Erinnerungen von Manfred Hemmerling (2002) Kapitel 1 - 18
überarbeitet von Gert Redlich im Nov. 2015 - Bei meinem Besuch bei den Pensionären von Radio Bremen im Sept. 2015 legte Nick Kröger dieses Buch auf den Tisch, weil Herr Hemmerling an dem Zeitzeugengespräch leider nicht mehr teilnehmen konnte. Manfred Hemmerling ist wenige Tage vorher am 19. Sept. 2015 im Krankenhaus verstorben. Nach dem groben Durchlesen noch im Hotel in Bremen stand der Entschluß fest, die 260 Seiten der Erinnerungen an 40 Jahre im Rundfunk (bei Radio Bremen) einem erheblich breiteren Publikum vorzulegen.
Um das Ganze lesefreundlich zu gestalten, sind von mir weitere Überschriften zur Trennung von Lese-Blöcken eingefügt worden und natürlich auch Kommentare und Verlinkungen und weitere Bilder, die den jüngeren Lesern einiges besser veranschaulichen.
Das Inhaltsverzeichnis ist auf eine eigene Seite ausgelagert.
Kapitel 14
Der EG-Gipfel 1978 in Bremen
Anfang März 1978 wurde der Bremer Senatskanzlei vom Auswärtigen Amt als "VS (Verschlußsache), nur für den Dienstgebrauch" mitgeteilt, daß Bremen als Tagungsort des ersten Europäischen Rats unter deutscher Präsidentschaft vorgesehen sei. Das Schreiben enthielt auch die Bitte des Bundeskanzlers, dieses vorläufig nicht bekanntzugeben. So erfuhr Radio Bremen erst Anfang April von dem Vorhaben, das bereits Anfang Juli im Rathaus und in der Bürgerschaft stattfinden sollte. Etwa 800 bis 1000 Journalisten wurden dazu erwartet.
Radio Bremen war ebenfalls gefordert
Als Landesrundfunkanstalt war Radio Bremen gefordert, für ARD und ZDF sowie für die European-Broadcast-Union (EBU) entsprechende Einrichtungen zu schaffen, damit dieses politisch bedeutsame Ereignis im Hörfunk und im Fernsehen übertragen werden konnte.
Wieder wurde ich Planer und Teamchef
Aufgrund meiner "Olympiaerfahrungen" wurde ich damit beauftragt, die organisatorische und technische Planung und die Vorbereitungen für die Berichterstattung vom "EG-Gipfel" zu treffen. Und es blieben gerade mal knapp drei Monate Zeit!
Das Planungsteam "EG-Gipfel"
Als erstes gründeten wir ein Planungsteam "EG-Gipfel". Es war mit Mitarbeitern von Programm, Produktion und Technik besetzt und bestand aus meiner Person mit Barbara Langfort, als Sekretärin sowie Horst Bultmann, Reinhart Henke, Elena Behrends, Hörfunk und Eberhard Schmidt aus der FS-Produktion. Wichtig war es, die richtigen Leute für diese Aufgabe freigestellt zu bekommen, denn davon hing in der kurzen Zeit, die uns noch blieb, sehr viel ab.
Erfahrung mit sogenannter "Nichtfreistellung"
Als ich im Jahr 1984 die "Nordsee-Schutzkonferenz" zu organisieren hatte, wurde die Arbeit durch "Nichtfreistellung" von geeignetem Personal erschwert. Da auch diese Großveranstaltung gut abgelaufen ist, will ich hier nicht weiter auf Einzelheiten eingehen.
Viele Journalisten und was noch ?? Wer weiß . . .
Was war als Aufgabenstellung bekannt? Nur soviel, daß ziemlich viele Journalisten nach Bremen kommen sollten. Wieviel davon im Rundfunk oder im Fernsehen von der Konferenz berichten wollten, das war völlig unbekannt. Eine vergleichbare Erfahrung, aus der man einige wertvolle Folgerungen hätte ableiten können, bot sich nur in Kopenhagen. Dort hatte ein EG-Gipfel wenige Monate zuvor stattgefunden. Also flog ich nach Kopenhagen. Hier erfuhr ich, daß nicht genügend Hörfunkstudios zur Verfügung gestanden hätten und daß ziemlich viel Leitungskapazität erforderlich wäre.
