Heinz Fricks Biografie "Mein Gloria Palast" ist in 14 Kapitel gegliedert.
(von Heinz Frick 1984/86) - Ein Tip: Wenn Sie auf dieser Seite zuerst "gelandet" sind, starten sie bitte hier auf der Hauptseite.
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(9) Capitol am Zoo (Anfang 1941)
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Das Capitol - ein Gebäude von Hans Poelzig aus 1926
Das Gebäude stammte von dem Architekten Hans Poelzig. Er hatte sich 1918/19 einen Namen durch den Umbau des Großen Schauspielhauses in Berlin erworben.
Hier im Capitol am Zoo lagen Kassenraum, Parkett und Büro im Erdgeschoß. Im Januar 1926 war das Haus mit 1.200 Plätzen eröffnet worden (also genauso groß wie der Gloria Palast).
Es war ein moderner Zweckbau, in dem die Bildfläche und Orchesterraum versenkbar waren. Wir hatten eine neuzeitliche Klimaanlage, mit der die einströmende Luft gereinigt und um fünf bis sieben Grad gekühlt werden konnte. Ein Außenthermometer im Haupteingang zeigte den Passanten die jeweilige Saaltemperatur an.
Ganz so temperiert wie in einem New Yorker Kino war es bei uns nicht. Dort stand an heißen Tagen ein ausgestopfter Eisbär, der eine Tafel mit der Beschriftung trug: »Ich bin ein bißchen auf die Straße gekommen, weil es mir da drinnen zu kühl ist.«
Josefine Baker gastierte 1926 im Nelson-Theater
Im gleichen Monat, als das Lichtspieltheater seine Pforten öffnete, hatte Berlin eine weitere Sensation. Josefine Baker - exotisch, dunkelhäutig, hochbeinig - gastierte im Nelson-Theater. Sie tanzte in einem Lendenschurz aus Bananen.
Presse und Publikum waren begeistert. Ein neuer Stil aus ihrer karibischen Heimat triumphierte in der Reichshauptstadt. Wenn die Berliner von ihr sprachen, kam Glanz in die Augen der Bewunderer und sie raunten sich zu:
»Wenn Josefine große Wäsche hat,
dann wäscht sie ihr Bananenblatt.«
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Das sprachliche Kriegsniveau war nicht immer Spitze.
So berühmt wie die Abende mit der »Schwarzen Venus« wurden unsere Matineen nicht, aber ausverkauft waren sie. Künstler wie Franz Grothe, Paul Hartmann, Johannes Heesters, Paul Henckels, Karl John, Paul Kemp, Günther Lüders, Karl Napp, Maria Paudler, Norbert Schultze, Rudi Schuricke und viele andere traten bei uns auf.
Karl Napp begann gewöhnlich mit der gleichen Albernheit. Er sagte auf der Bühne mit geheimnisvoller Stimme, daß sich heute eine Fürstin unter den Gästen befände. Dann legte er seine großen Hände mit den engen weißen Handschuhen an die Hosennaht, machte eine übertrieben tiefe Verbeugung zu den vorderen Reihen und sagte devot:
»Guten Morgen, Frau Durchlaucht.« Danach nickte er lässig einer Unbekannten zu und sprach: »Guten Morgen, Frau Gasschlauch.« Zum Schluß der Begrüßung machte er eine flüchtige Handbewegung zu einem weiteren weiblichen Gast und bemerkte: »Guten Morgen, Frau Schnittlauch.«
Kriegsniveau war nicht immer Spitze.
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Als es Ludwig Schmitz zu arg trieb mit den Witzen
Daß uns ein Komiker aus dem Rheinland bei einer Matinee Ärger bereitete, kam auch vor. Ludwig Schmitz witzelte auf der Bühne und begann nach der Melodie des bekannten Reiterliedes aus dem ersten Weltkrieg einen von ihm verfaßten Text zu singen:
»Morgenrot, Morgenrot, sterben ist der schönste Tod.
Morgenrot, Morgenrot, in dem Hemd da sitzt ein Floh.«
Als er zum dritten Vers ansetzen wollte, drückte ich auf den Knopf und der elektrisch gesteuerte Vorhang fiel. Dem verdutzten »Künstler«, der an eine Panne geglaubt hatte, ließ ich durch den Bühnenmeister sagen, daß er abtreten möchte. Gleichzeitig schickte ich die nächste Nummer, ein Rollschuhläuferpaar, das schon parat in den Kulissen stand, auf die Bühne. Der Pianist spielte ihre Melodie und sie begannen zu kurven.
Als Ludwig Schmitz bei mir protestierte, entgegnete ich ihm, daß nicht nur die fünfzig eingeladenen Verwundeten seine Persiflage als verletzend und kränkend empfinden würden. Ich stellte ihm aber anheim, sich über mich zu beschweren.
Heinrich Anacker und sein Gedicht in der »Nachtausgabe«
Im Februar sahen wir die ersten Wochenschaubilder von den Kämpfen in Nordafrika. Heinrich Anacker, der Barde der völkischen Bewegung, veröffentlichte darüber ein Gedicht in der »Nachtausgabe«:
»Das V, das heißt Viktoria,
vom Nordkap bis nach Afrika ...«
Tatsächlich war das V - V stand für Viktoria = Sieg - ein Symbol der Alliierten. Wir hatten versucht, das Zeichen umzumünzen und brachten es auf unseren Panzern, Kanonen, Kriegsgerät und den Hauswänden der besetzten Länder an.
Mai 1941 - Rudolf Hess wartet im abgedunkelten Kassenraum
Anfang Mai war Rudolf Hess bei uns. Im Gegensatz zu seiner sonstigen Gewohnheit kam er in Uniform und war von einem SS-Offizier begleitet, mit dem er in dem abgedunkelten Kassenraum wartete. In diesem Fall mußte ich ihn begrüßen und fragte, ob ich ihm behilflich sein könnte.
Er hatte schon Karten und wollte noch die Ankunft eines weiteren Herrn abwarten. Zwei Tage später ging ich auf Urlaub und traute meinen Augen kaum, als ich im Bayerischen Wald von seinem Englandflug las.
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»Reitet für Deutschland« war immer ausverkauft
In diesem Jahr lief auch »Reitet für Deutschland« an. Das Stück war mehr »ein deutschnationaler Film« geworden, wie ein Herr vom Propagandaministerium sich ausdrückte. Der ganze Stoff war eine Paraderolle für Willy Birgel.
Nach »San Francisco« war der Film das beste Geschäft seit Bestehen des Hauses. Unsere Geschäftsnachbarn beschwerten sich bei mir, daß die »Vorverkaufsschlangen« für das Kino deren Läden und Auslagen blockierten.
