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Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957

überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"

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Teil I - KAPITEL 07
"DIE GROSSEN SCHINKEN"

Vom römischen Kolosseum und von echten Löwen / Von D. W. Griff!th und vom größten Kassenschlager aller Zeiten / Von den Geheimnissen der Filmschreiberei / Vom Indischen Grabmal und dem Weib des Pharao / Von Emil Jannings und von
Conrad Veidt.


Quantität und Qualität - sind das nicht Gegensätze ?

Wie reimt sich das zusammen: große Schinken und künstlerische Leistung, Quantität und Qualität - sind das nicht Gegensätze ? Und wie reimt sich die „erste Nachkriegsblüte" mit dem abscheulichen Kitsch und den üblen pornographischen Geschmacklosigkeiten zusammen, deren sich jeder Leser erinnert, der schon 1919/20 ins Kino gehen durfte (oder ging, ohne es zu dürfen)?

Mosaiksteine für das Gesamtbild

Es reimt sich alles zusammen. Oder vielmehr, es sind alles Mosaiksteine, von denen wir auch die häßlichen und die nicht ganz sauberen betrachten müssen, um nicht das Gesamtbild zu verzerren. Auch die Widersprüche und Gegensätze sind ja oft nur Reaktionserscheinungen und manchmal sehr gesunde Auswüchse, welche die Gesamtentwicklung vorwärtstrieben.

Es war kein ZUFAll, daß die großen Schinken die subtilen Kammerspiele zur Folge hatten und daß die Aufklärungsfilme vom Expressionismus und von der Avantgarde abgelöst wurden, die dann ihrerseits wieder als Sauerteig der künftigen Entwicklung zur Gärung verhalfen.

Bei Kriegsende 1918 waren von den deutschen „großen Schinken" einige schon ganz oder fast fertig, wie etwa Joe Mays "Veritas Vincit", Lubitschs "Carmen"-Film und der zweiteilige "Otto Rippert"-Film.

Widerspruch zwischen Quantität und Qualität

"Der Weg, der zur Verdammnis führt" und "Hyänen der Lust"; und da ihnen viele andere folgten, müssen wir erst den Widerspruch zwischen Quantität und Qualität zu klären versuchen.

Ist es denn überhaupt ein Widerspruch? Nicht unbedingt; obschon die Qualität eines Filmes keineswegs durch „Monumentalität" gesichert ist, braucht der Film nicht gerade deshalb schlecht zu sein.

1.500m Film gelten als veritabler Großfilm

Es spricht sogar manches für die These, daß die Erscheinung der „großen Schinken" gerade in jener Periode der filmgeschichtlichen Entwicklung durchaus natürlich, verständlich und sogar unvermeidlich war.

Wir haben gesehen, wie der Film sich von den "Minutenfilmchen" der 1890ziger Jahre zu den "Zehnminutenstreifen" in den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts entwickelte und wie zu Beginn des zweiten Jahrzehnts ein Dreiakter (ca. 900m mit etwa 40 Minuten Laufzeit) oder gar ein 1.500m Film als veritabler Großfilm galt.

Je mehr die technischen und finanziellen Mittel (und die dramaturgische Erfahrung) es erlaubten, einen Stoff im größtmöglichen Umfang zu gestalten, um so eifriger erstrebte man das quantitative Maximum.

Eine Pubertätserscheinung der Filmgeschichte

Als man sich an „Massenszenen" gewöhnt hatte, in denen zwanzig oder ein paar Dutzend Komparsen von der Kamera eingefangen waren, war es nicht minder natürlich, daß man schnell lernte, erst mit Hunderten und dann mit Tausenden zu operieren.

Je mehr desto besser und je größer desto lieber. Die Anzahl der Meter, die Größe der Bauten und die Masse der Komparsen hatte noch den Reiz der Neuheit.

Es war eine Wonne, nun da man „den Bogen heraushatte", ihn bis zum Äußersten zu spannen und immer wieder zu versuchen, dabei sich selbst und andere zu übertreffen. Es war eine durchaus natürliche Pubertätserscheinung der Filmgeschichte.

Die „Monumentalfilme" haben den Reiz der Neuheit längst verloren

Aber diese Maßlosigkeit findet man mitunter auch im reifen Mannesalter, vom Greisenalter ganz zu schweigen. So hat sich auch im Film die Vorliebe für „große Schinken" allezeit erhalten, und es ist nicht einzusehen, warum sie jemals verschwinden sollte.

Denn diese Vorliebe, zumal wenn sie auf gewisse Regisseure und geeignete Stoffe beschränkt bleibt und nicht Selbstzweck wird, ist etwas durchaus Natürliches.

Den Reiz der Neuheit hat sie freilich längst verloren, und nie wieder wird man „Monumentalfilme" mit der gleichen Verve und Begeisterung machen wie in jenen Jahren, als man damit noch Pionierarbeit leistete.

Die Filmgeschichte eines Landes kann man gar nicht schreiben

Wenn man auf eine Spanne von über vier Jahrzehnten zurückblickt, muß man neidlos die Leistung anerkennen und die Abwege und Auswüchse verzeihen, auch wenn sie uns heute albern und unfreiwillig komisch vorkommen.

Bedenken wir nur die Kürze der Zeitspanne, die damals vergangen war, seit der im Märchentempo wachsende Riese aus den ersten Schuhnummern seiner Siebenmeilenstiefei herauswuchs.

Die in Deutschland schon vor Ende des Krieges fertigen „Monumentalfilme" waren weder die einzigen noch die ersten. In Schweden, in Amerika und in Dänemark, von wo aus "Die Lieblingsfrau des Maharadscha" (in zwei Teilen) den Siegeszug durch deutsche Kinokassen antrat, hatte man schon etwas eher damit begonnen und in Italien noch früher; woraus sich die wesentliche Tatsache ergibt, daß es fast unmöglich ist, die Filmgeschichte eines Landes zu schreiben.

Der Film ist international und muß es sein.

Es hat nicht nur jeder Filmschöpfer zumindest die Hoffnung, daß sein Werk die Grenzen des eigenen Landes überschreiten wird, er steht ja auch, bewußt oder unbewußt, unter dem Einfluß der neuesten Leistungen des Auslandes.

