Erinnerungen von Manfred Hemmerling (2002) Kapitel 1 - 18
überarbeitet von Gert Redlich im Nov. 2015 - Bei meinem Besuch bei den Pensionären von Radio Bremen im Sept. 2015 legte Nick Kröger dieses Buch auf den Tisch, weil Herr Hemmerling an dem Zeitzeugengespräch leider nicht mehr teilnehmen konnte. Manfred Hemmerling ist wenige Tage vorher am 19. Sept. 2015 im Krankenhaus verstorben. Nach dem groben Durchlesen noch im Hotel in Bremen stand der Entschluß fest, die 260 Seiten der Erinnerungen an 40 Jahre im Rundfunk (bei Radio Bremen) einem erheblich breiteren Publikum vorzulegen.
Um das Ganze lesefreundlich zu gestalten, sind von mir weitere Überschriften zur Trennung von Lese-Blöcken eingefügt worden und natürlich auch Kommentare und Verlinkungen und weitere Bilder, die den jüngeren Lesern einiges besser veranschaulichen.
Das Inhaltsverzeichnis ist auf eine eigene Seite ausgelagert.
Kapitel 10
Oslo - London - Zürich
Oslo - Im März 1965 flog ich mit Ernst Siedler nach Oslo. Beim Norwegischen Fernsehen sollte ein Interview "Max Tau, ein Bild seines Lebens und Wirkens" sowie ein weiteres, M. Tau mit Nelly Sachs, aufgenommen werden. Frau Sachs war für den Friedenspreis des deutschen Buchhandels 1965 vorgeschlagen worden, den Dr. M. Tau bereits 1950 erhalten hatte. Max Tau, deutscher Schriftsteller, war wegen seiner Abstammung 1938 nach Norwegen emigriert.
Dr. Lutz Besch, Leiter der Abteilung Wort von Radio Bremen, und Dr. Werner Weber (Literaturkritiker, Schweiz) holten uns, gemeinsam mit Max Tau vom Flughafen ab. Auf der langen Fahrt zur Innenstadt wurden bereits inhaltliche Schwerpunkte der Aufzeichnung abgesprochen; meine Aufgabe hatte ich am nächsten Tag selbst in die Hand zu nehmen.
Die Norweger hatten RCA MAZen
In Oslo wurde auf einer RCA-Maschine (Radio Corporation of Amerika) aufgezeichnet und nicht, wie bei den meisten anderen Rundfunkanstalten, auf Ampex-Maschinen. Das Prinzip war aber völlig gleich. Trotzdem galt es sicherzustellen, daß diese Aufzeichnung später auf unserer MAZ problemlos abspielbar war. Vorsorglich hatte ich ein Band mit einem aufgezeichneten Testbild dabei, als Referenz für den zu findenden "Aufnahmekopf". Wir fanden bald aus einer Reihe von Videoköpfen das gewünschte Kopfrad.
Das größte Problem bestand aber nicht darin, daß die Maschine deswegen komplett neu eingemessen werden mußte und ein erheblicher Zeitaufwand entstand, sondern problematisch war, daß dadurch die "Laufzeitlogistik" der Videoköpfe, ein kaum zu beschreibender Umstand, durcheinander geriet. Auch beim Norwegischen Fernsehen wurde das Kopfrad der Aufzeichnung (selbst für einen Insider ist dieser Prozeß heute kaum noch nachvollziehbar) mit dem Band archiviert. Es war aber zu jener Zeit unumgänglich. Am 9. Juni 1965 wurde das Interview Max Tau mit Nelly Sachs im Deutschen Fernsehen gesendet.
In kleiner Runde mit Max Tau
Am Abend saßen wir in kleiner Runde in einem kleinen historischen und sehr gemütlichen Fischrestaurant am Hafen beisammen. Max Tau unterhielt uns im munteren Plauderton mit erfrischenden Geschichten aus seinem Leben, die er lebhaft und liebevoll vorzutragen wußte. Ein weiser und intelligenter, gleichwohl sehr humoriger Mensch. Auch an eine andere Delikatesse, fangfrische "Limandes" (eine Art Seezunge) in brauner Butter gebraten mit Salzkartoffeln, denke ich noch oft zurück. Bis heute habe ich noch nicht wieder so etwas Köstliches zu essen bekommen!
