Die Idee - Eschborn bei Frankfurt
die Fernsehzentrale „am Flughafen“
Eine Zusammenfasung einer persönlichen Meinung über die mögliche Entwicklung eines deutschen Fersehsenders in Eschborn um 1961 bis 63.
Günter Bartosch, Wiesbaden - Juni 2008
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Die vertanen Chancen Eschborns aus der Sicht von 2008
Eschborn wird Konzernzentrale der Deutschen Börse. Damit gewinnt der Ort im Westen Frankfurts weiter an Bedeutung. Was einmal ein Dorf war im Schatten der großen geschichtsträchtigen Reichsstadt am Main, ist innerhalb weniger Jahrzehnte zu einer bedeutenden Geschäftsstadt geworden. Dass Eschborn aber auch mit dem deutschen Fernsehen in Verbindung gebracht werden kann, ist weitgehend vergessen.
Die Geschichte des deutschen Fernsehens hat verschiedene Entwicklungsstufen durchlaufen. In einer bestimmten Phase hat Eschborn eine besondere Rolle gespielt. Geschichtlich ist Eschborn der Ursprungsort eines grundlegenden Strukturwandels des deutschen Fernsehens. Am Anfang des stürmischen Aufschwungs des Ortes hat das Fernsehen gestanden, ja es dürfte der Auslöser gewesen sein.
Eschborns Fernsehepoche Teil 1 und Teil 2
Vielleicht ist Eschborn noch in Erinnerung als Wiege des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF), weil von hier ab 1. April 1963 die ersten Sendungen des neuen Programms aus-gestrahlt wurden. Das ZDF war aber nur der zweite Teil von Eschborns Fernsehepoche. Und ohne den ersten Teil hätte es den zweiten nicht gegeben.
Eschborns Fernsehzeit währte nicht lange, gerade mal etwa 7 Jahre von 1960 bis 1967, als das letzte Fahrzeug des ZDF-Fuhrparks, der sich noch in Eschborn befand, den Ort verließ. Aber es war die Zeit großer Entwicklungen in mehr als einer Beziehung.
Seit 1952 gab es in der Bundesrepublik Deutschland nur ein Fernsehprogramm, das der ARD, eine Gemeinschaftsproduktion der Sendeanstalten der Bundesländer. Gegen Ende der fünfziger Jahre war man sich zwar einig, dass das bestehende Programmangebot durch ein zweites Programm ergänzt werden sollte, doch gab es unendliche politische Querelen über das Wie und Wo.
Uneins waren sich CDU- und SPD-regierte Länder, aber auch mit der Bundesregierung unter Kanzler Adenauer gab es Diskrepanzen. Völlig unklar war, wie das neue Programm finanziert werden könnte. Adenauer drängte auf eine privat-wirtschaftliche Form und somit auf ein von Werbung getragenes Fernsehen. Das war nicht im Sinn der SPD, die strikt dagegen war, dass ein Programm von wirtschaftlichen Interessen geprägt werden konnte.
Adenauer - endlich mal Fakten schaffen - in Eschborn
Im andauernden Streit wollte Adenauer Fakten schaffen. Die Bundesregierung gründete eine Deutschland-Fernsehen GmbH als Dachorganisation für ein zweites Fernsehprogramm. Für die Programmherstellung und den Sendebetrieb wurde die Gesellschaft Freies Fernsehen GmbH (FFG) auserkoren. Das relativ kleine Unternehmen existierte schon, es war Anfang Dezember 1958 in Wiesbaden von einer „Studiengesellschaft für Funk- und Fernsehwerbung e.V.“ gegründet worden.
Offenbar hatte diese erfolgreich Lobbyarbeit in Bonn betrieben, jedenfalls erhielt sie Ende 1959 von der Bundesregierung den Auftrag, einen Produktionsbetrieb aufzubauen. Dadurch bekam das Unternehmen einen ungeahnten Auftrieb. In der Gewissheit, dass die Bundesregierung hinter dem Projekt stehe, hatten sich inzwischen 25 Zeitungsverleger der Gesellschaft Freies Fernsehen angeschlossen, und die Firma erwählte sich Frankfurt als Sitz.
Die Initiatoren traten nun mit dem hohen Anspruch auf, am 1. Januar 1961 mit den Sendungen des zweiten Programms beginnen zu wollen. Es war utopisch, in der kurzen Zeit von weniger als einem Jahr einen funktionierenden Sendebetrieb und das notwendige Programm zu schaffen.
Doch jeder, der damals dabei war - frisch angeheuert - weiß, dass es geklappt hätte. Es wäre eine grandiose Leistung gewesen. Dank Eschborn.
