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Heinz Fricks Biografie "Mein Gloria Palast" ist in 14 Kapitel gegliedert.

(von Heinz Frick 1984/86) - Ein Tip: Wenn Sie auf dieser Seite zuerst "gelandet" sind, starten sie bitte hier auf der Hauptseite.

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(4) Beruf oder Berufung

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1928 - Mit 18 Jahren allein nach Berlin

Trotz der Einladung in den Harz fuhr ich Ostern 1928 allein nach Berlin. Auf die Frage von Mama, warum ich nicht mit Klaus zusammen auf dem Schloß sei, erklärte ich, daß ich abgeschrieben hätte, um nun bei ihrem Bruder Arwed Mathematikstunden nehmen zu können.
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Eigentlich wollte ich Journalist werden - wurde aber abgelehnt

Daß ich in Wirklichkeit nach einem Beruf Umschau halten wollte, verschwieg ich noch. Ich dachte wieder an eine Ausbildung zum Journalisten. Obwohl ich zwei gute Bekannte in der Redaktion von Mosse hatte, wollte ich ihre Hilfestellung nicht in Anspruch nehmen. Mein Gesuch, als Volontär ohne Vergütung in den Verlag einzutreten, wurde abgelehnt.
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Also doch eine Lehrstelle suchen ...

Da besann ich mich auf meine Bücherliebe und stellte mich in verschiedenen Buchhandlungen vor, um eine Lehrstelle zu erhalten. Im allgemeinen war man freundlich zu mir, erklärte aber, daß ich zu spät käme, weil die Osterferien in Berlin früher begonnen hatten. Die Neueinstellungen waren demnach abgeschlossen. Der Inhaber eines Geschäftes in der Leipziger Straße gab mir aber den Rat, mich bei dem Börsenverein der Berliner Buchhändler, dem Fachverband, zu melden. Von dort schickte man mich zu dem Buchhaus Hermann Bahr in der Linkstraße nahe Potsdamer Platz. Dort verlangte man eine schriftliche Bewerbung, die abschlägig beschieden wurde.

Trotz Absage war ich hartnäckig

Ich ließ nicht locker und stellte mich nochmal vor. Es war wieder vergebens, da keine »Vakanz« vorhanden war.

Da kam mir eine Idee. In der Bücherei unseres Vaters befand sich eine sogenannte Klassikerausgabe, ich glaube sie enthielt die Schriftsteller Arnim bis Wieland mit etwa 130 Bänden. Diese Bücher enthielten sämtlich den blauen Einkleber der Firma Hermann Bahr. Das erste und letzte Buch nahm ich an mich und wartete damit unauffällig in der Nähe des Geschäftes. - Ich wollte dem mir schon bekannten Chef, Dr. Bahr, begegnen. Mein Warten wurde belohnt.
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April 1928 - Es hat geklappt, ich wurde Lehrling

Nach einer Stunde kam der Inhaber aus seinem Haus. Ich begrüßte ihn, entschuldigte mich wegen meines ungewöhnlichen Verhaltens und wiederholte meine Bitte um Einstellung. Dabei zeigte ich ihm die beiden Bände mit dem Bemerken, daß mein Vater, der nicht mehr am Leben ist, schon vor über fünfzehn Jahren Kunde bei ihm war.

Interessiert blickte der Doktor in eines der Exemplare und forderte mich auf, ihm in das Geschäft zu folgen. Dort übergab er mich dem Prokuristen, mit der Anordnung, daß ich ab Freitag, den 20. April 1928, als Lehrling eingestellt werden könnte.

Hier hatte ich meinen ersten »Gegner«

Jetzt hatte ich schon einen »Gegner« in der Firma, bevor ich meinen Dienst angefangen hatte. Der Geschäftsführer und Prokurist fühlte sich übergangen, weil er mich schon zweimal abgelehnt hatte. Dieser Herr Acht war ein gestrenger Herr und führte ein straffes Regiment. Das machte mir nichts aus, denn an Hab-Acht-Haltung war ich von dem Internat her gewöhnt.

Er saß in einer unabgedeckten Glaskabine, in der er viel diktierte. Von diesem Befehlsstand aus konnte er das Sortiment beobachten und die Gespräche von Kunden sowie den Angestellten mithören. Wenn er glaubte, bei dem Personal einen schwachen Punkt entdeckt zu haben, schoß er aus seinem Gehäuse, fragte, was los sei, was wir da wieder gemacht hätten und ob wir immer noch nicht Bescheid wüßten. Der Herr hielt uns ständig unter Spannung.

Damals gab es viele ungewöhnliche Situationen

Als er einmal merkte, daß ein älterer Mitarbeiter nicht die Kommentare zum Schußwaffengesetz im Kopf hatte, rief er mit schneidender Stimme: »Frick, wie heißen die Kommentatoren zum Schußwaffengesetz?« Ich konnte antworten: »Hoche, Wagemann und Bitter.« Zufällig hatte ich sie eine halbe Stunde vorher eingeordnet. Der Prokurist: »Ich bin erstaunt, Herr K., daß Sie sich von dem jüngsten Lehrling blamieren lassen.«

Mein Reinfall ließ nicht lange auf sich warten. Da ich in meiner Freizeit noch Akkumulatoren mit einem Dreirad ausfuhr - Netzanschluß für Radiogeräte war erst teilweise eingeführt - konnte ich mir von dem Geld einen schicken zimt-farbenen Modellanzug von Arnold Müller in der Tauentzienstraße erwerben.

Ich stellte mich darin erst unserem Untermieter vor, einem englischen Botschaftsangestellten, ob ich in der Aufmachung Bücher verkaufen könnte. Er bejahte es und meinte, daß Verkäufer in Knightsbridge nicht besser angezogen wären. Bei dem Betreten des Geschäftes fiel mir auf, daß die Kollegen mich verwundert ansahen.

Kaum hatte Herr Acht mich erspäht, stürzte er aus seiner Kanzel und donnerte mich an: »Was ist denn mit Ihnen los? Wollen Sie heute in den Grunewald fahren? Nächstens hängen Sie sich noch eine Botanisiertrommel um, wenn Sie zum Dienst kommen. So können Sie hier nicht stehen, melden Sie sich zur Arbeit in der Buchhaltung!«

Am nächsten Tag kam ich wieder mit meinem abgewetzten »Blauen« und durfte im Sortiment bleiben.

Der dunkle Anzug war in der Branche üblich und "erwünscht"

Es war damals in der Branche üblich und erwünscht, im Verkauf dunkle Anzüge zu tragen. Manche Mitarbeiter legten noch die langen schwarzen Buchhändlerschleifen an, die schlapp wie Spaghetti vom Kragen herunterbaumelten. Mein revolutionärer Vorstoß, etwas Auflockerung in die Kleiderordnung zu bringen, scheiterte schon im Ansatz.

Ein neues Intermezzo näherte sich

Kaum war dies Intermezzo vergessen, gab es meinetwegen neuen Ärger. Ich wollte nach sechzehn Uhr über den Tiergarten nach Hause gehen und sah draußen im Cafe Josty, unseren ehemaligen Erzieher, Major von Block, sitzen.

Ich grüßte und er winkte mich an seinen Tisch. Er war schon seit 1925 in Naumburg entlassen und befand sich für einige Tage dienstlich in Berlin.