So wie die Kleidermode international bestimmt wird und aus dem Lande ihrer Konzeption flugs die Grenzen überspringt und allenthalben nachgeahmt wird, so gibt es auch in der Entwicklungsgeschichte des Films „Moden", die alsbald internationale Gültigkeit gewinnen und meistens so lange durchgepaukt werden, bis das Publikum die Lust daran verloren hat und eine ganz andere Richtung verlangt.

Das braucht keineswegs eine nagelneue Richtung zu sein, sie kann auch - genau wie in der Kleidermode - an vorgestern anklingen, immer vorausgesetzt, daß die Fransen halbwegs neu sind.

Die römische Geschichte und die Sonne als Zugabe

Zwangsläufig war es auch, daß man gerade in Italien mit den „großen Schinken" begann; nicht nur, weil aus klimatischen und anderen Gründen die Filmindustrie dort schon im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts sich schnell entwickelte, die technischen Voraussetzungen also gegeben waren, sondern vor allem auch, weil die römische Geschichte die entsprechenden Stoffe und Rom selbst die historischen Stätten für die Außenaufnahmen bot; den blauen Himmel und die ungestörten Lichteffekte der lieben Sonne gab es noch als Zugabe.

Der erste "Quo Vadis" Film aus Rom

Kein Wunder also, daß man den ersten „Monumentalfilm" in Rom drehte und daß man bei der Stoffwahl auf "Quo Vadis" verfiel, war beinahe unvermeidlich.

Der berühmte Roman des Polen Sienkiewicz ist seitdem mindestens ein halbes dutzendmal verfilmt worden - einmal auch mit Emil Jannings als Nero, und zum (vorläufig) letztenmal in den fünfziger Jahren -, aber schon der erste "Quo Vadis"-Film war für damalige Verhältnisse ein riesenhaftes Projekt; es wurde weder an Löwen noch an Gladiatoren, noch an „Römern" gespart, diesmal sogar echten Römern, die das weite Rund des Kolosseums, des echten Kolosseums, füllten.

Dieser Film wurde von dem Maler Enrico Guazzoni inszeniert und hat nicht nur seinen Herstellern großen Gewinn gebracht, sondern auch die filmgeschichtliche Entwicklung wesentlich beeinflußt, indem er für die jetzt sozusagen „fällige" Richtung der Monumentalfilme wegweisend war.

Der Größenwahn und das Ende jener ersten Blütezeit des italienischen Films

Begreiflicherweise hat dieser große Erfolg der italienischen Produktion einen besonderen Ansporn gegeben. Es wurden in den folgenden Jahren - also unmittelbar vor dem Krieg und vor allem in der Kriegszeit - noch erheblich größere Filme hergestellt, wie etwa "Julius Cäsar" (auch ein fast unvermeidliches Thema) und vor allem der von Gabriele d'Annunzio mit für damalige Verhältnisse riesigem Aufwand geschaffene Film "Cabiria" -, natürlich wieder ein historischer Stoff, mit dem Hintergrund der Eroberung von Karthago.

Der Aufwand war allzu riesig, und die Gagen, die man damals schon Francesca Bertini, Marcella Albani, Tina Menichelli und anderen Filmstars zahlte, wurden um die Wende des ersten Jahrzehnts allenfalls von dem Pariser Komiker Max Linder erreicht; wären auch die Stargagen an sich noch tragbar gewesen, die allgemeine Verschwendungssucht der nach dem Riesenerfolg von "Quo Vadis" etwas größenwahnsinnig gewordenen Fabrikanten führte vor dem Ersten Weltkrieg zum Ende jener ersten Blütezeit des italienischen Films.

Große Schinken sogar bei den Schwedenfilmen

Nichts ist für die Zwangsläufigkeit der Periode der großen Schinken bezeichnender als die Tatsache, daß sie damals sogar unter den Schwedenfilmen zu finden waren; denn diesen war von jeher Pomp und Prunk zuwider, und sie haben sich sehr bald in einem auf durchaus feinere Mittel eingestellten Stil entwickelt und ihren Weltruhm sowie ihren starken Einfluß auf die künstlerische Entwicklung des deutschen Films gewiß nicht aus Riesenbauten und Massenszenen bezogen.

Trotzdem gab es also im Jahre 1919 mindestens einen Schwedenfilm, "Herrn Arnes Schatz", der auch auf diesem Weg richtunggebend war. Mauritz Stiller hat damit bewiesen, daß er mit Massenszenen nicht minder wirken konnte als mit den subtileren Mitteln, die ihm sowie Victor Sjöström, John Brunius, Olaf Molander und anderen großen schwedischen Regisseuren artgemäßer waren.

Ernst Lubitsch - jetzt in Hollywood - erzählt

Fast zehn Jahre später erzählte mir Ernst Lubitsch in Hollywood, daß er aus zwei Filmen von Mauritz Stiller sehr viel gelernt habe; zuerst aus "Herrn Arnes Schatz" für die Massenszenen der Anna Boleyn, die er selbst im Jahre 1920 drehte. Ungleich mehr habe er jedoch aus "Eroticon" gelernt, den er kurz nach seiner Boleyn-Premiere zum erstenmal sah.

Denn diese feine Salonkomödie, die ihren Stoff dem berühmten ungarischen Bühnenstück "Der Blaufuchs" entnahm, dieser seiner Zeit weit vorausgeschrittene „Kammer-Spielfilm" habe ihn dazu angeregt, so bald wie möglich die „großen Schinken" an den Nagel zu hängen und sich den subtileren Wirkungen zu widmen. Dazu - etwa in dem Film "Die Flamme" - kam er jedoch erst ein paar Jahre nach Stiller, denn vorher mußte er noch "Sumurun" und "Das Weib des Pharao" drehen.

Das war mit seinen Pyramiden und Pharaonenschlössern, mit seinen ägyptischen Heerhaufen und Sklavenmassen, mit griechischen Tempeltänzerinnen und Königsgräbern der weitaus größte Stoff, an den man sich zu jener Zeit herantraute.

Lubitsch konnte getrost die Konkurrenz mit den Amerikanern aufnehmen, die nicht minder von der Sucht nach Monumentalität gepackt waren.

Machen wir also einen Sprung nach Amerika

Aber das müssen wir uns genauer ansehen. Machen wir also einen Sprung nach New York und - ja, jetzt auch schon nach Hollywood.

