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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil I - KAPITEL 09
"KUNST KOMMT VOM KÖNNEN"

Von schiefen Wänden und vom Blutrausch / Von der ersten und der zweiten Pubertät / Von echter Kunst und falscher Konjunktur / Vom Publikumsgeschmack, den keiner kennt / Von künstlerischer und finanzieller Verantwortung / Von einem englischen Sprungbrett für deutsche Filme / Von der stillen Wirkung der Schwedenfilme.

Die Schöpfer eines Films vor ihren „Analytikern" schützen

Man hat in den Caligari-Film beinahe so viel „hinein-geheimnist" wie in den Faust; und da Goethe eben jenes Verbum prägte, um seine allzu eifrigen Interpreten in die Schranken zu weisen, ist es hoffentlich nicht unziemlich, das Wort zu entleihen, um die Schöpfer eines Films vor ihren „Analytikern" zu schützen.

Es handelt sich übrigens nicht nur um diesen Film mit dem seltsamen Titel, sondern auch um einige Nachläufer und den einen oder anderen Vorläufer, es handelt sich um eine ganze Richtung.

Von den gelehrten Wälzern und Essays

Eigentlich müßte ich dieses Wort zwischen Gänsefüßchen setzen, denn eine wirkliche „Richtung" war es gar nicht, obschon in vielen gelehrten Wälzern und Essays - meistens in englischer Sprache - von „German Angles" (oder auch von „UFA-Angles") die Rede ist, wann immer es einem Filmautor oder Regisseur einmal einfiel, ein paar schiefe Wände bauen zu lassen oder einige nicht ganz übliche Kameraeinstellungen zu versuchen.

Vermutlich tat er das, weil es ihm stilgemäß oder absonderlich geeignet schien, die Eigenart eines absonderlichen Stoffes und seiner Handlung und Charaktere zum treffenden Ausdruck zu bringen. Man nannte das dann prompt "Expressionismus", wobei freilich den an solchen Filmen beteiligten Künstlern zugute zu halten ist, daß es meistens nicht sie selbst waren, sondern ihre Interpreten, die ihre eigene etwas anmaßende Aktivlegitimation gewissermaßen terminologisch zu rechtfertigen suchten.

Noch etwas in einen Film "hinein-geheimnissen" . . .

Man hat erschreckend viel in diese Filme, in diese Richtung „hinein-geheimnist". Man hat dicke Bücher darüber geschrieben, und man hat sogar die Verirrungen der deutschen Außenpolitik und die Sünden der Gestapo (und selbstverständlich auch die Abgründe der deutschen Seele und die Geheimnisse des deutschen Volkscharakters) aus diesen paar Filmen abzuleiten und zu ergründen versucht.

Das haben sich der kleine Carl Mayer und der lange Hans Janowitz bestimmt nicht träumen lassen, als sie selbander mit ihrem Manuskript zum Decla-Büro in die Viktoriastraße marschierten; und das haben sich bestimmt auch weder Herr Hinz noch Fräulein Kunz träumen lassen, die ja eigentlich von der deutschen Seele und dem deutschen Volkscharakter mindestens so viel verstehen müßten wie die Leute, die ihre dicken Bücher darüber schrieben.

Welche Filme Herr Hinz und Fräulein Kunz vom Lande gesehen haben könnten

Vermutlich haben sich weder Herr Hinz noch Fräulein Kunz viele Gedanken darüber gemacht, aber hätte man sie gefragt, dann hätten sie den Autoren jener tiefschürfenden Bücher sicher gern gesagt, daß sie zwar den "Caligari" und die paar anderen Filme jener Richtung vielleicht einmal gesehen haben - immer vorausgesetzt, es handelt sich um großstädtische Hinzes und Kunzes -, daß sie aber für je einen Film dieser „absonderlichen" Art mindestens ein paar hundert deutsche Filme gesehen haben, an denen beim besten Willen auch für die eifrigsten Tiefschürfer nichts Absonderliches zu finden wäre.

Über die Entstehungsgeschichte des „Caligari"

Aber zurück zu dem schicksalsschweren Gang der Herren Mayer und Janowitz in die Viktoria- straße. Doch hier stock' ich schon, denn es gibt ja über die Entstehungsgeschichte des „Caligari" mindestens so viele Versionen wie zu der Frage, wer eigentlich die Kinematographie erfunden hat.

Es gibt dafür sogar noch erheblich mehr Versionen, und so ziemlich die einzige, die mir bisher noch nicht vorgekommen ist, wäre die, daß der Caligari-Film mit Feuer und Schwefel teils vom Himmel gefallen und teils aus der Hölle gekrochen sei, daß die beiden Teile sich auf dem Schreibtisch des Herrn Pommer getroffen und von dort aus, alchimistisch zusammengeschweißt, sich als ein teils denkwürdiger, teils schauderhafter Ausdruck der geheimnisvollen deutschen Seele manifestiert haben.

„Caligari" - Im Anfang war die Dekoration!

Wie immer es jedoch in Wirklichkeit war und ob nun von dem oder jenem der Beteiligten gegen die Rahmenhandlung des Wahnbildes protestiert wurde oder nicht und ob nun der Produktionschef Erich Pommer, der Produktionsleiter Rudolf Meinert und der Regisseur Robert Wiene oder alle drei den Film gleich oder erst später so „gesehen" haben wie die Autoren - eines kann beim Caligari-Film als historisches Faktum gebucht werden:

Im Anfang war die Dekoration!

Denn dieses Faktum ist in der Eigenart des Stoffes begründet, selbst wenn wir nicht dafür das Wort von Erich Pommer hätten und von Hermann Warm, einem der drei Ausstatter (die anderen waren die inzwischen verstorbenen Maler Reimann und Röhrig).

Tatsache ist auch, daß es den damals noch ganz unbekannten Autoren gelang, mit ihrem Manuskript zu Erich Pommer vorzudringen und ihn zu überzeugen, er dürfe es nicht durch die übliche Lektoratsmühle schleusen lassen, sondern müsse es selbst lesen.

Noch ein paar Interna zu „Caligari"

Tatsache ist auch - Pommer hat mir das selbst bestätigt -, daß er von den Autoren und ihrem Werk beeindruckt war und daß sich dann Rudolf Meinert des eigenartigen Projekts mit viel Eifer und Geduld annahm.

Das ist recht bezeichnend. Denn Meinert (dessen Firma sich schon vor der Bioscop-Fusion mit Pommers Decla alliiert hatte) war keineswegs ein Expressionist oder gar ein verschrobener Künstler mit einer Neigung zu skurrilen Stoffen.

Er war ein solider, hemdsärmeliger, rotbäckiger Routinier des Spielfilms; aber daß der Expressionismus in der bildenden Kunst, auf der Schaubühne und in der Musik zeitgemäß, also „modern" war, wußte er immerhin als Zeitungsleser; als Theatermann wußte er, daß es an der Zeit war, auch im Film ein expressionistisches Experiment zu wagen; und als Fachmann wußte er, daß der eingereichte Stoff - wenn überhaupt - dann nur expressionistisch zu gestalten und von der Architektur und Ausstattung her anzupacken war.