Er erkundigte sich nach meinem Beruf und fragte auch, was ich verdiene. Es waren achtundzwanzig Mark im Monat. Der ehemalige Major hatte einen Posten bekommen, der für jene Zeit einmalig in Deutschland war: Hofmarschall bei der Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach auf Schloß Heinrichau in Schlesien.

Ohne daß ich es wußte, suchte von Block meinen Chef auf, machte ihn auf meine dürftige Finanzlage aufmerksam und bat ihn, meine Besoldung zu erhöhen. Dr. Bahr wies die Buchhaltung an, mir künftig fünfzig Mark zu zahlen. Natürlich mußte der Prokurist davon unterrichtet werden. Er war eingeschnappt und knarrte mich an: »Wenn Sie noch nicht wissen, wer hier im Haus die Prokura hat, werde ich es Ihnen in Zukunft zeigen.« Meinen Einwand, daß ich von der Sache nichts gewußt hätte, glaubte er nicht. Als der Hofmarschall seine klangvolle Visitenkarte einem Kollegen mit der Bitte übergeben hatte, ihn dem Doktor zu melden, hatte der Mitarbeiter unter Umgehung des Geschäftsführers den Besucher direkt zum Chef gebracht.

Da ich in dem Fall »Gewinner« war, konnte ich es gelassen ertragen, wenn ich dafür ein bißchen gepiekt werde.

Ich war auch Sonntags "im Dienst"

Das Spezialgebiet der Firma bestand in dem Vertrieb von Werken der Rechts- und Staatswissenschaft. Wir hatten gutes Publikum und die Arbeit war interessant. Wir mußten uns laufend über die Neuerscheinungen informieren. Von der Belletristik waren uns nicht nur die Titel geläufig, sondern auch kurze Inhaltsangaben. Diese konnten wir der Fachliteratur entnehmen.

Die Lektüre der Verlagsprospekte war eine besondere Aufgabe, die ich an den Sonntagen erledigte. Manchmal leistete ich mir den Luxus bei »Zuntz sel. Wwe« *1) eine Tasse Kaffee für fünfundzwanzig Pfennig zu bestellen und in einer Ecke die Buchangaben zu studieren.

*1) Das Spandauer Kaffehaus ist eine Filiale der sehr bekannten Zuntz-Kaffeestuben. Der Name war „des seligen Amschel Zuntz Witwe"
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Höflichkeit und Kundenservice wurde groß geschrieben

Jeder Kunde wurde mit gleicher Höflichkeit behandelt, gleich ob er ein Reclam-Heft für zwanzig Pfennig kaufte oder ein wissenschaftliches Werk. Die Bücher von Marlitt und Courths-Mahler hatten wir nicht auf Lager. Bestellungen dafür wurden angenommen. Diese wurden über Leipzig erstaunlich schnell abgewickelt. In den meisten Fällen dauerte es vierundzwanzig Stunden. Hierbei wurden wir durch das gegenüberliegende Postamt begünstigt.

Einmal beschwerte sich ein Jurastudent über einen Kollegen, der ihm angeblich ein falsches Buch eingepackt haben sollte. Einen Kassenzettel hatte der Herr nicht. Da der Beschwerdeführer aussagte, daß »der junge Mann sehr unsicher gewesen ist« und diesen Ausdruck wiederholte, schnitt ihm der Prokurist das Wort ab und entgegnete: »Nach Ihren Schilderungen können Sie gar nicht bei uns gewesen sein. Wir beschäftigen nur Herren und unsicher sind die auch nicht.« Der Student, der wahrscheinlich nur versucht hatte, einen Band umzutauschen, den er kurz gebraucht hatte, ging wieder.
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1929 - Der Ausklang der »Goldenen zwanziger Jahre«

Der Ausklang der »Goldenen zwanziger Jahre« brachte eine Fülle von Werken, die heute noch gelesen werden. »Im Westen nichts Neues« wurde in zweiunddreißig Sprachen übersetzt und der Autor, Erich Maria Remarque, über Nacht berühmt. Trotz Arbeitslosigkeit und Wirtschaftskrise wurde »Die vollkommene Ehe« für 12,50 Mark gut verkauft.

Ein willkommenes Thema für die Cabarets, und der Topp-Keller in der Schwerinstraße am Nollendorfplatz schaltete schnell. In einer Bühnennummer traten drei Damen und drei Herren in Pyjamas auf und sangen frivole Lieder nach einer bekannten Leierkastenmelodie. Und einmal in der Woche war das Kellerlokal für eine geschlossene Gesellschaft reserviert und dann fand dort eine lesb(ota-n)ische Veranstaltung statt.

Manchmal zu viel des Guten

Einer von unseren Lehrlingen mußte alle vierzehn Tage zu der Gattin des Inhabers im Hause gehen und ihr die wichtigsten Neuerscheinungen der Belletristik vorlegen. Als sich ein Kollege davor drücken wollte, machte ich es freiwillig.

Bei dem Zusammenstellen der Bücher, wählte ich auch einen Band von Pitigrilli, Autor von gewagt pikanter Literatur. Die hübsche damenhafte Frau des Chefs gab mir das Buch mit leicht mokantem Lächeln zurück. Ich fühlte, wie ich errötete, machte eine artige Verbeugung und zügelte in Zukunft meinen Übermut.

1928 - Ein König kommt wieder nach Deutschland

Für ihre ausländischen Gäste und ihre neuen Ideen waren die Bewohner der Reichshauptstadt stets aufgeschlossen und nahmen gebührend von ihnen Kenntnis.

1928 empfing Reichspräsident von Hindenburg das erste gekrönte Haupt in Deutschland nach dem Krieg.

  • Anmerkung : Gemeint ist zu dieser Zeit natürlich der 1. Weltkrieg, der zweite kam ja erst noch.


König Aman Ulla von Afghanistan erschien zu einem Staatsbesuch. Zu seinen Einkäufen gehörten auch vierzig dunkle Anzüge, die seine Regierungsmitglieder als Dienstkleidung tragen sollten.

Seine Landsleute weigerten sich, ihre bunte Heimattracht abzulegen und es kam zu einer kleinen Palastrevolution. Im gleichen Jahr verlor der König seinen Thron und ging ins Exil. Die verwegenen Berliner ließen es sich nicht nehmen, seinen Namen mit einer Zigarettenwerbung zu verbinden: »Selbst König Aman Ullah raucht gern eine Abdulla.«
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Berlin war eine der interessantesten Weltstädte

Die Metropole an der Spree galt als eine der interessantesten Weltstädte und war von einer ungebrochenen Lebenskraft. Fast täglich konnte man bedeutenden Persönlichkeiten begegnen oder Zeuge von historischen Begebenheiten sein.

An einem Tag wurde ich zu dem Anwalt Dr. Frey geschickt, um ihm eine Auswahl von Fachbüchern vorzulegen. Am nächsten Tag konnte ich auf der Potsdamer Brücke den ersten Ost-West-Atlantikfliegern zuwinken. In einer Junkersmaschine hatten die Flieger Kohl, Fitzmaurice und von Hühnefeld in 35 Stunden 6750 Kilometer überwunden.

Ein ganz entscheidender Einschnitt - meine Mutter

Zu meiner Bestürzung wurde meine schöne Berufszeit durch ein Ereignis beendet, daß ich nie in Erwägung gezogen hätte.

