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"Das gibt's nur einmal" - die Film-Fortsetzung 1945 bis 1958

Der Schriftsteller Curt Riess (1902-1993 †) hatte 1956 und 1958 zwei Bücher über den Deutschen Film geschrieben. Als Emigrant in den USA und dann Auslands-Korrspondent und später als Presseoffizier im besetzten Nachkriegs-Berlin kam er mit den intessantentesten Menschen zusammen, also nicht nur mit Filmleuten, auch mit Politikern. Die Biografien und Ereignisse hat er - seit 1952 in der Schweiz lebend - in mehreren Büchern - wie hier auch - in einer umschreibenden - nicht immer historisch korrekten - "Roman-Form" erzählt. Auch in diesen beiden Filmbüchern gibt es jede Menge Hintergrund- Informationen über das Entstehen der Filme, über die Regisseure und die kleinen und die großen Schauspieler, das jeweilige politische Umfeld und die politische Einflußnahme. Die einführende Seite dieses 2. Buches finden Sie hier.

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GARY COOPER "RETTET" BRAUNER

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Artur Brauner

Der junge hübsche, gescheite Arthur Brauner, der den Film „Sag' die Wahrheit" mit Georg Thomalla und Sonja Ziemann finanzieren half und viel Geld damit verdiente, plant jetzt - einen Dokumentarfilm.

  • Anmerkung : Da hatte Curt Riess etwas daneben gegriffen und stark übertrieben. Denn der "Athur" wurde erstens ohne "H" geschrieben und hübsch war er auch nicht mit seiner Glatze und dann war er mit 30 Jahren (geb. 1918) auch nicht mehr so jung wie oben herausgestellt. Jedoch eines stimmt, gescheit war er und sympatisch.


Er hat staunend mitangesehen, was man mit dem Film alles erreichen kann. Mit ihm kann man dem hungernden, frierenden Deutschland eine Welt vorzaubern, in der von Hunger und Kälte keine Rede ist. Mit ihm kann man Menschen, die das Lachen verlernt haben, eine Stunde lachen machen. Sollte man mit einem Film die Menschen nicht auch zum Nachdenken bringen können?

Dieser Brauner hat mehr erlebt, als man ihm ansieht. Er hat die Jahre des Krieges in dem besetzten Polen wie durch ein Wunder überstanden. Durch ein Wunder? Nein, durch seine ungeheure Tatkraft; vor allem, weil er keine Angst hatte.

„Ich kenne das Gefühl der Angst überhaupt nicht, es ist mir so fremd, na, sagen wir, wie ein chinesisches Gemälde..." wird er später einmal erklären.

Das Leben des jungen Brauner

Das Leben des jungen Brauner - er ist noch nicht einmal zwanzig Jahre alt, als Hitler Polen überrennt - liest sich wie ein Roman von Karl May, nur daß Brauners Geschichte noch viel unwahrscheinlicher anmutet.

Mit ein paar anderen Männern und Frauen, die nicht mehr legal leben können, haust er in Wäldern, gelegentlich auch in Dörfern, die abseits vom Wege liegen, immer bereit zur Flucht, niemals wissend, ob er am nächsten Tag noch leben wird.

Denn die Gestapo ist überall, die SS kennt keine Gnade. Und wenn man den Russen in die Hände fällt, ist es noch schlimmer.
Dreimal sieht er dem Tod ins Auge. Dreimal kann er sich retten - weil er keine Angst hat oder weil er sich sagt: „Lieber sterben als so weiterleben! Das hat ja doch keinen Sinn mehr!"
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Einmal rettet ihn Gary Cooper.

Der weiß zwar nichts davon, aber es ist trotzdem so. Folgendes spielt sich ab: Der junge Brauner will mit vier Mädchen und zehn oder zwölf Männern den Dnjestr durchschwimmen und dann über die Grenze nach Rumänien. Plötzlich Haltrufe. SS hat die kleine Gruppe der Illegalen umstellt. Es ist Oktober. Es ist schon sehr kalt. Trotzdem - alle müssen sich ausziehen, auch die Mädchen.

Als sie sich zieren, lachen die SS-Männer. Ein Entkommen scheint unmöglich zu sein. Zwischen dem Fluß und den Flüchtlingen steht das Auto der SS. Die SS-Männer fragen: „Wohin wollt Ihr?"
„Nach Rumänien!" „Warum?" „Zu Verwandten!"

