"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958
Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.
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„MORITURI"
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Wir kommen zurück zu Artur Brauner .....
Noch weiß man wenig von dem blutjungen Rumänen "Arthur" Brauner, der aus Lodz über Stettin nach Berlin gekommen ist.
- Anmerkung : Wieder ein Ausrutscher von Curt Riess, denn Artur Brauner (Artur ohne das "H") war 1918 geboren und 1948 bereits 30 Jahre alt, also gar nicht mehr blutjung.
Nur zwei oder drei Menschen erfahren etwas über seine Vergangenheit, diese unwahrscheinlichen letzten vier oder fünf Jahre, die Brauner auf höchst romantische, aber auch höchst gefährliche Weise verbracht hat: in Wäldern, in abgelegenen Dörfern, immer auf der Flucht entweder vor der SS oder vor den Russen.
In diesen Jahren hat Brauner eine Menge Menschen kennengelernt, die gleich ihm ewig auf der Flucht waren.
Nicht alle haben Glück gehabt wie er, vermutlich sind nur einige wenige durchgekommen. Er vermöchte nicht zu sagen, wie viele von ihnen, er hat sie ja längst aus den Augen verloren. Nun will er ihnen ein Denkmal setzen, nicht nur den paar Menschen, die er kennenlernte, mit denen er sich verbarg.
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Brauner geht es um eine Herzensangelegenheit .....
Er will ein Denkmal setzen der gehetzten Kreatur, den immer Unterdrückten, gleichviel welcher Nationalität, denen, die immer bezahlen müssen, wenn irgendwo ein Diktator irgendeinen Krieg beginnt, die immer auf der Flucht sind, immer Angst haben müssen, denen nie oder doch fast nie Recht wird.
Daß so etwas kein Geschäft werden kann, liegt auf der Hand. Aber es geht Brauner, der schon mit 'Herzkönig' bewiesen hat, daß er kein schlechter Geschäftsmann ist, und der später beweisen wird, daß er ein geradezu grandioser Geschäftsmann sein kann, jetzt nicht um das Geschäft.
Es geht ihm um eine Herzensangelegenheit. Er hat wenig Unterstützung bei den Siegermächten gefunden. Sie, die seit Jahren in ihren Rundfunkansagen, in allen Communiques erklärten, diesen Krieg zu führen eben für jene, denen Brauner jetzt ein Denkmal setzen will, zeigen sich plötzlich seltsam uninteressiert, ja, geradezu ablehnend seinem Projekt gegenüber.
Das mag mit Brauners Persönlichkeit zu tun haben.
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Brauner ist den meisten zu "unbekannt" .....
Er ist ja schließlich kein alter Filmmann, er ist einer, von dessen Vergangenheit man nichts weiß. Erich Pommer zum Beispiel stellt sich aus diesen Gründen gegen Brauner. Er führt eine lange Unterhaltung mit ihm, und er sagt immer wieder: „Wenn Sie im Film etwas werden wollen, müssen Sie von der Pike auf dienen wie ich!"
Brauner bekommt also keine amerikanische Lizenz. Er bekommt auch keine britische. Aber er bekommt schließlich, nach langem Hin und Her, eine französische Lizenz.
Das sagt sich so einfach.
Aber welche Folgen hat so etwas?
Berlin ist eine viergeteilte Stadt, Berlin zerfällt in vier Sektoren. Brauner lebt in Dahlem, im amerikanischen Sektor.
Er hat eine Villa gefunden; im ersten Stock wohnt er mit seiner Frau und dem kleinen Kind. Im Parterre installiert er seine Firma, die CCC.
Die besteht vorläufig aus vier Leuten: ihm, Dr. Herlitz, ehemals Syndikus der UFA, einem Fräulein Wernicke, die die Buchhaltung macht, und Fräulein Inge Laeppche, die ebenfalls bei der UFA war und jetzt die Sekretärin Brauners geworden ist. Sie sitzen in einem ungeheizten Raum und machen eine auf "Filmfirma".
