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Schlager, Lieder, Musik und der Film - die Bedeutung .....

Auf diesen Seiten wird die biografische Aufarbeitung der Zusammenhänge von Kultur und Politik der Jahre 1918 bis 1945 skizziert. Ab etwa der Hälfte der Seiten wird dem Film die größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Musik bzw. den Liedern. Manche Filmlieder wurden zu Gassenhauern - aber erst, nachdem der Tonfilm den Durchbruch hatte. Viele Verweise und Zitate aus den dicken Film-Büchern von Curt Riess und auch von Heinrich Fraenkel kennen unsere Leser bereits. Weitere Bücher sind zum Verständnis der End-Zeit bis April 1945 von großem Informationsgehalt.

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1922

Walther Rathenau ermordet (der 376. politische Mord seit Kriegsende) - Friedrich Ebert erklärt »Deutschlandlied« zur Nationalhymne - Marsch der Faschisten auf Rom - Howard Carter findet das Felsengrab des Tut-ench-Amun - Erste drahtlose Übertragung eines Bildes von Europa nach Amerika - Wert der deutschen Goldmark im Januar 1922 : 45 Papiermark, im Dezember 1922 : 1807 Papiermark - Klee >Die Zwitschermaschine< Hesse >Siddharta< Joyce >Ulysses<

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WARUM DIE ERSTE GENEHMIGUNG FÜR EINEN RUNDFUNKEMPFÄNGER 350 MILLIARDEN KOSTETE

Nicht ohne Ursache hatte Beda seinen Stoßseufzer »Ausgerechnet Bananen« getan. Wir erinnern uns: 26 Prozent der deutschen Ausfuhr waren an Reparationen zu zahlen. Das war nicht zu schaffen.

Frankreich bezichtigt Deutschland der Sabotage und besetzt zusammen mit belgischen Truppen am 11. Januar 1923 das Ruhrgebiet. Der damalige Reichskanzler Wilhelm Cuno ordnet mit Zustimmung der Gewerkschaften den passiven Widerstand an, was zum Dammbruch der Inflation und zum Zusammenbruch der Währung führt.

Ein Mann namens Wilhelm Hollhof wird zum ersten privaten Pionier der Zukunft der Massenmedien in Deutschland. Er erwirbt die Lizenz Nr. 1 für einen Rundfunkempfänger. Und kommt dabei zum Preis von 350 Milliarden Papiermark noch sensationell billig weg. Denn der Index für eine Goldmark steht auf 14 Milliarden. Herr Hollhof zahlt also nur zwei Goldmark monatlich als Grundgebühr. Zwei Wochen später ist die Goldmark bereits 0,14 Billionen Papiermark wert.
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1923

Ruhrbesetzung durch Frankreich - Hitler-Ludendorff-Putsch in München - Hitler wird zu Festung verurteilt - Höhepunkt der Inflation in Deutschland: Notengeldumlauf 500 Trillionen Papiermark, 1 US $ = 4,2 Billionen Mark - Im November kostet ein Roggenbrot 400 Milliarden Mark (1914: 28 Pfennige) - Deutsche Auswanderung nach Übersee: etwa 114.000 (1913: etwa 20.000) - Deutsche Kartellverordnung gegen Mißbrauch wirtschaftlicher Macht - Thomas Mann >Die Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull<

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29. Oktober 1923 - die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks

Richard Tauber in >Das Land des Lächelns<

Falls Wilhelm Hollhof ein U-Musik-Fan war, wird er herb enttäuscht, als am 29. Oktober 1923 um 20 Uhr mit eingeübtem Gongschlag die Geburtsstunde des deutschen Rundfunks schlägt.