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Der erste deutsche abendfüllende "Farb"-film
Wir konnten trotz Krieg mit einem weiteren Ereignis aufwarten. Der erste deutsche abendfüllende Farbfilm »Frauen sind doch bessere Diplomaten« erlebte seine rauschende Premiere.
Unter der eingeladenen Prominenz befand sich der ungarische Botschafter und ließ Marika Rökk den Rote Kreuz-Orden seines Landes mit Schulterband überreichen. Ihr Mann Georg Jacoby war Regisseur des Films.
Er überließ mir die schöne Aufgabe, seiner Frau die Auszeichnung für den Bühnenauftritt anzulegen. So ein Band mußte gut sitzen und durfte auf dem Dekollete nicht verrutschen. Der Film war künstlerisch und technisch hervorragend ausgefallen. Frau Rökks Stern strahlte.
Der Film ließ den Krieg zeitweilig vergessen
Ihr Temperament, die allgemeine Anerkennung für das Werk und die zündenden, heute noch gespielten Melodien von Franz Grothe ließen uns den Krieg zeitweilig vergessen.
Die wohlgelaunte Künstlerin war eine charmante Unterhalterin. Sie erzählte auch, daß sie bei einem Gastspiel in Lübeck von einer großen Menge auf dem Bahnhof freudig begrüßt worden ist. Man rief ihr stürmisch zu: »Hoch die Rökk!«
Joachim Gottschalk und »Die schwedische Nachtigall«
Bei dem Film »Die schwedische Nachtigall« lernte ich Joachim Gottschalk kennen. Als Mensch und Künstler gleich sympathisch. Die Nachricht, daß er mit seiner Familie in den Tod ging, weil er sich von seiner jüdischen Frau nicht scheiden lassen wollte, hat uns tief getroffen. Eine Welle von Haß und Verachtung schlug Dr. Goebbels entgegen.
Hans Albers verlangt einen Spot-Scheinwerfer
Am Vorabend der Uraufführung von »Carl Peters« kam Hans Albers zu mir und verlangte, daß wir im Rang einen Scheinwerfer für ihn aufstellen.
Dieser Spotlight sollte die Aufgabe haben, den Künstler bei seinem Eintritt in den verdunkelten Saal - kurz vor dem Hauptfilm - anzustrahlen und ihn zu verfolgen, bis er in seiner Loge Platz genommen hat.
Albers war der Meinung, daß sein Erscheinen und seine Anwesenheit während der Vorstellung die Gäste in gehobene Stimmung bringen und der schon im voraus einsetzende Beifall eine günstige Aufnahme des Films erzeugen würde. Auf meine Erwiderung, daß ich mich gern bemühen werde, einen solchen Scheinwerfer zu bekommen, reagierte er schon kritisch.
Im Krieg einen Scheinwerfer ? Eine Kleinigkeit ....
Der Künstler, dessen Jahresgage bei 250.000,— RM lag, meinte, daß sowas doch eine Kleinigkeit sei. Das war es damals nicht. Unser gesamtes technisches Gerät, das wir nicht unbedingt brauchten, war aus Sicherheitsgründen nach Werder ausgelagert. Hinzu kam die Schwierigkeit des Transports wegen der Einschränkung des Fuhrparks und der Benzinverknappung.
Ferner mußte ich in Babelsberg, das näher an Werder liegt, einen Techniker auftreiben, der einen geeigneten Scheinwerfer aussuchen sollte. Außerdem mußte dieser für kriegswichtige Aufgaben reklamierte Mann für die Arbeit freigestellt werden.
Es hat alles geklappt und niemand konnte behaupten, daß die "ungünstige" Aufnahme des Films »Carl Peters« durch einen fehlenden Anstrahler im »Capitol« verursacht wurde.
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November 1941 - Der Trauerzug für den Flieger Udet
Im November 1941 benutzten ein Kollege und ich vom Dönhoffplatz zum Kurfürstendamm eine Taxe und gerieten bald in einen Stau, für den wir zunächst keine Erklärung hatten. Der Fahrer drehte sich zu uns und fragte: »Ist denn der Großmufti von Jerusalem wieder bei Adolf?
Die machen ja so'ne fremdländische Musike.« Der Araber hatte Hitler schon 1940 aufgesucht und ihm eine mohammedische Einheit als SS Division für den Einsatz auf dem Balkan zur Verfügung gestellt. Wir horchten auf und vernahmen den Trauermarsch von Chopin. Kurz danach sahen wir die Spitze eines Trauerzuges.
Der Sarg auf der Lafette war mit der Reichskriegsflagge bedeckt. Offiziere der Luftwaffe eskortierten das Gefährt und vorn konnten wir den Jagdflieger Galland erkennen. Göring schritt als erster hinter dem Sarg. Ein langes Defile von Uniformierten und Teilnehmern in schwarz mit Zylindern folgte. Der Flieger Udet - des Teufels General - wurde zu Grabe getragen.
Auf dem Weg zu der Beisetzung ereignete sich ein neues Unglück. Es war wie ein flammendes Menetekel des Schicksals am Himmel. Die Maschine von dem bekannten Oberst Mölders streifte nahe Breslau einen Schornstein und der Offizier fand dabei den Tod.
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Den Abteilungsleiterposten mit Dank abgelehnt
Da ein eingezogener Kollege überraschend einen Erholungsurlaub von vier Wochen erhielt, wollte er während dieser Zeit wieder einmal »Kinoluft schnuppern«. Er bot mir an, mich vierzehn Tage zu vertreten. Dadurch bekam ich einen zusätzlichen »Kururlaub« und fuhr nach Bayern.
Ich hatte unserem Personalchef, Dr. Härtung, auch ein Quartier in der Nähe von Eisenstein besorgt und so haben wir uns gelegentlich getroffen und Wanderungen unternommen. Im Urlaub war der Doktor wie umgewandelt und von großer Freundlichkeit.
Er bot mir an, einen Abteilungsleiterposten in der Zentrale zu übernehmen, da es ihm nicht mehr möglich war, die betreffenden Herren länger vom Heeresdienst zu reklamieren. Er schien etwas verwundert, daß ich es mit Dank ablehnte.
Ich fühlte mich auf meinem Posten wohl, hielt es für selbstverständlich während des Krieges auszuharren und wollte auch meinen Vorgesetzten in der Theaterverwaltung keine personellen Schwierigkeiten bereiten.