Dann treibt Brauner einen kleinen Topolino auf, und manchmal, wenn es ihm gelingt, irgendwoher Benzin zu bekommen, begibt sich die Firma auf Wanderschaft.
Das ist er selbst, Dr. Herlitz und die Laeppche - sie zwängen sich in das Gefährt, Fräulein Wernicke geht nun wirklich nicht mehr hinein - und los geht es im atemraubenden Tempo von vierzig bis fünfundvierzig Kilometern.
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Eine Filmgesellschaft braucht nun mal ein Telefon .....
Brauner ist ehrgeizig. Was nutzt ihm eine Filmgesellschaft, wenn er kein Telephon hat? Telephon ist in dieser Zeit eine Art Adelstitel, ein Diplom, etwas Außergewöhnliches. Telephon war schon immer etwas sehr Praktisches.
Jetzt, da es kaum Verkehrsmittel gibt, ist Telephon nötiger denn je. Eine Filmgesellschaft muß Telephon haben, sonst ist sie keine Filmgesellschaft.
Gewiß, schon gibt es Privatleute mit Telephon in Berlin. Aber es sind gute Beziehungen erforderlich, um Telephon zu bekommen. Brauner läuft von Pontius zu Pilatus, und schließlich beschafft ihm wirklich jemand das heißbegehrte Telephon. Es klingelt auch gelegentlich, und er meldet sich stolz als 'Central Cinema Companie!'
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Die Amerikaner sind komisch und konsequent ....
Eines Tages kehren Brauner, Dr. Herlitz und Fräulein Laeppche von einer langen Fahrt mit dem Topolino zurück. Sie finden ein händeringendes Fräulein Wernicke vor. Was ist geschehen?
Während Brauner fort war, erschienen amerikanische Soldaten. Sie montierten im Auftrage der Offiziere der Film-Section das Telephon ab. Sie montierten es ab? Nein, sie rissen es aus der Wand. Nicht nur das Telephon ist weg, die Tapete ist kaputt - und sie war gar nicht billig.
Warum dies alles? Weil Brauner keine amerikanische Lizenz besitzt. Daher darf er auch im amerikanischen Sektor kein Büro - und kein Telephon haben. So streng sind hier die Bräuche.
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Brauner fährt ins amerikanische Hauptquartier und schimpft
Und dies alles, weil Brauner einen Film machen will, zu dem ihm der amerikanische Präsident gratulieren müßte! Brauner ist noch sehr jung. Brauner hat sehr vieles einstecken müssen in den Jahren der Verfolgung. Nun gedenkt er, nichts mehr einzustecken.
Er besteigt seinen Topolino und fährt ins amerikanische Hauptquartier. Dann legt er den Offizieren der Film-Section eine Szene hin, wie sie diese wohl noch nie miterlebt haben. Mag sein, daß sie nicht alles verstehen, was Brauner sagt, denn er spricht nicht besonders gut Deutsch, dafür aber fast kein Englisch.
Immerhin verstehen sie, um was es sich handelt. Schon lautstärkemäßig ist Brauner den Amerikanern überlegen.
Das ist das Ende der Beziehungen zwischen der CCC und den Vereinigten Staaten von Nordamerika.
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Nicht ganz! - Erich Pommer ruft Artur Brauner an ...
Nicht ganz! Später, als Brauner meinen Film fertiggestellt hat, als die Amerikaner ihn sich vorführen lassen, ruft Pommer Brauner an, der um diese Zeit wieder Telephon hat. Und sagt: „Sie können innerhalb von vierundzwanzig Stunden eine amerikanische Lizenz erhalten!"
Dann sagt er nichts mehr, denn Brauner läßt ihn gar nicht zu Worte kommen. Er äußert sehr vieles und sehr schnell.
Der Satz „Ich habe schließlich meinen Stolz!" kommt mehrere Male vor. Und als ihm der Atem ausgeht, hängt er ab.