Nach der Ansage: „Hier Sendestelle Berlin, Voxhaus, Welle 400 ...« folgt, was in Deutschland bei feierlichen Anlässen immer folgt - eine musikalische Feierstunde. Sie beginnt mit einem „Cellosolo mit Klavierbegleitung >Andantino von Kreisler<, gespielt von Herrn Kapellmeister Otto Urack« und endet vor dem Deutschlandlied mit dem »Violinsolo mit Klavierbegleitung >Menuett von Beethoven<, vorgetragen von Herrn Konzertmeister Rudolf Deman«.
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Die Zweckehe Schallplatte + Funk, eine Haßliebe

Pikant in der Rückschau ist, daß das erste Funkstudio sich ausgerechnet im Haus der Plattenfirma Vox etabliert, in der Potsdamer Straße, zwei Schritte vom Verkehrschaos-Nabel Berlins, dem Potsdamer Platz.

Die von Haßliebe bis heute geprägte Zweckehe Schallplatte - Funk wird bereits in der Stunde Null vollzogen und mit „fremdgehen" besiegelt: Zwei leitende Herren der Vox wechselten ins neue Medium.

Technisch und in der Programmgestaltung läßt man sich, wie immer in den Anfängen, eine Menge einfallen. Eiertransportkartons Dreißiger-Stückgröße tun als Hall- und Schallschlucker vorbildliche Dienste.

Man holt das Tanzorchester Bernhard Ette als Fünf-Mann-Formation in den Aufnahmeraum. Alfred Braun, der erste Tausendsasa unter den Funkreportern, wird zum Erfinder des Bunten Programms. Er schleppt den Tauber vors Mikrophon, die Massary, Josef Schmidt, die Hesterberg, die Waldoff. Und wenn es am frühen Morgen heißt: »Hoch das Bein, und links, und Knie beugt«, sitzt Theo Mackeben am Flügel.
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Rundfunkhören kostete damals schon Geld

Silvester 1923/24 gibt es bereits 1.580 zahlende Rundfunkteilnehmer. Und auch schon die erste inoffizielle Hitparade, die ersten "top three": "Und zum Schluß schuf der liebe Gott den Kuß" von Hirsch, "Hab ein blaues Himmelbett" von Lehar und natürlich "Ausgerechnet Bananen". Auch die anderen Anstalten des Reichs ziehen nach und gleich. Der Bayernfunk ist dabei am progressivsten. Hanns Hunkeles Dorfvenus darf sich im Radio ihren Hörern sechsmal nackt und ungeschminkt präsentieren.

Und nach Heinz Schröter ("Unterhaltung für Millionen" lassen sich die volkstümlichen Dialoge häufig auf die Kurzform bringen:

  • »Liesl, was treibst?« Sie: »Ab.«


Kein Wunder bei so vielen, so viel unterschiedlichen Aktivitäten, daß die zahlende Hörerschaft 1926 bereits 1,5 Millionen erreicht. Aber noch schreiben wir das Jahr 1923 ...
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WOVON FRITZ LANG PROFITIERTE UND WARUM RICHARD TAUBER IN ÄUSSERSTER ARMUT STARB

Bild : Eins von zweihundert: Siegfrieds Pferd in Fritz Längs Stummfilm >Die Nibelungem

Die Inflation tobt. Der Berliner Volksmund findet für die Figur des Kriegsgewinnlers und ebenso brutal-cleveren Inflationsschiebers die volkstümliche Bezeichnung »Raffke«. Aber auch Fritz Langs >Nibelungen<- Film profitiert unvorhergesehen.

Die Szene, in der Siegfried mit zweihundert Pferden durch den Wald galoppiert, kostet die UFA nicht mehr als zweiundzwanzig Dollar. Die Miete für dreihundert Ritterrüstungen kostet, da sie vorher ausgemacht war, weniger als die Herstellung einer einzigen Rüstung.