Der Patzer eines Kontrolleurs mit dem SA-Führer Lutze
Wenn der SA-Führer Lutze ins Kino gehen wollte, bestellte seine Frau telefonisch die Karten bei mir und sagte, daß sie mit dem »Stabschef« käme. Als dies einmal an meinem freien Tag passierte, wurden die Karten vorher abgeholt, aber nicht bezahlt.
Mein Vertreter bestimmte darauf einen Kontrolleur, der das Geld nach der Vorstellung kassieren sollte. Der nicht sehr gewandte Mann postierte sich an der betreffenden Loge und als das Saallicht anging, sagte er vernehmlich:
»Herr Lutze, ich kriege noch acht Mark von Sie für die beiden Plätze.« Die anderen Gäste horchten auf und erkannten den Mann in Zivil, der seine Börse zückte.
Am nächsten Tag bekam das Sekretariat von unserem Generaldirektor eine telefonische Beschwerde der SA-Führung über das taktlose Verhalten des Kontrolleurs und man verlangte eine Entschuldigung.
Die Theaterverwaltung ordnete an, daß ich es tun sollte. Ich begab mich dazu in das Große Hauptquartier der SA. In der Adjutantur von Lutze war man vernünftig und erklärte die Sache für erledigt.
Ein Expose für einen banalen Liebesfilm - samt Aktfoto
Auf meinem Schreibtisch lag einst ein Brief an die Direktion mit den Zusätzen »Persönlich« und »Vertraulich«.
Er enthielt ein Expose für einen banalen Liebesfilm. Die Schreiberin bat mich, ihr Schreiben an unsere Produktion zu leiten. Da ihr die Hauptrolle in dem Filmentwurf »wie auf den Leib geschrieben sei« bat sie um meine Fürsprache, ihr dazu zu verhelfen.
Damit man auch wüßte, wie dieser Leib geschaffen ist, hatte die Absenderin ihr Aktfoto beigefügt.
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Unsere Frau Eckstein aus der »Tango-Bar«
Im Herbst bewarb sich eine junge Frau namens Eckstein als Anweiserin. In auffallender Garderobe betrat sie mit wiegenden Hüften, grell geschminkt und mit schlecht gefärbtem Haar, mein Büro.
Beim Schreiten ließ sie ihre Fußsohlen ungewöhnlich lange auf dem Fußboden haften. Sie gab an, daß sie als Barfrau in der Friedrichstraße arbeiten würde. Da das Arbeitsamt ihr angekündigt hatte, daß diese Beschäftigung sie nicht vor einer Dienstverpflichtung in die Rüstungsindustrie schützen könnte, sprach sie bei uns vor.
Meine Frage, ob sie in der »Tango-Bar« tätig wäre, bejahte sie. Eine innere Stimme sagte mir, daß es besser wäre, auf die Bewerberin zu verzichten, und ich lehnte sie ab. Darauf bat sie mich so sehr, es mit ihr zu versuchen und macht so schön »bitte, bitte«, wobei ihr Gesicht die Züge eines unbescholtenen Schulmädchens annahm, daß ich sie einstellte.
Harte Zeiten - Vier Wochen Gefängnis wegen Arbeitsbummelei
Es war bekannt, daß in dem Lokal wo sie beschäftigt war, eine schlecht behütete Kriegsjugend ihre besten Kräfte ließ.
Kaum war die Probezeit von der Dame Eckstein beendet, als sie schon den ersten Knall auslöste. Als sie durch die Kassenhalle ging, um ihren Dienstplatz aufzusuchen, erhob sich ein junger Mann, trat auf sie zu und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige. Danach rief er: »Du weißt, warum!« und verschwand im Dunkel der Straße.
Am nächsten Tag erschien sie mit geschwollener, aber stark gepuderter Backe zum Dienst. Ich bestellte sie ins Büro und ermahnte sie, bei der Auswahl ihrer Bekannten etwas vorsichtiger zu sein, damit sich solch ein Vorfall nicht wiederholen könnte.
Sie erwiderte mit entwaffnender Naivität, daß sie nicht dafür verantwortlich zu machen sei, wenn »ein Verrückter ihr eine knallen würde«. Nachdem die Angestellte dreimal unentschuldigt gefehlt hatte, mußte ich sie fristlos entlassen und es unserer Personalabteilung mitteilen. Diese meldete den Fall dem »Treuhänder der Arbeit«, von dem Anzeige wegen Arbeitsbummelei beim Arbeitsgericht gestellt wurde.
Die ehemalige Anweiserin erhielt vier Wochen Gefängnis und wurde im Anschluß an das Urteil im Gerichtssaal abgeführt. Mit einer solchen Betrafung hatten wir nicht gerechnet und bedauerten, daß es dazu kommen konnte.
Die geschiedene Frau Eckstein hat im gleichen Jahr geheiratet und mit ihrer Familie den Krieg wohlbehalten überstanden. Ich hatte später den Eindruck, daß ihr die berufliche Zwischenstation in unserem Kino Glück gebracht hatte.
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1941 - Erhebliche Zweifel am von oben propagierten Sieg
Aus gegebenen Anlaß flüsterte mir der Oberkontrolleur in der Kassenhalle zu: »Jetzt scheinen die oben wohl auch zu wissen, daß wir den Krieg verlieren, denn Prinz Eitel Friedrich hat mir eben zwei Mark Trinkgeld gegeben. Wenn die Alliierten einrücken, bekommen wir doch Besatzungsgeld.«
Etwa zu der Zeit erzählte man auch, daß die Verbündeten nach der Besetzung Deutschlands Fragebogen an die Bevölkerung verteilen würden. Eine Position sollte lauten: »Waren Sie im Konzentrationslager? Wenn nein, warum nicht?«
Das Capitol - immer noch fast immer ausverkauft
Da wir fast immer ausverkauft waren, hatte der Oberkontrolleur gute Umsätze. Er hatte die telefonischen Bestellungen auszugeben, damit die Kassiererinnen entlastet wurden und bekam dadurch viele Extras.
Wenn er die nicht abgeholten Reservate zu Beginn der Vorstellung auflöste, fielen von den »Anwärtern« erhebliche Trinkgelder ab.
Einmal kontrollierte ich die Reservate und dabei fiel mir auf, daß verschiedene »Bestellungen« weder Name noch Nummer trugen. Der Angestellte hatte sich von der Kassiererin noch Karten für Bestellungen geben lassen, die er angeblich selbst in der Kassenhalle angenommen hat.
Das war für beide Teile streng verboten, weil dadurch die geduldig wartenden Besucher an der Kasse benachteiligt wurden. Der Mann bekam eine schriftliche Verwarnung von mir, mit dem Inhalt, daß er bei einer neuerlichen Bevorzugung von Gästen entlassen wird.
