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Kleine Geschichte des deutschen Fernsehens aus 1969

Ein Buch von Dr.-Ing. E. h. Walter Bruch aus dem Jahr 1969 aus dem Fundus des ehemaligen "Vereins zur Errichtung eines Fernsehmuseums" in Wiesbaden. Mehr über die Glorie, die Publikationen und das Vermächtnis des Ehrenmitgliedes dieses Vereins lesen Sie hier.

1936 - Urtel entwickelt das 375-Zeilen-Bild

In der Zwischenzeit hatte aber im Labor Rudolf Urtel das 375-Zeilen-Bild für Sendung und Empfang schon fertig und erste Studioeinrichtungen aufgebaut, gegen deren Leistung unser herrliches olympisches Bild verblassen mußte. Urtels höchst eindrucksvolle Schau auf der Funkausstellung hat die Bedeutung des vollelektronischen Fernsehens auch im Studio erst ins rechte Licht gerückt. Nach dieser großen Ouvertüre des Live-Fernsehens, die unserer Arbeit viele neue Impulse gegeben hatte, ging man mit den elektronischen Kameras wieder ins Laboratorium zurück.

Der Betrieb mußte noch bis 1938 mit mechanischen Abtastern weitergeführt werden. Die Studioanlage von Rudolf Urtel hatte auf der Funkausstellung 1936 eben doch nur eine Vorschau auf die Zukunft des Fernsehens vermittelt.

Endlich eine "große" Bühne im Studio

Für die 27 Fernsehstuben, die während der Olympischen Spiele eingerichtet worden waren, auch für die beiden Großprojektionssäle, mußten deshalb Programme noch zwei weitere Jahre lang mit den alten Anlagen gesendet werden.
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Zwar war durch die neueste Ausführung des Linsenkranzabtasters von Emil Mechau die Bühne, „der Schwitzkasten", in der Rognitzstraße auf 10qm vergrößert worden. Bis zu fünf Personen konnten jetzt gleichzeitig agieren. Auf dieser bescheidenen Bühne, kaum größer als die eines Kasperletheaters, wurden dennoch schon erste Fernsehspiele gesendet. Als dieses Studio dann in das Deutschlandhaus verlegt wurde, in dem es etwas mehr Platz gab und dank der neuen, empfindlicheren Fotozellen die Bühne sogar auf 5 x 8m vergrößert werden konnte, war es möglich, schon etwas mehr zu bieten.

Ein Kommentar von Kurt Wagenführ

Ein fachkundiger Augenzeuge jener Jahre, Kurt Wagenführ, der damals bereits Fernsehkritiken schrieb, berichtete über die Programmgestalter der Reichsrundfunkgesellschaft:

  • „Sie lebten wie auf einer Art Insel. Dem stellvertretenden Reichssendeleiter Carl-Heinz Böse war der Fernsehdienst unterstellt worden. Er war Filmkameramann, politisch stur-zuverlässig und mit anderen Aufgaben so beschäftigt, daß er nicht genügend Zeit hatte, in den Versuchsbetrieb einzugreifen. So konnte kein großer Schaden entstehen; im Gegenteil: die Fernsehleute genossen eine gewisse Narrenfreiheit für das Experiment. Sie setzten sich zum Teil aus Männern zusammen, die dem Hörrundfunk nicht besonders genehm, aber nicht direkt abzuschieben (man sagte damals ,abzuschießen') waren ."

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Das Fernsehen bekam jetzt einen Intendanten

Es war wohl notwendig, daß das Fernsehen bald einen Intendanten bekam:  Hans Jürgen Nierenz und einen Regisseur: Leopold Hainisch, der mir noch in Erinnerung ist, weil er so hinreißend fluchen konnte. Von 1936 an gab es dann auch die ersten Sendespiele für das Fernsehen, Adolf Weber schrieb sie, und Arnold Bronnen, ein sehr begabter Dramaturg, wurde gewonnen. Arnold Bronnen, einst Freund von Bert Brecht, hatte Theaterskandale verursacht, extravagante Hörspiele im Rundfunk gebracht, Differenzen mit seinen Oberen gehabt, und so wurde er zum Fernsehen abgeschoben. Auch ich hatte manchen Kummer mit ihm, denn er verlangte von der Technik Unmögliches.

