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Heinz Fricks Biografie "Mein Gloria Palast" ist in 14 Kapitel gegliedert.

(von Heinz Frick 1984/86) - Ein Tip: Wenn Sie auf dieser Seite zuerst "gelandet" sind, starten sie bitte hier auf der Hauptseite.

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(11) Daselbst erhob sich große Not.

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Mai 1945 - Der Krieg war aus.

Wir atmeten auf und waren dankbar, daß wir noch am Leben sind. Es gab keinen Fliegeralarm mehr, das Dröhnen der Geschütze war verstummt, die Stalin-Orgeln bellten nicht mehr.

Als wir an den Mauern Anschläge sahen, daß die Luftschutzbunker nicht abgerissen werden dürfen, stutzten wir. Rechneten die Siegermächte mit neuen militärischen Verwicklungen!

An die »Vierzehn Punkte« des amerikanischen Präsidenten Wilson konnten wir Älteren uns erinnern. Wir wußten, was davon übrig geblieben war.

Als "Mars" nach dem II Weltkrieg das Schlachtfeld verließ, glaubten wir, daß für die gequälten Völker eine neue Zeitenwende anbrechen würde. Die Hoffnung wurde bald zunichte gemacht. - Wieviel Dutzende von Kriegen mit wieviel Millionen von Toten gab es nach 1945. Wer sind die Kriegsverbrecher und wo blieb ihr Tribunal.

Der Morgenthau Plan - Wir lernten das große Hungern

Nach den Plänen des amerikanischen Bankiers Morgenthau sollte Deutschland nach dem Krieg in eine Art Strafkolonie mit Kartoffel- oder Rübenäckern und Viehweiden umgewandelt werden, die wir unter der Aufsicht von Besatzungssoldaten bestellten sollten.

Der Ruf nach einem derartigen »Thaupunkt« war so undiplomatisch und töricht, daß man ihn nicht ernst nehmen konnte. Die Haßtiraden von dem sowjetischen Ilja Ehrenburg mit den Aufrufen zur Tötung von deutschen Frauen und Kindern waren so ungeheuerlich, daß er von der russischen Presse gezügelt wurde.

Die Äußerungen von Winston Churchill, daß wir uns nach dem Krieg die Nahrung mit einem Löffelstiel aus der Erde kratzen sollten, wirkte dagegen harmlos. Wir lernten das große Hungern kennen und sahen, wie die Bevölkerung dabei dezimiert wurde.
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Die Gerüchte, Vermutungen und Prophezeiungen wurden wahr

Auf den Fahrbahnen bewegten sich endlose Flüchtlingsströme. Ihr Zustand, ihre Bekleidung, ihre verschmutzen Wundverbände und die entsetzten Gesichter redeten eine deutliche Sprache. Das »Wehe den Besiegten« fiel hundertfach auf uns zurück.

Unsere Nation war entsetzt und tief beschämt über das Verhalten ihrer ehemaligen Regierung. Wir waren bereit Buße zu leisten und eine Wiedergutmachung zu erbringen.

Daß wir den Juden gegenüber eine unlöschbare Schuld auf uns genommen hatten, erfüllt uns noch heute mit Leid. Wir baten sie um Vergebung, obwohl wir wußten, daß unser Makel nie getilgt werden konnte.

17. Juli 1945 - Die Zeit rund um die Potsdamer Konferenz

Die alten Fahnen wurden verbrannt. Dafür gingen die Fahnen der Alliierten an den Masten hoch. Für die Potsdamer Konferenz am 17. Juli, auf der sich Churchill, Truman und Stalin trafen, mußten vor jedem Haus, das an den Zufahrtsstraßen lag, drei Flaggen gezeigt werden.

Der Union Jack, das Sternenbanner und die Sowjetfahne.

Wir erhielten den Befehl, die Fahnen aus vorhandenen Stoffen im Haushalt selbst anzufertigen. Als eine Frau einem Funktionär erklärte, daß sie kein rotes Tuch hätte, sah der Genosse rot und zerschnitt ihr Inlett, damit sie den Stoff verwenden solle. Wie die selbst hergestellten Flaggen aussahen, kann man sich vorstellen.

Fotoapparate, Schreibmaschinen und Radiogeräte waren abzuliefern.

6. August 1945 - Hiroshima - die erste Atombombe

Am 6. August fiel die erste Atombombe über Hiroshima und löschte über hunderttausend Menschenleben aus. Es war, als ob die Vision Homers in Erfüllung geht und der Tag des göttlichen Zorns, jener Tag gekommen war, da das Weltall in Staub zerfällt.

Dies irae, dies illa solvet saeculum in favilla.
(Der Tag des Zornes. Jener Tag wird die Welt in Asche auflösen.)
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Herbst 1945 - Ähren auf den abgeernteten Feldern sammeln

Meine Frau stammt aus einer Kleinstadt in Westpreußen und war praktischer veranlagt als ich. Sie ermunterte mich, daß wir auf die abgeernteten Felder gingen, um dort Ähren zu sammeln. Es war mühselig, denn Hunderte von Hungernden suchten gleichfalls mit uns die Flure ab. Der Rücken schmerzte. Dafür hatten wir morgens einen Teller Suppe und die schmeckte unsagbar süß.

