Januar 1957 - "Die Camera" in Müllheim/Baden
Wer Müllheim nicht kennt, hat eigentlich nichts Ernsthaftes versäumt. Müllheim ist ein kleiner Ort zwischen Freiburg und Basel und liegt an der B3 in einer ganzen Kette solch kleiner Orte. Und jeder Ort wollte sein Kino haben. Die Bauherrn hatten zu der Zeit noch gar nicht realisiert, daß der Kino-Boom bereits vorbei war (1956 war die Spitze erreicht) und es brachial wieder abwärts ging, genauso wie es ehemals gigantisch aufwärts ging.
Neueröffnung Lichtspieltheater - Die Camera Müllheim
in der Badischen Zeitung vom 26./27. Januar 1957 Nr.22
Mit dem bezaubernden, musikalisch beschwingten Farbfilm „Tausend Melodien" öffnet das soeben fertiggestellte Camera-Lichtspieltheater am heutigen Tage seine Pforten.
Damit hat die Kreisstadt Müllheim eine nach den modernsten Gesichtspunkten aufgebaute und ausgestattete Filmbühne erhalten, deren technische Anlage den neuesten Stand auf dem Gebiete der Filmvorführtechnik darstellt.
Die Fertigstellung der Camera-Lichtspiele bildet gleichzeitig den Abschluß eines in den letzten zwei Jahren in der Wilhelmstraße auf dem Grundstück des ehemaligen Gasthauses „Zum Ochsen" errichteten Gebäudekomplexes, bestehend aus einem Geschäfts- und Wohnhaus mit drei Geschossen und ausgebautem Dachgeschoß sowie einem zweistöckigen Zwischenbau und schließlich dem Lichtspielsaal.
Das Grundstück des ehemaligen Gasthauses "Zum Ochsen", das in den letzten Kriegsmonaten sehr schwer beschädigt wurde, ist Anfang des Jahres 1955 käuflich in den Besitz von Plattenlegermeister Erich Theiß übergegangen, der alsbald den Platz einebnen ließ. Noch im Frühjahr 1955 wurde an dieser Stelle mit dem Wiederaufbau begonnen. Nach den Plänen von Dipl.-Ing. Architekt Heinz Renkert, Müllheim, der auch für die gesamte Bauleitung verantwortlich zeichnete, ist in längerer Bauzeit ein schmuckes und modernes Geschäfts- und Wohnhaus emporgeführt worden, das architektonisch sich harmonisch in das Gesamtbild der Wilhelmstraße einfügt und trotz der modernen Linienführung das bestehende Alte der näheren Umgebung in keiner Weise beeinträchtigt.
Anmerkung : An den nachfolgenden Anzeigen sieht man ganz prägnant, daß das Kino mit den Tanzveranstaltungen um die gleichen Gäste buhlte. Auch das wurde zunehmend schwerer.
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In das Ladengeschäft links des gewölbten Durchganges hat der Drogist Gerhard Lamade eine allen Wünschen gerecht werdende Drogerie eingerichtet, die vor längerer Zeit schon der Bevölkerung zugänglich gemacht wurde.
Der gesamte Geschäfts- und Wohnbaukomplex ist in seiner Konstruktion so geplant und auch gebaut worden, daß das rechts des Torbogens befindliche Erdgeschoß sich für alle Zwecke eignete. Das heißt, man hätte hier ohne große Umbauten ebensogut eine Gaststätte wie einen Laden einrichten können.
Aber auch für den heutigen Zweck war es wie geschaffen, denn der Bauherr hatte sich schließlich dafür entschieden, unter Ausnützung des bestehenden weiträumigen Hofes einen Lichtspielsaal erstellen zu lassen.
Der noch teilweise verwendbare Seitenflügel des ehemaligen „Ochsen", der für Fremdenzimmer vorgesehen war, wurde vollständig niedergelegt. Der teilweise unter diesem Flügel gelegene Gewölbekeller konnte für die jetzige Heizanlage des Kinos und des Geschäftshauses mit in die Planung einbezogen werden. Auf diesem Grundstücksteil erstand nun das neue Lichtspieltheater.
