Erinnerungen von Manfred Hemmerling (2002) Kapitel 1 - 18
überarbeitet von Gert Redlich im Nov. 2015 - Bei meinem Besuch bei den Pensionären von Radio Bremen im Sept. 2015 legte Nick Kröger dieses Buch auf den Tisch, weil Herr Hemmerling an dem Zeitzeugengespräch leider nicht mehr teilnehmen konnte. Manfred Hemmerling ist wenige Tage vorher am 19. Sept. 2015 im Krankenhaus verstorben. Nach dem groben Durchlesen noch im Hotel in Bremen stand der Entschluß fest, die 260 Seiten der Erinnerungen an 40 Jahre im Rundfunk (bei Radio Bremen) einem erheblich breiteren Publikum vorzulegen.
Um das Ganze lesefreundlich zu gestalten, sind von mir weitere Überschriften zur Trennung von Lese-Blöcken eingefügt worden und natürlich auch Kommentare und Verlinkungen und weitere Bilder, die den jüngeren Lesern einiges besser veranschaulichen.
Das Inhaltsverzeichnis ist auf eine eigene Seite ausgelagert.
Kapitel 11
Aufbauzeit bei Radio Bremen
Am 21. März 1967 wurde der Fernsehkomplex in Bremen-Osterholz nach knapp zweieinhalbjähriger Bauzeit in Betrieb genommen. Damit endeten die ersten Jahre des Fernsehens im Funkhaus an der Heinrich Hertz Straße. Nur die Filmentwicklung, einige Schnittplätze sowie die Werkstatt für Filmgeräte mußten dort für zwei weitere Jahre verbleiben, bis das kleine Filmgebäude in Bremen-Osterholz ebenfalls bezugsfertig war.
Nicht mehr so beengt - und der Preis dafür
Im alten Funkhaus hatten die beengten Verhältnisse allerdings auch zu einer gemütlichen, beinahe intimen Atmosphäre beigetragen, während die funktionale Bauweise im neuen FS-Studio eher zu einem unpersönlichen Klima und zu einem Bereichsleben führte. Besonders der kollegiale, menschlich gewachsene Kontakt zum Hörfunk ging nach und nach trotz aller Bemühungen (gemeinsame Veranstaltungen usw.) letztlich dabei verloren.
Die Kontakte "verliefen" sich
Nur durch regelmäßige Sitzungen in der Technischen Direktion, deren Räume, wie die der Intendanz und der Verwaltung, im Hörfunkgebäude verblieben waren, traf man auf dem Weg dorthin den einen oder anderen mal wieder. Die sogenannte "größere Heyer-Runde", an der ich in der Technischen Direktion teilnahm, kam aber nur alle zwei bis drei Wochen zusammen.
Die Aufnahme von Johanna Andre (Sekretärin des Direktors) aus den frühen 70er Jahren zeigt von unten und links weiter im Uhrzeigersinn:
Herrn Heyer (ohne Jackett), Gerd Queda, Gunnar Putnaerglis, Heribert Tannenbauer, Peter Badenhop, Siegfried Gloose, rechts daneben sitze ich, dann Kurt Tummerscheid, Kurt Strenge und Hans-Joachim Gerhardt. Herr Gloose war der Stellvertreter von Herrn Heyer, Chefingenieur der Anstalt und Leiter der Hörfunktechnik. (In der Runde fehlt Reinhart Henke, Hörfunkbetrieb, er war an diesem Tag vermutlich im Urlaub.)
Die Existenz unseres Hauses wurde erstmals in Frage gestellt
Im Neubaukomplex entstand auch nach einer jahrelangen Routine nicht wieder diese unmittelbare Zusammenarbeit, wie sie unter den engen Verhältnissen im Hörfunk bestanden hatte. Dennoch war dieser Schritt zum FS-Neubau nötig geworden.
Die vielfältigen Überlegungen, die letztlich zu diesem Ortswechsel geführt haben, sind an anderer Stelle nachzulesen: doch soviel, es war ein außerordentlich mutiger Schritt unseres Intendanten Heinz Kerneck. Die Entscheidung, gerade zu einer Zeit, da die Existenz unseres Hauses politisch erstmals in Frage gestellt wurde, hieß Handeln! Und aus heutiger Sicht hat sich diese Strategie als völlig richtig herausgestellt.
