Die Lebensbiografie von Curt Riess - geschrieben 1977
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956/57 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrespondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den interessantesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesem Buch gibt es neben den "Aufzählungen von Tatsachen" jede Menge Hintergrund- Informationen über seinen Werdegang, seine Reisen und das Entstehen der Filme, über die Schauspieler und Stars, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite finden Sie hier.
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(25) Kein Ende abzusehen
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Die Konferenz von Potsdam begann.
Dazu wurden keine Journalisten zugelassen. Bob Murphy, der inzwischen der politische Berater Clays geworden war und ebenfalls in Berlin lebte, bestellte mich an dem Abend, an dem die Konferenz endete, in seine Villa, um mich ins Bild zu setzen.
Er wirkte sehr deprimiert, als er berichtete. Nach seiner Ansicht hatten die Russen so ziemlich alles durchgesetzt, was sie durchsetzen wollten.
Ich sagte: „Das sieht ja ganz nach dem Beginn eines dritten Weltkriegs aus."
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Ich war den Russen gegenüber bereits vorher mißtrauisch
Um diese Zeit, also wenige Monate nach Kriegsende, war ich schon recht mißtrauisch gegenüber den Russen. Durch die Leute der US-Intelligence, mit denen ich natürlich in Verbindung blieb, erfuhr ich, daß die Sowjets überhaupt nicht mit uns zusammenarbeiteten.
Hingegen verlangten sie dauernd Material von uns. Etwa: Wo befand sich der Gauleiter von Frankfurt an der Oder, der nach dem Westen geflüchtet war?
Wir machten das für die Russen ausfindig und lieferten den betreffenden Mann aus. Wenn wir umgekehrt den Gauleiter von, sagen wir Köln haben wollten, der zuletzt in Breslau gesehen worden war - nichts. Wir erhielten nicht einmal eine Antwort.
Wie gesagt, ich schrieb damals schon regelmäßig für die „Weltwoche" in Zürich und telephonierte oft mit deren Herausgeber Karl von Schumacher. Einmal sagte ich: „Ich glaube, wir werden bald aufhören müssen, gegen die Deutschen zu schreiben. Aber wir werden dann einen Ersatz haben."
„Wen?"
„Die Russen."
„Sie sind ja verrückt!"
Ich war es nicht. Etwa drei Monate später schrieb Karl von Schumacher seinen ersten politischen Artikel über, besser: gegen die Sowjets und ihre Nachkriegspolitik.
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Nichts war zu Ende. Kein Ende war abzusehen.
So schnell hatte sich alles gewandelt. - Ich suchte Emmy Göring. Sie war wie vom Erdboden verschwunden. Aber irgendwo mußte sie sich doch aufhalten! Wäre sie ins Ausland entkommen, ich hätte es gewußt. Hätte sie sich umgebracht oder wäre sie umgekommen, ich hätte es gewußt. Hätte man sie eingesperrt, ich hätte es gewußt.
Ich hörte nur immer wieder, daß sie zu den wenigen Personen in hoher Stellung gehörte, die sich „anständig" benommen hätten. Und auch in meinen Interviews, Goebbels betreffend, tauchte ihr Name immer wieder in diesem Sinn auf. Wo, zum Teufel, steckte sie?
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Emmy Göring (Emmy Sonnemann) befinde sich in Neustadt ....
Ich bekam einen Tip. Emmy Göring befinde sich in Neustadt. Erst jetzt entdeckte ich, wie viele Neustadts es in Deutschland gab - es mochten nahezu ein Dutzend sein. Schließlich lokalisierte ich Frau Emmy in irgendeiner Burg, die Göring gehörte - wirklich gehörte, denn er hatte sie nicht gestohlen, er hatte sie geerbt. Sie lag auf einem Hügel oberhalb des Städtchens Neustadt, unweit von Bayreuth.
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Nachricht von dem Mann, der Gustaf Gründgens zum Intendanten gemacht habe
Emmy Göring war nicht gefangen, noch nicht, wurde aber von US-Soldaten festgehalten. Mir lag daran, nicht als einer von ihnen aufzutreten, gewissermaßen als Sieger; sie hätte wohl in diesem Fall nicht den Mund aufgetan. So ließ ich ihr einen Zettel zuspielen, ich bringe Nachricht von dem Mann, der Gustaf Gründgens zum Intendanten gemacht habe.
Gründgens, bereits in den zwanziger Jahren ein bekannter Schauspieler und Regisseur, auch mir persönlich bekannt, war von Göring zum Intendanten des Staatstheaters in Berlin gemacht worden. Frau Göring verstand sofort und ließ mich auf Schleichwegen in die Burg holen.
Eine groteske Situation für mich. Immerhin Amerikaner im Offiziersrang, mußte ich mich vor den amerikanischen Wachen verbergen, was übrigens mühelos gelang.
War Emmy Sonnemann wirklich nur dumm ?
Ich erspare es mir, Emmy Görings Erregung zu schildern und die tausend Fragen aufzuführen, die sie in bezug auf ihren Mann stellte. Sie konnte sich nicht vorstellen, warum man ihn festgenommen hatte! Was, um Himmels willen, hatte er denn verbrochen? Sehr bald wurde mir klar: Diese doch sehr hochgestellte "Dame" wußte wenig von dem, was im Dritten Reich vor sich gegangen war.
