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Schlager, Lieder, Musik und der Film - die Bedeutung .....

Auf diesen Seiten wird die biografische Aufarbeitung der Zusammenhänge von Kultur und Politik der Jahre 1918 bis 1945 skizziert. Ab etwa der Hälfte der Seiten wird dem Film die größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Musik bzw. den Liedern. Manche Filmlieder wurden zu Gassenhauern - aber erst, nachdem der Tonfilm den Durchbruch hatte. Viele Verweise und Zitate aus den dicken Film-Büchern von Curt Riess und auch von Heinrich Fraenkel kennen unsere Leser bereits. Weitere Bücher sind zum Verständnis der End-Zeit bis April 1945 von großem Informationsgehalt.

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1918

Im November geht der Erste Weltkrieg zu Ende - Überall werden Arbeiter- und Soldatenräte gebildet - in Bayern der Freistaat ausgerufen - Kaiser Wilhelm geht ins Exil nach Holland - Allgemeines deutsches Frauenstimmrecht - Heinrich Mann >Der Untertan< - Thomas Mann >Betrachtungen eines Unpolitischen< - Leger >Maschinenräume< UFA richtet Kultur- und Lehrfilmabteilung ein - Strawinsky >L'Histoire du Soldat< - Charles Chaplin dreht den Film >Ein Hundeleben< - Gesetzlicher Achtstundentag in Deutschland

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Berlin - Der UFA Palast am Zoo
Blinde zählen Falschgeld (aus Fritz Langs Stummfilm >Dr. Mabuse, der Spieler)

WIE ALLES WIEDER EINMAL ANFING

Im November 1918 ist der Erste Weltkrieg zu Ende, die Achse Berlin-Wien zertrümmert. Zwei notdürftige Inseln auch für die überlebenden Komponisten, Textdichter, Interpreten. Rette sich, wer kann. In das, was übrigblieb - was einem übrigbleibt...

Zeitgeist an der Spree. Als 1922 im Berliner UFA-Palast am Zoo Fritz Langs Film >Dr. Mabuse, der Spieler< herauskommt, steht im Programmheft:
»Die nach dem Krieg und der Revolution erniedrigte Menschheit nimmt Rache für schwere Zeiten und ergibt sich dem Laster - und ergibt sich dadurch passiv oder aktiv dem Verbrechen.«

  • Anmerkung : Der Berliner Zoo-Palast war damals Deutschlands größtes und luxuriösestes Kino.)

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Ein Blick nach Wien

Fast eine mythische Figur: Kaiser Franz Joseph I.

In der ehemaligen Donaumonarchie gehen die Uhren anders. Durch seine lange Regierungszeit und persönliches Leid (»Mir bleibt auch nichts erspart«) war Kaiser Franz Joseph I. eine fast mythische Figur geworden. Das Robert Stolz-Lied >Du sollst der Kaiser meiner Seele sein< aus der Operette >Der Favorit< (1916) wurde nach dem Tod des Kaisers und erst recht nach der Ausrufung der Republik für viele zum heimlichen Glaubensbekenntnis, die immer noch den Kaiser mit der Seele suchten. Sogar heute noch wird in Bad Ischl, dem Sommer-Domizil Franz Josephs, am 18. August sein Geburtstag gefeiert. Und 1978 gab's zum 130. Jahrestag der Thronbesteigung zum besonderen Anlaß auch besondere Festivitäten.

Zwar schreibt Carl Burckhardt: »Von allem Elend, das herrschte, war das Wiener Elend das schrecklichste, die Erschöpfung der alten Kaiserstadt die tiefste, die Aussicht des alten Österreich die hoffnungsloseste.«
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Robert Stolz

Aber der Wiener lebt nun eben konsequent nach den Devisen »Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht gefährlich« und »Nur net ignorieren«. Und Alfred Polgar schrieb: »Der Miseren sind so zahlreiche, daß wir eine über die andere vergessen. Ein wahres Glück, diese Fülle von Sorgen.«

Was also tat Robert Stolz, der wienerischste aller Wiener (obwohl er aus Graz stammt)?