Damals legten alle mit Hand an, immer . . .
Obgleich unser finanzieller Rahmen, wie immer, sehr eng war und kaum einen Spielraum zuließ (was sich später bei den Räumlichkeiten als Schwierigkeit bemerkbar machte), konnte hier erstmals die gesamte Technik in vollklimatisierten Räumen installiert werden! Daß man ohnehin versucht hatte (soweit die Mittel reichten), den damaligen "Stand der Technik" zu berücksichtigen, versteht sich von selbst. Aber ganz und gar nicht selbstverständlich war, daß die gesamte Mannschaft beim Umzug aus dem Hörfunk ins neue FS-Studio selbst Hand anlegte.
Es war nämlich Schwerstarbeit - der Umzug
Besonders Wolfgang Stöver hat mit seinen Kollegen dabei wahre Schwerstarbeit geleistet. Nicht nur der Abbau der Geräte (Filmgeber, FAZ und Magnetfilmgeräte), sondern auch der Transport, das Aufstellen und die Inbetriebnahmen der Anlagen wurde ohne fremde Hilfe (und das alles ohne offiziellen Auftrag) bestens bewältigt!
Aber auch die MAZ-Technik mußte mit eigener Hilfe ab- und aufgebaut werden. Jürgen Howaldt mit Claus Sternberg (der zweite Nick, später als Nickhase bekannt) und Eberhard Kolakowski brachten gemeinsam diese großartige Leistung zustande.
Doch das sollte sich ändern - für immer
Weshalb erwähne ich diese Tatsachen? Einmal deshalb, weil sich damit die positive Einstellung dieser Kollegen zu ihrem Arbeitsplatz zeigte (es war der Idealismus, der alle motivierte!) und andererseits schon bald danach kaum einer der "Neulinge" dazu bereit war, nicht einmal im kleineren Rahmen, etwa "Ähnliches" zu leisten.
Beginn des Farbfernsehens am 25. August 1967
Am 25. August 1967 wurde der Beginn des regelmäßigen Farbfernsehens in der Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Dieser bedeutende Anlaß sollte von Willy Brandt mit dem legendären "Knopfdruck" zur Eröffnung der Internationalen Funkausstellung in Berlin die Farbe ins Bild bringen. Technisch wurde der Farbträger im Ü-Wagen des NDR von Gerd Grunwald aufgeschaltet, allerdings einen Bruchteil zu früh, was aber nur Fachleute bemerkten.
Von diesem Zeitpunkt an wurde ein spezieller Vorspann, ein symbolisiertes Emblem, aus dessen Mitte eine rasche Folge von bunten Ovalen mit der Inschrift "In Farbe" erschien und mit passender Vertonung vor jeder Sendung in Farbe abgespielt.
Eigentlich sollten wir noch länger bei s/w bleiben
Trotz dieses Starts hatten wir die Studiotechnik und Hauptkanalgeräte noch in Schwarzweißtechnik geplant und realisiert. Die ARD hatte eine Beschlußlage geschaffen, nach der zunächst nur eine ARD-Anstalt in "Farbe" ausgerüstet werden sollte. Dieser Beschluß kam unseren ohnehin nur knappen Finanzmitteln entgegen, stellte sich aber bereits nach kurzer Zeit als nicht mehr haltbar heraus, da die Einführung der Farbfernseh-Technik in nahezu allen anderen Anstalten viel weiter fortgeschritten war, als von uns erwartet. Unser freiwilliger (finanziell aber notwendiger) Verzicht auf eine Ausrüstung in "Farbe", gerade im Zentralgerätebereich, führte jedoch bald zur Nachrüstung einiger just installierter Geräte.
Und somit gabs "Produktionshilfe" vom SWF
Die Entscheidung mit ihren späteren Folgen bleibt selbst im nachhinein, trotz berechtigter Zweifel, gültig. Denn zum Zeitpunkt der Planung war die technische Entwicklung noch nicht soweit gediehen, daß in jeder Hinsicht ausgereifte Produkte am Markt waren.
