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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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ERSTER TEIL • DER VORSPRUNG DER RUSSEN

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NACH DEN BOMBEN . . .

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Die allgemeine Zerstörung hatte vor den Kinos keinen Halt gemacht.

Im Gegenteil. Da Kinos große Gebäude sind, boten sie den Bomben ein klareres Ziel als die Wohnhäuser gewöhnlichen Ausmaßes.

In Hamburg - um ein Beispiel zu nennen - haben von einhundertneunzehn (119) Kinos nur siebenundvierzig (47) den Krieg überstanden, fast nur in den Außenbezirken. In Berlin sieht es noch schlimmer aus, in anderen Großstädten fast so schlimm. Und die Kinos, die es noch gibt? Die werden natürlich beschlagnahmt. Schließlich wollen die siegreichen Truppen sich auch einmal unterhalten.

Die Generale der siegreichen Armeen finden - zu Recht übrigens - daß Filme noch die einwandfreieste Truppenunterhaltung abgeben für alle Beteiligten - und auch für die Zivilbevölkerung, die so gern „unbeteiligt" bleiben möchte und es auch sein sollte.
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Und die Filmgesellschaften?

Eigentlich gibt es ja nur noch eine. Die ist das Werk von Goebbels. Und durch Goebbels ist diese eine Gesellschaft, die UFA, "reichseigen" geworden. Sie gehört nicht mehr der Deutschen Bank, sie gehört nicht mehr dem alten Geheimrat Hugenberg - dem gehört in den nächsten Jahren überhaupt nichts, und er, einstmals einer der mächtigsten Männer Deutschlands, muß viele Jahre mit seiner Frau in einem Armenhaus leben - die UFA gehört eben dem Dritten Reich. Und damit ist sie automatisch beschlagnahmt.
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Für die Russen bedeutet Beschlagnahme Demontage.

Alles, das nicht niet- und nagelfest ist, und vieles, das es ist - wird in die Sowjetunion abtransportiert. Für die Amerikaner und Engländer bedeutet Beschlagnahme die Einsetzung von Treuhändern.

Die Engländer - und übrigens auch die Franzosen - finden in den ihnen zugeteilten Gebieten keine Produktionsstätten vor. Den Amerikanern fallen, als sie am 2. Juli einen Sektor Berlins übernehmen, die Ateliers in Tempelhof in die Hände. Schon vorher, bei der Einnahme von München, haben sie die BAVARIA in Geiselgasteig „besetzt".

Die Hallen auf dem Gelände haben den Krieg überdauert. Ja, in einer wurde sogar noch wenige Stunden bevor die Amerikaner kamen gefilmt. Der Film sollte „Wo ist Herr Belling?" heißen. Niemand wird je erfahren, wo er ist, wo er war. Die Frage wird nie beantwortet werden, denn der Film wurde niemals zu Ende gedreht.
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Was geschieht denn nun eigentlich in Geiselgasteig?

Vorläufig geschieht überhaupt nichts. Ein paar Schauspieler und Regisseure haben sich auf das Filmgelände abgesetzt, in den Garderobenräumen ihre Lager aufgeschlagen, sich dort „überrollen" lassen.

Die amerikanischen Offiziere und Mannschaften, die in Geiselgasteig stationiert sind, verspüren nicht die geringste Lust, die Filmleute hinauszuwerfen.

Im Gegenteil, sie schleppen Zigaretten und Konserven heran, damit keine Hungersnot ausbricht. Auch pflanzen sie "Weizen, Kartoffeln und Mais an - das Gelände bietet ja Raum genug. Eine Traumfabrik verwandelt sich in einen landwirtschaftlichen Betrieb ...
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Rank und schlank und 15 Jahre jünger ?