Ende 1918 wurde er aus seinem Stammcafe Dobner in das Lazarett gerufen, das während des Kriegs gegenüber in der Wiener Sezession eingerichtet war. Der schwer verwundete Soldat Otto Hein wollte ihn sprechen. Der hatte ihm vierzehnjährig in Brunn, dort war Stolz damals Erster Kapellmeister, die Ergebnisse beim Billardspielen notiert und obendrein alle seine Vorstellungen besucht.
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1919

Friedensvertrag von Versailles - Friedrich Ebert wird Reichspräsident - Gründung des »Bauhauses« in Weimar - Karl Kraus >Die letzten Tage der Menschheit< - Prohibition in den USA (bis 1933) - Motorroller von Krupp - In den Zeitungen Inserate: »Das neue Rasieren mit >Wach auf!< - ohne Seife, Seifencreme, Pinsel, Napf. - Das Idealrasieren nach sanitätspolizeilichen Vorschriften mit Wasser und Handtuch!« - Max Reinhardt eröffnet das umgebaute Berliner Schauspielhaus - Jack Dempsey wird Boxweltmeister

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Otto Hein, der Musikverleger

Eine Schicksalsstunde für die österreichisch deutsche Unterhaltungs- musik: Als Otto Hein im Sommer 1919 aus dem Rekonvaleszentenheim Koblenz entlassen wird, ohne Beruf, ohne Hoffnung, meint Stolz: »Du wirst Musikverleger!«

Er borgt ihm das nötige Startkapital, der neue Verlag wird nach dem Künstlergrüppchen »Wiener Boheme« WIENER BOHEME VERLAG getauft. Und schon beim zweiten Stolz-Lied klingelt für den neuen Verlag die Kasse: »Hallo, du süße Klingelfee«. (Ein sicheres Indiz übrigens, daß die Telefonvermittlung in Wien wieder klappte, und daß zumindest einige der Damen an den Stöpseln Stimmen hatten, die - wie Peter Kreuder sich ausdrücken würde - »chrotisch« waren.)

Der Feuilletonist der Wiener Musik

Ein Jahr drauf kommt von Stolz einer der ersten europäischen Foxtrots: Salome. Keine Kopie - eine totale Vereinnahmung des neuen Rhythmus, triumphal. Der berühmte Berliner Journalist PEM (Paul Markus) schreibt:

»Robert Stolz wird zum Feuilletonisten der Wiener Musik. Er braucht keine abendfüllenden Operetten, um in Tönen auszudrücken, was ihm zum Thema einfällt; ihm genügt ein Lied wie >Im Prater blühn wieder die Bäume< oder >Hallo, du süße Klingelfee< oder >Salome<.

Seine Chansons fangen mit ihren Melodien die Stimmung jener Stadt ein, deren Charme die Industrialisierung der leichten Musik überwindet und mit dem Dreivierteltakt die neuen Tempi immer wieder besiegt.«

Noch kurz vor seinem Tod 1975 sagt der fast 95jährige Stolz voll stolzer Bosheit: »Die alte Hur' is net umzubringen.« Er meinte seine Salome. Mit Recht. In den fünfziger Jahren wurde sie unter dem Titel Romeo durch Petula Clark (die wiederum an die deutsche Salome-Renaissance durch das Lucas-Quartett anschloß) und 1959 durch den Loren-Mastroianni-Film >Gestern, heute, morgen< zum zweitenmal, Ende der sechziger Jahre als Step By Step zum drittenmal ein Welterfolg ...

1920

Kapp-Putsch - Hans von Seeckt organisiert das Hunderttausend-Mann-Heer - Hitler verkündet sein 25-Punkte-Programm im Münchner Hofbräuhaus - Jazztanzmusik kommt nach Deutschland - Eugenio Pacelli Nuntius in Berlin (bis 1929) - Weltrekord im Höhenflug von Schröder mit 10.093 Meter - 1.F.C. Nürnberg erstmals deutscher Fußballmeister - 6 Millionen Rinder in Deutschland an Maul- und Klauenseuche erkrankt - (Schaden pro Rind 100 RM) - Ein Liter Vollmilch kostet zwei Reichs Mark - Deutsches Lichtspielgesetz mit Filmzensur