Die Kleider werden darauf durchsucht, ob die Flüchtlinge Geld oder andere Wertgegenstände mitgenommen haben. Brauner hat in seinem rechten Schuh zwischen der Innen- und der Außensohle Geld verborgen.

Er ist der letzte, der an die Reihe kommt. Er muß sich ausziehen. Vor ihm ein SS-Mann, der ihm ständig die Pistole in den Bauch drückt.

Der SS-Mann: „Auch die Schuhe!" Brauners Kopf arbeitet fieberhaft. Aber er sieht keinen Ausweg. Der SS-Mann schneidet den linken Schuh auf. Er findet nichts. Er sagt aber trotzdem: „Wenn ich Geld finde, bist Du hin, Du Schwein! Das ist Dir doch klar, nicht wahr?" Das ist Brauner klar. Nun muß er dem SS-Mann auch den rechten Schuh geben. Noch zwei, drei Sekunden - und er wird das Geld gefunden haben. Und dann ...
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In diesem Augenblick tritt Gary Cooper auf.

Nicht persönlich, versteht sich; aber Brauner erinnert sich eines Films mit Gary Cooper, den er vor langer Zeit gesehen hat. Der stand waffenlos einem bewaffneten Mann gegenüber. Und tat was? Er senkte den Kopf, stieß mit seinem Kopf in den Bauch des Feindes.

So Gary Cooper. Und Brauner? Er hat nichts mehr zu verlieren. Aber er gibt sich nicht auf. Er versucht also den Trick Gary Coopers. Schon rammt er mit seinem Schädel den Bauch des SS-Mannes, der völlig überrascht das Gleichgewicht verliert und ins Wasser fällt. Brauner ihm nach. Es ist Oktober. Es ist eiskalt. Brauner schwimmt unter Wasser weiter. Er weiß: wenn er
jetzt nachläßt, ist er verloren. Nach zwanzig, dreißig Metern muß er auftauchen, um Luft zu holen. Schon krachen Schüsse. Aber keiner trifft ihn. Er ist wieder untergetaucht. Nach sechzig, siebzig Metern taucht er wieder auf. Wieder Schüsse. Beim nächsten Auftauchen wird nicht mehr geschossen. Die SS ist wohl der Überzeugung, daß Brauner längst abgesoffen ist.

Mehr tot als lebendig kommt er schließlich ans andere Ufer. Er ist nackt, klatschnaß. Er läuft durch den Wald. Er läuft sieben oder acht Kilometer, bis er einen Bauern findet, der ihm Rock und Hose schenkt.

Dies ist eins von den zahlreichen Abenteuern, die Brauner in der Kriegszeit erlebt hat. Eine von den zahllosen Gefahren, die er immer wieder überstehen mußte.
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Er muß oft an die anderen denken, die es nicht geschafft hatten

Andere sind nicht durchgekommen. Er muß oft an sie denken, an die Männer und Frauen, mit denen er in den Wäldern hauste, in Höhlen, in selbstgefertigten Baracken, getarnt durch Zweige und Blätter. Oft marschierten Truppen nur wenige Schritte entfernt vorbei - deutsche oder russische Soldaten waren gleichermaßen zu fürchten. Man mußte den Atem anhalten, oder man war verloren. Einmal kam es vor, daß ein deutscher Soldat ein solches Versteck, entdeckte; aber er schwieg. Er wollte nichts gesehen haben. Er hatte wohl Mitleid.

Trotzdem: Nur wenige Illegale kamen durch. Die meisten gingen drauf, da sie verraten oder sonstwie entdeckt wurden, oder weil sie verhungerten oder erfroren ...
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Der Gedanke des Films „Morituri" reift

Brauner muß immer wieder an sie denken. Und ein Plan reift in ihm: Er wird einen Film drehen und das Schicksal dieser seiner Kameraden von einst aufzeigen.

Er weiß auch schon den Namen dieses Films: „Morituri". Zu deutsch: Die zum Sterben Verurteilten. Um diesen Film auf die Beine zu stellen, muß Brauner eine Filmgesellschaft gründen, die Central Cinema Company, und dazu braucht er eine Lizenz.

Er geht zu den Amerikanern. Die sagen nein. Er geht zu den Engländern, die sagen weder ja noch nein. Es vergehen Monate. Kein Bescheid kommt.