In seiner Autobiographie „Arnold Bronnen gibt zu Protokoll" schrieb er über die 180-Zeilen-Zeit in der Rognitzstraße:

  • „Außenaufnahmen wurden filmisch aufgenommen und erst vom Film aus übertragen; bei Direktaufnahmen in dem winzigen Fernsehlabor jedoch gab es nur Großaufnahmen aus einer Entfernung von etwa 1,20 Meter. Wir probierten demgemäß nur solistische Darbietungen, wobei es freilich vorkam, daß einer Sängerin beim schönsten Ton plötzlich das ganze Kinn zerflatterte, weil die Tonwelle auf dem ultrakurzen Band die optische Welle störte. Mein dramatischer Impetus gab sich natürlich mit dieser Lyrik nicht zufrieden. Ich drängte dazu, auch Szenen wiederzugeben, aber die Technik erklärte beharrlich, das sei unmöglich. Versuche, die ich trotzdem durchführte, mißlangen. Man sah bei allen Duoszenen den bekannten Negerkampf im Tunnel. Man sah nichts."

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1937 - viel Politik und eine Weltausstellung

Im September 1937 marschierten, als mit Hilfe des Fernsehkabels Nürnberg-Berlin eine direkte Brücke zwischen beiden Städten geschlagen war, sechs Stunden lang die braunen Reichsparteitag-Kolonnen auf Berlins Fernsehbildschirmen herum. Doch genug davon!

Der große internationale Erfolg der Elektronenkamera während der Olympischen Spiele regte die Deutsche Reichspost dazu an, auf der Weltausstellung in Paris 1937 im Deutschen Pavillon eine Ikonoskop-Anlage für 375 Zeilen auszustellen: neben zwei Linsenkranzabtastern von Emil Mechau, die als sogenannte Gegenseh-Anlagen eingesetzt sind - heute würde man sagen, als Fernsehtelefone.

Eine Rundsicht vom Dach des Deutschen Pavillons in Paris

Auf dem Dach des Deutschen Pavillons war eine Kamera aufgestellt, die eine Rundsicht von Paris und ein wirklich einmaliges Panorama von der Ausstellung, dem Eiffelturm, der Seine und dem Sowjetrussischen Pavillon übertrug.

Bei der Kamera, neben dem berühmt gewordenen Dachrestaurant von Horcher aus Berlin, standen junge, hübsche und sprachkundige Postbeamtinnen der Deutschen Reichspost. Zur Rundsicht gaben sie eine Beschreibung, und das wurde besonders von der französischen Landbevölkerung geschätzt, die, von der Ausstellung in die Hauptstadt gelockt, sich hier nicht auskannte. So dienten unsere Damen zugleich als Fremdenführerinnen. Sie interviewten auch die Besucher. Es gab sehr interessante Diskussionen. Oft wurden sie aber politisch, denn von dem damals sehr sozialistisch eingestellten Frankreich aus sah man mit gewisser Sorge auf das nazistische Deutschland. Und mehrfach wurde unsere Frage, was Sie am schönsten auf der Ausstellung fänden, beantwortet mit: „Der Deutsche Pavillon ist interessant, aber der Russische Pavillon ist noch viel schöner! - Heil Moskau!!"

Deshalb mußten Kamera und Mikrofon auf ein Podest gestellt und die Gesprächspartner in Vorunterhaltungen getestet werden. Demgegenüber erschien die gezeigte Technik unpolitisch. Sie wurde uneingeschränkt bewundert. Drei Goldmedaillen brachten die Fernsehanlagen dem "Deutschen Reich".

Walter Bruch sollte ein Studio "bauen" (?)

