Heinz Fricks Biografie "Mein Gloria Palast" ist in 14 Kapitel gegliedert.
(von Heinz Frick 1984/86) - Ein Tip: Wenn Sie auf dieser Seite zuerst "gelandet" sind, starten sie bitte hier auf der Hauptseite.
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(6) Mein Intermezzo in Hannover
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Der für mich wichtigste Rat meines Lebens
Ende 1936 übernahm ich den Ufa-Palast in Hannover am Ägidien Tor. In der Stadt hatten wir fünf UFA-Häuser. Da ich Verbindungsmann zu der Presse war und die Inserate und Drucksachen aufgeben mußte, hatte ich einen beweglichen Posten.
Als ich mich zum Dienstantritt bei Dir. Dau gemeldet hatte, gab er mir nur den allgemeinen Rat:
»Seien Sie immer zehn Minuten eher auf dem Schlachtfeld als der Feind.«
Den Satz habe ich zeitlebens befolgt.
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Noch ein Berliner, der aber schmatzte
Herr Dau hatte für mich ein freundliches Zimmer in einer Familienpension besorgt, in der er früher gewohnt hatte und dort war ich gut aufgehoben.
Daß vier Wochen später noch ein Berliner einzog, der neue Polizeipräsident, SA-Gruppenführer Geier, fand ich weniger schön. Das Stubenmädchen tröstete mich aber, daß der Mann, der früher im »Wintergarten« beschäftigt war, bald wieder gehen müsse. Auf meine Frage, wo sie diese Kenntnis herhätte, erwiderte sie, daß Geier beim Essen schmatzen würde und deswegen nicht auf dem Posten bleiben könnte.
Das stille Geheimnis der Frau Macombey
Die Pensionsinhaberin, Frau Macombey war eine charaktervolle, mutige Frau und ich empfand für sie Hochachtung. Sie hatte in ihren Privaträumen eine Jüdin versteckt, die sich nie zeigte aber leichtsinniger Weise in ihrem Zimmer von einer Angestellten das Essen serviert bekam.
Nur nachts, wenn die Straßen leer waren, verließ die »Nicht-arierin« das Haus, um sich etwas in frischer Luft zu bewegen. Es fiel mir manchmal auf, daß sie den Pensionseingang betrat, wenn ich vom Dienst kam. Damit sie sich nicht beobachtet fühlte, richtete ich es so ein, daß wir nicht gemeinsam in das Haus gingen.
Die Dame des Hauses pflegte uns in etwas steifer Manier zu behandeln und war stets auf Würde bedacht. Bei der Begrüßung hielt sie den Herren ihre Rechte zum Handkuß hin. Ihre Gäste kamen fast immer auf Empfehlung und blieben längere Zeit. Der Ehemann der Frau mußte emigrieren und war in London als Arzt tätig.
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Es gab noch mehr Geheimnsse in der Pension
Allgemein war ich kurz vor Mitternacht zu Hause, wenn die Lichter in dem Haus erloschen waren. Als ich wieder einmal meine Zimmertür behutsam öffnete, bekam ich einen leichten Schreck. Die Stehlampe brannte, in ihrem Schein lag auf dem Sofa ein junges Stubenmädchen im friedlichen Schlummer. Ein schmaler Band von dem Bücherbord »Rudolf Binding-Reitvorschriften für eine Geliebte« war ihren Händen entglitten und lag auf dem Fußboden. Ich hatte keine Ahnung, wie man sich in einer solchen Situation verhält. Dann glaubte ich wiederum, daß die Besucherin gar nicht schlafen würde und sich nur verstellt.
Ich strich ganz zart über ihre "Himbeeren", die sich unter einem gelben Angorapullover abhoben. Ihr glattes Kindergesicht zeigte keine Regung.
Darauf zog ich mich in die Waschecke hinter der spanischen Wand zurück, entkleidete mich und schlüpfte in meinen Pyjama. Durch das Laufen des Wassers mußte das Mädchen aufgewacht sein, denn ich hörte plötzlich ihre Schritte im Zimmer. Ich trat hervor und ehe ich sie begrüßen konnte, entschuldigte sie sich überschwenglich.