Unser Garten gab wenig her. Die märkische Heide und der märkische Sand erwiesen sich nicht als ertragreich. Das Sprengen mit einer geliehenen Gießkanne, die uns nur begrenzt zur Verfügung stand, erforderte so viel Muskelkraft, daß wir uns manchmal fragten, ob sich der Aufwand lohne. Außerdem mußten wir Holz zum Kochen und Heizen für den Winter sammeln.

Unser damaliger (1920) Pauker mit seiner Heiligenverehrung

In dieser Zeit fiel mir eine Religionsstunde aus dem Jahre 1920 ein. Der Lehrer fragte uns, welche Bitte aus dem »Vater unser« die wichtigste sei. ich meldete mich und antwortete: »Unser täglich Brot gib uns heute.«

Der Pauker entgegnete: »Ja, ja damit Du Fettkloß immer zu futtern hast.« Er erläuterte, daß die Heiligverehrung des Herrn unser wichtigstes Anliegen sein müßte.

Ich konnte damals dem Schulmann nicht folgen, verstand ihn 1945 auch noch nicht und würde heute wieder dieselbe Antwort geben.

November 1945 - eine Sensation in der Ostzone

Im November gab es eine ostzonale Sensation: die Normalverbraucher erhielten ihre ersten Fleisch- und Fettmarken.
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Anfang 1946 - Die DEFA wird gegründet

Als 1946 die DEFA gegründet wurde, bewarb ich mich in Babelsberg um einen kaufmännischen Posten und erhielt von Direktor Rimmler die mündliche Zusage für eine Einstellung. Als ich mich zwei Tage später zum Dienstantritt meldete, bekam ich den Bescheid, daß der Betriebsrat mich ohne Angabe von Gründen abgelehnt habe.

Ich hätte »Die Rothschilds« im »Capitol am Zoo« gespielt

Von einer Cutterin, die mich kannte, erfuhr ich, daß meine Abweisung erfolgte, weil ich »Die Rothschilds« in dem »Capitol am Zoo« gespielt hatte.

Sollte ich darauf dem Betriebsrat den Vorwurf machen, daß er als Maler die Kulissen von »Kolberg« angestrichen hätte.

Daß einem von den 60-70.000 Juden, die im Sommer 1940 in Berlin wohnten, aufgrund des Films ein Leid zugefügt wurde, ist von keiner Seite behauptet worden.

Daß z. B. die eine Schlagzeile des »Daily Express« vom 24. März 1934 »Judea declars war on Germany« den Juden schwer geschadet hat, ist erwiesen.
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Über »Die Rothschilds» (Aktien für Waterloo)

»Die Rothschilds» (Aktien für Waterloo) war so schwach und unbedeutend, daß dies Machwerk in der filmischen Nachkriegsliteratur vielfach nicht erwähnt wurde.

In der deutschen Ausgabe von »Le cinema Nazi« der französischen Autoren Francis Courtade und Pierre Cadars heißt es: » ... ist theatralisch und geschwätzig und kommt über die Mittelmäßigkeit einer großen Zahl historischer Nazifilme nicht hinaus.«

Der Stoff behandelt den bekannten Börsencoup von Nathan Rothschild in London, bei dem er durch Agenten das Gerücht verbreiten ließ, daß die Engländer 1815 bei Waterloo durch Napoleon besiegt worden seien.

Tatsächlich hatte der britische Feldmarschall Wellington die Franzosen geschlagen. Aufgrund der Falschmeldung entstanden vorübergehend katastrophale Kursverluste der englischen Staatspapiere. Rothschild kaufte die Obligationen und wurde über Nacht Millionär, als die wahre Siegesmeldung in London eintraf.

Das Thema wurde auch nach 1945 unter dem Titel »Rothschild siegt bei Waterloo« auf deutschen Bühnen gezeigt.

Am Morgen der Schlacht hatte der Kaiser eine Ansprache an seine Offiziere gehalten: »Ich sage Ihnen: Wellington ist ein schlechter General, die Engländer sind schlechte Soldaten. Vor dem Mittagessen sind wir mit der Sache fertig.«

Das alles und viel mehr war kurios bis makaber

Die Disposition für den Film - die Bestimmung des Einsatzes in dem jeweiligen Uraufführungshaus von Berlin - erfolgte duch den UFA-Vorstand. Bei politischen Filmen geschah dies im Einvernehmen mit dem Propagandaministerium.

In der Rückblende könnte man über die Begründung meiner Nichteinstellung lachen. Damals war es in Deutschland möglich, daß ein ehemaliger Reichstagsabgeordneter (Wilhelm Simpfendörfer), der 1933 für das Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte, Kultusminister in Baden-Württemberg wurde.

Mit jenem Gesetz vom 24.3.1933 »zur Behebung der Not von Volk und Staat« wurden Grundlagen der Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt. 1959 ehrte eine Urkunde den Herrn als einen »liberalen Mann, der sein Leben lang für die Würde des Menschen eingetreten ist«.

Ein politisch Unbelasteter, der sich um einen bedeutungslosen Posten als Sachbearbeiter in einer Filmatelierverwaltung bewarb, wurde abgewiesen.

Abgewiesen, weil er von Amts wegen einen Film öffentlich vorführen lassen mußte. Ich hatte nicht die Wahl, den Film zu spielen oder abzulehnen. Da für mich kein Grund bestand, einen Gang nach Canossa anzutreten, blieb ich zu Hause.