Und einfach Geräte nur zur "Erprobung" zu kaufen, wie es anderenorts gemacht wurde, das konnten wir uns einfach nicht leisten. Hinzu kam, daß die damals noch seltenen Farbsendungen entweder als Filmproduktionen oder live von Fernseh-Übertragungswagen gesendet wurden.
Deshalb konnten die ersten "Carrell-Shows" aus unserem Studio auch nur mit "Produktionshilfe" in Gestalt geliehener Ü-Wagen meist vom Südwestfunk, realisiert und gesendet werden. Gleichviel, mit der Inbetriebnahme des Fernsehkomplexes Anfang 1967 stand uns nur eine moderne SW-Technik zur Verfügung.
1970 vier gebrauchte Farbkameras vom Typ KC4-P40
Unser erster 16mm Farbfilmabtaster, ein "Schnellschaltwerk", dessen Geräuschentwicklung über längere Zeit nur mit Lärmschutz zu ertragen war, wurde erst 1969 in Betrieb genommen und 1970 konnten wir uns (zwar schon gebrauchte) vier Farbkameras vom Typ KC4-P40 von der FESE leisten.
Inzwischen hatten wir auch zwei MAZ-Maschinen, Ampex VR 2000 B, so daß wir nunmehr unabhängig von fremder Hilfe Farbfernseh-Produktionen herstellen und senden konnten.
Mike Leckebusch von Radio Bremen und der "Musikladen"
Und schon bald drängte Mike Leckebusch darauf, seinen "Beat-Club" mit einem neuen und farbigen Erscheinungsbild auf Sendung zu bringen. Daraus ist dann der populäre "Musikladen" entstanden.
Mike Leckebusch, hatte Theaterwissenschaft in Hamburg studiert, drei Jahre als Regieassistent im Zimmertheater gearbeitet und kam als Redakteur 1962 vom NDR zu Radio Bremen. Die elektronische Tricktechnik faszinierte ihn. Bis dahin wurden nur einfache geometrische Figuren (Rhomben, Kreise, usw.) gelegentlich für einen Bildwechsel angewandt. Mit dieser Methode auch Live-Kamerabilder zu gestalten, war zu der Zeit noch nicht sehr verbreitet.
Mike und seine "Gestaltungsmittel" beim Beat-Club
Für Mike ein großer Anreiz, dieses Gestaltungsmittel beim Beat-Club immer öfter und recht umfänglich einzusetzen. Manchmal hatte man bei den Proben den Eindruck, in eine Waschmaschine zu schauen, so wirbelten die Bilder durcheinander, die auch sarkastisch als "Construkta-Effekt" bezeichnet wurden. Dennoch, was am Anfang des Guten zuviel war, wurde mit der Zeit, infolge gewachsener Erfahrungen, zum unverkennbaren Stil des Beat-Clubs. Zu der Zeit auch in dieser Hinsicht ein Novum im Deutschen Fernsehen!
Während ich diese Niederschrift verfasse, erfahre ich, daß mein Freund Mike völlig unerwartet verstorben ist. (März 2000). Das Foto entstand in seinem Studio im August 1997.
Als die Farbe ins Bild kam
Als die Farbe ins Bild kam, und besonders die Technik stabiler wurde, bot sich sofort ein weites Feld für derartige Anwendungen an. Dazu muß ich aber etwas weiter ausholen. Bereits in frühen Jahren wurde beim Spielfilm das sogenannte "Travelling-Matte-Verfahren" eingeführt, was soviel wie bewegliche Maskierung bedeutet. Das Prinzip beruht darauf, daß ein Farbauszug, z.B. Blau, als Maske verwendet wird.
Man nannte es später die "Bluebox"
Der blaue Farbkanal eignet sich deshalb am besten, weil in Hauttönen kaum blaue Pigmente vorkommen, so daß z.B. in Gesichtern, die über eine Maske in ein anderes Bild eingefügt werden, keine Störungen zu erwarten sind. Die Aufnahmen für derartige Szenen erfolgen in einem vollständig blauen Umfeld, nur Personen oder Gegenstände, die in ein anderes Bild gesetzt werden sollen, dürfen dieses spezielle Blau nicht haben.
Nach diesem Verfahren, das allerdings beim Film wegen der speziellen Aufnahme- und Kopiertechnik usw. noch viel komplizierter ist, entstand bereits 1940 der Spielfilm "Der Dieb von Bagdad" mit erstaunlich präzisen Trickeffekten, z.B. der Geist in der Flasche, oder das Zauberpferd!