Generalfeldmarschall Milch kam vormittags in Uniform
Drei Tage später passierte etwas, das während des Krieges einmalig war. Der Generalfeldmarschall Milch kam vormittags in Uniform zum Vorverkauf und fragte den Oberkontrolleur, ob er schon Karten für Sonnabend haben könnte.
Der Portier antwortete: »Bitte sehr« und deutete auf das Ende der Wartenden. Der Offizier knarrte ihn an: »Dachten Sie vielleicht, daß ein deutscher General in Uniform sich in der Reihe anstellt?« Der Mitarbeiter, eingedenk der Verwarnung und in der Hoffnung, doch noch ein Trinkgeld zu ergattern, antwortete: »Ja, dann muß ich den Chef holen.« Der Marschall entgegnete: »Das wird doch wegen der Karten nicht nötig sein.«
Eine Kassiererin hatte den Vorfall bemerkt und mir ein bestimmtes Klingelzeichen gegeben, daß ich sofort nach vorn kommen müsse. Ich eilte in die Halle, begrüßte Milch, nahm seinen Kartenwunsch entgegen und holte die Billetts aus der Kasse. Während des Krieges standen die Feldmarschälle rangmäßig über den Reichsministern.
Der Oberkontrolleur hat's mir dann 1947 "gesteckt"
Als ich 1947 den ehemaligen Oberkontrolleur am Alexanderplatz wiedertraf, teilte er mir mit, daß er sich nach der Kapitulation zwei Pferdefuhrwerke angeschafft hätte und damit Stadtumzüge durchführen würde. Er bekam mehr Aufträge als er erledigen konnte und es ging ihm gut.
Leicht sarkastisch erwähnte er, daß meine Korrektheit mir doch wenig genutzt hätte, wenn ich jetzt einen Schreiberposten bei der DEFA annehmen mußte.
Er erinnerte sich, daß ich 1943 das Angebot eines türkischen Botschaftsangestellten - ein halbes Pfund Kaffee als Dank für zwei bezahlte Karten bei ausverkaufter Premiere - abgelehnt hatte.
Die hundert Kämme, die mir damals ein Rumäne offeriert hatte, konnte der Portier von seinen Trinkgeldern erwerben und sie später mit hohem Gewinn auf dem Schwarzen Markt abstoßen.
Paul Wegener und ich kannten uns
Bei dem Start des ersten Barlog-Films nach dem Streuvels-Stoff »Der Flachsacker« fragte ich den Assistenten, ob die Gaukler noch nicht gekommen wären. Ehe er antworten konnte, hörten wir hinter uns aus dem halbdunklen Kassenraum die tiefe brüchige Stimme von dem Hauptdarsteller Paul Wegener: »Gaukler - ist gut.«
Wir haben uns lachend begrüßt. Sein Lob über Boleslaw Barlog, den späteren Intendanten, faßte der große alte Mime in einem Satz zusammen: »Der Mann hat Kultur.«
Nach dem Krieg taten sich für mich viele Fragen auf . . . .
Nicht nur damals (1944), sondern auch heute (1985) ist mir unverständlich geblieben, daß Leute von Rang, Niveau und Bildung während des Krieges nach Deutschland zurückkehrten und sich dem System für einflußreiche Positionen zur Verfügung stellten.
Dieser Kreis hatte doch im Ausland genug Möglichkeit, sich eingehende Informationen über die wahren Zustände in »Großdeutschland« zu verschaffen.
Oder gibt es doch so etwas wie einen »Ruf der Heimat«, dem man sich besonders dann nicht entziehen kann, wenn das Land der Väter in einen tödlichen Kampf verstrickt ist.
Warum kam ein berühmter Schauspieler, der in New York reüssierte, in das »moderne Sparta« zurück. Warum folgte ihm ein bekannter pazifistischer Schriftsteller, der in die Schweiz emigriert war.
Als Angehöriger einer Propagandakompagnie wurde er Chefredakteur der Soldatenzeitung »Adler im Süden«. Was bewog einen international anerkannten Regisseur über Frankreich nach Deutschland zurückzukehren?
Sommer 1942 - Der Regisseur Herbert Selpin wurde ermordet
Im Sommer erhielten wir eine Nachricht, die der Gedanken Lauf lähmte. Der Regisseur Herbert Selpin, mit dem ich gut bekannt war, wurde in der Zelle seiner Gestapo-Haft tot aufgefunden. An seinen Hosenträgern erhängt.
Seine Verhaftung war auf persönlich Anweisung von Dr. Goebbels erfolgt, da der Regisseur sich abfällig über Offiziere geäußert hatte. Seine Weigerung, die Bemerkung zurückzunehmen, führte zu seinem Tod. Uns war, als ob wir selbst den staatlichen Würgegriff verspürten.
Herbst 1942 - Noch keine ernsthaften Personalsorgen
Personalsorgen hatten wir damals wenig. Mit Kassiererinnen waren wir versorgt. Als Kontrolleure bekamen wir bis zum bitteren Ende Pensionäre und Anweiserinnen meldeten sich genug. Vielfach junge Frauen, die lieber bei uns als in der Fabrik arbeiteten. Bei den Garderobenfrauen brauchte keine Umschichtung stattfinden.
Das technische Personal wurde knapp. Unseren Beleuchter und Bühnenmeister konnten wir noch reklamieren. Bei den jungen Vorführern war dies nicht mehr möglich. Unsere Versuche mit angelernten jüngeren Frauen schlugen oft fehl.
Die Bildwerfer waren noch nicht so ausgereift und sind während des Krieges reparaturanfälliger geworden. Bei Störungen waren die neuen Kolleginnen in der Kabine meist ratlos.
Technische Hilfe aus Frankreich - ein Vorführer
Da kam Hilfe aus Frankreich. Ein Vorführer aus dem renommierten Pariser REX hatte sich freiwillig nach Deutschland gemeldet und trat bei uns ein. Er trug im Dienst den weißen Kittel mit dem blau gekrönten Schriftzug seines heimatlichen Stammhauses.
Höflich wie er war, hatte er mich vorher gefragt, ob ich dies gestatte. Wir hatten »unseren Franzmann« alle gern. Er war ein angenehmer, stets freundlicher Mitarbeiter und perfekter Techniker.
Wenn ich Zeit hatte, gab ich ihm Deutschunterricht und ergänzte dabei meine französischen Kenntnisse. Nachdem er ein Jahr im Dienst war, meldete er sich bei mir und bat, die UFA-Nadel zu erhalten, die in drei Ausführungen vergeben wurde.