Ich weiß, diese meine These wurde später oft belächelt. Aber sie war eigentlich ganz logisch. Wer aus ihrer näheren oder weiteren Umgebung hätte riskieren können, ihr die Wahrheit zu sagen - damals? Sie war, das muß immer wieder festgestellt werden, zwar nicht übermäßig intelligent, aber sehr rechtlich denkend.
Hätte sie ihren Mann - der ihr im übrigen bis zuletzt einredete, selbst in den Konzentrationslagern ginge es ganz friedlich zu - über das, was im Dritten Reich geschah, zur Rede gestellt, das Resultat wäre gewesen, daß ihr Informant sich in einem solchen Lager wiedergefunden hätte.
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Emmy's jüdische Freundin Rosie Corvin ... vergast ...
Ein Beispiel für viele: Emmy hatte zahlreiche jüdische Freunde aus ihrer Theaterzeit in der Provinz, und ihre "beste Freundin war eine gewisse Rosie Corvin gewesen, von ihr auch liebevoll Röschen genannt.
Sie war früher Schauspielerin in der Provinz gewesen und durch ein Engagement in Weimar mit Emmy Sonnemann zusammengetroffen. Emmy ging es damals nicht sehr gut. Die Gage in Weimar war nicht gerade sensationell, Röschen aber hatte eine reiche Familie und unterstützte Emmy immer mal wieder.
Als die Nazis kamen, hätte Röschen nach Amerika auswandern können, sie besaß dort reiche Verwandte, aber sie wollte nicht. Sie zog nach Berlin, wo sie in der jüdischen Gemeinde für arme Juden sorgte.
Unter anderem suchte sie wohlhabende Juden auf, die nicht die Absicht hatten auszuwandern, weil sie glaubten, der „Spuk" würde nur kurz dauern. Diese Wohlhabenden brachte sie dazu, ihr Geld zu geben, das sie an arme Juden, die auswandern wollten, ja mußten, weiterleitete.
Das wurde immer schwieriger, und schließlich hatte auch Rosie kein Geld mehr. Aber nun war es Emmy, die ihre schützende Hand über sie hielt. Emmy, die für sie sorgte.
Rosie wurde von Emmy Göring während der Kriegsjahre verköstigt und auch gekleidet. Rosie stand unter ihrem persönlichen Schutz. Emmy Göring war um so sicherer, daß ihrer Freundin nichts passieren konnte, als ihr Mann ihr das wiederholt versprochen hatte.
Daher war es ein Schlag für sie, als sie eines Tages eine Anruf Rosies bekam: „Ich gehe auf eine lange Reise, von der ich wohl nicht zurückkehren werde."
Emmy verstand sofort: Konzentrationslager. Außer sich alarmierte sie ihr „Hermännle", und der rief den zuständigen Himmler an, um ihn an sein Versprechen zu erinnern. Der entschuldigte sich, es sei eben nicht anders gegangen, aber Rosie käme in das recht humane Konzentrationslager Theresienstadt, und er selbst habe dem dortigen Kommandanten mitteilen lassen, daß sie besonders schonend zu behandeln sei.
Zufällig wußte ich von Rosies Existenz. Während meiner Schweizer „Spionagezeit" hatte mir eine dort stationierte englische Agentin, ehemals deutsche Schauspielerin, von ihr erzählt und auch von ihrer Verhaftung und Einweisung nach - Auschwitz.
Als Emmy jetzt wissen wollte, ob ich Theresienstadt kenne, was ich bejahte, und ob ich dort vielleicht zufällig ihre Freundin Rosie gesehen habe, mußte ich ihr sagen, Rosie sei nicht nach Theresienstadt gekommen, sondern in einem Vernichtungslager vergast worden.
Sie begann daraufhin zu weinen, dann zu schreien. Es war erschütternd. Und dann verfluchte sie „diesen Himmler". So etwas konnte man nicht spielen. Schon gar nicht Emmy Göring.
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Ich lernte John F. Kennedy kennen - in Berlin
Mit meinem natürlich in New York erschienenen Artikel über diese Unterhaltung war ich die Sensation des Abends im Berliner Presse-Club. Besonders ein etwas eckiger, großer, blonder, sehr gut aussehender, nur vorübergehend in Berlin weilender Korrespondent namens John F. Kennedy beglückwünschte mich zu diesem Scoop.
„Sie haben einen vortrefflichen Sinn für News!"
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Alles aus Berlin, Deutschland, Europa waren „news"
News ... Für meine Kollegen war Berlin, war Deutschland, war Europa „news". Für mich war das alles etwas anderes. Was genau, wußte ich noch nicht.
Noch im Jahre 1945 kam ich zum erstenmal nach Wien. Aus verschiedenen Gründen, alle dienstlicher Natur. Am Abend vor meinem Flug ließ mich Clay rufen.
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Clay bat darum - ich solle doch Käthe Dorsch aufsuchen
„Sollten Sie in Wien einer Schauspielerin" - Blick auf ein Aktenstück - „Kathi Dusch begegnen, so erkunden Sie, was Sie für diese Dame tun können. Sie gehört zu den Deutschen, die sich ganz besonders gut benommen haben."
Es handelte sich um Käthe Dorsch, die damals wohl bedeutendste und populärste deutsche Schauspielerin. Die Emigranten wußten, daß sie während der Dauer des Dritten Reichs so etwas wie eine Jungfrau von Orleans gewesen war, unermüdlich in ihrem Bestreben, Gefährdete außer Landes zu schaffen, Verhaftete zu befreien.