Wie sehen sie alle aus, die Herren des Films, die gestern noch so mächtig waren! Sie haben ihre dicken Bäuche verloren, sie sind schlank und schmal geworden, viele wirken mindestens zehn oder fünfzehn Jahre jünger - und zehn Jahre später, wenn sie sich, um ein paar Kilo abzunehmen, in Sanatorien begeben oder zur Kur nach Kissingen oder Mergentheim, werden sie mit einer gewissen Wehmut an jene Zeiten zurückdenken.
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Ach, wo sind die Zeiten hin ......

......, da Stars in eleganten Autos fuhren, da jeder, der mit dem Film zu tun hatte, gewissermaßen zu einer besonderen Schicht gehörte, abgesondert von den normalen Sterblichen, auf sie herunterblickend wie vom Olymp!

Immerhin, in einem gewissen Sinne nehmen sie auch jetzt noch, zumindest in Geiselgasteig, eine Sonderstellung ein. Die Amerikaner betrachten sie nicht als Feinde. Sie unterhalten sich gern mit ihnen: Filmleute sind ja so interessant!

Es kommt in jener Zeit, da Fraternisierung (Verbrüderung) durch strikten Befehl verboten ist, zu einer Art von zwangslosem Beisammensein in Geiselgasteig. Es geht ein bißchen bohemehaft zu, und die Deutschen wissen nie genau, ob sie vielleicht nicht doch noch verhaftet oder zumindest hinausgeworfen werden.

Aber nichts dergleichen geschieht.

Man ißt und trinkt zusammen, man raucht zusammen, und die deutschen Filmleute - Regisseure und Schauspieler, Maskenbildner und Bühnenarbeiter - gewinnen den Eindruck, als ob schon demnächst wieder gedreht werden würde. Es scheint nur eine Frage der Zeit, bis es so weit sein wird.

Vielleicht nicht in der nächsten oder übernächsten Woche, aber doch sicher während des Sommers ... Der Optimismus der Filmleute in München wird dann doch Lügen gestraft, und die BAVARIA Filmkunst G.m.b.H. offiziell „geschlossen" ......

Auf Anordnung der 6870. District Information Service Control Section.

In dieser Anordnung heißt es: „Die ehemaligen Geschäftsführer der Gesellschaft werden, sofern sie nicht bereits ausgeschieden sind, von der Militärregierung ausgeschlossen. Alle bestehenden Arbeitsverhältnisse sind mit sofortiger Wirksamkeit aufgelöst ..."

Der Befehl wird am 13. Juli erlassen. Praktisch ist er schon seit Mitte Mai durchgeführt.

URI, URI . . .

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In Hamburg sind die Engländer eingezogen ......

Und wie sieht es anderswo aus? In Hamburg sind die Engländer eingezogen, haben das UFA-Haus beschlagnahmt, in dem sich nun die Filmoffiziere niederlassen. Sie erhalten bald interessanten Besuch.

Kein geringerer als Veit Harlan erscheint. Er erzählt den Engländern, er sei gekommen, um sie zu beraten. Sie beraten? Darüber, wie seine alten Filme gelagert werden sollen. Es ist nämlich sehr wichtig, führt er aus, wie alte Filme gelagert werden. Wenn da Fehler gemacht werden, nehmen sie Schaden, und seine Filme stellen ja schließlich einen be-trächlichen Wert dar.

Er sagt nicht, daß sich unter diesen Filmen „ Jud Süß" befindet. Nein, so weit geht sein glühender Wunsch, die Engländer zu beraten, nicht.
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In Berlin gehts bereits am 20. Mai 1945 weiter

In Berlin wird bereits am 20. Mai das Kino „Marmorhaus" (eines der wenigen berliner Kinos, die "überlebt hatten") mit einer Bühnenschau „Heitere Klänge aus Film und Operette" eröffnet. Also Kabarett.

Das erste Kabarett in Berlin. Täglich eine Vorstellung, die um fünf Uhr nachmittags beginnt. Natürlich ist sie gut besucht. Gut besucht? Sie ist überfüllt. Die Menschen sind glücklich, ein paar Stunden vergessen zu dürfen.
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Die russischen Militärs hatten eine geniale Idee

Jeden Abend, wenn das Marmorhaus sich leert, arretieren sie einen Teil des Publikums. Männer und Frauen werden auf Wagen verladen, irgendwohin gefahren, um zu enttrümmern.

