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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil I - KAPITEL 10
"BLÜTEZEIT (der Stummfilme)"

Von Kunst, Geschäft und Duldsamkeit / Von Schematisierung und sauberer Technik / Von Fritz Lang und dem Welterfolg / Vom Segen guter Durchschnittsware / Von den Russenfilmen und ihrem deutschen Echo / Vom Alten Fritz und dem Nibelungendrachen / Von nicht so finsteren Hintergedanken / Von Murnaus Meisterwerk.

Die Blütezeit des deutschen Stummfilms - unbestimmt

Nun wollen wir sehen, wie in Deutschland und anderswo jene schwierige Synthese zwischen künstlerischer Integrität und großem Publikumserfolg gesucht und von Zeit zu Zeit gefunden wurde.

Freilich müssen wir uns davor hüten, solche Feiertage des Films in das starre Schema zu pressen, das durch eine Kapitelüberschrift gegeben ist.

Feiertage pflegen durch einen mehr oder minder belanglosen Alltag unterbrochen zu werden, um dann wieder, manchmal ganz unverhofft, in festliche Erscheinung zu treten.

Man kann also nicht sagen, die Blütezeit des deutschen Stummfilms habe zu diesem oder zu jenem Zeitpunkt angefangen und nach diesem oder jenem Film aufgehört.

Eine Vorblüte und eine Nachblüte

Es gab eine Vorblüte und eine Nachblüte, und es gab Rückschritte und Scheinblüten. Immerhin kommt man der Wahrheit ziemlich nahe, wenn man sagt, daß die große Zeit des deutschen Stummfilms mit Fritz Langs "Der müde Tod" anfing und mit den großen Murnau-Filmen, Mitte der zwanziger Jahre, zu Ende ging.

Der Kenner jener schon längst historischen und doch noch in der Erinnerung von vielen Zeitgenossen sehr lebendigen Periode könnte hier sofort einen der wirklichen oder scheinbaren Widersprüche aufdecken, denen wir oft genug begegnen: er könnte einwenden, daß doch gerade inmitten jenes von mir als „Blütezeit" bezeichneten Zeitraums der deutsche Film einige seiner bedeutendsten Persönlichkeiten verloren habe.

Der große Exodus nach "Dollarika" = Hollywood

Das ist ein sehr berechtigter Einwand, denn der große Exodus nach Dollarika fiel gerade in jene Zeit, obschon dabei zu bedenken ist, daß ja schon vorher, also anfangs der zwanziger Jahre, der Berg gewissermaßen zu Mohammed kam, die Amerikaner also nicht nur begannen, ihre eigenen Vertriebsorganisationen in Deutschland aufzumachen, sondern sich auch an der deutschen Produktion beteiligten.

Es war ja Inflation, und die Produktionskosten waren in Deutschland erheblich geringer als in Hollywood, trotz dem keineswegs kleinlichen Stil, mit dem die E.F.A. (Europäische Film Allianz) amerikanischerseits gegründet wurde und sogar eigene Ateliers am Berliner Zoo mietete.

Aber die Amerikaner waren vor allem daran interessiert, die besten deutschen Regisseure und Stars nach Hollywood zu engagieren; und sie taten das gewiß nicht nur aus dem positiven Grunde, sich wertvolle Kräfte zu sichern, sondern auch aus dem negativen Grunde eben diese Kräfte der gefährlichen Konkurrenz zu entziehen.

Lubitsch ging als erster . . . .

und im Laufe der Jahre folgten Jannings und die Negri, Alexander Korda und seine damalige Frau, die Schauspielerin Maria Corda, Paul Leni, Lothar Mendes, Lya de Putti, Paul Ludwig Stein, Lajos Biro, Ludwig Berger und viele andere, die zwar ausnahmslos drüben sehr viele Dollars verdienten, aber gewiß nicht ausnahmslos Gelegenheit hatten, sich künstlerisch in ihrem eigenen Sinne zu entfalten.

Die schwierige Synthese zwischen Kunst und Geschäft

Trotzdem wäre es falsch, sich allzusehr über die Unterdrückung künstlerischer Impulse durch sture Geschäftemacher zu ereifern; denn erstens wäre das nur eine Halbwahrheit, da ja die Impulse, die von diesen Künstlern ausgingen, fast nie ganz ungenützt blieben; vor allem aber ziemt es sich immer, ein wenig Duldsamkeit zu üben, wenn es sich um jene schwierige Synthese zwischen Kunst und Geschäft handelt.

Daß ich hier die Kunst vor das Geschäft gesetzt habe, zeugt schon von einer Unduldsamkeit, die freilich sehr begreiflich ist, denn wir haben es ja leicht genug, die Steine des Anstoßes zu registrieren und entrüstet zurückzupfeffern, solange wir nicht selbst in jenem überaus kostspieligen Glashaus sitzen, in dem jede Arbeitsstunde ein Vermögen kostet und jede Überstunde doppelt bezahlt werden muß.

Auch ein Film muß die Kosten wieder hereinbringen

Bedenken wir die vorhin erwähnte (und leider von der literarischen Kritik so oft vergessene) Binsenwahrheit, daß ein Film, um die Kosten wieder hereinzubringen, ein Millionenpublikum an die Kinokasse locken muß.

Und selbst wenn es einen Mäzen gäbe wie den Bayernkönig Ludwig IL, einen, der es sich leisten könnte, nur für sich und einen erlesenen Freundeskreis ohne jede Rücksicht auf den „Publikumsgeschmack" ein nach seinen Begriffen vollkommenes Filmkunstwerk herstellen zu lassen, dann müßte man sich noch immer fragen, ob denn das wirklich so begrüßenswert wäre.

Ein Film, der keine Existenzberechtigung hätte ?

Ein Film, der sozusagen unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheint, weil er für die große Masse „zu hoch" ist - ein solcher Film hätte seinen Zweck verfehlt: er hätte keine Existenzberechtigung.

Im übrigen brauchen wir gar nicht auf einen König Ludwig zurückzugreifen - der ja in Wirklichkeit durchaus nichts „Abwegiges" inszenieren ließ, sondern nur die besonders exquisite Aufführung von Wagner-Opern veranlaßte, die später ohnehin ihr Massenpublikum fanden -, sondern wir können konkrete Beispiele aus der Filmgeschichte finden für den zwar seltenen, aber immerhin vorkommenden Fall, daß die künstlerische Konzeption und die finanzielle Verantwortung in einer Persönlichkeit vereinigt wurde; denn nur dann ist die Möglichkeit jener schwierigen Synthese zwischen Kunst und Geschäft wirklich gegeben oder doch erheblich erleichtert.

Ein paar der wenigen Beispiele

Die Beispiele hierfür sind gewiß nicht allzu häufig, und eines aus der jüngeren Vergangenheit bietet Korda; aber der unabhängige Produzent Sir Alex Korda tritt ja erst in der Tonfilmzeit in Erscheinung, und der Regisseur Alexander Korda, der in der Stummfilmzeit für die Sascha, für die UFA und andere deutsche Firmen und später für Hollywood arbeitete, war alles andere als künstlerisch unabhängig.

Er durfte zwar für die Deutsche Fox mit "Madame wünscht keine Kinder" einen Film nach seinem eigenen Kopf machen, einen Film voll Witz und Charme; der „trotzdem" ein Geschäft wurde; in Hollywood dagegen konnte er sich keineswegs entfalten, und erst Jahre später, in London, begann die große Karriere, die ihn zu einem der bedeutendsten Filmproduzenten machte.

Ein sehr bezeichnendes kleines Erlebnis von Korda

Das freilich gehört nicht in diesen Band, und so sei hier nur ein für die Persönlichkeit Kordas sehr bezeichnendes kleines Erlebnis notiert, das ich kurz vor seiner ersten Abreise nach Hollywood hatte.

Ich war damals (1925) deutscher „Pressechef" bei der First National, der großen amerikanischen Firma, die Korda engagiert hatte. Da er noch nicht Englisch sprach und von Amerika und Hollywood wenig wußte, kam er mit seinem ellenlangen (und von ihm noch nicht unterschriebenen) Vertrag zu mir und ließ sich die wichtigsten Punkte übersetzen.

Dann wollte er wissen, ob man mit 350 Dollar pro Woche - das war, glaube ich, seine Anfangsgage - drüben leben könne.