Aber was bedeutet schon "ziemlich viel"? Denn Kopenhagen war an das Eurovisionsnetz angeschlossen, und damit standen dem Dänischen Rundfunk ohnehin mehr Leitungsverbindungen ins Ausland zur Verfügung als uns in Bremen.
Wir hatten nur eine Leitung nach Hamburg
Radio Bremen-FS verfügte nur über eine Fernsehleitung nach Hamburg zum NDR. Also stand schon fest, daß für die Überspielungen zur "Tagesschau" und zum Sternpunkt sowie ins EBU-Netz eine zusätzliche Leitung erforderlich werden würde.
Der Hörfunk war zumindest über vier Leitungen, zwei nach Frankfurt / Sternpunkt und zwei zum NDR-Hörfunk Hamburg und somit zur ARD verbunden, aber auch das reichte natürlich bei weitem nicht aus. (Für den Gipfel waren schließlich 3 Leitungen fürs Fernsehen und 20 Leitungen für den Hörfunk fest geschaltet, bei Bedarf konnte weitere Leitungskapazität von der Post bereitgestellt werden.)
Wieder halfen die "DOZ-Erfahrungen" von Horst Bultmann
Mit Horst Bultmann war das Planungsteam "EG-Gipfel" ideal besetzt. Er verfügte nicht nur über "DOZ-Erfahrungen", sondern war aufgrund seiner Fachkenntnisse im Hörfunk und Fernsehen geradezu prädestiniert, die technische Planung für diese Großveranstaltung zu übernehmen.
Hinzu kamen noch seine gestalterischen Fähigkeiten. Ein Bühnenbildner hätte nicht besser und schneller gestalten können. Denn wie die Studios aussehen sollten und in welchem Design, das entstand fast spielerisch.
Nur die Realisierung durfte man ihm in der knappen Zeit nicht überlassen; er war voll mit der technischen Planung ausgelastet.
Zwei Namen sollten auch genannt werden
Reinhart Henke, (Leitung Hörfunktechnik) Dipl.-Physiker, (ein geborener Analytiker, wenn es so etwas gäbe), war als perfekter Planer dabei. Er entwickelte (auch in den Nächten), ohne PC, einen Netzplan, der sämtliche Gewerke enthielt (ich glaube, es waren 101 Aktivitäten). Nur der Punkt (Schlüssel für die untere Rathaushalle) fehlte, wie Reinhart mir später mal erzählte.
Elena Behrends, die über langjährige Erfahrungen und Verbindungen im Hörfunk-Programmaustausch verfügte, und Eberhard Schmidt, der als Produktionsleiter viele Erfahrungen mit FS-Aussenübertragungen hatte, brachten ebenfalls ideale Voraussetzungen für diese Arbeit mit. Und alle waren hoch motiviert!
Von Rathaus und Bürgerschaft eingebunden werden
In einer Rundfunkanstalt gibt es naturgemäß eine Vielzahl von Verbindungen zu den Behörden, in Bremen besonders enge zum Rathaus und zur Bürgerschaft. Hier galt es, so rasch wie möglich, die Informationen, die von der Senatskanzlei kamen und den "Gipfel" betrafen, so zu lenken, daß diese nur noch über die sogenannte "Einsatzleitung Radio-TV" ins Haus gelangten.
Die Kompetenzen koordinieren
Besonders unsere eigenen aktuellen Redaktionen im Hörfunk und Fernsehen mußten bald davon unterrichtet werden, daß keine Nebenabsprachen zulässig waren, die Produktionsmittel, Einsatzpersonal und Überspielungen betrafen. Das galt auch für die Kontakte zum Bundespresseamt. Auch hier mußte der wachsende Informationsfluß umgehend über die Einsatzleitung erfolgen, der dann entsprechend gezielt ins Haus weitergegeben wurde.