Der Direktor des Marmorhauses, Karl Jacob, fährt nach Karlshorst, protestiert. Die sowjetischen Kulturoffiziere tun entsetzt, sind es vielleicht auch, stellen jedenfalls Posten, damit so etwas nicht wieder vorkommt.

So etwas kommt nicht wieder vor. Nur wenige Künstler treten im Marmorhaus auf. Aber viele, darunter Träger berühmter Namen, bitten Jacob, ihnen eine Bescheinigung auszustellen, daß sie bei ihm auftreten. Auf diese Weise könnten sie wenigstens die Lebensmittelkarte I bekommen, müßten also nicht verhungern.
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Warum nur Kabarett?

Grund: es gibt keinen Strom, der ja zur Vorführung eines Films - wenn es einen gäbe! - absolut notwendig ist. Karl Jacob organisiert schließlich ein Lichtaggregat durch den Bürgermeister von Charlottenburg. Ein Polizeirevier-Vorsteher der Nachbarschaft liefert Schwarzbenzin. So könnten also wieder Filme vorgeführt werden. Wenn es welche gäbe ...
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Und wieder eine tolle russische Idee ...

Der damalige Kommandant von Berlin, der künstlerisch interessierte sowjetische General Bersarin, hat die Idee, eine Sondervorstellung zu geben. Es sind nur Russen geladen und ein paar Intellektuelle.

Die werden sorgfältig ausgesucht, die Liste muß verschiedenen Instanzen vorgelegt werden. Es gibt nur sowjetische Wochenschauen der letzten Monate zu sehen, unter anderem auch Bilder von der Konferenz der Großen Drei in Yalta.

Großaufnahme Churchills, der eine Zigarre raucht. Deutlich sieht man, über den prallen Bauch ausgebreitet, die goldene Uhrkette. Halbnah: Man sieht Stalin auf Churchill zueilen.

Da ertönt eine Stimme aus dem Publikum: „Uri, Uri!"

  • Anmerkung : Das war nämlich der Ausruf der einströmenden russischen Soldaten, wenn die Besiegten - die Berliner - etwas schnell hergeben sollten oder mußten oder - wenn nicht - eben mal so nebenbei erschossen wurden.


Nein, die Berliner haben noch nicht vergessen, was sich vor zwei und drei Wochen in ihrer Stadt abspielte, daß die russischen Soldaten in jedes Haus, in jede Wohnung kamen, um den Bewohnern zuerst einmal die Uhren abzunehmen. Und nun befürchten sie offenbar, daß Churchill in Gefahr schwebt, seine Uhr einzubüßen. Gelächter im Parkett und Rang.
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Die Russen verstehen natürlich keinen Spaß - es wird todernst

Nur die Russen lachen nicht. Einer stürzt zum Vorführer. Es wird hell. Der Vorhang schließt sich. Die Eingeladenen sehen sich um. Die Türen sind versperrt. Vor jeder Tür Posten. Die sowjetischen Offiziere machen finstere Gesichter.

Keiner von ihnen ahnt, daß sie alle in knapp elf Jahren (das wäre 19569) viel schlimmere Dinge über den großen Stalin äußern werden als den Verdacht, er könne dem Churchill seine Uhr stehlen. Nein, so weit ist es noch nicht. Aber was wollen die Offiziere eigentlich? Verstehen sie denn keinen Spaß? Haben sie keinen Humor?
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Nein, die Herren haben keinen Humor.

Was also werden sie tun? Werden sie das ganze Theater verhaften? Nein, sie wollen nur wissen, wer gerufen hat. Niemand meldet sich. Hunderte werden verhört, ohne jedes Ergebnis. Schließlich werden die Türen geöffnet. Die Zuschauer dürfen sich entfernen.