Ich wurde dann von Paris zurückgerufen und erhielt den für einen jungen, 29jährigen "Ingenieur" sehr anerkennenden Auftrag, im Verlauf eines Jahres ein vollständiges Studio nach dem Vorbild der Laboratoriumsanlage meines Kollegen Rudolf Urtel zu bauen. Es sollte mit drei Kameras, einem Filmabtaster mit einer Mischanlage für die Überblendung der Bilder und des Tones und einer Impulszentrale ausgerüstet werden. Eine Anschlußmöglichkeit für eine zweite Studiogruppe von der Fernseh AG war vorzusehen. Ich konnte sofort mit der Entwicklung beginnen. Ein Angebot brauchte erst später zu folgen.

So dringend war die Einrichtung eines elektronischen Studios geworden, daß man spontan (bei Telefunken) bestellte. Im August 1938 wurde dieses Studio in einem Haus eröffnet, in das vordem schon die mechanischen Abtaster eingezogen waren, nämlich im Deutschlandhaus am Reichskanzlerplatz, dem heutigen Theodor-Heuss-Platz in Berlin. Das Deutschlandhaus, ein Heinrich-Mendelsohn-Bau, war ursprünglich wohl als Cafe gedacht. Als wir einzogen, waren die Innenräume noch im Rohbau.

Anmerkung : In dem Büchlein von 1969 wird schon eine wenig Glorie mit aus Tablett gelegt. Bislang nirgendwo ist in der uns zugänglichen Literatur davon die Rede davon, daß ein Walter Bruch von telefunken 1938 ein Fernseh-Studio entwickelt hatte und es auch (ein- oder auf-) gebaut hatte.

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Über die Berliner Mendelsohn-Bauten

Interessant ist die Verbindung vieler großer Mendelsohn-Bauten in Berlin mit dem Fernsehen. Das Europa-Haus am Anhalter Bahnhof, das zunächst fast ein Jahrzehnt lang im Oberteil nur bis zum Stahlgerüst fertiggestellt blieb, trug um 1930 den ersten UKW-Testsender. Im Columbus-Haus am Potsdamer Platz, das am 17. Juni 1953 ausbrannte, war eine Fernseh-Gegensprechanlage untergebracht, über die man per Fernsehtelefon mit Leipzig und München sprechen konnte.

Im Deutschlandhaus, gegenwärtig noch das Domizil des SFB-Fernsehens (1969), war das damalige Fernsehstudio untergebracht, und daneben, im Amerika-Haus - heute englischer NAFI-Club - waren von 1938 an bis zu ihrer Zerstörung durch Bombeneinwirkung Ton- und Fernsehsender in Betrieb.

Fernsehen aus dem Deutschlandhaus

Mit einer Live-Sendung „Das Flaschenteufelchen", einem Sendespiel nach der Novelle von Robert L Stevenson, wurde damals das Fernsehen im Deutschlandhaus eröffnet. Wiederum waren die Einrichtungen erst kurz vor der ersten Sendung einigermaßen fertig geworden. Deshalb mußten Entwicklungsingenieure die Anlagen bedienen. Bei der Eröffnungssendung hatte ich beide Kameras und den Filmabtaster zu steuern, weil auch in meinem Labor kein Ingenieur für die Bedienung dieser Anlage rechtzeitig angelernt werden konnte. Ein Wunder, daß jene Premiere nach viel zu kurzer Probenzeit einwandfrei ablief. Später erhielt das Studio, wie geplant, eine zweite Anlage von der Fernseh AG hinzu.

Frühe Probleme mit der Kompatibilität

Als zum ersten Mal Bilder von einer Telefunken-Kamera mit Bildern von einer Kamera der Fernseh AG überblendet werden sollten, trat ein sehr merkwürdiger Effekt auf, den wir Techniker anfangs gar nicht bemerkten. Hatte zum Beispiel eine Dame einen grünlichen Rock und eine rötliche Bluse an, so war von der Telefunken-Kamera aus die rötliche Bluse weiß und der grünliche Rock schwarz zu sehen, während bei der Fernseh AG-Kamera die Bluse schwarz und der Rock weiß erschien. Bei der Überblendung wurden die Damen also „umgezogen". Des Rätsels Lösung: Die Aufnahmeröhre der Telefunken-Kamera war mehr rot-, die der Fernseh AG-Kamera mehr grünempfindlich.

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