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Eschborn - Fernsehort „am Flughafen“
Das kleine Taunusdorf am Rande der großen Stadt Frankfurt war plötzlich ins Spiel gekommen. Im Hinblick auf die guten Chancen eines privatwirtschaftlich geführten neuen Fernsehprogramms konnte die FFG über erhebliche Finanzmittel verfügen. Und die bunt zusammengewürfelte Mannschaft des Freien Fernsehens bestand aus Fachleuten in jeder Hinsicht. Alle waren von außerordentlichem Pioniergeist erfüllt.
Hier sei allerdings vorausgeschickt, dass aller Elan, alle Schaffensfreude, gegen Ende des Jahre 1960 jäh gebremst wurden. Das Freie Fernsehen durfte nicht senden, die Gesellschaft löste sich auf, und Eschborns Sendezentrum verfiel in einen Dornröschenschlaf.
Aus dem Boden gestampft
Doch erst war es entstanden, im Verlauf der zweiten Hälfte des Jahres 1960. Wenn der Redensart nach etwas aus dem Boden gestampft wird, dann war das hier der Fall. Die Leute vom Freien Fernsehen waren Pragmatiker. Das wichtigste war, eine Sendezentrale zu haben. Räume dafür in Frankfurt anzumieten, wäre viel zu teuer gewesen. Aber am Rande der Stadt gab es Eschborn, und in Eschborn gab es einen maroden Bauernhof mit großem Gelände. Das Objekt wurde gekauft, zumal es nicht teuer war. Hier sollte die Sendestelle des Freien Fernsehens entstehen.
Nicht nur das Gelände war für das Vorhaben interessant. Ganz sicher hatte auch noch eine andere Perspektive maßgeblichen Anteil daran, dass die Entscheidung für Eschborn fiel:
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Die Nähe zum Flughafen.
Das Programm von zunächst etwa 4 Stunden am Abend sollte eine tägliche Nachrichtensendung unter dem Titel „Weltschau“ haben In einer Zeit, in der es noch keine Satellitenübertragung gab, wurden Berichte auf Film produziert und versandt.
Den schnellsten Transportweg aus allen Richtungen des Erdballs ermöglichte das Flugzeug. So war geplant, einen Kurierdienst einzurichten, der Filmrollen mit aktuellen Berichten sofort vom Flughafen Frankfurt in die Sendezentrale bringen sollte. Eschborn am Flughafen - das war ein großer Vorteil für die aktuelle Berichterstattung. Außerdem bestand noch eine Anbindung per Bahn, da ein Gleisanschluß an die Vorortstrecke Frankfurt-Kronberg vorhanden war. Alles in allem war Eschborn ein guter Standort.
Auf dem Gelände des alten Bauernhofes
Ungeachtet aller politischen Auseinandersetzungen im noch immer heftig geführten Streit um Art und Weise eines zweiten Fernsehprogramms baute die Gesellschaft Freies Fernsehen ihr Sendezentrum in Eschborn auf dem Gelände des alten Bauernhofes. In aller Eile entstand ein Barackenkomplex, wie er aus Kriegs- und Nachkriegsjahren noch in Erinnerung war. Aus der ehemaligen Scheune, einem Steinbau, wurde das Studio für die Ansagen und für die aktuelle Berichterstattung, in den früheren Stallungen wurden Archive, Werkstätten, Schneideräume eingerichtet. Auch ein kleines Kopierwerk war schon vorhanden zur Entwicklung von Filmen, die der Eile wegen noch im Negativ mit dem Flugzeug herangebracht wurden. Für Technik und Redaktionen standen die Baracken zur Verfügung.
Die damals modernste Studiotechnik
Doch es waren ja nicht nur die Räume, die geschaffen werden mussten, sondern es bedurfte auch einer sehr komplizierten technischen Ausrüstung. Bemerkenswert war, dass gleich die (Anmerkung : damals) modernste Studiotechnik installiert wurde, einschließlich der noch neuen und in den Fernsehanstalten der ARD bis dahin nur selten vorhandenen Ampex-Maschinen für die magnetische Bildaufzeichnung.
Für die Außenübertragung waren mehrere moderne Ü-Züge in England gechartert worden, die mit eigenem Personal anreisten. Eine dieser Units wurde in Unterföhring bei München stationiert, wo in den neuerbauten Studios von Ritter-Vaillant (RIVA) schon im November 1960 damit begonnen wurde, Fernsehspiele und Unterhaltungssendungen zu produzieren. Mit einem weiteren Ü-Zug wurden in der Turnhalle Kronberg Außenübertragungsversuche durchgeführt. In Eschborn selbst liefen die Vorbereitungen für den aktuellen Nachrichtendienst.