Denn dort war man in jenen Jahren keineswegs müßig. Dort wurden die Schinken bald so groß, daß mir mein kleiner Vorrat an Superlativen sehr schnell ausgehen dürfte.

Verzichten wir also ganz auf den Versuch, den Superlativ von „monumental" und „suprakolossal" zu finden, und suchen wir lieber nüchtern nach den Gründen des enormen Aufschwungs, den sich die amerikanische Filmindustrie in jener Zeit leisten konnte.
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Die Gründe des Aufschwungs der amerikanischen Filmindustrie

Die Gründe sind leicht zu finden. Abgesehen von der rapiden Fortschrittstendenz eines so großen und so reichen Landes, so dicht bevölkert von so unkomplizierten Menschen, die so stark zunächst an der mechanischen Spielerei interessiert waren und dann an der unerschöpflichen Unterhaltungs- und Entspannungsmöglichkeit einer so neuen und faszinierenden Kunstart - abgesehen von all diesen teilweise auch in Europa gültigen, in Amerika aber potenzierten Gründen, gab es noch einen Grund, der mit einem einzigen Wort zu präzisieren ist: den Weltkrieg.

In Europa war Krieg, aber Amerika war in den ersten drei Jahren neutral und verdiente enorm - um nicht monumental oder suprakolossal zu sagen - an Kriegslieferungen.

Das Land schwamm in den Goldreserven der Bank von England. Viele Millionen hochbezahlter Männer suchten nach einem schweren Arbeitstag allabendlich Entspannung und Unterhaltung.

Säuglinge und Kleinkinder wurden fürs Kino "geparkt"

Und ihre Frauen begannen es sich zur Gewohnheit zu machen, schon am Vormittag und noch einmal am Frühnachmittag in einen der vielen nagelneuen Kinopaläste zu gehen, wo sogar dafür gesorgt war, daß man die Säuglinge und Kleinkinder in musterhaft ausgestatteten Spielzimmern unter der Obhut geschulter Pflegerinnen „parken" konnte.

(Fürwahr ein hübscher Fortschritt von den improvisierten „Schlauchläden" mit den verstimmten Pianos, die knapp zehn Jahre vorher auch in Amerika noch vorherrschten!)

Über die Atmosphäre, die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe

Hier haben wir also die Situation, die Atmosphäre, die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe des amerikanischen Films zu Beginn des Ersten Weltkrieges.

Eines der Resultate war D. W. Griffith, der zwischen 1914 und 1916 mit den beiden Filmen »Birth of a Nation« und »Intolerance« zwei filmhistorische Marksteine schuf.

Viele Namen sind zu nennen

Es wären natürlich noch andere Namen zu nennen: Regisseure wie James Cruze und Cecil B. de Mille (der seiner Vorliebe für die großen Schinken immer treu geblieben ist), Titel wie »Daughter of the Gods«, »Covered Wagon«, »Oliver Twist«, Filmstars wie Pickford, Chaplin, Neilan.

Aber verweilen wir einen Moment bei Griffith, der uns schon einmal begegnet ist, als er der kleinen Mary Pickford mit 35 Dollar pro Woche ihre erste Chance gab. Da war er schon ein großer Mann, und um seine Anfänge aufzuspüren, müssen wir etwa zehn Jahre zurückblenden.

Wir gehen 10 Jahe zurück zu David Wark Griffith und Edison

Er kam als junger und keineswegs überbeschäftigter Schauspieler schon in den ersten Jahren des Jahrhunderts zu Edison, der damals noch seine eigene Produktion hatte, aber nicht mehr sonderlich daran interessiert war.

Der junge Schauspieler wollte Regisseur werden und - damals schon mit dem Blick für große Stoffe - dem alten Edison durchaus die Idee eines Tosca-Films verkaufen.

Der Alte biß aber nicht an. Das sei doch wohl ein für die vorhandenen technischen Mittel etwas zu anspruchsvoller Stoff, meinte er (und hatte damit nicht so unrecht). Es werde von seinen Leuten gerade ein Film vorbereitet, der "Das Adlernest" heißen sollte; es handele sich dabei um die Entführung eines Kindes durch einen Adler, und die Rolle des stämmigen jungen Försters, der am Schluß das Kind rettet, sei noch unbesetzt.

„Die würde ich gern spielen", meinte Griffith, ein Realist, der sich sagte, daß eine kleine Rolle zwar nicht so gut sei wie die Tosca-Regie, aber immerhin besser als gar nichts.

Edison widmete dem schlaksigen, spindeldürren und hohlwangigen Jüngling einen prüfenden Blick.

„Für die Rolle dieses Försters scheinen Sie mir nicht annähernd robust und stämmig genug", meinte er.

„Das macht nichts", sagte Griffith, „ich kann mich ja ausstopfen. Ich kann mich mächtig stark und stämmig machen."

Das hat er dann auch getan; das hat er sein Lebtag getan.

Die Karriere des David Wark Griffith

Aber trotzdem wäre es (filmhistorisch gesehen und bildlich ausgedrückt) grundfalsch zu behaupten, daß dieser David Wark Griffith wattierte Schultern trug. Er hat zwar das hagere Gesicht und die dürre Gestalt auch in den langen Jahren seines Weltruhms behalten, aber er war doch ein Herkules in der Filmgeschichte.

Seine Karriere hat er sehr schnell gemacht. Er galt schon ein paar Jahre vor dem Krieg als der bedeutendste amerikanische Regisseur, einer der wenigen, die dieses Titels damals wirklich würdig waren.

Er konnte es sich schon leisten, einen vierstelligen Wochenscheck abzulehnen, wenn ihm die Firma oder die Stoffwahl nicht paßte. Als er (Ende 1913) einen Stoff fand, an den er sein Herz verlor, der aber seiner vielen Schwierigkeiten wegen bei den Finanzleuten Kopfschütteln und kalte Schultern erzielte, da konnte Griffith es sich sogar leisten, den Großmoguls den Krempel hinzuschmeißen und das eigene Scheckbuch zu zücken.

Der Stoff, an den er sein Herz verlor . . .

Für den Stoff, den Griffith plante, und für das schon in der Planung immer größer werdende Vorhaben, reichten freilich auch seine schon recht erheblichen Ersparnisse nicht annähernd aus, und er war schließlich ganz froh, daß seine früheren Direktoren („widerwillig und nur ihm zuliebe") sich entschlossen, den Betrag von 25.000 Dollar für dieses „Abenteuer" zu riskieren.

