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Schlager, Lieder, Musik und der Film - die Bedeutung .....

Auf diesen Seiten wird die biografische Aufarbeitung der Zusammenhänge von Kultur und Politik der Jahre 1918 bis 1945 skizziert. Ab etwa der Hälfte der Seiten wird dem Film die größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Musik bzw. den Liedern. Manche Filmlieder wurden zu Gassenhauern - aber erst, nachdem der Tonfilm den Durchbruch hatte. Viele Verweise und Zitate aus den dicken Film-Büchern von Curt Riess und auch von Heinrich Fraenkel kennen unsere Leser bereits. Weitere Bücher sind zum Verständnis der End-Zeit bis April 1945 von großem Informationsgehalt.

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1926

Friedensnobelpreis an Aristide Briand und Gustav Stresemann - Joseph Goebbels wird nationalsozialistischer Gauleiter von Berlin - Hitlerjugend gegründet - Das Bauhaus von Walter Gropius entsteht in Dessau - Rainer Maria Rilke stirbt - Deutsche Lufthansa gegründet - In Deutschland 1,351 Trinkbranntwein pro Kopf (1905: 3,8 I pro Kopf) - 1926 ist das Jahr der Haar- und Barterzeugungsmittel - Volkswirtschaftliche Schäden durch Geschlechtskrankheiten in Deutschland ca. 6-7 Millionen Mark - UFA-Film "Metropolis"

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SÜNDE MAL SO, MAL SO

Nicht nur Heidelberg hatte sein lauschiges Plätzchen in den flotten Zwanzigern. Es wäre auch falsch, sich das Berliner Nachtleben der Epoche im permanenten Taumel vorzustellen. Auch das Laster gab sich oft genug kleinkariert. Lokale um die Friedrich Straße wie die »Libelle« oder die »Indra« sorgten für die nächtlichen Abenteuer der Provinzonkels.

PEM (Paul Markus) berichtet:

  • »Vor den Lokalen dieser Gegend standen wachsame, besonders muskelstarke Portiers, die auf eine unsichtbare Klingel zu drücken hatten, wenn ein Gast nahte. Selbst wenn kein Gast im Lokal war, begann darauf die Kapelle zu spielen, und die Gigolos tanzten mit den Eintänzerinnen, um dem müden Geschäftsmann aus Chemnitz oder Cottbus wildes Nachtleben vorzutäuschen.«

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»Die Sünden der Welt«

Revuen lockten mit den Titeln »Die Sünden der Welt« und »Zieh dich aus - ein Abend ohne Moral in dreißig Bildern unter Mitwirkung von 60 preisgekrönten Aktmodellen«. In der Spielzeit 1926/27 wurde in Berlin die Rekordzahl von 13 Revue-Inszenierungen erreicht.

Ein echt ausgeflippter Typ, über Jahre skandalumwitterte Sensation war dagegen Anita Berber. Sie tanzt den Koitus, und in Rosa Valettis Kabarett »Die Rampe« singt Hermann Vallentin:

  • Was interessiert das Publikum?
  • Hunger, Elend, Not von Millionen?
  • Daß Tausende im Zuchthaus verrecken -
  • interessiert das das Publikum?
  • I wo, der nackte Hintern der Anita Berber,
  • der interessiert das Publikum!


Wie gesagt, sie war echt. »Sie gestaltete nicht nur die Laster der Zeit, sie erlebte sie und machte sie mit. Sie war mit Kokain, Morphium und Alkohol durchtränkt und im ganzen die typische Repräsentantin einer Zeit, die aus den Fugen geraten schien.« (PEM = Paul Markus)

Anita Berber tritt bei Rudolf Nelson, dem König der Kleinkunst, auf. Ebenso die Freikörper-Balletteuse Celly de Rheidt, die aus Rheydt im Rheinland kommt und schlicht Cäcilie Schmidt heißt...
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Josephine Baker und das Zeitalter des Charleston

Der Komponist des Sünden-Songs hieß Fred Raymond.
Josephine Baker

1926 eröffnet dann Josephine Baker in Rudolf Nelsons »Chat noir« das Zeitalter des Charleston. Die Nächte sind lang, die creme de la creme trifft sich bei dem Hobby-Literaten und Party-Hecht Karl Vollmoeller.

