1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"
In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.
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(26) - Rückblick - Stars aus Hollywood im Kloster
Thema : "Das Fernsehen half uns aus der Not"
"Wir liefen ihnen allen den Rang ab . . . .", schrieb Artur Brauner in seinem Erinnerungsband „Mich gibt's nur einmal", „. . . . den Studios in München- Geiselgasteig, in Hamburg-Wandsbeck, in Göttingen, in Wiesbaden."
1970, als die CCC im November ihre Hallen in Berlin-Spandau schließen mußte, meinte der erfolgreichste deutsche Produzent der 1950er und 1960er Jahre dann resignierend: „Gegen die Filmkrise war kein Kraut gewachsen."
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Wiesbaden hatte nur geringe Kollateralschäden zu ertragen
In Wiesbaden mußte man das nicht sagen. Gestützt auf den Hessischen Rundfunk, vom ZDF als Ort der Sendezentrale bis 1984 benötigt, und aufgefrischt durch unternehmerische Initiativen gelang es „Unter den Eichen" bruchlos hinüber in die 1990er Jahre zu gelangen.
Wenn sich ein Markt verändert, muß man reagieren
Rückschauend darf man dazu heute vielleicht sagen: „Wen Jupiter lieb hat, den bekümmert er zuerst." Denn alle Krisen, die über das Wiesbadener Filmgelände schon in den 1950er Jahren hereingebrochen waren, trugen schließlich auch dazu bei, daß man sich frühzeitig auf eine veränderte Marktsituation einstellen konnte. Frank Thies und seine Neue Filmproduktion (NFP) zählten sicherlich zu den ersten.
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Darum schwelgen wir im "Lokalpatriotismus"
Auch die „Ifage", die „Odeon"-Film und die Scorpio Production, die für den TV-Serien-Hit „Glückliche Reise" verantwortlich ist und gerade für das ZDF die Feierabend-Reihe „Brix - eine Schwäche für Mord" herstellt, sorgten und sorgen mit ihren Aktivitäten dafür, daß der Name Wiesbaden als Entstehungsort guter Fernsehunterhaltung überall in der Bundesrepublik gegenwärtig bleibt - obwohl gewiß nicht jeder gleich auf Anhieb weiß, daß die „Drei Damen vom Grill" oder „Praxis Bülowbogen" in einem engen Zusammenhang mit der Sonnenberger Straße 52 stehen, in der die Neue Filmproduktion ihren Sitz hat. Fast 20 Firmen arbeiten heute auf dem Gelände „Unter den Eichen". Und 80 Wiesbadener Firmen sind es inzwischen insgesamt, die mit den Medien Film, Fernsehen oder Video beschäftigt sind.
Die großen Filme wurden alle in München gedreht
Nur so richtige große Kinofilme, wie „Das Boot" oder „Die unglaubliche Geschichte", die beide in München entstanden, sind seit vielen Jahren mit dem Namen der Kurstadt nicht mehr verbunden. Auch Volker Schlöndorff, der „Oscar"-Preisträger aus Wiesbaden, dreht die Innenaufnahmen seines neuen, 18 Millionen Mark teuren Films „Der Unhold" lieber in den Ateliers in Berlin-Babelsberg, und gewiß nicht nur deshalb, weil er dort Geschäftsführer ist.
Volker Schlöndorff ist bereits sehr skeptisch bezüglich des deutschen Films
Gerade hat er auch, wie man lesen konnte, dem deutschen und sogar dem europäischen Film ein baldiges Ende prophezeit. „Es gibt eine blühende Fernsehindustrie", sagte er, „aber keine Filmindustrie". Allenfalls fünf bis zehn Kinofilme, so meint Schlöndorff, würden in Zukunft jährlich in Europa noch produziert werden. Was mit anderen Worten heißt, daß es bald auch kaum noch deutsche oder europäische Filmstars geben wird. Sie sterben ebenfalls aus. Es sei denn, Hollywood entdeckt sie auf englischen, französischen, italienischen, spanischen oder deutschen Bildschirmen und putzt sie international heraus - letztes Beispiel: Gottfried John, der in „Goldeneye" Gegenspieler der neuen 007 ist.
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1985 - „Der Name der Rose" kommt aus dem Rheingau
Aber halt - einen bedeutenden Kinofilm gibt es doch noch, der im Zusammenhang mit der „Filmstadt Wiesbaden" nicht vergessen werden darf, genannt werden muß, auch wenn er 40 Kilometer von ihr entfernt verwirklicht wurde, nicht vollends, aber doch soweit, wie es um seine Innenaufnahmen ging.
Die Außenaufnahmen entstanden auf einem sanften Hügel fünfzehn Kilometer nördlich vom Rom. Dort baute Dante Feretti, einer der besten Filmarchitekten der Welt, aus Gips jene mittelalterliche Abtei, wie sie Umberto Eco in seinem Roman „Der Name der Rose" beschrieben hat. Für jedes Fenster, für jede Tür der Filmdekoration gab es ein Gegenstück. Und dies befindet sich im Rheingau, in Kloster Eberbach.
