aus der Funk-Technik Nr. 17 / 1972
Fernsehtechnische Ausrüstungen für die Olympischen Spiele München 1972
Die Rundfunk- und Fernsehübertragungen von den Olympischen Spielen 1972 in München sind hinsichtlich ihrer technischen Vielfältigkeit und der Vielzahl der möglichen Nachrichten- verbindungen als einmalig zu bezeichnen. Einen besonders großen Anteil an dieser Technik haben die fernsehtechnischen Einrichtungen und Ausrüstungen, und nicht ohne Grund sprach man schon vor Eröffnung der Olympischen Spiele von einer „Olympiade der Fernsehtechnik".
Sechzig Fernsehanstalten übertragen die Olympischen Spiele 1972 in 98 Länder, und es können bis zu dreizehn verschiedene Farbfernsehprogramme gleichzeitig gesendet werden. An der Videoplanung und an der Lieferung der videotechnischen Einrichtungen hat die Robert Bosch Fernsehanlagen GmbH einen besonders großen Anteil gehabt. So hat sie beispielsweise zwölf Fernseh-Farbstudios mit allen Einrichtungen für die unterschiedlichsten regietechnischen und künstlerischen Möglichkeiten der modernen Programmgestaltung eingerichtet.
Diese Studios sind für die individuelle Berichterstattung der Fernsehanstalten bestimmt sowie für die Vorbereitung von Fernsehproduktionen. Als Ergänzung stehen für die ortsungebundene aktuelle Berichterstattung als kompakt eingerichtete mobile Fernsehstudios 25 Übertragungswagen mit allen Möglichkeiten der modernen elektronischen Produktionstechnik zur Verfügung und zusätzlich auch noch sieben MAZ-Wagen für den mobilen Einsatz.
Von den 150 in München eingesetzten Farbfernsehkameras sind über 120 vom Typ „KCU" der Fernsehanlagen GmbH. Sie werden ergänzt durch die neuen tragbaren Reporterkameras „KCR", die während der Olympischen Spiele ihren ersten Großeinsatz erleben. In der Zentrale mit umfangreichen Schalt- und Verteilereinrichtungen kann rund um die Uhr an 90 Monitoren ein aktuelles Olympiageschehen von allen Wettkampfstätten in München und Kiel ausgewählt werden.
Für die Fernsehübertragungen in Länder mit anderer Fernsehnorm stehen Farbnormwandler und Transcoder des Unternehmens (Anmerkung: beide Gerätetypen wurden auch von der Fese geliefert.) zur Verfügung. So arbeiten beispielsweise in der Erdefunkstelle Raisting zwei Normwandler zum Umsetzen des 625-Zeilen-PAL-Bildes der Aufnahme in ein 525-Zeilen-NTSC-Bild für die USA; weitere Normwandler stehen in Italien, Spanien, Frankreich und Brasilien. Transcoder zur Versorgung der SECAM-Länder arbeiten für die OIRT-Länder in Berlin und in Prag. Die videotechnischen Anlagen zur Fernsehübertragung der Olympischen Spiele 1972 dürften das größte jemals zusammengeschlossene System sein (Anmerkung: jedenfalls bis zum damaligen Zeitpunkt) und wahrscheinlich selbst die bei Raumfahrtunternehmen eingesetzten noch übertreffen.
Olympischer Schildbürgerstreich 1972
Wie einst der Rat der story-umwobenen deutschen Stadt Schilda Beschlüsse faßte, so hat kurz vor Beginn der XX. Olympischen Spiele die italienische Regierung beschlossen, ihren Bürgern die Fernsehsendungen aus München in Farbe zu präsentieren.
Aber mit „salomonischer Weisheit" beschloß sie, ab 26. August Farbsendungen abwechselnd in PAL und in SECAM auszustrahlen. Diese Entscheidung stellt sich den besten Schildbürgerstreichen würdig an die Seite. Schon seit 1966 hat die staatliche italienische Fernsehgesellschaft RAI PAL-Versuchssendungen ausgestrahlt, und die italienischen Fernsehgerätehersteller konnten bereits einige zehntausend PAL-Geräte exportieren.