"Windjammer" - bekannt durch die CINERAMA Aufnahmetechnik
Am nächsten Morgen ergab sich eine andere unvermutete Begegnung. Im Hafen lag das Vollschiff "Christian Radich". Dieses schmucke Segelschiff, mit einer Länge von ca. 73m, war als "Windjammer" in die Filmgeschichte, mit einer einmaligen Aufnahmetechnik (CINERAMA), mit drei parallel aufnehmenden Filmkameras, eingegangen und dadurch weltweit bekannt geworden.
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3 Projektoren und 6-Kanal Magnetton
Die Wiedergabe der drei Filmstreifen (vom Aufwand für die Kopien bis hin zu den ebenfalls synchron laufenden Projektoren abgesehen) war ein bis dahin völlig neues und einmaliges Kinoerlebnis. 1961 hatte ich den Film "Windjammer" (in Sechskanal-Ton) in Bremen, im Filmtheater "Regina", erlebt.
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1955 - Dem Fernsehen etwas entgegen halten
Damals begann die amerikanische Filmindustrie, um die wachsende Fernsehkonkurrenz abzuwehren, mit Breitwandfilmen in verschiedenen Formaten, die mit einem beispiellos hohen technischen Aufwand gedreht wurden und als Meilensteine in die Filmgeschichte eingingen. Man denke nur an Kinoerfolge von damals, wie "Dr. Schiwago" oder "Ben-Hur", die im TODD-AO-Verfahren (70mm Filmbreite) gedreht und nur in den größeren Filmtheatern abgespielt werden konnten.
London und "Jimmy Hendrix" (Bilder für den Beat-Club)
Ein ganz anderer Hauptdarsteller war "Jimmy Hendrix", dessen Auftritt in einer richtigen Kneipe, in Londons berühmt-berüchtigtem Viertel "Soho", für Fans unseres legendären "Beat-Clubs" (1965) aufgezeichnet werden sollte.
1965 - In einer schmalen Gasse in Soho - das Beat-Club Video
Mike Leckebusch, Regisseur und Erfinder des Beat-Clubs (mit dem bekannten Markenzeichen des "Underground-Emblems" der Londoner-U-Bahnen) war mit Frederike Köster (Bildmisch), Jochen Rottke (Aufnahmeleiter) und mit mir, für die Aufzeichnung, in Soho.
Die Produktion erfolgte in der schmalen Gasse mit einer kompletten "AÜ-Technik"; die Aufzeichnung fand also in einem MAZ-Wagen statt. Das gesamte Equipment war von einer Produktionsfirma angemietet worden.
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Ein wildes Gedrängel vor der Kneipe
Das Treiben vor der Kneipe wurde beherrscht von unzähligen Fans, und unsere englische Produktionscrew fand für die nötigen Vorbereitungen kaum einen Weg ins Innere. Alles drängelte sich vor dem Eingang, um Jimmy mal kurz zu sehen.
Auch dort Probleme mit der Ampex VR 2000-A
Dagegen konnte ich unbehindert zum MAZ-Wagen kommen und traf dort auf einen smarten Engländer, der mir aber sogleich erklärte, daß er nicht gewillt sei, an der Maschine (VR 2000-A) etwas zu verändern. Er habe sie gerade wieder einmal zum Laufen gebracht! Er war aber ausgesprochen höflich und wirklich hilfsbereit. Wir gingen erst einmal einen Tee trinken.
Meine ersten Eindrücke
Der MAZ-Wagen mit seinem sehr engen Innenraum bot ohnehin kaum Platz für zwei Leute. Wie man bei dem kompakten Einbau der Maschine jemals an den Luftfilter oder an die Vakuumpumpe herankommen konnte, blieb "gottlob" für mich ein Geheimnis. Auch der schmuddelige Fußboden und Standplatz der Maschine machten nicht gerade den Eindruck, daß jemand schon mal den Versuch unternommen hatte.
Der richtige Riecher und die Erinnerung an Jimmy Hendrix
Dennoch zeichneten wir problemlos nach unserem "RB-Testbild" schließlich die ganze Show auf. Noch heute sehe ich das Bild der düsteren Kneipe vor mir, in der Mike und Jimmy Hendrix auf der Treppe zur kleinen Bühne hockten und die notwendigen Absprachen für die Aufzeichnung besprachen. Mike hatte wieder einmal die richtige Nase gehabt, als er das "Idol" der jüngeren Generation, vor allen anderen, exklusiv für den Beat-Club aufzeichnen konnte!
Ein Teil der Aufzeichnung wurde im nächsten Beat-Club als aktueller Beitrag aus London zugespielt, die anderen folgten später.