Zwischen einem Bekannten meiner Mutter und mir bestanden Spannungen, die an einem Abend zu einem massiven Auftritt führten. Aus der heftigen Reaktion von Mama und ihrer einseitigen Stellungnahme zu Gunsten des Mannes entnahm ich, daß ich meine Mutter für immer verloren habe. Zehn Jahre nach dem Tod meines Vaters (im April 1918) mußte ich das Feld räumen und hatte kein »Zuhause« mehr.

Sommer 1928 - Jetzt brauchte ich eine richtige Stellung

In meiner Verzweiflung wandte ich mich an den Bruder meiner Mutter, der in Berlin als Mathematiklehrer tätig war. Er hatte Verständnis für meine Lage und war nach Rücksprache mit seiner Frau bereit, mich aufzunehmen. Das Ehepaar hatte zwei kleine Buben. Als ich diese Aufnahme ein Vierteljahr in Anspruch genommen hatte, bekam ich ein schlechtes Gewissen, daß ich der Familie zur Last fallen würde und sie meinetwegen Einschränkungen hinnehmen mußten. Zu meinem Unterhalt konnte ich nur in bescheidenem Umfang beitragen.

Ich beschloß, mir eine Stellung zu suchen, auf der ich schon ein Existenzminimum erhalten würde, um auf eigenen Füßen stehen zu können.

Der Umstieg eine völlig andere fachfremde Welt

Nahe vom Geschäft war eine Ullstein-Filiale in der Potsdamerstraße. Beim Studium der Stellenangebote entdeckte ich folgendes Inserat: »Sofort gesucht einige junge Leute mit englischen Sprachkenntnissen zur Ausbildung als Telegraphisten in Emden. Gehalt während der Ausbildung wird gezahlt.« Umgehend schrieb ich eine Bewerbung und bekam Bescheid, daß ich mich bei der Deutsch-Atlantischen Telegraphengesellschaft (DAT) am Viktoria-Luise-Platz in Schöneberg vorstellen sollte.

Nach einem Gespräch war man mit einer Einstellung einverstanden. Der Vertrag darüber wurde von meiner Tropentauglichkeit abhängig gemacht, da man sich für einen zweijährigen Aufenthalt auf den Azoren verpflichten mußte. Dort lag der Kabelstützpunkt der DAT-Linie Emden-Azoren-New York. Die Untersuchung bei dem Amtsarzt ging schnell und oberflächlich vor sich. Die Unterschrift meiner Mutter für die Lösung des Lehrverhältnisses erhielt ich umgehend auf dem Postweg.

Zum Abschied lud der Onkel seine Frau und mich in das »Haus Vaterland« ein. Die größte Attraktion des Etablissements war die sogenannte »Vater-Rhein-Terrasse« in der stündlich ein himmlischs Donnerwetter mit folgendem Sonnenschein im Stil einer Theaterszene und optischen sowie akustischen Effekten veranstaltet wurde.

Emden 1928 - Eine grimmige Kälte im Winter 1928/29

Am nächsten Tag fuhr ich nach Emden und bezog dort ein bescheidenes Zimmer bei einem Postbeamten. Vierundzwanzig Stunden später begann der Unterricht auf dem Telegraphenamt. In dem Winter 1928/29 herrschte eine grimmige Kälte. Wenn ich nach Hause kam, war ich froh, daß meine Wirtin mich in ihr Wohnzimmer bat, um mir eine Tasse Tee anzubieten. Der Teekessel stand stets auf einer brennenden Kerze. Das Getränk wurde mit Kandiszucker gesüßt.

Ein Problem kam von ganz anderer Seite - meine Gesundheit

Mit meiner Ausbildung in Maschinenschreiben, Morsen und Englisch hatte ich keine Schwierigkeiten. Diese kamen nach ein paar Monaten von einer ganz anderen Seite. Ich bekam öfters Fieber und nahm stark ab.

Nach einer ärztlichen Konsultation schickte man mich zu einem Lungenspezialisten und aufgrund einer Röntgenaufnahme erfuhr ich, daß ich an einer doppelseitigen (Lungen-) Infektion erkrankt war.

  • Anmerkung : Heinz Frick hat es - warum auch immer - nicht weiter ausgeführt, aber da er 17 Monate in einem Krankenhaus/Sanatorium war, und das war 1930, könnte es Tuberkulose gewesen sein.


Zur Wehleidigkeit bin ich nicht erzogen worden, aber das war ein bißchen viel. Ich fühlte, daß die Verhältnisse übermächtig sind und ich nicht dagegen ankämpfen konnte.

Anscheinend war es wirklich ernster, als ich vermutet hatte

Eine Kur durch die Reichsversicherung hätte eine Wartezeit von mehreren Monaten erfordert. Das wiederum ließ mein Zustand nicht zu. Ich rief meinen Berliner Hausarzt an und bat ihn um Rat. Meine Annahme, daß er etwas unternehmen würde, um mir zu helfen, erwies sich als richtig.

Nach einigen Tagen lag ich bereits in einem Einbettzimmer - man hielt mich für einen moribundus (= der Sterbende) - in einem Waldkrankenhaus von Osthavelland.

Mir wurde ein doppelseitiger Pneumothorax (eine künstliche Luftzufuhr) angelegt. Ferner mußte eine Phrenicus-Exhairese (Entfernung von Teilen der angegriffenen Lunge) durchgeführt werden. Gemessen an der Schwere des Falles, erholte ich mich schnell und zusehends.
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Ein Nachbar aus der "roten Ecke"

Mein Zimmernachbar, ein Herr Stern, Redakteur an »Die rote Fahne« schickte mir täglich ein Exemplar des Blattes durch den Pfleger. Er war an das Krankenbett gefesselt. Der Nachbar war ein kluger Kopf und verfügte über ein verblüffendes Wissen. Um so verwunderter war ich, daß er Mitarbeiter an einer Zeitung war, die täglich Klassenkampf und Haß predigte. Leider vermochte die Kunst der Ärzte ihn nicht zu retten.

Als mir später ein anderer Journalist, Herr Schwarz, von der »Deutschen Allgemeinen Zeitung« regelmäßig sein Blatt bringen ließ, war mir dies angenehmer.

1929 - Hier begann eigentlich schon der Krieg

1929 fand in Wien ein Fußballänderspiel Österreich - Italien statt, das die Italiener 3:0 verloren. Weil im Stadion nicht die faschistische Fahne gehißt worden war, bezeichnete eine italienische Zeitung Österreich als »Brutstätte der Barbarei« und Wien als »stinkenden Spucknapf«.

17 Monate Pause - und ein Neuanfang

Nach siebzehn Monaten konnte ich mich wieder bei der »DAT« in Berlin melden.

  • Anmerkung : Wie weiter oben gesagt, was keine triviale Infektion, es war etwas Ernsthaftes, das ihn sein ganzes Leben lang verfolgte.


Die Firma war sehr entgegenkommend und sozial. Man bot mir an, in die Abrechnungsabteilung ihrer Zentrale einzutreten. Für einen Auslandseinsatz käme ich nicht mehr in Frage und für einen Mann, dessen Berufsfähigkeit um siebzig Prozent gemindert war, wäre ein ruhiger Büroposten gerade richtig. Probezeit drei Monate. Tagesverdienst drei Mark. Sonntage würden mitbezahlt.