Dann geht er zu den Russen. Die sagen ja und nein. Auf der einen Seite sei es ja sicher sehr lobenswert, einen solchen Film zu machen, auf der anderen Seite aber auch sehr gefährlich.
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Brauner geht zu den Franzosen.

Die verlangen das Drehbuch und schicken es nach Paris. Brauner ist grenzenlos enttäuscht. Haben nicht die Sieger immer wieder erklärt, daß dieser Krieg ein Krieg der Ideen war?

Müßten sie nicht darüber in Begeisterung geraten, daß einer einen Film über die Opfer dieses Krieges macht, über die Wehrlosesten aller Opfer, über diejenigen, denen niemand seine Sympathie versagen kann?

Warum die Ablehnung? Wie kommt es, daß ein Mann wie Erich Pommer sich gegen dieses Filmprojekt stellt? Wie kommt es, daß die Engländer sich nicht entscheiden können? Daß selbst die Franzosen zögern - obwohl sie ihm schließlich die Lizenz geben?

Brauner ist enttäuscht und ernüchtert. - Also : kein Risiko

Er weiß: Wenn er wartet, wird er verhungern. Also beschließt er, die Zeit auszunutzen und einen Film zu drehen, der kein Risiko bedeutet, der mit größter Wahrscheinlichkeit viel Geld einspielen wird, Geld, das er braucht, um „Morituri" zu drehen - wenn man ihn diesen Film je drehen lassen wird.


Aber um den ersten Film zu drehen, braucht er Geld. Und er hat keins. Er hat nur ein paar Brillanten, die er verkauft. Dazu den Nerzmantel seiner Schwiegermutter . . .

Der Film, den er zu produzieren gedenkt, heißt: „Herzkönig". Das Drehbuch - nach dem gleichnamigen Bühnenstück - stammt von Helmut Weiß, der schon „Sag' die Wahrheit!" schrieb. Er inszeniert auch diesen zweiten Film. Es spielen Sonja Ziemann, Georg Thomalla, die schöne Lisa Lesco.

Also dann Operettenklamauk ... oder gelinde gesagt "Unfug"

Dieser Film ist, gelinde gesagt, Operettenklamauk. Man kann es auch Unfug nennen. Dieser Unfug wird im Dezember 1946 und im Januar 1947 gedreht - unter den damals üblichen Schwierigkeiten, mit Schauspielern, die unterernährt sind, und mit Kameramännern, die keine Rollfilme haben.

Einmal, als zweihundert Komparsen nach Tempelhof gekommen sind, um eine der wichtigsten Szenen zu drehen, stellt sich heraus, daß überhaupt kein Film da ist. Niemand wagt, Arthur Brauner das zu gestehen. Alle Zornausbrüche König Michaels XXXVII. wären läppisch, verglichen mit dem, was Brauner anstellen dürfte.

Infolgedessen wird die ganze Nacht mit einer leeren Kamera gedreht. Es ist eine Konspiration aller gegen den Produzenten: weil doch alle am Leben bleiben wollen. Nachher reiben sie sich die Hände. Der Schwindel ist gelungen. Nein, der Schwindel ist natürlich nicht gelungen.

Brauner, dessen größte Fähigkeit es ist, blitzschnell zu lernen, hat sofort begriffen, was gespielt wurde. Aber er hat den Mund gehalten, um den anderen die gute Laune nicht zu verderben. Denn da er eben schnell lernt, hat er auch gelernt, daß gute Laune nur von Schauspielern, Regisseuren, Kameramännern, Tonmeistern produziert werden kann, die selbst einigermaßen guter Laune sind.

Januar 1947 .... Theo Lingen und Karlheinz Böhm und so weiter

Theo Lingen erscheint seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder in Berlin, um Kabarett zu spielen. Der blutjunge Karlheinz Böhm, Sohn des berühmten Dirigenten, wird von dem Wiener Filmregisseur Karl Hartl als Regie-Assistent verpflichtet.

Ein vierzehnjähriger Junge läuft aus einem Kinderlager im Böhmerwald davon und kommt nach Deutschland. Er wird später Schauspieler werden. Sein Name: Horst Buchholz.

Billy Wilder dreht in den Berliner Straßen seinen Film „Foreign Affair" mit Marlene Dietrich.

Otto Gebühr tritt in Berlin zusammen mit Lil Dagover im „Kirschgarten" von Anton Tschechow auf. Gustaf Gründgens hat das Düsseldorfer Schauspielhaus übernommen.