Die Planung einer EG-Gipfel Leistungsbeschreibung
Deshalb schufen wir zunächst eine "Leistungsbeschreibung EG-Gipfel". Ein Nachschlagewerk, das Angaben zur Organisation und über die zuständigen Ansprechpartner enthielt und in dem sämtliche Produktionsmittel und wie sie zu buchen waren und weitere Hinweise aufgeführt waren. Diese planerische Vorarbeit hat uns "Tage und Nächte" gekostet!
Das Schwierige war dabei, zunächst den Rahmen, die Kapazität für den Hörfunk und das Fernsehen, festzulegen und das alles ohne Vorgabe. Wir wußten nur, wie bereits erwähnt, in Kopenhagen hatte die Kapazität für den Hörfunk nicht ausgereicht!
Die zunächst einzige Vorgabe der Senatskanzlei war: als "Radio / TV-Zentrum" stand uns die untere Rathaushalle zur Verfügung.
Den verfügbaren Platz ausloten
Also planten wir 8 Radiostudios, eines als Konferenzstudio, zwei davon mit Monitoren ausgestattet, für eine TV-Nutzung (Off-Tube), drei Überspielplätze sowie zwei Fernsehstudios.
Doch wo konnten, möglichst in der Nähe, die Ü-Fahrzeuge, der Richtfunk, usw. stehen? Und jeder, der irgendwie mit dem "Gipfel" zu tun hatte (Bundespost usw.), forderte seinen Platz. Und wer die Parkmöglichkeiten am Bremer Rathaus kennt, wird die damit verbundenen Schwierigkeiten verstehen können.
Inzwischen hatte sich herausgestellt (die Planung für das Unternehmen zum protokollarischen Ablauf fand in der Senatskanzlei statt), daß der Ort des großen Geschehens nicht nur das Rathaus, sondern daß auch die Bürgerschaft (als Pressezentrum) einbezogen werden mußte. Eine zusätzliche Erschwernis, denn zwischen Rathaus und Bürgerschaft fahrt die Straßenbahn; also mußten hier sämtliche Kabel über die Oberleitung verlegt werden.
Noch ein Wochenmarkt auf dem Domplatz, auf dem aber die vielen Ü-Wagen stehen sollten
Als einzig größerer Stellplatz für große Ü-Wagen bot sich nur der Domshof an, denn rund ums Rathaus waren nur vereinzelte Abstellplätze vorhanden. Und da wir keine Zusage für auch nur einen einzigen Ü-Wagen hatten, konnte keinerlei Angabe über die benötigte Fläche und Last abgegeben werden.
Hinzu kam, wie ich bei einer Besprechung in der Senatskanzlei erfuhr, daß auf dem Domshof- auch noch einen Tag vor dem Gipfel - der übliche Wochenmarkt stattfinden würde.
Wir mußten uns die Ü-Wagen ausleihen
Was war unter diesen Umständen überhaupt möglich? Rasches Handeln! Das bedeutete, viele Telefonate mit den Rundfunkanstalten zu führen, die bereit waren, für den Gipfel Ü-Wagen zur Verfügung zu stellen. Und dann eine komplette Vorverkabelung zu errichten, die in diesem Fall durch den Weinkeller des Ratskellers geführt werden mußte, der bis zum Domshof reicht.
Dank der großzügigen Unterstützung von ARD und ZDF, besonders durch die zentrale Dispositionsstelle, konnten wir die erforderliche Ü-Wagenkapazität (insgesamt 18 Fahrzeuge) schon bald einplanen.
Mehr als sechs Kilometer Kabelnetz vorbereiten
Dann begann das telefonische Abfragen nach den notwendigen Details, um die jeweiligen Steckerbelegungen (da trotz einer Normierung jeder Wagen seine eigene Anschlußnorm hatte) zu erkunden. Durch wiederholtes Rückfragen gelang auch dieses, so daß ein mehr als sechs Kilometer langes Kabelnetz vorgefertigt werden konnte.
Und als alle Ü-Fahrzeuge am 5. Juli nachmittags auf dem Domshof standen und sämtliche Steckverbindungen hergestellt waren, klappte es gleich auf Anhieb.