Mein Arzt war erstaunt, daß ich gleich arbeiten wollte und legte mir nahe, eine Schonzeit einzulegen. Das wollte ich auf keinen Fall.

Ich war hartnäckig und erfolgreich - mit der Genesung

Nach neun Monaten bezog ich das zweieinhalbfache des Probegehaltes. Mein Taschengeld im Krankenhaus hatte ich gespart - es waren sechzig Pfennig pro Tag - und so konnte ich mir in der Nähe des Büros ein helles, sonniges Zimmer nehmen. Das war wichtig, um mittags Siesta halten zu können.

Zwar schwebte noch ein Damoklesschwert über mir, aber ich war glücklich, wieder im Erwerbsleben stehen zu können. Nachdem ich meine Garderobe erneuert hatte, immerhin hatte ich über zwanzig Pfund zugenommen, war ich von wirtschaftlichen Nöten befreit. Auf einer Abendschule belegte ich kaufmännische Fächer.
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März 1930 - Als das Tor für Hitler aufgestoßen wurde

In der Innenpolitik kam es nach einer Kabinettskrise zu einem Regierungswechsel. Der Reichskanzler Hermann Müller überbrachte Hindenburg die Demission des Kabinetts. Der Zentrumsabgeordnete Heinrich Brüning bildete eine neue Reichsregierung. Mit den folgenden Ernennungen der »Barone« von Papen und von Schleicher wurde das Tor für Hitler aufgestoßen.

Der Film »Im Westen nichts Neues« im Mozartsaal

Als ich an einem Abend von der Schule kam, geriet ich am Nollendorfplatz in einen schweren Tumult. Die Nazis liefen Sturm gegen den Film »Im Westen nichts Neues« im Mozartsaal.

Anmerkung : Der Mozartsaal war das spätere METROPL Theater und Kino.

Im Kino selbst wurden die Vorstellungen mit Stinkbomben und weißen Mäusen gestört. Ein großes Polizeiaufgebot schützte das Haus. Berittene Offiziere mit der Schuppenkette unter dem Kinn preschten mit geschwungenem Säbel bis in die Kassenhalle vor.

Nach der Vorstellung versammelten sich die Hakenkreuzler auf dem Wittenbergplatz, wurden aber mit Wasserwerfern auseinandergesprengt.

Danach wollten sie durch die Tauentzienstraße marschieren, wurden jedoch von Polizeiposten abgedrängt. Die Nazis gelangten über die Augsburger- und Lietzenburgerstraße - dort kam es zu einer kurzen Schießerei und ihr Anführer Fabricius wurde festgenommen - zum Kurfürstendamm. Vor dem Tanzcafe »Uhlandeck« sammelten sie sich.

Als ich Goebbels zum ersten Male reden hörte

Da sah ich zum ersten Mal Dr. Goebbels, den ich später wiederholt dienstlich empfangen mußte. Er trug eine Windjacke. Man half ihm auf das Dach eines Autos. In einer nächtlichen Ansprache sagte er unter anderem:

»Man hat es gewagt, einen Zug von zwanzigtausend nationalen Deutschen, einen Zug von zwanzigtausend Patrioten mit dem Gummiknüppel auseinander zu dreschen. Kommen wird einst der Tag, an dem wir die Straße säubern, aber nicht mit dem Gummiknüppel, sondern mit der blanken Waffe in der Faust! Die Herren in der Wilhelmstraße werden noch erzittern, wenn der Marschtritt unserer braunen Legionen durch das Brandenburger Tor hallt. Deutschland, erwache!« Dumpf drohend wiederholten die Anhänger: »Deutschland, erwache!«
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Besonders belesen waren die Nazis nicht

Ausgerechnet »Der Angriff« von Dr. Goebbels veröffentlichte zwei Jahre später als Plagiat unter dem Titel »Trommelfeuer« einen Abschnitt des Anti-Kriegsromans von Erich Maria Remarque. Hatten die Redakteure der Berliner Parteizeitung den Film »Im Westen nichts Neues« nicht gesehen und ihn trotzdem besudelt.

Daß jene Schriftleiter das Buch nicht kannten, das der Generation gewidmet war, die »im Kriege zerstört wurde, auch wenn sie seinen Granaten entkam« bewies die Veröffentlichung.

Das Leben ging zwar weiter, aber anders

Inzwischen waren zu Fuß und per Mannschaftswagen stärkere Polizeikräfte eingetroffen. Der Auflauf wurde endgültig zerstreut. Auf dem Heimweg kam ich an einem Damenwäschegeschäft vorbei, das an auffallender Stelle ein seidenes Nachthemd in der Dekoration zeigte.

Das Oberteil zeigte eine Stickerei in Blau mit Violinschlüssel und Noten mit dem unterlegten Text : »Parlez-moi d'amour ... Lucienne Boyer machte das Lied populär. Ein fesches zeitgemäßes Geschenk für neunundzwanzig Mark.

Aus dem Zigeunerkeller kamen einige angeheiterte Jugendliche und sangen : »Eine Miezekatze hat se aus Angora mitgebracht und die hat se, hat se mir gezeigt die ganze Nacht ...«

Die letzten versprengten Braunhemden grölten heiser: »Deutschland, erwache!«

Am nächsten Tag verkündete die Schlagzeile der »Nachtausgabe«: »Hugenberg bittet Hindenburg um Verbot des Hetzfilms.« - Das Verbot von »Im Westen nichts Neues« wurde erreicht. Später wurde der Film mit Auflagen - anfangs nur für Gewerkschaftsmitglieder - freigegeben.
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April 1930 - Premiere von »Der blaue Engel«

Am 1. April 1930 fand im riesigen Berliner Gloria-Palast die Premiere des Films »Der blaue Engel« mit Marlene Dietrich und Emil Jannings statt.
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Meine "Reifeprüfung - so nenne ich das im Nachhinein ....

Vor meinem zwanzigsten Geburtstag gelang es mir, meine "Reifeprüfung" nachzuholen. Das Mädchen hieß Walli.

Sie war blond, hatte verträumte Veilchenaugen und war "ihres Zeichens" (??) nach Lehrling bei Rosenhain. Das geheimnisvolle Wort Azubi, das so klingt, als ob es dem Kisuaheli entnommen wurde, war noch nicht erfunden. Ihre Ausbildungsfirma war durch ihre gediegenen Lederwaren und feinen Geschenkartikel ebenso bekannt wie durch ihren Slogan. »Das Portemonnaie von Rosenhain, das paßt in alle Hosen rein.«

Der Vater von Walli war Witwer und Besitzer eines Lederwarengeschäftes. Sein Laden lag in der Niederwallstraße. Die Wallungen, in die mich seine Tochter versetzen konnte, waren nicht von niederer Art. Ich muß aber ein schlechter Liebhaber gewesen sein, denn Walli hat mich nach einigen Wochen verlassen.

Bald danach rief mich ihr Papa an und bat dringend um eine Zusammenkunft. Ich bekam Angst, weil ich fürchtete, daß er mit mir "Rechtsfragen" (vielleicht wegen eines eventuellen Nachwuchses) besprechen wollte.

In einer Konditorei berichtete der Vater, daß seine Tochter »nach Holland gemacht hat«, er untröstlich und jetzt völlig vereinsamt sei. Das Mädchen war mit dem Geiger einer Tanzkapelle ausgerissen und hatte sein Paradestück aus dem Laden, eine Handtasche aus Krokodilleder, mitgenommen.