Wieder ein paar Jahre später, Ende 1955, wird er erzählen: „Es war sicher ein großer Fehler, daß ich die amerikanische Lizenz nicht nahm! Ich war eben noch sehr jung und sehr wütend!"
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Brauner zieht vorerst in den britischen Sektor
Daß Pommer Brauner nach Vollendung des Films eine Lizenz anbieten wird, nutzt Brauner gar nichts in dem Augenblick, da er, respektive seine Filmgesellschaft, ohne Telephon dasitzt.
Er könnte auf der berühmten einsamen Insel nicht einsamer sein. Er ist abgeschnitten von der Welt im allgemeinen und der Welt des Films im besonderen. So zieht er erst einmal in den britischen Sektor.
Die Engländer halten es für vereinbar mit der öffentlichen Sicherheit, daß Brauner Telephon bekommt, obwohl er doch keine britische, sondern nur eine französische Lizenz besitzt.
Gustav Kampendonk schreibt ein (das) Drehbuch
Und was nun? Brauner läßt ein Drehbuch schreiben. Er weiß genau, wie sein Film aussehen soll. Er hat ihn schon im Kopf. Der Drehbuchautor, der freilich noch viel Eigenes hinzugibt, ist Gustav Kampendonk.
Der Film spielt zwischen 1944 und 1945. Zuerst in einem Lager; es ist nicht einmal klar, ob es sich um ein Konzentrationslager oder ein Lager für Fremdarbeiter handelt.
Es ist nur klar, daß dies Lager in Polen liegt, daß die Menschen, die man dort festhält, es satt haben, daß sie fliehen wollen und daß einigen von ihnen diese Flucht mit Hilfe eines polnischen Lagerarztes gelingt, der selbst mitflieht. Nur seine Frau bleibt zurück, wird von SS-Schergen verhört, gefoltert, umgebracht.
Und wohin fliehen die paar Männer, die aus dem Stacheldraht entkommen sind? Der Arzt bringt sie in ein merkwürdiges Lager mitten im Wald, eine Art Mulde, die von oben gar nicht sichtbar ist, denn sie ist nach allen Regeln der Kunst getarnt, abgeschirmt durch ein riesiges Netz, über dem eine Schicht Blätter und Zweige liegt.
Zuerst gibt es Schwierigkeiten, denn die Bewohner des Lagers - es handelt sich um ein ganzes Dorf - fürchten, daß die Neuankömmlinge ihnen das Letzte wegessen werden. Aber schließlich bleibt man doch zusammen.
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Es sind Russen und Polen, Franzosen und Engländer, Deutsche und Österreicher.
Wer sind die Menschen, die da unten im Wald wohnen, in pausenloser Angst vor Entdeckung und vor dem, was dann folgen muß?
Es sind Russen und Polen, Franzosen und Engländer, Deutsche und Österreicher. Es sind alte Frauen und blutjunge Männer, es sind Kinder. Was tun sie? Ach, sie können nichts tun, sie können an ihrem Schicksal nichts ändern, sie können nur hoffen, nicht entdeckt zu werden.
Es geschieht auch entsetzlich wenig in diesem Film, außer daß die Menschen einander und daß wir sie kennenlernen, diese Menschen mit ihren kleinen und großen Sorgen, die im Grunde genommen nichts wollen als leben.
Einer, der als Matrose alle Weltmeere bereist hat, singt auch zu seiner Ziehharmonika, die er irgendwo aufgetrieben hat:
- Das Leben kann so schon sein,
- nur mußt du zu leben verstehn,
- und bat's nicht immer den Anschein,
- es wird immer weitergehn!
- So trage des Lebens Bürde
- mit Gleichmut, du irdischer Gast,
- und grüße den Tod mit Würde.
- den einzigen Freund, den du hast!
- Das Leben kann noch so schlecht seiny
- mal muß es zu Ende gehn!
- Dann wird es dir aber nicht recht sein,
- dazu war es doch zu schön!
Ein anderer sagt: „Wir könnten Frieden halten - wir müßten ihn nur erleben!"