350 Dollar pro Woche - muß man dabei verhungern ?

Ich meinte, daß er damit nicht verhungern würde, daß ja schließlich auch seine Frau eine (etwas höhere) Gage bekäme und daß nach sechs Monaten die erste Erhöhung fällig sei; worauf er seine Frage folgendermaßen präzisierte:

„Sehen Sie", sagte er mit jenem charmanten Akzent, mit dem er allezeit Deutsch, Englisch und Französisch gleichermaßen fließend sprach, und gleichermaßen ungarisch gefärbt, „in Wien hab' ich im Imperial gewohnt, bei Sacher gegessen und bei Knicze arbeiten lassen. Hier wohne ich im Eden, esse im Bristol und gehe zu Stawropulos. Kann ich das in Hollywood auch - mit diesem Vertrag?"

Ich verneinte das, fügte aber hinzu, daß die Lebens- und Arbeitsbedingungen ganz andere seien und daß dieser Vertrag nur als ein Sprungbrett gewertet werden könne.

„Na schön", meinte er, „dann werd' ich halt unterschreiben. Wenn man mich drüben nicht machen läßt, was ich will, komme ich eben zurück."

Man ließ ihn nicht, und er kam zurück. Er war eben damals noch nicht „prominent" genug, um sich gegen die geheiligte Routine der Machthaber von Hollywood durchzusetzen; das konnte er erst ein paar Jahre später, als er in England seinen Weltruhm begründet hatte und der große „Sir Alex" geworden war.

Die Zwänge von einem halben Dutzend Riesen- (Film-) firmen

Es wäre nun einfach genug, sich über die Phantasielosigkeit der Filmmagnaten zu ereifern, die jeden eigenwilligen künstlerischen Impuls im Keim ersticken und nur darauf bedacht sind, ihre Filme gewissermaßen am laufenden Band herzustellen.

Aber bedenken wir das Quäntchen Duldsamkeit, das wir uns gelobt haben!

Wenn eine in knapp einem halben Dutzend Riesenfirmen zentralisierte Industrie so groß geworden war, daß sie (in der Stummfilmzeit) alljährlich Hunderte von Filmen herausbringen mußte, um allwöchentlich Zehntausende von Kinotheatern im eigenen Lande sowie eine weltweite Vertriebsorganisation zu beliefern, dann war eben ein erhebliches Maß von Schematisierung unvermeidlich.

Es gab auch Vorteile - zum Beispiel das Nacharbeiten

Man mag es bedauern, muß es aber als eine logische Folge der nun einmal fest verankerten industriellen Struktur von Hollywood hinnehmen; und es hatte ja bei vielen Nachteilen (die bei einer weniger stark zentralisierten Produktion vermeidbar wären) den einen Vorteil, daß mit einem gewissen Mindestmaß von technischer Vollkommenheit zu rechnen war.

Wenn ein schon als fertig gelieferter Film diesem Mindestmaß nicht entsprach, dann konnte Hollywood es sich leisten, wieder und wieder „Nachaufnahmen" machen zu lassen oder gar, wenn der Fall sich als hoffnungslos herausstellte, den Film einfach wegzuwerfen.

Der Hang zur technischen Vollkommenheit war oft teuer

Der Fachausdruck dafür heißt „to shelve a film", ihn also gewissermaßen „abzulegen". Das kam (in der Stummfilmzeit) gar nicht so selten vor, wie man annehmen möchte, und ich erinnere mich des über einen gewissen „Großfilm" in Hollywood kursierenden Gerüchts, er sei so schlecht geraten, daß man noch Nachaufnahmen machen müsse, bevor man ihn ablegen könne.

Das war natürlich ein gegen die Produktionsmethode eines gewissen Riesenkonzerns gerichteter Witz, aber er ist recht bezeichnend für jenen Hang zur technischen Vollkommenheit.

Man kann mit Technik allein den fehlenden Geist nicht ersetzen

Nun ließe sich mit Recht einwenden, daß man mit Technik allein den fehlenden Geist nicht ersetzen könne und mit spiegelblanker Politur nicht den Mangel an Substanz; aber auch in Hollywood gab und gibt es immer wieder Produktionschefs, die für die künstlerischen Absichten des einen oder anderen Regisseurs oder Schriftstellers einiges Verständnis aufbringen und damit jener schwierigen Synthese zwischen Geschäft und Kunst ziemlich nahekommen.

Manchmal gibt es sogar den schon erwähnten Idealfall, daß die finanzielle und künstlerische Verantwortung in einer Person vereinigt ist, und das klassische Beispiel dafür ist Chaplin, über dessen Persönlichkeit und Arbeitsmethoden schon einiges gesagt wurde.

Charly Chaplin - die große Ausnahme

Er war ja nicht nur der „Star" seiner Filme, sondern hat jeden von ihnen von der ersten Ideenskizze am Schreibtisch bis zur letzten Klebestelle im Schneideraum und in der Kopieranstalt geschaffen.

Eine so intensive und ausschließliche Verbundenheit mit dem Gesamtwerk ist natürlich eine Ausnahme, aber es ist gewiß für jeden Film von Vorteil, wenn der Regisseur zumindest an der Drehbucharbeit entscheidenden Anteil hat; und es ist gewiß kein ZUFAll, daß fast ausnahmslos gerade die bedeutendsten Regisseure „gelernte" Drehbuchschreiber sind.

Auch Fritz Lang ist solch ein Besipiel

Fritz Lang war sogar erst Lektor und Dramaturg, bevor er Drehbuchautor wurde und schließlich zur Regie kam; er hat (mit seiner späteren Frau Thea von Harbou) am Manuskript von "Das Indische Grabmal" mitgearbeitet, also zu einer Zeit, als er schon ein bekannter Regisseur war, aber er hat schon lange vor seiner ersten Regie eine ganze Menge Drehbücher geschrieben.

Einige sind von Otto Rippert, einem der ältesten Veteranen unter den deutschen Regisseuren, inszeniert worden, die meisten aber waren entweder für Joe May oder für Erich Pommer, dessen Decla damals noch nicht zur UFA gehörte.

Zu schreiben begann er 1916 in einem Lazarett

Langs allererstes Manuskript entstand schon 1916 in einem Wiener Lazarett, in dem er seine als österreichischer Frontoffizier erlittenen Verwundungen auskurierte. Der Film hieß "Die Hochzeit im Exzentrik Klub", eine der vielen Detektivgeschichten, die Joe May in jener Zeit inszenierte.

Aber schon Langs nächstes Manuskript für May, "Hilde Warren und der Tod", war geistig sehr viel anspruchsvoller und thematisch gewissermaßen der Vorläufer seiner ersten großen Regieaufgabe: "Der müde Tod".

Es ist überhaupt sehr bezeichnend für Lang, daß die Thematik seiner späteren weltberühmten Filme schon in den allerersten Arbeiten zu finden ist.

Das Thema der „femme fatale" findet sich schon in "Pest in Florenz" und "Die Frau mit den Orchideen", beide unter Pommers Ägide bei der Decla entstanden, beide von Lang nur geschrieben, vom alten Rippert inszeniert und mit Carl Hoffmann an der Kamera, der sich bald zu einem der bedeutendsten deutschen Operateure entwickeln sollte.

1919 - ein ungemein fruchtbaren Jahr für Fritz Lang

Auch das Mabuse-Thema des machtbesessenen Überverbrechers und Schatzgräbers findet sich schon in einem Film dieses für Fritz Lang so ungemein fruchtbaren Jahres 1919 oder vielmehr in zwei Filmen, "Die Spinne" und "Das Brillantenschiff", denn der Stoff wurde in der damals so beliebten Form des Serienfilms gestaltet.

Es sollten ursprünglich sogar vier abendfüllende Teile werden, „Der goldene See", „Das Sklavenschiff", „Das Geheimnis der Sphynx" und „Um Asiens Kaiserkrone", aber Lang machte es schließlich etwas billiger und begnügte sich mit zwei Teilen.

Was diesen Film freilich heute noch bemerkenswert macht, ist die Tatsache, daß Fritz Lang zum erstenmal nicht nur schrieb (und sich als gelernter Maler sehr intensiv an den Bauentwürfen beteiligte), sondern auch Regie führte.

Das hatte er sich bei Pommer ausbedungen. Jetzt hatte er endlich sein Ziel erreicht, er fand den Startplatz, von dem er zur Erfüllung seiner ehrgeizigen Wünsche aufbrechen konnte.

Filme von Fritz Lang

Aber vorher (1920) schrieb er noch einmal für einen Filmregisseur ein Manuskript: für Joe May "Das Indische Grabmal"; dafür wurde ihm dann Mia als Star für seine zweite Regie gegeben: "Das wandernde Bild" - wieder typisch Lang-Harbousche Thematik einer Madonna, welche in einem Dorf erscheint und von der wundergläubigen Bevölkerung, nachdem ein todkrankes Kind genesen ist, für die Jungfrau Maria gehalten wird.