Ich beantragte sie für ihn und er trug das Abzeichen stets auf dem Rockaufschlag.
Eine Carmen-Schönheit mit "erwärmenden Reizen"
Ende des Jahres kam aufgeregt eine junge Frau in mein Büro - schwarzhaarig, temperamentvoll - eine Carmen-Schönheit, die gut im Saft stand, und berichtete mir mit Tränen in den Augen von ihrem fatalen Mißgeschick.
Sie hatte bei »Kranzler« (Cafee Kranzler war gegenüber vom Gloria-Palst und der Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche am Kudamm) die Bekanntschaft eines seriös wirkenden Mannes gemacht, der sie in unser Kino eingeladen hatte. Ihre Logenplätze lagen im Rang. Da es ihr zu kühl war, hatte sie den Begleiter gebeten, ihren Pelz aus der Garderobe zu holen.
Der Kavalier ließ sich den Mantel aushändigen, dazu auch seinen und verließ das Haus. Der Ehemann der Betrogenen war für einige Tage dienstlich abwesend. Ich war zu meinem Bedauern nicht in der Lage, ihr zu helfen und sie ist verzweifelt gegangen. Nach etwa zwanzig Minuten kam die Frau zurück und fragte mich vorsichtig, ob ich nicht der Versicherung ein irrtümliches Vertauschen von zwei Garderobenstücken melden könnte. Als Beweismittel könnte sie mir einen alten Mantel von sich mitbringen.
Trotz ihrer erwärmenden Reize entgegnete ich ihr sehr kühl, daß weder die Garderobenfrau noch ich uns als Gehilfen für einen Versicherungsbetrug hergeben würden. Die Besucherin hauchte eine Entschuldigung und verschwand.
1943. Das Jahr der Nemesis ist angebrochen.
Stalingrad. Marschall Mannerheim verlangt das Ausscheiden Finnlands. Der totale Krieg. Die weiße Rose. Aufstand im Warschauer Ghetto.
OKW-Sondermeldung: Der Heldenkampf der deutschen und italienischen Afrika-Verbände hat heute sein ehrenvolles Ende gefunden. Italien kapituliert. Herbstoffensive der Roten Armee. Schlachtschiff »Scharnhorst« gesunken.
Wie lange noch ... ?
Aber es gab Leute, die an dem Krieg vorbeileben konnten. SA-Stabschef Lutze starb an den Folgen eines Autounfalls, als er von einer Hamsterfahrt kam. Ein Gendarmeriebeamter aus Werder, der die Unfallstelle überwacht hatte, erzählte mir, daß der verletzte SA-Führer in einem Haufen von Würsten, Butter und Schinken gelegen hätte. Es dauerte merkwürdig lange, bis die Erklärung bekannt gegeben wurde, daß Lutze ein Parteibegräbnis erhalten würde.
Einige Tage zuvor hatte ich ihn noch in der Budapesterstraße gesehen, als man ihn während der Mittagspause in ein elegantes Herrenartikelgeschäft einließ. So hatte er Gelegenheit, ungestört einzukaufen.
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März 1943 - Das fünfundzwanzigste Jubiläum der UFA
Im März 1943 beging die UFA das Jubiläum ihres fünfundzwanzigsten Bestehens. Ich hatte eine Einladung für den Ufa Palast am Zoo erhalten und konnte das große Aufgebot von Prominenz erleben.
Nach einer Ouvertüre von dem Firmenorchester sprach Generaldirektor Klitzsch über die Entwicklung der Gesellschaft. Danach ergriff Dr. Goebbels das Wort.
Unser oberster Chef Hugenberg, den ich bei dieser Gelegenheit zum ersten Mal sah, muß diese Ansprache mit zwiespältigen Empfindungen vernommen haben. Verwünschte er jetzt den Tag der »Harzburger Front«, da er den »braunen Bataillonen« Anerkennung verschafft hatte.
Inzwischen wurde er von seinen ehemaligen Bundesgenossen kaltgestellt und war nicht mehr Mitglied des Kabinetts. Sein wichtigster Mann, Ernst Hugo Corell, Produktionschef der UFA, wurde 1939 mit einem öffentlichen Affront von Dr. Goebbels entlassen.
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Merkwürdige Zusammenhänge und ein Film von Erich Kästner
Die anschließende Verleihung des Adlerschildes des Deutschen Reiches mit der Beschriftung »Dem Bahnbrecher des Deutschen Films« durch den "diable boiteux" (gemeint ist "Der hinkende Teufel" = Josef Goebbels) an Hugenberg wirkte demnach wie ein Hohn und Possenspiel.
Danach übergab der Minister die Ernennungsurkunden für Veit Harlan und Wolfgang Liebeneiner zum Professor.
Sinniger Weise hatte für den folgenden Jubiläumsfilm »Münchhausen« ein Schriftsteller das Drehbuch geschrieben, der Schreibverbot hatte: Erich Kästner.
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Wir klammerten uns nur noch an Illusionen und Gerüchte
Am nächsten Tag erhielt ich die goldene Nadel der Firma mit der Zusicherung, daß damit meine Unkündbarkeit verbunden wäre.
Obwohl wir alle sahen und merkten, daß die Nation ihrem Untergang entgegensteuerte, klammerten wir uns an Illusionen und Gerüchte. Das Thema, daß wir mit dem Westen einen Separatfrieden schließen würden, um mit ihm gemeinsam gegen die Russen zu kämpfen, wollte nicht verstummen.
Ganz plötzlich - Mussolini wurde auf der Flucht verhaftet
Beim Friseur in der Nürnbergerstraße, ich sprach gerade mit dem anwesenden Günther Lüders wegen eines möglichen Gastspieles, platzte die Nachricht von der Verhaftung Mussolinis durch seine Parteigänger herein.
Da ich einen italienischen Film über die deutsch-faschistische Waffenbrüderschaft auf dem Spielplan hatte, glaubte ich, daß er abgesetzt werden müßte. Ich eilte ins Kino und rief die Zentrale deswegen an.
Dort hatte man sich mit dem Thema überhaupt noch nicht befaßt und wollte erst mit dem Propagandaministerium sprechen. Ich war so naiv zu glauben, daß Italien nach dem Sturz des Duce von uns als Feindesland besetzt wird oder wir kapitulieren würden. In beiden Fällen wäre der Film zurückzuziehen.