Das konnte sie mit Hilfe von Göring, der als junger Fliegeroffizier noch während des Ersten Weltkriegs - da gab es noch keine Nationalsozialistische Arbeiterpartei - in sie verliebt war und sie heiraten wollte.
Und auch später tat er ihr gern einen Gefallen, wenn es auch nur ein „kleiner" war, etwa, wenn es um die Rettung eines Menschenlebens ging. Daß die Kunde von den mutigen Taten der Dorsch bis zu Clay gedrungen war, erstaunte mich doch. Freilich, daß ich die Dorsch schon lange kannte, daß wir so um 1931 herum gut befreundet waren, wenn auch nur kurze Zeit, das konnte nicht einmal er wissen.
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Das Wiedersehen war umwerfend.
Eigentlich so, wie man es nur aus Romanen kennt. So, um Käthe zu zitieren, „als hätten wir immer nur aneinander gedacht!" Was nun wirklich nicht der Fall war.
Blond, blauäugig, wirkte sie, die um einiges älter war als ich, noch immer wie ein junges Mädchen. Und reagierte auch so. Sehr bald wurden wir fast unzertrennlich. Wann immer ich konnte, flog ich nach Wien, wo sie am Burgtheater spielte, oder fuhr nach Kammer am Attersee unweit von Salzburg, wo sie ein Haus besaß.
Es ist recht schwierig für mich - auch jetzt noch, nach so langer Zeit -, über Käthe Dorsch zu schreiben oder über meine Beziehungen zu ihr.
Es gab Nächte, in denen ich viele Stunden lang wach lag - so glücklich war ich, daß sie in mein Leben getreten war. Es gab Stunden, in denen ich geradezu fromm wurde, weil ich fühlte, ich hätte dieses Glück nicht verdient. Es gab allerdings auch Stunden oder Tage, in denen es sehr schwierig war, mit ihr zu leben oder auch nur in ihrer Nähe.
Sie wurde oft von einer geradezu krankhaften Eifersucht getrieben, von einem Mißtrauen erfaßt, das mir lange unverständlich blieb.
Käthe Dorsch wirkte auf die Zuschauer wie ein Geschöpf aus einer anderen Welt. Sie war - das klingt zwar banal, ist aber gar nicht anders zu sagen - der Liebreiz in Person.
Sie war gar nicht besonders schön, aber diejenigen, die sie auf der Bühne sahen, vergaßen ganz, wie sie aussah. Für die Zuschauer war sie schöner als die Garbo. Sie war bezaubernd - in des Wortes wahrster Bedeutung. Sie bezauberte die Menschen - und das schon seit etwa 1920.
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Käthe erzählte mir oft von den vergangenen Jahren.
Es stimmte schon, was von Clay angedeutet worden war. Käthe hatte alles Menschenmögliche getan, um Menschen zu retten. Da die Bedrohten das wußten, wandten sich in diesen Jahren Hunderte, wenn nicht Tausende an sie.
Käthe: „Jeden Morgen, beim Frühstück, weinten wir." Wir, das war sie und ihre Sekretärin. Sie lasen die Briefe der Verzweifelten und fühlten mit ihnen.
Aber Käthe beließ es nicht beim Weinen. Sie unternahm immer etwas. Ich glaube nicht, daß es einen Bedrohten oder gar Verurteilten gab, der sich umsonst an sie wandte. Sie hatte natürlich Beziehungen. Einmal, weil sie eine sehr bekannte Schauspielerin war, zum anderen, weil sie durch ihre Freundschaft mit Göring auch andere Leute einspannen konnte.
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Einmal sagte ich zu ihr: „Was mußt du gelitten haben!"
Sie sah mich mit ihren unbeschreiblich schönen blauvioletten Augen an. Es war fast etwas wie Mitleid in ihnen. „Ja, wir sind von innen nach außen, von oben nach unten, von links nach rechts hin und her getrieben und umgekrempelt worden." Ich habe die Worte noch im Ohr.
„Und doch, ich möchte nicht eine Minute dieser Zeit missen. Man weiß wohl erst, was Leben ist, wenn man weiß, was Leiden ist. Ich beneide dich nicht. Ich beneide niemanden, dem es in diesen schrecklichen Jahren besser gegangen ist als uns. Ich glaube, Ihr habt was versäumt." - Diese Worte gaben mir viel und oft zu denken.
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Ihr großer Wunsch war, wieder nach Berlin zurückzukehren .....
....., in die Stadt, in der sie ihre erfolgreichsten Jahre verbracht hatte. Er schien nahezu unerfüllbar. Es war nach dem Krieg für die Deutschen fast unmöglich, von einer Zone, etwa der amerikanischen, in eine andere, etwa die französische, zu gelangen. Später wurde das alles einfacher.
Auch ins Ausland zu kommen war für Deutsche nur möglich, wenn sie über Beziehungen dort verfügten. Die besten Beziehungen besaßen ohne Zweifel die untergetauchten Nazifunktionäre, die, vom Vatikan oder dessen Emissären mit falschen Papieren ausgestattet, nach Südamerika geschmuggelt wurden. Warum der Vatikan das tat oder auch nur duldete, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Die einzige Grenze, die unüberschreitbar war und es lange Zeit blieb, war die deutsch-österreichische. Niemand wußte, warum. Hatten die Österreicher, will sagen die Besatzungstruppen in Österreich Angst vor einem neuen Anschluß? Doch wohl kaum.