Das Travelling-Matte-Verfahren
Beim Travelling-Matte-Verfahren wurden drei 35mm Farbnegativfilme in einer Spezialkamera gleichzeitig belichtet (Technicolor-Verfahren), um die einzelnen Farbaufnahmen entsprechend getrennt bearbeiten zu können. Auf Details (komplementäre Farben usw.) will ich nicht weiter eingehen, da zunächst nur das Prinzip, einen speziellen Farbauszug für Trickeffekte zu erhalten, erklärt werden sollte. Und beim Film konnte man erst nach der Entwicklung feststellen, ob die jeweilige Szene in dieser Hinsicht gelungen war.
Dagegen bietet die Farbfernseh-Technik sofort eine Kontrolle derartiger Aufnahmen über einen Monitor an.
Viel einfacher geht es mit den Farbfernsehkameras
Da die elektronische Fernsehkamera Farbauszüge (Rot, Grün und Blau) erzeugt, die ebenfalls getrennt ausgesteuert werden, lag es natürlich nahe, das vom Film bereits bekannte Verfahren zu übernehmen. Und um auch hier nicht eine Reihe technischer Details zu beschreiben, wie z.B. Rasterdeckung, Gleichlauf der Kennlinien usw., nur soviel: Jeder kennt das Bild der "ARD-Tagesschau" oder die "Heute-Sendung" des ZDF, die genau auf dieser Basis produziert werden.
Üblicherweise verwendet man die Farbe Blau im Studio, weshalb zunächst der Begriff "blue-key", später "chroma-key" gebräuchlich war, weil gelegentlich auch der Grünauszug benutzt wurde.
30 Jahre später war es ganz normal
Inzwischen sind Techniken selbstverständlich, mit denen ganze Studiodekorationen auf dem Rechner erstellt werden, so daß der Zuschauer, z.B. bei der ZDF-Wetterkarte, den realen Eindruck gewinnt, daß die großflächigen Vorschautafeln mit den bewegten Bildern sich tatsächlich im Studiohintergrund befinden. Nur beim Kameraschwenk wird das Auge etwas irritiert.
Derartige Bilder, sogar ganze Dekorationen, können auf Grafikrechnern entstehen, deren Leistung noch vor zehn Jahren als utopisch galt; von den hohen Kosten, Spezialisten für Service und Bedienung usw., einmal abgesehen!
Mit Beginn des Farbfernsehens, aufgrund der damaligen Technik, war es gar nicht so selbstverständlich, wie es auf jedem Heimcomputer mit geeigneter Bildbearbeitung heute leicht möglich ist, solcherlei Bilder zu gestalten.
1971 - 13 Folgen mit "blue-key Technik" von Radio Bremen
Um so erstaunlicher ist es, daß wir bereits 1971 eine 13teilige Folge mit je fünfzehn Minuten Länge ausschließlich in blue-key Technik produziert haben. Titel der Sendereihe: "So zärtlich war Suleiken", Regie Ernst W. Siedler. Siegfried Lenz, Autor dieser kleinen, reizvollen Geschichten aus Ostpreußen, hat sie selbst in dieser Mundart vortrefflich vorgetragen. Die 13 Folgen wurden vom Dezember 1971 bis zum 3. Januar 1972 gesendet und danach noch öfter in den 3. Programmen der ARD wiederholt.
Wie wir das gemacht hatten
Die jeweiligen Szenenbilder waren Aquarelle und als unsichtbare Dekoration im sonst leeren Studio waren Tische und Stühle, die blau gestrichen waren, damit sich die Schauspieler orientieren konnten, wenn sie z.B. einen Gang usw. machen mußten.
Zum besseren Verständnis etwas ausführlicher: Ein Wohnzimmer, dargestellt auf einem Aquarellbild, wurde mit einer Kamera aufgenommen, die handelnden Personen (Realaufnahme im blauen Umfeld) mit einer oder zwei weiteren Kameras. Schwierig waren die geometrischen Verhältnisse einzuhalten, damit bei einem Schwenk oder einer Kamerafahrt die gesamten Proportionen mit dem relativ kleinen Aquarellbild erhalten blieben.