Fritz Lang war jetzt reif für "Der müde Tod"

Dann kam "Vier um die Frau" - wieder das Thema der „femme fatale" - und jetzt endlich, im Jahre 1921, war Fritz Lang reif für "Der müde Tod", der in den meisten Geschichtswerken als sein erster Film genannt wird.

Das war er ja nun bestimmt nicht, aber er war gewiß Lang-Harbous erster Welterfolg, besonders in Frankreich und England. Dort sang ihnen die literarische Presse Dithyramben : „Der Geist von Dürer und Grünewald schwebt über diesem phantastischen und wahrhaft dichterischen Kunstwerk", schrieb einer der vielen Kritiker, die von der Thematik nicht minder beeindruckt waren als vom Hintergrund.

In Bagdad, in China und im Venedig der Renaissance bekommt ein Mädchen dreimal die Möglichkeit, dem Tod das Leben ihres Geliebten abzutrotzen, aber sie vermag auch um dieses Preises willen nicht das Leben eines Kindes zu opfern, welches sie den Flammen entrissen hat. Sie beschließt, dem Geliebten zu folgen: Die Liebe hat über den Tod gesiegt.

In der Tat ein Stoff, der nicht nur des mangelnden „happy end" wegen sehr weit von der Schablone von Hollywood entfernt ist. Trotzdem hat damals Douglas Fairbanks die amerikanischen Rechte erworben, freilich nicht, um den Film in Kansas City oder in Texas vorführen zu lassen - er wurde nur vor erlesenem Publikum in New York und Hollywood gezeigt -, sondern nur, um einige der Trickaufnahmen für seinen eigenen Film, Der Dieb von Bagdad, zu benutzen.

Die schwierige Synthese von Kunst und Geschäft

Immerhin war Lang mit diesem Film der Lösung unserer schwierigen Synthese von Kunst und Geschäft ein gutes Stück nähergekommen, und man braucht nur die Reihenfolge umzudrehen und den Akzent auf dem „Geschäft" etwas stärker zu betonen, wenn man etwa die Meinung vertreten will, daß ihm die Synthese später bei "Mabuse", bei den "Nibelungen" und bei "Metropolis" noch besser gelungen sei.

Denn auch das waren ja „Kassenerfolge", und wenn die UFA trotzdem an Metropolis Millionen verloren hat, so lag das einfach daran, daß die Herstellung zu teuer war, um überhaupt rentabel sein zu können; zumal ja der einzige Auslandsmarkt, der auch die riesigsten Kosten einspielen konnte, praktisch ausfiel; denn die Amerikaner lobten zwar "Metropolis" und die anderen großen UFA-Filme über den grünen Klee, sie „kauften" sie sogar; aber da solche Filme fast nur in ein paar Premierentheatern liefen und allenfalls noch in ein paar großstädtischen Spezialtheatern für ausländische oder sonstwie „ausgefallene" Spitzenfilme, so war das finanzielle Ergebnis verhältnismäßig mager.

Denn wirklich großes Geld ist auf dem USA-Markt natürlich nur zu erzielen, wenn ein Film von mindestens einem der großen Theaterkonzerne durch seine Hunderte von Provinztheatern geschleust wird, so wie das für die Ware - auch die Dutzendware - des jeweils damit verbundenen großen Hollywoodkonzerns geschieht.

Schlimm für die UFA-Bilanz - gut fürs Publikum

Das war zwar schlimm für die UFA-Bilanz; aber für das Publikum und für die filmgeschichtliche Entwicklung war es ein Gewinn; denn es kommt ja wesentlich auf die künstlerischen Impulse an, die von solchen „Spitzenfilmen" auf die Durchschnittsproduktion ausstrahlen; oder, um es ganz genau zu sagen: es kommt auf die dramaturgischen, kameratechnischen und baulichen Anregungen an, von denen alle Filmschaffenden jener „Blütezeit", also auch die Durchschnittsleute, profitiert haben.

Denn auch in der Filmdiät lebt man ja nicht von Kuchen und Kaviar allein, das Kinopublikum braucht das alltägliche Brot des Durchschnittsfilms; und ein spannender Detektivfilm, eine gute Abenteuerserie, ein anregender Sensationsfilm oder ein handfester und sauber gezimmerter Operettenfilm ist allemal einer „Literastik" vorzuziehen, die mit aller Gewalt „künstlerisch" sein will, aber meistens im prätentiösen Talmi steckenbleibt.

1920er Jahre - Unterhaltungsfilme oder auch Kitsch

Auch an handfesten Unterhaltungsfilmen, und gerade an solchen, hat es in jener Blütezeit des Stummfilms nicht gefehlt - man denke nur an "Bruno Kästner" und "Harry Viel", der eine der Schwärm der kleinen Mädchen, der andere der Abgott der kleinen (und großen) Jungen.

Von der Popularität gerade dieser beiden Stars kann man sich heute kaum noch einen Begriff machen, wenn man nicht zu denen gehört, die schon in den 1920ziger Jahren „kinoreif" waren.

Von denen wird mancher heute (in 1956) vielleicht die Nase rümpfen, wenn er an Bruno Kastner denkt, und lächelnd das Wort „Kitsch" murmeln. Da kann man gewiß nicht widersprechen, wenn man von dem einen oder anderen seiner Filme Fetzen hervorholt, die noch in der Erinnerung haften.

Man nannte das Personifizierung einer „Ansichtskartenschönheit"

Man kann auch gewiß nicht leugnen, daß Kastner die Personifizierung jener „Ansichtskartenschönheit" vorstellte, über die man oft genug zu lächeln pflegte; aber wenn man diesen Filmschauspieler und seine Leistung über den Abstand der Jahrzehnte und als ein abgeschlossenes Kapitel der deutschen Filmgeschichte betrachtet, dann ziemt es sich wohl, anzuerkennen, daß er einige Jahre lang vielen Millionen von Menschen etwas Freude und Glanz und Farbe in ihren Alltag gebracht hat.

Man mag sich über die Beschränktheit eines schauspielerischen Rüstzeugs mokieren, das aus nicht viel mehr als einem stereotypen Lächeln bestand, einem pomadisierten Scheitel und einer messerscharfen Bügelfalte; aber schließlich war ja jener künstliche Charme, den er im Stummfilm zu entfalten verstand, genau das, was sein Publikum von ihm wollte.

Für die anspruchsvollere Forderung des Tonfilms reichte seine schauspielerische Leistung nicht aus, und er geriet schnell in Vergessenheit. Er konnte den Sturz vom Ruhmesglanz eines Stars in die Obskurität eines mittelmäßigen Schauspielers nicht verwinden und hat, kaum vierzig Jahre alt, den Freitod gewählt. Die deutsche Filmgeschichte schuldet ihm ein ehrendes Angedenken.

Harry Piel - der beliebteste „Sensationsdarsteller"

Länger als Bruno Kastner durfte Harry Piel sich im Ruhmesglanz des Filmstars sonnen; viele Jahre lang war er der bei weitem beliebteste aller deutschen „Sensationsdarsteller".

Man hat ihn sogar bisweilen den „deutschen Fairbanks" genannt, aber das war stark übertrieben. Er hatte nicht den Charme und die animalische Anmut, auch nicht die Ausdruckskraft des großen amerikanischen Kollegen.

Er war nur ein tüchtiger Akrobat, ein trainierter Sportsmann, ein guter Motorradfahrer, und er hatte den Mut, die meisten seiner „Sensationen" selbst (also ohne die Hilfe eines „Double") durchzuführen; und er war auch die Persönlichkeit dazu, um den von ihm geschaffenen Typ des tollkühnen Draufgängers glaubhaft zu machen und damit sein großes Publikum zu erfreuen.

Immerhin war es nur ein Sonderpublikum; denn es gab (und gibt) ja auch unter den regelmäßigen Kinobesuchern viele, die für Sensationsfilme nicht viel übrig haben.

Es gab sogar lehrreiche Abenteuerfilme

Dagegen gab es in jener ersten Blütezeit des deutschen Stummfilms wohl nur wenige - auch unter den „Intellektuellen" -, die sich nicht an amüsanten, unterhaltsamen und sogar auch lehrreichen Abenteuerfilmen erfreuten, wie etwa Peter Voss, der Millionendieb - lehrreich insofern, als dieser Film mit seinen sechs abendfüllenden Teilen eine ganze Weltreise umfaßte.

Und es gab Serien (Stumm-) Filme

Serienfilme waren damals ohnehin die große Mode; und zwar nicht nur in Deutschland, sondern überall und vor allem in Hollywood, wo Pearl White den gleichen Typ der schönen Abenteuerin in zahllosen „Fortsetzungen" verkörperte; aber was die Peter-Voss-Filme gewissermaßen historisch bemerkenswert macht, ist vor allem die Tatsache, daß sie in Deutschland für die großen Reisefilme Schule machten und eine Menge Nachläufer hatten, wie etwa die Ellen-Richter-Filme des Dr. Willi Wolf; dieser war Zahnarzt von Beruf, Knitteldichter und Revueautor aus Neigung und hat sich schließlich zu einem routinierten Regisseur von anspruchslos erfolgreichen Unterhaltungsfilmen entwickelt.

