"Mainz hat einen anderen Stil"
Pressestimmen zum ZDF-Sendebeginn 1963
"Die Situation, in der das Mainzer Fernsehen vor das Publikum tritt, steckt voller Ungewißheiten", meinte - etwas ratlos - die FAZ am 1. April 1963, am Tag, an dem das Zweite Deutsche Fernsehen erstmals auf Sendung ging.
Zwei Tage später, am 3. April, fällte die Nachtausgabe ein bemerkenswertes Urteil: "Die Sprecher können sich an Schönheit und Gestalt mit denen des 1. Fernsehens nicht messen". Und die Kieler Nachrichten vom gleichen Tag hatten richtig bemerkt: "Man gab sich bewußt legerer und wollte nicht überperfektioniert wirken."
Drei Pressestimmen von vielen aus den ersten Tagen des ZDF-Programms. Die kritischen Anmerkungen, mit denen die Presse auf den Start eines eigenständigen zweiten Fernsehprogramms reagierte, waren recht unterschiedlich und - verständlicherweise - von einer gewissen Unsicherheit geprägt.
Nachstehend einige Zitate aus deutschen Tageszeitungen :
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Merkwürdiger Scherz auf Kosten der Fernseher
Das Zweite Programm gibt es gar nicht ......
Das sogenannte Zweite Fernsehen, das angeblich heute abend mit seinem Programm beginnen sollte, existiert gar nicht. Wie jetzt bekannt wird, handelt es sich in Wirklichkeit um den größten bisher bekanntgewordenen 1.-April-Scherz, der seit Monaten systematisch vom "Mainzer Carneval-Verein" vorbereitet wurde. (Abendpost vom 1. April 1963)
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Premiere in Mainz
Zweites Fernsehen oder: Der Zwang, ein Programm zu senden
Mainz hat in einem knappen Jahr 1800 Mitarbeiter engagiert, hat Nebenstellen im In- und Ausland geschaffen, hat viele Aufträge zur Produktion von Sendungen erteilt (bei etwa 60 bis 80 Firmen), es hat Produktionen eingekauft und auch Sendungen übernommen, die vom Freien Fernsehen in Frankfurt hergestellt worden sind.
Vom 1. April an muß Mainz produzieren und senden, das ist nicht leicht, und es erfordert eine eingespielte Organisation: Meist verbrauchen sich Programmkonserven schneller als solche des Haushalts. Mainz kann dann nicht mehr sagen, es sei noch im Aufbau; es muß senden, und es wird spüren, daß die Zuschauer auf Erweiterung seiner Programmzeiten drängen. (Sonntagsblatt vom 29. März 1963)
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Fernsehstart ins Ungewisse
Die Situation, in der das Mainzer Fernsehen vor das Publikum tritt, steckt voller Ungewißheiten. Der Start des Zweiten Deutschen Fernsehens markiert einen Wendepunkt; aber man sieht noch nicht klar, wie sich hierzulande das Fernsehen weiterentwickeln wird. (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 1. April 1963)
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(Kieler Nachrichten vom 3. April 1963)
Schon die Nachrichtensendung "heute" deutete den neuen Weg an, den man in Mainz gehen will. Man gab sich bewußt legerer und wollte nicht überperfektioniert wirken. In der Auswahl der politischen Nachrichten erhob man nicht den Anspruch auf eine umfassende Information über alle politischen Ereignisse. Man beschränkte sich auf das Wichtigste, formulierte leicht verständlich und setzte gleichberechtigt neben die Ereignisse der Politik die Meldungen aus anderen Lebensbereichen; dabei mag wohl der Stil amerikanischer Nachrichtensendungen Pate gestanden haben. (Kieler Nachrichten vom 3. April 1963)
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(Nachtausgabe vom 3. April 1963)
Die Nachrichtensendung "heute" steckt noch ersichtlich in den Kinderschuhen, die Sprecher können sich an Schönheit und Gestalt mit denen des 1. Fernsehens nicht messen. Der Wetterbericht sollte schleunigst umgebaut werden. In seiner jetzigen Form wirkt er ausgesprochen provinziell; fehlt nur noch das Spezialwetter für Edenkoben-Süd...
(Berliner Morgenpost vom 2. April 1963)
Um 22.00 Uhr endete die Premiere. Nun geht es in den harten, von keinem Wohlwollen mehr begleiteten Fernseh-Alltag. Fünf Millionen hoffen auf Konkurrenz fürs Erste. (Berliner Morgenpost vom 2. April 1963)
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(Christ und Welt vom 5. April 1963)
Was das Erste Fernsehen vor Jahren abgeschafft hatte: den Wettermann in persona am Bildschirm, der die Wetterkarte erklärt, holten die Mainzer wieder aus der Versenkung. Hier ließ sie das unbedingt Andersseinwollen einen Fehler machen. Die lebende Person am Bildschirm lenkt von der Sache ab. Die Wetterkarte genügt. (Christ und Welt vom 5. April 1963)
(Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. April 1963)
Die erste Woche des ZDF
Zu neuen Ufern? Tagebuch des Fernsehers
Die erste Sendewoche des ZDF ist vorbei; die erste und in vieler Hinsicht auch die schwierigste Woche, denn von den begreiflichen Unsicherheiten abgesehen, mußte beinahe jede Sendung mit einer Gebrauchsanweisung eröffnet werden ...
Eine Woche Sendepraxis bedeutet keine Zeit, wenn man sich nicht vorgenommen hat, etwas aus unserer mehr als zehnjährigen Fernsehvergangeheit zu lernen, was dann doch eine ganze Menge Zeit wäre. Mainz hat aber nicht mehr das Glück der Entschuldigung, alles bei Adam und Eva anfangen zu müssen. Wenn die ältere Konkurrenz aus ihren Fehlern hartnäckigerweise nichts lernen will, so braucht das nicht als Ermunterung zu gelten, sie zu wiederholen.
Wir verkennen die neuen Ansätze nicht, die Mainz macht, und zu manchem guten Einfall beglückwünschen wir die neue Anstalt freudig (zum Beispiel für den politischen Wochenkommentar, den Klaus Mehnert sprach) -, das ändert aber nichts an unserem Haupteinwand. (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 8. April 1963)
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(Süddeutsche Zeitung vom 6. April 1963)
Mainz nach einer Woche
Jedenfalls hat sich die Sendung "heute" seit dem ersten Abend schon erheblich verbessert. Eine "Entpolitisierung" der Nachrichten scheint nicht, wie zu befürchten stand, vorgesehen zu sein. Und wenn man - wie wir es am Donnerstagabend getan haben - die Nachrichten der Mainzer einmal Punkt für Punkt mit denen der Rundfunkanstalten vergleicht, so ergibt sich, daß das Zweite Programm an diesem Tag nicht nur genauso präzis, sondern sogar etwas detaillierter informierte. (Süddeutsche Zeitung vom 6. April 1963)
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