Bildverbindungen bereiten meistens kaum Probleme, da rasch zu sehen ist, ob und woher das Signal kommt. Aber der Ton, die unzähligen Tonverbindungen und Kommandoleitungen! Telefon und Starkstrom waren dagegen schon eher harmlos, aber sie sind auch nicht zu unterschätzen.
Kabel über die unter Spannung stehenden Oberleitungen der Straßenbahn
Ein großes Lob für die Planung von Horst Bultmann. Auch die Verbindungen zur Bürgerschaft und Baumwollbörse (für den Richtfunk) über die Oberleitungen der Straßenbahn deren Betrieb natürlich weiterlaufen mußte, waren dank unserer Aufbaumannschaft unter Harry Köhler (mit langjährigen AÜ-Erfahrungen) eingerichtet und konnten bei der Generalprobe benutzt werden. Nachdem die Deutsche Welle und der Deutschlandfunk auch noch mit eigenen Übertragungswagen kamen, deren Standplätze nicht mit eingeplant waren, mußten wir sie zusätzlich auf dem Schoppensteel unterbringen, auf dem schon der Euro-Wagen des NDR für den Hörfunk stand. Dank der kleinen Fahrzeuge fand sich noch die nötige Parkfläche.
Das Booking-Office kam in den Ratskeller in die Garderobe direkt vors Klo
Doch wohin mit dem Booking-Office für Radio und TV, der Disposition für die Filmbearbeitung (die alle Termine für Entwicklung, Vertonung und Überspielung aus dem FS-Studio Osterholz zum Radio TV-Zentrum koordinierte), und der Fahrbereitschaft für diesen dafür eingerichteten Pendelverkehr? Dort, wo üblicherweise "Weinselige" des Ratskellers ihre Garderobe suchen oder auch mal zum WC müssen.
Hier bot die schmale Fläche der Garderoben ausreichend Platz, um auch diese Arbeitsplätze unterbringen zu können. Diese Lage, am hinteren Ausgang des Ratskellers, mit Treppenaufgang zur Domseite, war für das Boo-king-Office und die anderen Dispositionsstellen besonders günstig. Denn der Zugang lag unmittelbar neben dem Rathaus, so daß für alle, die zum Booking-Office wollten, keine langen Wege entstanden. Ein entsprechendes Hinweisschild für diesen Eingang ließ auch ortsfremde Journalisten nicht lange nach dieser Dienstelle suchen.
Das ehrwürdige Kellergewölbe des Ratskellers voll bis oben hin
Im hinteren Teil des ehrwürdigen Kellergewölbes (der Ratskeller war in zwei Hälften unterteilt worden), konnte die "Einsatzleitung Radio-TV" und zwei Redaktionsplätze für Journalisten (Hörfunk und Fernsehen) unseres Hauses untergebracht werden. Zusätzlich fand sich ein kleiner Aufenthaltsbereich für das gesamte "Einsatzpersonal". Wir hatten den uns zur Verfügung gestellten Platz wirklich optimal ausgenutzt.
Radio- und Fernsehzentrum logierten in der Rathaushalle
Der gesamte Ablauf (nach Netzplan, an den sich alle hielten!), der Transport der Studios und des Booking-Office und der Aufbau verlief hervorragend. Unsere Bühnenmannschaft verstand ihr Handwerk bestens, was sie ja auch schon bei den diversen "Carrell-Shows" bewiesen hatte.
Die untere Rathaushalle wurde zum Radio- und Fernsehzentrum umgestaltet und war, dem Anlaß entsprechend, wirklich gut gelungen. Dann konnte die Innen-Verkabelung vorgenommen werden und der Lichtaufbau beginnen. Ebenso elegant, wie geplant, wurde das Booking-Office, das Leitungsbüro und die Plätze für Disposition und Fahrdienstleitung im Garderobenbereich eingefügt.
Große Unterstützung durch die ARD Kollegen
Fürs Booking-Office hatte uns das ARD-Leitungsbüro seine praktische Unterstützung zugesagt. Dieter Backhaus war mit derartigen Großveranstaltungen bestens vertraut und hatte auch beim DOZ im Leitungswesen gearbeitet sowie Dutzende von Übertragungen aus dem Ausland betreut.