Ein dritter: „Einmal möchte ich der liebe Gott sein, dann würde ich aufräumen! - Dann würde uns keiner mehr mit einer Kanone in die Quere kommen. Dann könnten wir Menschen sein und menschlich, wie es sich gehört!"
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Sehr viel mehr geschieht in dem Film nicht.
Oder doch: Einmal, als die Not sehr groß ist, finden die Männer, die sich aufgemacht haben, um Nahrungsmittel aufzutreiben, ein Wehrmachtsauto, beladen mit einer Riesenkiste Proviant. Sie entführen das Auto.
Was sie für Proviant halten, ist aber französischer Cognac, der für ein Offizierskasino bestimmt war. Alle betrinken sich. Im Suff" kommt es zu einem Freudenfest seltsamer, ja, gespenstischer Art, einer Art Bacchanal, in dem diese Menschen, die, aus Furcht entdeckt zu werden, seit Jahren kaum ein lautes Wort zu sprechen gewagt haben, sich endlich einmal gehenlassen.
Der ganze Inhalt des Films von „Morituri", den Todgeweihten
Was noch? Ein Mensch stirbt. Ein Mensch wird geboren. Zwei Menschen beginnen einander zu lieben. Einer spricht ein Gebet. Die anderen hören zu. Und plötzlich beten sie alle.
Sie beten in Deutsch, Französisch, in Polnisch, in Hebräisch, sie beten ihre katholischen, protestantischen, jüdischen Gebete. Und wir spüren: es ist doch immer wieder das eine Gebet, gleichgültig, in welcher Sprache es gesprochen wird.
Ein deutscher Soldat verirrt sich im Wald, wird gefangengenommen, damit er nicht zum Verräter werden kann. Aber einer der Flüchtlinge hat Mitleid mit dem armen Jungen und läßt ihn laufen auf sein Versprechen hin, dicht zu halten.
Die anderen wollen den Gutmütigen fast lynchen, denn nun ist ja alles aus, der Deutsche wird das Geheimnis preisgeben: man ist verloren. Aber der Deutsche hält sein Versprechen. Er verrät das Geheimlager im Wald nicht. Im Gegenteil, er kommt noch einmal zurück, um die Insassen zu warnen vor einer Razzia, die geplant ist - und wird so zu ihrem Retter.
Das ist eigentlich alles; das ist eigentlich der ganze Inhalt des Films von „Morituri", den Todgeweihten.
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Wo muß man diesen Film drehen?
Im Freien natürlich. In einem Wald, der den polnischen Wäldern gleicht, an einer Stelle, an der ein entsprechendes Lager aufgebaut werden kann. Brauner sucht lange, bis er die richtige Stelle findet. Sie liegt schon in der sowjetischen Zone, in der Nähe des Ortes Schildow, etwa zwei Kilometer von der Grenze des Berliner französischen Sektors entfernt.
Er setzt sich mit den Russen in Verbindung. Sie sagen nicht nein - aber auch nicht ja. Brauner hat keine Zeit mehr. Er hat sein Drehbuch. Er hat seinen Regisseur, er hat seine Hauptdarsteller engagiert.
Was also tun? Das einzig Logische wäre, mit dem Drehen zu beginnen.
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Und Brauner tut das einzig Logische, er fängt an.
So geschieht das Seltsame, daß ein Film über die Illegalen ohne Bewilligung, das heißt illegal, gedreht werden muß.
Die Hauptrolle spielt einer, der im Film selbst nicht zu sehen ist: Artur Brauner persönlich.
Er ist von früh bis abends und, was weit wichtiger ist, auch von abends bis früh auf dem Filmgelände. Er hat tausend Einfälle, mit denen er seinen Regisseur überschüttet.
Er versteht zwar noch nicht viel vom Film, aber er lernt unheimlich schnell. Nicht alle seine Vorschläge sind durchführbar, aber die meisten sind zumindest diskutabel, Übrigens ist Brauner alles andere als ein Diktator. Er redet zwar seinem Regisseur in alles hinein, aber er ist erst zufrieden, wenn auch die anderen ihm in alles dreinreden. Jeder darf Vorschläge machen, jeden hört er an.