Wait and see. - »Vom Winde verweht« in West-berlin

Nach Beendigung der optischen Blockade hatten wir in »Die Kurbel« von Westberlin Gelegenheit, »Vom Winde verweht« zu sehen. Das erste Filmepos von über drei Stunden Länge zog die Besucher jahrelang in den Bann. Während des Krieges war schon eine Beutekopie im Propagandaministerium gezeigt worden, von der Dr. Goebbels beeindruckt war.

Nach einjähriger Laufzeit hatte man noch Schwierigkeiten, Karten zu bekommen. Als der Schauspieler Aribert Wäscher das Kino aufsuchte, wurde ihm im Gedränge des Foyers seine Taschenuhr entwendet.

Das war eine Pointe für »Die Insulaner«, von der wir im RIAS hörten:

»Nachdem Aribert Wäscher ein Film sich angeschaut,
da wollt' er auf die Uhr sehn,
doch die Zwiebel war geklaut.
Man fragte, ob die Leinwand den Wäscher so gebannt,
»nee, nee«, sprach da der Aribert, ich spürte schon ne Hand!
Doch dacht' ich nicht an Taschenuhr-Entnahme,
ich hoffte, was da krabbelt, is ne Dame!«
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Die DEFA übernahm das UFA Gelände und den Dönhoffplatz

Eines Tages klopfte die "Deutsche Film AG" bei mir an und ließ mir bestellen, daß ich mich bei Herrn Rimmler melden möchte. Der Betriebsrat war wegen Unregelmäßigkeiten entlassen worden und meiner Einstellung stand nichts mehr im Wege.

Das ehemalige UFA-Gelände war noch von der Roten Armee besetzt und die Einrichtung teilweise demontiert. Die DEFA arbeitete in dem früheren Althoff-Atelier. Dort erhielt ich eine Anstellung mit 300,- Anfangsgehalt.

Ich sollte Theaterleiter bei der DEFA werden

Die Arbeit war interessant, denn ich mußte öfters in die Aufnahmehallen und konnte so das Entstehen von »Wozzeck« verfolgen. Daß Kurt Meisel mich manchmal in seinem Wagen mitnahm, fand ich besonders nett.

Der damalige Generaldirektor der DEFA, Lindemann, bestellte mich bei Gelegenheit in die Zentrale am Dönhoffplatz. Dort teilte er mir mit, daß die DEFA in Kürze verschiedene Kinos übernehmen und ich als Theaterleiter eingesetzt werden würde.

Die erste politische Schulung durch einen russischen Oberleutnant

Im Atelier erlebte ich zum ersten Mal eine politische Schulung. Ein russischer Oberleutnant führte sie durch. Wir staunten über seine profunden Kenntnisse.

Als wir es einmal wagten, ihn auf einen besonders groben geschichtlichen und berechnungs- mässigen Fehler aufmerksam zu machen, erwiderte er: »Ich bin nicht hierhergekommen, um mich von Ihnen belehren zu lassen, sondern Sie haben meine Belehrungen entgegen zu nehmen.« Das war erfrischend deutlich.

Jetzt ging es schon wieder los mit den Verhaftungen

Als ein beliebter Kollege von der Requisitenkammer verhaftet wurde, und wir niemals den Grund der Festnahme und auch nicht den Aufenthaltsort des Mannes erfuhren, schlichen sich bei uns Mißtrauen und Angst ein. Zu der Zeit fiel mir auf, daß sich verschiedene Mitarbeiter in den Westen absetzten.
Ich war froh, wieder arbeiten zu können, hielt mich von jeder Politik heraus und hatte trotz der Gängelei Mut gefaßt.

1947 - Schon wieder krank - für ein ganzes Jahr

Es kam anders. Ein Krankenhausarzt hatte auf Grund einer Fehldiagnose das Auffüllen meines Pneus eingestellt. Durch den Wegfall dieser Schutzmaßnahme und die Auswirkungen des ständigen Hungerns wurde mein Leiden wieder aktiv.

Nach über einjährigem Krankenhausaufenthalt bezog ich ab 27.1.48 eine monatliche Invalidenrente von 78,30. Obwohl ich in Mathematik die Note fünf hatte, konnte ich auch ohne Rechenschieber ermitteln, daß von diesem Betrag nicht zwei Personen leben könnten.

Bei »Vater Staat« anzuklopfen, lag uns beiden nicht und meine Frau nahm eine Halbtagsstellung als Kassiererin an. Im September 1950 wurde ich bedingt arbeitsfähig.

Inzwischen war ich von der DEFA entlassen worden

Da ich von der DEFA entlassen war, bewarb ich mich bei der "Staatlichen Handelsorganisation" in Potsdam.

  • Anmerkung : Diese "Staatliche Handelsorganisation" betrieb die gesamten HO-Läden in der Ostzone, insbesondere Lebensmittel und Kleidung. Vergleichbar ist diese HO-Organisation mit der bei uns bekannten damaligen "KONSUM" Organisation, die aber privatwirtschaftlich organisiert war und auch entsprechend viel Ware in den Regalen hatte. Der Ostberliner "Konsum Laden" in Berlin Karow am Bahnhof sah manchmal aus wie nach dem 30-jährigen Krieg, nämlich völlig leer. Das fiel mir sogar als 7-jähriger Knirps auf, als ich mehrfach in den Sommerferien zwischen 1955 und 1961 bei Oma und Opa in Ostberlin "geparkt" war.