Sie haben später ein Vermögen daran verdient; auch die vielen Freunde des Regisseurs, die jeder mit ein paar hundert oder ein paar tausend Dollars „einstiegen", haben später fünf- oder sechsstellig daran verdient.

Sie verdienen vielleicht heute noch daran; denn dieses ist wahrscheinlich der erfolgreichste aller jemals gedrehten Filme. Er hat noch zehn Jahre nach der Premiere alle Kassenrekorde gebrochen, und weitere fünfundzwanzig Jahre später (1950) schätzte man, daß bis dahin annähernd 150 Millionen Kinobesucher in aller Herren Ländern den Film gesehen hatten.

Aber er ist seitdem noch keineswegs abgespielt, er kommt auch heute noch von Zeit zu Zeit zur öffentlichen Aufführung und wird allezeit eines der Prunkstücke jedes Filmmuseums bleiben.

Februar 1915 - »The Clansmen« oder »The Birth of a Nation«

Was war das nun für ein Stoff, den Griffith gegen den Willen seiner Geldleute durchsetzte, und was hatten sie dagegen einzuwenden? Das Buch hieß »The Clansmen«, es war von einem Pfarrer namens Thomas Dixon verfaßt und behandelte die Taten des berüchtigten Ku-Klux-Klan, also jener rabiaten Geheimverschwörung von „Kapuzenmännern", die im amerikanischen Bürgerkrieg Fememorde und andere wilde Sachen begingen.

Und was bei den Geldleuten das (durchaus begreifliche) Kopfschütteln verursachte, war eben der Umstand, daß Griffith den Stoff wohlwollend anpackte, daß die Clansmen also nicht seine Bösewichter, sondern seine Helden waren. Man erwartete, daß der Film bittere Kontroversen und sogar politische Demonstrationen provozieren würde, und das tat er auch; das tat er zu verschiedenen Gelegenheiten und sogar in Wahlkämpfen.

Vorbereitung und Herstellung, Schnitt und Vorreklame dieses Films nahmen übrigens über ein Jahr in Anspruch, einen für damalige Begriffe unerhörten Zeitraum. Als Griffith im Februar 1914 mit dem fertigen Manuskript nach Los Angeles ging, wurde der Stoff noch streng geheimgehalten, und der Regisseur behauptete, einen ganz anderen Film zu drehen; als dann freilich die Komparsen nicht mehr zu Hunderten, sondern zu Tausenden engagiert wurden und der Film nach vielen Monaten noch immer in Arbeit war, begann das große Rätselraten, das erst zur Premiere im Februar 1915 ein Ende fand.

Der Film lief unter dem Buchtitel, »The Clansmen«, und es war am Premierenabend, inmitten turbulenter Demonstrationen und Begeisterungsausbrüche, daß der Autor ausrief, sein Buchtitel sei viel zu zahm für diesen Film, er müsse »The Birth of a Nation« genannt werden. Und das geschah.

Und er würde 1955 nochmal gedreht - in Hollywood

Kurz vor der Drucklegung dieses Buches (also 1955) geht die Nachricht durch die Presse, daß in Hollywood dieser berühmte Stoff noch einmal und zwar diesmal mit einem Kostenaufwand von acht Millionen Dollar gedreht werden soll.

Ein angebliches Einspielergebnis von 50 Millionen Dollar

Es wird in diesem Zusammenhang auch mitgeteilt, daß Griffiths »Birth of a Nation« im Laufe von vier Jahrzehnten etwa fünfzig Millionen Dollar eingespielt hat - eine Ziffer, die mir, (bschon „brutto", also ohne Vertriebs- und Verleihspesen zu verstehen) doch einigermaßen übertrieben zu sein scheint.

Die junge Lillian Gish, die damit über Nacht weltberühmt wurde, hat dann noch in vielen Griffith-Filmen gespielt, wie etwa (mit ihrer Schwester Dorothy zusammen) in "Zwei Waisen im Sturm der Zeit", einem jener Riesenfilme, an denen nach dem Krieg auch das deutsche Filmpublikum besonderen Gefallen fand; wobei am Rande zu vermerken wäre, daß dieser Film erst 1923 in Deutschland erschien und daß auch die meisten anderen der wirklich sehenswerten amerikanischen Filme erst Jahre nach ihrer Uraufführung auf dem deutschen Markt erschienen, auf dem man inzwischen, also in den ersten drei oder vier Nachkriegsjahren, vorwiegend die amerikanische Dutzendware absetzte.

In den USA bereits 1916 - »Intolerance«

Lange vorher jedoch - schon unmittelbar nach »Birth of a Nation«, also im Jahre 1916 - kam »Intolerance« heraus, auch ein „Riesenschinken" und zweifellos eines von Griffiths bedeutendsten Werken, obschon keineswegs ein geschäftlicher Erfolg.

Wie schon der Titel besagt, handelt es sich bei diesem Stoff um die Unduldsamkeit der Großen (oder doch der Mächtigen) auf dieser Erde.

Vier Episoden sind durch einen "Walt Whitman-Vers" verknüpft, der immer wieder als Titel erscheint, wenn Lillian Gish hochsymbolisch eine Wiege schaukelt.

Die Episoden sind der Fall von Babylon, die Kreuzigung Christi, die Bartholomäusnacht der Hugenotten und ein erbitterter moderner Lohnkampf zwischen Kapital und Arbeiterschaft,

Vermutlich auch Joe Mays "Veritas Vincit" beeinflußt

Es scheint mir nicht unwahrscheinlich, daß Joe May, als er "Veritas Vincit" drehte, von dieser Konzeption des großen amerikanischen Kollegen beeinflußt war.

Ich habe ihn leider nie danach gefragt, aber seine Witwe, bei der ich anfragte, hält es auch für durchaus wahrscheinlich, da ihr Mann sich nicht weniger als andere deutsche Filmproduzenten für die Spitzenleistungen des Auslandes interessierte.

Es war zwar Krieg, aber Amerika war noch neutral, und die internationale Fachpresse wurde jedenfalls eifrig studiert.

Kein Zweifel, daß alle Regisseure, die durch neue Ideen die Entwicklung vorwärtstrieben, voneinander gelernt haben; auf solche Ideen gab es ja kein Patent, und es wäre damals schon schwer gewesen (und heute vollends unmöglich), Prioritätskonflikte dieser Art zu entscheiden.