Der Film von Yalta wird nie wieder aufgeführt.
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Die „Kurbel" in der Giesebrechtstraße öffnet

Das zweite Berliner Kino, das seine Pforten öffnet: die „Kurbel" in der Giesebrechtstraße. Ein Zufall, daß das Theater noch steht, denn in den letzten Wochen des Krieges hat es als Lager für - Panzerfäuste - gedient.

Der Direktor, Walter Jonigkeit, hat jeden Tag, jede Stunde damit gerechnet, daß dieses Lager entdeckt würde. Dann hätte es eine Explosion gegeben, das Theater wäre ein Trümmerhaufen gewesen - und er selbst nicht mehr am Leben.

Also? Also fort jetzt mit dem Zeug? Ein Feuerwerker wurde gefunden, der die Panzerfäuste in ihre Bestandteile zerlegte. Die Feuersteine wurden auf dem Schwarzen Markt verkauft - für ein kleines Vermögen übrigens.
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Die „Kurbel" konnte eröffnet werden.

Aber womit? Jonigkeit bringt in Erfahrung, daß es irgendwo in Pankow einen sowjetischen Offizier gibt, der russische Filme verleiht. Es stellt sich heraus, daß er in einem Zigarrenladen in der Prenzlauer Allee sitzt und kein Offizier, sondern Unteroffizier ist und daß Jonigkeit den russischen Film „Um sechs Uhr abends nach dem Krieg" ohne Anzahlung, ohne Quittung, ohne alles erhalten kann.

Natürlich muß auch Jonigkeit sich seinen Strom schwarz besorgen. Das ist gar nicht so einfach, denn was hat der Direktor eines Kinos schon als „Kompensation" anzubieten?

Feuersteine ...

Am 27. Mai Eröffnung der „Kurbel". Der erste Film nach dem Krieg. Die Menschen stehen Schlange. Nachher sind sie etwas verdutzt. Keiner hat ein Wort verstanden. Denn in diesem sowjetischen Film sprechen die Schauspieler begreiflicherweise Russisch. Und wer versteht schon Russisch?
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EIN STAR WIRD VERHAFTET

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Gustaf Gründgens wird verhaftet

In den letzten Tagen des Mai wird noch Gustaf Gründgens verhaftet. Warum? Es gibt zwei Versionen. Gründgens selbst glaubt daran, daß er denunziert worden sei.

Denunziert von einem Schauspieler seines eigenen Ensembles, der übrigens auch im Film eine gewisse Rolle gespielt hat. Eine andere, zumindest amüsante Erklärung: in dem Paß von Gründgens steht unter der Rubrik Beruf: General-Int., Abkürzung für General-Intendant.

Einige Russen, die einmal davon gehört haben, daß Spionage oder Spionagedienst auf Englisch Intelligence heißt, vermuten, daß Gründgens ein General der Intelligence, also so etwas wie ein Admiral Canaris sei. Es dauert immerhin fast ein dreiviertel Jahr, bis sich dieser Irrtum aufklärt.
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Die Filmbühne Wien, bisher UFA-Theater am Kurfürstendamm

Inzwischen hat auch die Filmbühne Wien, bisher UFA-Theater am Kurfürstendamm, ihre Pforten wieder geöffnet. Die Berliner bekommen den sowjetischen Dokumentarfilm „Schlacht um Berlin" zu sehen und darin den verkohlten, aber leicht identifizierbaren Leichnam von Goebbels.

Marlene Dietrich erscheint in Berlin, um ihre Mutter zu besuchen und im großen Titania-Palast in Steglitz in der Schloßstrasse vor amerikanischen Truppen zu singen. Und das Deutsche Theater eröffnet.

Es spielt - wie in der nächsten Zeit fast alle Theater in Deutschland - Lessings „Nathan der Weise", weil das Stück mehr als zwölf Jahre verboten war und weil die deutschen Schauspieler zeigen wollen, daß sie nichts, aber auch gar nichts mit den Herren des Dritten Reiches zu tun hatten, auch wenn sie sich von ihnen einladen ließen, auch wenn sie durch sie Geld, Ruhm und Stellungen erhielten.

