da hatte ich meine Zweifel.
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Und ich lernte bald, daß ich so vieles nicht wußte
Bei diesem Unternehmen lernte ich bald, was alles man - oder doch zumindest ich - nicht wußte. Ein Schiff chartern, das war noch gegangen.
Aber wie war das mit der Mannschaft? Wieviel Mann brauchte man? Und wie viele mußten mitgenommen werden, um Redfern an Ort und Stelle, wo immer das sein mochte, zu befreien?
Proviant? Waffen? Sprachkenntnisse? Welche Strapazen waren zu bestehen? Wer mußte gegen was geimpft werden? Welchen Arzt sollte ich verpflichten? Sicher war Redfern, falls man ihn je fand, pflegebedürftig, von der vermutlich überanstrengten Mannschaft ganz zu schweigen.
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Das Unternehmen wuchs und wuchs.
Schon hatten wir fünf Büros und am Hafen noch einige weitere Räume. Typisch, daß ich die an einer Stelle gemietet hatte, an der mein Schiff dann gar nicht vor Anker ging, so daß wir jeweils eine lange Strecke fahren mußten.
In den Räumen stapelten wir Proviant und Medikamente. Gewerkschaften schalteten sich ein. Eine amerikanische Behörde. Unzählige Formulare waren auszufüllen, unzählige Genehmigungen einzuholen. Der holländische Generalkonsul, von mir darauf angegangen, ob wir auf Unterstützung rechnen konnten, gab sich sarkastisch.
Nein, die Holländer wollten mit der Sache nichts zu tun haben. Sie glauben an diesen Redfern nicht, das heißt, an einen noch lebendigen Redfern, und auch nicht, daß ich an ihn glaubte - womit sie völlig recht hatten.
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Es war die reinste Operette, die sich da abspielte .....
..... und in der ich mitspielte. Natürlich hatte ich nur dem Namen nach die Oberleitung. Ich mußte Unterschriften leisten, Geld auftreiben und überweisen und mir die Ausführungen von inzwischen drei oder vier von mir verpflichteten Sachverständigen anhören - und so tun, als ob ich etwas von irgend etwas verstünde.
Schließlich war das Schiff bereit und auch die Mannschaft. In letzter Minute waren noch zwei Reporter des „Paris-soir" eingetroffen. Ich hatte es nämlich abgelehnt, mitzufahren und die Berichterstattung zu übernehmen.
Ich erklärte das mit meiner Unabkömmlichkeit und mit Sprachschwierigkeiten. Die beiden Pariser Kollegen sprachen zwar perfekt Französisch - sonst aber nichts. Außer ihnen sprach keiner an Bord Französisch. Aber das gehörte nun wirklich nicht in den Bereich meiner Sorgen.
Ich hatte nur noch eine Sorge: daß der Dampfer endlich, endlich abfuhr. Wunderbarerweise tat er das schließlich auch.
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Zur Abfahrt erschienen zahlreiche Reporter und Pressephotographen.
Auch ich erschien. Und wer viel Zeit hat, kann in alten Bänden der New Yorker Zeitungen und natürlich des „Paris-soir" mein Bild finden, wie ich dem abfahrenden Schiff nachwinke, das übrigens erst fünf oder sechs Stunden nach der Aufnahme die Anker lichtete.
Mit der Flut oder der Ebbe, das weiß ich nicht mehr genau. Ich sagte noch einige unpassende Worte: „Wenn Redfern lebt, werden wir ihn finden!"
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Um es kurz zu machen: Wir fanden ihn nicht.
Das Schiff kam zwar fahrplanmäßig an, diejenigen, die an der eigentlichen Expedition teilnehmen sollten, reisten landeinwärts und stiegen dann in von Eingeborenen gelenkte Kanus, um in den Urwald vorzudringen.
Bereits am ersten Tag kenterte das erste Kanu, in dem der Kapitän saß. Er und ein zweiter Mann ertranken im Strudel, die übrigen, darunter auch die französischen Reporter, konnten gerettet werden.
Mit in die Fluten versanken alle Pläne. Von den Überlebenden wußte also niemand so recht, wie es weitergehen sollte. Und niemand hatte Lust auf Fortsetzung der Reise.