Es gäbe da schon Fragen ....

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  • Wer hat beispielshalber die Großaufnahme „erfunden"?
  • Und wer kam zum erstenmal auf die Idee, die Kamera fahrbar zu machen?


In vielen Büchern steht zu lesen, daß auch diese beiden wahrhaft bahnbrechenden Einfälle von D. W. Griffith stammen; daß er zum erstenmal ein Gesicht aus solcher Nähe filmte, also so „groß" projizierte, daß jede Nuance darstellerischer Ausdruckskunst sichtbar wurde; und daß er als erster die Kamera auf eine Art Schubkarren stellte und damit die uns längst selbstverständliche und so ungemein wirkungsvolle Möglichkeit schuf, mit dem bewegten Bild gewissermaßen „mitzugehen".

Bei aller Hochachtung für den großen amerikanischen Regisseur: er hat zwar sowohl die Großaufnahme wie auch die „Fahraufnahme" sehr viel, sehr geschickt und schon sehr früh benutzt, aber er war bestimmt nicht der erste.

Als er 1914 Jack Pickford (Marys Bruder) auf einem galoppierenden Gaul mit einer nebenher rollenden Kamera filmte, war das gewiß keine neue Idee. Schon drei Jahre vorher hatte der Schwede Jaenzon, der bedeutendste von Sjöströms und Stillers Operateuren, seine Kamera auf die Plattform einer Trambahn gestellt und das in einem Automobil nebenher fahrende „Liebespaar" gefilmt; ob das nun wirklich die erste Fahraufnahme war, ist ebenso unbekannt wie das Datum der allerersten Großaufnahme.
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1912 gab es schon Großaufnahmen

Es sind sehr viele schon sehr früh gemacht worden. Max Mack versicherte mir, daß er bestimmt schon 1912 Großaufnahmen gedreht hat, ist aber überzeugt, daß es nicht die ersten waren.

Es hat jedenfalls in den großen deutschen Filmen unmittelbar nach dem Krieg weder an Fahraufnahmen noch an Großaufnahmen gefehlt; man brauchte die einen, um die riesenhaften Bauten bildhaft zu machen, und man brauchte die anderen eben als Kontrast gegen die vielen Ferneinstellungen, die unvermeidlich sind, wenn man Tausende von Komparsen auf einem Bild zeigen will und in Bauten von so riesenhaften Ausmaßen, wie sie in Filmen wie "Das indische Grabmal", "Das Weib des Pharao" und "Anna Boleyn" bedingt waren.

Die Baumeister, Architekten und Ausstatter

Es war eine große Zeit für Baumeister, Architekten und Ausstatter, für Männer wie Ernst Stern, der schon auf den Reinhardt-Bühnen seinen Ruhm gefestigt hatte, oder für Jacoby-Boy, Otto Hunte und vor allem Paul Leni - alles Männer, die im Film, durch den Film und für den Film groß wurden.

Die geschichtliche Bedeutung der „Monumentalwerke"

Was aber, wenn wir jetzt über die Zeitspanne von fast vierzig Jahren auf diese ersten „Monumentalwerke" des deutschen Films zurückblicken, was war ihre bleibende, ihre sozusagen geschichtliche Bedeutung? Sie war sehr wesentlich.

Denn man kann ohne Übertreibung sagen, daß die genannten Filme, vor allem "Madame Dubarry", dem deutschen Film zu seiner ersten Weltgeltung verhalfen.

Der Nachkriegsboykott wurde stillschweigend abgeblasen

Eine um so erstaunlichere Leistung, als der Nachkriegsboykott ja gerade erst durchbrochen war. Genauer gesagt, standen die beiden Dinge im Kausalverhältnis, und eben wegen der für damalige Begriffe überragenden Qualität dieser Filme kam der theoretisch erklärte Boykott gar nicht zur praktischen Durchführung und wurde bald stillschweigend abgeblasen.

Besonders "Madame Dubarry" - in der anglo-amerikanischen Welt "Passion" betitelt - hatte einen riesigen Erfolg, und bald gab es sogar eine Nachfrage nach erheblich älteren Lubitsch- und Negri-Filmen wie etwa "Carmen".

Jetzt gabs harte Konkurrenz

Da freilich Hollywood zur fast gleichen Zeit seinen eigenen großen "Carmen"-Film mit Geraldine Farrar gedreht hatte - der durch ihre Schönheit und Stimme nicht minder als durch ihre Freundschaft mit dem Deutschen Kronprinzen berühmten Opernsängerin -, lief der Lubitsch-Film unter dem Titel »Gipsy Love« (Zigeunerliebe).

Der amerikanische "Carmen"-Film dagegen lief (Ende 1921) am Berliner Kurfürstendamm unter dem Titel "Das Weib und der Hampelmann" und hatte eine keineswegs freundliche Aufnahme. Besonders Lou Teilegen, der männliche Star des Films, wurde stark „verrissen".

Wie der deutsche Film zu seiner ersten Weltgeltung kam . . .

Da es in den meisten filmgeschichtlichen Werken sehr widerspruchsvolle Berichte darüber gibt, wie eigentlich jener Boykott durchbrochen wurde und wie dank der Dubarry der deutsche Film zu seiner ersten Weltgeltung kam, habe ich den Mann gefragt, der selber diese jetzt schon historische Bresche geschlagen hat: K. J. Fritzsche, jahrzehntelang einer der führenden deutschen Film-Exporteure und Fabrikanten.

Der Bericht von K. J. Fritzsche :

„Daß die Amerikaner schon im Jahre 1920 ein gewisses Interesse für europäische Filme zeigten, bewies mir der Besuch eines USA-Importeurs namens David P. Howels, der sich auf eine Empfehlung bei mir meldete und nach interessanten deutschen Filmen forschte.

Er hatte die ,Dubarry' bereits bei der UFA gesehen, war jedoch nicht zum Abschluß gekommen, da die UFA eine sinnlose Lizenz verlangte. Ich kaufte, nachdem er abgereist war, kurzerhand die Lizenz der nach meiner Meinung drei besten deutschen Filme, ,Madame Dubarry' mit Pola Negri und E. Jannings, ,Rausch' mit Asta Nielsen und ,Austernprinzessin' mit Ossi Oswalda für die USA und investierte für die Anzahlung allein beinahe mein ganzes Geschäftsvermögen.