Das Drehbuch bekamen zunächst die Baumeister und Maler

Also bekamen zunächst die Baumeister und Maler das Drehbuch und die Erlaubnis, sich nach Herzenslust auszutoben. Sie taten es.

Die Skizzen hatten den gewünschten Stil und trafen die Grundidee des Projekts. Herr Meinert sagte „vielleicht", und Herr Pommer sagte „ja".

„Caligari" wurde ein Welterfolg

Der Film wurde gedreht, und sein Erfolg überstieg alle Erwartungen. Es wurde ein Welterfolg, zumindest ein Presse- und Prestigeerfolg, aber auch das erst, nachdem man den Film gewissermaßen als „Kassenschlager" abgeschrieben hatte. (Er war ja auch verhältnismäßig billig, nach Dollarbegriffen sogar spottbillig.)

In Berlin wollte keiner den „Caligari" spielen

Es dürfte heute kaum mehr bekannt sein, aber es wurde mir von Erich Pommer bestätigt, daß für den Film zunächst kein Berliner Premierentheater zu finden war.

Auch das Marmorhaus hatte ihn abgelehnt, und nur weil ein anderer Film zu spät geliefert wurde, hat man ihn als Lückenbüßer eingesetzt.

Eine sehr geschickte Vorreklame an den Litfaßsäulen

Es wurde jedoch eine sehr geschickte Vorreklame an den Litfaßsäulen gemacht; eine Reklame, die einzig und allein auf dem seltsamen Titelnamen fußte.

Durch Anzeigen wie „Kennen Sie Caligari?", „Du mußt Caligari werden", „Wer ist Caligari?", wurde die Neugierde der Berliner geweckt. „Caligari" wurde ein Modewort, und die Menschen, die sich zunächst nur aus Neugierde diesen absonderlichen Film ansahen, wurden schließlich doch davon gepackt.

Der Film wurde ein Welterfolg - zumindest in den Großstädten -, und in den meisten geschichtlichen Werken gilt er heute noch als richtunggebend.

Wie könnte man den Erfolg des „Caligari" erklären ?

In welchem beschränkten Maße er wirklich richtunggebend war, werden wir bald sehen. Aber wie war der Publikumserfolg der in den Großstädten sehr erhebliche Kassenerfolg eines so anspruchsvollen Films zu erklären; einer gegen alle Happy-End-Regeln Hollywoods verstoßender Story von Blutrausch und Wahnsinnstraum?

Nun, der Erfolg war zunächst durch die Zeit bedingt und durch des damaligen deutschen Großstadtpublikums besonders wache Aufgeschlossenheit für alles Neuartige und Eigenartige; vor allem aber dadurch, daß es dem Regisseur gelungen war, die Konzeption der Autoren und Baumeister zu gestalten und Werner Krauß und Conrad Veidt so zu führen, daß sie den unheimlichen Figuren des Caligari und des Traumwandlers den lebendigen Atem ihrer Künstlerkraft einhauchten, ohne den Stil des Ganzen zu brechen.

„Caligari" hatte eine überragende Bedeutung

Die überragende Bedeutung dieses Films lag gewiß nicht in dem unmittelbar richtunggebenden Einfluß auf einige ausgesprochen expressionistische Filme.

Eine derart begrenzte Wirkung wäre mit ein paar Zeilen abgetan. Die wesentliche noch heute anhaltende Wirkung war mittelbar: es war der Mut zum Stilisieren, die Erkenntnis, daß man mit der Filmkamera ein Geschehnis oder einen natürlichen Vorgang nicht nur sichtbar machen, sondern sehr eigenwillig gestalten, daß man viel mehr damit leisten kann als ein simpler Photograph, der eine Momentaufnahme „knipst".

„Caligari" - das zweite Pubertäts-Stadium

Mit der Erkenntnis des „künstlerischen", also des bewußt auf primitive Gegenständlichkeit verzichtenden Films hatte man sich gewissermaßen freigeschwommen und das zweite Pubertäts-Stadium erreicht.

Das erste war ja schon überwunden, als man gelernt hatte, das neue Medium zeitlich und räumlich zu meistern, also riesige Massen und riesige Bauten mit der Kamera einzufangen und stundenlang in Bewegung zu halten.

Nichts war natürlicher, als daß sich die endlich erreichte Meisterung des Technischen - oder doch des primitiv Technischen - zunächst quantitativ auswirkte. Je größer je lieber, je länger je lieber - das war das erste Pubertäts-Stadium.

Die Erklärung des zweiten Pubertäts-Stadiums

Im zweiten versuchte man Extensität durch Intensität zu ersetzen, Gradlinigkeit durch Stilisierung, Naivität durch Subtilität. Man übertrieb auch das, verlor Maß und Ziel, so wie man es in der ersten Freude an den „Riesenschinken" getan hatte.

Aber schließlich und endlich war ja weder das eine noch das andere ein Ende und ein Ziel, es war immer nur ein Anfang zu neuem Beginnen. Auch jetzt stand man wieder am Anfang. Freilich auf einer erheblich höheren Ebene.

Und all das sollte der eine Film bewirkt haben? Nun, "Das Kabinett des Dr. Caligari" hat viel davon bewirkt, aber gewiß nicht alles.

Es gab noch andere Kräfte, die den Film auf eine höhere Ebene hoben, es gab noch andere Ingredienzien in dem Sauerteig, der dazu verhalf, die Weiterentwicklung voranzutreiben.

Über die Ingredienzien eines Filmes

Von zweien dieser Ingredienzien wird gleich die Rede sein; von der sogenannten Avantgarde und von dem erheblich bedeutenderen Impuls, der von den Schwedenfilmen ausging.

Aber vorher sei noch ein kurzer Blick den unmittelbar expressionistischen Nachläufern gewidmet und dem fast noch bemerkenswerteren Vorgänger. Caligari war keineswegs der erste rein expressionistische Film; er war nur der erste (und eigentlich der einzige) Publikumserfolg.

Georg Kaisers "Drama vom armseligen Kassierer"

Schon einige Monate vorher war der Film "Von morgens bis Mitternacht" hergestellt worden, der erste Versuch, einen Stoff durchaus expressionistisch zu gestalten.

Es war ein dafür recht geeigneter Stoff: Georg Kaisers "Drama vom armseligen Kassierer", der vom Hunger nach Genuß gepackt wird, defraudiert und „von morgens bis Mitternacht" alle Höhen und Tiefen genießerischen Taumels und letzter Erkenntnisse durchrast.

Herbert Juttke (der später Dutzende von handfesten „Erfolgsfilmen" schrieb) hat diesen erstaunlichen Wurf als ganz junger Mensch gewagt. Sein Vater gab ihm das Geld dafür, das Drehbuch schrieb er mit Karl Heinz Martin, der die Regie führte.

Die Frauengestalten wurden alle durch eine einzige Figur symbolisiert

Ernst Deutsch spielte den Kassierer, Roma Bahn die Frauengestalten, die alle - so zeitlos war dieser Film - durch eine einzige Figur symbolisiert waren. Robert Neppach schuf die Bauten und traf den Stil nicht minder stark und kompromißlos, als es später Warm und Röhrig im Caligari gelang.