Als Erklärung für ihre Anwesenheit gab sie an, daß ihre Mansarde kalt sei, sie nicht einschlafen konnte und noch etwas in meinem warmen Zimmer lesen wollte, da ich ihr schon Bücher angeboten hatte. Sie bat mich dringend, der gnädigen Frau nichts von dem Vorfall zu berichten. Ich konnte sie beruhigen, daß die Sache selbstverständlich unter uns bleiben würde, und legte ihr väterlich die Hand auf die Schulter, als sie sich formell mit einem Knicks verabschiedete.
Die Geschichte geht aber weiter
Ich wurde aber das Gefühl nicht los, daß ich der Besucherin gegenüber eine Unterlassungssünde begangen hätte.
Als ich eine Woche später zu derselben Zeit mein Zimmer betrat, lag das Mädchen wieder auf dem Sofa. . . . . . Diesmal verlief die Nacht bis zum Morgengrauen anders.
»Ach, es schien der Mond die ganze Nacht, und da ward das Boot vom Ufer losgemacht, und es konnte gar nicht anders sein.« (B. Brecht)
Ich muß hier einfügen, daß ich mich vorher niemals der abendlichen Besucherin genähert hatte. Einmal hatte ich ihr en passant einen leichten Klaps auf jene Partie gegeben, die durch die Venus Kallipygos in den Kunstrang erhoben worden ist.
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Oktober 1936 - die Weltpremiere von »Annemarie« (Gisela Uhlen)
Im Oktober 1936 teilte mir Herr Dau mit, daß unser Verleih die Weltpremiere von »Annemarie« nach Hannover vergeben hat. Da Stoff und Besetzung aus dem Verleihkatalog bekannt wären, sollte ich mir zeitig Gedanken über die Werbung machen. Der hierfür anzusetzende Etat könnte großzügig ausfallen.
Es war die Geschichte von zwei jungen Menschen, die sich fanden, die sich liebten und in den Sonnentagen ihrer Jugend alles schenkten, bis ein Soldatenschicksal sie auseinanderriß. Da die niederdeutsche Landschaft den Hintergrund für die Handlung gab, wurde der Film auch in dieser Gegend aus der Taufe gehoben.
Während der Laufzeit hatten wir unsere Hausfront mit Erika geschmückt und zu der Premiere erhielt jede Besucherin ein Sträußchen Heidekraut. Der aufregende Tag begann mit einer Panne. Als ich auf dem Bahnhof wartete, um Gisela Uhlen abzuholen, war sie nicht eingetroffen.
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Wenn der "Star" nicht pünktlich kommt
Niedergeschlagen kehrte ich mit meinen Bukett in das Hotel »Ernst August« zurück, in dem schon die Presse für den Empfang versammelt war. Die Journalisten frotzelten und fragten, ob ich die Hauptdarstellerin nicht erkannt hätte. Sowas war schon vorgekommen, sogar bei Künstlern, die zu der Starprominenz gehörten.
Frau Uhlen hatte aber inzwischen im Hotel angerufen, daß sie erst zwei Stunden später eintreffen könne. Ihre Filmpartner Viktor von Zitzewitz, natürlich wurde er geneckt mit »Gott schütze uns vor Donner und Blitz, vor Zitzewitz und Itzenplitz« und der Regisseur Fritz Peter Buch waren bereits anwesend. Ebenso der Schriftsteller Bruno Wellenkamp, dessen Roman »Lauter Sonntage« den Stoff geliefert hatte.
Bei einem zweiten Anlauf konnte ich Gisela Uhlen auf dem Bahnhof begrüßen und ihr für ihren ersten Film Glück wünschen.
Mit der Hilfe meines "Zimmermädchens"
Die Interviews zogen sich in die Länge und nach dem gemeinsamen Mittagessen mußte ich eilig ins Kino. Von dort rief ich das Zimmermädchen in der Pension an und bat sie, mir meinen Smoking und Zubehör ins Büro zu bringen. Ein Glück, daß ich am Morgen alles bereitgelegt hatte.
Wenn in der »heldischen Zeit« der »Helm fester geschnallt« werden sollte
Die drei Vorstellungen waren ausverkauft, werbemäßig hatten wir mächtig getrommelt, und waren gespannt, wie das Publikum den Film aufnehmen würde.