Die Erwerbung teilte ich meinem Freund und Partner, Albert Hübsch, in New York telegrafisch mit, avisierte ihm die Absendung der Musterkopien und erhielt prompt innerhalb von wenigen Stunden das historische Telegramm von meinem guten Albert, lautend: „Get out of contract even with a heavy loss" (Versuche Vertragslösung selbst unter schweren Opfern).

Ich kabelte ihm darauf die oben geschilderten Vorgänge mit Howels. Er suchte diesen sofort auf. Howels bot ihm sofort an, sich zur Hälfte am Risiko zu beteiligen. Dieses Angebot stärkte dem guten Hübsch den Rücken, und er wartete die Ankunft der Kopien ab.

Durch Vermittlung von Howels wurden die drei Filme der Direktion der „First National" vorgeführt, und zwar den Herren Lieber und Schwalbe, beide Deutsch-Amerikaner. Die ,Dubarry' gefiel, ,Rausch' und ,Austernprinzessin' wurden als unmöglich bezeichnet. Es kam zu einem Vertrag, nach dem Hübsch die drei Filme für 35.000 Dollar verkaufte. Er zwang die Käufer, auch die beiden nicht gefallenden Filme zu übernehmen, aber man hat von diesen beiden nicht einmal die Musterkopien behalten.

Die „American Legion" machte zwar einigen Stunk gegen den Film, insbesondere in den Nachaufführungen in der Provinz. Trotzdem hat der Film in den USA etwa eine Million eingespielt.

Der Erfolg der ,Dubarry' in den USA erwirkte eine Hausse in der Erwerbung von deutschen Filmen, und zwar kauften nicht nur Filmleute deutsche Produktionen, sondern, wie ich dann auf meinen späteren Reisen nach den USA feststellte, Apotheker und Eisenwarenhändler, die alle glaubten, durch Erwerbung eines deutschen historischen Kolossalgemäldes schnell Millionäre zu werden. Sie haben ausnahmslos ihr Geld verloren."

Daß dieser Pessimismus keineswegs sehr übertrieben war, erhellt aus einer Bemerkung, die ich aus einer nicht minder fachlich zuverlässigen Quelle erfuhr. Danach wurden bis Mitte 1921 nicht weniger als 156 deutsche Filme nach den USA verkauft, von denen jedoch höchstens vier „richtig ausgewertet wurden".
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Etwas über die frühen Autoren

Wer waren nun - außer den Regisseuren Lubitsch und May, den schon erwähnten Baumeistern und dem Drehbuchautor Kräly -, wer waren die Künstler, die jenen Filmen Fleisch und Blut gaben und damit die lebendige Kraft, die den Weltruhm schuf ?

Die Tatsache, daß schon ein Autor genannt wurde, erweist den Fortschritt, den man gemacht hatte. Es war ja noch keine zehn Jahre her, seit man die Manuskripte fast buchstäblich „auf die Manschette" zu schreiben pflegte, oft genug erst auf dem Weg ins Atelier; Kräly selbst hat mir viel später in Hollywood oft und gern von jener Frühzeit erzählt, als er selbst erst die Kunst der Filmschreiberei aus langer Erfahrung lernen mußte.

Wie konnte man Autor "lernen" oder werden ?

Wie kann man das sonst lernen? Es gibt heutzutage Bücher und Schulen dazu, ganze Bibliotheken und Akademien, aber die Bücher werden meistens von jenen geschrieben und die Akademien von jenen geleitet, die schon lange kein Drehbuch mehr geschrieben (oder gar verkauft) haben.

Wie also wird man wirklich einer jener Drehbuchschreiber, die manchmal regelrechte Stargagen beziehen? Zunächst muß man, wie jeder Schriftsteller, die Gabe haben, einen Stoff zu finden, zu gestalten und mit glaubhaft lebendigen Menschen zu bevölkern.

Man muß aber auch - und das haben merkwürdigerweise die wenigsten Romanschriftsteller und noch weniger Bühnenautoren - die Gabe haben, „visuell zu denken", also eine Geschichte gewissermaßen in Bildern zu erzählen; und an dieser fundamentalen Voraussetzung der Filmschreiberei hat auch der Dialog des Tonfilms nicht viel geändert.

Wer diese Gabe hat, wird sie durch praktische Erfahrung entwickeln können, und das mag manchmal Jahre dauern; aber das bißchen „Technik" und die Terminologie und den Fachjargon der Drehbuchschreiberei wird er in ein paar Wochen lernen.

Thea von Harbou und "Das Indische Grabmal"

Vor mir liegt das alte Programmheft des Films "Das Indische Grabmal", darin steht gleich ein Autorenname, der auch heute noch dem deutschen (und nicht nur dem deutschen) Kinobesucher etwas bedeutet: der Name einer Frau, Thea von Harbou.

Sie hatte zwar ursprünglich nur den Roman geschrieben, nach dem das Drehbuch gemacht wurde, aber sie hat daran mitgearbeitet und sicher dabei gelernt, ihre natürliche Gabe des „visuellen" Denkens und Gestaltens zu entwickeln.

Sie hat dann, wie jeder Filmfreund weiß, jahrzehntelang sehr viele Drehbücher geschrieben, die fast alle - selbst wenn sie mit dem Umweg über einen Roman erschienen - als Originalmanuskripte, also wahrhaft „filmisch" konzipiert waren.

Mia May und Olaf Fönss, Erna Moiena und Paul Richter

Was stehen sonst noch für Namen auf jenem alten Programmheft? Mia May natürlich und ihr Partner Olaf Fönss, einer der beliebtesten unter den skandinavischen Schauspielern, die sich damals Heimatrecht und Starruhm im deutschen Film erwarben. Heute dürfte er genau so vergessen sein wie Erna Moiena, die - damals auf der Höhe ihres Ruhms - die Fürstin von Eschnapur spielte, wie Paul Richter, der den jungen englischen Offizier spielte, in den die Fürstin sich verliebt, und der ein paar Jahre später als Siegfried in den Nibelungenfilmen jedem Filmfreund ein Begriff wurde.