Der Generalstreik muß abgebrochen werden. Der neue Reichskanzler Gustav Stresemann gibt den Widerstand auf. Die Rentenmark wird eingeführt. Am 15. November 1923 beginnt die Ausgabe von Rentenbankscheinen und führt im Winter zur Deflationskrise. Ein Rentenbankschein entspricht einer Billion Papiermark.
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Der Mittelstand verarmt

Das bringt vor allem die Verarmung des Mittelstandes, der Bauern und Handwerker. Über das nicht-industrielle Großbürgertum schreibt Tilla Durieux: »Viele reiche Familien zählten zu den Opfern. Die >Neureichen< dominierten.«

Gerade unter den Künstlern gibt es späte Opfer. Durch die Inflation hat Richard Tauber das Verhältnis zum Geld für immer verloren. Er, der Millionen verdiente, stirbt 1947 in London arm. Vom Krebs gezeichnet, singt er am 27. September noch in Covent Garden wie durch ein Wunder einen glanzvollen Don Ottavio im >Don Giovanni<. Dann muß er ins Krankenhaus. Seine berühmte Kollegin Vera Schwarz übernimmt die Kosten, Marlene Dietrich kabelt tausend Dollar. Für seine Beerdigung muß gesammelt werden.

1924

Lenin stirbt - Stalin setzt sich durch - Hitler vorzeitig aus der Festungshaft entlassen - Erste deutsche Funkausstellung und Automobil-Ausstellung in Berlin - Franz Kafka stirbt - Thomas Mann >Der Zauberberg< - Gershwin >Rhapsody In Blue< - Jährlich etwa 200.000 illegale Abtreibungen in Deutschland vermutet - Flugplatz Berlin-Tempelhof eröffnet - Massenmörder Harmann verhaftet; verübte 26 Morde an jungen Männern - Hugo Eckener fliegt den Zeppelin von Friedrichshafen nach New York - Modetanz: Shimmy

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JACK HYLTON BLEIBT SEINER MADONNA TREU

Karl Arnold: Die neuen Musikbands, die neue Mode und der »Schieber«

Weil wir gerade in London sind: Auch 1951 findet die jährliche »Royal Command Performance« im Palladium statt, die letzte, die King George VI., der Vater von Elisabeth II, erlebt. Die steife Wohltätigkeitsveranstaltung hat ihre Sensation. Jack Hylton, der vor fünfzehn Jahren den Taktstock niederlegte und seither zu den erfolgreichsten Londoner Theaterdirektoren gehört, hat für diesen einen Abend seine Solisten von einst zusammengetrommelt.

Das Orchester spielt Katschers "Madonna, du bist schöner als der Sonnenschein", das Haus rast, nach der Performance dankt ihm die königliche Familie für die reizende Überraschung.

Ein paar Abende später trifft ihn der Journalist PEM (Paul Markus) :

  • »Warum haben Sie eigentlich damals lauter kontinentale Schlager populär machen helfen?«
  • »Ja, das waren noch Zeiten. Damals hatte ich weniger Sorgen und war entschieden jünger.«

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Ab 1924 spielte Hylton regelmäßig im Berliner »Wintergarten«. Kein Berliner Hotel von Rang, das nicht »seine« Kapelle gehabt hätte. Man traf sich bei Barnabas von Geczys Fünf-Uhr-Tee im Esplanade oder bei Kurt Widmann im Imperator. Oder bei den legendären Weintraub Syncopators, die später die Musik im >Blauen Engel< machten.

Debütierte 1930: Willy Schneider
Irving Berlin
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Noch war der Rundfunk ein Minderheiten-Programm.

Heinz Schröter: »Die Jugend von heute kann sich ein Leben ohne permanente Berieselung gar nicht vorstellen. Aber auch unsere Großeltern hatten ihre Dauerberieselung in den Konzert-Cafes, in denen sie sich vom Charme der angebeteten Stehgeiger und dem schmalzigen Repertoire der Salon-Orchester betören ließen.«

Apropos »schmalzig«: Dieser für heutige Begriffe ganz und gar unschmalzige Sound ist in den späteren siebziger Jahren nicht nur mit dem »Pasadena Roof Orchestra« wieder zu großen Ehren gekommen.
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Willy Schneider wurde erst nach 1945 ein Star.