Das war neu : durch ein viruelles Fenster schauen
Beispiel: ein Schauspieler soll durch ein gezeichnetes (im Studio aber nicht vorhandenes) Fenster schauen, während die Kamera darauf zufährt. Dabei mußten die Fahrten sowohl in das Aquarell, als auch real im Studio, völlig synchron ablaufen, da sonst z.B. der Kopf des Schauspielers entweder proportional zu klein geriet, oder gar über den gezeichneten Fensterrahmen hinauswuchs.
Eine wahrlich viel Geduld erfordernde Sisyphusarbeit und dazu eine Pionierleistung! Jahre später haben andere Rundfunkanstalten nach dieser Methode diverse Sendungen produziert. Einige haben sich damit gerühmt und nach westdeutscher Manie auszeichnen lassen, die blue-key-Technik für die Unterhaltung eingeführt zu haben.
Ein 90 Minuten Fernsehspiel
August, August, August, ein Fernsehspiel von etwa 90 Minuten Dauer, war die erste Farbproduktion im Studio 3 mit eigener, aber noch ungewohnter Technik. Autor: Pavel Kohout und Regie Jiri Bielka. Mitwirkende: Peter Striebeck (August), Ulli Philipp (Lulu), Gert Westphal (Direktor), Walter Richter (Bumbul) und anderen.
Eine kurze Inhaltsangabe: Statt dummer August zu sein, möchte August Lippizaner dressieren. Der Direktor sagt nicht nein, stellt aber Bedingungen, die August, August sämtlich und wider Erwarten erfüllt. Der Direktor verhindert die Realisierung des Traums, indem er Tiger in die Manege läßt, die August verschlingen. Sendung: 24. 10. 1970 in den 3. FS-Programmen sowie im DRS (Schweiz) und im ORF (Österreich).
Eine Produktion mit der neuen Farbtechnik
Bei dieser ca. vier Wochen dauernden Produktion gab es zwei nennenswerte technische Schwierigkeiten zu meistern. Zum einen, es war unsere erste Produktion mit einer noch relativ ungeläufigen Farbtechnik, zum anderen, das Bühnenbild, ein blaues Zirkuszelt mit roten Samtvorhängen, deren Farben besonders kritisch waren, mußte über die Produktionsdauer gleich bleiben. Die Manege war mit hellem Sägemehl ausgestreut, dessen Farbton sich im Laufe der Zeit durch das Licht oder Erneuerung veränderte; dieses war eine zusätzliche Erschwernis.
Die Fese Kameras waren damals nicht farbstabil
Mit anderen Worten, bei der in Abschnitten aufgezeichneten Produktion, die später zu einem Ganzen zusammengeschnitten wurde, sollte der Farbeindruck natürlich gleich bleiben. Und das mit vier Farbkameras, deren Konstanz sogar von der Temperatur abhing und zahlreiche Parameter, wie Konvergenz, Kennlinienen, usw. exakt übereinstimmen mußten.
Sie mußten dauern nachgeregelt werden
Einige Einzelheiten zum besseren Verständnis: der Kameratyp KC4-P40 war eine 4-Röhrenkamera, eine Aufnahmeröhre für SW- und drei für Farbe (RGB). Über ein entsprechendes Prisma im Strahlengang wurde das Szenenbild auf die vier Röhren projiziert. Folglich mußten die Raster der vier Aufnahmeröhren völlig deckungsgleich sein (Konvergenz) und die nachfolgenden Verstärker, hinsichtlich Gradation, Kontrast, Helligkeit usw. exakt übereinstimmen, und das über die ganze Dauer der Aufnahme, andernfalls wären Farbstiche zwischen den einzelnen Kamerabildern aufgetreten.
Außerordentlich kritisch sind dabei die Hautfarben, sie reagieren bereits auf die winzigste Abweichung. Besonders schwierig waren gesättigte Rottöne (hier die dunkelroten Samtvorhänge), die ohnehin von diesem Kameratyp nicht optimal reproduziert werden konnten.
Rückblick auf die Mühen mit dieser Technik
Selbst heute beim Nachzeichnen dieser schwierigen Umstände wird mir wieder klar, wieviel Mühe und Sorgfalt dabei erforderlich war und man ist verblüfft, daß unter diesen Bedingungen überhaupt eine insgesamt recht gute Bildqualität erreicht werden konnte.