"Telesibirsk" - die Schlammwüste
Es kam ein kalter, regenreicher Herbst und ein früher Wintereinbruch. Erst dadurch wurde den emsig tätigen Fernsehschaffenden bewusst, dass man das Sendezentrum auf einem unbefestigten Bauernhof errichtet hatte. Bis man den rettenden Eingang der Baracke erreicht hatte, mußte man im Schlamm waten. Ein paar Bohlen von Eisenbahngleisen sollten Besserung verschaffen - es waren viel zu wenige.
Matsch, Schnee, Barackenlager, Stallungen, Ödland und mittendrin Fernsehbetriebsamkeit neben einer nur wenig befahrenen Eisenbahnstrecke im damals noch dörflichen Eschborn, das alles führte zu dem treffenden Namen „Telesibirsk“. Ich bin mir aber nicht sicher, ob er nicht erst zu Zeiten entstand, als dort schon das ZDF eingezogen war, denn im Herbst 1962, als dieser Fall eintrat, war die Situation nicht viel anders als zwei Jahre zuvor.
Eine kleine Schar ehrgeiziger Pioniere
Die ehrgeizigen Pioniere von 1960 - gegenüber dem heutigen Riesenapparat waren sie nur eine kleine Schar - arbeiteten für den Beginn des Programms am 1. Januar 1961. Die aktuelle Nachrichtensendung wurde schon probeweise unter Live-Bedingungen gefahren, in München entstanden Programmteile, da gab es am 18. Dezember 1960 eine Vollbremsung: Die Bundesländer hatten mit einer Einstweiligen Verfügung den Beginn der Sendungen verhindert.
Die endgültige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 28. Februar 1961, die sehr mysteriös war und aus heutiger Sicht noch viel mysteriöser erscheint, hatte damals dem Versuch eines privaten Fernsehens ein Ende bereitet.
Ausgerechnet das sozialdemokratisch regierte Hessen
Den Antrag, eine Einstweilige Verfügung gegen den Sendebeginn des Freien Fernsehens aus Eschborn zu erlassen, hatte ausgerechnet das sozialdemokratisch regierte Hessen gestellt, das von dem neuen Fernsehen wirtschaftlich und kulturell enorm hätte profitieren können. Anstatt zu verhandeln, um mit der Bundesregierung Einvernehmen zu erzielen, was durchaus möglich gewesen wäre, war man wild entschlossen, das Ganze zu verhindern.
Aus ideologischen Gründen. Denn dieses Fernsehen wäre ja „kapitalistisch“ gewesen. Heute fragt kein Mensch mehr danach, nicht einmal "Die Linke" ist gegen RTL, Sat 1 und die anderen Privatsender. Die SPD betrieb Prinzipienreiterei und sägte den Ast ab, auf dem man in Hessen schon saß. Diese Kurzsichtigkeit in Sachen Medienkompetenz wiederholte sich später noch oft.
Plötzlich und unvorbereitet in Zugzwang gebracht
Die damals "siegreichen" Bundesländer aber sahen sich plötzlich - erstaunlicherweise völlig unvorbereitet - vor die Aufgabe gestellt, nun das zweite Fernsehprogramm in eigener Initiative veranstalten zu müssen. In der allgemeinen Verwirrung profilierte sich Ministerpräsident Altmeier in Rheinland-Pfalz.
Ich will auch einen "Sender" haben
Er hatte auch ein treffendes Argument bei der Hand: Rheinland-Pfalz war das einzige Bundesland ohne eine Rundfunkanstalt des öffentlichen Rechts, denn Mainz war in der ARD nur ein Anhängsel an den Südwestfunk in Baden-Baden. Die übrigen Ministerpräsidenten waren froh, dass sich jemand für das ungeliebte Kind interessierte, und so wurde kurzerhand Mainz als Sitz des künftigen Länderfernsehens festgeschrieben.
Der Staatsvertrag vom 6. Juni 1961
Den Staatsvertrag über die „Errichtung der Anstalt des öffentlichen Rechts Zweites Deutsches Fernsehen“ besiegelten die 11 Bundesländer am 6. Juni 1961. Mitte Juli 1961 beschloß die Gesellschaft Freies Fernsehen die Liquidation. Damit endete das Engagement in Eschborn. Das neue Zweite Deutsche Fernsehen in Mainz besaß in Sachen Fernsehen rein gar nichts. Es hatte sich dort nur in der Staatskanzlei ein Büro zur Vorbereitung eingerichtet. Völlig unmöglich wäre es gewesen, den Wunsch der Ministerpräsidenten nachzukommen, mit dem zweiten Fernsehprogramm ab 1. Juli 1962 zu beginnen.
