1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"
In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.
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(5) - Die Stadt bürgt für "Hesters" . . .
Frühjahr 1950 - Wiesbaden kämpft. Gegen unwägbare Folgen kämpft es, die aus der Auflösung des Ufa-Vermögens entstehen können, und gegen veränderte Entwicklungen, die mit Entstehung der Bundesrepublik und des Kalten Krieges auch in der deutschen Filmindustrie zu beobachten sind. Noch dürfen im März 1950 die Ateliers „Unter den Eichen" den hohen Ruf für sich in Anspruch nehmen, die drittleistungsfähige Anlage in Westdeutschland zu sein. Nur München- Geiselgasteig und Berlin-Tempelhof übertreffen die Voraussetzungen, die Wiesbaden den Produzenten zu bieten hat. Von Artur Brauners Spandauer Ateliers wird in diesen Tagen noch nicht gesprochen.
1950 - Die Nachteile der DM - als das Geld knapp wurde
Acht Filme könnten jährlich „Unter den Eichen" entstehen. 1.800 Quadratmeter beträgt die Atelierfläche. Aber Quadratmeter und Hallen reichen alleine nicht aus, um Filmemacher zu interessieren. „Lockstoff" in der Zeit, in der man noch von amerikanisch, englisch und französisch besetzten Zonen sprach, war die Lizenz, die man zum Drehen eines Films benötigte. In Wiesbaden saß das US-Hauptquartier, das Lizenzen vergab. Die braucht man jetzt nicht mehr. Begehrt ist etwas anderes. Mit der Währungsreform kam Geldknappheit in die Produzenten-Büros.
Das Stadtparlament - Aufgeschlossenheit und Widerspruch
Die Städte mußten umdenken. Hamburg hat es bereits getan. Berlin auch. Dort übernimmt das Land für die Einzelkredite, die von der Bank bis zu 65 Prozent der Herstellungskosten eines Films gewährt werden, die Bürgschaft. Das spricht sich schnell herum. Bis zu Redlhammer, Wiesbadens filmbegeistertem Oberbürgermeister, an dessen Tür bald Dr. Jonen von der „Meteor" und auch ein Herr von der „Comedia" klopfen. Im Stadtparlament herrscht Aufgeschlossenheit und Widerspruch zugleich. Soziale Verpflichtungen, die wichtiger seien, werden von der KPD ins Feld geführt, das hohe Risiko, das sich mit der Gewährung von Bürgschaften für Produktionskredite verbinde, ist Grund für die ablehnende Haltung der FDP.
Bürgschaften in Höhe von 275.000 DM - da war sehr viel Geld
Doch der Wille für ein Fortbestehen und Gedeihen der Filmstadt siegt. Noch sind ja nicht die Hoffnungen vom Tisch, daß in Wiesbaden außer Internationalen Maifestspielen künftig vielleicht auch Internationale Filmfestspiele veranstaltet werden. Die „Meteor" erhält eine Bürgschaft in Höhe von 100.000 D-Mark, die „Comedia" darf mit einer ebensolchen in Höhe von 175.000 D-Mark rechnen. „Uns ist eine Last von der Seele gefallen!" hört man anschließend von der Geschäftsleitung der Afifa-Studios „Unter den Eichen". Nun können endlich, nachdem die Anlagen mehr als fünfeinhalb Monate leerstanden, drei große Filme ins Atelier gehen.
Das heißt Vollbeschäftigung für alle, die in den Studios tätig sind, heißt Schaffung von neuen Arbeitsplätzen und heißt auch wirtschaftlichen Aufschwung für zahlreiche Handwerksbetriebe, die in die Filmproduktion einbezogen sind.
Sommer 1950 - es kommt wieder mal anders
Die „Meteor" will „Melodie des Herzens" in Wiesbaden herstellen, Wolfgang Liebeneiner wird Regie führen, Hilde Krahl, Johannes Heesters, Matthias Wiemann und Erich Ponto sollen die Hauptrollen spielen. Die „Comedia" plant „Camorra", einen Film über den italienischen Geheimbund. „Melodie des Herzens" wird bald in „Wenn eine Frau liebt" umgetitelt werden, „Camorra" in „Schatten über Neapel" und - ein Schock für die Stadtverordneten - als Projekt für die hiesigen Ateliers in Vergessenheit geraten. Als deutschitalienische Co-Produktion wird der Film in Italien entstehen. Von Rühmanns „Comedia" spricht man „Unter den Eichen" nicht mehr.
Juli 1950 - Der Milieufilm „Die Treppe"
Neben der „Meteor" macht aber jetzt die „Scala"-Filmproduktion von sich reden. Auch in der Wiesbadener Innenstadt. Dort stauen sich im Juli 1950 die Passanten, um bei der Entstehung des Milieufilms „Die Treppe" zuzusehen. Ein Einbrecher wird über die Dächer gejagt, die Dächer der Helenenstraße - umständlich und nervtötend, wie das beim Film so ist. Nochmal und nochmal läuft die Szene ab. Dachdecker haben die Rollen der Hauptdarsteller übernommen, doubeln sie, weil für die Stars die Action-Aufnahmen zu gefährlich sind. Alfred Braun führt Regie.
Unter den Kleindarstellern entdeckt man einen jungen Mann, der Jahre später und dann bis zum heutigen Tag als Musikkritiker des Wiesbadener Kurier die Leselust des Konzertpublikums gewinnt: Helmut Hampel. Einen Polizisten spielt er - genau eine Satzlänge lang und nach der vierten „Klappe", sprich: Wiederholung, allmählich schon eher recht unlustig. „Bravo" ruft da Braun vom Regiestuhl her, „geradeso will ich es haben!"
Die Bundesländer - Konkurrenz oder Vorteil/Einflußnahme
Im Produktionsbüro spricht man unterdessen auch über Bonn, über Ausfallbürgschaften, mit denen sich die Bundesregierung an der Stützung der deutschen Filmindustrie beteiligen will. Aber die Länderregierungen werden ebenso gefordert. Vier bis sechs Millionen D-Mark, heißt es, will beispielsweise Bayern für seine Filmschaffen bereitstellen.
Hessen zeigt sich da weit weniger gebefreudig. Gerade eine Million D-Mark bringt die Landesregierung ins Gespräch. Kopfschütteln bei vielen. Dennoch soll in Wiesbaden wenige Monate später der erste große Ausstattungsfilm der Nachkriegszeit entstehen. In seiner Villa im Nerotal beginnt Dr. Jonen für die „Merkur" mit den Vorbereitungen zu „Hochzeitsnacht im Paradies". Altmeister Geza von Bolvary, seit seinem 1930 gedrehten Musik-Film „Zwei Herzen im Dreivierteltakt" ein Garant für gute Laune, soll Regie führen. Auch der Star der Operetten-Verfilmung steht schon fest: Johannes Heesters.