Den Lichtspielsaal erreicht man von der Wilhelmstraße durch die Kassenhalle, die sehr geräumig und in freundlichenFarben gestaltet ist. Zusätzlich zum Kassenschalter findet man einen zweiten für den Kiosk. Außerdem sind in diesem Erdgeschoßteil auch die Toiletten mit Waschgelegenheit untergebracht, während die Längswand sieben Ausstellungsvitrinen aufweist.
Die Brüstung des Kassenschalters wie auch die Rundstützen sind mit farbigem Mosaik von dem Bauherrn selbst verkleidet worden.
Über das Foyer, das in seiner Ausstattung verwöhntesten Wünschen gerecht wird, gelangt man über einige Stufen in den Saal. Der Filmsaal weist ein Ausmaß von 24m zu 11,50m, bei einer Durchschnittshöhe von 7m auf. Das Gerippe, eine Stahlbetenkonstruktion, ist ausgefacht mit 30 Zentimeter starken Bimsblocksteinen. Die Innenausstattung des Saales erfolgte nach den Plänen des auf diesem Gebiet sehr erfahrenen Architekten Karl-Heinz Schumacher, Rheinfelden.
Um eine gute Akustik zu erreichen, ist die Wandgestaltung entsprechend abgestimmt worden, insbesondere auch dadurch, daß der untere Teil der Wandverkleidung mit Glaswatte ausgelegt wurde. Ähnlich ist man mit der Rückwand verfahren, die normalerweise den Schall auffängt. Die Seitenwände sind mit verschiedenartigen Stoffen, gerafft und abgenagelt, bespannt.
Mit den geschwungenen Linien und der Absteppung des Wandbehanges versuchte Architekt Schumacher dem ganzen weiten Raume eine zusammenfassende Wirkung zu geben. Das gleiche gilt auch für die Rückseite. Das ist dem Architekten zweifellos gelungen, denn das Zitronengelb in den oberen Teilen paßt vorteilhaft zu dem sich unten anschließenden lichten Grauton mit den schwarzen Absteppnägeln. Die gekurvte Aufgliederung der Saaldecke ist von guter Wirkung, die erhöht wird durch die dezente Beleuchtung der vom Architekten eigens für den Saal geschaffenen Beleuchtungskörper.
Die 10m zu 4m große Cinemascope Bildfläche stellt das Neueste auf diesem Gebiete dar. Es handelt sich um eine Perlwand, die mit einem ganz feinen christallischen Überzug versehen ist. Sie hat die Eigenschaft, daß sie vor allen Dingen bei Farbfilmen eine plastische Wirkung hervorruft.
Der Saal ist mit dem neuesten Stuhlsystem, das es auf diesem Gebiet gibt, ausgestattet. Die 390 Stühle sind gegeneinander versetzt, um jedem Besucher die ungestörte Möglichkeit zu geben, den Arm auf die Lehne aufzulegen. Der Stuhlabstand von 90 Zentimetern gewährt ein bequemes Sitzen und ein relativ störungsloses Hindurchgehen durch die Reihen. Rang und Sperrsitzbestuhlung sind voll gepolstert, jene Stühle des ersten und zweiten Ranges weisen eine Halbpolsterung auf. Die Polsterung ist im Gegensatz zum Grau des Stuhles in Dunkelblau mit grauer Musterung gehalten.
Filmtechnisch wurde das Theater von der Ufa-Handelsgesellschaft mit den neuesten Geräten ausgestattet, so daß die bildliche Wiedergabe des Streifens wie auch der Ton in jeder Weise überraschen werden. Die Heizungs- und Lüftungsanlage gewährt zu jeder Jahreszeit eine einwandfreie Frischluft.
Zusammenfassend darf gesagt werden, daß die neue Filmbühne unter Berücksichtigung aller technischen Neuheiten und einer ausgezeichnet abgestimmten farblichen Gestaltung und Beleuchtung sowie der technischen Einrichtung alle Voraussetzungen aufweist, die der Besucher eines Lichtspielhauses als neuer Filmbühne erwartet.
Fun.