Der Schluß paßte nicht recht in unsere »heldische Zeit«, in der so häufig der »Helm fester geschnallt« werden sollte. Ursprünglich sollte die Handlung musikalisch mit dem aufrüttelndem »Annemarie-Lied« aus dem Kriegsstück »Die endlose Straße« ausklingen. Dabei hätte man eine Kolonne von marschierenden Soldaten sehen sollen. Das wurde geändert und die Titelheldin brach jetzt schluchzend an der Kirchenorgel zusammen, als der Pfarrer den Heldentod ihres Geliebten verkündete, von dem sie ein Kind erwartete. Der Geistliche blickte verlegen zu der Empore, weil die Organistin, gespielt von der Uhlen, nicht einsetzte.
Darauf stimmte der Pfarrer mit zitternder Stimme das rührselige »Jesus, meine Zuversicht« an. Die Kirchgänger, überwiegend Frauen und einige alte Männer, fielen zaghaft in den Gesang ein. Die Mutter des Gefallenen erhob sich in der Reihe, erklomm die Orgeltreppe, drückte die Kriegsbraut an ihr Herz und sagte: »Es soll unser Kind sein.« Das war zu viel.
Die Mehrzahl der Besucher konnte ihre Tränen nicht zurückhalten und von der folgenden Vorstellung an mußten wir nach dem Fallen des Hauptvorhangs eine »Pause zum Tränentrockenen« einlegen, damit die Gäste noch im Dunkeln ihre Taschentücher benutzen konnten. Das blieb während der gesamten Laufzeit des Films.
Der künstlerische Durchbruch von Gisela Uhlen
Frau Uhlen war mit diesem Stück ihr künstlerischer Durchbruch gelungen. Das war bei ihrem Partner von Zitzewitz nicht der Fall. Später traf ich ihn in Berlin wieder. Ich war traurig, als ich erfuhr, daß er durch Suizid aus dem Leben schied.
Da unser Vorstandsmitglied, Major Grau, aus Berlin gekommen war, konnte eine üppige Premierenfeier stattfinden, die bis drei Uhr dauerte. Ich taumelte vor Müdigkeit und war so gern schlafen gegangen.
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Erfahrungen mit der Schauspielerin Camilla Horn
Während der Laufzeit von »Weiße Sklaven« hatten wir zum Wochenende die bekannte Schauspielerin Camilla Horn für ein Gastspiel eingeladen. Ihr
Filmruhm strahlte schon seit 1926, als die bis dahin Unbekannte, die Gretchen-Rolle in Murnaus »Faust«-Verfilmung erhielt. Die Verstitel hierfür hatte Gerhart Hauptmann gedichtet.
Auf der Fahrt vom Bahnhof zum Hotel fragte sie mich, wie ich ihr Lied angekündigt hätte. Ich nannte ihr den Text: »Camilla Horn singt das Lied »Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt.« Sie antwortete: »Falsch, ganz falsch. Ich kann überhaupt nicht singen. Sie hätten schreiben müssen >bringt<. Das ist ganz was anderes.«
Außerdem rügte sie, daß wir ihrer Agentur nicht mitgeteilt hätten, daß der Film schon in der zweiten Woche bei uns lief. Wenn sie das gewußt hätte, wäre sie nicht gekommen.
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Doch dann etwas freundlicher
Nach dieser dienstlichen Einleitung wurde sie später freundlicher und auch mitteilsam. So erzählte sie, daß sie in ihrer Jugend als Näherin in einer Werkstatt gearbeitet hätte. Jeden Freitag, wenn sie ihre Arbeitsstätte verließ, eilte aus der gegenüberliegenden Fabrik ein junger Mann auf sie zu, drückte ihr stumm mit hoch rotem Gesicht ein Blumensträußchen in die Hand und entfernte sich wieder.
»So möchte ich noch einmal geliebt werden«, fügte sie nachdenklich hinzu.
Als ich die Schauspielerin am Montag vom Hotel abholen wollte, sagte der Portier, daß sie mich im Zimmer erwarten würde. Dort erklärte sie, daß sie erst einen Zug später fahren würde und wir noch einen Kognak trinken könnten. Mit meinen Korrekturabzügen in der Aktentasche saß ich wie auf Kohlen, denn ich mußte in die Druckerei.
