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aus der FUNK-TECHNIK Nr. 11/1948 (1. Juni Heft)
Das Editorial

Nr. 11/1948 - 3. JAHRGANG

Exportbereite Elektroindustrie

Der Bedarf an elektrotechnischer Ausrüstung ist in aller Welt so groß, daß die bestehenden Fabriken ihn nur zu einem Teil decken können. Diesen Teil sucht sich jedes Unternehmen nach dem Prinzip des freien Wettbewerbs heraus. Massenartikel, die guten Gewinn versprechen, sind keineswegs knapp, denn ihre Herstellung macht keine Schwierigkeiten. Anders liegt es dagegen bei den Dingen, in denen Entwicklungsarbeit und Risiko stecken. Hier ist die Zahl der Hersteller bedeutend kleiner, und sie suchen sich aus dem großen Kuchen des Auftragsbestandes die Rosinen heraus.

Die ganze Welt schreit z. B. nach Kraftwerken, aber es ist ungeheuer schwierig, Aufträge auf Turbinen, Generatoren, Transformatoren, Schaltzeug usw. mit erträglichen Lieferzeiten zu vergeben. Nur die repräsentativen Aufträge bilden eine Ausnahme, wenn etwa das Kraftwerk Assuan in Ägypten seine Ausrüstung in Auftrag geben will.

Der „kleine Mann" unter den Energiehungrigen hat kaum eine Aussicht, in der Käuferschlange einen annehmbaren Platz zugeteilt zu bekommen. Wenn die großen Universalunternehmen der internationalen Elektroindustrie, wie es z. B. die General Electric Co, die Westinghouse Corp, die englische Firma Thomson-Houston, die schwedische Asea oder die Schweizer Brown-Boveri sind, in erster Linie die Aufträge aus ihren eigenen Ländern oder die ihrer ältesten Kunden bevorzugen, so ist das wohl zu verstehen. Aber inzwischen ist ein neuer Kreis von Abnehmern in Gestalt der jetzt erst zur Industrialisierung übergehenden Länder entstanden, und endlich sind zahlreichen bedeutenden Interessenten für elektrotechnische Erzeugnisse ihre Beziehungen zu ihren früheren Lieferanten abgeschnitten worden.

Wir meinen damit alle jene Länder, die bis zum Kriege in Deutschland ihren Bedarf zu decken pflegten. Sie klopfen jetzt mit ihren größeren und kleineren Aufträgen bei den Fabriken anderer Länder an, meist um zu hören, daß man sie erst später berücksichtigen kann.

Die Chance nutzen

Die große Chance der Elektroindustrie Deutschlands liegt darin, die Aufträge auszuführen, die gegenwärtig anderweitig kaum unterzubringen sind. In den meisten Fällen wird es sich dabei um Abnehmer in solchen Ländern handeln, mit denen schon seit jeher Verbindungen bestanden haben.

Für eine erfolgreiche Betätigung Deutschlands gibt es teils günstige, teils ungünstige Voraussetzungen. Günstig ist in erster Linie, daß die elektrotechnische Industrie ihr Niveau gehalten hat und in einen internationalen Wettbewerb mit Erfolg eintreten kann. Selbst während des Krieges hat die Entwicklungsarbeit nicht geruht, weil die Elektroindustrie durchweg auf ihren alten Gebieten hatte weiterarbeiten können.

Was die großen und mittleren Unternehmen heute herzustellen vermögen, kann als „Friedensware" bezeichnet werden, obschon manchmal natürlich auch zur Deckung dringendsten Bedarfs Dinge hergestellt werden mußten und müssen, die nur als Notbehelf angesehen werden können. Viele Entwicklungen, die während des Krieges weitergetrieben wurden, werden jetzt geradezu aktuell. Das trifft insbesondere für die Radio-Industrie zu, die entwicklungsmäßig, konstruktiv und fertigungstechnisch jetzt wesentlich weiter ist, als vor dem Kriege.