Bernhard Goetzke und Lya de Puiti

Da war Bernhard Goetzke, der den Joghi spielte: damals ein berühmter Bühnen- und Filmschauspieler, heute vergessen. Da war die bildschöne, junge Lya de Puiti, frisch aus Ungarn importiert, im Indischen Grabmal als Tempeltänzerin herausgestellt, dann in wenigen Jahren zum Weltstar entwickelt, heute längst tot und vergessen.

1956 noch nicht vergessen - Conrad Veidt

Aber Conrad Veidt ist längst noch nicht vergessen. Denn das markante Gesicht dieses großen Schauspielers hat sich einer ganzen Generation von Filmfreunden eingeprägt, und es war eines jener Gesichter, die man nicht vergißt.

Im "Indischen Grabmal" spielte er den Fürsten von Eschnapur, der die schöne Heldin mit seiner dämonischen Haßliebe verfolgt; und dämonische Rollen hat er dann zwei Jahrzehnte lang gespielt und Millionen von Backfischen in aller Welt damit in Schauer des Entzückens versetzt.

Er war aber viel mehr als ein „Schwärm" für Backfische, und seine darstellerische Gestaltungskraft war ungleich bedeutender als die meisten der Rollen, die er zu spielen bekam, weil er nun einmal (mit oder ohne Monokel) das dämonische Gesicht hatte, die überschlanke Gestalt, die feinnervigen Hände, die unnachahmliche Aura eines übersensiblen „Rassemenschen".

Connie - der Mensch

Das war die heute noch zahllosen Kinobesuchern unvergeßliche Persönlichkeit des Filmstars Conrad Veidt. Connie freilich - also der Mensch, als den ihn seine vielen Freunde kannten - war alles andere als dämonisch; er war ein geselliger, vergnügter, witziger und zu jedem Spaß aufgelegter Gast, eher hemdsärmelig als steif, eher „extrovertiert" als „introvertiert" und nie ein Spielverderber.

Er war - man sollte es kaum für möglich halten - der Sohn eines Vizefeldwebels im Garde-Infanterieregiment, und er war zeitlebens, auch in London, in Paris und Hollywood ein unverbesserlicher Berliner; er sprach berlinerisch und er hatte den Berliner Humor.

Karriere - mühelos, sozusagen im Handgalopp

Seine Karriere machte er scheinbar ganz mühelos, sozusagen im Handgalopp; alles flog ihm zu, er spielte jede Rolle, die er sich wünschte, und es gelang ihm alles, was er wollte.

Er hatte seinen Ehrgeiz darein gesetzt, ein erstklassiger Golfspieler zu werden, und auch das gelang ihm. Eines Tages, in Hollywood, ging er auf den Golfplatz, und beim sechsten Loch fiel er plötzlich um und war tot. Herzschlag. Er war kaum fünfzig und war nie auch nur einen Tag lang krank gewesen.

Als ich die schlimme Nachricht bekam, mußte ich an ein Gespräch denken, das ich kurz vorher mit ihm in London hatte, wo ich gerade am Drehbuch für einen seiner Filme mitarbeitete.

Ein Gespräch mit "Connie"

„Connie", sagte ich, „du bist kerngesund und glücklich verheiratet, und du hast auch deine früheren Ehen so glücklich liquidiert, daß kein Stachel zurückbleibt. Du hast weder privaten Ärger noch berufliche Sorgen, du spielst, was dir Spaß macht, und hast damit Erfolg. Du hast Weltruhm und viel mehr Geld, als du jemals brauchen kannst. Du müßtest doch eigentlich einer jener ganz seltenen Lebewesen sein - ein wunschlos glücklicher Mensch."

Connie hörte sich den langen Sermon ernsthaft an und dachte dann ebenso ernsthaft darüber nach.

„Ja", meinte er schließlich, „du hast wahrscheinlich recht, ich bin wohl manchmal fast wunschlos glücklich - jedenfalls manchmal."

Also weg mit dem "Indischen Grabmal", das solche Erinnerungen beschwört!
Was gibt es sonst noch in diesem Stoß alter Programmhefte?

"Das Weib des Pharao"

Drama in sechs Akten von Norbert Falk und Hanns Kräly. Regie: Ernst Lubitsch Musik: Eduard Künnecke Dekorationen und Kostüme:
Ernst Stern, Kurt Richter, Ali Hubert Photographie: Theodor Sparkuhl und Alfred Hansen Gesamtorganisation: Generaldirektor Paul Davidson

Ein prunkvolles Programmheft für einen prunkvollen Film.

Da war wirklich alles, was gut und teuer war. In der Besetzung Albert Bassermann, Paul Wegener, Paul Biensfeld, Friedrich Kühne und die Salmanova, ein ganzer Katalog von Bühnenruhm, und dabei waren erst ein paar Jahre vergangen, seit die Intendanten und Direktoren der großen deutschen Bühnen ihr kategorisches Veto gegen den Film erklärt hatten.

Sich vor der Filmkamera „prostituieren

Kein Zweifel, die Siebenmeilenstiefel hatten tüchtig ausgeschritten, seit es für jeden anerkannten Bühnendarsteller als entwürdigend galt, sich vor der Filmkamera zu „prostituieren".

Aber wir haben in dem prunkvollen Programmheft erst die „gewöhnlichen" Namen gelesen und noch nicht die drei, die besonders fett gedruckt sind: Emil Jannings, der den König von Ägypten spielte, Harry Liedtke als jugendlicher Sohn des königlichen Baumeisters und Dagny Servaes als griechische Tempeltänzerin. Das waren die Stars, die Filmmstars, die das Publikum schon fast ausschließlich mit der neuen Kunstgattung identifizierte; also die Stars, die damals schon ihre Verehrer nicht nach den Zehn- oder Hunderttausenden zählten, mit denen ein sehr berühmter und fleißig auf Gastspiel gehender Bühnenstar rechnen konnte, sondern nach Millionen, sehr vielen Millionen, wenn man das Ausland mitrechnete.

Den Ruhm genossen und doch vergessen

Solchen Ruhm haben die drei in dem alten Programmheft fettgedruckten Stars jahrelang genossen, und trotzdem dürfte die Servaes sicher und Harry Liedtke wahrscheinlich von der heutigen Generation fast vergessen sein; nicht aber Jannings.

Denn dieser war, mehr noch als Veidt, für Generationen von Filmfreunden der Inbegriff des Charakterdarstellers. Und das war er, zumindest in der Stummfilmzeit, nicht nur in Deutschland, sondern wo immer es eine Kinoleinwand und einen Projektionsapparat gab, also in aller Welt.