Sie bat mich noch, die obligatorischen Trinkgelder an die Hotelangestellten zu verteilen. Natürlich würde sie mir den Betrag zurückgeben. Bei der Abreise von Prominenz waren diese Spaliere besonders dicht. Als ich sie auf dem Bahnhof bat, mir die einundzwanzig Mark zu erstatten, erwiderte sie, daß ich diese Auslagen mit der Ufa verrechnen sollte. Ich habe sie nie erhalten und war um eine Erfahrung reicher.
Leichte Erpressungsversuche von "Künstlern"
Für eine Sonntags-Matinee hatten wir »Das letzte Paradies« von dem Schriftsteller und Afrikaforscher Hans Schomburgk auf dem Spielplan. Am Mittwoch davor rief Schomburgk aus Hildesheim bei mir an und beschwerte sich, daß für die Veranstaltung noch nicht inseriert sei.
Er kündete an, daß mit seinem Kommen nicht zu rechnen sei, wenn nicht noch Donnerstag eine Anzeige erscheinen würde. Obwohl ich diesen Dschungel-Schreckschuß nicht ernst nahm, wies ich Schomburgk darauf hin, daß die Matinee bereits seit letztem Freitag auf sämtlichen Litfaßsäulen der Stadt angeschlagen sei.
Wenn es zeitlich noch möglich, wäre ich bereit, die zusätzlich erbetene Anzeige aufzugeben. Selbstverständlich müßten die Kosten dafür von seinem vereinbarten, prozentualen Honorar abgezogen werden.
Laut Vertrag hatte aber das Theater die Anzeigekosten zu tragen. Demnach lag es bei uns, den Umfang und die Erscheinungstage zu bestimmen. Da mein Vorschlag auf seinen Protest stieß, war der Fall für mich erledigt.
Nachtrag zu diesem Forscher Namens Schomburgk
Zwei Minuten vor Beginn der Vorstellung traf der Forscher am Sonntag ein. Er fragte, ob auf der Bühne zwei Flaschen Selters für ihn bereit stünden, da er beim Sprechen eine trockene Kehle bekommt. Er erläuterte den Film und erwähnte ausführlich, daß er vor kurzem in Kamerun war, "wo" ihn die Eingeborenen erkannt, stürmisch begrüßt und ihm zugerufen hätten: »Wann kommt Let-tow-Vorbeck wieder?« Das war der Kommandeur der Schutztruppe von der ehemaligen Kolonie Deutsch-Ost-Afrika.
Der deutschen Kapitulation von 1918 hatte er sich mit seinen Streitkräften nicht angeschlossen. Als Reichswehroffizier mußte er 1923 wegen seiner Teilnahme an dem Hitler-Putsch in München den Dienst quittieren. Die Episode mit den Einwohnern war von Schomburgk frei erfunden. Sie paßte zu der Sprachregelung und den Kolonialansprüchen des Dritten Reiches und fand bei den Matinee-Besuchern Beifall.
Meine drewitzer Nachbarin, die geschiedene Frau von dem Forscher, berichtete mir, daß ihr früherer Gatte nach 1918 nicht mehr in dem südlichen Kontinent war. Sie fügte maliziös hinzu, daß er oft auf das falsche Pferd gesetzt hätte: »Vor dem 1. Weltkrieg war er auf Seite der Buren und nach dem 2. ging er zu der SED.«
Als der Bundespräsident Heinrich Lübke 1966 zu einem Staatsbesuch in Kamerun war, wurden ihm zwei ehemalige Askaris vorgestellt, die unter Let-tow-Vorbeck gedient hatten und von Deutschland Ehrensold bezogen. Lübke fragte die Schwarzen, ob sie noch etwas Deutsch könnten. Einer von ihnen nahm soldatische Haltung an und erwiderte im Kommandoton: »Rechts um - links um! Haitis Maul!«
1936 -Weihnachten - Die deutsche Prüderie im 3.Reich
Der Heiligabend von 1936 in Hannover ist mir noch in Erinnerung. Wir spielten zum Fest »Das Mächen Irene«. Regie hatte Reinhold Schünzel, ein kultivierter Künstler und Könner, der es nicht nötig hatte, seine Filme mit Nuditäten zu »würzen«.