Ich sprach mit Clay über den Fall Käthe Dorsch. Innerhalb von Stunden hatten sie und ihre Begleiterin die notwendigen Papiere, die mir erlaubten, sie von Wien nach Berlin zu holen, wo Käthe Dorsch von einem unübersehbaren Freundeskreis mit frenetischem Jubel empfangen wurde.
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Harry Liedtke war der untreue Mann von Käthe Dorsch
Ich habe ihr Mißtrauen und ihre Eifersucht erwähnt. Die waren entstanden, weil sie in ihrer Ehe, der einzigen, von ihrem Mann, den sie abgöttisch liebte, schamlos betrogen wurde - und das nicht einmal, sondern am laufenden Band. Immer wieder gab es heftige Auseinandersetzungen zwischen den beiden, immer wieder vergab sie ihm, bis es ihr schließlich doch zuviel wurde.
Der Grund für diese Untreue war psychologisch ein sehr einfacher. Dieser, ihr Mann - Harry Liedtke - war, als sie ihn kurz nach dem Ersten Weltkrieg kennen lernte, der vielleicht berühmteste Filmschauspieler Deutschlands. Ein großer Schauspieler war er nie. Und sie war eine Soubrette und wurde als Schauspielerin noch nicht recht ernst genommen.
Aber innerhalb weniger Jahre änderte sich das Bild. Er stieg ab - Filmkarrieren sind ja meist kurz -sie machte den steilen Aufstieg zur großen Schauspielerin, die nur noch gelegentlich in Operetten sang.
Sie tat alles, um ihn nicht merken zu lassen, wie die Gewichte sich verschoben, aber er litt wohl darunter, und um sich zu bestätigen, bandelte er ununterbrochen mit anderen Frauen an.
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Sie liebte ihn auch jetzt noch, zwanzig Jahre nach der Scheidung ...
...., und wollte ihn besuchen: in Saarow-Pieskow, einem Ort in der sowjetischen Zone, wohin man eigentlich nicht ohne Spezialerlaubnis durfte - und die bekam man so gut wie nie. Dort stand das Haus, in dem sie beide gelebt hatten, dort hatte sie sich später auch ein kleines Häuschen für sich allein gebaut.
Ich wußte, daß Harry Liedtke den Krieg nicht überlebt hatte. Er war in seinem Haus geblieben, auch als die Russen im Anmarsch waren, in dem Glauben, ihm werde nichts passieren. Da man ein Jagdgewehr in seinem Keller fand, wurde er aufs fürchterlichste mißhandelt - ich erspare mir Einzelheiten - und schließlich umgebracht; desgleichen seine junge Frau.
Ich versuchte alles, Käthe Dorsch von dieser Reise nach Saarow-Pieskow abzuhalten, aber es gelang mir nicht. - Sie machte den Fehler. Am Abend nach dem Besuch kam sie mit grauem Gesicht zurück. Sie konnte nicht sprechen. Sie mußte immerzu weinen. Es dauerte Tage, bis man wieder mit ihr reden konnte.
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Ernst Haeusserman stellet mich Wilhelm Furtwängler vor
Die andere wichtige Begegnung während meines ersten Aufenthalts in Wien war die mit dem Dirigenten Wilhelm Furtwängler. Der amerikanische Filmoffizier Ernst Haeusserman, der später Burgtheaterdirektor wurde, ließ mich aus einer Theaterloge holen und stellte mich Furtwängler vor.
Man spielte gerade „Nathan der Weise". Überall in Deutschland und Österreich spielte man damals dieses Stück, um zu beweisen, daß man gar nicht „so" gewesen war, und ich Unglücksrabe mußte mir - Bob Murphy wollte es so - nicht gerade jede Vorstellung, aber doch zahlreiche ansehen.
Furtwängler, schrecklich mager und zitternd vor Kälte, fragte mich, ob ich ihm nicht helfen könne.
„Helfen? In welcher Beziehung?"
„Ich bin doch verboten. Als angeblicher Nazi, dabei war ich nie ..."
„Hier in Wien kann ich nichts für Sie tun."
„Herr Haeusserman sagte mir, Sie hätten einen gewissen Einfluß in Berlin ..."
Am nächsten Morgen saßen wir einander gegenüber, nun beide frierend, in Mäntel gehüllt, in einem Hotelzimmer. Die Sache war die: Furtwängler war tatsächlich „verboten", in Deutschland und natürlich auch in Österreich. Warum? Weil er Nazi war oder gewesen war.
Aber, so führte er aus, er sei eben nie einer gewesen. Das entsprechende Gerücht sei dadurch entstanden, daß er 1936 ein Telegramm Toscaninis, die New Yorker Philharmoniker als sein Nachfolger zu übernehmen, angeblich mit einem Telegramm beantwortet habe, sein Platz sei im Dritten Reich.
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Goebbels hatte wieder Mal seine Hand im Spiel
Aber er hatte die Einladung Toscaninis nie erhalten, denn er befand sich damals in Ägypten, in einer Art Quasi-Emigration, da er auf der Aufführung von Hindemith und auch Mendelssohn bestanden und daher Ärger mit Goebbels gehabt hatte.