Horst Bultmann hat als Bildingenieur diese erste Farbproduktion gemeistert. Wolfgang Stöver hat mit Akribie das sogenannte "line-up" der Kameras bewältigt und Inge Geiling hat als Bildtechnikerin die vier Kamerabilder ausgesteuert. Horst Bultmann war prädestiniert für diese schwierige Aufgabe, denn er hatte die neue Farbtechnik selbst geplant und war dadurch theoretisch und schon bald danach mit der komplexen Praxis besser vertraut, als die älteren, in der SW-Technik erfahrenen Bildingineure.
Und . . . Farbkameras mußten "warmlaufen"
Daß die Kameras, bevor sie eingemessen werden konnten, erst einmal zwei Stunden "warmlaufen" mußten, damit eine gewisse Konstanz aller Parameter erreicht wurde, mag man noch hinnehmen, aber daß fürs Einmessen jeder Kamera mehr als eine halbe Stunde nötig war, und vor jedem neuen Take nochmals die Konvergenz aller Aufnahmeröhren überprüft und oft korrigiert werden mußte, wird auch heutige Fachleute noch in Erstaunen versetzen.
Auch Farbmonitoren mußten "warmlaufen"
Hinzu kam, daß die ersten Farbmonitoren ebenfalls sehr sorgfaltig eingestellt werden mußten, was einen zusätzlichen Zeitaufwand bedeutete, der auf heutige Verhältnisse übertragen, völlig undenkbar wäre. Gerade in diesem Zusammenhang noch ein paar Zahlen. Eine komplette Farbkamera kostete ca. DM 250.000, ein sogenannter Klasse 1 Monitor ca. DM 24.000.
Die Glosse der Fese : 10 Std Einmessen = 1 Std Sendung
Jedenfalls war es erforderlich, daß vor jeder Produktion, einige Stunden für die gesamte Bildtechnik benötigt wurden (Anheizen der Kameras über eine Schaltuhr vorausgesetzt), um überhaupt mit der Aufnahme beginnen zu können. Insoweit war der übliche, disponierte Zeitrahmen natürlich nicht einzuhalten. Tröstlich war, daß auch die Schauspieler Stunden vor ihrem Auftritt zum Schminken in der Maske sein mußten.
Unsere Fernseh-Studios bei Radio Bremen
Da ich den Begriff "Aufbauzeit" verwendet habe, sollen an dieser Stelle weitere Einrichtungen, die in jener Zeit entstanden sind, kurz behandelt werden. Neben unserem großen Studio 3 mit ca. 600 qm Produktionsfläche mit vier Farbkameras befand sich das Ansagestudio, das mit zwei KC4-P40-Kameras ausgerüstet wurde.
Das Studio 2 mit ca. 380 m2 war als Mehrzweckstudio gedacht und hatte keine eigene Fernsehtechnik. Hier konnten Filmaufnahmen erfolgen, ein sogenannter Vorbau von Bühnendekorationen stattfinden oder mit der Technik aus Studio 3 (Regie, Tontechnik, Kameras) elektronisch produziert werden. Vorwiegend wurde die Live-Sendung III-nach-Neun in diesem Studio für das N3 Programm hergestellt.
Die Benutzung der Technik aus dem Studio 3 war natürlich sehr wirtschaftlich, aber die Ausstattung an Kabelverbindungen zwischen Studio und Regie ziemlich umfangreich.
Auch der Bremer Senatspräsident war beeindruckt
Auch der damalige Präsident des Bremer Senats, Bürgermeister Wilhelm Kaisen, war bei einem Rundgang mit Jochen Rottke, FS-Sendeleitung, durch die neuen Fernsehstudios von der Ausstattung sichtlich beeindruckt.