Einfach genug von den Pappmache Kulissen aus Tempelhof

Aber der tiefere Grund für die plötzliche Sucht des deutschen Filmpublikums nach Reisefilmen war der, daß man von der aus Pappmache in Berlin-Tempelhof und Berlin-Weißensee aufgebauten Exotik genug hatte und nunmehr die Romantik ferner Länder „echt" genießen wollte.

Man konnte gar nicht genug bekommen von Außenaufnahmen, in denen die wohlvertrauten Gestalten heimischer Filmschauspieler in einem kleinen asiatischen Basar, vor ägyptischen Pyramiden oder in einem indischen Palmengarten erschienen.

Das war unmöglich, solange man durch die Inflation „valutagebunden" war; es war also verständlich, daß man, sobald es devisentechnisch möglich war, dem Publikum gab, was es entbehrt hatte und nunmehr mit Macht begehrte; und eben deshalb hatte Georg Jacobys Peter-Voss-Serie so viele Nachläufer.

Georg Jacoby und Carl Froelich - filmhistorisch bemerkenswert

Der Name dieses Regisseurs ist aber nicht nur aus diesem Grunde filmhistorisch bemerkenswert; er ist es vor allem deshalb, weil man gewiß nicht die Finger beider Hände braucht, um die Namen der wenigen Regisseure aufzuzählen, die sich mehr als dreißig Jahre lang an der Spitze (oder doch nicht allzufern der Spitze) halten konnten.

Zu ihnen gehört Georg Jacoby, und in Deutschland gibt es wohl außer ihm noch allenfalls Carl Froelich, der eine gleichermaßen lange und fast ununterbrochen erfolgreiche Karriere aufzuweisen hat.

Froelich hat ja schon bei Oskar Messter erst als Kameramann und dann als Regisseur gearbeitet und sich später, vor allem in der Tonfilmzeit, einen Namen gemacht, der weit über die deutschen Grenzen hinausdrang.

Friedrich Zelnik machte „kassensichere" Filme

Zu den Regisseuren, die in der Blütezeit des deutschen Stummfilms (und auch noch einige Jahre später) einen großen Namen hatten, gehörte Friedrich Zelnik, der mit seiner Frau Lya Mara als Star eine lange Reihe von anspruchslosen, aber immer „kassensicheren" Filmen machte; also Filme, die so routiniert und handfest gezimmert waren wie ein „gängiger" Unterhaltungsroman.

Filme, die pünktlich, also ohne kostspielige Überstunden und Etatüberschreitungen, gedreht wurden und an denen nicht nur Regisseur und Star viel Geld verdienten, sondern an denen auch der Geldgeber seine Freude hatte; und da ja schließlich auch das Publikum seine Freude daran hatte, so ist nicht einzusehen, warum nicht das Ganze als ein durchaus erfreuliches Faktum zu buchen sei, auch wenn die literarische Presse solche Filme entweder ignoriert oder als „unkünstlerisch" abgelehnt hat.

Ein Dank an die vielen tüchtigen und routinierten Drehbuchschreiber

Ein Wort des Dankes schuldet jeder Filmfreund auch den vielen tüchtigen und routinierten Drehbuchschreibern, die zwar nie oder nur sehr selten die Gelegenheit hatten, an einem „literarischen" Stoff oder einem der großen Spitzenfilme mitzuarbeiten, deren Lebensarbeit aber, filmgeschichtlich gesehen, nicht minder wichtig ist wie die ihrer „literarisch" berühmteren Kollegen.

Man denke nur an die „Teams" Jungk und Urgiss, Juttke und Klaren, Wassermann und Schlee, an die Brüder Hans und Wolfgang Wilhelm (deren Vater Karl Wilhelm ein nicht minder routinierter Schauspieler und Regisseur war); an Hermann Kosterlitz und Billy Wilder, die beide (wenn auch nicht als „Team") manches gute Drehbuch für den deutschen Stummfilm schrieben, bevor sie zu ihrer großen Regie-Karriere in Hollywood aufbrachen; und vor allem an B. E. Lüthke, der im Laufe der Jahrzehnte viele Hunderte von sauber und handfest gezimmerten Drehbüchern geliefert hat.

Und Dank den Regisseuren

Ihnen allen, nicht minder den Regisseuren, wie Zelnik, Eich-berg, Lamprecht, Mittler, Boese, Siodmak, Bernhardt und vielen anderen, muß man danken, wenn man an die Tatsache denkt, daß, „filmhistorisch" gesehen, die tägliche Belieferung des Publikums mit sauber gebackenem, nahrhaftem (oder doch wenigstens nicht magenverstimmendem) Brot nicht unwesentlicher ist, als die gelegentliche Sonntagsspeise einer großen künstlerischen Leistung.

Vom anspruchslosen Unterhaltungsfilm zu "Die Weber"

Übrigens wurde auch Zelnik, nachdem er Dutzende von harmlos anspruchslosen Unterhaltungsfilmen gedreht hatte, vom künstlerischen Ehrgeiz gepackt und wagte sich an die Verfilmung Gerhart Hauptmanns großes schlesisches Revolutionsdrama "Die Weber".

Es war ein kühnes Unternehmen und blieb nicht ohne Widerspruch, aber es war doch ein Erfolg, nicht zuletzt dank Zelniks Vorsicht, sich für die Drehbucharbeit die Mitarbeit eines Schriftstellers von Format zu sichern, der gleichzeitig - eine seltene Koinzidenz - ein hervorragender Filmdramaturg war.

Eine noch unveröffentlichte Erinnerung an den Weber-Film

Es war Willy Haas, damals Herausgeber der „Literarischen Welt" und einer der bedeutendsten deutschen Buchkritiker. Er gab mir kurz vor der Drucklegung dieses Buches freundlicherweise eine noch unveröffentlichte Erinnerung an den Weber-Film, ein kleines Erlebnis, das einer gewissen historischen Bedeutsamkeit nicht entbehrt. Hier ist ein Auszug des Briefes, den mir Haas von seinem Redaktionssessel in Hamburgs „Welt" schickte.

"In der hundertprozentig demokratischen Tschechoslowakei unter dem alten Masaryk wurde der Weber-Film zwar nicht offiziell verboten, aber es wurde so viel herausgeschnitten, daß er völlig zusammenhanglos wurde.

Darauf kam ein Kinobesitzer in Mährisch-Ostrau auf folgende gute Idee: er lud mich (Willy Haas) für drei Tage nach Mährisch-Ostrau ein. An jedem dieser drei Tage fanden zwei Vorstellungen statt. An den Stellen, an denen die Zensur geschnitten hatte, wurde gestoppt, und ich (Willy Haas) trat in jeder Vorstellung vor die Leinwand und erzählte den Inhalt der jeweils verbotenen Szene.

Dagegen konnte die Staatsanwaltschaft nichts machen, das wäre gegen das tschechoslowakische Staatsgrundgesetz gewesen, das vollkommene Redefreiheit garantierte. So stand ich (Willy Haas) an drei Tagen bei sechs Vorstellungen und sprach zum Publikum."
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Von Hans Kyser, Bela Balacz, Ladislaus Vayda und Lajos Biro und anderen

Das dürfte in der Tat ein in der Filmgeschichte einzigartiger Fall gewesen sein, dagegen war es schon in jener Zeit keineswegs ungewöhnlich, daß hervorragende Literaten und Schriftsteller sich redlich darum bemühten, die Technik der Filmschreiberei zu lernen, um nicht nur aus eigenen Stoffen, sondern auch aus fremden Büchern ein brauchbares Drehbuch zimmern zu können. Da waren, um nur einige wenige zu nennen, Hans Kyser (der für Murnau das Drehbuch zum Faust-Film schrieb), die hervorragenden ungarischen Schriftsteller Bela Balacz, Ladislaus Vayda und vor allem Lajos Biro, der aus seinem berühmten Roman Hotel Stadt Lemberg ein nicht minder erfolgreiches Filmmanuskript machte und sich in Berlin, in Hollywood und in London zu einem der bedeutendsten Drehbuchschreiber und Filmdramaturgen entwickelte; da war Adolf Lantz, der seinen Freund Pirandello für den Film gewann und seine Drehbücher schrieb; da waren Carl Vollmoeller, Robert Liebmann, Georg Fröschel und der zu jener Zeit noch sehr junge, aber schon als Essayist und Romancier namhafte Axel Eggebrecht.