Der Personalchef war mit meiner Einstellung einverstanden, schickte mich aber zuvor zu dem betreffenden Abteilungsleiter, da er kein Fachwissen hatte.

Dieser Herr lehnte mich mit der Begründung ab, daß sie keine Leute gebrauchen, die zwar wissen, wie man Zarah Leander einen Handkuß gibt, aber keine Bilanz lesen könnten.
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1951 - In den Diktaturen verschleißen sich die ersten Garnituren schnell

Als ich nach vier Wochen erfuhr, daß jener "witzige" Herr abgelöst war - in den Diktaturen verschleißen sich die ersten Garnituren schnell - versuchte ich mein Glück nochmal.

Diesmal klappte es und schon am 20.4.1951 wurde ich zum Hauptkassierer ernannt. Mit meiner selbständigen Stellung war ich durchaus zufrieden.
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1951 - Ich war dem ständigen politischen Druck ausgesetzt

Ulbricht wollte mal einen auf "seriös" machen

Leider waren wir einem ständigen politischen Druck ausgesetzt. Die Spendenforderungen für politische Zwecke nahmen kein Ende. Sie wurden während des Dienstes ebenso verlangt wie die Unterschriften für Abonnements von Zeitungen oder Zeitschriften und »Resolutionen«.

Eines Tages kam einer unserer Berufsspitzel, den wir wegen seiner Ähnlichkeit mit Ulbricht den »Spitzbart« nannten, in mein Büro und sagte wörtlich zu mir:

»Ich muß Sie ersuchen, in die >Deutsch-Sowjetische Freundschaft< einzutreten.« Auf meine erstaunte Frage, wer ihn zwingen würde, ein Ersuchen an mich zu richten, erwiderte er, daß diese Werbung zu seinen allgemeinen Aufgaben gehören würde.

Ich antwortete ihm, daß eine Freundschaft, genau so wie eine gute Ehe, von beiden Seiten gewünscht sein müßte. Wenn ein Teil dabei unter Zwang stehen würde, wäre es besser, eine solche Verbindung nicht einzugehen.

Eine erste Warnung eines Kollegen

Zwei Tage später warnte mich ein Mitarbeiter der »Abteilung Schulung« vor solchen Antworten, da diese »schriftlich festgehalten« werden. Die Werbung für diese »Freundschaft« nahm solche grotesken Formen an, daß man sich nicht scheute, Goethe als Anhänger dieser Vereinigung anzuführen, falls er noch am Leben wäre.

Wir wurden auch aufgefordert, politische Briefe nach Westdeutschland zu schreiben, die dem »Großen Bruder«, der SED, zur Zensur vorgelegt werden mußten. Als ich in meinem ersten und letzten Schreiben von dem »Germania irredenta« (unerlöstes Deutschland) sprach, vermutete man dahinter eine »faschistische« Formulierung und verlangte von mir Aufklärung.

Ich konnte den Herren Aufschluß geben, daß dies Wort im Sinne von Goethe, den sie in der Schulung wiederholt anführten, in einem seiner Briefe an Eckermann gemeint war. Dort heißt es: »Mir ist nicht bange, daß Deutschland nicht eins werde. Vor allem sei es eins in der Liebe untereinander und immer sei es eins, daß der deutsche Taler und Groschen im ganzen Reiche gleichen Wert habe. Eins, daß mein Reisekoffer durch alle deutschen Lande passieren könne.«

Dieser Text paßte so gar nicht in die aufkommenden Abgrenzungsparolen.
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Die bösen Anzeichen mehrten sich - das alles hatten wir doch schon mal - und vor gar nicht allzu langer Zeit

Offiziell grüßten noch in Stadt und Land die großen Schriftzüge: Deutsche an einen Tisch! Der Leiter unserer Werbeabteilung hatte mir mitgeteilt, daß die SED ihn aufgefordert hatte, die Parolen »Nie wieder Krieg!« aus den Fenstern der HO-Läden nehmen zu lassen.
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In einem "Auto-Atlas" von 1950, den das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« herausgab, hieß es, daß es »höchstes Ziel unseres Volkes sei, die Schlagbäume zwischen Ost und West niederzureißen«.
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  • Anmerkung : Bereits hier zeigt sich dieses völlig irre Paradoxum, denn wer hatte 1951 in der Zone bzw. Ostzone ein Auto ? Privat hatte ganz sicher nur das Politbüro diese schwedischen oder russischen Panzer-Karossen und dort hatten die Fahrer vermutlich russische Atlanten.

    Genauso völlig irre oder bekloppt war es, als in der ostzonalen "Radio und Fernsehen" von 1951 aus der Ostzone seitenlang ein neues Autoradio zerlegt und beschrieben wurde. In 1951 wußte man dort drüben noch nicht, daß man auf den "Trabbi" zwischen 15 bis 30 Jahren warten müsste und der "Wartburg", in den das auch rein gepaßt hätte, war völlig hinter jedem zeitlichen Horizont. Im späteren SFB- Westfernsehen (vom Westberliner Fernsehturm in den Ostteil übertragen) wurden aber die Verkäufe des 1 Millionsten VW-Käfers publik.