Marika Rökk bekommt vom Ehrengericht der österreichischen Schauspielvereinigung die Erlaubnis, ihren Beruf wieder auszuüben, nachdem sie nach Kriegsende Berufsverbot erhalten hatte. Ida Wüst erscheint vor der Kammer der Kunstschaffenden in Berlin, begleitet von einer Roten-Kreuz-Schwester, und wird mit einem Berufsverbot bedacht, das zwei Jahre währen soll.

Der Schauspieler Eduard von Winterstein schwört als Zeuge: „Ich habe Frau Wüst um Hilfe für jüdische Schauspieler gebeten. Sie erwiderte mir: 'Nein, die sollen den Fluch ihrer Rasse tragen!'"

Übrigens wird sie rund drei Jahre später, Ende 1949, als entlastet eingestuft werden. Als Begründung wird angegeben, es sei nicht bewiesen, daß Ida Wüst denunziert habe. Im übrigen sei sie ja schon durch den langen Ausschluß aus ihrem Beruf genügend bestraft. .
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Paul Wegener und Ernst Lubitsch

Paul Wegener erleidet einen Schlaganfall, erholt sich wieder, wird noch Theater spielen und filmen.

Ernst Lubitsch beginnt nach langer Krankheit bei der Twentieth Century Fox in Hollywood den Film „Lady im Hermelin". Es wird sein letzter sein, ja, er wird ihn nicht einmal beenden. Ein gewisser Walter Koppel erhält eine Lizenz für seine REAL-Filmgesellschaft in Hamburg.
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IRREALER BEGINN DER REAL

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Wie der Film „Die Arche Nora" entstand ...

Im Jahre 1947 ist der Film „Die Arche Nora" ins Atelier gegangen - wenn man von „Atelier" sprechen darf. Denn in Wirklichkeit handelt es sich um nicht mehr als ein geräumiges Zimmer, in dem dieser Film produziert wird.

Produzent ist eine Gesellschaft, die soeben erst ihre Lizenz erhalten hat: die REAL-Film GmbH in Hamburg. Und hinter dieser REAL stehen zwei Männer, die nur durch einen Zufall noch am Leben sind, für deren Leben niemand zwei Jahre vorher auch nur einen Pfennig gegeben hätte: Walter Koppel und Gyula Trebitsch.

Trebitsch zuerst. Er wurde als Sohn eines Beamten in Budapest geboren, besuchte dort die Handelsakademie und sollte Kaufmann werden. Da kam eine entscheidende Stunde in seinem Leben. Er sah, knapp siebzehnjährig, den Film „Der Kongreß tanzt".
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„Der Kongreß tanzt"

Er war erschüttert. Er war begeistert. Er erfuhr zum ersten Mal, daß es so etwas wie eine große Welt außerhalb Ungarns gab, eine viel größere Welt, eine viel elegantere, eine, in der die Menschen überaus reich und mächtig, die Frauen elegant und schön waren.

„Das gibt's nur einmal!" hörte er und sang die Melodie mit. Der tanzende Kongreß - eine Begebenheit aus dem Märchenland ...

Dem jungen Trebitsch kam der Verdacht, daß der Film künstlerische und technische Möglichkeiten hatte, von denen die einheimische Produktion so gut wie nichts wußte.

Er trat bei der UFA-Niederlassung in Budapest als Volontär ein. Langsam arbeitete er sich durch alle Abteilungen der UFA, wurde schließlich Aufnahmeleiter, machte sich, vierundzwanzigjährig, selbständig. Seine Firma war der OBJEGTIV-Film, der für die UFA ungarische Spielfilme produzieren sollte.
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„Ich vertraue Dir meine Frau an!"

Sein erster Film: „Ich vertraue Dir meine Frau an!" hatte ein so gutes Drehbuch - die Ungarn waren ja die geborenen Lustspielschreiber, sie verfaßten ihre besten Stücke in den Cafes, während sie ihren Mokka tranken - daß die UFA den Film in Deutschland noch einmal drehen ließ - mit Heinz Rühmann. Dies geschah 1941.

1941 - Ungarn wird mit Deutschland nahezu gleichgeschaltet

1941. Um diese Zeit weiß man auch in Budapest, daß es einen Mann namens Hitler gibt, das Land wird sozusagen gleichgeschaltet, wenn das auch nur allmählich geht, denn fünfundzwanzig Prozent der Einwohnerschaft Budapests sind Juden.