Darüber hinaus haben etwa 40 000 Italiener mit PAL-Geräten Sendungen aus der Schweiz und aus Jugoslawien empfangen. Dagegen ist der Bestand an SECAM-Geräten praktisch Null; ebenso haben die Gerätehersteller noch keinerlei Erfahrungen mit SECAM. Italienische Experten hatten bereits seit langem ihr Votum für PAL abgegeben.
Nach dem Besuch des französischen Staatspräsidenten Pompidou Ende Juli 1972 in Lucca (Toskana) aber haben Politiker - die in Italien von Fernsehtechnik scheinbar mehr verstehen als die Ingenieure - diesen „weisen" Beschluß gefaßt, einen Kompromiß, der für die italienische Volkswirtschaft einen unnötigen Mehraufwand von mehreren Milliarden Lire (Anmerkung: klingt nach viel, war aber nicht viel!!) bedeuten dürfte. Der ungewöhnliche Druck auf italienische Politiker ist demzufolge in der italienischen Presse auch ganz offen als Bestechungsversuch gebrandmarkt worden. Wichtigen italienischen Persönlichkeiten und den Verwaltungen kleinerer und mittlerer Städte ist (Anmerkung: von den Franzosen) eine größere Anzahl SECAM-Geräte geschenkt worden. Als Sympathiewerbung für SECAM sollen sie auf öffentlichen Plätzen aufgestellt werden.
Ist damit dem Bürger gedient? Er kann also nur jeden zweiten Tag in Farbe fernsehen, denn kombinierte PAL-SECAM-Geräte gibt es wegen des sehr hohen technischen Mehraufwandes und damit auch Preises vorerst noch nicht. Und außerdem verringern sich die Exportchancen der italienischen Industrie.
Fürwahr: der Schildbürgerstreich des 20. Jahrhunderts! -th
Atomfrequenznormal synchronisiert Fernsehzentrale
Während der Olympischen Spiele werden 25 Fernseh-Übertragungs-wagen mit je bis zu sechs Kameras für die aktuelle Berichterstattung vom Olympiagelände eingesetzt. Um die technisch sehr komplizierte „weiche Überblendung" von einer Farbkamera zur anderen und die Einblendung von Teilbildern in das laufende Programm einwandfrei durchführen zu können, müssen die Farbträgergeneratoren aller Kameras, ungeachtet ihrer weit verstreuten Aufstellungsorte, bis auf 2° Phasenabweichung synchron laufen, denn eine Phasenänderung des relativ zur Bezugsphase (Burst) liegenden Farbträgers um einige Grad würde bereits eine Farbverschiebung zur Folge haben. Zur Synchronisation läßt man daher jede Fernsehkamera mit dem Taktgeber des Ü-Wagens laufen, vergleicht in einer Zentrale die Phase der ankommenden Signale mit dem Zentraltaktgeber und leitet den verschiedenen Übertragungswagen Regelspannungen zur Phasenkorrektur zu.
Um diese regelungstechnische Aufgabe zu erleichtern, hat Rohde & Schwarz dem Deutschen Olympia Zentrum (DOZ) ein Atomfrequenznormal „XSR" zur Verfügung gestellt sowie einen Phasenschreiber „XKP". Damit läßt sich der Zentraltaktgeber atomuhrengenau regeln, das heißt mit dem vernachlässigbar kleinen Frequenzfehler von etwa 10 hoch 10 je Jahr. Die große Frequenzstabilität bringt außer der besseren Synchroni-sierbarkeit der Ü-Wagen-Taktgeber auch Vorteile bei der internationalen Übertragung der Fernsehprogramme, die über Satelliten und Richtfunkstrecken von den elf Studios und 30 Übertragungswagen in alle Welt gehen.