In seiner Wohnung gehen ein und aus: der Kronprinz (der nach seiner Verzichterklärung wieder in Berlin lebt), die Massary, Fritz Lang.

Eines Abends ruft Max Reinhardt bei Harry Graf Kessler an: »... ob ich nicht noch hinkommen könne? Miß Baker sei da, und nun sollten noch fabelhafte Dinge gemacht werden ... Zwischen Max Reinhardt, Vollmoeller und mir, die darum herumstanden, lagen die Baker (bis auf einen rosa Mullschurz völlig nackt) und die kleine Landshoff als Junge im Smoking wie ein junges, bildschönes Liebespaar umschlungen.

Ich sagte: ich würde für sie eine Pantomime nach den Motiven des Hohen Liedes Salomonis schreiben, die Baker als Sulamith, die Landshoff als Salomo oder als der junge Liebhaber der Sulamith.«

So sublim ging es auch bei Vollmoeller nicht immer zu. Das impressionistisch hingehauchte exotische Tableau (Kessler empfand die Baker übrigens als »ein bezauberndes Wesen, aber fast ganz unerotisch«) hat sein deftiges Pendant bei Geza von Cziffra, der die Baker in der Vollmoeller-Wohnung prosaischer erlebte:

  • »Sie tanzte nicht, sie saß in einer Ecke und aß Unmengen von Bockwürsten mit Kartoffelsalat. Das tat sie hier während ihres Berliner Gastspiels jeden Abend.«

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DER »LANGE LULATSCH« WIRD EINGEWEIHT

1926 machte sich der Rundfunk nicht mehr nur unüberhörbar, sondern auch unübersehbar. Bei Kaiserwetter wird in Berlin-Halensee der erste Antennenmast aus Stahl eingeweiht, der »Radio-Roland«, den der Volksmund sofort in »Der lange Lulatsch« umtauft. Und wieder einmal wird bei der Einweihungs-Zeremonie geklotzt. Hans Brennert verfaßt einen Prolog, den Alfred Braun mit Todesverachtung in den Äther schmettert, und gegen den Schillers >Glocke< der reinste Dreck ist:

  • Hoch vom Berliner Himmel umblaut
  • Ist ein stählerner Turm gebaut.
  • Reckt sich in weißes Sommergewölk
  • Kühnes strebendes Gittergebälk,
  • Steigt in den Sonnenschein der schlanke
  • Stahlgewordene Werkgedanke ...


Und so geht's noch über achtzig unsägliche (»Flugschiffe mit Propellersausen werden an ihm vorüberbrausen«) Zeilen weiter. Ein Beweis, daß die spätere NS-»Lyrik« ihre Formeln aus dem Vokabular eines verkommenen, abgewirtschafteten Expressionismus borgte.

"Dr. Joseph Goebbels" kommt nach Berlin

Es ist nicht das einzige Signal, das in diesem Jahr gesetzt wird. An einem trüben Novembertag kommt ein Mann nach Berlin, mit einer Reisetasche, die seine ganze Habe enthält, ein wenig Geld, und einem Schreiben Hitlers, das ihn zum Gauleiter von Großberlin bestellt und alle Vollmachten überträgt. Vollmachten über eine Partei, die kaum tausend Mitglieder zählt, die noch dazu untereinander in grimmigem Hader liegen. Der Mann heißt Dr. Joseph Goebbels.

Der Historiker Viktor Reimann schreibt in seiner Goebbels-Biographie:

  • »Berlin war nach Moskau die "röteste" Stadt Europas. Hier befand sich die Zentrale der bestorganisierten sozialdemokratischen Partei der Welt. Hier gab es auch eine starke und schlagkräftig organisierte kommunistische Partei. Spandau ist der Hauptstützpunkt der NSDAP. Hier hat sie bei den Wahlen der Stadt- und Bezirksverordneten am 25. Oktober 1925 ganze 137 Stimmen erhalten. Das waren die einzigen Stimmen der NSDAP in ganz Berlin. Gegenüber 604.696 SPD- und 347.381 KPD-Stimmen, eine Maus gegen zwei Elefanten.«

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In Berlin heißt es: Vogel, friß oder stirb!