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Es wird eben nicht irgendein Film gedreht ....
Es handelt sich ja hier nicht nur darum, daß irgendein Film gedreht wird. Es wird ein Film in der sowjetischen Zone gedreht, ohne daß eine Bewilligung dazu vorliegt.
Es wird ein Film in einer Temperatur gedreht, in der kein vernünftiger Mensch auch nur die Nase aus dem Fenster stecken würde - und der ganze Film muß im Freien gedreht werden.
Es wird ein Film gedreht, an dessen Zustandekommen hundertfünfzig Menschen mitwirken: Schauspieler, Arbeiter, Techniker, Photographen, Kameramänner, Maskenbildner ...
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Dann gibt es das Problem des Stroms.
Das ist schon fast unlösbar, wenn man im Tempelhofer Atelier oder in Geiselgasteig filmt. Wie soll man mitten in der sowjetischen Zone Strom schaffen? Brauner läßt sich von seinen Technikern erklären, daß eine Hochspannungsleitung von einem Kilometer nötig wäre, um überhaupt drehen zu können. Um eine Nacht durchzudrehen, müßte man den Strom in zwei benachbarten Städtchen abschalten, in Eberswalde und Prenzlau.
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Jeder Produzent der Welt würde nach einer solchen Feststellung resigniert das Rennen aufgeben. Brauner aber macht sich sofort daran, mit dem Kopf durch die Wand - nicht zu gehen, sondern zu stürzen.
Er begibt sich zu hohen und höchsten sowjetischen Stellen in Karlshorst, er spricht mit den Behörden in Ostberlin und schließlich mit sowjetischen Offizieren in der lokalen Komendatura von Prenzlau. In Karlshorst und in Ostberlin denken diejenigen, die er bestürmt, daß sie es mit einem Verrückten zu tun haben.
Um die Herstellung eines Films zu ermöglichen, sollen gleich zwei Städte ohne Licht bleiben? Und das sechs oder acht Wochen lang?
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Brauner verlangt Unmögliches - von den Russen
Nein, die Russen haben zwar viel für „Kultura" übrig, aber Unmögliches darf man doch nicht verlangen!
Das aber ist es, was Brauner tut, was er immer tun wird. Das ist es, was ihn einmal zu einem großen Produzenten machen wird, daß er immer Unmögliches verlangt. Das Mögliche können auch andere fordern. Aber daß Prenzlau und Eberswalde wochenlang, vielleicht monatelang ohne Licht sein sollen - das kann eben nur Brauner fordern.
Es ist nicht überliefert, wie das nun im einzelnen vor sich ging, aber man kann sich mit einiger Phantasie vorstellen, daß sich Brauner etwa in der gleichen Stimmung befand wie damals, als er den Bauch des SS-Mannes mit seinem Kopf rammte und so a la Gary Cooper das eigene Leben rettete.
Diesmal fährt er den Russen zwar nicht mit dem Kopf in den Bauch, aber dafür redet er ihnen ein Loch in den Bauch, um Berliner Jargon zu gebrauchen. Jedenfalls geschieht das Unwahrscheinliche, das Unglaubliche, das Unausdenkbare: in Eberswalde und Prenzlau gehen die Lichter aus für lange, lange Zeit. Und Brauner kann drehen.
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Dies ist sicher der schwierigste Film, der je gedreht wurde.
Denn die hundertfünfzig Beteiligten müssen nicht nur ihre Arbeit verrichten, sie müssen auch Bäume fällen, zersägen und heranschleppen, sie müssen Wasser holen.
Und die Schauspieler haben in der Eiseskälte so zu tun, als sei ihnen ganz behaglich zumute. Da gibt es eine Szene, in der Winnie Markus in einem Sommerkleid im Freien steht. Die Szene muß dreimal gedreht werden - ein ungeheurer Luxus in jenen Tagen - weil die Markus so zittert, daß die ersten Aufnahmen einfach nicht zu gebrauchen sind.