Debütierte 1930: Willy Schneider

Der interkontinentale Schlager-Austausch funktionierte. Ein amerikanisches Lied von 1924, April Showers, begründete die Karriere eines Sängers, der nach 1945 zu den großen Stars zählte: Willy Schneider.

Leo Eysoldt hatte ihn aus einem Chor geholt und engagierte ihn als Refrain-Sänger. Ein anonymer, aber überaus wichtiger Job. Denn die Refrain-Sänger machten die Schlager und vor allem die Refrain-Texte populär. Als die Kapelle Leo Eysoldt für den WDR 1930 in Volkach gastierte, schrieb der »Volkacher Bote« über Willy Schneider mit verblüffender Voraussicht: »Er wird einmal der Stern am Himmel der Sänger werden.«
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Irving Berlin kommt nach Berlin

Irving Berlin

Einer der größten amerikanischen Komponisten kommt - nomen est omen - sogar persönlich nach Berlin: Irving Berlin. Und nicht bloß, um shake-hands zu machen. Sein tüchtiger Handschlag besiegelt Verträge. Berlin heißt eigentlich Israel oder Izzy Baiine und ist 1888 als Sohn eines jüdischen Kantors in Sibirien geboren. Er ist (die große Ausnahme in jenen Zeiten) Autodidakt und hat sich in sein Klavier einen Spezial-Mechanismus einbauen lassen, weil er nur auf den schwarzen Tasten spielen kann.

Bevor er 1911 mit »Alexanders Ragtime Band« die amerikanische und die Unterhaltungsmusik der übrigen Welt revolutionierte, schrieb er neunzehnjährig sein erstes Lied "Marie from Sunny Italy". Von ihm stammt Blue Skies und Always (zu deutsch Weißt du, was das heißt: Heimweh?).

Und in den vierziger Jahren wird er erst auf dem Höhepunkt seines Schaffens ankommen: Mit White Christmas (noch immer die meistverkaufte Schallplatte der Welt) und dem Song "There Is No Business Like Show-Business" aus >Annie Get Your Gun<, dem Leitmotiv der Welt des Musicals ...
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1925

Reichspräsident Ebert stirbt - Hindenburg wird sein Nachfolger - Hitler >Mein Kampf< - Gründung des IG-Farben-Konzerns - Alban Berg >Wozzek< - 7676 deutsche Krankenkassen mit 18,3 Millionen Mitgliedern und 1375 Millionen Mark Ausgaben - Der Charleston wird Modetanz des Jahres - Die Frauen tragen taillenlose Kleider, Bubikopf, Topfhüte und kniefreie Röcke - Internationale Konvention gegen Rauschgiftunwesen - Filme: >Die freudlose Gasse< mit Asta Nielsen; >Goldrausch< von und mit Charles Chaplin

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AUSVERKAUFT UND EINE ERSTE PLEITE

Die Papiermark endet beim Lumpensammler (1924)
George Grosz: Stützen der Gesellschaft
Noch mit Henri- Quatre-Knebelbart: Robert Stolz

In seiner Geschichte des deutschen Films >Das gibt's nur einmal< (Anmerkung : korrekt heißt der Titel von Teil 1 : "Das gab's nur einmal") berichtet der Augenzeuge Curt Riess ekstatisch:

  • »Die Inflation ist vorüber. Deutschland hat neuen Auftrieb. Berlin ist nicht nur der Mittelpunkt Deutschlands, sondern Europas. Theater, Kinos, Konzertsäle sind ausverkauft. Das Leben pulsiert. Der Krieg, die Hungerjahre sind vergessen. Man spürt förmlich, wie diese Stadt von Tag zu Tag wächst, wie Hunderte von neuen Ideen aus dem Nichts entstehen, wie das Leben in dieser so urlebendigen Stadt Triumphe feiert. Das alles hat etwas Mitreißendes. Man will mit dabeisein.«