Aber der Erfolg blieb diesem wahrhaft filmgeschichtlichen Pionier versagt. Ob es daran lag, daß der Stoff zu sozial betont (oder vielmehr überbetont) war, nicht so erregend wie das blutrünstig unheimliche Caligari-Thema ?
Ob es vielleicht noch zu früh war für einen so kompromißlos expressionistischen Versuch, oder ob es am mangelnden Geschäftstalent der Hersteller lag? Ich weiß es nicht.

Tatsache ist jedenfalls, daß dieser Film nie zur öffentlichen Vorführung kam, weder in Deutschland noch sonst in irgendeinem Lande, außer in Japan, wo der Film seltsamerweise einen ganz großen Erfolg hatte und den größten Teil seiner (verhältnismäßig sehr bescheidenen) Herstellungskosten einspielte.

Die Periode des rein expressionistischen Films war nur kurz

Sicher lag es nicht am Mangel überragender schauspielerischer Persönlichkeiten, daß dieser erste Versuch nicht so gut gelang wie Caligari. Trotzdem halte ich den Vorläufer für besser und wesentlicher als die paar Nachläufer. Schon der erste läutete der kurzen Periode des rein expressionistischen Films die Totenglocke.

Eine nicht sehr fruchtbare Periode, die man damals (fälschlich) für eine „Konjunktur" hielt. Der Riesenerfolg sollte schleunigst wiederholt werden, den Triumph des „Caligarismus" versuchte man nun nach bewährtem Rezept auf Flaschen zu ziehen.

Man nehme . . .

Man nehme - so sagten sich die Geldleute -, man nehme zunächst den bewährten Autor Carl Mayer und dann den berühmtesten Malerarchitekten dieses Stils, Cesar Klein. Dann, um ganz sicherzugehen, nehme man als Kassenmagneten den notorisch berühmten Star Fern Andra, und dazu nehme man sich natürlich Poiret, den großen Pariser Schneiderkünstler, der den sündhaft schönen und hinreichend propagierten Körper der Andra in entsprechend duftige Gewänder hüllen würde; und um den Expressionismus nicht zu vergessen, nehme man einen unheimlich verkapselten Bau in grenzenloser Einsamkeit und einen nicht minder unheimlichen Kahlkopf nebst hühnenhaftem Negerdiener; und dann den tumben Jüngling Florian, den Barbiergehilfen mit dem scharfen Messer, das erst dem alten Kahlkopf die Kehle durchschneiden wird und dann dem sündhaft schönen und symbolumwitterten Weibsbild Genuine, das durch diese Räume geistert und den Jüngling in Blutrausch versetzt.

Ein scheinbar vollkommenes Rezept . . . "Genuine"

Das Rezept schien vollkommen, und die Mixtur wurde, „wie gehabt", hergestellt; aber das Publikum wollte sie nicht mehr schlucken.

Der Film "Genuine" hatte allenfalls noch Kuriositätsreiz, aber keinen Kassenerfolg. Die Konjunktur war schon zu Ende, bevor sie eigentlich begonnen hatte, man wußte es nur noch nicht.

Immerhin waren die Regisseure der beiden ersten wirklich expressionistischen Filme ernsthaft bemüht, durch ihren Umbruch auf dem geschaffenen Neuland weiterzukommen.

Noch ein Beispiel : "Das Haus zum Mond"

Karl Heinz Martin machte den Film "Das Haus zum Mond", in welchem, unentwegt von mildem Mondlicht bestrahlt, seltsame Beziehungen geknüpft werden zwischen einem Astronomen, seiner mondsüchtigen Tochter Luna und den nicht minder skurrilen Hausbewohnern. Aber das Ganze war wohl zu überbetont und konstruiert.

Zweifellos war eine ernsthafte künstlerische Absicht da, aber das Publikum merkte sie und wurde verstimmt.

Regisseur Wiene und „Raskolnikow"

Der Regisseur Wiene ging ein paar Schritte weiter. Er hatte sich mit Caligari den „reinen" Expressionismus abreagiert und machte nun einen Film, bei dem Expressionismus nicht mehr Selbstzweck, sondern Mittel zum Zweck wurde. Das war ein richtiger Weg, und der Stoff, den er sich aussuchte, war für den Versuch sehr geeignet: es war Dostojewskijs „Raskolnikow".

Friedrich Wilhelm Murnau und "Nosieratu"

Erheblich weiter auf diesem Wege ging Friedrich Wilhelm Murnau in "Nosieratu", Paul Wegener im "Golem", Leopold Jessner in "Hintertreppe", Karl Grüne in "Die Straße" und bis zu einem gewissen Grade auch Fritz Lang in den "Nibelungen".

Paul Leni und das "Wachsfigurenkabinett"

Aber als ein besonders gelehriger Schüler und Nutznießer des „Caligarismus" - gelehrig für eine nicht gar so geistig anspruchsvolle, also etwas „publikumswirksamere" Nutzanwendung - hat sich Paul Leni erwiesen, als er etwa drei oder vier Jahre nach der Caligari-Premiere einen sehr handfesten Stoff mit expressionistischen, aber gewiß nicht nur mit expressionistischen Mitteln gestaltete.

Er nannte den (von Henryk Galeen geschriebenen) Film "Wachsfigurenkabinett" und schilderte darin drei Geschichten, die ein junger Dichter für einen Schaubudenbesitzer schreibt: „Harun al Raschid", „Ivan der Schreckliche" und „Jack the Ripper" (der Bauchaufschlitzer aus der neueren Londoner Kriminalgeschichte); und da es der Maler Paul Leni war, der diesen Stoff gestaltete - derselbe farbenfreudige Künstler, der für Lubitsch und May einige ihrer „großen Schinken" gebaut hatte -, so versteht sich von selbst, daß der Maler-Regisseur den Stoff vom Dekorativen her anpackte.

Aber auch die Kamera wußte er zu meistern: „Leni hat diese klar beherrschte Architektur mit Licht gleichsam dekoriert" schrieb der Kritiker Rudolf Kurtz. „Das Licht, aus tausend Quellen destilliert, schafft Fieberträume im Raum, unterstreicht jede Kurve, läuft gebrochene Linien entlang, erzeugt hintergrundlose Tiefen, zaubert Schwärzen auf schiefem Gemäuer hervor, die es emporzurecken scheinen.

Die technischen Möglichkeiten des Apparats sind eingespannt, es ist ineinander und übereinander photographiert, um die Bewegungswerte der Formen im Raum aus der konventionellen Bindung zu befreien und in eine metaphysische Sphäre zu steigern."

... auch das Publikum seine Freude daran hatte ...

Das alles verstand Leni gewiß, aber über der Metaphysik vergaß er nicht das Fleisch und Blut seiner Gestalten und ließ Jannings der Rolle des Kalifen die saftige Fülle seiner Persönlichkeit geben.

Kein Wunder, daß diesmal nicht nur die Literaten, sondern auch das Publikum seine Freude daran hatte (obschon auch dieses Werk, wie die meisten etwas allzu „literarisch" betonten Filme, nicht gerade ein Kassenschlager war).

Vor schwarzem Samt - die „JacktheRipper"- Sequenz

Besonders viel gepriesen wurde damals die „JacktheRipper"-Sequenz, die vor schwarzem Samt gespielt wurde und eben durch diesen Hintergrund eine gespenstisch eindringliche Wirkung erzielte.