Ich versuchte, den betrübten Vater aufzurichten, was mir nicht gelang. Vielleicht fehlten mir die richtigen Argumente. Seine früheren Angebote, daß ich in sein Geschäft eintreten solle, hat er nicht wiederholt. - So endete eine Liebe.
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1930 - der Film »Affäre Dreyfus«

In anderem Sinn ergriffen hat mich 1930 der Film »Affäre Dreyfus« mit Fritz Kortner. Als wir das Stück 1962 wieder einsetzten, hatte ich die Freude, den Regisseur Richard Oswald, aufgrund unserer Einladung in unserem Kino begrüßen zu können.

In der vorher (1930) laufenden Wochenschau sah man Bilder von den letzten französischen Besatzungstruppen, wie sie das Rheinland verlassen und über die Mainzer Brücke abziehen.
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Irgendwie steuern wir auf eine Katastrophe zu

Ende des Jahres wurden die Löhne herabgesetzt und die Gewerkschaft der Metallindustrie stimmte erstmals in ihrer Geschichte einer Lohnsenkung zu.

Als die NSDAP bei den Reichstagswahlen unerwartet 107 Sitze errang, sprach eine amerikanische Zeitung von dem »Sieg der wilden Männer«. Der Journalist Knickerbocker veröffentlichte bei uns eine Broschüre mit dem Titel »Hakenkreuz oder Sowjetstern?«

Vor den Zeitungsfilialen standen erregte und debattierende Gruppen. Schlägereien gehörten zu der Tagesordnung. Totschlag war keine Seltenheit mehr.

»Die Drei von der Tankstelle« und »Der Greifer« hatten Uraufführung und gehören heutzutage (1984) noch immer zu dem Repertoire des Fernsehens. Im Großen Schauspielhaus klatschten wir Beifall »Im weißen Rössl.«
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1931 - mystische Werbung für einen "Film"

1931 fiel mir an den Litfaßsäulen eine Mystifikationswerbung auf. Große Plakate trugen nur das Wort Frankenstein. Die Passanten blieben stehen und rätselten, was das Wort bedeuten soll. Einer verkündete, daß sich hinter dem Namen ein neues Auto verbergen würde. Ein anderer glaubte es besser zu wissen und deutete auf eine kommende Zigarettenmarke. Ein dritter gab mit geheimnisvoller Miene an, daß Frankenstein ein General von Hitler sein würde, der in der Mark Truppen zusammenziehen und Berlin besetzen würde.

Tatsächlich handelte es sich um eine Vorreklame für den Gruselfilm »Frankenstein«. Der Werbeeffekt für die Version nach dem Roman von Mary Shelley war erreicht. Die politische Reaktion auf die geheimnisvolle Voranzeige war typisch für die damalige Zeit.

Herbst 1931 - Konzentration der politischen Kräfte

Im Herbst vereinten sich die ungleichartigen Kräfte der »Nationalen Opposition« zu einem Appell in der »Harzburger Front«. Die Deutschnationalen unter Hugenberg, »Der Stahlhelm« mit Seldte und Hitler mit großem Parteigefolge. Ihre gemeinsame Forderung war der Sturz von Brüning. Der Domprediger Döhring krönte das Manifest mit einem Feldgottesdienst.

Als Gegenbegründung formierten sich das politisch linke »Reichsbanner«, Gewerkschaften und Arbeitersportverbände in der »Eisernen Front«. Als diese Organisation 1932 zu einer Wahlversammlung im Lustgarten antrat, lautete ihre Parole:

Schlagt Hitler -Wählt Hindenburg!
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Überall war Provokation und Hetze angesagt

So verkündete es auch der »Vorwärts«. Sollte der greise Feldmarschall, der sich als eine Art Statthalter des im holländischen Exil lebenden Ex-Kaisers fühlte, die Marxisten zum letzten Gefecht führen!

1932 - Die geistige Verwirrung war perfekt. Hitler wurde Deutscher.

Das Jahr 1932 begann mit zwei Signalen, deren Folgen für die Welt bis heute noch nicht beendet sind und die Landkarten verändert haben.

Hitler wurde mit den Stimmen der Deutschnationalen Landtagsabgeordneten von Braunschweig zum Regierungsrat ernannt. Dadurch erhielt er die deutsche Staatsangehörigkeit und konnte als Reichspräsident kandidieren. Die Geschichte wird nicht mehr erfahren, ob hierbei Bestechung im Spiel war.

Der frühere thüringische Innenminister Frick hatte Hitler schon ab Juli 1930 unter strengster Geheimhaltung als Gendarmeriebeamten in den Akten führen lassen, um ihn auf diese Weise einzubürgern. Durch Indiskretion gelangte der Fall an die Öffentlichkeit und das Vorhaben wurde vereitelt.

Notverordnungen erzeugen einen politischen Hexenkessel

Durch die Wahl des Reichspräsidenten, Notverordnungen und zwei Reichstagswahlen entstand die Atmosphäre eines politischen Hexenkessels.
Die Polizei kam aus den Alarmstufen nicht mehr heraus. Ihre Gehälter wurden von den Notverordnungen ausgenommen und blieben ungekürzt.

Der Oberbürgermeister von Leipzig, Carl Friedrich Goedeler, erhielt eine Berufung zum Reichskommissar für Preisüberwachung. Es wurden Vier-Pfennig-Stücke eingeführt, um die Pfennigrechnung zu achten. Goerdeler wurde 1944 zum Tode verurteilt.

Wie aus den aufgedeckten Plänen der Opposition hervorging, sollte er nach der Beseitigung Hitlers als Reichskanzler eingesetzt werden. Nach dem Attentat war er auf der Flucht. Für die Kopfprämie von einer Million Reichsmark wurde er von einer Frau verraten.
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Berlin 1932 - Dennoch konnte man sich amüsieren

In der bewegten Zeit gab es trotzdem viele Möglichkeiten, sich zu amüsieren. Als ich mit Bekannten das »El Dorado« in der Motzstraße besuchte, war die berühmte Filmschauspielerin Brigitte Helm anwesend. Nach einen Tusch der Kapelle wurde sie von dem Hausherrn »auf Wärmste« begrüßt.

Der Inhaber versprach, zu Ehren des Gastes den »Süßen Egon«, einen in dem Etablissement beschäftigten Tänzer, zum Küssen herumzureichen. An den Wänden des Lokals sah man banale, aber auch witzige Texte:

»Pinsle mich, ich bin der Drahtzaun.« Oder:
»Nahst Du der Frau mit zwei Orchideen, bekommt sie schneller Storchideen.« Ferner:
»Ist die Unschuld passe, tut es später nicht mehr weh.«
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Intrigen auch hinter den Kulissen

Nach einem guten Tropfen im »Zigeunerkeller« am Kurfürstendamm mußten Freunde und ich an der Garderobe warten und hörten aus der Telefonzelle den Teil eines erregt lauten Gespräches : »Wenn ihr den SA-Gruppenführer von Berlin, Graf Helldorf, besoffen zwischen Luden, Nutten und Strichjungens sehen wollt, dann kommt mal in den »Zigeunerkeller!«

Der biedere Truppführer aus Bayern hatte wohl noch nicht viel erlebt, daß er sich wegen der Anwesenheit des späteren Polizeipräsidenten so ereiferte.