Unzählige Kabel zwischen ihnen und mir und dem „Paris-soir". Schließlich wurde alles abgeblasen. Ich durfte hoffen, den Namen Redfern nie wieder zu hören.
Irrtum. In Abständen von Monaten kam Pierre Lazareff immer wieder auf ihn zurück, namentlich während meiner jetzt häufigeren Besuche in Paris. „Man sollte doch ..." Oder: „Man könnte doch ..."
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Der Dichter und Flieger Antoine de Saint-Exupery
Aber was konnte man ? Das erfuhr ich, als ich eines Abends in meiner Lieblingsbar in New York saß, in Gesellschaft des französischen Dichters und Fliegers Antoine de Saint-Exupery. Er sprach wie fast immer von Frauen, an denen er einen nicht unerheblichen Konsum hatte.
Ich erwähnte, daß ich - vor ein paar Tagen? vor ein paar Wochen? - wieder einmal von Paris daran erinnert worden war, daß vielleicht in der Sache Redfern doch noch etwas geschehen sollte. Es war mindestens zwei Jahre nach der mißglückten Expedition.
„Aber das ist doch ganz einfach, mein Lieber!" meinte Saint-Exupery. „Du schickst mich hin."
„Ich schicke dich - wohin?"
„Nach Holländisch-Guinea, natürlich." Er würde dort hinfliegen und aus geringer Höhe Umschau nach Redfern halten. „Sollte ich ihn entdecken ..."
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Der „Paris-soir" war begeistert von dem Projekt.
Saint-Exupery flog also von Paris nach Holländisch-Guinea. Später sagte er einmal: „Ich hatte keine Illusionen. Immerhin, ich kreiste ein bißchen über den Urwäldern. Die haben eine ganz hübsche Ausdehnung. Ich entdeckte auch gelegentlich Eingeborene, die mir freundlich zuwinkten. Und hielt Ausschau nach Redfern."
Nun, auch er entdeckte ihn nicht. - Und damit war dieses Kapitel endgültig abgeschlossen.
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Die Publizistin Dorothy Thompson
Natürlich mußte ich schon aus Berufsgründen jetzt mit viel mehr Menschen verkehren als früher. Insbesondere auch mit Vertretern meines Metiers. Zu ihnen gehörte - und sollte viele Jahre gehören - die Publizistin Dorothy Thompson, eine ganz ungewöhnliche Persönlichkeit.
Ich kannte sie schon von Berlin her. Eine große, später leider etwas zu dicke Frau, damals noch schön, blond, mit strahlend blauen Augen. Die ganze Dorothy strahlte. Sie war noch mit dem Schriftsteller Sinclair Lewis verheiratet, aber die beiden lebten schon, als Freunde übrigens, getrennt.
Dorothy war eine Art Berühmtheit. Schon als junges Mädchen hatte sie für die „Saturday Evening Post" Europa bereist, hatte Berühmtheiten interviewt, unter anderen Sigmund Freud und den ersten polnischen Präsidenten, Marschall Pilsudski.
Ich hatte sie - und auch Sinclair Lewis - im Romanischen Cafe kennengelernt, der Stätte übrigens, in der sie vor gar nicht allzu langer Zeit einander vorgestellt worden waren.
Sie war die erste Amerikanerin, die 1933 Hitler interviewte
Weltberühmtheit erlangte Dorothy, als sie als erste ausländische Journalistin Hitler kurz nach seiner Machtergreifung interviewte. Was sie über ihn schrieb, war so kompromißlos vernichtend, so entlarvend, daß Hitler, der sich damals noch mit Ausländern eher vorsah, sie wutentbrannt des Landes verweisen ließ.
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Das war eine große Ehre und eine gewaltige Propaganda.
Und sofort engagierte sie die „Herald Tribüne" als Kolumnistin, und ihre vorzüglichen Artikel wurden in mehr als hundert amerikanischen Zeitungen gedruckt; dreimal pro Woche. Sie besaß also einen gewissen Einfluß.
Ich hatte sie in New York irgendwo getroffen, aber damals schrieb ich ja nur über Sport für den „Paris-soir" und war nicht wichtig genug, als daß sie sich besonders für mich interessiert hätte.