Kommunistisches Agitations-Lokal in Neu-Kölln vor den Wahlen vom November 1929

Acht Wochen nur braucht Goebbels, um Berlin und die »Goldenen« Zwanziger zu analysieren: »Berlin braucht seine Sensation wie der Fisch das Wasser. Diese Stadt lebt davon, und jede politische Propaganda wird ihr Ziel verfehlen, die das nicht erkannt hat.«

Und: »Die Mitleidlosigkeit dieser Stadt hat ihren Niederschlag auch in ihren Menschen gefunden. In Berlin heißt es: Vogel, friß oder stirb! Und wer seine Ellenbogen nicht zu gebrauchen versteht, kommt unter die Räder.«
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1927

Charles Lindbergh überfliegt den Ozean - Rotations-Schnellpresse druckt in einer Stunde 100.000 zwölfseitige Zeitungen - Professor Sauerbruch in Berlin - Krenek >Jonny spielt auf< (Jazzoper) - Ernst Toller >Hoppla, wir leben!< - »Daily Mail« schreibt: »Der Ton ist der Tod des Films. Dieser Tatsache muß man ins Auge sehen.« - Heidegger >Sein und Zeit< - Johnny Weismüller, der spätere Filmtarzan, schwimmt Weltrekord - Der neue Gesellschaftstanz: Slowfox - Erster öffentlicher Bildtelegraph Berlin - Wien

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GEHACKTE MUMIE MIT SPINAT

Gesellschaftsszene auf einem Berliner Sezessionsball
Damals noch nicht gehackt mit Spinat: >Die Augen der Mumie Ma< (von Lubitsch, mit Pola Negri und Emil Jannings) war einer der damals beliebten Mumien-Filme

Wien 1927. In der Habsburgergasse, in der »Bar zum Krokodil«, tritt Hermann Leopoldi auf, Wiens populärster Klavierspieler und Sänger. Möglich, daß der Spaziergänger "Beda" dort öfters mal vorbeikam und sich zu einem Text inspirieren ließ, der zu den genialsten Blödeleien der deutschen Literatur zählt.

Unübertrefflich die Meisterschaft der trotteligen Reime (Musik: Willy Engel-Berger):
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  • Das war die Frau vom Potiphar,
  • die ungemein erfahren war
  • in allen Liebessachen,
  • so Sachen, so Sachen.
  • Jedoch ihr Gatte, au contrair',
  • der war schon alt und könnt' nicht mehr
  • ti-ri-li, ti-ri-la,
  • ti-ri-li, ti-ri-la,
  • die schöne Frau bewachen,
  • bewachen, bewachen.

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  • Drum pfiff sie auf die Sittsamkeit
  • und machte sich 'nen Schlitz am Kleid
  • und fuhr hinaus nach Theben,
  • um dort sich auszuleben.
  • Denn Theben ist für Memphis
  • das, was Lausanne für Genf is' !

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  • In der Bar zum Krokodil
  • am Nil, am Nil, am Nil
  • verkehrten ganz incognito
  • der Josef und der Pharao.

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  • Dort tanzt man nur dreiviertel nackt
  • im Shimmy- und Zweivierteltakt.
  • Es traf mit der Geliebten sich
  • des Abends ganz Ägypten sich
  • in der Bar zum Krokodil
  • am schönen blauen Nil!

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  • Dem Gatten der Frau Potiphar,
  • dem wurde bald die Chose klar.
  • Er sprach zum König Ramses,
  • zu Ramses, zu Ramses:
  • »Ich weiß, was meine Gattin macht,
  • sie geht nach Theben jede Nacht
  • ti-ri-li, ti-ri-la,
  • ti-ri-li, ti-ri-la,
  • ja, Majestät, da ham S' es,
  • da ham S' es, da ham S' es!«

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  • Darauf sagt ihm der Pharao:
  • »Dann machen wir es ebenso,
  • Sie seh'n, wie fad es hier is'
  • im Restaurang Osiris,
  • drum geh'n als Philosophen
  • wir auch nach Theben schwofen.«
  • In der Bar zum Krokodil...

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nach dem zweiten Weltkrieg

Ein Text, der noch nach dem zweiten Weltkrieg höchst inspirierend wirkte. Walter Fitz dichtete die Refrain-Variante:
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  • Mit Ramses saß heut in der Bar
  • der Gatte der Frau Potiphar
  • und aß von einem Feigenblatt
  • gehackte Mumie mit Spinat
  • in der Bar zum Krokodil
  • am schönen blauen Nil!