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Das einzige mittelalterliche Kloster auf der Welt
„Das ehemalige Zisterzienserkloster", sagte Filmregisseur Jean-Jacques Annaud, „ist das einzige mittelalterliche Kloster auf der Welt, dessen Innenräume für die Verfilmung des Eco-Romans die unabdingbare Authentizität besitzen". Trotzdem gab es für die Dekorateure noch eine gewaltige Menge zu tun. Mit Leimtöpfen, Balken und Abdeckplanen rückten sie an, um die Atmosphäre des 14. Jahrhunderts so überzeugend wie möglich zu rekonstruieren.
Sean Connery, der als Franziskaner-Pater William im November 1985 durch das Scriptorium des Klosters eilt, läßt sich von der großen philosophisch-theologischen Auseinandersetzung, die der Roman spiegelt, nicht verwirren, sondern spricht vor Journalisten schlicht von einem „Thriller", der hier entsteht. Und E. Murray Abraham, gerade als Salieri in „Amadeus" gefeiert, nun mit der Rolle des Inquisitors betraut, fühlt sich bei dem mittelalterlichen Stoff besonders an die amerikanische Gegenwart erinnert: „Auch hier beherrschen einige viele."
Nur die Regisseurin stammte aus Taunusstein
1993 - Katja von Garnier brachte acht Jahre später Wiesbaden noch einmal indirekt ins deutsche Kinogespräch. Der aus Taunusstein stammenden Regisseurin gelang mit ihrem Spielfilm-Erstling „Abgeschminkt", in München gedreht, auf Anhieb ein Kassenschlager.
Der Kater „Herr Schulz" und die Nostalgie
Vom Hollywood am Kochbrunnen sprachen unterdessen nur noch einheimische Politiker.
Auf Kongressen und Empfängen übten sie sich im Lob auf die Vergangenheit, im Erinnern an die „Fünfziger" - so wie ein neuer „Herr Schulz" die Mitarbeiter der „TaunusFilm" insgeheim noch einmal an Produktionen wie „Herzen voller Seligkeit" oder den „Ball der Nationen" denken läßt. Geschäftsführer Wolfgang Graß hatte ihn mitgebracht.
„Herr Schulz" erhielt sogar einen Extra-Eingang zum Verwaltungsgebäude und zur Buchhaltung, wie sich das gehört - für einen Kater.
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Ist es oder ist es nicht auf den Hund gekommen ?
Man kann das interpretieren, wie man will. Eines läßt sich dabei mit aller Gewißheit wohl kaum behaupten - nämlich: daß das Gelände „Unter den Eichen", ab 1949 Arbeitsstätte internationaler Stars, inzwischen auf den Hund gekommen ist.
Im Gegenteil: Es wurde zu einer quicklebendigen Produktionsstätte für Fernsehunterhaltung auf allen Kanälen. Und auch der unendliche Traum von der Traumfabrik ist noch nicht ausgeträumt.
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3 Filme in Planung - aber in Bulgarien realisiert
Drei Kinofilme, darunter internationale Co-Produktionen, sind bei der Taunus-Film in Planung. Zwei davon werden allerdings in Bulgarien realisiert. Denn auch dort hat die Gesellschaft inzwischen einen Sitz. „Colonel Bunker" heißt eines der vorgesehenen Projekte. Ein französisch-polnisch-albanisch-deutsches Gemeinschaftsunternehmen soll es werden, eine Groteske über die Zeit des albanischen Diktators Enver Hodscha und seine Angst vor Invasionen. Den ganzen Kleinstaat hatte er unterbunkern lassen, 2000 Bunker sind es insgesamt, die noch heute tief in der Erde Albaniens einbetoniert sind. Ein Colonel, der später in Ungnade fiel, war mit dem Bau der Schutzräume beauftragt worden.
Für 1997 geplant - „Ich war Saddams Sohn"
Die Handlung des zweiten Kinofilms, der in Bulgarien und in Kuwait entstehen soll, wird im Irak spielen. Er basiert auf dem Bestseller „Ich war Saddams Sohn". 25 Millionen Dollar werden als Drehkosten veranschlagt. 1997 will man mit den Aufnahmen beginnen. Gedacht ist er als amerikanisch-englisch-bulgarischdeutsche Ko-Produktion. Eine der größten Sorgen, die das Projekt bis heute bereitet, ist die Besetzung der Hauptrolle. „Einen jungen Omar Sharif, der die Doppelgänger-Rolle des irakischen Präsidentensohnes spielen könnte, gibt es derzeit in Hollywood nicht", sagt Uwe Boll.
Er ist auch Regisseur und Drehbuchautor von „Das erste Semester", dem dritten Kinofilm, von dem derzeit „Unter den Eichen" gesprochen wird. Ein Lustspiel soll es werden, das von einem Studenten erzählt, der vom Dorf in die Großstadt kommt. Im Frühjahr 1996 wird die erste Klappe fallen. In Deutschland. Aber die Wiesbadener Ateliers dürfen nur eine kleine Rolle darin spielen. Das hat auch etwas mit der Filmförderung der Länder zu tun. Hessen war da noch niemals vorn.
Der "Abspann" . . . .
Aber vielleicht kann das in Zukunft noch einmal anders werden.
Denn: Wer verschenkt schon ein Hollywood - auch wenn es nur am Kochbrunnen liegt?
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