Auch sein Kollege Herr Rieß kannte sich bestens mit der Euro-Abwicklung aus, so daß wir besonders im Umgang mit den ausländischen Journalisten vortrefflich gerüstet waren. Hinzu kam, daß beide die vielen Ansprechpartner in Brüssel (EBU) kannten, was bei der Planung, aber ganz besonders bei aktuellem Leitungsbedarf zu raschen Lösungen führte.
Die Richtfunkleitung ins Ausland kostet 80.000 DM
Dank der Verhandlungen des ARD-Leitungsbüros wurden die Kosten (DM 80.000) für eine zusätzliche Leitung ins Ausland von der EBU übernommen. Auch der kostenfreie Einsatz einer Richtfunkanlage (NDR) für die Filmüberspielungen zum Rathaus war auf Initiative von Dieter Backhaus möglich geworden.
Die Anreise der Ü-Fahrzeuge am 5. Juli 1978
Die Anreise der Ü-Fahrzeuge mußte am 5. Juli bis um 12 Uhr mittags auf dem Parkplatz beim Hörfunk erfolgt sein. Der Grund war, daß die Fahrzeuge nur in einer geplanten Reihenfolge auf den Domshof fahren konnten, da Wendemanöver dort nicht mehr möglich waren.
Harry Köhler, selbst mit schweren Ü-Fahrzeugen vertraut, hat diese Aufgabe bestens organisiert. Da einige Ü-Wagen auch aus Stuttgart und Mainz kamen, waren wir wegen der langen Anreise froh, als alle in "Reih und Glied" schließlich auf unserem Hörfunkparkplatz standen. Bis hierher konnte jeder nicht Ortskundige den Weg von der nahen Autobahn leicht finden. (Im Hörfunkkasino wurden die Fahrer mit ihren Stellplätzen am Domshof und auch der Anfahrt durch die Innenstadt vertraut gemacht).
Als sich der ganze Troß mit den vielen Übertragungswagen in Bewegung setzte, wird das wahrscheinlich für einiges Aufsehen gesorgt haben, besonders als sich die lange Fahrzeugkolonne von ARD und ZDF durch die engen Gassen zum Domshof hindurchschlängelte. Schaulustige gab es mehr als genug.
Es wurde noch überwiegend auf 16mm Film gedreht
Als "Schaltraum" für den Hörfunk fungierte der Euro-Wagen vom NDR, und fürs Fernsehen hatten wir unseren Ton-Ü2 mit den erforderlichen Videogeräten ausgestattet, der als "Dispatcherwagen" eingesetzt wurde und bestens funktionierte. Für die Filmbearbeitung - zu der Zeit wurden aktuelle Berichte noch überwiegend auf 16mm Film gedreht - standen in Osterholz ausreichend Entwicklungskapazität, Schneideräume, Vertonung und Überspielmöglichkeiten zur Verfügung.
Deshalb hatten wir einen Fahrdienst eingerichtet, damit Filmaufnahmen vom Ort des Geschehens umgehend nach Osterholz zur Bearbeitung gebracht werden konnten. Die fertigen Filmbeiträge wurden über eine eigens eingerichtete Richtfunkverbindung vom FS-Studio in Osterholz zum Radio- und TV-Zentrum am Rathaus überspielt und dort meist als Zuspiel für eine Sendung aus dem Studio benötigt.
In der Fahrdienstleiter-Funktion war Dieter Ohse tätig. Er hatte schon beim DOZ diesbezügliche Erfahrungen gewonnen und die nötige Ruhe, wenn
der Ansturm auf die fünf angemieteten Taxen und unsere zwei VW-Busse losgehen würde.
Ein großes "Briefing" am 5. Juli 1978
Wer schon einmal ein derart wichtiges Ereignis miterlebt hat, weiß, wie nervös engagierte Journalisten reagieren können. Also war Geduld und Verständnis für alle von Nöten.