Immerhin verliert Trebitsch seine Firma, kommt in ein Zwangsarbeitslager, wird dann von einem Lager ins andere geschleust. Er lernt nach und nach alle Lager kennen, die ungarischen, die österreichischen und die deutschen, Oranienburg und Sachsenhausen. Letzte Station: Lager Wöbbelin bei Ludwigslust in Mecklenburg.
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2. Mai 1945.

Amerikanische Soldaten stürmen das Lager Wöbbelin. Die Häftlinge suchen ihre Peiniger. Die sind natürlich längst verschwunden. Die Häftlinge dringen in die Büros ein, reißen alle Schränke und Fächer auf, auch die Geldschränke. Viele Millionen Mark liegen vor ihnen. Die Häftlinge werfen das Geld auf die Straße.

Ein Bild, das Trebitsch nie vergessen wird: „Wir alle waren so sehr der Realitäten des Lebens entwöhnt, daß keiner von uns auch nur einen Geldschein an sich nahm. Wir wateten buchstäblich durch Geld zum Tor hinaus ...

Niemand bückte sich. Niemand kam auf die Idee, daß dieses Geld noch irgendeinen Sinn haben könne ..."
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Nächste Station - Krankenhaus

Langsam wird Trebitsch wieder gesund. Spät im September 1945 kommt er nach Itzehoe. Sein erster Blick fällt auf ein Kino. Warum sollte er es nicht leiten?

Das hat er ja schließlich gelernt. Die Engländer legen ihm Fragebogen vor. Er muß sie ausfüllen. Mehr Fragebogen: noch mehr Fragebogen. Dazwischen mündliche Prüfungen. Schließlich wird er als Leiter des Kinos in Itzehoe angestellt. Manchmal fährt Trebitsch nach Hamburg, wo sogenannte „Kulturtagungen" stattfinden.

Dort lernt er Helmut Käutner kennen. Und auch einen anderen Mann, der noch nicht ganz vierzig ist und der viel vom Film weiß: einen gewissen Walter Koppel, mit dem er sich bald befreundet.
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Dieser gewisse Walter Koppel ... stammt aus Köln.

Er sollte ursprünglich Kaufmann werden. Er wurde auch Kaufmann, ein erfolgreicher Kaufmann sogar, der Geschäftsführer eines großen Kaufhauses, mit fünfundzwanzig Prokurist und Reklamechef eines Warenhauskonzerns. Dabei hätte es sein Bewenden gehabt, wenn nicht ...

Erstens: Koppel ist nicht glücklich als Prokurist eines Warenhauskonzerns. Ihn interessiert nicht, Ware zu verkaufen, ihn interessiert vielmehr das Publikum, das kauft.

Warum kaufen die Leute dies oder jenes? Warum weigern sie sich, andere Waren zu erwerben? Am liebsten würde er sich ganz dem Studium der Analyse des Publikumsgeschmacks hingeben.

Zweitens: Hitler.
Koppel emigriert nach Österreich und zieht einen Filmverleih auf. Hier kann er sein Wissen vom Publikumsgeschmack anwenden. Freilich, 1938, nach dem „Anschluß", muß er aus Österreich fort. Er geht nach Prag. Dann nach Brüssel. Dann nach Paris. Und landet schließlich - wie Trebitsch - in einem Lager.
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Walter Koppel wird Treuhänder für die UFA in Hamburg

Nach Kriegsende wird er Treuhänder für die UFA in Hamburg. Er leitet also mehrere Theater. Koppel und Trebitsch werden nun Freunde. Koppel und Trebitsch führen lange Gespräche bis spät in die Nacht hinein. Warum nur Filme spielen? Warum nicht auch Filme produzieren?

Man müßte eine Gesellschaft gründen, man müßte eine Lizenz erwerben. Beide sind davon überzeugt: nie war eine Zeit günstiger als die jetzige, um anständige Filme zu machen. Anständige Filme sind Filme, die Menschen aufrichten. Und nie war das Bedürfnis nach solchen anständigen Filmen größer. Denn die Menschen müssen wieder aufgerichtet werden. Der Film kann, muß in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle spielen.

