Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens aus 1969
Ein Buch von Dr.-Ing. E. h. Walter Bruch aus dem Jahr 1969 aus dem Fundus des ehemaligen "Vereins zur Errichtung eines Fernsehmuseums" in Wiesbaden. Mehr über die Glorie, die Publikationen und das Vermächtnis des Ehrenmitgliedes dieses Vereins lesen Sie hier.
Dreimal Fernsehpremiere in Deutschland
Januar 1933 - Adolf Hitler an der Macht! Sofort plant Josef Goebbels sein Propagandaministerium, das bald Presse, Rundfunk, Film und Theater beherrschen soll. Für alle diese Gebiete sind aber mehr oder minder andere Ministerien zuständig, und Josef Goebbels muß sie sich erst erobern. Zuständig für Presse und Rundfunk ist noch das Innenministerium. Im März 1933 wird die Reichsrundfunkgesellschaft vom Propagandaministerium übernommen und gleichgeschaltet.
„Was die Presse für das neunzehnte, wird der Rundfunk für das zwanzigste Jahrhundert sein"
erklärt Propagandaminister Josef Goebbels in einer Rede am 18. August 1933.
An die Spitze des Rundfunks stellt er Eugen Hadamowsky, eine seiner Entdeckungen. Seiner Ansicht nach gehört das Fernsehen selbstverständlich zum Rundfunk. Es wird mit übernommen. Das ist einfach, weil die Sendungen 1933 schon aus dem Funkhaus kommen.
Bisher steuerte die Reichspost "alles".
Die Post hatte jedoch bis dahin die technische Entwicklung gesteuert und wollte sich dieses Gebiet nicht nehmen lassen. So begann ein politischer Machtkampf um das Fernsehen zwischen Josef Goebbels und Reichspostminister Wilhelm Ohnesorge. Das Studio in der Masurenallee mußte die Reichspost abgeben und andere Räume einrichten. Die Nähe des Senders war mit Rücksicht auf möglichst kurze Bildkabelverbindungen Voraussetzung. Deshalb machte man für die Übersiedlung die Räume im Hause der Fernkabelgesellschaft in Charlottenburg, Rognitzstraße 8, frei.
Die Reichsrundfunkgesellschaft hingegen konnte zunächst ihre Position dadurch ausbauen, daß sie sich am 1. Januar 1934 eine eigene technische Forschungsabteilung einrichtete. Friedrich Kirschstein, heute Professor in Braunschweig, wurde die Leitung übertragen. Mit wenigen Ingenieuren mühte er sich ab, einen Sendebetrieb aufzubauen und die Technik vorwärts zu treiben.
Die (NS-) Politik bestimmte die Richtung
Aber der Einsatz der Technik wurde jetzt politisch gelenkt. Ich selbst bekam das erstmals zu spüren, als ich im Auftrage von Mihaly dem Erzherzog Otto v. Habsburg, der sich für das Fernsehen interessierte, das Fernsehlaboratorium meines Kollegen Friedrich Kirschstein zeigen sollte. Obwohl seine Zusage vorlag und mir der Zugang zu diesem Laboratorium immer offen stand, wurden wir am Eingang mit der Begründung zurückgewiesen, der Besuch sei nicht beim Minister angemeldet und von ihm genehmigt worden. In Wirklichkeit wurde die Ablehnung nur ausgesprochen, weil wir vorher die Laboratorien der Reichspost besucht hatten.
Die einzige Funkaussteliung, die sowohl von Josef Goebbels als später auch von Hitler besichtigt wurde, war die Ausstellung von 1933. Sie hatte dem Rundfunk den Volksempfänger gebracht. Vor dem Hitlerbesuch wurden alle Stände gründlich „arisiert". Nach Einspruch von Eugen Hadamowsky blieb ich auf dem Mihalyschen Stand allein zurück (weil „blond" und von „deutschem" Aussehen!). Am Nebenstand, bei Loewe, durfte Kurt Schlesinger, einer der begabtesten Femseh-Ingenieure der damaligen Zeit und heute Professor in den USA, sich nicht mehr frei sehen lassen. Auch unser eigener, selbst aufgenommener Film, der Charakterköpfe meiner ungarischen Kollegen zeigte, mußte als nicht genügend „deutsch" zurückgezogen werden. Diese Ausstellung von 1933 wurde ihres großen Erfolges wegen um mindestens zwei Wochen verlängert.