Freilich kannten damals weder das Publikum noch die Presse die nüchterne Tatsache, daß gerade diese vielgerühmte Sequenz keineswegs einem dichterischen Einfall des gewiß nicht einfallsarmen Regisseurs zu danken war, sondern einem sehr prosaischen Grund: es war ihm das Geld ausgegangen.

Leni hatte diesen (später von der UFA übernommenen) Film zu einem erheblichen Teil aus eigenen Mitteln oder eigenem Kredit finanziert. Aber für den besonders schönen „Bau", den er für die „Ripper"-Sequenz entworfen hatte, war einfach nicht das Geld aufzutreiben.

Verzweifelt entschloß er sich schließlich, die Szenen vor jenem schwarzen Samtvorhang zu drehen, für den sich die Presse ganz besonders begeisterte; womit wieder einmal bewiesen war, daß es immer gut ist, aus der Not eine Tugend zu machen.

Die Film-Kamera - der Pinsel eines Künstlers

Man hatte also schon einiges gelernt, vor allem das Technische zu meistern und die Kamera nicht wie den Apparat eines knipsenden Momentphotographen zu handhaben, sondern wie den Pinsel eines Künstlers.

Auch vom Expressionismus hatte man gelernt, und man hatte sogar gelernt - was viel schwieriger war - einiges davon wieder zu vergessen. Was aber übrigblieb, war wertvoll genug, um als Stoßkraft zu neuem Fortschritt weiterzuwirken.

Über die Anfänge der avantgardistischen Bewegung

Aber solche Impulse kamen nicht nur von den paar rein expressionistischen und den von ihnen beeinflußten Filmen, sie kamen auch von den schon anfangs der zwanziger Jahre begonnenen Versuchen,, sozusagen den „Film an sich" - oder vielmehr das „Filmische an sich" - in Reinkultur zu züchten: also von den „absoluten" Filmen der avantgardistischen Bewegung.

Was war das eigentlich, wird mancher Leser fragen, der sich dunkel an gewisse Kurzfilme erinnert, in denen etwa einige geometrische Figuren in einem seltsamen und doch irgendwie packenden Rhythmus über die Leinwand gingen ?

Eben das waren die Anfänge der avantgardistischen Bewegung, die übrigens in Frankreich schon vor dem Ersten Weltkrieg von Delluc und Canudo ihre ersten Anregungen erhielt, in Deutschland erst in den zwanziger Jahren von Walter Ruttmann, Hans Richter und VikingEggeling fortgesetzt wurde und dann jahrelang - vor allem von Paris aus - einen nicht unerheblichen Einfluß auf die künstlerische Entwicklung des Spielfilms gewann.

Vom Impressionismus zum Expressionismus

All das dem kunsthistorisch weniger informierten Leser begreiflich zu machen, erfordert ein paar Bemerkungen zum Übergang vom Impressionismus der Jahrhundertwende zum Expressionismus der zwanziger Jahre. Um vom Impressionismus einen Begriff zu bekommen, braucht man nur an Zolas sehr prägnante Formulierung zu denken: l'art, c'est la nature vue ä travers d'un temperament.

Während der Impressionist also das Naturgegebene durch die Brille seiner eigenen Persönlichkeit sieht und gestaltet, versucht der Expressionist vom Gegenständlichen soweit wie möglich zu abstrahieren oder vielmehr es auf seine Grundform zurückzuführen.

Die Anfänge des „absoluten" Films

So hielt etwa Cezanne den Kreis, das Oval, das Rechteck und das Dreieck für die Grundformen jeder Naturgestaltung.

In die filmische Kunstform übertragen, waren das die vorhin erwähnten Anfänge des „absoluten" Films, der später in Deutschland besonders von Walter Ruttmann entwickelt wurde.

Den unentwegten Expressionisten erschien zwar ein Werk wie "Berlin, die Symphonie einer Großstadt" als „impressionistischer Verrat"; es war aber alles andere als ein Rückschritt, es war gewissermaßen die Nutzanwendung der ursprünglichen Impulse, begleitet von der richtigen Erkenntnis, daß man dem großen Publikum nicht eine der Mehrheit unverständliche Abstraktion vom Gegenständlichen bieten konnte.

Die „filmische" Gestaltung der Weltstadt als „Abstraktion"

Hier war zwar auch eine „Abstraktion", aber es war doch eine wahrhaft „filmische" Gestaltung der Weltstadt. „Der mächtige Rhythmus der Arbeit", so lese ich in dem fast dreißig Jahre alten Programmheft (also etwa aus 1926), „der rauschende Hymnus des Vergnügens, der Verzweiflungsschrei des Elends und das Donnern der steinernen Straßen . . . wurde vereinigt zur Symphonie der Großstadt."

Ohne ...... und dennoch das Publikum packen

Das trifft den Kern der Dinge: eben die Tatsache, daß ein Film ohne Spielhandlung und ohne Liebesgeschichte das Publikum zu packen wußte, ein Film, dessen „Held" nichts anderes war als der Rhythmus der Weltstadt.

Es war eine große Leistung des Kammeramannes Karl Freund, aber es war eine Leistung, die der Regisseur Walter Ruttmann kaum hätte bewältigen können, wenn er nicht vorher durch die strenge Schule des „absoluten Films" gegangen wäre.

Denn nichts ist bezeichnender für die künstlerische Stoßkraft des absoluten Films und die Notwendigkeit, seine ursprünglich kompromißlos strenge Form zu überwinden - nichts ist bezeichnender dafür wie die Tatsache, daß einige der bedeutendsten französischen Regisseure, Rene Clair, Jean Renoir, Jean Vigo, als „Avantgardisten" angefangen haben.

In dem noch stark im Absolutismus des „Cinema pur" befangenen Versuch von Rene Clair, sein Film "Entr'act", spürt man schon den Geist und Charme seiner späteren Spielfilme; umgekehrt findet man aber in diesen späteren Filmen deutliche Spuren jener strengen und fruchtbaren Lehrjahre, in denen auch dieser damals noch sehr junge Regisseur sich darum bemühte, das „Filmische" gewissermaßen in Reinkultur zu gestalten.

Auch Fritz Lang hat von der Avantgarde gelernt

Auch Fritz Lang, nach Lubitsch und neben Murnau gewiß einer der bedeutendsten der in deutschen Ateliers groß gewordenen Regisseure, hat nicht nur mittelbar von der Avantgarde gelernt, er hat sie auch unmittelbar benutzt, als er sich von Walter Ruttmann "Krimhilds Traum" (durch den Falken symbolisiert) in seinen Nibelungenfilm hineinkomponieren ließ.

Der unmittelbare und mittelbare Einfluß der Avantgarde war übrigens keineswegs auf den deutschen und französischen Film beschränkt, sondern auch in der anglo-amerikanischen Welt spürbar.

In Hollywood war das anders, dort regierte das Geld

In Hollywood freilich war zwar der mittelbare Einfluß auf die über die Schablone hinausstrebenden Regisseure, Autoren und Techniker sehr beträchtlich, der unmittelbare Einfluß aber minimal, denn in so hochkapitalistischen und so straff von Großindustriellen gesteuerten Millionenkonzernen bestand für „künstlerische Experimente" begreiflicherweise wenig Interesse.