Von den Versuchen, einen Stoff rein bildlich zu gestalten

Zu den Regisseuren, die sich damals schon mit Vorliebe literarischer Drehbuchautoren bedienten, gehörte Paul Czinner, der in dem interessanten Kammerspiel Nju mit Elisabeth Bergner, Emil Jannings und Conrad Veidt ein dramaturgisch sehr interessantes Experiment machte.

Karl Grüne, der in der Straße und in Arabella filmisches Neuland suchte, Arthur Robison, dem es in dem Film Schatten gelang, und Lupu Pick, der mit geistig so anspruchsvollen Filmen wie Scherben und Silvester zu den Wegbereitern einer echten Stummfilm-Dramaturgie gehörte und einer der ersten war, der es verstand, auf die Krücke des Zwischentitels fast ganz zu verzichten.

"Die freudlose Gasse" von Georg Wilhelm

Und in eben solchen ernsthaft künstlerischen Versuchen, einen Stoff rein bildlich zu gestalten, finden wir auch die Anfänge von Georg Wilhelm Pabst, der zwar seinen internationalen Ruf wesentlich erst in der Tonfilmzeit festigte, aber auch schon in der Stummfilmzeit mindestens einen Film machte, der in mehr als einer Hinsicht als einer der historischen Wegweiser zu buchen ist: "Die freudlose Gasse".

Über das Elendsmilieu einer Wiener Hurengasse

Dieser Film - das Drehbuch schrieb Willy Haas - war schon stofflich bemerkenswert; denn das Elendsmilieu einer Wiener Hurengasse - als Anklage sozialer Mißstände und durchaus nicht mit „sex appeal" geschildert - und das keineswegs „happy end" genügten schon, um den Film abseits der Hollywoodschablone zu halten; und die war (begreiflicherweise) auch für die Durchschnittsproduktionen maßgebend, die in den Büros der Berliner Friedrichsstraße, der Londoner Wardour Street, der Pariser Champs Elysees und der Wiener Neubaugasse bestimmt wurden.

"Geheimnisse einer Seele" mit Werner Krauß, Asta Nielsen und Greta Garbo

Freilich war dieser erste große Wurf von G. W. Pabst ebensowenig ein Durchschnittsfilm wie etwa sein späterer Versuch, sich (im Jahre 1926) an die filmische Gestaltung der Psychoanalyse zu wagen; dank der markanten Ausdruckskraft von Werner Krauß wurde auch dieser Film, "Geheimnisse einer Seele", ein künstlerischer, oder sagen wir lieber, ein literarischer Erfolg-, aber die Synthese mit dem Geschäft war ihm ein Jahr vorher in der Freudlosen Gasse besser gelungen.

Dieser Film hatte zwar vielfach Zensurschwierigkeiten, aber er fand nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa - vor allem in England und Frankreich - starke Beachtung; kein Wunder, wenn man bedenkt, daß da nicht nur der große Schauspieler Werner Krauß, sondern die schon alternde Asta Nielsen und die noch sehr junge Greta Garbo auf einer Filmleinwand vereinigt waren.

Greta Garbo - zum zweitenmal „entdeckt"

Die Garbo wurde damit zum zweitenmal, nunmehr für das große europäische Publikum „entdeckt"; denn der künstlerische Triumph des Gösta-Berling-Films hatte sie zwar in ihrer schwedischen Heimat auch beim großen Publikum bekanntgemacht, in Europa aber nur in jenem verhältnismäßig kleinen Kreis, in welchem man für solche Filme Verständnis aufbrachte; vor allem natürlich bei den Filmschaffenden selbst, die sich freilich für Stillers Regie und für Jaenzons Photographie mehr interessierten als für die junge Schauspielerin mit dem sehr schönen und ungemein ausdrucksvollen Gesicht.

Der UFA Chef wählte Agnes Esterhazy anstelle Greta Garbo

Es ist eine heute von den Beteiligten wahrscheinlich vergessene, aber filmhistorisch immerhin erwähnenswerte Tatsache, daß damals einer der bedeutendsten UFA-Chefs zu entscheiden hatte, welcher von zwei jungen Schauspielerinnen ein vieljähriger (und zunächst sehr billiger) Optionsvertrag zu geben sei; er entschied sich für Agnes Esterhazy, die heute längst vergessen ist, damals aber viele Jahre lang das in sie beim Vertragsabschluß gesetzte Vertrauen rechtfertigte und sich zu einer tüchtigen Schauspielerin entwickelte.

Ihre junge Konkurrentin bei jenen Probeaufnahmen war Greta Garbo; und den Produktionschef, der sie damals ablehnte, heute zu verhöhnen, wäre billig und keineswegs gerecht; denn es ist immer leichter, sich nachträglich zu mokieren, als in einem noch wenig bewährten Schauspieler die Möglichkeiten aufzuspüren, die in ihm verborgen sind.

Die Einen lernen von den Anderen

Um auf jenen einzigen in Deutschland gedrehten Garbo-Film, "Die freudlose Gasse" zurückzukommen: auch dieser Film gehört zu den wenigen, die für ihre mittelbare, also kumulative Wirkung besonders bemerkenswert waren, eben weil die Filmschaffenden anderer Länder sich besonders dafür interessierten und einiges davon lernten.

Das gilt in diesem Falle besonders für die Russenfilme der Stumm-filmzeit, von denen ja dann auch umgekehrt der westeuropäische Film sehr erhebliche künstlerische und technische Anregungen empfing; und zwar ganz besonders, wie wir gleich sehen werden, in der Schnitt-und Kameratechnik. Aber zunächst - also noch vor der Mitte der zwanziger Jahre - waren die Russen die Lernenden, und sie waren sehr eifrige Schüler.

Pudowkin wie Eisenstein hätten viel von deutschen Filemen gelernt

Ich kann jedenfalls aus eigenem Erlebnis bestätigen, daß mir sowohl Pudowkin wie Eisenstein gesagt haben, sie hätten von der "Freudlosen Gasse", vom "Müden Tod", "Silvester" und anderen deutschen Filmen viel gelernt, besonders viel von den Schwedenfilmen, obschon kaum ein einziger je in Rußland zur öffentlichen Vorführung kam.

Wenn sich einmal eine Musterkopie nach Moskau oder Leningrad verirrte, dann wurde sie von den Filmschaffenden eifrigst studiert; aber diese wurden ja auch von Zeit zu Zeit nach Berlin, Paris und London verfrachtet, um dort an der Quelle vom europäischen Film zu lernen, was lernenswert schien.

Die meisten Anregungen bekamen sie in Berlin, aber auch in Paris haben sie Regisseuren wie Abel Gance, Marcel l'Herbier und Jacques Feyder manches abgeguckt, um dann freilich aus Eigenem noch sehr viel zur Vollendung jenes Stils beizutragen, für den die Russenfilme bemerkenswert wurden und sich in der Geschichte des Stummfilms ihre ureigene und keineswegs unwesentliche Nische zimmerten.

Nur etwas über tausend Kinos im Zarenreich

In Rußland hat sich das Kinogewerbe und die eigene Filmindustrie zunächst sehr langsam entwickelt, denn im Zarenreich gab es nur etwas über tausend Kinos und, außer ein paar Puppenfilmen von Starewitch und einigen sehr interessanten Experimenten des großen Theaterregisseurs Meyerhold, so gut wie gar keine eigene Produktion.

In den ersten Jahren nach der Revolution gab es wohl ein paar Propagandafilme, aber durch die politischen Wirren und wirtschaftlichen Schwierigkeiten verbot sich zunächst der systematische Ausbau einer Filmindustrie, obgleich Lenin das schon 1918 als eine der vordringlichen Aufgaben stipuliert hatte, er gebrauchte dabei sogar das Wort „Filmkunst"; und ein paar Jahre später, sobald es technisch möglich war, gab es in der Tat die ersten noch unter großen Schwierigkeiten hergestellten Russenfilme.

Einer der ersten Russenfilme "Polykuschka"

Der erste dieser Filme, der in Westeuropa Aufsehen erregte, war "Polykuschka", von Sanin inszeniert und von Fedor Ozep (der sich später als Regisseur in Deutschland einen Namen machte) nach einer Tolstoj-Novelle bearbeitet.

Der große Schauspieler Moskwin - obschon im Zarenreich einer der Stars in Stanislawskis berühmten Moskauer Künstlertheater - spielte die Rolle des betrunkenen Leibeigenen, welcher sich erhängt, weil er einen ihm von seinem Herrn anvertrauten Geldbetrag verloren hat.

Der Film wurde in dem strengen Winter 1921/22 in einem ungeheizten Atelier gedreht, und die „Gage" der mitwirkenden Künstler und Techniker bestand im wesentlichen aus Kartoffelsuppe und ein paar Scheiben Brot.