Die ganze Zeit über mußten wir privaten Aussteller ein Programm aus dem Funkhaus übernehmen, eine endlose Filmschleife, die sich alle drei Minuten wiederholte; sie war pausenlos vorzuführen. Inhalt: Adolf Hitler tritt bei der Maifeier 1933 auf die Tribüne und sagt unter anderem: „Eine große Zeit ist angebrochen". Der Besucher sah es nur einmal oder auch zweimal, aber uns wurde es mehr als tausendmal eingehämmert.
Die neue Technik hieß : 180 Zeilen
Sehr bald eröffnete nun die Reichsrundfunkgesellschaft das Fernsehen. Man hatte zwar nur einen Filmabtaster in der neuen Technik von 180 Zeilen, aber man wollte eröffnen.
Lesen wir im „Völkischen Beobachter" vom 22. März 1935 nach:
„Der Chefingenieur der Reichsrundfunkgesellschaft weilte leider in München, dafür sah man ihn aber recht deutlich als erste Programmnummer ...... er sagte: Wir werden gleich deutlich erleben, daß die deutsche Technik auch auf diesem Gebiete bahnbrechend ist. In Zukunft werden wir jeden Montag, Mittwoch und Sonnabend von 20.30 Uhr bis 22.00 Uhr mit der Übertragung von ausgewählten Bildern aus Wochenschau und von Filmen beginnen."
Goebbels soll "das Fernsehen" wieder "hergeben".
Ohnesorge war es auf direktem Wege nicht gelungen, Josef Goebbels das Fernsehen abzunehmen. Deshalb wurde Hermann Göring dazwischen „geschaltet". In zwei Verordnungen vom 12. Juli 1935 und vom 1. Dezember 1935 unterstellte man die Fernsehtechnik dem Luftfahrtministerium. Die Ausübung aber wurde der Post übertragen:
„Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Fernsehens vom 12. Juli 1935
(RGBl. Jahrg. 1935, Teil I, S. 1059) Die weitere Entwicklung des Fernsehwesens erfordert dringend eine Zusammenfassung der staatlichen Zuständigkeiten in einer Hand. Mit Rücksicht auf die besondere Bedeutung des Fernsehwesens für die Flugsicherung und den nationalen Luftschutz ordne ich daher an:
Die Zuständigkeiten auf dem Gebiete des Fernsehwesens gehen auf den Reichsminister der Luftfahrt über, der sie im Benehmen mit dem Reichspostminister ausübt."
.
Goebbels Imperium schlägt zurück.
„Zweiter Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Fernsehens vom 11. Dezember 1935 In Ergänzung meines Erlasses über die Zuständigkeit auf dem Gebiete des Fernsehwesens vom 12. Juli 1935 (Reichs-gesetzbl. I, S. 1059) bestimme ich:
I. Der Reichsminister der Luftfahrt ist zuständig für .... die Genehmigung zur Herstellung und zum Inverkehrbringen von Geräten oder Mitteln für das Fernsehen sowie im Einvernehmen mit dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda die Genehmigung zu Veröffentlichungen aller Art über die vorbezeichneten Geräte und Mittel durch Wort, Schrift, Bild oder Ton (einschließlich Erteilung von Unterricht, Abhaltung von Vorträgen, öffentlicher Vorführung von Bildern oder Filmen, Veranstaltung von Ausstellungen auf diesem Gebiet).
II. Dem Reichspostminister ist die technische Entwicklung auf dem Gebiete des Fernsehwesens und die Regelung aller technischen Angelegenheiten des zivilen Bedarfs allein vorbehalten .... Für die Zwecke des öffentlichen Bedarfs .... der Reichs-Rundfunk-G.m.b.H. stellt die deutsche Reichspost die erforderlichen Geräte bereit, wartet und bedient sie nach einer gemeinsam zu erlassenen Dienstanweisung.
III. Dem Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda obliegt die darstellerische Gestaltung von Fernsehübertragungen der Zwecke der Volksaufklärung und Propaganda ......"
.