Man sieht nichts von ihrem Mienenspiel, man sieht nur, daß ihrem Mund Atem entströmt, der sich sofort als weißes Wölkchen zwischen sie und die Kamera legt.
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Die rund hundert Schauspieler reichen nicht aus ...
Übrigens zeigt sich bald, daß die rund hundert Schauspieler, die eingesetzt werden, nicht genügen, um den Film fertigzustellen.
Was tun? Komparsen? Wo bekommt man in der sowjetischen Zone Filmkomparsen her? Sie aus Berlin zu holen, wäre nicht ganz einfach - und außerdem ungeheuer kostspielig.
Brauner hat, wie so oft, die erlösende Idee. Er begibt sich wieder einmal auf die Komendatura. Man stellt ihm ein paar Dutzend sowjetische Soldaten zur Verfügung.
Sie spielen dann - unter anderem - deutsche Soldaten und auch SS-Männer, die das ursprüngliche Lager, aus dem die Flucht unternommen wird, bewachen. Dergestalt vermengen sich Schein und Wirklichkeit.
Die deutschen Lagerwachen - dargestellt von den Russen - müssen natürlich auf die Fliehenden schießen. Womit? Brauner rast durch Berlin. Aber es gelingt ihm nicht, Platzpatronen aufzustöbern.
Die Russen meinen, sie hätten ja genügend Munition. Und so schießen in diesem Film die Soldaten mit scharfer Munition. Sie zielen so genau an den Schauspielern vorbei, daß keinem von ihnen ein Haar gekrümmt wird. Aber Kameramann Krien wird fast erschossen.
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Ein Film entsteht unter solch entsetzlichen Bedingungen
Dies alles wird mit gutem Grund so ausführlich erzählt: Denn niemals zuvor ist irgendein Film irgendwo auf der Welt unter so entsetzlichen Bedingungen zustandegekommen.
Gewiß, es wurden schon Filme gedreht, die zeigten, wie ein unbesteigbarer Berg schließlich doch bestiegen wurde, wie Menschen mit Haien kämpften und dergleichen mehr. Aber da ging es ja darum, Gefahren zu zeigen.
Der ganze Sinn jener Filme war, dem Publikum darzutun, welches Risiko Filmleute auf sich zu nehmen gewillt waren, damit das Publikum zu seiner Gänsehaut käme. Gewiß, die ersten Nachkriegsfilme waren kein Zuckerschlecken. Aber was waren sie, verglichen mit diesem Film, in dem alles zusammen kam: Kälte und Hunger, Illegalität und scharfe Munition, Strom von Eberswalde beziehungsweise Prenzlau und russische Statisten.
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Brauner hat ansteckend gewirkt
Es ist nur möglich, diesen Film überhaupt zu Ende zu drehen, weil die Menschen, die sich im Niemandsland zusammengefunden haben, von unwahrscheinlichem Idealismus beseelt sind.
Brauner hat ansteckend gewirkt. Was ihm Herzenssache war, ist allen Pflicht geworden. Es interessiert die Kameramänner und alle die anderen gar nicht mehr, ob sie frieren oder hungern, ob sie fast erschossen oder von den sowjetischen Behörden verhaftet werden. Sie möchten mit dabei sein. Sie möchten an diesem Film beteiligt sein.
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Es wird ein erschütternder Film ......
......, es wird auch ein sehr guter Film. York (Anmerkung : Hier fehlt, wer Herr Eugen York ist - der 1. oder der 2. Kameramann ??? - später weiter unten wird geklärt, er ist der Regisseur Eugen York) beweist sehr viel Takt. Er läßt, um ein Beispiel zu nennen, die Verfolger, die Wächter im Lager, die Männer der Gestapo ganz anders photographieren als die anderen, die Verfolgten, die ewigen Flüchtlinge, die Leidenden.