So konnte er auch die ablehnende Antwort nicht verfaßt haben; die hatte Göring persönlich gefälscht, dem daran lag, Furtwängler an „seine" Staatsoper in Berlin zu binden. Weit davon entfernt, ein Anhänger des Regimes zu sein, war er diesem eher suspekt gewesen und hatte zuletzt sogar vor der Gestapo in die Schweiz fliehen müssen, wo er das Kriegsende erlebte.
Für all das gebe es unzählige Beweise und Zeugen, versicherte er mir. Und nun lasse man ihn nicht dirigieren. Das verstehe er überhaupt nicht.
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Eine neue Erkenntnis : Furtwängler war gar kein Nazi
Ich war verblüfft und bewegt. Auch ich hatte Furtwängler für den repräsentativen Dirigenten des Dritten Reichs gehalten und daher für einen Anhänger des Nazismus. Daß er einer der wenigen gewesen war, die dagegen protestiert hatten, daß man Bruno Walter nicht mehr dirigieren ließ, erfuhr ich erst viel später.
Wenn alles stimmte, was er mir berichtete - und ich zweifelte keinen Augenblick daran -, dann war ihm bitter Unrecht geschehen. Ich versprach, sogleich nach meiner Rückkehr mit Clay darüber zu sprechen.
Was ich auch tat. Aber vorerst mit wenig Erfolg. Der General stand unter dem Einfluß des amerikanischen Musikoffiziers, der selbst Dirigent war und in seinem Größenwahn hoffte, die Leitung der Berliner Philharmoniker, also die Nachfolge Furtwänglers, übernehmen zu können.
Am Rande: Ein oder zwei Jahre später, als er nach Amerika zurückkehrte, wurde dieser Musikoffizier Dirigent in irgendeinem kleinen Ort in Florida. Ich habe nie wieder etwas von ihm gehört.
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Vorläufig geschah also nichts in Sachen Furtwängler.
Und eines Morgens, als ich aufwachte, saß er in Person an meinem Bett. Wie war er nach Berlin gekommen? Ganz einfach. Die Russen hatten ihm das Angebot gemacht, die Staatsoper, die sich in ihrem Sektor befand - in einem ehemaligen Revuetheater übrigens - als Direktor zu übernehmen.
Sie hatten ihn zu diesem Zweck aus Wien eingeflogen. Er hatte sich interessiert gezeigt, um so nach Berlin, besser zu General Clay zu gelangen. In Wahrheit war er dumpf entschlossen, nicht mit den Russen zu arbeiten.
Ich erklärte ihm, der Flug nach Berlin sei ein großer Fehler gewesen. Clay würde unter Druck nie mit sich reden lassen, was sich auch als wahr erwies.
Der General wurde höchst ärgerlich: „Schicken Sie Ihren Freund wieder in die Schweiz!"
Das war übrigens gar nicht so einfach, weil ihm die Franzosen, durch deren Zone in Österreich er fahren mußte, das Visum verweigerten - in der Annahme, den Amerikanern, die Furtwängler geächtet hatten, einen Gefallen zu tun. So kompliziert war das damals alles.
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Furtwängler wurde nach Rom eingeladen und auf einmal ...
Ein Jahr lang zog sich die völlig sinnlose Entnazifizierung Furtwänglers hin. Und dann fand sie auch nur statt, weil Furtwängler eine Einladung nach Rom erhielt, wo man sich nicht im geringsten um die Wünsche der Amerikaner in Berlin kümmerte oder um die Einwände des dortigen Musikoffiziers.
Konzerte in Rom und Mailand, während er in Berlin verboten war - das wäre eine unmögliche Situation für die amerikanischen Behörden in Berlin gewesen.
„Raten Sie ihm doch von Italien ab!" bat mich der bewußte Musikoffizier.
„Ich denke gar nicht daran. Er hat schon viel zu lange gewartet. Ich werde ihm sogar zureden, nach Italien zu gehen."
Die Entnazifizierung in Berlin, eine Farce, fand dann nach wenigen Wochen statt. Und ergab in Minuten, daß sie nie hätte stattfinden müssen.
Das war der Beginn meiner Freundschaft mit Furtwängler, die erst mit seinem Tod endete.
Es ist schwerer, über Furtwängler zu schreiben .....
...., wenn man ihn gut gekannt hat, als es für diejenigen ist, die ihn nur von seiner Arbeit her kannten. Sie sind noch immer des Lobes voll über seine außerordentliche, geniale Fähigkeit, Partituren zum Klingen zu bringen.
Bei ihm hatten einfach Wagner, Brahms, Brückner, Beethoven andere Dimensionen als bei anderen Dirigenten. Das zeigte sich, als viele Jahre nach seinem Tod - fast zwanzig - sein in Rom konzertant aufgenommener „Ring" auf Platte erschien.
Was nur möglich war, weil die Witwe auf Tantiemen verzichtete. Innerhalb von wenigen Tagen wurden diese Platten, technisch durchaus nicht mehr einwandfrei, weltweite Bestseller. Bekannte Plattenfirmen mußten die Preise von „Ring"-Aufnahmen, etwa die von Karajan, von einem zum anderen Tag radikal heruntersetzen. Furtwängler hatte noch nach seinem Tod gesiegt.
Die letzten Monate seines Lebens - im Jahre 1954 - waren schlimm für ihn. Er verlor sein Gehör. Nur wenige wußten davon, und er war von Angst geschüttelt, das Geheimnis könne durchsickern. Seine Situation war ausweglos. Ein Dirigent mit einem Hörapparat? Undenkbar! Zuletzt hörte er nicht einmal mehr, was er selbst dirigierte. Oder doch nur sehr verschwommen.