Emil Jannings - ein deutscher Exportartikel

Emil Jannings war also auch (neben Lubitsch und der Negri) einer der gewichtigsten Exportartikel des deutschen Films, und wir werden bald sehen, wie seine schauspielerische Persönlichkeit geradezu ein Begriff des internationalen Filmhandels wurde.

Seine Persönlichkeit ? Dieses abgegriffene Wort ist fast unvermeidlich, wenn man von Emil Jannings als Künstler und als Mensch sprechen will. Im Gegensatz zu seinem Freunde Veidt gab es kaum einen Unterschied zwischen der Persönlichkeitswertung des Menschen Emil und des Schauspielers Jannings, denn er war immer er selbst, und er lebte sich in seine Filmrolle immer so hinein, daß es ihm am letzten Drehtag des "Anna-Boleyn"-Films gar nicht leichtfiel, auf seine Königswürde zu verzichten und gewissermaßen vom Thron Heinrichs VIII. abzudanken. Jedenfalls erzählte er uns das, und ich hatte damals den Eindruck, daß er es ziemlich ernst meinte.

Und dazu die ureigene Art des unwiderstehlichen Charmeurs

Die starke Persönlichkeitswirkung dieses Schauspielers war um so erstaunlicher, als die Skala seiner Ausdrucksmittel, genau besehen, gar nicht besonders groß war.

Er konnte herrisch und drohend sein wie kein anderer, aber ein tückischer Blick, ein Stirnrunzeln, eine Handbewegung genügte, um das auszudrücken.

Er konnte auch maßlos komisch sein, und seines Wertes so bewußt wie jeder große Künstler, pflegte er selbst zu erklären, daß er mit einer einzigen Bewegung seines Hintern - er gebrauchte freilich ein weniger salonfähiges Wort - mehr sagen konnte als ein ganzes Komikerensemble mit sehr viel Mimik und Dialog.

Aber Emils liebste darstellerische Nuance war das, was er selber „Plüschauge" nannte: der um gut Wetter bittende Blick eines armen Sünders oder auch des auf seine ureigene Art unwiderstehlichen Charmeurs, dem man nicht böse sein kann.

In wie vielen Jannings-Filmen gibt es diesen berühmt gewordenen Blick! Er benutzte ihn aber auch privat. „Da werde ich wohl Plüschäuge machen müssen", sagte er den Freunden, wenn er etwa annahm, daß es höchste Zeit sei, wieder einmal wegen Gagenerhöhung zu verhandeln, also zu Davidson zu gehen oder in späteren Zeiten zu dem jeweiligen Finanzgewaltigen in Hollywood oder bei der UFA.

Bei Jannings hieß "Gage" nur „Pinkus"

Gage war übrigens ein Ausdruck, den Jannings kaum je benutzte. Bei ihm hieß das „Pinkus". Wenn er guter Laune, also finanziell zufrieden war, dann warf er einen seiner verschmitzten Blicke auf den Vogelkäfig, der in einer Zimmerecke stand. „Pinkus, der Waldspecht, flötet fröhliche Lieder", pflegte er dann zu sagen, und das stimmte sowohl tatsächlich wie metaphorisch.

Denn der unentwegt zirpende Waldspecht hieß wirklich Pinkus, und im Hause Jannings symbolisierte er den dort keineswegs unterschätzten Begriff des Geldes.

Es wäre wohl übertrieben zu behaupten, daß Emil Jannings geldgierig war, aber er hatte zweifellos viel Freude am Geld, eine manchmal fast kindlich anmutende Freude, sicher aus der Tatsache erklärbar, daß er in jungen Jahren immer knapp bei Kasse war.

Er lebte gut, aber keineswegs verschwenderisch, und er sparte gern und viel. Ich kann mich heute noch der Freude erinnern, die ihm die Verhandlungen um den „wirklich großen Pinkus" machten, kurz bevor er in den zwanziger Jahren nach Hollywood ging.

Jannings, der Kindskopf und der große Künstler

Dort fing er, wenn ich mich recht entsinne, mit 2.500 Dollar pro Woche an, was freilich sehr bald erheblich erhöht wurde.

Aber auch in Berlin bekam er kurz vor dem Hollywood-Engagement die für damalige deutsche Begriffe enorme Gage von 6.000 Mark pro Woche oder, genauer gesagt, 1.000 Mark pro Wochentag.

Jeden Morgen erschien in der Wohnung in der Reichstraße ein Bote der UFA mit dem baren Tausender und der ausgefertigten Quittung, die Jannings am Frühstückstisch unterschrieb. Dann befingerte er den knisternden Schein eine Zeitlang mit großem Vergnügen und schickte schließlich den treuen Diener König damit zur Bank.

Die UFA hätte das natürlich gleich selbst erledigen können, hätte ihm auch je nach Belieben einen täglichen oder wöchentlichen Scheck schicken können, aber das hätte Emil nicht halb so viel Spaß gemacht; die tägliche Barzahlung hatte er sich ausbedungen.

Er konnte ein Kindskopf sein, aber er war auch ein großer Künstler und ein ziemlich schwieriger Mensch.

Jannings Frau hieß Gussy Holl

Er war damals schon mit Gussy Holl verheiratet, die vorher Conrad Veidts Frau und zweifellos die bedeutendste Diseuse des deutschen Kabaretts gewesen war. Als ich sie einmal fragte, ob sie sich nun wirklich und endgültig vom Brettl zurückgezogen habe, meinte sie lächelnd, mit Emil verheiratet zu sein, das sei „a full-time Job".

Sie sprach damals grundsätzlich nur englisch mit mir, um sich für die bevorstehende Amerikareise zu üben, denn sie wußte natürlich, daß Emil selbst die fremde Sprache nie lernen würde; der Hauptgrund seiner Heimreise, als einige Jahre später die Leinwand zu tönen und die stummen Schatten an der Wand zu sprechen begannen.

Aber wir sind den Ereignissen vorausgeeilt. Also zurück zum Ende des Krieges, um zu sehen, wie sich die Dinge in der ersten Nachkriegszeit entwickelt haben, und warum diese scheinbar recht verrückte und widerspruchsvolle Entwicklung eigentlich ganz natürlich war.

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