1945 - 1995 "Der unendliche Traum von der Traumfabrik"
In 26 Kapiteln blickt Horst Goscke auf 50 Jahre Wiesbadener Film-Euphorie zurück und skizziert Höhepunkte und Tiefpunkte der Wiesbadener Ambitionen, mal ein deutsches Hollywood zu werden. Viele bundesweit bekannte Filme und Personen werden aufgeführt und auch das zeitweise wirre politische Drumherum der Nachkriegszeit wird nicht vergessen.
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(9) - Kapitel : Lilo Pulver fährt Seifenkiste
Die Wellen der "Sünderin" sind noch nicht verebbt.
Im Biebricher Schloß gibt es zu Beginn des Jahres 1952 eigentlich nur eine Frage: Bleibt die Freiwillige Filmselbstkontrolle bestehen oder nicht? Denn noch immer sind die Wellen, die die „Sünderin" zwölf Monate zuvor geschlagen hatte, nicht verebbt. Aber die FSK hat nicht nur Kritiker, sie hat auch Freunde. Zu ihnen zählen Kinobesitzer und Verleiher. Und sie wollen, daß die Wiesbadener Prüfstelle erhalten bleibt. Die Kultusminister der Länder drängen unterdessen auf eine Neuregelung des Jugendschutzes. Dies wird bis Mitte des Jahres geschehen.
1951 - Nach der FSK kommt nun die FBW
Das Schloß hat inzwischen einen weiteren Mieter erhalten. Neben der Selbstkontrolle und dem Deutschen Institut für Filmkunde arbeitet dort nun auch die Filmbewertungsstelle (FBW). Mit ihren Prädikaten „Wertvoll" und „Besonders wertvoll" sollen einerseits künstlerische Werte eines Films unterstrichen und andererseits Steuerermäßigungen bei seiner Vorführung begründet werden. Der erste Spielfilm, der in Biebrich das Prädikat „Besonders wertvoll" erhält, ist „Endstation Sehnsucht".
Doch nicht nur über eine Senkung der Vergnügungssteuer dürfen sich bundesdeutsche Kinobesitzer freuen, noch eine andere Nachricht läßt sie das Jahr 1952 in guter Erinnerung behalten: die Eintrittspreise, seit den Tagen vor dem Zweiten Weltkrieg einer staatlichen Preisbindung unterworfen, können endlich frei bestimmt werden: Filmproduzenten blicken unterdessen traurig drein. Überall stehen die Aufnahmehallen leer. Die Gründung einer Filmbank wird diskutiert. Sie könnte die Geld-Beschaffung zu vernünftigen Zinssätzen gewährleisten.
Bayern geht unterdessen eigene Wege.
Arbeitsminister Oechsle legt den Plan für eine neue Filmförderungsmethode vor. Von Produktionsstaffeln wird darin gesprochen, deren Finanzierung aus Bundes- und Länderbürgschaften gleichzeitig bewerkstelligt werden soll. Und in Berlin wagt Regisseur Robert Stemmle einen Schritt, der Jahre später in Frankreich eine ganze Bewegung, die „Nouvelle vague", zieren wird - er spart Atelierkosten durch Außenaufnahmen. Ganz ohne Bürgschaften entsteht dabei der Musikfilm „Heimweh nach Dir".
Auch „Unter den Eichen" stehen die Hallen leer.
Hochbetrieb herrscht in der ersten Jahreshälfte nur in den Synchronisationsstudios. Schauspieler des Staatstheaters finden hier oft einen Zusatzverdienst. Und plötzlich ist einer von ihnen gar als kommender Star im Gespräch. Claus Biederstaedt wird nach München geholt. Dort dreht er „Die große Versuchung".
Rühmanns „Comedia" macht Pleite
Etwa zur gleichen Zeit meldet Rühmanns „Comedia", die 1949 Wiesbadens Ruf als Filmstadt begründet hatte, Konkurs an.