Ab 1933 waren alle Fernsehberichte zensiert
Die wenigen Fachleute, die überhaupt in der Lage waren, über die Möglichkeiten und die Problematik des Fernsehens zu schreiben, mußten also die Manuskripte zur Prüfung einreichen.
Nur ganz allgemein gehaltene Beiträge gab die Zensur zur Veröffentlichung frei. Die Reichspost intensivierte die Forschungsarbeit am Fernsehen und wandelte später, am 1. Januar 1937, ihre Sondergruppe „Fernsehen" in eine Forschungsanstalt um. Ihr erster Leiter war Fritz Banneitz, der schon im RPZ die Fernsehforschung gesteuert hatte. Anschließend wurde Friedrich Gladenbeck Chef dieser Anstalt. Man brauchte ein eigenes Gebäude und baute zu diesem Zweck die bei Kleinmachnow gelegene „Hakeburg" um, eine im Jahre 1906 für eine alteingesessene märkische Familie errichtete Burg im alten Stile.
Die Halle 4 der Funkausstellung brennt ab
Eine Katastrophe beschleunigte den Übergang der Zuständigkeit für die Fernsehtechnik zur Post. Am 19. August 1935, 20.30 Uhr, kurz nachdem der letzte Besucher die Funkausstellung am Berliner Funkturm verlassen hatte, brach in der Holzhalle 4 ein verheerendes Feuer aus.
In einem Zeitungsbericht schildert uns ein Augenzeuge, ein Arbeiter der AEG, der noch in der Halle zu tun hatte, den Großbrand:
„Ich befand mich in der Halle 4, wo ich am Stand der AEG Arbeiten zu verrichten hatte. In der Ausstellung befanden sich außer dem Wachpersonal nur noch wenige Leute. Das Licht war in der Halle abgeschaltet bis auf die Hauptlampen. Plötzlich bemerkten wir einen hellen Schein und sahen, wie am gegenüberliegenden verdunkelten Stand der Siemens-Werke, an dem sich niemand befand, Flammen emporschlugen. Die Gardinen züngelten hoch. Wir sprangen hinzu und rissen sie herunter. Das Wachpersonal kam mit allen greifbaren Spritzen gelaufen, und der Hydrant wurde aufgedreht. Es war aber nichts mehr zu machen. Im Augenblick brannte es lichterloh.
Wir alarmierten nur noch vom AEG-Stand aus die Feuerwehr mit ,Großfeuer im Funkhaus' und konnten es da schon vor Hitze in der Halle nicht mehr aushalten. Als wir die 30 bis 40 Meter bis zum Ausgang liefen, brannte uns schon der Teppich unter den Füßen. In einem Zeitraum von knapp fünf Minuten hat sich durch die Hitze eine derartige Luftbewegung im Moment entwickelt, daß wir mit Mühe herauskamen. Das Feuer nahm eine riesige Entwicklung an.
Als wir aus der Halle heraus waren, sahen wir schon die Flammen auf dem Dache züngeln. Halle 4, in der die ganzen Großfirmen ausgestellt hatten, brannte lichterloh. Draußen waren im Nu riesenhafte Menschenmengen angesammelt."
1 Mensch und alle Technik waren verloren
Der Rundfunkwerbeleiter von Telefunken, Erich Keßler, wurde von den Flammen eingeschlossen und fand den Tod. Fast alle ausgestellten Fernsehanlagen und -gerate wurden vernichtet. Einige, wie der wertvolle Linsenkranzabtaster von Emil Mechau, wurden zwar vom technischen Hilfsdienst vor dem Verbrennen gerettet, aber ihre Anschlüsse waren mit Handbeilen abgehackt worden, so daß die Geräte erst nach großem Arbeitsaufwand wieder verwendbar waren. Auch die beiden Sender am Fuße des Funkturms verbrannten.
Tag und Nacht wurde gearbeitet, und wie Phönix aus der Asche entstand das Fernsehen neu. Die Sendungen kamen jetzt vom neuen Poststudio in der Rognitzstraße. Das Kabel vom Funkhaus zum Sender war ebenfalls abgebrannt. Damit waren die Anlagen der Reichsrundfunkgesellschaft vom Sender abgetrennt. Die politische Trennung von Technik und Programm war auf diese außergewöhnliche Weise endgültig vollzogen. Das deutsche Fernsehen wurde jetzt zum zweiten Mal eröffnet. Von der Rognitzstraße konnte man wirklich fernsehen.