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Furtwänglers Ende
Nach seinem letzten Berliner Konzert 1952 kam er zu uns. Ich war damals gerade wieder verheiratet - mit der Schauspielerin Heidemarie Hatheyer. Er war nur gekommen, weil wir ihm versprochen hatten, sonst sei niemand da. Er verstand auch einigermaßen, was meine Frau sagte; sie artikulierte eben wie ein Profi.
Was ich sagte, verstand er nicht mehr. „Curt ist wohl erkältet?" fragte er meine Frau. Ich ging hinaus und heulte.
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Die Russen hatten Gustaf Gründgens verhaftet
Aber zurück: Furtwängler war also entnazifiziert - doch ein anderer, der ebenso unschuldig war wie er, saß fast ein Jahr lang in einem sowjetischen Lager: Gustaf Gründgens, Schauspieler, Regisseur und Intendant des Staatstheaters, das Göring als Preußischem Ministerpräsidenten unterstanden hatte und nicht Goebbels - eine Oase, wo durch Gründgens selbst, aber auch durch Emmy Göring und Käthe Dorsch viele Schauspieler arbeiten durften, die anderswo als verfemt galten, weil sie, wie man so schön sagte, jüdisch versippt, das heißt mit einer Jüdin oder mit einem Juden verheiratet waren.
Warum GG, wie man ihn allgemein nannte, eigentlich verhaftet worden war, konnte auch später nie ganz geklärt werden. Vielleicht wurde er denunziert. Vielleicht hielten die Russen die Berufsbezeichnung, die in seinem Paß vermerkt war, „Gen. Int.", für die Abkürzung von „General der Intelligence", während sie in Wirklichkeit die Abkürzung von „Generalintendant" war. Jedenfalls saß er während des größten Teiles des Jahres 1946 im russischen Gefängnis, und alle Bemühungen von Seiten der Schauspieler, die ihn liebten, waren vorläufig vergebens.
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1946 - ein turbulentes Jahr
Ein turbulentes Jahr, besonders in und für Berlin. Der Winter war sehr kalt gewesen, und selbst wir Okkupanten in den requirierten Villen wurden in unseren Heizmöglichkeiten beschränkt - so dekretierte General Clay. Die Berliner froren und erfroren.
Trotzdem - und das rührte mich sehr, schließlich war ich ja trotz allem ein alter Berliner - zeigten sie sich entschlossen, den Grunewald nicht abzuholzen. Zwar hatte die britische Besatzungsmacht, in deren Bereich der Wald lag, dazu keine spezielle Erlaubnis gegeben - ich erinnere mich aber nicht, daß je ein formelles Verbot ausgesprochen worden war. Aber die Berliner froren lieber, als daß sie den Gedanken ertrugen, daß Generationen nach ihnen keinen Grunewald mehr haben würden.
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Boleslav Barlog, Hildegard Knef und das Schloßparktheater
Ich war oft im Theater. Im Schloßparktheater Steglitz, in welchem ein junger, selbst damals wohlbeleibter Boleslav Barlog die Direktion führte und oft Regie machte, und in dem die blutjunge, sehr anziehende Hildegard Knef spielte.
Oder ich ging ins Theater des Westens, in der Nähe des Zoos, das anstelle der zerbombten alten Deutschen Oper jetzt statt Operetten Opern spielte. Auch dieses Haus war stark beschädigt worden, aber unter der Leitung von Michael Bohnen, einem ehemals sehr bekannten Sänger, von den Künstlern selbst wieder unter abenteuerlichen Umständen spielfähig gemacht worden.
Allein über diesen Wiederaufbau eines zum größten Teil zerstörten Theaters könnte man ein Buch schreiben. Wir konnten Michael Bohnen ob dieser Leistung nicht genug bewundern, um so mehr, als er eine vorzügliche Oper machte.
Die Sache mit Bohnen ging nicht gut aus. Es wurde "herausgefunden", daß er in der Nazizeit, obwohl kein Parteigenosse, sich (angeblich) doch einiges hatte zuschulden kommen lassen. Unter anderem belastete ihn eine folgenschwere Denunziation. (Das war die Falschaussage seines Schülers Hans Beirer zu seinen Ungunsten.)
Er konnte diese Anschuldigung und auch andere nicht entkräften (bzw. erst sehr viel später), obwohl Käthe und ich, die wir ihn beide gut kannten und mochten, ihn dazu drängten. Er wurde abgesetzt und verschwand in der Versenkung.
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Dann war da auch Peter Suhrkamp
Oft sah ich den Verleger Peter Suhrkamp. Ich kannte ihn noch aus der Zeit, als er Redakteur bei Ullstein gewesen war, also noch vor Hitler.
Bei "Ausbruch des Dritten Reichs" oder bald darauf hatte ihm Dr. Bermann-Fischer, der Schwiegersohn des großen Verlegers, den gesamten Fischer-Verlag treuhänderisch übergeben, bevor er selbst mit Familie in die Emigration ging. Suhrkamp war nicht zuletzt deswegen später vorübergehend in einem Konzentrationslager gelandet.