Wie wäre ihm zumute gewesen, wenn er von der Freundschaft des Grafen mit dem jüdischen »Hellseher« Erik Hanussen, alias Herrschel Steinschneider, erfahren hätte. Dieser unterhielt in Berlin W15, Lietzenburgerstraße, eine Atelier-Praxis mit magisch-okkultem Brimborium und erleuchtbaren Sternbildern.

Sein eignes furchtbares Schicksal konnte der »Wahrsager« nicht aus den Sternen lesen. Im März 1933 meldete eine Berliner Zeitung: »Im Grunewald, Jagen 87, wurde eine männliche Leiche aufgefunden. Das Gesicht war von Wildfraß zerstört.«

Die wirtschaftliche Lage wurde immer schlimmer

Zu der Zeit sah man Männer auf den Straßen, die auf der Brust und dem Rücken Schilder mit den Beschriftungen trugen. :

»Ich suche irgendeine Arbeit.«
»Nehme jede Arbeit an.
Bin verheiratet und habe 2 Kinder.«

Eine Monatszeitung brachte ein Inserat:
» Witwe sucht Zimmer mit Bett, wo sie Unterricht erteilen kann.«

Mai 1932 - Alkoholverbot für den 1.Mai

Als für den 1. Mai 1932 Alkoholverbot erlassen war, damit enthemmte politische Gegner nicht tätlich würden, brachte »Die rote Fahne« eine Karikatur.

Man sah eine Pinte mit dem betreffenden Verbotschild und Arbeiter vor Selters- und Limonadenflaschen. Ein neuer Gast betrat den Raum, deutet auf die Bekanntmachung und sagt: »Alkohol brauchen wir gar nicht. Hitler macht uns schon mit Redensarten besoffen.«

Die braunen Kolonnen marschierten auf

Sehr bedenklich schien der geplante SA-Aufmarsch vor dem Karl-Liebknecht-Haus am Bülowplatz. Wegen der Genehmigung für die Demonstration hatte es viel Hin und Her gegeben. Am Vortag erschien die BZ mit der Überschrift: »Trutz der Trutzburg?«

Unter den wütenden Protesten der dortigen Anwohner und Gegendemonstranten marschierten die braunen Kolonnen. Die Polizei war in auffallender Stärke erschienen und hatte zum ersten Mal leichte Panzerwagen eingesetzt, um die Nazi-Marschierer zu schützen. Als sich der Stabschef der SA, Ernst Röhm, kurz an der Spitze des Zuges zeigte, ertönten laute Sprechchöre:
»Fort mit Hitler, dem Gendarm, und mit Hauptmann Röhm, dem Warmn!«

Am nächsten Tag erschien in einer linken Tageszeitung eine Zeichnung. Man sieht zwei Jungen auf dem Boden knien, wie sie zwischen den breitbeinig stehenden Polizisten hindurchschauen. Einer der Jungen sagt: »Kiek mal, det Braune zwischen die Schupobeene sind die Nazis.«

Ab und zu mal nichts von Politik

Wir waren damals richtig froh, wenn wir einmal nichts von Politik hörten. Die Nachricht, daß die deutsche Mannschaft bei den Olympischen Spielen in Los Angeles nach den Amerikanern an zweiter Stelle lag, wurde ausführlich kommentiert. Am 24. Juli waren unsere zweiundachtzig Aktiven, reine Amateure, mit der »Europa« von Bremen abgereist. Ihre Sportverbände mußten pro Teilnehmer tausend Mark (Reichsmark) "Un"kostenbeitrag leisten.

Mein Versuch mit einer Wahrsagerin

Ein Kollege erzählte uns von einer Wahrsagerin am Lehrter Bahnhof, die für ihre Weissagungen zwei Mark verlangte. Ich suchte sie aus Spaß auf.

Madame empfing mich in einem düsteren Hinterstübchen, ein Papagei krächzte mich an, und sie mischte die Karten. Sie verlangte, daß ich mich ganz auf sie konzentrieren solle. Das gelang mir nicht, denn diese Pythia war häßlich wie eine Märchenhexe.

Assoziationen, die sonst im Beisein einer Frau aufkommen konnten, waren hier ausgeschlossen. Sie merkte meine Reserviertheit und bat nochmals um Konzentration.

Dann begann ihr Orakel: »Das Brot wird knapp, aber es bleibt. Der Herr wird bald Uniform tragen. Da ist noch eine blonde Frau, die den Herrn begleiten wird. Ihre Spur verliert sich wieder. Die Mutter hat's mit den Füßen und muß vorsichtig sein. Beruflich kann eine Umstellung erfolgen.«

Das reichte mir. Ich legte ihr Honorar auf den Tisch und entfernte mich.

Januar 1933 - Die Uraufführung des UFA Films »Morgenrot«

»Der Angriff«, die Berliner Zeitung der NSDAP schrieb über die Uraufführung von »Morgenrot«, die am 31. Januar 1933 in Anwesenheit von Hitler und Hugenberg stattgefunden hatte: »Bravo, Rudolf Forster! Endlich ein ganzer Mann in Uniform auf der Kommandobrücke und nicht mehr säuselnd im Frack.«

Der Grandseigneur des Theaters und Films hatte in dem Stück zu sagen: »Wir Deutschen wissen vielleicht nicht, wie wir zu leben haben, aber wie wir sterben müssen - das wissen wir.«(!)
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  • Anmerkung : Hier ein paar mehr Informationen dazu : Morgenrot ist ein deutsches patriotisches U-Boot-Drama von Gustav Ucicky aus dem Jahr 1933, das am 31. Januar 1933 in der Schauburg in Essen uraufgeführt wurde, kurz nach der Machtergreifung Hitlers.
    Nachdem die Uraufführung des Films am 31. Januar in Essen stattgefunden hatte, lief er am 2. Februar 1933 als Erstaufführung im Ufa-Palast am Zoo in Berlin, der Adolf Hitler und die engsten Mitglieder seines Kabinetts beiwohnten.
    Joseph Goebbels fasste seine Kernaussage zu Morgenrot im Februar 1933 in seinem Tagebuch in dem Satz zusammen: „Zu leben verstehen wir Deutschen vielleicht nicht; aber sterben, das können wir fabelhaft.“

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Zeitungsberichte im Januar 1933

Auch in der Filmkritik, die bald einer »Kunstbetrachtung« weichen mußte, wurden die Signale der neuen Zeit gesetzt.

Am 31. Januar 1933 schrieben die »TIMES«:

Es war schon längst erforderlich, daß Herr Hitler, der im deutschen Reichstag die größte Partei anführt und bei den letzten Wahlen über ein Drittel der abgegebenen Stimmen erhielt, die Chance bekommt, daß er beweisen kann, mehr als ein Parteiredner und Agitator zusein. Heute ist die Gelegenheit dazu gekommen, da die Harzburger wieder erneuert wurde.

Im Ausland allerdings wird dies Experiment mit Unbehagen verfolgt. Besonders in Frankreich, "wo" man das Unabhänderliche mit Resignation, aber ohne Befriedigung akzeptiert. Ebenso in Polen, einem der bevorzugten Stoßziele der Nazipropaganda. Viel mehr als in Frankreich registrierte man in diesem Land die Folgen des Regierungswechsels auf die deutsche Haltung zur Aufrüstung mit Mißmut.