Auf Grund einer Polizeivorschrift mußten die jeweiligen Außenreklameflächen vom Polizeipräsidium genehmigt werden. Das war eine Routinesache, die seit Jahren reibungslos lief. Hierfür machte ich eine grobe Skizze von dem Entwurf, fügte den Text ein und legte die Fotos hinzu, die von der Filmprüfstelle genehmigt waren. Auf dem Fotoabzug, der in diesem Fall verwendet werden sollte waren Karl Schönbeck und Lil Dagover abgebildet, beide in Abendgarderobe, wie er dezent ihre Schulter küßte.
Der Kuss auf die Schulter - Story 1
Ein weiteres Bild unter dem Titel zeigte eine Kopfaufnahme von Sabine Peters. Unser Bote brachte die Unterlagen zum Polizeipräsidium und holte sie nach Zahlung einer Stempelgebühr wieder ab. Danach besprach ich die Fläche mit dem Maler und er konnte die Arbeit beginnen.
Am dreiundzwanzigsten Dezember nach einundzwanzig Uhr wurde die Werbung an der Hausfront angebracht. Am vierundzwanzigsten vormittags erhielt ich von dem zuständigen Polizeirat Malus einen Anruf, mit dem er mich aufforderte, die nicht genehmigte Reklame umgehend entfernen zu lassen.
Wie sich herausstellte, hatte ich übersehen, daß die eingereichte Vorlage nicht von dem Polizeibüro abgestempelt war. Auf meinen Einwand, daß dies eine reine Formsache sei, da die beigefügten Fotoabzüge von der Filmprüfstelle genehmigt waren, entgegnete er, daß die Kußszene in der Vergrößerung »anstößig« wirke. Was sollte ich tun. In zwei bis drei Stunden würden die Behörden und Geschäfte geschlossen sein.
Der Kuss auf die Schulter - Story 2
Als ich erfuhr, daß unser Maler in seinem Atelier sei, besorgte ich eine Kiste Zigarren und fuhr zu dem Meister. Ich beschloß folgende Änderung. Die beanstandete Szene auf der rechten Seite der Werbefläche könnte abgedeckt und mit der Beschriftung »wünscht Frohe Weihnachten« versehen werden. Der linke Teil mit dem Filmtitel und dem Kopfbild von Sabine Peters, der »Irene« würde unverändert bleiben. Ein fertiger Schriftzug »Frohe Weihnachten« wäre schnell zu besorgen. Der Grafiker hätte nur das Wort »wünscht« auf der Abdek-kung handschriftlich anzubringen. Hierfür besorgte ich unterwegs zehn Quadratmeter grünes Malleinen. Zeitlich könnte die Arbeit mit Montage in drei Stunden erledigt sein.
Als ich das Atelier betrat, begrüßte der Meister mich so freundlich und fragte, woher ich wüßte, daß er Geburtstag habe. Jetzt merkte ich erst, daß er und seine Gehilfen angeheitert waren. Unter diesen Umständen hatte es keinen Zweck mein Vorhaben anzubringen. Niemals hätte ich zulassen dürfen, daß die Männer in diesem Zustand eine Leiter besteigen würden.
Der Kuss auf die Schulter - Story 3
Ich gratulierte dem Chef, gab ihm seine Zigarren und einen Geldschein für eine »Festrunde«. Nachdem ich frohe Feiertage gewünscht, entfernte ich mich eilig. Ich mußte das Problem anders anpacken und fuhr in das Polizeipräsidium. Nicht zu jenem Herrn Rat, sondern dem Hauptmann, den ich noch vom Berliner Revier in der Joachimsthalerstraße kannte, und der in unserer Pension wohnte.
Ich erklärte ihm kurz die Sache, bat um seine Unterstützung und um Erwirkung eines Aufschubs durch seinen Kollegen Malus. Bei gutem Willen müßte das gehen, denn während der Feiertage könnte ich keine Leute für die geforderte Änderung bekommen. Es kam mir zunächst auf Zeitgewinn an.