In diesem Sinne verkündete einer der ostzonalen Dichtergrößen:

  • »Schumacher, Schumacher, Dein Schuh ist zu klein,
  • da paßt doch nicht ganz Deutschland rein.«


Kurt Schumacher war Vorsitzender der SPD und ihr Oppositions- führer im (westdeutschen) Bundestag. Manchmal hatten wir den Eindruck, daß uns unsere ostzonalen Funktionäre den Status von politischen Analphabeten zubilligten. Kein Wunder, daß die Schulungen bald als »Märchenstunde« bezeichnet wurden.
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Bevormundung, Indoktrination und Einengung des persönlichen Freiheitsraumes

Da staatliche Bevormundung, Indoktrination und Einengung des persönlichen Freiheitsraumes unses Lebens insgesamt überschatteten, hatten wir uns abgewöhnt, die Redner wegen ihrer oft absurden Ausführungen zur Rede zu stellen. Deswegen wollten wir nicht Schikanen und beruflichen Nachteilen ausgesetzt sein.

Die »Newspeak« im Sinne von Orwell »1984« (ein amerikanisches Buch aus dem Juni 1949) und die damit verbundene parteigelenkte Gehirnwäsche beherrschten die Redner mehr schlecht als recht.

Wenn man ein Kriegsministerium als Friedensministerium bezeichnet und weitere Umkehrungen von Sprachbegriffen vornimmt, kann dies zu einer Verwirrung in der Bevölkerung führen.
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Honecker war kein Glanzlicht für die SBZ/Ostzone/DDR

Wenn Herr Honecker die Existenz zweier deutscher Staaten als »Glück für die Menschheit« bezeichnete, so ist das nicht nur zynisch, sondern auch typisch für die bei ihm herrschende Rabulistik. Recht, Freiheit und Humanität sind unteilbar.

Da nützt es auch nichts, wenn die SED den Alten von Sanssouci wieder »rehabilitiert« hat und ihn »Unter den Linden« reiten läßt.

Von Friedrich II stammt das Wort, daß bei ihm »jeder nach seiner Fasson selig werden kann«. Er konnte die Tore seines Landes öffnen, um die religiös und politisch Verfolgten aufzunehmen. Die Siedlungen der Hugenotten und Refugies zeugen noch heute von der Liberalität des Friedericus Rex. Von ihm erging der eigenhändig geschriebene Erlaß, daß »die Gazetten nicht geniret werden dürfen«. Sein überragender Geist konnte auf eine »redigierte« Einheits-Presse verzichten.
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Die »Expropriation der Propiateure« - (Erklärung im Text)

Ein Redner konnte mit einer politisch-literarischen Novität aufwarten. Er teilte uns mit, daß er sein Wissen aus einem Werk beziehen würde, das aus dem Russischen ins Deutsche übertragen wurde. Es hieß »Das Kapital«.

Ob es an der Übersetzung oder dem dürftigen Wortschatz des Vortragenden lag, wenn wir die Lehre nicht verstanden, vermochte ich nicht zu beurteilen. Der Funktionär konnte uns nicht von der Richtigkeit der »Expropriation der Propiateure« überzeugen.

(Nach der Lehre von K. Marx bedeutet es, wenn auf der Grundlage des gesellschaftlichen Eigentums das individuelle Eigentum an den Produkten hergestellt wird.)

Vielleicht lag es auch daran
, daß wir zu viele Einzelheiten aus dem Mund von Sowjetsoldaten über die Zustände in der UdSSR erfahren hatten.
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Ein ganz besonderes aber seltenes Erlebnis

Ein besonders geschulter Kursusleiter konnte sogar den spröden Stoff mit Humor würzen. Nachdem er mehrmals das Wort Homogenität benutzt hatte, fragten wir ihn nach Beendigung seines Vortrages, was das Wort bedeute. Er zögerte kurz und erklärte: »Homogenität, das ist eben die Ho - mo - ge - ni - tat.«

Und einem Parteiredner hörten wir mit besonders großem Interesse zu. Er hatte eine gute Allgemeinbildung, politisch-militärische Kenntnisse und beherrschte auch die Kunst des Vortrages. Bei seinem Wohnungsumzug von der Mark Brandenburg nach Ostberlin floh er jedoch über Nacht in die Schweiz !!!!!! .
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Ein besonderes Intermezzo für die öde Schulung

Ein besonderes Intermezzo für die öde Schulung brachte ebenfalls ein »Genosse Dozent«. Zum Schluß eines Unterrichtes verteilte er Zettel an uns, die ein hektographiertes »Kampflied« enthielten.

Den Text sollten wir auswendig lernen und ihn in der nächsten Stunde singen. Als es in der kommenden Woche so weit war, entnahm der Redner einem Geigenkasten eine Violine und spielte die Melodie, zu der wir singen sollten.