Eines Abends wanderte ich in die Bar des Hotels Plaza am Central Park, und da saß sie mit einem englischen Kritiker. Sie winkte mir, und ich kam näher. Sie sagte: „Wir waren gerade bei einer Premiere." Das Stück habe ich natürlich längst vergessen. „Es war schrecklich! Wir gingen nach dem zweiten Akt."
Und ich, ganz spontan und etwas dümmlich: „In Berlin wäre das für einen Journalisten unmöglich gewesen!" - Und sie: „Glücklicherweise sind wir nicht in Berlin. Glücklicherweise für Sie, für uns!" - Damit begann unsere Freundschaft.
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Fritz Kortner lernte Dorothy Thompson in New York kennen
Ein paar Jahre später /vielleicht 1938) kam der österreichische Schauspieler Fritz Kortner nach New York und befreundete sich mit Dorothy Thompson, die er sogar dazu überredete, ein Stück zu bearbeiten, das er geschrieben hatte.
Das Stück wurde dank ihrer Beziehungen aufgeführt und war ein totaler Durchfall. In den 1960er Jahren, als Dorothy schon längst tot war, schrieb Kortner dann in seinen Erinnerungen, er habe sie überzeugen müssen - damals, in den 1930er Jahren also -, wer Hitler eigentlich sei, und habe es fertiggebracht, sie für den politischen Journalismus zu gewinnen. Dies nur nebenbei.
Es ist zwar richtig, daß man über Tote, in diesem Fall also über Kortner, nur das Beste sagen sollte, aber ist die Wahrheit nicht das Beste?
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Durch Dorothy kam ich in Kontakt mit Winston Churchill.
Durch Dorothy, die ich etwa drei- oder viermal pro Woche in ihrem Apartment am Central Park West besuchte - eine Unmenge Leute kam dahin, um sich mit ihr zu unterhalten, und zwar fast immer über Politik und, wenigstens was mich anging, meist über Deutschland, sie gehörte zu den Leuten, die andere ausquetschten -, kam ich in Kontakt mit Winston Churchill.
Da sie wußte, daß ich oft nach Paris fuhr und gelegentlich auch ein paar Tage in London verbrachte, gab sie mir „für alle Fälle" ein Empfehlungsschreiben an den großen Mann mit, der - und das macht das Folgende verständlich - damals gar nicht als groß, sondern eher als endgültig erledigt galt.
Seine Partei, die Konservativen, stellte zwar die Regierung, aber die Balfours und die Chamberlains hatten ihn ausgebootet.
Er war in einer unmöglichen Situation. Solange seine Partei regierte, hatte er keine Chance, und natürlich schon gar keine, wenn die anderen ans Ruder kamen. Er saß meistens mißvergnügt in seinem Haus auf dem Lande.
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Churchill schätzte Hitler von Anfang an richtig ein
Aber nicht nur das. Er war besorgt. Nachdem er - vorübergehend nur - an die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zwischen Großbritannien und Hitler geglaubt hatte, war er sich ständig der Gefahr bewußt, die jenseits des Kanals mit rasender Schnelligkeit wuchs.
Eine Gefahr, die um so bedrohlicher war, als die britische Regierung - „Meine Leute!", wie Churchill sarkastisch bemerkte - sie nicht sah oder nicht sehen wollte. In "number 10", Downing Street, war man dumpf entschlossen, sich mit Hitler zu verständigen.
Was konnte Churchill dagegen tun? Was tat er? Er sammelte Material - nicht nur für seine Reden, man denke etwa an diejenige, in der er zum erstenmal im Unterhaus von der deutschen Luftaufrüstung sprach -, und die Regierung war konsterniert.
Churchill hatte viele Quellen. Unter anderen Anthony Eden, der noch im Auswärtigen Amt saß, aber zurücktrat, als Großbritannien nach dem „Anschluß" Österreichs nichts unternahm. Und Eden wußte natürlich viel.
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Eine andere Quelle von größter Bedeutung war Lord Vansittart
Eine andere Quelle von - meiner Ansicht nach - größter Bedeutung war Lord Vansittart, damals noch Sir Robert, Leiter einer sehr wichtigen Abteilung der Intelligence (der englische Geheimdienst).