Bei dem Hin und Her war ich zu dem Entschluß gekommen, die Fläche nicht zu ändern, sondern aus der Angelegenheit einen Präzedenzfall zu machen.
Ich telefonierte anschließend mit unserer Berliner Rechtsabteilung und bat sie, mit allen Mitteln gegen diese unverständliche und schikanös anmutende Verfügung vorzugehen. Die Unterlagen schickte ich ihnen per Express zu.
Da hier Gesamtinteressen der Gesellschaft auf dem Spiel standen, wurde die Affäre mit Bravour von unseren Advokaten durchgepaukt und Malus machte einen Rückzieher. Der Kuß auf die Schulter war nicht mehr anstößig.
Die »erweiterte« Bühne für den Don-Kosakenchor
In jenem Winter war auch der Don-Kosakenchor mit Serge Jaroff für eine Sonnabend-Nachtvorstellung engagiert. Da das Ensemble schon im Vorjahr bei uns aufgetreten war, brauchte keine Bühnenprobe stattfinden. Um so verwundeter war ich, als der Chorleiter nachmittags zu mir kam und mich bat, ihm die »erweiterte« Bühne zu zeigen. Als ich ihn um eine diesbezügliche Erklärung ersuchte, erwiderte er, daß mein Vorgänger ihm bei seiner letzten Veranstaltung versprochen hatte, im nächsten Jahr die Bühne nach vorn zu verbreitern, damit die Sänger mehr Platz für ihre Aufstellung haben. Ich bedauerte, daß ich jetzt nichts mehr in der Sache tun könnte.
Der klärende Umtrunk mit Serge Jaroff
Es war Sonnabend und die erste Vorstellung lief bereits. Der Besucher ließ aber nicht locker und meinte, daß noch Zeit wäre, um passende Bretter schneiden zu lassen, und seine Männer bei dem Anbau helfen könnten. Das mußte ich ablehnen und erklärte ihm, daß es zeitlich und technisch unmöglich sei.
Außerdem können wir in einem Lichtspieltheater, das strengen Sicherheitsvorschriften unterworfen ist, keine Pfuscharbeit machen. Ferner würden Gründe der Ästhetik dagegen sprechen, daß wir in einem dekorativen und gepflegten Theatersaal einen provisorischen Anbau aus rohem Holz einfügen. Sichtlich verstimmt verließ der Chorleiter das Büro.
Die Veranstaltung war ausverkauft und die Sänger hatten den gewohnten Beifall.
Beim Abschied bat mich Serge Jaroff zu einem Umtrunk in eine benachbarte Weinstube und wir schieden im besten Einvernehmen. Ein Versprechen wegen des Bühnenanbaus konnte ich ihm nicht geben, da ich nicht wissen konnte, ob ich im neuen Jahr noch in dem Haus arbeiten würde. Ich gab ihm aber den Rat, seinen Wunsch bei einem neuen Engagement für das Kino zum Vertragsteil zu machen.
Die Druckfehler mit dem Generalintendanten Gründgens
Es war bei uns ungeschriebenes Gesetz, daß wir keinen Druckauftrag vergaben, dessen Probeabzug wir nicht abgezeichnet hatten. Als ich einmal einen Kinderfilm austauschen mußte, rief ich die Druckerei aus zeitlichen Gründen an und gab den neuen Titel mit der Bitte um Änderung durch. In der Setzerei muß es leicht gespukt haben und sie nannten den Film: »Spuck im Spielwarenladen.« Einem Kollegen ging es schlimmer, als er »Friedemann Bach« spielte.