Immerhin gelang es Erich v. Stroheim. bei M.G.M. den für die damalige Zeit erstaunlichen Film "Greed" durchzusetzen und damit in einer kompromißlos und stellenweise geradezu sadistisch eindringlichen Form die Gier nach Geld zu persiflieren.
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Die Premiere in Berlin ging fast daneben

Ich entsinne mich genau der deutschen Premiere im Berliner UFA-Palast, in welchem dieser Film einen regelrechten Theater-Skandal hervorrief. Ein nicht unerheblicher Teil des Publikums klatschte frenetisch Beifall, die Mehrheit pfiff und lachte.

In den nächsten Tagen äußerte die „literarische" Presse in spaltenlangen Abhandlungen ihre Begeisterung, aber der Kassenrapport war weniger erfreulich.

Das Bemerkenswerte war, der Film kam aus Hollywood

Das Erstaunliche und sozusagen filmhistorisch Bemerkenswerte an diesem Ereignis war nicht so sehr der Film an sich, sondern die Tatsache, daß er in Hollywood gemacht wurde; daß es also diesem eigenwilligen und egozentrischen Regisseur gelang, die Ermächtigung für ein nach den Begriffen des Kassenchefs gewiß mehr als fragwürdiges Experiment zu ertrotzen.

Er hatte freilich das stichhaltige Argument, daß der Film „spottbillig" war, zumindest nach den Begriffen dieses für seine Verschwendungssucht berüchtigten Regisseurs, der einmal 200.000 Dollars ausgegeben hatte, nur um für den Film »Foolish Wives« in Laemmles Universal-Gelände ganz Monte Carlo aufbauen zu lassen.

Bei solchen Riesenbauten freilich war Hollywood nie knauserig. So etwas gilt als „production value", man sieht es ja auf der Leinwand, man hat also etwas fürs Geld. Aber schließlich ist das ein für den Geldgeber durchaus begreiflicher und berechtigter Gedanke.

Ein künstlerisches Experiment für den Erfolg von morgen zu wagen

Für den Zuschauer, der nur ein paar Mark für seine Eintrittskarte zu riskieren braucht, ist es sehr einfach, sich über harthörige und rückständige Geldleute zu mokieren, die immer nur dem Erfolg von gestern und vorgestern nachlaufen und weder den Mut noch die Phantasie haben, ein künstlerisches Experiment zu wagen und damit den Erfolg von morgen und übermorgen beim Schopf zu packen.

Ganz so einfach liegen die Dinge nicht, denn hier stoßen wir auf den Kern einer für die schaffenden Künstler sowie für die verantwortlichen Geschäftsführer gleichermaßen wesentlichen Frage.

Sie ist nicht ohne weiteres mit Ja oder Nein zu beantworten, und wer immer ernsthaft am Film interessiert ist, muß versuchen, beiden Seiten gerecht zu werden.

Man nennt das auch "Mut zum Risiko" wagen

Gewiß darf man von einem großen und reichen Filmkonzern den Mut und die Phantasie verlangen, neue Wege zu gehen, auch wenn sie kostspielig und keineswegs erfolgversprechend sind.

Genauso wie jedes große Industriewerk bereit ist, erhebliche Beträge für Forschungszwecke und Versuchsstationen auszugeben, genauso sollte auch ein großer Filmkonzern ab und zu nicht das finanzielle Risiko eines Films scheuen, der ohne Rücksicht auf die Prognose der Kassenexperten künstlerisches Neuland sucht.

"Künstlerische Prestigefilme" kontra "Brot- und Butter-Filme"

Aber eben das geschieht und ist immer geschehen. Sogar in Hollywood tut man das von Zeit zu Zeit, und in Europa - besonders in der großen Zeit der UFA - war man darin noch großzügiger.

Jeder bedeutende Filmkonzern ist stolz auf seine „künstlerischen Prestigefilme", deren Defizit von mehr oder minder sicheren Kassenmagneten der Brot- und Butter-Filme gedeckt wird.

Die Größenordnungen ausserhalb des Films sind anders

Andererseits muß der in seinen künstlerischen Hoffnungen von allzu geschäftstüchtigen (oder doch geschäftssüchtigen) Filmdirektoren enttäuschte Nörgler gerechterweise zugeben, daß ein künstlerisches Experiment im Film erheblich schwieriger und riskanter ist als etwa in der Malerei und Musik, in der Literatur und auf der Bühne.

Der Maler riskiert nur eine Leinwand, etwas Farbe und seine Zeit, der Kunsthändler allenfalls einen kleinen Vorschuß und die Rahmungskosten.

Ein gewagt neuartiges Musikwerk in ein Konzertprogramm aufzunehmen, erfordert zwar Mut und Verständnis, aber nur geringes finanzielles Risiko.

Ein literarischer Neutöner braucht nur Papier und Bleistift, und sein Verleger wird halbwegs auf die Kosten kommen, wenn sich im Laufe der Jahre 1.000 bis 2.000 Käufer des Buches einfinden.

Ein dramatisches Experiment auf die Bühne zu stellen ist schon etwas kostspieliger, aber wenn sich im Laufe von ein paar Wochen 10.000 bis 20.000 Interessenten zur Theaterkasse locken lassen - und auf die kann man ja in einer Millionenstadt mit einiger Wahrscheinlichkeit rechnen -, dann wird der Unternehmer seinen Mut nicht zu bereuen brauchen -, und der Ruhm des literarischen Experimentes wird ihn nicht allzuviel kosten.

Ganz anders aber im Film.

Denn wie neuartig auch der Stoff, wie eigenartig seine Gestaltung: die Fabrikationsmethode erfordert dieselben technischen und finanziellen Voraussetzungen wie jeder „kassensichere" Durchschnittsfilm, nämlich einen regelrechten Fabrikbetrieb.

Hier ist es bei einem „literarischen Experiment" nicht mit etwas Kleingeld abgetan. Das finanzielle Risiko geht bestimmt in die Hunderttausende, es kann sogar der Million nahekommen und sie überschreiten.

Um aber solche Beträge einzuspielen, bedarf es einer großen Vertriebsorganisation, und mit den paar tausend Sonderinteressenten, die man in jeder Großstadt auch für das Absonderlichste findet, ist dabei nicht viel geholfen.

Man muß, um halbwegs auf die Kosten zu kommen, Millionenmassen an die Kinokassen ziehen, man kann sich also nicht mit dem für alles Neuartige am ehesten aufgeschlossenen Großstadtpublikum begnügen.

Man braucht auch die Kleinstädter und die Dörfler.

Man muß sehr in die Breite gehen, anstatt ein bißchen in die Tiefe.

Damit sind die natürlichen Grenzen aufgezeigt, an die sich der filmische Neutöner halten muß: er hat einen ganz anderen Generalnenner als sein Kollege in der Literatur oder in der Musik, er darf sich nicht mit dem Appell an die Literaten und die „geistige Elite" begnügen, er muß an die große Masse appellieren.

Der Niveauunterschied zwischen „Elite" und "Masse"

So bleibt die nie beantwortete Frage, wie groß eigentlich der Niveauunterschied zwischen „Elite" und "Masse" ist und ob nicht dieses Niveau sehr häufig von denen unterschätzt wird, deren Aufgabe es ist, möglichst genau zu wissen, was das Publikum will und was es ablehnt.