1923 - große materielle Not der russischen Bevölkerung

Im Jahre 1923 hat dann von Berlin aus die Internationale Arbeiterhilfe nicht nur dazu beigetragen, durch Nahrungs- und Kleidungsspenden die materielle Not der russischen Bevölkerung zu lindern, sondern sie hat auch (mit einer Beteiligung von 90%!) die neugegründete Meschrapom-Ruß-Produktion finanziert, die zunächst im Rahmen des Sovkino-Konzerns ihre Unabhängigkeit bewahrte.

Einer der ersten Filme war Puschkins "Postmeister"

Dann kam, als einer der ersten Filme, Puschkins "Postmeister" (wieder mit Moskwin) und ein sehr interessanter, nach einem Stoff des jüngeren Tolstoj (Alexis) gedrehter Film, "Aelita", für den übrigens auch deutsche Künstler engagiert wurden; eine phantastische Geschichte von Marsbewohnern, die in die frischgebackene Sowjetunion kommen.

Interessanter als der Stoff war der Stil, in welchem der aus der Pariser Emigration zurückgekehrte Regisseur Protazanow, mit den Bau- und Kostümentwürfen der Malerin Alexandra Exter, diesen Film inszenierte.

Beide standen offenbar unter dem Einfluß der deutschen Caligari-Periode und der früheren französischen Avantgarde. Die Kreuzung dieser Einflüsse und vieler eigener Ideen ergab einen etwas kubistisch anmutenden Film.

Das ist, filmhistorisch gesehen, um so interessanter, als schon ein paar Jahre später die russischen Filmschöpfer „einen veritablen Horror vor dem Caligarismus" hatten; mit genau diesen Worten hat mir das Pudowkln sowohl wie Eisenstein deutlich genug bestätigt, aber zu dieser Zeit hatten sie ja schon ihren eigenen „Russenstil" geschaffen, den sie selber als „Naturalismus" bezeichneten.

Der russische Filmbedarf durch Eigenproduktion nicht zu decken

Freilich waren dabei Pudowkin und Eisenstein keineswegs die Vorläufer und Anfänger, sondern die Erben und Vollender einer Tradition, die von Regisseuren wie Eggert und Vertow schon einige Jahre früher begonnen wurde, also zu einer Zeit (ca. 1923), als kaum viel mehr als ein Zehntel des russischen Filmbedarfs durch Eigenproduktion gedeckt war.

Dziga Vertow war ein Wochenschau-Mann

Dziga Vertow war, genau wie der große schwedische Kameramann und Produzent Julius Jaenzon, von Hause aus ein Wochenschau-Mann. Als solcher hatte der gebürtige Ukrainer sich in den Jahren des Bürgerkriegs die Sporen verdient.

Er war damals kaum zwanzig Jahre alt, aber er hat sich die Neigung, um nicht zu sagen die Leidenschaft, für „Aktualität" auch in den reiferen Jahren seiner Spielfilmregie bewahrt, und er ließ mit Vorliebe seine Filme nicht von Schauspielern und Komparsen spielen, sondern von den Arbeitern, Bauern und denjenigen Typen, deren Erlebnisse er vor ihrem eigenen, also „echten" Hintergrund gestaltete.

Er betrachtete den Regisseur gewissermaßen als einen Reporter oder vielmehr einen „Bildberichter" und das Kameraobjektiv als sein Auge.

Der Spielfilm "Der Mann mit der Filmkamera"

Vertows bekanntester Spielfilm, "Der Mann mit der Filmkamera", war ein Versuch, das Leben des Moskauer Durchschnittsmenschen von der Wiege bis zum Grabe filmisch zu gestalten; es war ein sehr interessanter Film, der offenbar stark von Walter Ruttmanns Film Berlin, die "Symphonie einer Großstadt" beeinflußt war; aber doch weder kameratechnisch - da fehlte die Meisterschaft von Ruttmanns Mitarbeiter, Karl Freund - an das Vorbild heranreichte noch in der straffen Konstruktion und dem erregenden Rhythmus, mit dem der Stoff gemeistert war.

Die Schnitt-Technik der Russenfilme

Der wesentliche Beitrag, den der „Russenstil" zur Entwicklung des Stummfilms geleistet hat, ist in der Schnitt-Technik zu finden, der die russischen Regisseure, vor allem Pudowkin und Eisenstein, besondere Beachtung widmeten.

Sie haben zwar den Begriff der „Montage" keineswegs erfunden - denn auch in früheren deutschen, schwedischen und französischen Filmen hatte man es schon verstanden, scheinbar zusammenhanglose kurze Szenen und Großaufnahmen auf ihre Gesamtwirkung hin zurechtzuschneiden -, aber die Russen haben diese Technik mit besonderer Vorliebe und Meisterschaft gehandhabt und zur Vollendung entwickelt.

Sie vertraten die Theorie, daß die Hauptaufgabe des Regisseurs erst im Schneideraum begönne, in welchem er aus dem Rohmaterial der gedrehten Szenen die mögliche Bildwirkung „konstruiere"; nicht anders wie ein Ingenieur - Pudowkins Lieblingsvergleich - aus zahllosen Maschinenteilen die sachgemäße Wirkung der Gesamtmaschine herstellt.

Die Schnitt-Technik zur vollendeten Meisterschaft entwickelt

Pudowkins "Sturm über Asien" und Eisensteins "Panzerkreuzer Potemkin" waren die ersten Filme, in denen diese Technik zur vollendeten Meisterschaft entwickelt wurde, und eben deshalb erregten sie bei dem für Begriffe wie „Tempo" und „Rhythmus" sehr aufgeschlossenen Publikum der westeuropäischen Großstädte besonderes Aufsehen, vor allem in Deutschland.

Eine Bemerkung aus 1929

Nichts könnte dafür bezeichnender sein, als eine historisch ungemein interessante Bemerkung, die der damals für die russische Filmproduktion verantwortliche Kommissar A. W. Lunatscharsky 1929 in Zürich veröffentlichte:

"In Rußland hat man die ganze revolutionäre Kraft und die neue Technik dieser glänzenden Filmfragmente nicht sogleich verstanden. Erst in dem deutschen Echo vermochten wir uns über die Fortschritte unserer Filmkunst klar werden. Von dem Zeitpunkt an begann die aufsteigende Linie unseres Filmschaffens."
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Die Wirkung der Russenfilme

Es wird heute vielfach angenommen, daß die westeuropäische und vor allem die deutsche Wirkung der Russenfilme wesentlich im Stofflichen lag und politisch betont war.

Das ist, gelinde gesagt, eine maßlose Übertreibung, zumal gewiß nicht alle russischen Filme - man denke nur an Alexander Rooms interessanten Ehefilm "Bett und Sofa" - revolutionäre Themen behandelten; aber der "Panzerkreuzer Potemkin" und Filme mit ähnlicher Thematik begeisterten das deutsche Kinopublikum nicht etwa, weil es sich da um meuternde Soldaten der Kriegsmarine handelte, sondern einfach, weil man einen guten und mit technisch neuartigen Ideen gemachten Film zu würdigen wußte.

Zugegeben, daß in jenen ersten Jahren, in denen der russische Film einen gewaltigen Aufschwung zeigte - zugegeben, daß es sich, von einigen Ausnahmen abgesehen, meistens um Revolutionsfilme handelte: aber das erklärte sich sehr einfach daraus, daß die eigene Revolution, also die Zehn Tage, die die Welt erschütterten noch kein Jahrzehnt zurücklag.

Die Revolution wurde immer und immer wieder verfilmt

Kein Wunder, daß nicht nur das Ereignis selbst von den russischen Regisseuren immer und immer wieder verfilmt wurde; auch unter dem eben zitierten Titel ist ja eines der berühmtesten russischen Filmwerke erschienen, das, von Eisenstein inszeniert, sich unmittelbar mit der Geschichte der Revolution befaßte.

Auch in historischen Stoffen, wie etwa in den für damalige Begriffe bemerkenswerten Kostümfilmen "Brand von Kasan" und "Sohn der Berge", wird das gleiche Thema gewissermaßen orientalisch und historisch abgewandelt, ganz zu schweigen von Pudowkins "Sturm über Asien", dessen erregende Revolutionsszenen - die Revolte eines wiederauferstandenen Dschingis-Khan - bei vielen Vorführungen in deutschen Kinotheatern Beifall auf offener Szene fanden.