Wer sich kritisch über unsere Chancen äußerte, wurde verhaftet, verurteilt und hingerichtet
An die Kette der folgenden militärisch-politisch Manöver, die sich als sinnlos erwiesen, hätte ich nicht gedacht. Der Film blieb auf dem Programm und man konnte weiterhin sehen und hören wie deutsche und italienische Soldaten auf einem Lazarettschiff sangen: »Antje, mein blondes Kind.«
Ein mir bekannter Schneidermeister, der nach der Revolte in Italien zu einem Kunden äußerte: »Jetzt ist der Krieg ja aus und Deutschland kann einpacken«, wurde von Freisler (der oberste Richter am deutschen Volkgerichtshof) zum Tode verurteilt.
- Anmerkung : Dieser Gefahr war sich auch unsere Berliner Oma Helene Schandl bewußt, als sie meiner Mutter Vareria auftrug, um Gottes Willen den Mund zu halten und nicht (nie) mehr zu fragen, wohin alle ihre Klassenkameradinnen denn "umgesiedelt "würden. Unser Berliner Opa Eduard war auch Schneidermeister aber mit tschechischem Paß und damit hochgradig bzw. extre gefährdet. Mehr darüber lesen sie bei Kriegskinder.
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23. Nov. 1943 - Vom Sturm des Infernos eingeholt
Dienstag, den 23. Nov. 1943, spielten wir »Gefährlicher Frühling« mit Olga Tschechowa. Der Tag war ohne besondere Vorkommnisse verlaufen. Die letzte Vorstellung hatte begonnen. Nach der Tradition des Hauses hatte der Bühnenmeister den Hauptfilm mit dem Handgong eingeläutet.
Bald danach gab es Vorwarnung. Ich verständigte die Vorführer davon und ging durch das Kino, um mich zu überzeugen, ob alle Posten besetzt wären. Kurz danach heulten die Alarmsirenen, der Hauptvorhang fiel und das kleine Saallicht ging an.
Ich ging in den Zuschauerraum, bat die Gäste den Luftschutzkeller aufzusuchen und sagte ausdrücklich an, daß wir die Garderoben erst im Keller ausgeben würden. Die Führung der über 600 Gäste in den Schutzraum übernahm unser Personal.
Als das Flakfeuer einsetzte - wußten wir - es geht los
Das Flakfeuer vom benachbarten Zoo-Bunker setzte ein und wir hörten auch das entfernte Bersten von Sprenggranaten. Vom Dach aus konnten ein Techniker und ich sehen, daß es in verschiedenen Ortsteilen brannte.
Die Besucher verhielten sich besonnen und wir konnten keine Nervosität feststellen. Als ich wieder im Parkett war, vernahmen wir an der Saaldecke kurze metallisch klingende Geräusche. Die ersten Brandbomben schlugen ein und an drei bis vier Stellen im Parkett züngelten die Flammen.
Manche Stabbomben waren auch Blindgänger. Die ersten vereinzelten Brandherde konnten wir mit Sand, Feuerpatschen und Wasser löschen.
Wir waren jetzt mit dem Löschen schon überfordert
Als ich merkte, daß wir die Gefahr nicht bewältigten, lief ich in den Keller und bat einen anwesenden Arbeitsdienstführer, uns mit seinem Trupp zu helfen. Hilfsbereit kamen sie mit. Auf dem Rückweg sah ich zu meinem Schrecken, daß der schwere Bühnenvorhang Feuer gefangen hatte. Da wußte ich, daß das Kino verloren war.
Bei Theaterbränden hatte die Feuerwehr stets Großalarm gegeben. Kurz danach fiel der Hydrant aus. Unsere Wasservorräte in den Fässern und auch der Sand waren aufgebraucht. Die Feuerpatschen durch heftiges Hantieren unbrauchbar geworden.
Ohnmächtig standen wir dem Inferno gegenüber. Die Orchesterstühle in der Versenkung vor der Bühne, unsere Polsterbestuhlung und Teile der Veloursbespannung vom Fußboden brannten an verschiedenen Stellen und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann sich diese Herde zu einem Flammenmeer vereinen würden.
Das Foyer aber, an dessen Ende mein Büro lag, blieb noch vom Feuer verschont, war aber wegen der unerträglichen Hitze und starken Rauchentwicklung kaum zu betreten. Das Telefon funktionierte noch. Bei der Feuerwehr kam man nicht durch.
Als die Flakgeschütze schwiegen - Ein Fanal des Untergangs.
Als die Flakgeschütze schwiegen und das Donnern der Flugmotoren verstummt war, trat ich mit zwei Mitarbeitern vor unseren Haupteingang.
Die großen Glasscheiben unserer Türen waren zerborsten. Vor uns lohte eine riesige Feuersbrunst.
Die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche, das Romanische Cafe, die Goldene Traube, der Ufa-Palast am Zoo, der Gloria-Palast, Hotel Hessler und die benachbarten Wohnhäuser standen in Flammen. Ein Fanal des Untergangs.
Es wurde Entwarnung gegeben und bald füllten sich die Straßen mit Hunderten von verzweifelten Leuten, darunter viele Frauen mit kleinen Kindern. Infolge der gewaltigen Hitze kam es zu atmosphärischen Störungen.
Wir gingen in unseren Luftschutzraum, damit das Verlassen des Kellers durch die Kinogäste in geordneten Formen veranlaßt wird.
Wir bereiteten die Besucher darauf vor, was sie auf den Straßen erwartet.
Ganz erstaunlich, das Telefon funktionierte noch
Danach bargen wir technisches Gerät im Haus und brachten es provisorisch im Keller unter. Als dies geschehen war, versuchte ich von meinem Büro im Capitol aus unser »Flaggschiff«, den Ufa-Palast am Zoo anzurufen. Es klappte.
»Hier Ufa-Palast am Zoo, Luftschutzzentrale Lutt.« »Frick, wie ist die Lage?« »Das Haus ist völlig ausgebrannt. Kassenhalle erhalten. Besucher nach Entwarnung ohne Zwischenfälle ins Freie gebracht. Mein Telefonkabel schmort. Gespräch gleich beendet.«
Es knackte in der Leitung. Aus.
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Die Zeiger der Turmuhr zeigten 7 Uhr 30
Unser Franzose kam ins Büro und berichtete mir, daß man von der Feuerwehrleiter noch einen Teil des Daches betreten könne. Ich wagte die Kletterei und hatte einen unvergeßlichen Blick auf die gespenstisch in Feuer und Rauch gehüllte, sterbende Reichshauptstadt.
Die Zeiger der Turmuhr waren stehen geblieben und zeigten 7 Uhr 30. Von unserem Lug konnten wir den Viktoria-Luise-Platz ausmachen und wahrnehmen, daß ein Teil der Luitpoldstraße brannte. Wie wird es meiner Frau ergangen sein.