In der mündlich durchgegebenen Anzeige stand: »Frieden am Bach« mit Gustaf Gründgens. Der Film kam 1941 heraus und gehörte nicht zu den großen Kunstwerken. Dem Ansehen und der Beliebtheit des Generalintendanten, der sein Staatsratgehalt für wohltätige Zwecke stiftete, tat dies keinen Abbruch. Seine Popularität schien mit der Karikatur zu wachsen:
»Die Hoppe und der Gründgens, die kriegen keine Kindgens. Und wenn sie kriegen Kindgens, dann sind sie nicht von Gründgens.«
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1936/37 - Erste schlimme Zeichen am Horizont
Ende Mai 1936 oder Anfang Juni 1937 holte mich ein Freund zu einem Bummel ab und wir landeten auf dem »Mäuschenboden« in der Nähe vom Bahnhof. Dort herrschte stets eine lockere Stimmung. Die Zeilen von dem Literaten Rideamus, die schon vor dem ersten Weltkrieg verfaßt wurden, paßten zu der Atmosphäre:
»Mein Herr, Sie tanzen gar zu eng.« »Das kommt von selber im Gedräng.« Es fliegt das Bein, es fliegt der Rock, ein jeder Jüngling wird zum Bock.
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Und plötzlich kam ein Feldwebel mit Unteroffizier
Als wir dabei waren, ein paar fesche Antilopen »anzumustern«, erschienen plötzlich ein Feldwebel mit einem Unteroffizier. Sie sprachen die anwesenden Soldaten kurz an, die danach den Saal verließen. Wir dachten nicht lange über den Vorfall nach, wollten uns auch nicht belasten.
Am nächsten Tag konnten wir aus den Zeitungen entnehmen, daß es im politischen Gebälk mächtig knisterte.
Unser Panzerschiff »Deutschland«, das während des Spanischen Bürgerkrieges unter der internationalen Nichteinmischungsflagge auf der Reede von Ibiza in Ruhestellung lag, war von zwei russischen Flugzeugen beschossen worden. Anschließend wurde es von mehreren rotspanischen Zerstörern angegriffen. Wir hatten einundreißig Tote.
Als »Vergeltung« ließ Hüter den linksspanischen Hafen Almeria von einem deutschen Kriegsschiff unter Feuer nehmen.
Die Welt geriet in Bewegung und wir näherten uns dem Rand eines Krieges.
Deshalb erging an jenem Abend in dem Tanzlokal der Befehl der Ausgangs- und Urlaubssperre und die Soldaten mußten in die Kasernen zurückkehren. In diesen unheilvollen Tagen glaubten viele Völker Europas das Haupt der Medusa zu sehen.
Aus einem Irrtum ein propagandistisches Spektakulum
Der militärische Sachverhalt war aus englischen Zeitungen zu entnehmen, die man damals per Post beziehen konnte.
Später teilte mir ein Bekannter mit, daß unsere Toten mit allen militärischen Ehren von der Royal Navy auf dem Soldatenfriedhof von Gibraltar bestattet wurden.
Bald danach wurden sie auf Anweisung Hitlers nächtlich exhumiert und mit einem propagandistischen Spektakulum abermals in Wilhelmshaven beigesetzt.
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1937 - Meine Krankheit kam zurück
Die arbeitsreiche und interessante Zeit, in der ich viel lernen konnte, wurde jäh abgebrochen. Die Ärzte stellten fest, daß mein Leiden wieder aufflackerte und ich mußte für sechs Monate einen »Zauberberg« im Westerwald aufsuchen. Ich hatte Glück, daß mir zum zweitenmal auf derselben Seite ein Pneumothorax angelegt werden konnte.
Die Ärzte schmunzelten. Bei Liegekur und Parkgängen erholte ich mich bald, die Wangen wurden wieder rot. O, du schöner Westerwald.
Mein sehr tüchtiger und kameradschaftlicher Nachfolger am Ägidien-Tor hielt mich über das gesamte Geschehen im Kino auf dem Laufenden.
Er schickte mir auch seine Dissertation »Die moralische Beurteilung des deutschen Berufsschauspielers«. Es war Dr. Rudolf Hefter, der nach dem Krieg als public relation-Mann selbständig war.
Meine Frau und ich waren wiederholt Gäste in seinem Haus auf der Promenade von Bad Homburg. Mit Bestürzung erhielten wir im Mai 1981 die Nachricht von seinem Tod.
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- Anmerkung : Dies ist der erste Hinweis auf Frau Frick, also die erste Frau Frick.
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Nocheinmal 6 Monate zur Kur in den Westerwald
Die Zwangspause bedeutete einen Rückschlag für meine Laufbahn. Ab Anfang 1938 wurde ich wieder in Berlin eingesetzt.