Von den ersteren sieht man die alles zertretenden Stiefel, die marschierenden Beine, eine Hand, die einen Revolver umklammert oder eine Alarmpfeife zum Munde führt.
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Das Böse bleibt ohne Gesicht. Die anderen haben Gesichter.
Eugen York arbeitet mit unzähligen Großaufnahmen. Er will, daß wir genau, sehen, wie Angst, ewige Flucht, Hunger, das Sichverbergenmüssen einen Menschen verändern, seine Züge vergeistigen, ja, verschönen.
Er läßt die tausend Runzeln im Gesicht einer alten Frau sprechen, die Sorgenfalten, die wehmütigen Augen, den Mund mit dem Anflug eines bitteren Lächelns. Eugen York hat begriffen - und wir begreifen mit ihm: es ist gar nicht so wichtig, was in diesem Film vorgeht. Wichtig ist, was in den Menschen vorgeht.
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Die Russen wollen das ganze Negativ-Material sehen
Als der Film schließlich abgedreht ist, lassen die Russen Brauner wissen, daß sie das ganze Negativ-Material sehen wollen. Der ist bestürzt. Wie, wenn sie das Negativ beschlagnahmen? Noch in der Nacht bringt er das Material in Sicherheit. Aber wo ist Sicherheit ?
Und dann wird der Film kopiert, geschnitten und gemischt und kann aufgeführt werden. In der sowjetischen Zone allerdings nicht.
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Die Russen schütteln die Köpfe.
Nein, für so etwas sind sie gar nicht zu haben! Brauner glaubte zuerst, dies müsse doch wohl auf einem Irrtum beruhen.
Was können die Russen gegen einen Film sagen, der doch für alles ist, wofür sie kämpfen, und gegen alles, wogegen sie kämpfen?.
Brauner wird nie eine Antwort auf diese Frage erhalten. Aber der Film „Morituri" wird im sowjetischen Sektor Berlins und in der Ostzone niemals aufgeführt.
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Auch im Westen ist es nicht leicht, den Film unterzubringen.
In Berlin findet sich kein einziges Uraufführungstheater für ihn. Die Kinodirektoren sind überzeugt davon, daß „so etwas" kein Geschäft werden kann. So viel Idealismus wie die Schauspieler, wie Regisseur und Produzent bringen sie nicht auf.
Der Film kommt schließlich in Hamburg heraus. Nein, er wird kein Geschäft! Die Leute wollen „so etwas" wirklich nicht mehr sehen oder vielleicht noch nicht.
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Die Drohbriefe sind in der Überzahl .....
Regisseur York bekommt zwar viele Briefe begeisterter Zustimmung. Aber die Drohbriefe sind in der Überzahl. Aus den meisten geht hervor, daß die Schreiber überhaupt nicht begriffen haben, was mit dem Film bezweckt wurde.
Sie sind der Ansicht, der Film sei antideutsch. Dabei ist doch die Tatsache allein, daß der Film in Deutschland hergestellt werden konnte, ein Ruhmesblatt in der Geschichte des deutschen Films.
In manchen Kinos wird der Film schon nach der ersten Vorstellung abgesetzt - weil die betreffenden Theater renoviert werden müssen. Das empörte Publikum hat nämlich die Sitze zusammengeschlagen.
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Artur Brauner ist jetzt pleite .....
Und Artur Brauner verliert an diesem Film die letzte Mark, die er noch besitzt. Trotzdem bereut er keinen Augenblick, ihn gedreht zu haben, wird es auch später nie bereuen. Und wenn der Film auch kein Geschäft ist - er wird sich auch für ihn rentieren.
Artur Brauner war, als er das Lustspiel „Herzkönig" drehte, ein Lehrling. Jetzt hat er ausgelernt. Jetzt weiß er, wie man einen Film macht. Das ist entscheidend für seine weitere Zukunft. Und daher auch entscheidend für die Entwicklung des deutschen Films in den Nachkriegsjahren.
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