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1921

Matthias Erzberger wird ermordet - Kölns Oberbürgermeister Konrad Adenauer wird Präsident des Preußischen Staatsrates - Erstes Auftreten der SA - Physik-Nobelpreis an Albert Einstein - Edvard Munch >Der Kuß< - Der Bubikopf wird neue Modefrisur - 39.216 Ehescheidungen in Deutschland (1913: 17.835) - Die Avus-Rennbahn in Berlin wird eröffnet - Enrico Caruso stirbt - Erster Rundfunksender (Pittsburgh) - >Die Abenteuerin von Monte Carlo< (Ein Film, zu dem 11.000 km Filmreisen notwendig waren)

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»GOTT UND FOXTROT FESCH VERSCHMELZEND« (1920-1929)

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  • »Es gab russische Fürsten als Taxi-Chauffeure und deutsche Handlungsgehilfen, die sich als Prinzen feiern ließen. Es gab Spione, Agenten, Schmuggler; es gab Spielhöllen und Rauschgifthöhlen; Sexualaffären unter Schülern, Nacktrevuen, Gotteslästerungsprozesse gegen Künstler; skandalöse Urteile einer reaktionären Justiz.«
    Hans-Joachim Weitz
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  • »Berlin im Anfang der Zwanziger Jahre war halbseiden, es roch nach Chypre, Abschminke und schlechtem Benzin, es hatte seinen imperialen und großbürgerlichen Glanz verloren und wurde erst später zu einer grellen, hektischen Blüte hochgepulvert.«
    Carl Zuckmayer
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  • »Mir graust vor der Vergangenheit der goldbesch .... Zwanziger Jahre, heute ebenso wie einst, als sie noch die Gegenwart waren. Das habe ich so deutlich, wie ich's vermochte, ihr ins Antlitz gedichtet, gereimt und umschrieben. Und wo hätte ich zu diesem Beruf einen passenderen Abort finden können, als eben das deutsche Kabarett.«
    Walter Mehring

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Der Anfang der »Goldenen« Zwanziger Jahre.

Die reaktionären Kräfte, die listig den Sozialdemokraten die Ausrufung der Republik überlassen haben, häkeln eifrig an der Dolchstoß-Legende. Der Reichspräsident Friedrich Ebert schlägt in Berlin den Generalstreik und den Aufstand des kommunistischen Spartakusbundes nieder und schafft damit notgedrungen eine endgültige Kluft zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten.

Die Reparationsforderungen der Siegermächte (226 Milliarden Goldmark bis 1963) werden 1921 auf 123 Milliarden Goldmark und eine jährliche Abgabe in Höhe von 26 Prozent der deutschen Ausfuhr »reduziert«.
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Simplizius-Simplizissimus - Vanitas vanitatum

Von Juli 1919 bis Januar 1920 haben sich die Lebenshaltungskosten in Deutschland fast verdreifacht. Eine Katastrophe, wie nicht mehr seit dem Dreißigjährigen Krieg.

Neobarockes Simplizius-Simplizissimus- oder auch Leck-mich-am-Arsch-Gefühl breitet sich aus: Vanitas vanitatum. »>Man lebt nur kurz und ist so lange tot<, hieß ein schlagender Refrain der Zeit.

>Berlin - dein Tänzer ist der Tod<, mahnten riesige Plakate, mit denen die Regierung der Streikwut und dem besinnungslosen Vergnügungstaumel zu steuern suchte.« (Heinz Greul, >Bretter, die die Zeit bedeuten<, 1967)
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Der Tanz wird zur Manie

Klaus Mann stilisiert diese Tanzwut noch mehr zur Apokalypse: »Millionen von unterernährten, korrumpierten, verzweifelt geilen, wütend vergnügungssüchtigen Männern und Frauen torkeln und taumeln dahin im Jazz-Delirium. Der Tanz wird zur Manie, zur "idee fixe", zum Kult.

Die Börse hüpft, die Minister wackeln, der Reichstag vollführt Kapriolen. Kriegskrüppel und Kriegsgewinnler, Filmstars und Prostituierte - alles wirft die Glieder in grausiger Euphorie. Man tanzt Hunger und Hysterie, Angst und Gier, Panik und Entsetzen. Es geht hoch her - oder vielmehr, es geht alles drunter und drüber. Früher mal hatten wir eine prima Armee; jetzt haben wir prima Perversitäten!«
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Karl Arnold: Nach der Kriegsschuld - nun die Kriegsschulden (aus dem Simplicissimus)
Zille: Schiebertango Wedding-Straßensänger
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Ausgerechnet Bananen!