Als Treuhänder der UFA geben die Banken Kredit

Es dauert natürlich eine Weile, bis die Lizenz erteilt, bis die Firma gegründet werden kann. Geld aufzutreiben ist nicht einmal allzu schwierig. Denn Koppel hat als Treuhänder der UFA einen guten Ruf in Hamburg. Die Banken sind bereit, ihm die nötigen Mittel vorzustrecken. Aber das bedeutet nicht, daß die neue Firma nun auf großem Fuße lebt. Im Gegenteil; Koppel hat zwei winzige Büros in der Postsraße in Hamburg gemietet, in denen gerade ein Schreibtisch und zwei oder drei Stühle Platz finden. Das ist also die REAL-Film GmbH. Frau Koppel arbeitet als Sekretärin. Sonst gibt es keine Angestellten. Es würden auch keine Angesteliten hier aushalten, denn es ist entsetzlich kalt.

Ein wenig später gelingt es Koppel, ein kleines Büro im Shellhaus zu mieten, das zu dieser Zeit noch unter britischer Verwaltung steht. Das hat den Vorteil, daß nun alle, die etwas mit der REAL zu tun haben, im Büro erscheinen, um sich dort aufzuwärmen.
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Damals nahm man die Glühbirne mit Nachhause ....

Dritte Station: ein Büro in dem sogenannten Curio-Haus, wo früher viele Hanseaten ihre Versammlungen abhielten. Immerhin, man ist noch keineswegs auf Rosen gebettet. Abends, wenn Koppel und Trebitsch das Büro verlassen, schrauben sie immer die Glühbirne, die einzige, die sie besitzen, aus und nehmen sie mit nach Hause.

„Die Arche Nora"

Es vergeht das ganze Jahr 1946, bis die Vorarbeiten beendet sind, und im Januar 1947 wird dann, wie gesagt, der Film: „Die Arche Nora" gedreht. Ein kleines hübsches Drehbuch. Zwei junge Männer kommen aus dem Krieg zurück, finden nirgends eine Bleibe, bis sie schließlich einen alten Kahn entdecken, dessen Besitzer, der Onkel des einen der beiden Jünglinge, sie bereitwillig aufnimmt. Das ist eigentlich alles ... Ein bißchen Liebe, ein bißchen Optimismus - sonst nichts.

Und wo wird der Film gedreht? Da gibt es in Hamburg ein sogenanntes Synchronstudio. Das ist aber eigentlich gar kein Studio. Das ist ein Saal in einer alten Gastwirtschaft in Ohlstedt - und das Wort Saal ist auch schon eine Übertreibung. Die Engländer haben ihn ein bißchen hergerichtet, um dort ihre Filme zu synchronisieren.

Zuerst sieht es weiß Gott nicht so aus, als ob man in diesem winzigen Raum einen Film drehen könnte. Dies erklärt der Regisseur Frank Wysbar auch rundheraus den Inhabern der REAL-Film GmbH.
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Trebitsch ist ganz zerknirscht - aber nicht lange.

Sein Hobby ist Technik. Es mußte doch mit technischen Mitteln möglich sein, große Räume auch in einem kleinen Raum vorzutäuschen. Man kann doch allein mit perspektivisch gebauten Dekorationen - die also immer kleiner werden - in dieser Beziehung eine Menge erreichen.

Der Architekt Herbert Kirchhoff ist bereit, es zu probieren. Aber es geht ja nicht nur darum. Wie soll man - was viel wichtiger ist - die Umbauten vollziehen? Der Raum, der zur Verfügung steht, wird ja völlig von Dekorationen ausgefüllt. Von wo aus soll man ihn photographieren?

Trebitsch kommt auf eine grandiose Idee. Er läßt die Dekorationen so bauen, wie Kinder Häuser aus Baukästen aufstellen. Jede Wand kann herausgenommen werden, jede Dekoration ist in viele Teile zerlegbar - so daß die Kamera einmal hier, einmal dort placiert werden kann.
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"Dekorationen" im Jahr 1947

Wir sprechen von Dekorationen, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt, welche zu haben. Aber jetzt, im Jahre 1947, ist alles entsetzlich schwierig. Da ist zum Beispiel das Schiff, das ja die Hauptrolle spielt. Es wird auf einem Trümmergrundstück aufgebaut. Die Requisiten? Zu kaufen gibt es nichts. Man geht zu Freunden, zu Bekannten, man geht in die nächsten Häuser, um zu betteln.

Architekt Kirchhoff erzählt aus seiner Erinnerung: „Alles stammte aus Privathand. Sogar ein ganzes Eßzimmer pumpten wir uns zusammen ..."