Nur drei Genossen fielen zaghaft ein und wir merkten, daß sie den Text nicht beherrschten. Der Musikant brach ab und gab einen neuen Einsatz. In dieser kurzen Pause hatten wir »Unpolitischen« uns mit einem Blick und dem Kennwort »Mantua« verständigt, daß wir den Text zu der uns bekannten Melodie mitsingen würden und stimmten lautstark ein:

  • »Zu Mantua in Banden der treue Hofer war,
    zu Mantua in Schanden führt ihn der Feinde Schar ...«


Der Schulungsleiter brach sein Geigenspiel ab und fragte, was wir da singen würden. Wir konnten ihm antworten, daß wir keinen anderen Text zu der Melodie kennen würden. In Zukunft fand kein Gesangsunterricht mehr statt.
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Der abgesetzte Oberbürgermeister Paul von Potsdam

Die Flucht eines höheren Ex-Funktionärs hätte beinah den Verlust meines Postens bedeutet. Der ehemalige Oberbürgermeister Paul von Potsdam war ohne Bekanntmachung abgesetzt worden und hatte stillschweigend einen Posten in unserer Verwaltung bekommen.

Eines Tages kam eine Dame in mein Büro, sagte, daß sie Frau Paul wäre und bat mich um das erste Gehalt ihres Mannes, da er krank geschrieben sei. Ich bedauerte, es ihr nicht ohne Vollmacht geben zu können. In dem Augenblick betrat unser Hauptbuchhalter, Herr Gerbig, die Kasse und begrüßte die ihm bekannte Frau. Als sie ihm mitteilte, daß ich mich weigerte, ihr das Gehalt zu geben, ordnete der Prokurist an, das Geld auszuhändigen.

Am nächsten Tag verkündeten westliche Zeitungen: Ex-Oberbürgermeister Paul von Potsdam nach Westberlin geflohen. Kaum hatte ich die Meldung erfahren, als ich von dem Personalchef Kaiina angerufen wurde, daß das Gehalt von Genosse Paul gesperrt sei.

Auf meine Antwort, daß seine Frau es schon auf Veranlassung von dem Hauptbuchhalter bekommen hätte, erwiderte er, daß dies ein Nachspiel für mich haben würde. Obwohl der Fall klar war, führte das SED-Sekretariat darüber eine Untersuchung durch. Die Angestellten dieser Institution bezogen ihre Gehälter von der HO. Sie befanden, daß ich mich einwandfrei in der Sache verhalten hätte.
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1952 - Mao-Tse-Tung "kommt" nach Potsdam.

Ein politisches Ereignis ersten Ranges stand bevor: Mao-Tse-Tung kommt nach Potsdam. In sämtlichen Diensträumen der HO-Landesleitung - natürlich auch in der ganzen Ostzone - mußten Spruchbänder und Begrüßungsparolen angebracht werden.

Mit der diesbezüglichen Aufforderung an uns wurde die Mitteilung verbunden, daß die SED unsere Maßnahmen kontrollieren würde. Trotz der ungehörigen Kontrolldrohung ließ ich von der Mitarbeiterin, die für mich schrieb, den Satz anbringen: »Alt und jung grüßt Mao-Tse-Tung.«

Gestanzte Buchstaben hatte man uns reichlich geliefert. Es kam eine Funktionärs- kommission, ging durch die Räume und begutachtete die Vorkehrungen für den chinesischen Gast. Mit der Parole waren sie einverstanden und ein Genosse kam zu der Feststellung: »Das reimt sich ja auch.« Drei Stunden danach wurde ich von dem Parteisekretariat angerufen, daß ich »die billige Jahrmarktreimerei« wieder entfernen sollte.

Auf meine Frage, ob der über fünfzehn Meter lange Text vor dem Bahnhof Friedrichstraße: »Schickt Reuter in die Türkei, dann ist Berlin wieder frei!« geistreicher und stilistisch vollendeter wäre, erhielt ich keine Antwort.

Am Nachmittag des nächsten Tages wurde der Staatsbesuch abgesagt und der ganze Aufwand samt Zeitverlust und die Herstellung der chinesischen Fahnen erwiesen sich als Leerlauf.

Urplötzlich - Von der HO entlassen zum 5.1.1953

Am 19.12.1952 bekam ich ein Zeugnis von der HO, dessen letzter Satz lautete: »Sein Ausscheiden erfolgt am 5.1.1953 auf Grund der Liquidierung der Landesleitung.« 02 Personal - gez. Geffke

Ein unvergessliches Weihnachtsbonbon. Mir fiel die Schulung ein: Im Mittelpunkt steht der Mensch. Unsere Sorge gilt dem Menschen und ist für den Menschen bestimmt.
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Das Wort "Liquidierung" war ein GESTAPO Jargon .....

Bei dem Wort Liquidierung lief mir ein Schauer über den Rücken. Bald danach wurden mehrere Kollegen und ich von einer HO-Dienststelle angefordert und meine berufliche Existenz schien gesichert.

Ehe es dazu kam, berichtete mir ein Mitarbeiter der Abteilung Revision, daß der Parteisekretär jener HO-Stelle die Übernahme von uns beiden abgelehnt hätte.
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1953 - In den Mühlen der Ostzonenbürokratie

Zu Beginn des neuen Jahres schrieb ich zahlreiche Bewerbungen. Entweder blieben sie unbeantwortet oder ich bezog Absagen. Verschiedene Betriebe hatten die Parole »Spare mit jedem Pfennig, mit jedem Gramm, mit jeder Minute!« zu wörtlich genommen. Sie schickten meine Unterlagen unterfrankiert zurück und ich mußte das Nachporto entrichten.