- Anmerkung : Hier wieder ein kurzer Hinweis auf seine Ehefrau, die in der Biografie bisher sehr selten vor kommt.
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Überall in Berlin Mitte eine gespenstische Untergangsstimmung
Meine Mitarbeiter hatten sich inzwischen verabschiedet und wir verabredeten uns für den nächsten Tag um fünfzehn Uhr in meinem »Restbüro«. Nach einer Rücksprache mit der Zentrale wollte ich ihnen zu dem Zeitpunkt neue Arbeitsplätze anweisen.
Der beizende Rauch und der Sog der Feuerstürme waren heftiger geworden. Nachdem der Hausmeister sich freiwillig zur Nachtwache gemeldet hatte - in einem Nachbarhaus hatte ich schon beobachtet, wie das Plündern losging - stiegen die beiden Vorführer und ich über die Mauer vom Zoologischen Garten, weil wir in der Nähe des Kinos bleiben wollten.
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Wildes Chaos im Tierpark
In dem Tierpark war die Luft erträglich. Da abermals Fliegeralarm gegeben wurde, versuchten wir einen Felsenbunker zu erreichen. Unterwegs traf ich den Zoodirektor, Dr. Lutz Heck mit seinem Sohn.
Beide waren mit Jagdgewehren ausgerüstet, um ausgebrochenen und verwundeten Tieren einen Fangschuß geben zu können. Verschiedene Wärter waren gleichfalls bewaffnet. Auerochsen und Wisente galoppierten durch den Park, daß die Erde dröhnte. Ein großer Teil der Stallungen und Gehege stand in Flammen.
Auch hier eine gespenstische Untergangsstimmung. Später mußten die Löwen aus Sicherheitsgründen getötet werden und Professor Heck war schweren Herzens gezwungen, eins seiner Lieblingstiere, den wertvollen afrikanischen Mantelpavian, zu erschießen.
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Unsere beiden fleißigen "ausländischen" Mitarbeiter
Nachdem zum zweiten Mal Entwarnung gegeben war, verabschiedete ich mich gegen Mitternacht von den beiden Technikern. Beide waren Ausländer - außer dem Franzosen war noch ein Holländer tätig - und sie waren "Mitarbeiter" im besten Sinne des Wortes gewesen. Ich bedankte mich für ihre Arbeit, ihren Fleiß und ihre Hingabe für unsere gemeinsame Aufgabe.
Sie sollten sich am nächsten Tag bei unserer Abteilung Technik in der Krausenstraße melden. Der Franzose kam nochmal zurück und bat mich um ein Zeugnis, das von mir unterschrieben sein sollte. Er hat es bekommen.
Toilettenzeug und noch ein frisches Oberhemd
Den Rest der Nacht verbrachte ich auf einer Bank vom Büro im Tauentzienpalast. In meinem »Luftschutzkoffer« hatte ich das notwendige Toilettenzeug und noch ein frisches Oberhemd. Die Putzfrauen kannten mich und ließen es sich nicht nehmen, mir ein bescheidenes Frühstück zu bereiten. Dann tippte ich meinen Bericht über die Zerstörung des »Capitol am Zoo« und machte mich auf den Weg in die Zentrale, um Meldung zu erstatten. Es war ein schwerer Gang.
Vor zehn Jahren hatte es so hoffnungsvoll begonnen, jetzt stand ich vor dem Nichts, konnte der Frau kein neues Heim schaffen und bangte um unser Leben. Aber unsere Soldaten hatten es schlimmer, verglichen mit ihnen ging es mir noch »gut«.
24. Nov. 1943 - Zum traurigen Abschied eine Flasche Asbach
Ich machte einen Umweg, um noch einmal in das Kino zu gehen. Vor dem »Romanischen Cafe« erkannte ich schon von weitem Herrn Fiering, den Inhaber. Auch sein bekanntes traditionsreiches Haus war ein Opfer der Flammen geworden. Er bat mich einzutreten, ich war oft bei ihm Gast gewesen, und schenkte mir »zum traurigen Abschied« eine Flasche Asbach.
Als ich im Frühjahr 1945 ohne Meldebescheinigung beim Volkssturm keine Lebensmittelkarten in Drewitz erhielt, tauschte ich die Flasche bei einem Bauern gegen »unser täglich Brot« ein.
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Meine Frau hatte unversehrt überlebt . . .
In der UFA-Zentrale herrschte Niedergeschlagenheit und Nervosität. Meine Berichterstattung fiel demnach kurz aus. Ich legte noch die Aufteilung meiner Mitarbeiter fest, mit denen ich nachmittags verabredet war und bat für den Rest des Tages um Urlaub, um meine persönlichen Angelegenheiten zu regeln.
Inzwischen hatte meine Frau in der Krausenstraße bei unserer Verwaltung angerufen, daß sie unversehrt geblieben, die Wohnung ausgebrannt, und sie mich gegen 13 Uhr im »Cafe Woerz« am Nollendorfplatz erwartet.
25. Nov. 1943 - Nichts außer einem kleinen Koffer
In den vierundzwanzig Stunden, da wir uns nicht gesehen, war viel passiert. Sie hatte nur einen kleinen Koffer retten können. Das andere Gepäck war im Luftschutzkeller gestohlen worden.
Damals waren die Kellerräume von verschiedenen Häusern durch Mauereinbrüche miteinander verbunden. In der Panik der Nacht kamen zahlreiche Fremde durch die verschiedenen Keller und so konnten Koffer schnell verschwinden. Bei solchen Gelegenheiten wurde regelrecht geplündert.
Selbst die angedrohte Todesstrafe schreckte nicht immer ab. Hat Goethe eigentlich recht, wenn er verkündete, daß der Mensch von Natur aus gut sei. Meine Frau war gefaßt und klagte nicht. Eine kritische Phase, in der es um das Überleben ging, hatten wir überstanden.
Ohne Worte haben wir es trotz alledem dankbar empfunden. Wir fanden zunächst bei ihrer Schwester Unterkunft und dort konnte sie sich auch »einkleiden«. Damals fragten die Frauen nicht, ob der pastellblaue Mantel einen schmalen Fuß macht oder man in dem Schottenkostüm von hinten aussieht, als ob man vorne hübsch ist.
Das Leben ging weiter.
Die durch Zerstörung der Häuser freigewordenen Theaterleiter bekamen von der UFA den Auftrag, Ausweichkinos zu organisieren. Wir mußten Säle und Aulen aufspüren, in denen sich Notkinos einrichten lassen.