Die Begeisterung des deutschen Publikums für diese Filme

Aber die Annahme, daß es sich bei der Begeisterung des deutschen Publikums für diese Filme im wesentlichen um eine Reaktion auf politische „Linkspropaganda" gehandelt hätte, wäre genauso falsch wie die Behauptung, daß die "Fridericus"-Filme und die später grassierenden Militärschwänke nichts anderes gewesen seien als der heimtückische Versuch der Rechtsparteien, das Filmpublikum der Weimarer Republik nationalistisch aufzuputschen und „militärfromm" zu machen.

Die Irrtümer und das Körnchen Wahrheit

Wie in fast allen Irrtümern, so steckt natürlich auch in diesem ein Körnchen Wahrheit; freilich nur ein sehr winziges Körnchen, das eigentlich erst im allerletzten Stadium der Stummfilmzeit etwas Substanz hatte.

Trotzdem werden wir im übernächsten Kapitel sehen, daß selbst in der Zeit, da Hugenberg die UFA übernommen hatte, seine politischen Hintermänner zwar den Wunsch äußerten, ein so machtvolles Instrument zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung in ihrem Sinne politisch auszunützen - ein von ihrem Standpunkt aus gewiß begreiflicher Wunsch -, daß aber selbst damals dieser Wunsch nur in verhältnismäßig beschränktem Maße erfüllt wurde.

Denn schließlich und endlich gibt es ja für die „Produktionspolitik" der Filmindustrie nur einen maßgeblichen Regulator: den Kassenrapport der Kinotheater; er ist und bleibt der Regulator, selbst wenn die hinter dem Konzern stehenden Geldmänner wechseln.

Denn welcher politischen Couleur sie auch immer angehören, Geldmänner haben ja im allgemeinen keine Lust, ihr Geld zu verlieren.

Wenn der Staat die Kontrolle übernimmt . . . .

Anders ist es natürlich, wenn diese Geldmänner vom jeweiligen Vater Staat abgelöst werden, und zwar von einer Staatsmacht, der es nicht darauf ankommt, sehr viel Geld zu verlieren, um die „Produktionspolitik" der Filmindustrie der "Staatspolitik" gefügig zu machen.

So etwas kann natürlich auch vorkommen; es ist sogar in den letzten zwei Jahrzehnten mehrfach vorgekommen: im Dritten Reich und natürlich auch, sogar in erheblich größerem Maße, in der Sowjetunion und in deren Satellitenstaaten.

Freilich wirkte sich das erst in den 1930er Jahren, also schon in der Tonfilmperiode, wesentlich aus (und zwar keineswegs zum Nutzen der vorher so bemerkenswerten russischen Filmproduktion).

Eine Menge Militärschwänke - zum Geldverdienen

In der Stummfilmzeit, wie die interessante Bemerkung Lunatscharskys beweist, sind die russischen Machthaber sich erst allmählich des großen Machtmittels bewußt geworden, welches sie mit der Filmkamera in der Hand hatten.

Und die Leute, die Mitte der zwanziger Jahre in Deutschland eine Menge Militärschwänke drehten - an denen übrigens die UFA durchaus unschuldig war -, diese Leute hatten gewiß keine geheimnisvollen Querverbindungen von der "Unteren Friedrichstraße" zu den "Wandelgängen des Reichstags", den Fraktionszimmern der Deutsch-Nationalen Partei und den Geldschränken im Ruhrgebiet; es waren Kaufleute, die mit diesen Filmen Geld zu verdienen hofften, weil sie dafür eine „Konjunktur" witterten.

Politische Rückschlüsse aus dem Erfolg der Militärschwänke ?

Wenn man also durchaus aus dem Erfolg der Militärschwänke politische Rückschlüsse ziehen wollte, dann wäre allenfalls festzustellen, daß jene „Konjunktur" tatsächlich vorhanden war: ein für den politischen Historiker wichtiges Faktum, das uns hier freilich nicht interessiert.

Auch in die Fridericus- und Nibelungen-Filme haben die Filmhistoriker nachträglich ebensoviel politische Symptomatik "hineingeheimnist" wie in den „Caligarismus", obgleich kaum einzusehen ist, warum sich ein deutscher Regisseur einen filmisch so dankbaren Stoff wie die Nibelungensage oder eine so prägnante Persönlichkeit wie den „Alten Fritz" entgehen lassen sollte; zumal da in Otto Gebühr ein Darsteller gefunden wurde, der die Rolle mit der gleichen Eindringlichkeit spielte, mit der eine geliebte Bilderbuchfigur im Bewußtsein eines Kindes verwurzelt ist.

(Armer Otto Gebühr! Er hat nach dem Riesenerfolg des ersten Fridericus-Film zeitlebens kaum etwas anderes zu spielen bekommen als immer und immer wieder den Alten Fritz.)

Hanns Neumann - mit den vielen Neidern und Feinden

Ein Mitarbeiter an Czerepys erstem Fridericus-Film war Hanns Neumann. Er liebte dem „N" seines Namens einen napoleonischen Hauch zu verleihen, aber was immer man sonst gegen ihn einwenden mag - er hat sich viele Neider und später auch Feinde gemacht -, ich kann vor dem Forum mißtrauischer französischer und englischer Filmhistoriker bezeugen, daß er bestimmt kein Politiker war.

Er hat ja auch eine ganze Menge Filme gemacht, die nicht „an den deutschen Nationalismus und Militarismus appellierten", er hat sogar von G. W. Pabst die "Psychoanalyse" verfilmen lassen und von Robert Wiene, dem "Caligari"-Regisseur, Dostojewskijs »Raskolnikow«.

Der nächste Hauptdarsteller - „Der liebe Gott"

Damals fragte ich ihn, wer denn die Zentralfigur seines (noch geheimnisumwitterten) nächsten Films sein würde. Er blickte mich durchdringend an, legte dann beschwörend den Zeigefinger an die Lippen und flüsterte im Verschwörerton: „Der liebe Gott".

Er hat ja dann tatsächlich mit dem I.N.R.I.-Film, sich an die Christus-Geschichte herangewagt: ein mutiger (und kostspieliger) Versuch, der freilich nicht ganz geglückt ist. In Hollywood hat man das später noch oft genug versucht, und die Versuche waren meistens noch kostspieliger und noch geschmackloser.

Als die Periode der „Riesenschinken" wieder auflebte

Aber auch wenn es sich nicht um biblische Stoffe handelte - wie etwa "Die Zehn Gebote" des Monumentalfilm-Spezialisten Cecil B. de Mille -, hat man in Hollywood in jener Blütezeit des Stummfilms die Periode der „Riesenschinken" wieder aufleben lassen.

Eigentlich war es ja eine Periode, die seit den frühesten Anfängen nie ganz abgerissen ist, nur daß die Filme eben nicht mehr ganz so naiv, dafür aber noch ein bißchen länger waren.

Der größte und teuerste Stummfilm aller Zeiten "Ben Hur"

Damals wurde derjenige Film gedreht, der jahrzehntelang den Ruhm beanspruchen durfte, „der größte und teuerste Stummfilm aller Zeiten" zu sein: "Ben Hur". Er wurde sogar zweimal gedreht; denn nachdem man schon etliche Millionen dafür in Rom ausgegeben hatte, kam man zu der Überzeugung, daß es doch „echter" wirken würde, wenn man die römische Kulisse in Hollywood aufbaute und das riesige Wagenrennen (das allein eine runde Million kostete) in Kalifornien startete.

Das Resultat war immerhin imposant, und da es damals zu meinen beruflichen Aufgaben gehörte, diesen Film in einem halben Dutzend „Galapremieren" Mittel- und Osteuropas herauszubringen, habe ich ihn ja oft genug gesehen.

Selbst auf dem Balkan auf die Etikette geachtet

Wir haben, wie es sich für ein so gutes und teures Stück gehört, an nichts gespart und auch auf dem Balkan streng darauf geachtet, daß die Logengäste in großer Abendkleidung erschienen; denn wenn die Leute sich nicht selbst sagen konnten, daß eine so große Filmpremiere ein „gesellschaftliches Ereignis" war, dann mußte man es ihnen eben mit gebührender Deutlichkeit einreden.

Noch kein Donnergrollen vom sehr bald herannahenden Tonfilm

Ja, der Film hatte es herrlich weit gebracht in den paar Jahrzehnten, die seit den frühesten und schäbigsten Anfängen bis zu jener Blütezeit vergangen waren. Noch hörte man nicht das ferne Donnergrollen, mit dem sehr bald der herannahende Tonfilm zunächst einmal ein finanzielles Gewitter über die verwöhnte Filmindustrie heraufbeschwören würde.

Noch sonnte sich Hollywood nicht nur unter seinem eigenen vorschriftsmäßig blauen und elf Monate des Jahres wolkenlosen Himmel, sondern auch im Wohlgefühl, daß man allzeit aus aller Welt genügend Geld scheffeln könne, um so ziemlich jede Verschwendung zu rechtfertigen, und daß man momentan in der ganzen Welt eigentlich kaum einen ernst zu nehmenden Konkurrenten hatte außer allenfalls Deutschland.