Das Fernsehen braucht eine Ansagerin
Zunächst mußte die Post dazu eine Ansagerin engagieren. Sie wurde gefunden. Es war die „Postfacharbeiterin" Ursula Patzschke, die sich gelegentlich des 25jährigen Jubiläums ihrer ersten Ansage noch einmal im Fernsehen vorstellte, in einer Erinnerungssendung des Senders Freies Berlin. Sie ist anfangs die einzige Sprecherin des Fernsehsenders „Paul Nipkow". Ihr Beruf: ausgebildete Schauspielerin. Für einen solchen Posten gibt es im Etat der Reichspost noch keine Planstelle, dafür ist kein Geld vorgesehen. Deshalb wurde Ursula als „Facharbeiterin" angestellt, „mit der Maßgabe, in den Sendepausen und sprechfreien Dienststunden als Filmkleberin im Fernsehlaboratorium tätig zu sein". Soweit die Forderungen des Postetats.
Die „Arbeiterin" Ursula Patzschke ist eine ausgebildete Schauspielerin
Aber die „Arbeiterin" Ursula Patzschke kommt kaum zum Filmkleben. Sie ist nicht nur die erste offizielle Ansagerin, sondern bald auch der erste Star des deutschen Fernsehens. Dazu muß sie natürlich gut aussehen. Beim Fernsehen jener Zeit ist das allerdings mit einem eigenartigen Make-up verbunden. Ursulas Lippen werden vor jeder Sendung pechschwarz geschminkt, weil die Fotozellen der Fernsehkamera bei rot streiken. Die Augenlider werden grün angestrichen. Das sorgfältig frisierte Haar muß mit Goldstaub gepudert werden, damit es auf dem Bildschirm nicht stumpf und farblos wirkt. Auch starke Farbkontraste in der Kleidung darf sich die erste deutsche Fernsehansagerin nicht erlauben. Einmal wurde sie doch ernstlich böse, nämlich als sie mit einer strahlend weißen Bluse unter einem schwarzen Kostüm im Studio erschien. Prompt holten die Fernsehleute die später bei allen Darstellern gefürchtete Farbspritze hervor und tönten alles, was blütenweiß aus dem Kostüm hervorschimmerte, schmutzig-grau; denn große Helligkeitsgegensätze duldete das Fernsehbild noch nicht.
Ursula Patzschke berichtet heute:
.
- „Es begann unkompliziert. Ich hatte gerade die Schauspielschule beendet und spielte auf einer kleinen Privatgesellschaft einen kessen Berliner Jungen. Wenige Tage später rief mich einer der Gäste an: »Wollen Sie nicht bei uns anfangen?' Es war ein Fernsehingenieur der Reichspost .... Ich saß auf einem Telefonbuch, weil der Stuhl zu niedrig war. Bewegen konnte ich mich kaum, denn die Zelle war zu eng. Und nach wenigen Minuten wurde es drückend heiß. Ich trug Gedichte vor, spielte Ein-Mann-Sketchs am Telefon, schnitt aus Krepp-Papier Puppen und ließ sie vor der Kamera tanzen ..... Wenn ich in den Büchereien nach Vortragstexten stöberte und sagte, ich käme vom Fernsehen, erhielt ich die verblüffte Antwort: ,Wie bitte, woher kommen Sie?'"
.
Es wurde voll im Studio
Die Bühne war ein „Schwitzkasten" von nur 1,5x1,5m. Trotzdem war das Programm des Fernsehsenders „Paul Nipkow" schon um die Jahreswende 1935/36 recht abwechslungsreich. Ursula Patzschke war längst nicht mehr allein im Studio. Zu den ersten deutschen Fernsehstars gehörten so prominente Künstler wie Else Elster und Carl de Vogt (Lieder zur Laute), die Saxophonistin Ingrid Larssen, Willi Schaeffers vom „Kabarett der Komiker" und die Filmlieblinge Paul Kemp und Johannes Heesters. Im Publikum, das vor den Bildschirmen in den öffentlichen Fernsehstuben saß, ahnte niemand, welche Strapazen die Sänger, Komiker und Schauspieler für einen einzigen Dreiminuten-Auftritt zu überstehen hatten.