"Der Ton" zum Bild war schon sehr komplex
Das Thema verlangt eigentlich nach einer Ausführlichkeit, aber um den Leser nicht zu ermüden, nur soviel: An Tontechnik mußten Mikrofonanschlüsse, Kommandoverbindungen, Rotlicht, Einspiel- und Mithörwege usw. aus diesem Atelier über aufwendige Steckfelder zur Tonregie im Studio 3 geführt werden. Die vier Kamerakabel und diverse Monitorkabel zu verlängern war dagegen eher harmlos. Als Mike Leckebusch auf die Idee kam, eine abgesetzte Bildregie im Studio 2 zu betreiben, um inmitten der Szene besser auf Zwischenrufe aus dem Publikum reagieren zu können, erhöhte sich das ohnehin schon komplizierte Verfahren, auch im Ablauf, ganz beträchtlich.
Überwachung des Geschehens im Studio nur über Monitore
Denn für den geplagten Toningenieur, der nur über Monitore das Geschehen im Studio verfolgen konnte, kamen die spontanen Bildschnitte manchmal so überraschend, daß er zunächst den richtigen Regler (von ca. 30) für das betreffende Mikrofon suchen und aufziehen mußte. Und das war noch längst nicht alles (Saalmischpult, Mithören usw.), aber es sollte hier genügen!
Wir hatten auch eine Rotosyn-Anlage
Vierzehn Jahre später, ein Jahr nach Beginn des eigenen Regionalprogramms, wurde Studio 2 erstmals mit einer eigenen Technik ausgestattet.
Noch kurz zum Filmgebäude. Hier entstand um 1968 das Synchronstudio mit einer entsprechenden Tontechnik, mit zwei 35mm und einem 16mm-Projektor. Im Synchronstudio wurden die Hauptmischungen mit diversen Zuspielen (Magnetfilme) durchgeführt und die Ton-Sendefassung hergestellt. Da Bild- und Magnetfilm perforiert sind, bedurfte es nur eines gemeinsamen Antriebs, eine sogenannte elektrische Welle (Rotosyn-Anlage), um alle in der Prozedur befindlichen Filme (Bild und Ton) synchron hin und her zu rangieren.
Details fürs Synchronisieren von Bild und Ton - die Zeit
Im Mischstudio wurde dieses Verfahren durch ein spezielles Laufwerk der Fa.Keller erleichtert, was zwar um einiges zügiger war, aber nur einige Magnetfilme als Zuspiel zuließ, für die Vertonung aktueller Berichte aber absolut ausreichte.
Die Projektoren im Synchronstudio wurden hauptsächlich zur Erstellung von Sprach- und Geräuschaufnahmen benötigt. Die große Darstellung auf der Leinwand bot Sprechern oder Geräuschemachern die dafür notwendigen Details (Lippenbewegung usw.), um synchron zum Bildfilm agieren zu können. Dazu wurden sogenannte Schleifen eingespielt (bei Sprachaufnahmen etwa eine Satzlänge), nach denen der jeweilige Text gesprochen wurde. Jeder routinierte Synchronsprecher brachte stets den Techniker am Projektor ins Schwitzen, weil er gar nicht so rasch die Schleife wechseln konnte, wie der Text synchron gesprochen war.
Und erst die Geräuschemacher! Sie verstanden in der Regel ihr Handwerk so gut, daß sie meist die dafür eingeplante Zeit mühelos unterschritten. Synchrone Sprachaufnahmen waren stets dann nötig, wenn bei Dreharbeiten in einer lautstarken Umgebung (z.B. in einer viel befahrenden Straße, Fabrik usw.) ein Dialog aufgenommen wurde, der unter diesen Umständen aber nicht zu verstehen gewesen wäre und deshalb im Synchronstudio erneut gesprochen werden mußte.
Den Stand der Technik erhalten
Unter "Aufbauzeit" sind die ersten Jahre im neuen Fernsehkomplex in Osterholz zu verstehen, dazu gehört auch das Kopierwerk, das 1970/71 erbaut und im Kapitel "Die Filmproduktion" behandelt worden ist. In den Folgejahren wurden noch viele weitere Vorhaben geplant und realisiert, sie betrafen aber mehr den Ersatz veralteter Technik (Schaltraum, MAZ, Kameras, Tontechnik usw.), um den Stand der Technik zu erhalten. Eine ähnliche, aber deutlich kürzere Epoche technischen Aufbaus 1979/80, einschließlich neuer Verfahren, ergab sich noch mal durch das eigene Regionalprogramm, das unter diesem Titel ausführlich beschrieben worden ist.