Allerdings muß man den Nazis zubilligen, daß sie zu den Einschränkungen, die ihnen der Versailler Vertrag auferlegt, auch nicht mehr gesagt haben, als die etablierten Parteien in Deutschland. Sie haben es allerdings wesentlich lauter gesagt.

Die »Deutsche Allgemeine Zeitung« schrieb

Die »Deutsche Allgemeine Zeitung« berichtete von der Reichstagseröffnung im März und schrieb fast wörtlich:

Klara Zetkin, gestützt von dem KPD-Abgeordneten Heinz Neumann, schritt am Gummistock zum Rednerpult und eröffnete als Alterspräsidentin den Reichstag. Sie verkündete mit zitternder Stimme die Weltrevolution.

Als ihre Redezeit überschritten war, ging der nächste Sprecher, Göring, im Braunhemd und blitzenden "Pour le merke", zum Rednerpult. Als er verärgert auf seine Uhr blickte, rief ihm Neumann zu: »Herr Göring, Lächerlichkeit tötet!« Der SA-Gruppenführer antwortete: »Dann müßten Sie schon längst gestorben sein.«

Der sehr intelligente und polyglotte Neumann galt als der ghostwriter von Teddy Thälmann, dem KPD-Führer. Die Stilblüten in seinen Reden wie: »Das setzt dem Faß die Krone auf« stammten von Thälmann persönlich.

Die beiden kommunistischen Abgeordneten wanderten bald danach in die Sowjetunion aus. Frau Zetkin verstarb noch im gleichen Jahr. Neumann wurde während der »Großen Säuberung« 1935 — 1939 verhaftet und ist seitdem verschollen.

Von ihrem KPD-Genossen Max Holz, der schon während der Weimarer Republik nach Rußland emigriert war, erfuhr man wenigstens nach langem Schweigen, daß er dort bei einem Fährunglück ums Leben gekommen sei.

Inzwischen gab es sechs Millionen Arbeitslose

Da ich nicht zu den sechs Millionen Arbeitslosen gehörte, und es mir bei der regelmäßigen ärztlichen Behandlung relativ gut ging, hatte ich allen Grund dankbar und zufrieden zu sein. Trotzdem hatte ich manchmal das Gefühl, daß dieser Zustand nicht so bleiben würde und neue Sorgen auf mich zukommen. Meine Ahnung trog nicht.
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Einige Kollegen und ich wurden gekündigt

Im März erhielten zehn bis zwölf Kollegen und ich unsere vorsorglichen Kündigungen. Als Begründung wurde angegeben:

»Durch Übergang der Abrechnungsarbeiten auf die Deutsche Reichspost sind wir zu einer Einschränkung unseres Personals gezwungen. Wir müssen die zuletzt eingetretenen Angestellten, darunter Herrn Frick, zum 15. August 1933 entlassen.«

Wir fielen aus allen Wolken. Unsere Firma war eine Aktiengesellschaft. Sie besteht noch heute (1984) mit dem Sitz in Köln. Wir konnten es nicht fassen, daß wir unsere Arbeitsplätze aufgeben mußten, um sie für Postbeamte freizumachen, für die man keine oder nicht ausreichende Beschäftigung hatte.

Der Grund für die Wegnahme unserer Arbeit

Der Grund für die Wegnahme unserer Arbeit war folgender:

Nach dem Versailler Vertrag durfte die Post das Kabel nach New York nicht betreiben. Dies konnte nur durch eine Privatgesellschaft geschehen und war der DAT übertragen worden. Die Post garantierte uns notfalls einen finanziellen Zuschuß, damit der technische und verwaltungsmäßige Ablauf stets gewährleistet war. Das Abkommen sicherte der Reichspost ein Mitspracherecht bei wichtigen Entscheidungen, und darunter fielen unsere Entlassungen.

Unsere vielseitigen Bemühungen, die Kündigungen rückgängig zu machen, blieben ohne Erfolg.

Jetzt selbst Opfer des »wirtschaftlichen Aufschwungs«

Das einsetzende Anstehen auf dem Arbeitsamt, das endlose Warten, das Abstempeln der Arbeitslosenkarte empfand ich trostlos und deprimierend.
Als ich nach mehreren Meldungen von dem Schalterbeamten zu einem Abteilungsleiter geschickt wurde, bot dieser mir nach einem kurzen Gespräch an, in die Dienste des Arbeitsamtes selbst zu treten.

Ich solle kleine Unternehmen aufsuchen, die Entlassungen beantragt hatten, und die Chefs bitten, die Kündigungen nicht durchzuführen. Unter Hinweis auf den bevorstehenden wirtschaftlichen Aufschwung sollte ich »Optimismus verbreiten«. Die Firmeninhaber sollten veranlaßt werden, eine kurze Durststrecke zu überwinden und um der »höheren Sache« willen auch kurzfristig wirtschaftliche Einbußen hinzunehmen.

Mir war klar, daß ich einen derartig heiklen Auftrag niemals zur Zufriedenheit des Amtes durchführen könnte. Außerdem hatte ich für die Aufgabe keine praktisch-wirtschaftliche Erfahrung. Da ich selber Opfer des »wirtschaftlichen Aufschwungs« geworden war, fehlte mir die innere Kraft, eine solche Arbeit durchzuführen und ich gab sie nach einigen Einsätzen auf.

Ein bißchen Glück und der Zufall

Überraschend schnell erhielt ich ein neues Arbeitsangebot. An meinem Mittagstisch in der Motzstraße hatte ich früher die Bekanntschaft eines Ehepaares gemacht, das ein Sarggeschäft unterhielt. Als ich die Frau wieder in dem Lokal traf, erzählte sie mir, daß ihr Mann kürzlich verstorben sei. Im Laufe der Unterhaltung erwähnte ich beiläufig, daß ich arbeitslos wurde.

Nach Tisch fragte mich die Witwe, ob ich nicht Interesse hätte, Mitarbeiter in ihrem Geschäft zu werden. Auf meine verwunderte Frage, was ich da machen soll, erwiderte sie, daß ich den Kundendienst übernehmen könnte. Die Arbeit wäre einfach. An Hand von Adressen sollte ich zu den Hinterbliebenen von Verstorbenen gehen, um den Familien die Dienste und Särge des Instituts anzubieten.

Außerdem hätte ich die notwendigen Gänge zu den Behörden und Krankenkassen nebst dem damit verbundenen Formularwesen zu erledigen. Die Frau war erstaunt, daß ich prompt ablehnte. Ich bedankte mich für ihr Anerbieten und erläuterte, daß es für mich bedrückend sein würde, mich mit Toten zu beschäftigen und ständig einen schwarzen Anzug zu tragen. Ferner wäre ich nicht in der Lage, den Leidtragenden zu kondolieren, während ich mich gleichzeitig über die Provision freuen würde.

Zum "Glück" hatte ich das Angebot abgelehnt

Mein Zwillingsbruder hatte auch ein Theologie-Stipendium an der Universität Halle abgelehnt, das ihm ein befreundeter Kirchenpatron verschafft hatte. Ihm fehlte die Kraft des Glaubens und die Frömmigkeit.