Erwähnt sei auch z. B. die Energieübertragung mit Drehstrom von 400kV oder mit hochgespanntem Gleichstrom, sowie die Mehrfachausnutzung von Freileitungen und Kabeln mit den Hilfsmitteln der Trägerfrequenztechnik.

Noch ist den Deutschen nicht alles erlaubt

Genannt seien weiterhin die Fortschrittsarbeit im Bau von Höchstdruckkraftwerken und die Einrichtungen der Verbundwirtschaft, die zum überwachen und Bedienen abgelegener Kraftwerke dienen. Auch seien die Mittel der drahtlosen Technik erwähnt, deren Herstellung zwar gegenwärtig zum Teil verboten ist.

Sogar die im Kriege vielfach entdeckten Ausweichmöglichkeiten auf andere Werkstoffe kommen der friedensmäßigen Wirtschaft zugute, wobei z. B. an die Fortschritte bei den keramischen Werkstoffen gedacht sei.

Auch z. B. der Ersatz von Bleimänteln bei Kabeln durch solche aus Reinstaluminium wird ohne Zweifel Bedeutung behalten, da die Kabel leichter werden und das Blei zusehends knapper wird.

Die Kunststoffe sind eigentlich erst unter dem Zwange des Krieges so gründlich durchgearbeitet worden, daß sie jetzt an erster Stelle in der Werkstoffliste der Elektrotechnik stehen. Ausgesprochene Ersatz-Werkstoffe haben natürlich mit dem Ende des Krieges ausgespielt, aber z. B. werden Ersparnisse an Kupfer überall willkommen sein, da es sich herausgestellt hat, daß die Produktion mit dem „Bedarfsstoß" zunächst nicht mitkommt.

Unterschiede zwischen den Westzonen und Berlin

Auf der Passivseite der Elektroindustrie ist ohne weiteres die Zerstörung und die Demontage großer Teile der Fabrikeinrichtungen zu erwähnen, worunter vor allem die Berliner Unternehmen gelitten haben.

Trotzdem konnten sie, mit Unterstützung der Westzonen, ihre Ausrüstung wieder so weit herrichten, daß man dem fertigen Erzeugnis den Mangel nicht ansieht. Es weiß vielmehr nur noch der herstellende Ingenieur, daß ihm die Fabrikation größere Sorgen gemacht hat, weil z. B. eine Revolver-Drehbank kein Automat ist oder ein Schraubenzieher keinen Motorantrieb hat.

Der Exportkunde Deutschlands muß selbstverständlich das Material mitbringen, sei es in natura, sei es in Gestalt von Devisen zu seiner Beschaffung. Aber der Anteil ist ja bekanntlich im Durchschnitt nicht groß. Dann sind noch eine Reihe von Momenten zu erwähnen, die zwar nicht im Zuständigkeitsbereich der Industrie selbst liegen, sich aber ungünstig auswirken. Immer wieder klagen die Unternehmen darüber, daß sie ihre Auslandsaufträge nicht ausführen können, weil die Käufer schließlich doch nicht die Importlizenz ihres Landes erhielten. Diese Schranken, die sich zumeist aus der Vorschrift, nur in Dollar zu fakturieren, ergeben haben, werden aller Voraussicht nach allmählich abgebaut werden.

Die diesjährige Exportmesse Hannover hat schon unter bedeutend günstigeren "Auspizien" angefangen als die des vergangenen Jahres. Die Aussteller aus der Elektroindustrie sind sich darüber klar, daß sich nur mit besten Ausführungen das Geschäft machen läßt. Mancher Aussteller wird zwar zornig daran denken, daß viele Aufträge, die er auf der letzten Messe hereingenommen hat, aus Gründen, die er nicht zu vertreten hat, storniert wurden. Aber er wird darüber nicht vergessen, daß die Elektroindustrie in erster Linie die Fäden Deutschlands zur Welt wieder zu knüpfen hat. G. H. N.

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