Das »Jazz-Delirium« mußte aus Quellen gespeist werden. Da gab es z.B. für den Wiener Boheme Verlag einen Außenposten in New York, den ehemaligen Wiener Conferencier Fritz Wreede. Und der erwarb die Rechte für einen Schlager, den Willy Haas »einen der größten Schlager, seit es Schlager gibt« nennt.

»Er paßte haargenau in die ganz verrückten Jahre nach dem ersten Weltkrieg, wie der Dadaismus, wie die Inflation.« Der Titel: Yes, We Have No Bananas. Als der österreichische Texter das Lied auf den Tisch bekam, stöhnte er: Ausgerechnet Bananen!

AUSGERECHNET BANANEN - ODER DER SCHLAFWANDLER, DER IN DEN ABGRUND STÜRZTE

Fritz Löhner-Beda

Dieser Texter hieß Dr. Fritz Löhner. Weil Gymnasiasten Publizität jeder Art verboten war, hatte er sich für seine Gedichte in der >Jugend< und im >Simplizissimus< bereits als Teenager das Pseudonym Beda zugelegt (die Kurzform für Friedrich in seiner tschechischen Heimat). Beda war in ganz Wien als geistvoller Literat, als Verfasser »lyrischer und satirischer Verse von prachtvoller Eindringlichtkeit« bekannt. Und war tonangebend für die Schlager jener Jahre. Eine Kombination, die heute als unanständig gilt. Damals kein Einzelfall.
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Ein Pseudonym - »Dada Beda«

Er schrieb als »Dada Beda« eine Parodie auf den Dadaismus:
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  • Gemalter Schrei:
  • Spinat mit Ei.
  • Creosot, bissei Jod,
  • o Morgenrot. Idiot!

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Und beteiligte sich ebenso am Text zu >Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren<, schrieb die Libretti zu Lehars >Friederike< und zur Umarbeitung der durchgefallenen >Gelben Jacke< - zum >Land des Lächelns<.

Ein Souverän der Leichtigkeit im Springen zwischen den Metiers. Und weil ihm die Einfälle so blitzartig kamen, war in allen seinen Wohnungen Schreibpapier und Bleistift überall verteilt - speziell im kleinsten Raum. >Was machst du mit dem Knie, lieber Hans<, >Wo sind deine Haare, August< (Komponist war der Leo-Fall-Bruder Richard) - das Flair von Sommerfrische, Unsinn und Tarockpartien.

Was die Biographen über Dr. Fritz Löhner schreiben

Richard Tauber in >Das Land des Lächelns<

Der Lehar-Biograph Bernard Grün schildert ihn so: »Eine starke, vehemente Persönlichkeit: blitzscharf von Verstand, athletisch von Gestalt, Jurist, Germanist, Offizier, grundmusikalisch, aggressiv, kühn, Ankläger alles Hohlen, Bösen und Scheinheiligen, Bewunderer alles Neuen, Unkonventionellen.«

Ein Mann jedenfalls, der von schlafwandlerischer Sicherheit war. Die Schwester seiner Frau berichtet: »Wir warteten im Operncafe am Ring. Er war beim Friseur auf der anderen Ring-Seite. Er kam heraus, mit einer aufgeschlagenen Zeitung in der Hand. Lesend. Mit Sorge haben wir zugesehen, wie er mitten in den Verkehr trat. Die Autos und die Straßenbahnen haben gebremst, die Fahrer geschimpft. Da eilte der Verkehrspolizist, der in der Mitte der Kreuzung stand, auf ihn zu und brachte ihn am Arm sicher zu unserem Tisch. Beda immer noch lesend.«

1938 verhaftet - 1942 Tod in Auschwitz

1938, unmittelbar nach dem "Anschluß" Österreichs, nahmen ihn, den souveränen Ignorierer, ganz andere am Arm - die Gestapo. Dachau, Buchenwald, 1942 Tod in Auschwitz. Marcel Prawy schreibt in seinem Buch >Die Wiener Oper<: »Während Franz Völker in der Wiener Oper >Dein ist mein ganzes Herz sang<, ging der Autor dieses Liedes im Konzentrationslager zugrunde.«
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