Auch diese Frage ist nicht leicht mit einem klaren Ja oder Nein zu beantworten, obschon mit einiger Sicherheit anzunehmen ist, daß die angeblich unfehlbaren Experten oft dazu neigen, das Massenniveau zu unterschätzen.

Mit absoluter Sicherheit läßt sich nur das eine sagen, daß die Experten keineswegs unfehlbar sind.

Über die Irrtümer, die Publikumswirkung zu prophezeien

Auf keinem Gebiete menschlicher Unternehmungen irrt man sich häufiger und drastischer als im Versuch, die Publikumswirkung eines Kunstwerks zu prophezeien. Einerlei, ob es sich dabei um ein Musikwerk, ein Romanmanuskript oder ein Filmobjekt handelt.

Beispiel : Das Manuskript von "Im Westen nichts Neues"

Dem Schriftsteller Erich Maria Remarque wurde das Manuskript von "Im Westen nichts Neues" von sehr vielen Verlegern abgelehnt, bis sich einer (der es auch schon zurückgeschickt hatte) die Sache noch einmal überlegte und es schließlich zögernd annahm, ohne zu ahnen, daß er damit einen Welterfolg einheimste.

Dieses Beispiel ließe sich auf jedem Gebiet vervielfachen, besonders im Film, wo man noch erheblich häufiger danebentippt als in der Literatur und in der Musik.

Die eigene Erfahrung - ein lehrreiches Beispiel

Ich (Heinrich Fraenkel) kann dafür aus eigener Erfahrung ein lehrreiches Beispiel anführen, aus dem ich meinerseits zum mindesten etwas Bescheidenheit gelernt habe.

In den 1920ziger Jahren arbeitete ich eine Zeitlang bei der "Fanamet", also dem von den damals größten amerikanischen Konzernen "Famous Players", "First National" und "Metro-Goldwyn-Mayer" gegründeten Trust, der eine gegenseitige Konkurrenz ausschloß und auf dem Balkan und den zentraleuropäischen Märkten einen Gemeinschaftsvertrieb bedingte.

Der deutsche Markt war zwar nicht uns, sondern unserer Schwesterfirma "ParUFAmet" eingegliedert; aber auch wir hatten unsere Zentrale in Berlin und regierten von dort aus unsere neun Märkte von der Ostsee bis zum Bosporus.

Jährlich etwa 200 Filem aus Hollywood beurteilen

Alljährlich kamen dann die vierzehn Tage, die man fast ausschließlich im Vorführungsraum verlebte, denn da mußten aus über zweihundert Filmen, die uns die Stammfirmen aus Hollywood geschickt hatten, die sechzig oder siebzig ausgesucht werden, die wir brauchten.

Man sah also in diesen zwei Wochen täglich etwa fünfzehn Filme; die meisten wurden zwar nach dem ersten oder zweiten Akt „abgewinkt", aber vier oder fünf sah man doch vom Anfang bis zum (Happy) Ende.

Ich selbst saß zwar als Presse- und Propagandamann nur bescheiden in einer Ecke, machte mir meine Notizen und wurde allenfalls ab und zu um meine Meinung befragt.

Die Entscheidungen fällten die Generaldirektoren

Die Entscheidungen aber wurden natürlich nicht von einem simplen Abteilungsleiter getroffen, sondern von dem guten Dutzend Generaldirektoren, die in den weichsten Sesseln jenes Vorführraums saßen.

Unter ihnen waren die erfahrensten und besten Fachmänner, die für jeden unserer Märkte zu haben waren, und doch tippten wir oft genug daneben.

Filme, von denen man sich besonders viel versprach, erwiesen sich später als Nieten, und der eine oder andere, der gerade noch gegen starken Widerspruch durchrutschte, brachte den Sensationserfolg.

Die Binsenwahrheit - auch auch die besten Fachleute können sich irren

Mit der Binsenwahrheit, daß auch die besten Fachleute sich in ihrem Werturteil irren können, ist freilich noch nicht die wesentlichere und schwierigere unserer beiden Fragen beantwortet; die Frage nach dem vermeintlichen oder wirklichen Niveauunterschied zwischen dem großen Publikum und den sogenannten Intellektuellen.

Die werden gewiß, sei es aus geistigem Snobismus, sei es aus wirklichem Interesse und Verständnis, sich für ein Kunstprogramm begeistern, das dem Durchschnittspublikum „zu hoch" sein mag.

Bleibt aber immer noch die Frage, wo die Grenze zu ziehen ist.

Die 200 Filme waren für die "Masse" gedacht

Bedenken wir, daß es sich bei den zweihundert Hollywoodfilmen, die uns in jenem Vorführungsraum zur Auswahl gestellt wurden, fast ausschließlich um erst- und zweitklassig konfektionierte Ware handelte, die für den Massenabsatz bestimmt und kaum je durch absonderliche Experimente gefährdet war; aber auch da war ein treffsicheres Werturteil schwierig.

Darf man den Geschmack des Publikums ändern ?

Wie aber, wenn man dem Publikum etwas ganz Neuartiges bieten will? Wie weit darf man da gehen? Und wenn man dreist riskiert, zu weit zu gehen, hat man denn nicht das Recht (und die Pflicht), das Publikum zu erziehen? Wo bliebe denn sonst der Fortschritt?

Man wird sich damit trösten können, daß auch ein so packender Stoff und eine so hinreißende Musik wie „Carmen" bei der Premiere ausgepfiffen wurde; man wird sich vielleicht sagen, daß oft genug die Avantgarde von gestern der Normalgenuß von heute ist und morgen schon „rückständig" sein wird.

Filmhistorisch gesehen stimmt das freilich nicht ganz. Richtig dagegen und für unsere Betrachtung sehr wesentlich ist es, daß die künstlerischen Impulse der Vorläufer und der sonstwie „absonderlichen" Filme von gestern und vorgestern lebendig geblieben sind und sich heute auch in den „Normalfilmen" auswirken.

Die fruchtbaren Impulsen in Europa

An so fruchtbaren Impulsen hat es im Europa der zwanziger Jahre nicht gefehlt: weder in Frankreich und ganz gewiß in Deutschland, noch in Schweden und etwas später in Rußland.

Auch die Wirkung, die von diesen Impulsen ausging, war durchaus international. Sie war in Hollywood nicht weniger bemerkenswert als in England, obschon sie sich in beiden Fällen sehr verschieden äußerte.

Gesteigertes Interesse am europäischen Film und an den europäischen Märkten

In Hollywood begann man anfangs der zwanziger Jahre dem europäischen Film ein stets gesteigertes Interesse zu zeigen; freilich nicht nur dem europäischen Film, sondern noch mehr den europäischen Märkten, die von einem umfassenden Netz amerikanischer Vertriebsstellen überzogen wurden.

Das Resultat war, daß sehr bald auch die amerikanischen Durchschnittsfilme auf den europäischen Märkten heimisch wurden, während umgekehrt nur die europäischen Spitzenfilme in Amerika offene Kinotüren fanden, und auch die nur in sehr begrenztem Maße.