Warum mein Antrag auf Arbeitslosenunterstützung abgelehnt wurde, konnte ich nicht erfahren. Einmal erklärte man, daß mein Gesuch zu spät abgegeben wurde. Als ich nachweisen konnte, daß dies nicht stimmen würde, führte man als Begründung den Verdienst meiner Frau in ihrer Halbtagsstellung an.

Alles Lug und Trug : »Für Arbeit, Brot und Freiheit«

Darauf richtete ich ein Schreiben mit der Bitte um Beschäftigung an das Ministerium für Arbeit, Berlin N4, z. Hd. von Herrn Minister Chwalek. Der Herr war von 1930-1933 Reichstagsabgeordneter der KPD. Er konnte mir sicher helfen, meinen verfassungsmäßigen Rechtsanspruch auf Arbeit durchzusetzen. An dem Karl-Liebknecht-Haus in Berlin stand jahrelang: »Für Arbeit, Brot und Freiheit«.

Auf die Freiheiten von Wort und Schrift oder des Reisens, des beliebigen Empfangs von Bild und Ton aus dem Äther mußten wir verzichten. Ebenso auf die Freiheit einer unbeschränkten Berufsentscheidung. Überall stand das Veto des »Big brother«.

Das Verlassen des Landes, in das Millionen von Einwohnern infolge der Kriegswirren zufällig verschlagen worden waren, wurde über Nacht strafbar.

Aus dem Vermerk »In den Westen abgesetzt« auf den Lohnkonten wurde »Republikflucht« konstruiert. Das klang fast so, als ob wir zu einer Art Staatssklaven ohne Aussicht auf Befreiung eingestuft wurden.

Auf der Suche nach Arbeit im Arbeiter- und Bauernstaat

Das Recht auf Arbeit wollte ich aber nicht preisgeben. Ein solcher Verzicht hätte für mich den Entzug von Lebensmitteln bedeutet, auf die ich, um meine Arbeitskraft zu erhalten, angewiesen war.

Minister Chwalek aus Berlin antwortete mir, ich solle doch berücksichtigen, daß die Betriebe ihre Arbeitskräfte selbst werben und einstellen können und die Abteilung Arbeit und Berufsausbildung den Betrieben nur Arbeitskräfte nennen kann. Es sei deshalb notwendig, die Abteilung Arbeit zu unterstützen und mich selbst bei einzelnen Betrieben zu bewerben.

Als ich das Schreiben dem Arbeitsamt vorlegte, sagte die jugendliche Mitarbeiterin: »Wir haben keine Arbeit, und wenn der Minister welche hat, kann er sie Ihnen ja geben.«

Der Anwärter mit der wenigsten Ahnung - und der war ich.

Ich gab meine Bemühungen nicht auf und stand nach einigen Wochen im Personalbüro eines Konfektionsbetriebes in der Ostberliner Greifswalderstraße.

Die Firma hieß »VEB Treffmodelle« und hatte per Inserat einen Gehaltsbuchhalter gesucht. Es waren über zehn Bewerber versammelt. Einer von den Anwärtern, der wenig Ahnung von der Materie hatte, wurde eingestellt. Der Mann war ich.

Meine Anstellung war für mich bald mit einem ungewöhnlichen Gewinn verbunden. Für »qualifizierte Arbeit« erhielt ich eine Prämie in Form von Stoff und konnte mir davon einen Anzug machen lassen. Einen weiteren Anzug von der Ausschußware konnte ich billig erwerben.
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Ein Schildbürgerstreich - war typisch

Bei einem innerbetrieblichen Wettbewerb mit Musik, Kernsprüchen, Parolen und warmen Würstchen war Schund produziert worden, den man nicht dem Handel anbieten konnte. Der unverkäufliche Ramsch hatte einen derartigen Umfang angenommen, daß für seine Unterbringung ein Schuppen gemietet werden mußte.

Für die Bewachung des Lagers wurde ein Wächter mit Hund eingestellt. Da der Schuppen undicht war, drang Regenwasser ein und ein Teil der Bekleidung begann zu schimmeln.

Während einer Betriebsversammlung machte ein Genosse den Vorschlag, die »schwer absetzbare Ware« an die Volksrepublik China zu verkaufen. (Alt und jung grüßt Mao-Tse-Tung.) Ich konnte nicht verfolgen, wie der Schildbürgerstreich ausging.

Die dienstlichen Versuchungen

Die Krankheitsmeldungen vom Personal mußten im Lohnbüro abgegeben werden und wir konnten daraus die Gründe der Arbeitsunfähigkeit entnehmen. Die Einsicht in die Privatsphäre war für beide Teile peinlich, zumal überwiegend Frauen bei uns tätig waren.

Das Krankengeld wurde vom Lohnbüro berechnet und ausgezahlt. Wir wurden auch angehalten, die Erkrankten nach Dienstschluß zu besuchen, was von diesen als Bespitzelung empfunden wurde. So war es auch von der Betriebsleitung gedacht. Es fanden sich Mitarbeiter, die meldeten, daß sie die Kollegin N. abends beim Wäscheplätten angetroffen hätten.

Im Verlauf eines solchen Krankenbesuches bei einer jungen geschiedenen Frau ritt mich der Teufel. Als ich glaubte, daß sie meine Hand beim Verabschieden zu lange drückte, zog ich die Kollegin an mich und küßte sie.