Am Nachmittag des 5. Juli gab es eine Pressekonferenz in der Bürgerschaft für alle Journalisten aus Funk und Fernsehen, um ihnen in einem "Briefing" die Produktionseinrichtungen, Organisation, Booking usw. zu erläutern. Gastgeber war unsere Pressestelle (RB).
Als Moderatoren fungierten: Walther F. Schmieder, der die auswärtigen Kollegen begrüßte, Jochen Rottke, der auf französisch und ich auf englisch die Arbeitsmöglichkeiten für die Berichterstattung vom EG-Gipfel im Fernsehen und Hörfunk erläuterten. Es war schon ein merkwürdiges Gefühl, den vielen Journalisten aus aller Welt gegenüber zu sitzen und Fragen zu beantworten, genau von dem Präsidentenplatz in der Bürgerschaft, von dem zwei Tage später Bundeskanzler Helmut Schmidt mit Außenminister Hans-Dietrich Genscher das Ergebnis dieses EG-Gipfels in einer Pressekonferenz verkünden sollten. Zusätzlich hatten wir noch einen "Radio-TV-Guide" mit Dr. Mangelsen, Radio Bremen Pressestelle, erstellt, der in einer Informationsbroschüre des Senats aufgenommen und verteilt worden war.
. . . und ein erfreuliches Abendessen im Ratskeller
Einige Abende zuvor hatten wir (das Planungsteam), Dr. Behrends und Graf von Matuschka und einige Begleiter vom Bundespresseamt, zum Abendessen in den Ratskeller eingeladen. Da die Herren üblicherweise stets an den offiziellen Empfangen teilnahmen und sich "protokollgemäß" verhielten, befürchtete ich, daß wir diesen Anspruch nicht erfüllen könnten und sie eher langweilen würden.
Zumal wir in diesen Tagen und Wochen ausschließlich auf unsere Arbeit konzentriert waren und manch einer aus unserer Runde es vielleicht auch nicht gewöhnt war, sich auf diesem "Parkett" zu bewegen. Doch es wurde ein sehr schöner Abend, und ich erinnere mich an interessante und amüsante Gespräche und an Informationen, die einem sonst kaum zuteil werden.
Der EG-Gipfel am 6. und 7. Juli
Am 6. und 7. Juli fand das große Ereignis, der EG-Gipfel, in Bremen statt. An beiden Tagen herrschte kaltes, graues und regnerisches Wetter. Es entsprach in keiner Weise dem Bilderbuchwetter, das man den vielen auswärtigen Gästen, vor allem in der zauberhaften Umgebung des Rathauses, gewünscht hätte. Wirklich bedauerlich!
Das gesamte Areal ums Rathaus und Bürgerschaft war abgesperrt worden und somit fast menschenleer. Nur die Straßenbahnen durften im Schrittempo das Gebiet durchfahren. Als ich (meine Arbeit war ohnehin getan und jetzt auch nicht mehr zu verändern) mich innerhalb dieser "Bannmeile" befand, traf ich auf den einen oder anderen Kollegen, der hier seinen Dienst versah.
Während ich über den sonst bevölkerten Platz schlenderte, beschlich mich ein seltsames Gefühl, da mir jetzt erst so richtig bewußt wurde, was für ein "Räderwerk" wir allein vom Rundfunk in Gang gesetzt hatten (von der
Organisation des Rathauses und in Bonn abgesehen), und dieses jetzt auch nur anzuhalten nicht mehr möglich gewesen wäre. Natürlich wollte das auch niemand, aber es machte mich mit der daraus entstandenen Eigendynamik ziemlich nachdenklich.
Unser Bundeskanzler Helmut Schmidt war persönlich da
Am Nachmittag hatte man mich gebeten, für die vertraulichen Gespräche im sogenannten Kaminzimmer für eine unauffällige Beleuchtung zwecks Fernsehaufnahmen zu sorgen. Später traf ich dann, für mich unerwartet, im festlich geschmückten oberen Rathaussaal unseren damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt.