Man will mit dabeisein. Und originell. Und international. Herman Haller, der mit seiner Inflations-Revue »Drunter und drüber« gerade großen Erfolg hatte, reist mit auf der Jungfernfahrt des Hapag-Dampfers »Deutschland« nach New York. An Bord ist auch der Berliner Starkritiker Alfred Kerr. Ein Informationstrip an den Broadway. Mal schauen, was die da drüben machen ...
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Im Auftrag der Kommunistischen Partei >Roter Rummel<

Zu den Reichtagswahlen baut Erwin Piscator im Auftrag der Kommunistischen Partei die Revue >Roter Rummel< >Der Augenzeuge und >Piscator< - Chronist Jakob Altmeier beschreibt:

  • »Vorhang hoch! Erste Szene. Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Ackerstraße - Kurfürstendamm - Mietskaserne - Sektdielen. Blaugold strotzender Portier, bettelnder Kriegskrüppel. Schmerbauch und dicke Uhrkette ... Streichholz-Verkäufer und Sammler von Zigarettenstummeln. Hakenkreuz - Fememörder - Was machst du mit dem Knie - Heil dir im Siegerkranz.« Was machst du mit dem Knie, lieber Hans, beim Tanz? Was machst du mit dem Knie, lieber Erwin, in den Pharussälen, in der Hasenheide, in den Sophiensälen? Es wäre denkbar, daß der Funkhit des Jahres, von Piscator montagehaft eingesetztes Beweismittel gegen die Tändeleien der bourgeoisen Schlagermacher, auch eingefleischten Internationale-Proletariern nicht unwillkommene Abwechslung bot. Effekt durch Kontrast. Piscator war ja nicht dumm.

  • Dumm ging das Jahr für Robert Stolz in Wien aus. Nach Karl Heinrich Waggerls (wesentlich späterem) Motto »Immer lebt der Österreicher ein wenig über seine Verhältnisse« wollte Robert Stolz sein eigenes Theater haben. Die Auflagen der Behörden zum Umbau verschlangen horrende Summen, mit der Eröffnungsproduktion hatte Stolz ausnahmsweise Pech. Pleite.

  • Stolz geht nach Berlin, wird von seinen Gläubigern auch hier verfolgt, läßt sich zur Tarnung seinen berühmten Henri-Quatre-Knebelbart rasieren (den ihm zwanzig Jahre zuvor sein Brünner Direktor von wegen der nötigen Reputation ans Milchgesicht befohlen hatte). Die Gläubiger erkennen ihn nicht mehr, aber die Gläubigen kennen ihn auch nicht. Als sich Stolz nach einer Premiere im Berliner Palmenhaus verbeugt, wird ein Wiener Gast rabiat: »So ein Berliner Schwindel! Den Stolz kenn ich zu genau - dös is ja a ganz andrer!«

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F.R. - DER MANN MIT DEN MASKEN (Fred Raymond)

Seit Jahren hat der Jazz, die »rauschhafte« Musik der Schwarzen, seinen Siegeszug bis in die Salons der Alten Welt angetreten. Er regt nicht nur auf, er regt auch ungemein an. Man tanzt und komponiert nach den Rhythmen von Foxtrot, Onestep, Blackbottom. Und die Textdichter dürfen sich in einem Sündenpfuhl ä la mode suhlen.

Einer der Knüller von 1925 ist der Foxtrot:

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  • Ich hab das Fräul'n Helen' baden 'sehn,
  • das war schön.
  • Da kann man Waden sehn
  • rund und schön im Wasser stehn.
  • Und wenn sie ungeschickt
  • tief sich bückt so, -
  • dann sieht man ganz genau
  • bei der Frau, oh!
  • Ich hab das Fräul'n Helen' baden 'sehn,
  • das war schön!
  • Da kann man Waden sehn
  • rund und schön im Wasser stehn.
  • Man fühlt erst dann
  • sich recht als Mann,
  • wenn man beim Badengehn
  • Waden seh'n kann.