Wie hätte wohl Heinrich George den Nathan gespielt? Großartig vermutlich . . .
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Der Schauspieler Victor de Kowa

Einer, der nun wirklich nichts mit den Herren des Dritten Reiches zu tun hatte, ist der Schauspieler Victor de Kowa, der noch vor dem Deutschen Theater die „Tribüne" eröffnete - und damit das erste Nachkriegstheater in ganz Deutschland.

Die „Tribüne" ist ein kleines Theater im Westen Berlins, das bisher vor allem Konversationsstücke pflegte. De Kowa und einige Kollegen, darunter die blutjunge Hildegard Knef - von ihr wird noch viel erzählt werden - haben mit eigenen Händen die Tribüne „aufgeräumt", denn die war bei Kriegsende in einem ziemlich entsetzlichen Zustand.
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Am 1. Juni 1945 und die „Tribüne"

De Kowa hat keine Zeit, ein Stück einzustudieren. Er eröffnet mit einem Bunten Abend. Am 1. Juni ist auf dem Plakat vor der Tribüne zu lesen: „Heute Abend um sechs Uhr: Keine Kapelle, keine Ausstattung, keine Wasserpantomimen, kein Ballett. Das erste Theater in Deutschland spielt wieder!"

Das Publikum ist begeistert. Vor allem von den Chansons, die Victor de Kowa persönlich vorträgt. An einem Abend - etwa drei Wochen nach dieser Eröffnung - will sich das Publikum förmlich totlachen über einen besonders originellen Regieeinfall.

Plötzlich stehen da nämlich zwei Sowjetsoldaten mit Maschinenpistolen auf der Bühne, rechts und links von Victor de Kowa, brüllen ihn an und schleppen ihn von der Bühne. Es wirkt alles ganz echt, besonders die als Russen kostümierten Schauspieler.

Der Applaus überdauert die Pause, die nun folgt. Um diese Zeit ist Victor de Kowa in Kostüm und Schminke längst auf einem Lastwagen in das Untersuchungsgefängnis der russischen Geheimpolizei, des NKWD, überführt worden.

Man nimmt ihm seine Uhr ab und seine anderen Wertsachen, schlägt ihm ein paar Zähne aus, bringt ihn in einen Keller, der so dunkel ist, daß er die anderen Gefangenen nicht zu sehen vermag. Er ahnt nicht, warum man ihn verhaftet hat.
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Warum sind sie eigentlich verhaftet worden ??

Übrigens weiß niemand von denen, die da im Keller liegen und langsam aber sicher verrecken, warum sie eigentlich verhaftet worden sind. Manche waren in der Partei, gewiß.

Aber hat nicht Stalin bereits erklärt, daß er einen Unterschied mache zwischen den Verantwortlichen und der großen Masse? Haben die Russen nicht überall rund um Berlin Plakate mit den Worten aufgestellt: „Die Hitler kommen und gehen, Das Deutsche Volk bleibt bestehen!"

Und warum das alles einem Victor de Kowa, von dem jeder weiß, daß er ein Gegner des Regimes war, der einige Male seine Freiheit, ja sein Leben aufs Spiel setzte, um die Lebenszeit des Dritten Reiches abzukürzen?

Fragen, die sinnlos sind. Denn Mauern antworten nicht.
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Aber Victor de Kowa hat Glück im Unglück.

Er wird täglich zu Ruinenfeldern geführt, um dort bei der Enttrümmerung mitzuhelfen. Ein alter Herr sieht ihn, erkennt ihn, stutzt. Dieser alte Herr ist Chefdolmetscher des Kommandanten des Untersuchungsgefängnisses. Er interveniert.

De Kowa wird vor den Kommandanten gebracht. Und was ergibt sich? Der sowjetische Kommandant ist im Privatleben selbst Filmschauspieler. Er kennt de Kowa zumindest dem Namen nach. Er zeigt ihm Bilder aus seinen letzten Filmen und schimpft auf den Krieg, der ihm die Karriere verdorben hat ...
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Eine richtig böse Denunziation .......