Gleich am 1. Abend - eine Demonstration der Atomkraft-Gegner
Am ersten Abend gab es eine Demonstration der Gegner zur Atomkraft. Sie zogen mit ihren Transparenten an die Absperrungen, warfen einige davon um, und forderten die Politiker lautstark auf, vorgelassen zu werden. Die Einsatzleitung der Polizei informierte auch mich über die Bewegung der Demonstranten.
Da wir auf der Baumwollbörse, die nicht zum Sperrgebiet gehörte, die Richtfunkspiegel stationiert hatten, war ich besorgt, daß die Kabelverbindungen dorthin Schaden nehmen könnten. Denn dadurch wäre die Übertragung für das Fernsehen unmöglich geworden. Also bat ich den zuständigen Einsatzleiter der Polizei, diese für uns neuralgische Stelle entsprechend mit zu schützen. Die Demonstranten waren aber mehr auf das Rathaus fixiert, denn zu dieser Zeit fand in der oberen Rathaushalle der Empfang des Senats für die ausländischen Delegationen statt.
Ein "Radio Bremen" Buffet für die Journalisten
Radio Bremen hatte einen Abend zuvor, im kleinen Saal der Stadthalle, die angereisten Journalisten zu einem Büfett eingeladen. In Absprache mit unserem damaligen Intendanten, Gerhard Schröder, konnte ich das gesamte Einsatzpersonal, das unmittelbar mit dem Gipfel beschäftigt war, ebenfalls dazu einladen.
Ich erinnere mich an Gespräche mit dem Präsidenten des Bremer Senats, Hans Koschnick, und an die lobenden Worte über unsere Organisation zum EG-Gipfel von Friedrich Nowotny, damals verantwortlich für den "Bericht aus Bonn", und spätere Intendant des Westdeutschen Rundfunks (WDR) in Köln.
Es waren weit mehr als 250 Mitarbeiter
Für dieses Ereignis hatten wir mehr als 220 Mitarbeiter von ARD/ZDF akkreditiert. Im FS-Studio Osterholz und im Hörfunk kamen nochmals mehr als 30 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hinzu. Nach meinen Unterlagen sind 160 Berichte im Hörfunk (davon 72 ins Ausland), 61 im Fernsehen (davon 36 ins Ausland einschließlich NBC New-York) vom Radio- und TV-Zentrum abgesetzt worden.
Hinzu kommen 85 Filmbeiträge (entsprechend 10.900 entwickelte Filmmeter), die als Zuspiel in eine Sendung oder als Beitrag direkt aus dem FS-Studio in das Leitungsnetz eingespielt wurden.
Die komplette Crew hat in diesen Tagen Hervorragendes geleistet. Im Booking-Office, in den Dispositionsstellen, die Mannschaften in den Ü-Wagen, in den Radio- und TV-Studios, an den Informationsständen in der unteren Rathaushalle, und nicht zu vergessen, auch das Personal im Hörfunk und im FS-Studio Osterholz.
Ein "Lob für den "Gipfel der kurzen Wege"
In der von der Senatskanzlei herausgegeben Broschüre nach der Tagung steht geschrieben:
"Lob für "Gipfel der kurzen Wege" kam von allen Seiten - von Politikern, Diplomaten und Journalisten. Sie waren überrascht gewesen von den nahezu idealen Arbeitsbedingungen. Journalisten, die in der Welt weit herumgekommen waren, bestätigten, die in Bremen vorgefundenen Arbeitsmöglichkeiten für Presse, Funk und Fernsehen seien gemeinhin das Beste gewesen, was man anläßlich europäischer Ratstagungen angetroffen habe!"
Unser Intendant schrieb mir am 10. Juli 1978 in seiner unnachahmlichen Art folgende Zeilen:
"die Anstrengungen der vergangenen Monate sind vorüber, der EG-Gipfel ist ohne nennenswerte Pannen - Aufstieg und Abstieg - bewältigt. Dem Lob, das allerorten über die Leistungen zu hören ist, schließe ich mich mit meinem Dank an Sie an. Sie haben eine besondere Last zu tragen gehabt. Ich hoffe, das Gefühl der Leere wird sich im wieder begonnenen Alltag schnell verlieren."
Ihr Karl-H. Klostermeier.