Um überhaupt die Chance zu haben, einen Sendebetrieb durchführen zu können, blieb den Mainzern nichts anderes übrig, als ihren Blick nach Eschborn zu richten, wo eine funktionstüchtige Anlage im Dornröschenschlaf dahindämmerte. Es gelang, die gesamte Technik der FFG und das Gelände zu dem geringen Preis von etwa 17 Millionen DM zu übernehmen. Und immerhin war man so klug, die bereits ausgesprochenen Kündigungen für ca. 50 Mitarbeiter zurückzunehmen, damit die Anlage weiter betreut werden konnte. Die Anstalt des öffentlichen Rechts bekam also eine voll betriebsfähige und mit modernster Technik ausgestattete Sendestelle von einem privatwirtschaftlich geplanten Fernsehen auf silbernem Tablett gereicht. Doch bis alle organisatorischen Hürden genommen und die Frage der Finanzierung einigermaßen geklärt worden waren, verging noch viel Zeit.
Am 1. April 1963 - die 1. Sendung aus der Scheune
Erst am 1. April 1963 eröffnete Intendant Professor Karl Holzamer das ZDF-Programm, und zwar aus dem Eschborner Studio, der umgebauten Scheune. Einen Tag später erschienen zum ersten Mal die Mainzelmännchen als Markenzeichen der Mainzer Anstalt auf dem Bildschirm - sie waren in Wiesbaden entworfen worden und kamen in Eschborn zur Welt.
Neben der Sendestelle hatte das ZDF auch den Gedanken adaptiert, das aktuelle Filmmaterial, genannt Nif (Nachricht im Film), das auf dem Flughafen Frankfurt eintraf, sofort per Kurierfahrzeug ins Studio nach Eschborn zu schaffen.
Ja, besonders eilige Filme für die „heute-Nachrichten“ kamen sogar per Hubschrauber vom Frankfurter Flughafen nach Eschborn, wo sie an Fallschirmen über dem Fernsehgelände abgeworfen wurden. Später richtete das ZDF aufgrund der guten Erfahrungen für die schnelle Abwicklung des Transfers sogar ein eigenes Büro auf dem Flughafen und einen Hubschrauberlandeplatz auf dem Mainzer Lerchenberg ein.
Auch beim ZDF - immer noch „Telesibirsk“
Trotz aller Pionierleistung blieb die Anlage in Eschborn ein Provisorium. Bei Matsch, Schnee und Regenwetter war es immer noch „Telesibirsk“. Es fehlte auch an Produktionsräumen. Es galt, die Probleme schnell anzupacken, denn das zunächst vierstündige Programm sollte ausgeweitet werden. Der Sitz der Anstalt war zwar Mainz, aber es war illusorisch, dort den Sendebetrieb durchführen zu können. Wieder fand sich eine Lösung im benachbarten Hessen: Das Filmgelände der Taunusfilm in Wiesbaden. Hier entstand die neue Sendezentrale.
Der Umzug nach Wiesbaden im April 1964
Nach einem Anfangsjahr in Eschborn siedelte das ZDF um nach Wiesbaden und sendete von dort ab 1. April 1964. Die letzte Sendung aus Eschborn waren die „heute- Nachrichten“ am 9. April 1964. Aber der AÜ-Betrieb (Außenübertragung) blieb noch für längere Zeit in Eschborn, da es für den Fuhrpark mit den Übertragungswagen weder in Wiesbaden noch in Mainz einen Platz gab. Mit dem AÜ-Betrieb wurde Eschborn zu einem Experimentierfeld, nicht nur, was die Technik betraf, die den Anforderungen des Transports über Landstraßen und Holperstrecken standhalten mußte, sondern auch für Sendeformate. Die komplizierte Schusstechnik der späteren großen ZDF-Spielshow „Der Goldene Schuß“, die Koppelung einer Armbrust mit einer Fernsehkamera, wurde zum Beispiel in Eschborn entwickelt. Die erste Sendung fand in der Nachbarschaft statt; sie kam aus der Jahrhunderthalle in Höchst.
Was hätte aus Eschborn alles werden können . . .
So war für einige Jahre Eschborn ein bedeutender Standort für das deutsche Fernsehen. Von hier startete das ZDF. Aber hier wurde auch der Versuch gemacht, in Deutschland privatwirtschaftliches Fernsehen zu etablieren. Dass es zum Scheitern gebracht wurde, hat eine bedeutende Entwicklung verhindert. Was 1961 in Eschborn hätte beginnen können, brauchte 23 Jahre, bis es sich verwirklichen ließ. Erst im Zuge der Verkabelung größerer Gebiete bekamen private Fernsehsender 1984 wieder eine Chance. Zugleich brachten Fernsehsatelliten die alte, begrenzte Übertragungsform ins Wanken. Ab 1985 gab es die heute bekannten Sat 1 und RTL. Wäre damals das zweite deutsche Fernsehen auf privater Basis entstanden ... vielleicht säße das große Unternehmen heute noch in Eschborn „am Flughafen“.
Günter Bartosch im Jahr 2008
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