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Ein »Weißer Elefant«, eine Frau, die komponiert .....

Hilde Loewe alias Henry Love

Und noch ein Unikat der Schlagergeschichte wird in diesem Jahr in Wien kreiert. Da gibt es - ungalant formuliert - einen »Weißen Elefanten«, eine Frau, die komponiert. Und noch dazu einen Dauerbrenner. Das alte Lied, daß Frauen das nicht können, kontert Hilde Loewe unter dem Namen Henry Love mühelos mit dem Lied "Das alte Lied". Da werden nicht nur Emanzen hellhörig. Ein männliches Pseudonym! Die Branche hätte sie wohl trotzdem nicht »lassen«.

Hilde Loewe kommt durch den Hintereingang eines typischen (und gestatteten) Frauenberufs. Sie begleitet den Burgschauspieler Raoul Aslan auf seinen »Ausrutschern« als Chanson-Sänger am Klavier, und die beiden mogeln die Loewe-Lieder ins Programm.

Der Erfolg der Abende ist so groß, daß sie damit sogar in London gastieren. Und Richard Tauber singt "Das alte Lied" ausgerechnet in dem Film, dessen Titelmelodie seine eigene Komposition ist: >Ich glaub nie mehr an eine Frau<.

Tauber glaubt - und wie! Das Lied wird als Zugabe (wobei er sich selbst begleitet) fester Bestandteil seiner Konzerte. Unter den zahllosen Interpreten findet sich Marlene Dietrich, Carol Reed benützt es im >Dritten Mann<, und Rudolf-Schock singt es in dem Film >Richard Tauber<. Und bis heute weiß kaum einer, daß hinter dieser Ohrwurm-Melodie eine Frau steckt.
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WALTER KOLLO SCHREIBT PROTEST-LIEDER

Die Haller-Revuen im Berliner Admiralspalast werden immer mehr zu gigantischen Mammut-Spektakeln, zu Super-Shows mit nonstop neben- und übereinander gehäuften Effekten. In der Revue >An und aus< von 1926 gibt's 51 (!) Bilder.

Neben den Protagonisten Trude Hesterberg, Max Ehrlich, Paul Morgan und den hauseigenen Admirals-Girls jagen sich die Original Lawrence Tiller-Girls von den Ziegfeld-Follies aus New York, Eugenie Eduardowa's russische Tänzerinnen, die Dodge Sisters von Keith' Hippodrom in New York, Karinska und Ruber aus dem Casino de Paris, und mittenmang und obenauf La Jana, die (Konkurrenz belebt das Geschäft) später bei Charell nackt auf einem riesigen Silbertablett auf die Bühne getragen wird.

Walter Kollo, neben Jean Gilbert und Paul Lincke Repräsentant der Berliner Operette, ist Herman Hallers Hauskomponist. Und er, schreibt Otto Schneidereit, mußte sich in dem tollen Wirbel »mehr und mehr zum bloßen musikalischen Illustrator, zum Verfertiger von Überleitungsmusiken degradiert fühlen«.

Die Wut, die er im Bauch hat, schreibt er sich auf zwei Parodie-Texte von Hermann Frey von der Leber. Doch die Protest-Songs, so wie ein Walter Kollo sie verstehen kann, werden blitzartig als Schlager vereinnahmt. Man singt aus voller Brust:

  • Mein Papagei frißt keine harten Eier,
  • er ist ein selten dummes Vieh!
  • Er ist der schönste aller Papageier,
  • nur harte Eier, die frißt er nie!

  • Er ist ganz wild nach Brustbonbons und Kuchen,
  • er nimmt selbst Kaviar und auch Sellerie.
  • Auch saure Gurken sah ich ihn versuchen,
  • nur harte Eier frißt er nie.