Ein Wunder, wenn man bedenkt, daß die Hamburger sehr konservativ sind und das Filmgeschäft als recht unseriös ansahen ...

Es fanden sich aber doch immer wieder Leute, die man trotz aller Bedenken anpumpte und die dem Film, der damals im wahrsten Sinne des Wortes für sie ein Zauberland war, sehr gewogen waren. Sie haben gern und herzlich geholfen, obwohl sie Hamburger waren. Später, als die Zeiten wieder halbwegs normal waren, ist es anders geworden ..."
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Andere Requisiten bringen die Schauspieler selbst mit ....

...., wieder andere werden - man glaubt es kaum - auf Rummelplätzen erworben. Erworben? Sie werden „geschossen". Die REAL entsendet Angestellte, von denen sie weiß, daß sie gut schießen können, auf Rummelplätze. Dort schießen sie so lange, bis sie die nötigen Kannen, Tassen, Gläser, Bilder etc. zusammen haben.

Die Sache mit den Nägeln ....

Oft müssen die Dreharbeiten ausgesetzt werden, weil die nötigen Materialien einfach nicht aufzutreiben sind. Besonders schwierig ist es, Holz- und Leinwand zu beschaffen. Eine andere Mangelware: Nägel.

Man bekommt nur zehn Stück auf einmal in den Geschäften zu kaufen. Alle Angestellten der REAL Film müssen also, wenn sie in die Stadt fahren, sämtliche Eisenwarenhandlungen abklappern und jeweils zehn Nägel kaufen. Nägel sind so kostbar, daß ein Arbeiter lediglich damit beschäftigt wird, die nicht mehr gebrauchten Nägel aus den Dekorationen zu ziehen und gerade zu hämmern, so daß sie wieder gebraucht werden können.

Oder da ist das Problem der Beleuchtung.

Die meisten Beleuchtungskörper sind ausgeliehen. Andere werden auf dem Schwarzmarkt gekauft. Photographen, die gerade nichts zu tun haben, werden mit Geld und guten Worten dazu bewogen, ihre starken Lampen zu verkaufen. Die ganze „Arche Nora" wird mit einem Zehn-KW-Scheinwerfer ausgeleuchtet.

Diesen Scheinwerfer (es war sicher ein ehelmaliger FLAK Scheinwerfer samt Aggregat) treibt man mit Mühe und Not aus irgendwelchen alten Wehrmachtsbeständen auf und behandelt ihn wie ein rohes Ei, da man keinen Ersatz bekommen könnte. Ein eventueller Ausfall dieses kostbaren Stückes würde das Ende der Dreharbeiten bedeuten.
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Ein Huhn ist der Hauptdarsteller - aber ......

Fast scheitert der Film noch in den letzten Minuten - denn ein Hauptdarsteller ist einfach nicht zu bekommen. Es handelt sich um ein Huhn. Ein Huhn ist um diese Zeit mehr als ein Haustier. Es ist eine Vermögensanlage - ein Kapital.

Nach unzähligen Verhandlungen gelingt es schließlich, einen Siedler in Ohlstedt davon zu überzeugen, daß sein Huhn unbedingt in dem Film „Die Arche Nora" mitspielen müsse. Wie es Trebitsch gelang, an das künstlerische Gewissen dieses Mannes zu appellieren, ist nicht mehr festzustellen.

Jedenfalls leiht der Mann sein Huhn her. Darüber wird ein richtiger Vertrag aufgesetzt:

Tagesgage des Huhns: Fünfundzwanzig Reichsmark.

Besondere Klausel: Sollte das Huhn während der Drehzeit Eier legen, so müssen diese dem Besitzer abgeliefert oder mit zehn Reichsmark pro Ei abgegolten werden.

Man sieht, es ist nicht ganz leicht für die REAL, ihren ersten Film unter Dach und Fach zu bringen.
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Systematische Arbeit zahlt sich aus und wird ein Erfolg

Aber die größte Schwierigkeit besteht in der Entschlossenheit der Herren Koppel und Trebitsch, diesen Film nicht auf gut Glück zu drehen, wie seit Kriegsende alle Filme gedreht worden sind. Koppel und Trebitsch sind dumpf entschlossen, systematisch zu arbeiten, einen Drehplan aufzustellen und diesen Drehplan einzuhalten.