Zunächst suchte ich in dieser Sache den damaligen kommissarischen Oberbürgermeister Steeg im Rathaus auf und bat ihn um Unterstützung. Er lehnte es ab und erklärte, daß es ihm bisher noch nicht möglich war, den ca. 240.000 Ausgebombten ausreichende Quartiere zu beschaffen. In dieser Situation müßte die Errichtung von Kinos zurückstehen. Steeg hatte recht und ich hatte mit einer Ablehnung gerechnet. Dennoch wollte ich es nicht unversucht lassen.
In den Nächten vom 22.-24. November 1943 haben in Berlin über 400.000 Bewohner ihre Wohnungen verloren. Über 3.700 haben den Tod gefunden. -
Sag mir, wo die Gräber sind ... (das war später ein Lief von Dalia Lavi)
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Um Haarebreite an einem zweiten Inferno vorbeigeschliddert
Heute wissen wir aus der Militärgeschichte, daß ein weiterer Bomberverband mit 1000 Lancaster-Maschinen im Anflug war. Der befohlene Angriff auf die Reichshauptstadt scheiterte am Bodennebel, die Flugzeuge mußten vorzeitig abdrehen und den Rückflug antreten.
Die Drohung von dem britischen Luftmarschall Harris, daß er Berlin von einem Ende zum anderen in Trümmer legen könnte, war zunächst abgewendet.
Insgesamt gesehen starben die deutschen Städte nicht. Die Rüstungsproduktion erreichte eine bisher nicht gekannte Steigerung.
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»Bomber-Harris« Der Verfechter der rücksichtslosen Anwendung von Kriegsmethoden
Mit »Bomber-Harris« hatte die englische Regierung nach offiziellen Angaben »den konsequentesten Verfechter der rücksichtslosen Anwendung von Kriegsmethoden, welche die ganze zivilisierte Welt in Schrecken versetzen und ihre Existenz bedrohen mußten«.
1984 verstarb er friedlich mit 92 Jahren im Bett seiner Londoner Wohnung.
Auf der Suche nach Ersatzkinos
Auf der Suche nach Ersatzkinos kam mir »General Zufall« zur Hilfe. Ich fuhr in die Wilhelmsaue, um einen mir bekannten Hausbesitzer zu fragen, ob er eine Wohnung für mich hätte. In der Straße entdeckte ich einen Saal, der ehemals von der Christian Science unterhalten wurde. Er stand zur Zeit leer.
Ich wies mich bei dem Portier des Hauses aus, gab ihm ein Trinkgeld und bat ihn, mir die Räume zu zeigen. Hierbei erfuhr ich, daß die Räumlichkeiten der SS unterstanden. Hinter dem eigentlichen Vortragssaal befand sich noch ein Zimmer, das als Vorführungsstätte ideal wäre.
Da der Saal feststehende Bankreihen hatte, würde die Sorge wegen des Einbaus einer Bestuhlung entfallen. Ich zog noch einen Kollegen von unserer Abteilung Technik hinzu, der eine Installierung von zwei Bildwerfern mit dem notwendigen Zubehör für möglich hielt. Ein genügend großer Platz für eine Bildfläche war vorhanden.
Das Ausweichkino entstand schneller als wir gedacht hatten
Unsere Zentrale billigte den Plan und führte die erforderlichen Verhandlungen mit der SS, die uns die Räume überließ. In dem vorhandenen Garderobenraum konnten wir eine Kasse aufbauen. Das erste Ausweichkino entstand schneller als wir gedacht hatten.
Am Vorabend brachte ich eine Kopie hin, wir machten einen kurzen Probelauf und trotz der um uns herrschenden Not und Angst freuten wir uns ein bißchen, daß alles verhältnismäßig gut geklappt hat.
Als ich am nächsten Tag das Haus nicht gleich fand, glaubte ich erst, daß ich mich in der mir fremden Gegend verlaufen hätte. Es war anders. Die Royal Air Force hatte in der Nacht das Gebäude samt Kino am Boden zerstört.
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Als ein Oberstudiendirektor den Herren spielte
Meine Verhandlungen, die ich mit dem Direktor des Schiller-Gymnasiums wegen der Aula führte, verliefen nicht so glatt. Zunächst lehnte er meine Bitte rundweg ab.
Bei einem zweiten Besuch zeigte er eine gewisse Bereitschaft mit dem Vorbehalt, daß das Gymnasium über die Aula verfügen könne, wenn es den Raum für eine Veranstaltung benötigt. Außerdem müsse er noch eine Kalkulation wegen der Pacht aufstellen lassen.
Ferner verlangte der Oberstudiendirektor bei Überlassung des Saales die Hinzuziehung der Baupolizei, damit festgestellt werden könne, ob von uns die Sicherheitsvorschriften im Sinne des Lichtspieltheatergesetzes eingehalten werden.
Diese Sorge konnte ich dem Herrn zerstreuen, denn ohne Freigabe durch Feuerwehr und Baupolizei konnte auch während des Krieges keine Eröffnung eines gewerblichen Kinoraumes stattfinden.
Ohne Kinos sollte ich "ausgeliehen" werden
Während die Verhandlungen sich hinzogen, wurde ich in die Zentrale zu unserem Direktor Witt bestellt. Herr Witt diente zwei Herren. Vormittags dem Kriegsministerium als Major und nachmittags der UFA als Vorstandsmitglied.
Er teilte mir mit, daß ich nach Anforderung durch den DFV (Deutsche Film-Vertriebs-Gesellschaft) für die Zeit des Krieges an den sogenannten Verleih »ausgeliehen« werden sollte. Selbstverständlich nur dann, wenn ich damit einverstanden wäre.
Ich könnte dort als Leiter des »Berliner Uraufführungsbüros« eintreten. Der bisherige Inhaber des Postens ist nach Straßburg versetzt worden. Da mit meiner damaligen Arbeit viel Leerlauf verbunden war, sagte ich zu. Ich bedankte mich bei dem Direktor für sein Wohlwollen und das Vertrauen, das er mir stets erwiesen hatte.
Ich wünschte ihm Soldatenglück und wir schieden mit einem langen Händedruck. Uns war schwer ums Herz. Durch die Fenster sahen wir, daß in der Stadt die Flammenzeichen rauchten.
Im April 1945 ist Herr Witt zu unserem großen Leid bei einem Fliegerangriff in der Nähe vom Fehrbelliner Platz gefallen. Mitarbeiter hatten sich angeboten, ihn während des Krieges zu verstecken. Er hatte abgelehnt und fühlte sich seinem Eid verpflichtet.
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