Zu dieser Zeit war immer noch genügend Geld da

Bei der UFA und Emelka, bei der Terra und Phöbus und vielen anderen mehr oder minder potenten deutschen Firmen konnte man zwar nicht einmal mit den Hundertmarkscheinen ganz so großzügig um sich werfen, wie man es drüben mit den Hundertdollarnoten tat, aber immerhin brauchte man auch in Babelsberg und Geiselgasteig nicht auf den Pfennig sehen, und obschon die Spitzenfilme es an Pomp und Aufwand nicht ganz mit der Konkurrenz von Hollywood aufnehmen konnten, so machte man das eben durch stoffliche Originalität und technische Einfälle wieder wett.

Der feuerspeiende Nibelungendrache kontra Ben Hurs Wagenrennen

Der berühmte feuerspeiende Nibelungendrache war zwar ein ziemlich kostspieliges Requisit, aber doch - fast im buchstäblichen Sinne des Wortes - ein „Pappenstiel" im Vergleich zu dem sündhaft teueren Wagenrennen des Ben-Hur-Films; und um die phantastisch übermodernen Bauten von Metropolis verhältnismäßig preiswert auf die Leinwand zu zaubern, bediente man sich eben eines sinnreichen Spiegel- und Modellverfahrens, das der deutsche Filmtechniker Eugen Schuftan erfunden hatte.

Mit diesem teuren Film - gewiß ein Stoff, den sich der Maler-Regisseur Fritz Lang und seine symboleifrige Autorin Thea von Harbou unmöglich entgehen lassen konnten - erreichte dieses Künstlerpaar den Gipfelpunkt ihrer gemeinsamen Arbeit. Es war eine große und ruhmreiche Zeit für die UFA, denn Fritz Lang war schon längst nicht mehr der einzige Regisseur von Weltformat, der unter Pommers Zepter sein Megaphon schwang.

Von Fritz Lang zu Friedrich Wilhelm Murnau

Sehr schnell und sozusagen ganz unauffällig hatte sich Friedrich Wilhelm Murnau als einer der bedeutendsten Regisseure Europas erwiesen.

Aus einer großbürgerlichen Westfalenfamilie stammend - er hieß eigentlich F. W. Plumpe -, war Murnau eine im "Filmmilieu der Friedrichstraße" schon durch seine stille, zurückhaltende Art auffallende Persönlichkeit; ein „ geistiger Mensch", wie ihn unser gemeinsamer Freund Berthold Viertel zu nennen pflegte, lange bevor wir Murnau in Hollywood zu Grabe trugen.

Als jener unselige Autounfall in Santa Monica an der pazifischen Küste die Laufbahn des großen Regisseurs im Zenith seines Lebens abschnitt, gab es schon seit zwei Jahren Tonfilm. Fast zehn Jahre waren vergangen, seit Viertel zusammen mit dem Caligari-Autor Carl Mayer für Murnau "Schloß Vögelöd" geschrieben hatte.

Murnau war immer sehr wählerisch . . . .

. . . in der Bestimmung seiner Stoffe und Drehbuchschreiber. Schon 1920 holte er sich einen der Caligari-Autoren, Carl Mayer für "Der Bucklige und die Tänzerin" und den anderen, Hans Janowitz, für den "Januskopf", eine jener so oft verfilmten (und so ungemein „filmischen") Jeckyl- und Hyde-Stories vom guten und bösen Ich eines und desselben Menschen.

Murnau holte sich Willy Haas und die Harbou für den "Brennenden Acker", einen der feinsten deutschen Stummfilme, der nicht ohne Grund gerade von Stiller und Sjöström, diesen Meistern der Landschaftsdichtung, bewundert wurde.

Er wählte Henryk Galeen - den späteren Autor von Lenis "Wachsfigurenkabinett" und Regisseur von Wegeners erstem "Golem"-Film -, um sich "Nosferatu" schreiben zu lassen, gewiß einer der besten „Vampyrfilme" aller Zeiten.

Er holte sich wieder die Harbou für die Verfilmung von Gerhart Hauptmanns "Phantom", einer der wenigen Filme, in denen unsere ach so schwierige Synthese zwischen Kunst und Geschäft fast bis zur Vollendung geglückt ist.

Etwas über Murnaus Werdegang

Kurz danach - so viele und so manigfaltige Farben hatte dieser Künstler auf seiner Palette - machte er erst einen Bauernfilm mit dem Titel "Austreibung" (mit Wilhelm Dieterle als dem stämmigen Förster, dem der Weibsteufel des schlesischen Bauern verfällt) und dann - wer hätte ihm das zugetraut? - einen veritablen Lustspielfilm, "Die Finanzen des Großherzogs" : ein Film freilich, in dem, nicht anders als in so manchen diesem Regisseur so wesensnahen Schwedenfilme, die Schönheit der Landschaft eine der Hauptrollen spielte; diesmal war es die Dalmatinische Riviera.

Ja, Murnau liebte Abwechslung in der Wahl seiner Stoffe, und er hätte sich gar zu gern an dem großen Variefe-Film versucht, der für Jannings und die Putti geplant war: ein (nach Felix Holländers Roman „Der Eid des Stefan Huller" bearbeiteter) Stoff von Liebe und Eifersucht, Glück und Glanz, Ruhm und Untergang in der erregenden Atmosphäre der Artisten.

Der Abschluß der „Blütezeit"

Aber Pommer gab Murnau diesen für ihn, seiner Ansicht nach, zu „handfesten" Stoff nicht; er gab ihn Ewald Andre Dupont, und er hat es nicht zu bereuen gehabt, denn Dupont hatte einen ganz besonderen „Flair" dafür. Er war ja einer der vielen begabten Regisseure, die den Weg vom Journalismus zum Film gefunden hatten.

Aber Murnau konnte sich trösten. Er sollte Jannings noch in zwei seiner besten Rollen vor seinen Regiestuhl bekommen: als "Letzter Mann" und als "Mephisto", über den Faust-Film wird im nächsten Kapitel noch einiges zu sagen sein.

Aber zum Abschluß der „Blütezeit" könnte ich kein besseres und würdigeres Beispiel finden als eben jenen Film "Der letzte Mann", einen der interessantesten und mutigsten Filme der Stummfilmzeit und einer der wenigen, in denen die Synthese zwischen Kunst und Geschäft vollends geglückt ist.

"Der letzte Mann" mit Emil Jannings

Mut gehörte gewiß dazu, sich an diesen Stoff heranzuwagen, und nur auf der Höhe ihres Ruhms konnten ein Produktionschef wie Pommer, ein Regisseur wie Murnau, ein Autor wie Mayer, ein Star wie Jannings und ein Kamerameister wie Freund es sich leisten, nicht nur die Schablone aufs gröblichste zu verletzen, sondern in der Stoffwahl buchstäblich auf die Herrentoilette zu gehen.

Jannings spielte in diesem Film einen sehr alten und auf seine schöne Uniform sehr stolzen Hotelportier. Dieser wird von der Direktion abgebaut und auf den Posten des Toilettenwärters abgeschoben.

An diesem Absturz vom Foyer zum Souterrain und von der goldbetreßten Uniform zur schäbigen Leinenjacke - an diesem Würdeverlust geht der alte Mann zugrunde.

Das ist das ganze Storygerüst; und für den „happy-end"-süchtigen amerikanischen Markt hat der Autor Carl Mayer nur den kleinen Kompromiß gemacht, daß am Schluß des Films ein „Titel" erscheint - einer der sehr wenigen dieses auf jene Stütze des Stummfilms fast ganz verzichtenden Meisterwerks -, ein ironischer Titel, der auf die „Happy-End"-Sucht des Publikums hinweist und zu einem ganz kurzen Märchenschluß führt: ein Millionär stirbt in den Armen des alten Toilettenmanns, nicht ohne ihm vorher alle seine Millionen hinterlassen zu haben.
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Der Gipfelpunkt der Stummfilmzeit

Mit oder ohne Kompromiß ist dieser Film einer der besten der Stummfilmzeit geworden, und kein Film hat mehr als dieser dem Welt-
prestige des deutschen Films gedient.

In England wurden von der literarischen Presse Hymnen gesungen, und der Film wurde sogar nach Amerika verkauft. Dort lief er zwar nicht in den großen Provinzkinos (deren Masse das große Geld bringt), aber er wurde doch von einem erlesenen Publikum in New York und Hollywood gebührend bewundert: Der Gipfelpunkt der Stummfilmzeit war erreicht.
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