Am nächsten Morgen glaubte ich noch zu träumen, als ein etwa dreijähriges Mädchen mit seidenen schwarzen Locken an meinem Lager stand. Sie betrachtete mich halb ängstlich, halb neugierig und richtete auch ihre erstaunten dunklen Augen auf die unverhüllten Halbkugeln ihrer Mutter, die noch im Schlummer lag.

Ich hatte nicht den Eindruck gehabt, daß die liebenswerte Kollegin krank gewesen ist und fertigte keine Meldung über den Besuch an.

Und wehe, Du hörst West-Radio, gefeuert

Etwa 1955 kam die Kollegin von der Telefonzentrale weinend an meinen Schreibtisch und legte mir ihre fristlose Entlassung hin. Was war geschehen. Zwei betriebsfremde Techniker hatten eine Störungssuche an der Telefonanlage vorgenommen. Während dieser Zeit hatte die Telefonistin kurz die Schaltzentrale verlassen.

Während ihrer Arbeit haben die Techniker - ob aus Versehen oder mit Absicht konnte nicht geklärt werden - die Welleneinstellung des dortgelegenen Radioempfängers berührt. Als die Kollegin zur gewohnten Stunde den Rundfunk einschaltete, hörten wir aus den Lautsprechern: »Hier ist der RIAS Berlin ...« Das Empfangen dieses Senders war damals untersagt. Seine Hörer wurden der SED und Vopo gemeldet.

Nachdem die bestürzte Telefonistin ihre Fassung zurück hatte, stellte sie die Geräteskala auf Ostberlin ein. Als Grund für die fristlose Kündigung wurde angegeben, daß sie es nach ihrer Rückkehr auf den Arbeitsplatz versäumt hatte, die Welleneinstellung zu überprüfen.

Wenn eine leitende Genossin Gericht "spielt"

Noch unglaublicher war eine andere fristlose Entlassung. Zwei Schneiderinnen von uns hatten in einem Westberliner Kino »Solange Du da bist« angesehen. Zu ihrer Verwunderung saß drei Reihen vor ihnen eine Hauptfunktionärin von »VEB Treffmodelle«.

Am nächsten Tag erzählten die Kolleginnen lachend und arglos von ihrem Filmbesuch und der Anwesenheit der Genossin in dem Kino. Es wurde »weitergemeldet« und beide Angestellten wurden wegen »Verleumdung« fristlos entlassen.

Obwohl die Schneiderinnen bei ihrer Behauptung blieben, stritt die Funktionärin ab, in dem Kino gewesen zu sein. Daß sich eine leitende Genossin zum Gericht in eigener Sache erheben darf, war für mich unfaßbar. Bei der Frau ganz besonders, denn sie hatte die schweren Jahre ihrer Emigration in England verbracht. Ihren liberalen Bruder - einen bekannten Theater- und Filmregisseur - lernte ich später in Westberlin kennen.

Ich sollte gekündigt werden, aus unbekantem Grund

Unvermutet erhielt ich vom Arbeitsamt die Aufforderung, zu meiner Entlassung Stellung zu nehmen, die von der Firma beantragt worden war. Als Schwerbeschädigter stand ich unter Kündigungsschutz.

Ich empfand es als befremdend, daß man mir meine beabsichtigte Kündigung verheimlichte und ich davon über das Arbeitsamt erfuhr. Das Amt verweigerte die Erlaubnis.

Nach dem Versuch der Firma, mich abzuschieben, bewarb ich mich als Empfangssekretär im »Hotel Johannishof« am Bahnhof Friedrichstraße. Ich mußte mich im Gästehaus der Regierung am Wilhelmplatz vorstellen. Der zuständige Herr war mit mir einverstanden, sagte aber, daß ich noch nicht kündigen solle, da die letzte Entscheidung über meinen Eintritt bei der SED liegen würde. Ich wurde abgelehnt.

Spätsommer 1956 - Schon wieder Intrigen hinter meinem Rücken

Im Spätsommer 1956 teilte mir ein Genosse mit, daß »VEB-Treffmodelle« wiederum meine Entlassung beim Arbeitsamt beantragt hatte, es geschah abermals hinter meinem Rücken. Der Kollege, von dem ich die Nachricht bekam, wollte sich erkenntlich zeigen, weil ich beim Einbehalten seines Gehaltsvorschußes entgegenkommend war.

Da die Partei schon zweimal meine beruflichen Pläne vereitelt hatte, ein dritter Versuch war an dem Arbeitsamt gescheitert, konnte ich nicht abwarten, wie ein vierter Vorstoß ausgehen würde. Ich wollte nicht länger der Willkür von anonymen Funktionären ausgeliefert sein.

Ich beschloß, nach Westberlin zu gehen.
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Genug ist einfach genug - weg aus der Ostzone

Meine Frau wollte diesen Schritt ins Ungewisse, der mit einem abermaligen Verlust unserer Habe und langer Wohnungslosigkeit verbunden sein würde, nicht mitmachen.

Außerdem hatte der ehemalige Regierende Bürgermeister Reuter schon 1953 mögliche Flüchtlinge öffentlich gewarnt: »Berlin ist nicht unbegrenzt aufnahmefähig.«

Für mich war der Würfel gefallen.
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