Der Einfluß aus Europa auch auf Hollywood

Erheblich stärker war freilich der Einfluß dieser Filme auf Hollywood selbst, also auf die schaffenden Künstler und Techniker. Die lernten von den europäischen Kollegen, was immer ihnen für ihre Zwecke brauchbar schien, und die nächste und unausbleibliche Folge war die, daß man die besten europäischen Regisseure, Darsteller und Techniker einfach wegengagierte.

Englands Filmindustrie und die Krisen

Ganz anders lagen die Dinge in England, dessen Filmindustrie in der ersten Hälfte der zwanziger Jahre durch die erste ihrer im Laufe der nächsten Jahrzehnte mehrfach wiederholten Krisen ging; denn obgleich die englische Regierung schon damals begann, die heimische Filmproduktion durch eine Kontingentgesetzgebung zu schützen, war damit die Überflutung des Marktes durch amerikanische Filme zwar etwas eingedämmt, aber keineswegs verhindert.

Hollywoods Premierentheater in London

England war schon in der Stummfilmzeit Hollywoods wichtigster Auslandsmarkt; in den zwanziger Jahren bauten die großen amerikanischen Konzerne ihre eigenen Premierentheater in London, und das Netz ihrer Verleihfilialen umspannte das ganze Land.

Man kannte draußen nur Hitchcock und Wilcox

Die heimische (englische) Produktion lag danieder, und außer Alfred Hitchcock und Herbert Wilcox gab es in der Stummfilmzeit kaum einen englischen Regisseur, dessen Name jenseits der Heimatinsel bekannt wurde.

Um so bezeichnender ist es, daß gerade diese beiden Regisseure in ihrer Frühzeit nicht nur ihre wesentlichen Anregungen und künstlerischen Impulse aus Deutschland empfingen, sondern daß eine ganze Reihe ihrer Filme in Geiselgasteig oder in Berliner Ateliers und in Gemeinschaft mit deutschen Firmen gedreht wurde.

Wesentlicher und nachhaltiger war jedoch in jenen Jahren die mittelbare Wirkung des deutschen Films in England; denn nirgends wurde den neuen Impulsen, die von den besten dieser Filme ausgingen, größere Beachtung geschenkt als in England; nirgends - nicht einmal in Deutschland selbst - wurden mehr Bücher darüber geschrieben, nirgends mehr darüber geredet und debattiert.

  • Anmerkung : Heinrich Fraenkel musste das wissen, lebte er doch lange Zeit in England und bekam das hautnah mit.

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Tor und das Sprungbrett zur großen Welt

England war damals für die besten und künstlerisch anspruchsvollsten deutschen Filme gewissermaßen das Tor und das Sprungbrett zur großen Welt.

Das hat sich natürlich auch geschäftlich ausgewirkt, indem einigen deutschen Filmen in England - und gelegentlich über England in Amerika - ein Markt eröffnet wurde.

Aber allzu viele Dollars und Pfunde sprangen dabei nicht heraus, unverhältnismäßig größer war der Prestigegewinn.

1925 - Die Londoner Film-Society

Der war im wesentlichen der 1925 in London gegründeten Film-Society zu danken, die dadurch eine filmgeschichtliche Rolle gespielt hat, für uns aber noch aus einem anderen Grunde bemerkenswert ist.

Sie hat ein paar Teilantworten geliefert auf unsere ungelöste Frage, ob das Niveau des Publikumsgeschmacks von der „Branche" unterschätzt wird.

Die Londoner Film-Society - analog der ähnlichen Zwecken dienenden „Stage Society" - hatte es sich nämlich zur Aufgabe gemacht, ihren Mitgliedern von Zeit zu Zeit Filme zu zeigen, mit deren öffentlicher Vorführung kaum zu rechnen war, eben weil sie in der „Branche" als für das Durchschnittspublikum „zu hoch" und demnach als jenes Schreckgespenst verschrieen waren, für das es in Hollywood, New York und London das schöne Fachwort „Box Office Poison" gibt.

„Gift für die Kinokasse"

Bliebe nur die offene Frage, wie man, ohne einen Film öffentlich vorzuführen, beweisen kann, daß er „Gift für die Kinokasse" ist.

Nun waren ja die Vorführungen der Film-Society keineswegs öffentlich, sondern nur für Mitglieder, aber da es deren immerhin etwa tausend gab, die ziemlich vollzählig erschienen und auch Gäste mitbrachten, so war stets eines der größten Londoner Premierentheater überfüllt.

Schriftsteller, Künstler, Parlamentarier und sonstige Prominenzen

Und da zu den eifrigsten Mitgliedern, die fast keine Vorstellung ausließen, Bernard Shaw und H. G. Wells gehörten und viele andere berühmte Schriftsteller, Künstler, Parlamentarier und sonstige Prominenzen, so galt jede dieser Sonntagsmatineen als ein gesellschaftliches Ereignis, das von der Presse viel mehr beachtet wurde als irgendeine öffentliche Galapremiere.

Es galt ja als ein buchstäblich „einmaliges" Ereignis, denn Wiederholungen gab es nicht, und mit einer öffentlichen Vorführung eines als „unkommerziell" abgelehnten Films war kaum zu rechnen.

Aber gerade das erwies sich erfreulicherweise oft genug als eine Fehlrechnung, und es bleibt das historische Verdienst der Film-Society, manchem als „kommerziell unmöglich" geltenden Film die Bresche zur öffentlichen Vorführung geschlagen zu haben und bisweilen sogar zu geschäftlichem Erfolg jenseits der paar großstädtischen Spezialtheater, in denen auch der absonderlichste Film sein Publikum finden mag.

Über die Ehrenmitglieder der Film-Society

Die meisten dieser Filme waren deutschen Ursprungs, und es war gewiß kein ZUFAll, daß Erich Pommer schon bei der Gründung der Film-Society zum Ehrenmitglied ernannt wurde; daß ich selbst (also der Autor Heinrich Fraenkel), damals noch ein junger Filmjournalist, der gleichen Ehre gewürdigt wurde, hatte ich dem ZUFAll zu danken, daß ich meine englischen Freunde ab und zu auf besonders interessante deutsche Filme hinweisen und bei der Titelbearbeitung etwas helfen konnte.

(Aber gerade die besten dieser Filme, wie etwa die Lupu-Pidc-Filme "Silvester" und "Scherben" und der Arthur Robison-Film "Schatten" hatten sehr wenige oder gar keine Zwischentitel.)

Die Filmschaffenden selbst konnten voneinander lernen

Wenn man heute die filmhistorische Bilanz der Film-Society und ähnlicher gemeinnütziger Bestrebungen macht, dann bleibt als wesentlicher Gewinn nicht so sehr die Tatsache, daß hie und da ein ungewöhnlicher Film auch durch materiellen Erfolg den Mut seiner Hersteller lohnte, einige Devisen einbrachte und damit Hoffnungen erfüllte, mit denen man kaum zu rechnen wagte.

So etwas war eine angenehme Zugabe und für die Hersteller gewiß erfreulich und ermutigend. Aber die wesentliche und dem allgemeinen Fortschritt dienende Wirkung war die, daß die Filmschaffenden selbst, die Regisseure und Autoren, die Techniker und Darsteller aller Länder die Gelegenheit hatten, etwas voneinander zu lernen.