Und siehe da! Das, was alle Fachleute für unmöglich hielten, gelingt. Der Film wird termingerecht abgedreht. Das heißt, es wird zwei Tage länger gedreht, als ursprünglich vorgesehen war. Aber das kommt selbst in normalen Zeiten vor, das ist selbstverständlich. Und der Film wird ein Erfolg, wie um diese Zeit alle oder fast alle Filme.
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Koppel und Trebitsch bleiben "auf dem Teppich"

Kein Grund für Koppel und Trebitsch, größenwahnsinnig zu werden. Es dauert noch mehr als ein Jahr, bis das heutige Gelände in Hamburg-Wandsbek gemietet wird. Es handelt sich hier um eine geräumige Villa in einem Riesenpark.

In den Jahren, die folgen, wird die REAL fünf Ateliers auf dem Gelände erstehen lassen. Und jeder der ersten REAL-Filme wird nur unter unsagbaren Schwierigkeiten hergestellt. Das ist besonders der Fall, wenn ein Film in „höheren Kreisen" spielt.

Zigarren und Zigaretten, die benötigt werden, verwahrt Trebitsch persönlich in seiner Tasche und verteilt sie nur äußerst sparsam - mit Recht, sie sind ja nur unter den größten Schwierigkeiten auf dem Schwarzen Markt erworben worden.

Es darf zum Beispiel bei den Proben nicht geraucht werden. Wo käme man denn sonst hin? Die Schauspieler könnten in Gefahr geraten, sich eine Nikotinvergiftung zuzuziehen. Die REAL-Film GmbH würde an solchem Massenverbrauch von Tabak bankrott gehen!
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Eine Zigarre in sechs Teile ....

In einem der ersten REAL-Filme gibt es eine Szene, in der sechs Herren Zigarren rauchen. Trebitsch gerät in Bestürzung. Sechs Zigarren? Schließlich verfällt er auf einen Ausweg.

Er nimmt eine Zigarre und schneidet sie in sechs Teile. Die Stücke werden auf Pappe aufgeklebt. Auf diese Weise erhält das Publikum den Eindruck, daß alle sechs Schauspieler je eine Zigarre rauchen, während sie in Wirklichkeit nur je das Sechstel einer Zigarre rauchen.

Nur ein Schauspieler, der seit Wochen nicht mehr geraucht hat, dampft so begeistert, daß er schließlich schon die Pappe mitraucht, so daß ihm Trebitsch unter heftigen Vorwürfen noch eine weitere Sechstel-Zigarre aushändigen muß.
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Im gleichen Film findet ein großartiges Diner statt.

Wie soll man ein großartiges Diner veranstalten, wenn es nichts zu essen gibt? Man kommt schließlich auf den Ausweg, einen Braten aus Maisbrot herzustellen und ihn mit der damals üblichen, in Tüten erhältlichen Einheitssauce zu übergießen.

Der Braten sieht ungeheuer appetitlich aus. Und die Schauspieler stürzen sich geradezu auf ihn. Sie benehmen sich durchaus nicht so, wie man sich in den höheren Kreisen benimmt, obwohl der Film doch gerade in diesen spielt.

Und die Ironie des Schicksals will es, daß der eine Schauspieler, der nun wirklich weiß, wie man sich in höheren Kreisen benimmt, eine Unterbrechung der Aufnahme notwendig macht, weil er sich nun ganz und gar nicht benimmt, wie man sich in höheren Kreisen benimmt.
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Leopold von Ledebur kann sich nicht benehmen ...

Es handelt sich um den alten Leopold von Ledebur, ehemals Heldendarsteller am Königlichen Schauspielhaus zu Berlin. Der trägt ein Gebiß. Und die Krümel des Maisbrotes geraten unter die Gebißplatte und kitzeln den Gaumen derart, daß Leopold von Ledeburs imposantes Gesicht in Zuckungen gerät.

Ja, der Regisseur befürchtet, der altbewährte Schauspieler sei im Begriff, den Veitstanz zu bekommen. Die Dreharbeiten müssen unterbrochen werden. Ledebur, der Held des einstigen Königlichen Schauspielhauses, entfernt sich, um sein Gebiß zu reinigen.

Bei der zweiten Aufnahme der Szene - im Hintergrund ringt Trebitsch die Hände - nimmt Ledebur nur wenig von dem Maisbrotbraten. Viel ist übrigens auch nicht mehr da ...
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