Mich hatte Dr. Bermann-Fischer in New York, dort hatte er einen Verlag aufgemacht, gebeten, mich nach Suhrkamp umzusehen, falls ich nach Berlin käme. Mit Mühe fand ich heraus, daß er und seine Frau in Potsdam wohnten. Ich fuhr also hinaus.
Unterwegs sah ich ihn, also wirklich rein zufällig, auf dem Fußmarsch nach Berlin begriffen. Ich war erschüttert - der Mann sah nicht zwölf, sondern dreißig Jahre älter aus. Eine Folge der KZ-Zeit und der Unterernährung. Nicht viel später fand er zwei Zimmer in Zehlendorf West, nur ein paar Minuten vom Pressezentrum und meiner Bleibe entfernt. Wir sahen einander oft, und ich brachte meistens etwas zum Trinken mit.
Er bekam übrigens sehr bald - und das mit Recht - eine der ersten alliierten - ich glaube, britischen - Lizenzen für einen neuen Buchverlag.
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Meine Bleibe in der Argentinischen Allee 2
Ich hatte damals in einer sehr geräumigen Villa in der Argentinischen Allee 2, die einem Bankdirektor gehörte, das gesamte Parterre zur Verfügung. Im ersten und zweiten Stock wurden durchreisende Korrespondenten untergebracht.
Einmal kam für zwei oder drei Tage Klaus Mann. Der Zufall wollte es, daß gerade an diesem Abend Gustaf Gründgens mit mir aß. Er war gerade aus dem Lager entlassen worden, freilich unter der Bedingung, nur an der von den Russen kontrollierten Bühne - dem „Deutschen Theater" - zu spielen. Er sollte eine Art Aushängeschild für sie sein, was ihn nicht gerade beglückte.
Klaus war in den zwanziger Jahren der Schwager von Gustaf Gründgens gewesen, als dieser, allerdings nur sehr vorübergehend, mit Erika Mann verheiratet gewesen war.
Seither haßte Erika ihren ehemaligen Mann, der - sie waren beide Schauspieler - ihr beruflich haushoch überlegen war, so wie eben nur sie hassen konnte. Klaus stand auch nach der Scheidung leidlich mit ihm.
Um so intensiver seine Enttäuschung, als Gustaf Gründgens sich bald nach Hitlers Machtergreifung von Göring als Intendant anheuern ließ. Dies bedeutete für uns Emigranten, die GG mehr oder weniger gut kannten, eine Art Verrat.
Und Klaus schrieb einen Schlüsselroman über GG, „Mephisto" betitelt, in dem er ihn aller möglichen Missetaten beschuldigte, auch rein erfundener oder von anderen begangener. Das war vom Standpunkt der Emigranten durchaus verständlich, ja richtig - gegen Helfershelfer von Verbrechern war keine Waffe schmutzig genug.
Keine Versöhnung zwischen Klaus Mann und Gustaf Gründgens
"Nach Tische" las sich's anders. Ich war kaum in Berlin angekommen und Gründgens, wie gesagt, verhaftet, als ich von allen, aber auch wirklich von allen Seiten hörte, wie mutig, wie großartig er sich benommen, und daß er zahlreichen Künstlern das Leben gerettet hatte.
Er war also nicht „Mephisto" - seine Lieblingsrolle übrigens - gewesen, sondern eher das Gegenteil. Wir in der Emigration hatten das nicht wissen können; kein Gegner des Regimes, der im Lande geblieben war, durfte seine wahren Ansichten an die große Glocke hängen. Jetzt aber mußten wir wissen, wie es um Gründgens stand.
Ich glaubte an jenem Abend, als Gründgens bei mir war und ich Klaus Mann im zweiten Stock desselben Hauses wußte, der Moment für eine Aussprache und Versöhnung sei gekommen. Ich ging also zu Klaus hinauf. Er zauderte lange. Dann lehnte er ab, hinunterzukommen. Der Grund war nicht etwa, daß er noch immer von der Schuld seines ehemaligen Schwagers überzeugt war - das war er nämlich nicht. Sondern: „Erika würde es mir nie verzeihen!"
Klaus Mann macht den ersten Selbstmordversuch
Kurz darauf machte Klaus einen Selbstmordversuch im Hause seines Vaters in Kalifornien. Ich war entsetzt und schrieb ihm einen langen Brief. Er antwortete mir in einem ebenso langen, er würde es nie wieder versuchen.
Dieses Versprechen, nicht nur mir gegenüber, brach er. Beim zweiten Mal klappte es nicht, und wieder einige Zeit darauf erschoß er sich in Cannes.
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Erika Mann's Haß auf Gustaf Gründgens war grenzenlos
Nach dem Tod von Klaus Mann versuchte Erika übrigens, das Buch „Mephisto" auch in Deutschland herauszubringen. Sie war sogar bereit, die Kosten dafür zu übernehmen. Gründgens bedrohte - und mit Erfolg - jeden in Frage kommenden Verlag mit einem Prozeß.
Nach GGs Tod kam das Buch dann doch heraus. Der Adoptivsohn des verstorbenen Gustaf Gründgens klagte. Der Verlag stützte sich auf einen Passus in der deutschen, leicht „bearbeiteten" Fassung von Klaus Manns Memoiren, in der zu lesen stand, die Hauptfigur des „Mephisto" sei kein Porträt seines Schwagers.