Heinz Rühmann und seine Frau selbst wohnten fortan in Geiselgasteig in einem Behelfsheim, das nicht gepfändet werden durfte.
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Sommer 1952 - Hoffnung keimt auf
Es ist wieder einmal Dr. Jonen, der im Sommer 1952 endlich neues Leben in die Hallen nahe dem Nordfriedhof bringt. Zwei Münchner Produktionen, die Wochen zuvor mit Aufnahmen in den Wiesbadener Ateliers geliebäugelt hatten, scheiterten am Verhalten hessischer Bank- und Treuhandstellen, die trotz vorhandener Landes- und Bundesbürgschaften keine Kredite bereitstellen wollten.
Dr. Jonen plant einen Schwank mit einer jungen Darstellerin, die über Nacht in den Kinos zum Publikumsliebling wurde: Lieselotte Pulver.
Mit „Fritz und Friederike" an der Zensur vorbei
„Fritz und Friederike" soll der Film heißen. Lieselotte Pulver hat darin ein burschikos erzogenes Mädchen zu spielen, das in Männerkleidung aus einem Mädchenpensionat flieht. Kein außergewöhnliches Lustspiel, sicherlich. Aber wer möchte sich ein solches überhaupt einfallen lassen, wenn schon ein harmlos pointierter Polit-Spaß wie „Die Frauen des Herrn S." Schnittauflagen hatte hinnehmen müssen.
Und die USA ist schlimmer dran
Hollywood ist in diesen Tagen allerdings noch viel schlimmer dran. Dort wütet McCarthy. „Charly Chaplin", so liest man in den Zeitungen, „erhielt in den USA Einreiseverbot".
Lilo Pulver fährt Seifenkiste
Lieselotte Pulver mag Wiesbaden. Nicht nur seine Filmateliers. Bei einem Seifenkistenrennen, das auf dem Stresemann-Ring veranstaltet wird, sorgt sie für Stimmung im Publikum. Kurzentschlossen setzt sie sich in eine Kiste und rast dem Ziel entgegen - zur Gaudi aller, die die Strecke säumen. Und Glücksfee ist sie auch. Helmut Starke, der wenig später in das Gefährt klettert, wird als Gewinner aus dem Rennen hervorgehen. Die Seifenkiste Nummer 90 ist in aller Munde.
Juli 1952 - Oberbürgermeister Redlhammer muß gehen
Einer steht nicht mehr am Rande der Strecke. Obwohl er einmal viel dazu beigetragen hatte, das Hollywood am Kochbrunnen entstehen zu lassen.
Oberbürgermeister Redlhammer ist seit Monaten schon vom Dienst suspendiert. Die Oberstaatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Es geht um Wiedergutmachungsansprüche, die er als „Verfolgter des Naziregimes" gestellt haben soll.
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August 1952 - Hans Albers kommt nach Wiesbaden
Während die Arbeiten an „Fritz und Friederike" allmählich zu Ende gehen, werden im Rheingau von Aufnahmeleitern der „Trianon" Motive gesucht. Im August 1952 sieht man Jupp Hussels und Paul Henckels dort die Geschichte einer Gastwirtsfamilie drehen.
„Einmal am Rhein" wird der Heimatfilm heißen. Nur die Kameras, die man vor Ort benötigt, haben etwas mit Wiesbaden zu tun. „Unter den Eichen" rüstet man sich derweil für den Oktober 1952 und den größten Star, den der deutsche Film in dieser Zeit zu bieten hat, für Hans Albers. Helmut Käutner will mit ihm „Käpt'n Bay Bay" drehen, die Geschichte eines Seebärs, der doch noch seine alte Liebe heiratet. Produzent ist wieder Dr. Jonen.
In Neapel und im Mittelmeer finden die Außenaufnahmen statt. Mit Verspätung, am 20. November 1952, steigt Albers in Frankfurt gutgelaunt aus dem Sonderschlafwagen des Skandinavien-Expreß. Wenige Tage später können die Aufnahmen beginnen.