Er zeigt ihm auch den Brief, auf den hin de Kowa eingesperrt worden ist. Es handelt sich um ein Schreiben, in dem dargetan wird, daß de Kowa ein Freund des „Führers" gewesen sei und Besitzer des goldenen Parteiabzeichens, daß er noch im Krieg ein ihm von Hitler persönlich geschenktes Auto gefahren, daß er schließlich und endlich in einem Hetzartikel die Bevölkerung zum Durchhalten bis zum letzten Blutstropfen aufgefordert habe.

Dieser Artikel ist übrigens tatsächlich erschienen, nur daß er nicht von Victor de Kowa, sondern von Heinrich George verfaßt wurde, der übrigens um diese Zeit bereits in einem Konzentrationslager sitzt, das er nie wieder verlassen wird.

Schlimm ist es für de Kowa jedoch, daß der Brief, in dem er denunziert wurde, von fünf Schauspielern und Schauspielerinnen verfaßt war.

Deutschen Filmschauspielern und Filmschauspielerinnen ... Einige von ihnen kennt er nicht einmal dem Namen nach ...
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DIE KINOS SPIELEN WIEDER

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Die gesamte Bevölkerung Weimars muß den Film über das Konzentrationslager Buchenwald sehen

General Eisenhower - um diese Zeit noch der Oberkommandierende der amerikanischen Streitkräfte - läßt die gesamte Bevölkerung Weimars zwangsweise in den Film über das Konzentrationslager Buchenwald führen.

Wer sieht sich schon gerne an, wie es in einem Konzentrationslager aussah? Diejenigen, die es nicht wußten, wollen es auch jetzt nicht wissen, und diejenigen, die es wußten, wollen es so schnell wie möglich vergessen.

Wenn sich die Deutschen im Kino schon nicht umerziehen lassen, so sollen sie sich dort jedenfalls nicht amüsieren, erklären einige amerikanische Filmoffiziere.
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Auch die Amerikaner hatten "geniale" Ideen

Aber wie kann man Menschen daran hindern, sich im Kino zu unterhalten? Die amerikanischen Filmoffiziere entdecken das Ei des Columbus. Man wird den Deutschen Kulturfilme vorführen - Kulturfilme und sonst gar nichts. Und auf diese Weise werden sie „sühnen".

Auch dieser Versuch scheitert, denn die Deutschen gehen nun einmal nicht in Kinos, wenn es nur Kulturfilme gibt. Freilich, sobald richtige Spielfilme laufen, setzt ein veritabler Sturm auf die Kinos ein.

Vor den Häusern in Sachsen und Thüringen, die die Schilder SOJUSINTORG-Kino tragen, stehen die Menschen stundenlang Schlange.
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Für Geld konnte man nichts kaufen, außer Kinokarten

In Hamburg gibt es bereits wieder über zehn Filmtheater, in Westberlin sechsundzwanzig, in München neun. Sie sind ständig ausverkauft. Im Westen Deutschlands stürzt man sich auf ausländische Filme, denn die hat man ja in den letzten Jahren gar nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Und dann: was sollte man denn sonst tun? In der zerbombten Wohnung sitzen? Die wenigen Restaurants und Caf6s besuchen, in denen man nichts zu essen und nichts zu trinken bekommt?

Was soll man denn mit seinem Geld anfangen, da man keine Lebensmittel, keine Kleidungsstücke kaufen kann, da es überhaupt nichts zu kaufen gibt?
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Also ins Kino! Das gilt schon für den Sommer 1945.

Das gilt noch mehr für den Herbst und den Winter. Denn im Kino friert man nicht so sehr wie zu Hause. Die Kinos sind auf Tage hinaus ausverkauft. Die Kassiererinnen werden bestochen. Man bringt ihnen eine oder zwei Zigaretten mit, ein bißchen Schokolade, ein paar Kaffeebohnen, was man eben gerade noch hat.