Seine Tragödie - wenn man ein so pathetisches Wort im Zusammenhang mit diesem überaus kühlen, schlanken Mann überhaupt gebrauchen darf - war, daß die Intelligence zwar vermutlich alles über Hiders Absichten und Kriegsvorbereitungen herausbrachte, daß aber die bereits erwähnten Premiers die unbequeme Wahrheit einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollten; und so fand manche wichtige geheime Nachricht ihren Weg zu Churchill, mit dem Vansittart nicht nur die richtige Einschätzung der nahen Zukunft verband, sondern auch persönliche Freundschaft.
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Und dann wurde ich von Churchill "einbestellt" .....
Churchill also: Er bestellte mich, besser, ließ mich in sein Landhaus bestellen. Er saß im Garten oder auf einer Terrasse. Auf dem Kopf trug er einen riesigen Strohhut, und im Mund steckte eine gewaltige Zigarre, nicht angezündet, übrigens. „Ich gewöhne mir das Rauchen ab!" sagte er. „Mit welchem Erfolg, bleibt abzuwarten." Und: „Kein Interview!"
Statt dessen interviewte er mich. Er wollte einfach alles über mich und mein Leben wissen. Wann und warum ich Deutschland verlassen habe? Und wie es um meine Kontakte mit Deutschen stehe? Ich mußte gestehen, daß ich kaum noch welche hatte.
„Ein Fehler", kommentierte er trocken. Er schenkte uns beiden Whisky ein. Sehr viel, zumindest für meine Verhältnisse. „Sie sollten versuchen, wieder Kontakte aufzunehmen."
„Die Leute, die ich kenne, wissen ja doch nichts."
„Jeder weiß etwas."
„Ich meine, nichts, was Sie interessieren könnte."
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Ich bekam meine Lektion in Spionage ...
In diesem Augenblick mischte sich Vansittart in unser Gespräch. Die oben zitierten Worte unserer Unterhaltung habe ich noch genau im Ohr.
Warum Vansittart eingriff? Er erteilte mir eine wertvolle und zugleich die erste Lektion in Spionage: Niemand verlange von mir die Weitergabe von Geheimnissen.
„Darüber möglichst viel herauszufinden ist die Aufgabe von Spezialisten. Was Sie uns erzählen könnten, wäre, um ein Beispiel zu nennen, wie die Menschen in Deutschland sich fühlen. Was sie über Hitler denken. Was sie von der Aufrüstung halten. Ob es noch alles zu essen gibt ..."
„Wissen die denn etwas von der Aufrüstung?"
„Auch das zu erfahren würde für uns interessant sein. Übrigens ... es muß viele in Deutschland geben, die davon wissen. Arbeiter, Soldaten, Bauarbeiter, Bäcker, Metzger, Schneider ..."
„Aber wieso Bauarbeiter, Bäcker, Metzger?"
„Glauben Sie, die Rekruten schlafen im Freien? Glauben Sie, die essen kein Fleisch und kein Brot? Glauben Sie, die laufen nackt herum? Oder in ihren Zivilanzügen?"
„Sie müssen mich öfter besuchen", meinte Churchill, als ich schließlich Abschied nahm, etwas verwirrt und nervös.
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Und es dauerte einige Zeit, bis ich begriff .........
....., daß ein geschulter Reporter, und der war ich ja, auch durchaus imstande sein konnte oder eigentlich sein sollte, herauszubekommen, was Churchill und Vansittart da von mir wollten.
Nun kam ich öfter zu Churchill, die nächsten Male allerdings meist in sein Londoner Domizil. Ich war natürlich nicht der einzige, den er und Sir Robert mit solchen „Aufgaben" betrauten ...
Immerhin schien Churchill stets von neuem interessiert an dem, was ich, meist brieflich, aus Deutschland, oft auch von anderen Emigranten in Paris und New York erfahren hatte.
Und Vansittart war dankbar. „Wir werden uns revanchieren", sagte er mehr als einmal. Er hielt Wort. Und so geschah manches ... Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, daß mein Leben sich sonst doch wohl ganz anders gestaltet hätte.
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