Es gibt Leute, die nicht aus jeder Sache ein Geschäft machen können.
Während ich ständig grübelte, welche Laufbahn ich jetzt einschlagen könnte, fiel mir ein, daß einer von meinen früheren DAT-Kollegen nach Büroschluß als Billett-Kontrolleur in einem UFA-Kino gearbeitet hatte.

Er hatte uns damals in launiger Manier erzählt, daß ihm der Posten viel Spaß gemacht hat. Wichtiger war mir aber die Tatsache, daß einige seiner Abend- Kollegen nach einer Dienstzeit von zwei bis vier Jahren zu Filmtheaterleitern befördert worden sind.

1933 - Und wieder eine ganz andere Richtung im Blick

Mit einmal kam mir eine Erkenntnis, daß in solchem Werdegang meine Berufung stecken könnte.

Gute Filme, besonders literarische und historische Stoffe, interessierten mich seit meiner Schulzeit und eine Verbindung von Liebhaberei und Beruf könnte ideal sein. Da der Siegeslauf des Tonfilms uns laufend großartige Werke brachte, bot sich hier ein weites Feld.

Daß die »Universum Film AG« die führende europäische Filmgesellschaft war, ist mir bekannt gewesen. An den Litfaßsäulen, in den Zeitungen, an den Fronten der Lichtspielhäuser, in den Titelvorspannen der Spielfilme und Wochenschauen prangte ihr Signum.

Der Gedanke, unter diesem Zeichen arbeiten zu können, ließ mein Herz höher schlagen. Ich war jung und bereit, von der Pike auf zu dienen.

Bewerbung bei der UFA-Zentrale am Dönhoffplatz

Umgehend bewarb ich mich im UFA Palast am Zoo als Kontrolleur, weil dort ein Einstellungsbüro für Kinopersonal untergebracht war. Als ich mich nach vierzehn Tagen wieder dort meldete, erfuhr ich, daß meine Unterlagen noch nicht weitergereicht waren. Für diesen untergeordneten Posten mußten wir drei Referenzen angeben, aber keine Verwandten oder frühere Arbeitgeber. Nicht einmal diese Anfragen waren an die Adressaten gesandt.

Um mein Anliegen zu beschleunigen, fuhr ich mit neuen Bewerbungspapieren in die UFA-Zentrale am Dönhoffplatz und gab beim Pförtner an, daß ich den Personalchef, Dr. Härtung, sprechen möchte. Auf dem Passierschein vermerkte ich unter »Grund des Besuchs«: Information. Unter der Rubrik »Von welcher Firma« trug ich die Telegraphengesellschaft ein. Das stimmte sogar, denn es hatte sich nachträglich herausgestellt, daß mir noch Urlaub zustand.
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Der Personalchef der UFA, ein Dr. Härtung

Der kleine Trick klappte und ich stand kurz danach vor dem Mann, der vielleicht über mein künftiges Los entscheiden konnte. Er war sehr reserviert hinter seinem leeren Schreibtisch, auf dem ein gerahmtes Foto seiner Frau stand. Er bot mir keinen Stuhl an und fragte nach meinem Wunsch. Als ich ihm sagte, daß ich mich um einen Kontrolleursposten bewerben wollte, faßte er mit den Fingerspitzen an seine Brillenbügel und entgegnete betont kühl, daß sein Sekretariat derartige Gesuche bearbeiten würde.

Ich wollte aber nicht so schnell aufgeben und gab an, daß es mich mit großer Freude erfüllen würde, bei dieser weltbekannten Firma arbeiten zu dürfen. Um ihm mein Interesse an Filmfragen zu zeigen, schnarrte ich ein halbes Dutzend UFA-Filme der letzten Zeit herunter.

Dazu die Angaben der Darsteller, Regisseure, Komponisten und Literaturvorlagen. Da der Generaldirektor Klitzsch auch Chef vom Scherl-Verlag war, spannte ich einen Bogen zu dem Haus und nannte dessen Neuerscheinungen. Das war nicht schwer, denn dort erschienen nicht viel Bücher. Seine Macht lag in der Presse.

Dr. Härtung stoppte meine jugendliche Suada, sagte, daß ich meine Bewerbung im Vorzimmer abgeben könnte und schriftlichen Bescheid bekäme. Es klang fast wie ein leichter Spott, als er hinzufügte, daß für das nächste halbe Jahr genügend Gesuche vorliegen würde. Im Sekretariat nahm der Bürovorsteher meine Papiere mit spitzen Fingern entgegen und legte sie auf eine Ablage neben seinem Schreibtisch.

5 lange Wochen bis zur Vorstellung im Gloria-Palast

In meiner neuen winzigen Bude am Nollendorfplatz überlegte ich, ob mein Vorstoß am Dönhoffplatz richtig war.

Fünf Wochen mußte ich warten, bis auf der Dielenkommode der Witwe Kantorowicz ein Brief der UFA lag. Er enthielt die Mitteilung, daß ich mich auf Grund meiner Bewerbung unverbindlich bei dem Theaterleiter vom Gloria-Palast vorstellen könnte. Das nahm ich schon als ein gutes Zeichen. Man hätte mich auch nach Weißensee oder zum Alexanderplatz bestellen können.

Mein Vorstellungsgespräch im Gloria-Palast

Der Chef des Hauses war ein Herr Malbran. Er hatte ein paar Semester studiert, war eine Zeitlang Schauspieler, dann künstlerischer Leiter im »Titania-Palast« und danach Geschäftsführer im »Universum« am Lehniner Platz gewesen.

Er empfing mich in dem eleganten Büro, das mit Stilmöbeln ausgestattet war und wie ein Herrenzimmer wirkte. Tiefe Sessel, breite Couch mit übereck gestelltem Spiegel am Fußende, echte Brücken und pikante Stiche an den Wänden.

Keine Schriftstücke auf dem Schreibtisch. Nur ein kleiner Kontrollautsprecher an der Wand, auf dem der Ton aus dem Film mitlief, ließ auf einen Dienstraum schließen. Der Leiter fragte mich, ob ich bei der Gesellschaft eine Laufbahn einschlagen wolle oder nur einen Zeitabschnitt überbrücken müßte.

Als ich ihm antwortete, daß ich aus dem Posten einen Beruf entwickeln möchte, erklärte er, daß sowas Jahre dauern könnte und das größte Hindernis meine Jugend sei. Er fügte aber lächelnd hinzu, daß diese bekanntlich von allein vergehen würde.

Nach dem eiskalten Empfang am Dönhoffplatz empfand ich dies Gespräch als freundliche Aufnahme.

15. Oktober 1933 - Ich habe den Job im Gloria-Palast

Mit Wirkung vom 15. Oktober 1933 wurde ich mit einem Wochenlohn von 25.— eingestellt.

In Anbetracht meiner kommenden Einkünfte leistete ich es mir, wieder einmal an einem weiß gedeckten Tisch zu sitzen und bei Kottier zu speisen.

Vor meinem Dienstantritt mußte ich mir bei dem Uniformschneider Benedikt in der Hardenbergstraße eine Livree machen lassen. Sie bestand aus roter Jacke mit Goldverzierung, schwarzer Hose mit Gummisteg und weißen Handschuhen.

Nach verschiedenen Umwegen und Hindernissen sollte mein neuer Beruf beginnen. Ich hoffte, mein Ziel zu erreichen.
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