Die Schwarzhändler machen ungeheure Geschäfte - es werden „hintenherum" bis zu hundert Reichsmark für eine Kinokarte gezahlt, die zwei oder allenfalls drei Reichsmark an der Kasse kosten würde. Freilich, die Schwarzhändler müssen halbpart mit den Kassiererinnen machen, und die wiederum mit ihren Direktoren. Denn jeder will verdienen.

Am Anfang laufen in den Kinos einige Kabarettnummern und ein Film. Das Programm ist also gemischt, und zwar in des Wortes schlimmster Bedeutung. Denn die Kabarettnummern werden zwischen den Akten des Hauptfilms abgewickelt. Zwanzig Minuten Film, dann eine Kabarettnummer, dann wieder zwanzig Minuten Film, und so fort. Der Grund: der Strom ist nicht stark genug, einen ganzen Film durchlaufen zu lassen.
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Das Marmorhaus, das repräsentativste Kino am Kurfürstendamm und Frau von Schenk

Im Marmorhaus, dem repräsentativsten Kino am Kurfürstendamm, laufen russische Filme. Als erster bereits Mitte Juni eine musikalische Komödie: „Sie trafen sich in Moskau". Wie der erste Film in der „Kurbel", bliebe auch dieser russische Film dem Publikum unverständlich, wenn nicht - ein Erklärer auftreten würde. Im Marmorhaus ist es sogar eine Erklärerin, eine Dolmetscherin, Frau von Schenk.

Nach wenigen Minuten wird der Film immer angehalten, Frau von Schenk erzählt den interessierten Berlinern, was nun eigentlich vorgefallen ist. Dann kommt wieder Film, dann wieder Erklärung. Man ist also ungefähr so weit wie 1910 ...
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Was wird in den Kinos gespielt?

Vor allen Dingen werden sogenannte „Überläufer" gespielt. Überläufer heißen im Filmjargon diejenigen Filme, die noch vor Kriegsende fertiggestellt, aber nicht mehr gespielt wurden.

Es gibt auch sogenannte nominelle Überläufer, nämlich Filme, die bereits gezeigt wurden, aber mehr oder weniger unter Ausschluß der Öffentlichkeit, entweder weil sie Goebbels nicht gefielen oder ihm politisch nicht paßten.

In einzelnen Fällen war weniger Goebbels als die Weltgeschichte daran schuld, daß die Filme nicht gezeigt werden konnten. Sie lief Goebbels davon. Er ließ etwa einen antibolschewistischen Film drehen, und als er fertig war, unterschrieb Hitler gerade seinen Pakt mit Stalin.

Der Film wurde also umgedichtet und war nun pro-bolschewistisch. Und als er herauskommen sollte, überfiel Hitler gerade Stalin.
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Sie dürfen für keine der vier Besatzungsmädite untragbar sein

Oder da gab es zahllose Filme, die in Frankreich, England, Amerika, Italien, Südamerika et cetera spielten. Niemand konnte vorher ahnen, wie befreundet oder verfeindet Hitler demnächst mit dem Lande sein würde, in dem der Film spielte, und ob die Angehörigen dieses Landes zu gut oder zu schlecht weggekommen waren ...

Es gibt zahllose Überläufer in den ersten Monaten nach dem Krieg, was beweist, mit welchem Eifer die deutsche Filmindustrie bis zuletzt arbeitete, daß bis zuletzt gedreht wurde, auch als die sowjetischen Kanonen schon zu hören waren, auch als amerikanische Fallschirmjäger sich schon zum Absprung in der Nachbarschaft bereit machten.

Natürlich dürfen nicht alle Überläufer gezeigt werden. Es gibt tragbare und untragbare Filme, besser: es gibt untragbare und einige wenige Filme, die tragbar sind. Denn tragbar sind nur noch die Filme, die für keine der vier Besatzungsmädite untragbar sind.
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