Das war nachweislich unwahr, denn in der ursprünglichen amerikanischen Ausgabe der Memoiren hatte er genau das Gegenteil behauptet. Zumindest ein Exemplar dieser amerikanischen Ausgabe existierte noch - in meiner Bibliothek.
Und so wurde das Buch für Deutschland verboten, zur Empörung vieler sogenannter Liberaler, die offenbar nicht den Unterschied kannten zwischen der Freiheit des Wortes und der Freiheit, jemanden zu verleumden.
Und natürlich auch Erikas, die nie wieder ein Wort mit mir sprach und die in die deutsche Ausgabe der Autobiographie von Klaus einige negative Passagen über mich einschmuggelte, die es in der Originalausgabe nicht gegeben hatte.
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Clay wollte es - wir sollten mit den Deutschen Kontakt halten
Argentinische Allee ... Wer kam nicht alles dorthin! Ich gab viele Parties. Ich konnte es mir leisten, ich bekam im PX - dem Einkaufszentrum für amerikanische Soldaten - jede Menge Whisky, Zigaretten, Fleisch zu lächerlichen Preisen.
Und Clay legte Wert darauf, daß ich mit den Deutschen Kontakt hielt - die anderen Korrespondenten taten es selten, die amerikanische Offiziere nie, sie blieben lieber unter sich.
Sie machten auch keine Versuche, auch nur ein paar Worte Deutsch zu lernen. Sie lebten mit ihren Frauen oder ihren Fräuleins in einer Art allerdings komfortablem amerikanische Ghetto.
Zu mir kamen vor allem Schauspieler und Filmschauspieler, ehemalige Journalisten und diejenigen, die den eben erst gegründeten amerikanischen Radiosender Rias Berlin leiteten.
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Bei mir zu Gast war auch Ernst Reuter .......
Es kam auch Ernst Reuter, damals noch nicht Regierender Bürgermeister, sondern nur Abgeordneter im Berliner Stadtparlament. Ein außerordentlicher Mann mit einer bewegten Vergangenheit als Leiter der Berliner Verkehrsbetriebe in den zwanziger Jahren.
Unter Hitler war er, nach einem Aufenthalt im KZ, in die Türkei emigriert. Er kam zurück, als der Krieg zu Ende war. Als Fachmann in Verwaltungsdingen wäre er der gegebene Mann gewesen, um die Leitung der Stadt Berlin zu übernehmen.
Aber die Russen mochten ihn nicht, obwohl er Sozialdemokrat war, weil sie wußten, daß er sie nicht mochte. Er hatte schlimme Erfahrungen mit ihnen gemacht. Und so war es geradezu gefährlich für ihn, als Stadtabgeordneter in das Stadtparlament zu fahren, das in der sowjetischen Zone lag.
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Es kamen Barlog, Meyerink, Mackeben und seine Frau ....
Es kamen Barlog und Hubert von Meyerink, der Komponist Theo Mackeben und seine Frau, Furtwängler natürlich, O. E. Hasse und vor allem Günter Neumann, ein erstaunlicher junger Mann, der reizende und besonders gescheite Chansons schrieb, und seine Frau Tatjana Sais, die diese Chansons sang. Bestes politisches Kabarett, Fortsetzung der Tradition Tucholsky und Mehring.
Das war damals sehr schwierig, denn politisches Kabarett gegen die erledigten Nazis zu machen erschien Günter Neumann zu abgeschmackt. Und Witze gegen die Alliierten oder gar gegen die Russen, die in diesem Punkt besonders empfindlich waren, brachten sofort den Zensor, will sagen die militärischen Stellen, die für solche Sachen uneingeschränkte Befugnis hatten, auf den Plan.
Aber Günter Neumann schaffte es irgendwie. Er schrieb kleine Meisterwerke des Kabaretts, wie zum Beispiel den „Schwarzen Jahrmarkt", der in den 1970er Jahren erstaunlicher- und erfreulicherweise wieder an vielen deutschen Bühnen mit Erfolg gespielt wurde.
Meine Reportage „Der Sohn des Gauleiters"
Damals schrieb ich - neben vielem anderen - eine Reportage „Der Sohn des Gauleiters", in der ich schilderte, wie es in einem Berliner Jungen aussah, dessen Vater allmächtig gewesen war und nach Kriegsende aufgehängt wurde.
Und wie ihn die Umwelt behandelte, nämlich als Aussätzigen. Die Sache wurde eine kleine Sensation in Amerika und England und auch in Deutschland, da man die Geschichte nachdruckte.
Und alle meine Bekannten in Berlin und im Presse-Club wollten wissen: „Wer ist eigentlich der Junge?"
Damals war es auch - ich steckte noch mitten im „Goebbels" -, daß ich mich entschloß, ein Buch über dieses Nachkriegs-Berlin zu schreiben. Es war ja so aufregend und schillernd wie nie zuvor. Und die Berliner verloren trotz der schweren Situation ihren Humor nicht.
„VG" hieß im Volksmund nicht mehr Volksgenosse, sondern „vorsichtig gewesen"; „PG" nicht mehr Parteigenosse, sondern „Pech gehabt".
Ich sagte zu meiner Mitarbeiterin Thea Heller: „Das muß ich schreiben! So eine Zeit kommt nie wieder! Sie erscheint schon heute uns, die wir sie miterleben, unwahrscheinlich. In zwanzig Jahren wird kein Mensch mehr glauben, daß es so eine Stadt, so eine Zeit gab."
So begann ich mein Berlin-Buch.
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