Mit einem englischen IC nach Harwich
Unsere Rückfahrt von London nach Bremerhaven fand auf einer Fähre, der "Prinz Hamlet", von Harwich aus statt, die Fahrt dorthin mit dem Zug von London Liverpool-Station. Wir fuhren mit einem IC, der rasche Fahrt machte, aber bei mir öfter das Gefühl hervorrief, dabei bald aus den Gleisen zu springen. Gemütlicher ging's da schon auf dem Hinterdeck der Fähre zu. Frederike Köster hatte es sich in einem der Deckstühle bequem gemacht und genoß recht ausgiebig, wie Jochen Rottke und ich, die frische Seeluft und den Sonnenschein nach den langen, dunklen Abenden in Soho. (Leider ist Frederike auch viel zu früh verstorben).
Zürich - "Der Kardinal"
Im Herbst 1965 übernahm ich die Leitung der "Bildtechnik" und schied somit für derartige Produktionsaufgaben aus. Zuvor hatte ich noch mal die Gelegenheit gehabt, nach Zürich zu fliegen, um mit Kollegen vom Schweizer Fernsehen (SRG), die Aufzeichnung "Der Kardinal" abzunehmen und eine Sendekopie mitzubringen.
Sie betraf das Schicksal von Kardinal "Jözsef Mindszenty", Primas von Ungarn, der nach dem Aufstand 1956 in Budapest in die amerikanische Botschaft flüchtete und bis zum 28. September 1971, somit 15 Jahre lang, quasi ein Gefangener der Kommunisten war, da er das Botschaftsgebäude nicht verlassen durfte.
Unterhaltung in "Schwyzerdeutsch"
Weil einige mechanische Schnittstellen bei der Wiedergabe zu Störungen führten und eine Kopie unter diesen Umständen nicht herzustellen war, mußten zeitraubende Nachschnitte durchgeführt werden. Deshalb hatte ich keine Zeit, die Innenstadt mit den schönen Zunfthäusern anzusehen und war bis spät in der Nacht im Studio-Komplex beschäftigt. Dabei ergab sich ein Erfahrungsaustausch mit Herrn Hungerbühler (Chefingenieur),der ein ebenso begeisterter Techniker (wie Horst Bultmann, nur älter als er) und ein liebenswerter Mensch war. Als norddeutscher Zuhörer hatte ich aber doch einige Mühe, seinen interessanten Ausführungen im breitesten Schweizer Dialekt (Schwyzerdeutsch) zu folgen.
Ein mulmiges Gefühl vor dem Start in Zürich
Als ich am nächsten Morgen in die Lufthansa-Maschine in "Zürich-Kloten" einstieg, dachte ich wieder an das tragische Unglück vor wenigen Wochen, das kurz nach dem Start einer "Swiss-Air" hier geschehen war. Wie sich herausgestellt hatte, war der Pilot wegen Nebels mehrmals auf dem "Runway" auf und ab gerollt und hatte dabei offenbar die Bremsen zum Glühen gebracht. Nach dem Start soll das Manöver zur Explosion der "Caravelle" geführt haben, das allen Insassen das Leben gekostet hat. Mir war damals ziemlich mulmig, als wir nach Frankfurt abhoben. Ich dachte ständig an die Menschen, die sich in derselben Umgebung befunden hatten, durch die unser Steigflug gerade führte.
Ein Messebesuch zur NAB nach Las Vegas
Angst vor dem Fliegen habe ich aber nie gehabt, obwohl ich mich öfter aufgrund vieler Reisen, besonders in die USA, in kritischen Situationen (mit Ablassen des gesamten Treibstoffs über der Nordsee und Umkehr zum Flughafen) befunden habe.
Dieser Vorfall spielte sich hoch über Schottland ab, als wir schon fast 1 l/2 Flugstunden von Amsterdam entfernt waren. Ich war mit der KLM nach Los-Angeles unterwegs und wollte von dort weiter nach Las-Vegas fliegen. Nach geglückter Rückkehr in Amsterdam mußten wir aber mehr als 8 Stunden warten, bis eine neue Crew und Maschine zur Verfügung stand. Es war schon weit nach Mitternacht als ich in LA endlich völlig übermüdet eintraf. Und am nächsten Morgen sollte es gleich nach Las-Vegas weitergehen, zur NAB, der internationalen Messe für Rundfunk und Fernsehen. Der Messebesuch war stets eine körperliche Herausforderung, und diesmal wegen der langen Reisezeit ganz besonders zu spüren. Doch das ist ein ganz anderes Kapitel und belegt nur, daß derartige Dienstreisen eben keine Vergnügungsreisen sind, wie meist allgemein vermutetet wird.