1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"
In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.
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(6) - Tage im "Paradies"
So steht es am 6. September 1950 im Wiesbadener Kurier:
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- „Geza von Bolvary ruft zur Arbeit. Sie gilt der großen Gesellschafts- szene des Meteor-Films ,Hochzeits- nacht im Paradies'. In einem Revuetheater spielt sie sich ab. Und diesen Schauplatz haben die Filmarchitekten Maurischat und Markwitz milieugetreu mit aller Pracht erstellen lassen. Der ganzen Länge und Breite nach wurde die große Halle verwendet. Zauberhaft ist die weite ,Bühne' ausgestaltet."
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Und weiter über diese Drehtage im „Paradies":
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- „Zärtlich schimmern riesige Seerosen. Die Komparserie hat an den Tischen Platz genommen. Sie hat zu lächeln und zu flirten. Sie hat den Revuestar Pieter zu bewundern und Beifall zu klatschen. Man sieht bekannte Gesichter. Schauspieler aus unserer Stadt. Zwei Kameras fahren auf. Mit geübtem Blick lenkt Geza von Bolvary die große Gesellschaftsszene. Mit weit über hundert Menschen ist sie die größte und reichste Dekoration der deutschen Nachkriegs- filmproduktion."
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Dann endlich:
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- „Von Blumenmädchen gefolgt, schreitet Pieters (Johannes Heesters) durch den Saal. Er reicht Ciarisse (Claude Farell) zwei Orchideen und schließt sie nach einem langen Kuß als Braut in die Arme. Oft wird das geprobt, oft gedreht. Da ist auf einmal eine Orchidee verschwunden. Neue müssen besorgt werden. Zehn Minuten Arbeitsausfall kosten rund zweihundert Mark. Das muß mit doppeltem Eifer wieder eingebracht werden."
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Dennoch kommen die Tonaufnahmen aus Berlin
Zu einem Operettenfilm gehört auch Musik. Doch das Orchester, das vor der Bühne sitzt, ist ein stummes Orchester. Die Musiker deuten ihr Spiel nur an. „Der guten Akustik und des besseren Klanges wegen", schreibt Trauth Philipp, die Journalistin, „wurden die Tonaufnahmen bei RIAS Berlin gemacht." Playback ist also keineswegs eine Erfindung aus jüngerer Zeit. Am 28. Oktober 1950 hat der Film im Thalia-Theater Premiere. Und noch im selben Jahr kann Meteor-Chef Dr. Jonen der Presse verkünden, daß „Hochzeitsnacht im Paradies" auch im Ausland hohe Verleihabschlüsse gebracht habe.
Die Spuren des Krieges nach 5 Jahren
Noch sind in Wiesbaden und der Umgebung die Spuren des Krieges nicht ganz verschwunden. Die zerstörte Kaiserbrücke nach Mainz erinnert weiterhin an jene Tage, in denen die Nazi-Herrschaft zusammengebrochen war. Für Filmleute wird sie zur willkommenen Kulisse.
Anatole Litvak, der Hollywood-Altmeister, nutzt sie für seinen Film „Die Legion der Verdammten", ehe er nach Kloster Eberbach weiterzieht. Die Wiesbadener Filmkomparserie, die in Wehrmachtsuniformen schlüpft, hat für Tage zu tun.
Im Mittelpunkt der Handlung, die auf einem Roman des Amerikaners George Howe fußt, steht ein deutscher Sanitätsunteroffizier, der zu einem Agenten der Alliierten wird. Aufgrund der Informationen, die er an die US-Truppen weitergibt, können 1945 zwei deutsche Divisionen vernichtet werden. Schon bald werden Proteste laut. Man spricht von „antideutschen Film-Tendenzen". Und in München, dort sollen weitere Teile des Filmes entstehen, überlegt man gar, Litvak die Drehgenehmigungen in staatlichen Bauten zu verweigern.
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Die Amerikaner riechen die Konkurrenz
Spannungen brechen hervor, wie sie 1950 in der Bundesrepublik vielerorts vorhanden sind. Eine „Woche des deutschen Films" beispielsweise, die in allen Städten geplant ist, wird von amerikanischen Verleihern heftig attackiert. Sie fürchten um ihre Zukunft in den deutschen Kinos.
Der verdiente Curt Oertel stolpert über ein Interview und geht
Und Curt Oertel gibt ein Interview, das ihn seinen Einfluß in der SPIO kosten wird. Der Oscar-Preisträger sagt, die Bestrebungen der deutschen Filmwirtschaft seien „von einer nationalistischen Welle" getragen, um „amerikanische Filme aus dem deutschen Markt auszustoßen".
Wenig später wird er erklären, er habe sich lediglich für einen freien Wettbewerb eingesetzt. Doch Präsident der SPIO wird er nicht mehr sein. (Anmerkung : Die immer noch vorhandenen verkappten Altnazis hatten das gschickt eingefädelt.) Im Biebricher Schloß, das er 1949 mit großem Engagement für die Aufgaben der Filmwirtschaft eingerichtet hat, hatte man sich anders entschieden.
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- Anmerkung : Nach den Aussagen von Gerhard Redlich, eigentlich "nur" Kinotechniker der UFA-Handel Büro Frankfurt, die das Biebricher Schloß und die dortige FBW kinotechnisch eingerichtet hatten, war Curt Oertel sehr umgänglich, intelligent, überaus kreativ und dazu auch noch kompetent, insbesondere in technischen Detailfragen. - Er sprach nur zur falschen Zeit an der falschen Stelle die Wahrheit aus. Kommt Ihnen das nicht irgendwie sehr bekannt vor, jetzt in der heutigen Zeit (2020 bis 2023) mit der neuen deutschen Sprachpolizei ?
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In Bayern gibt es wieder eine Art von bayerischer "Zensur"
In München hat unterdessen Litvak, der dem bayerischen Ministerpräsidenten eine ausführliche Inhaltsangabe des Drehbuchs übermittelt, ehe er weiterarbeiten darf, hinreichend Gelegenheit, über deutsche Empfindlichkeiten nachzudenken. War doch sein Film auch deshalb in Produktion gegangen, um in Amerika das Urteil über die Deutschen in der Hitler-Zeit zu differenzieren.
„Unter den Eichen" geht es aufwärts
„Unter den Eichen" surren währenddessen die Kameras emsig weiter. Es scheint aufwärts zu gehen. Unentwegt. Herbert Ulrich, Produktionsleiter der Scala-Film, will nach der „Treppe" in Wiesbaden weitere Projekte realisieren, auch deshalb, weil Berlin, wie er sagt, den Produzenten zu viele Schwierigkeiten mache. Und die Pontus-Film hat bereits die Hallen gemietet, um mit Rudolf Forster und Will Quadflieg „Die tödlichen Träume", eine Geschichte um E.T.A. Hoffmann, zu drehen.
Keine internationalen Filmfestspiele in Wiesbaden
Unter die positiven Nachrichten, die sich in der jungen Filmstadt verbreiten, mischt sich allerdings auch eine bittere - die Internationalen Filmfestspiele werden nicht, wie man es seit Jahren anstrebte, in Wiesbaden, sondern in Berlin stattfinden. 1951 sollen die ersten sein. Und Günter Neumann, der „Insulaner", der beim Anblick der Russen unbeirrt hofft, „daß seine Insel wieder'n richt'ges Festland wird", wird sie „Berlinale" nennen.