Es war mehr eine Tiefenwirkung als eine Breitenwirkung. Es war dasselbe, was in noch höherem Maße und viele Jahre lang die Schwedenfilme geleistet haben.

Über die merkwürdige amerikanische Literatur

Darüber einiges zu sagen ist primitivste Dankespflicht und sie zu erfüllen ist um so wichtiger, als sie in fast jedem Buch über den Film sträflich vernachlässigt ist, besonders in den riesigen und vielbändigen Geschichtswerken, die in Frankreich, England und Italien erschienen sind, ganz zu schweigen von der amerikanischen Literatur, in der man den Schwedenfilmen nicht einmal die paar Zeilen gönnt, die allenfalls in einem europäischen Folianten darüber zu finden sind.

Dabei gibt es wohl keinen der großen amerikanischen Regisseure und bestimmt keinen europäischen, der nicht einige seiner wesentlichen künstlerischen Impulse den Schwedenfilmen verdankt, besonders den allerfrühesten, die schon vor dem Ersten Weltkrieg und bis zum Beginn der zwanziger Jahre entstanden.

Die Glanzperiode die schwedischen Filmproduktion

Nichts wäre übrigens "falscher" (??) als die vielfach verbreitete Meinung, daß nach einer kurzen und lediglich mit den Namen Sjöström und Stiller verknüpften Glanzperiode die schwedische Filmproduktion eingegangen sei. Sie hat zwar im Laufe der Jahrzehnte ihre stillen Zeiten gehabt, aber gewiß mehr als eine Glanzperiode, und sie hat auch im Tonfilm und sogar in allerjüngster Zeit der Filmproduktion aller Länder wertvolle künstlerische Anregungen gegeben.

Auch darf man über den Weltruhm, den sich Victor Sjöström und Mauritz Stiller erworben haben, nicht die Namen der anderen bedeutenden Schweden vergessen, die schon in der Frühzeit dem Film neue Wege wiesen: die Regisseure John Brunius, Ivan Hedquist, Karl Dreier (der freilich aus Dänemark stammte), den hervorragenden Kameramann und Produzenten Julius Jaenzon und vor allem Charles Magnusson, den Produktionschef, der nicht nur den Mut, sondern auch das Verständnis für die Pläne seiner Künstler aufbrachte und die Atmosphäre schuf, in der eben jener „Schwedenstil" werden und gedeihen konnte.

„Schwedenstil" - die Natur filmisch gestalten

Was hat es nun eigentlich mit diesem berühmten „Schwedenstil" für eine Bewandtnis? Wollte man ihn auf eine einfache Formel bringen, dann genügte das eine Wort: Natur. Die Schweden haben es unternommen und verstanden, die Natur filmisch zu gestalten.

Die segenspendende Kraft und die toddrohende Gefahr des Meeres, die Einsamkeit und die schauerliche Weite der tiefverschneiten Winterlandschaft, die Lieblichkeit der im Sonnenglanz ruhenden sommerlichen Seeufer - all das ist schon in den frühesten Schwedenfilmen nicht bloß toter Hintergrund, es spielt mit, es ist organisch mit der Handlung verwoben und mit den Menschen, die dort daheim sind.

Dadurch nicht minder wie durch die Vermeidung jeder billigen Effekthascherei haben schon die frühesten Schwedenfilme den unverkennbaren Stil einer „Echtheit" und Geradlinigkeit, die so viele andere „Großfilme" jener Perioden vermissen lassen; aber auch der Stoffwahl ist da zu danken, also der klugen Einsicht Magnussons und seiner Regisseure, fast ausschließlich aus der großen Literatur des eigenen Landes zu schöpfen.

Es ist sehr bezeichnend, daß Selma Lagerlöf (nachdem schon "Das Mädchen vom Moorhof" von Sjöström und "Rosen im Herbst" von Hedquist verfilmt waren) lebhaften Anteil an der Verfilmung ihres "Gösta Berling" nahm und zunächst sehr energisch gegen die erhebliche „filmische Freiheit" protestierte, die sich Stiller bei der Drehbucharbeit erlaubte; schließlich aber sah sie ein, daß ein so großes Romanwerk nicht ohne gewisse Schnitte und Änderungen auf die Filmleinwand zu bringen war.

Greta Garbos erste Rolle und ihr Künstlername

Im Gösta-Berling-Film hat die Garbo bekanntlich ihre erste große Rolle gespielt; was aber weniger bekannt sein dürfte, ist eine für Mauritz Stiller recht bezeichnende Tatsache, die mir kürzlich in Schweden berichtet wurde: daß dieser große Regisseur die Garbo nämlich nicht nur „entdeckt" hat, sondern daß er ihre Persönlichkeit und sogar ihren Künstlernamen gewissermaßen vorausgeahnt hat, bevor sie selbst in Erscheinung trat.

Nach dem Welterfolg des "Eroticon" und in den Vorarbeiten zum "Gösta Berling" suchte Stiller nach der weiblichen Idealgestalt, die ihm vorschwebte, und vergnügte sich zunächst spielerisch damit, ihr einen Namen zu geben.

Sein dramaturgischer Mitarbeiter, Arthur Norden, beschäftigte sich gerade mit der Geschichte des Ungarnkönigs Gabor Bethlen und schlug für die noch zu findende Idealschauspielerin den Namen Mona Gabor vor.

Stiller gefiel das, und er rollte genießerisch Abwandlungen wie Gabor, Gabro, Garbo über die Zunge, als ihm ein Fräulein Gustafsson gemeldet wurde. Sie war von dem dänischen Schauspieler Carl Brisson und von der Stockholmer Theaterschule empfohlen. So wurde sie Greta Garbo und spielte die Rolle der Elisabeth Dohna in Gösta Berling.

Greta Garbo - zwar „entdeckt" aber noch unbekannt

Sie war zwar „entdeckt", aber ihre Karriere außerhalb Schwedens war trotzdem noch keineswegs gesichert, sie mußte - wie wir im nächsten Kapitel sehen werden - in Deutschland noch einmal ganz neu entdeckt werden und später in Hollywood zum drittenmal.

Dort war sie mit Stiller gelandet, der selbst zwar eine Zeitlang sehr gefeiert wurde, aber keinerlei Chance bekam, seine eigenen Ideen durchzusetzen und sich künstlerisch zu entfalten.

Nicht alle Geschichtswerke stimmen wirklich

Das gleiche gilt für Sjöström, der keineswegs (wie in den meisten Geschichtswerken berichtet wird) nach Hollywood „emigrierte", sondern von Magnusson hingeschickt wurde, eben um zu lernen, ob sich nicht eine Synthese finden ließe zwischen seiner eigenen kompromißlos künstlerischen Integrität und den weniger wählerischen Mitteln, mit denen die Massenwirkung und der geschäftliche Erfolg zu erzielen sind.

Sjöström ist es selten gelungen, diese Synthese in der Vollendung zu finden; woraus nicht zu schließen ist, daß es sie nicht gibt. Sie ist oft genug in mehr oder minder vollendeter Form gefunden worden, meistens nur in minder vollendeter Form, manchmal auch in ganz makelloser Vollendung und nicht zum wenigsten in der großen Blütezeit des deutschen Stummfilms, Mitte der zwanziger Jahre.
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