Strafverschärfend ist, daß sich diese Szene nicht etwa in einer öffentlichen Badeanstalt abspielt. Der wonnebebende Erzähler hat im Hotel versehentlich die falsche Tür erwischt...
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Das Lied wurde zu den vier Rundfunk-Tophits

Im nächsten Jahr gehört das Lied zu den vier Rundfunk-Tophits. Würde der Text heute geschrieben, wäre ihm die Sperre bei Funk und Fernsehen sicher.

In seinem Buch >Der Schlager< resümiert Hans Christoph Worbs:

  • »Offenbar mochten zum Reiz die textlichen Zweideutigkeiten noch beigetragen haben. Die mehr oder weniger unverhüllt zutagegetretene Sexualität war jedenfalls für den Schlager jener Jahre höchst signifikant. Zweifellos waren gerade diese Schlager Zielscheibe heftiger Attacken. Ihre Unbefangenheit, ihre Indifferenz gegenüber sexuellen Tabus berühren jedoch sympathischer als das vielsagende Augenzwinkern, das ordinäre >O lala< in manchen neueren Schlagern.«

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Damals war es nicht jugendgefährdend

Die Jugend nahm offenbar an derlei Schlüpfrigkeiten keinen bleibenden Schaden. Vielleicht, weil das gerade noch so prüde Bürgertum den Zeitgeist zu seinem eigenen machte. Cedric Dumont, damals Berliner Schüler, heute Direktor beim Schweizer Fernsehen, erinnert sich:

  • »Der Vater brachte die neuesten Schlager in Heften, die >Zum Fünfuhr-Tee< hießen - obenauf ein mondänes Tanzpaar in giftig-süßen Bonbon-Farben und im Bubi-Look -, tagesfrisch nach Haus und ließ uns das Fräul'n Helen baden 'sehn, der Klavierspieler legte es in der Tanzstunde aufs Pult, uns den kniequeren Rhythmus des Charleston einzuhämmern, und wir jungen Gymnasiasten sangen in der Schülerband unbekümmert und wahrheitsgemäß: / Can't Give You Anything But Love, Baby.«


Eine wahrhaft liberale Erziehung.

Bilder : Der Komponist des Sünden-Songs hieß Fred Raymond.
Josephine Baker
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Fred Raymond - 24jährig im Wiener Kabarett

Er hatte ihn 24jährig im Wiener Kabarett »Hölle« selber singend vorgestellt. Auch er war einer von den Vielseitigen, die die Maske nach Belieben wechselten. Wenige Monate darauf komponierte er in aller Unschuld, als ob's das Fräul'n Helen nie gegeben hätte: "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren". Wieviel Überzeugung dabei im Spiel war, ist schwer zu schätzen. Ernst Neubach hatte den Text zusammen mit Beda geschrieben. Augenzwinkernd? Lässig mit links?

Neubach brauchte jedenfalls einen Vorschuß vom Verleger, weil er blank war und nach Berlin wollte. Und Raymond schrieb aus Gefälligkeit eine Melodie, die heute an amerikanischen Colleges und Universitäten, merkwürdig genug, zum unverlierbaren europäischen Kulturgut gehört: »Es zeugt von Bildung, wenn man zumindest den Eingang des Liedes zu singen weiß« ...

Nicht nur Mitteleuropa war seit dem Sprechstück >Altheidelberg< der Neckarstadt verfallen. Die USA machten aus dem Stoff ein Singspiel >The Student Prince<. Und nach Raymonds Schlager brach eine wahre Heidelberg-Epidemie aus: Mein Heidelberg, ich kann dich nie vergessen, Das war in Heidelberg in blauer Sommernacht, Frühling in Heidelberg, Von Rüdesheim bis Heidelberg, Ein Burschenlied aus Heidelberg, In Heidelberg hab ich mein Glück gefunden.

Kein Wunder, daß Fred Raymond von seinem erfolgreichen Masken-Wechsel »besoffen« wurde. In den Dreißiger Jahren schrieb er - man verzeihe den Kalauer - >Maske in Blau<.
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