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Die Original Lawrence Tiller-Girls im Admiralspalast
Sah sich noch gar nicht ähnlich: Hans Albers in dem Stummfilm > Um seine Ehre<

1928

Fleming entdeckt Penicillin - General Motors übernimmt Opel-Werke - Erwerbslosenziffer steigt auf über 2 Millionen - Brecht/Weill >Die Dreigroschenoper< - Dix >Großstadt< - Walt Disney zeigt erste Micky-Mouse-Filme - In Deutschland fehlen 550.000 Wohnungen, 300.000 sind abbruchreif - In vier Wochen werden 12 Millionen Schallplatten mit dem AL-Jolson-Tonfilmschlager >Sonny Boy< verkauft - Berliner Funkausstellung: Vorführung von drahtlosem Fernsehen - »Garcon«-Stil in der Frauenmode

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1928 hängt eine Hose am Kronleuchter - Hans Albers

Nicht minder populär wird "Solang nicht die Hose am Kronleuchter hängt". In der Tat hängt 1928 eine Hose am Kronleuchter, und zwar in der Komischen Oper (einem damals zweitklassigen Varietetheater) in der Revue >Tausend nackte Beinchen<. Und in dieser Hose steckt - Hans Albers.

Abend für Abend springt er von diesem Kronleuchter in ein Wasserbecken. Albers steht überhaupt ziemlich begossen da. Keiner glaubt so recht an ihn, der Sprung vom Kronleuchter ist noch das Beste, was er angeboten bekommt.

Das ändert sich schlagartig, als er wenige Monate später in Reinhardts Deutschem Theater seine große Chance kriegt. Er nutzt sie. Als Kellner Gustav Tunichtgut in Ferdinand Brückners >Verbrechern< hat er einen Sensations-Erfolg. Doch der Albers, wie wir ihn kennen, »kommt« erst mit dem Tonfilm.
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>Singing Fool< im Berliner Gloriapalast

Und der Abend, an dem Albers mit seiner Freundin Hansi Burg den AL Jolson-Film >Singing Fool< im Berliner Gloriapalast sieht, endet prophetisch. Das Publikum schluchzt, als auf der Leinwand der große Revuestar auftreten muß, obwohl sein kleiner Sohn todkrank darniederliegt. In der Kulisse gibt der Garderobier ein Zeichen, daß das Kind gestorben ist.

Und AI singt noch einmal das Lieblingslied seines Kindes: Sonny Boy. Er legt all seinen Schmerz hinein. Die Tränen laufen ihm über das Gesicht, lösen die Neger schminke. Der Vorhang muß fallen.

Auch Hansi Burg weint ein bißchen. Nachher, in einer Bar, bei einer Flasche Champus, ist sie verwandelt, unpassend vergnügt, wie der immer noch leicht erschütterte Albers feststellt. »Jawohl, ich bin vergnügt«, sagt sie. »Jetzt weiß ich, daß du eine große Karriere machen wirst. Erst mit dem Tonfilm wirst du dich ganz durchsetzen.«

Sie kriegt sehr bald recht. Geza von Cziffra analysiert den Tonfilm-Erfolg von Hans Albers so: »Hänschens fast schludrige Art zu sprechen wirkte im Tonfilm gegenüber dem Pathos der alten Stummfilm-Mimen ungemein natürlich.«
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BILLY WILDER VERKAUFT ERST SICH UND DANN EINE STORY

Gigolos als eine Art männliche Hostessen: Von Billy Wilders »Eintänzer im Edenhotel«...
.... bis zur Verfilmung durch David Hemmings mit dem Pop-Star David Bowie und Kim Nowak
Julius Brammer
Leonello Casucci: Apotheose vor der Kulisse der Mailänder Scala

Billy Wilder kommt, wie viele jüdische Komponisten, Textdichter, Journalisten, aus Wien an die Spree. Das hängt nicht unbedingt mit dem abenteuerlichen, brodelnden, geistig unvorstellbar lebendigen Flair Berlins zusammen.

In Wien gibt es nicht nur unterschwellig Antisemitismus (!!), in Berlin ist man überhaupt nicht antisemitisch. Trotzdem hat Wilder Pech.

Er findet als Journalist keine Arbeit, es gibt zu viele erstklassige Schreiber, die schon vorher da waren. Und so wird der spätere Hollywood-Regisseur, der Klassiker wie >Sunset Boulevard< oder >Some Like It Hot< drehen wird, auf dem Dachgarten des Edenhotels Eintänzer.

Ein Musiker aus der Kapelle von Juan Llossas hat ihm einen Smoking geborgt, Billy verdient gutes Geld. Aber schon nach vierzehn Tagen fliegt er, weil er Krach mit einem eifersüchtigen Ehemann gekriegt hat. Er schreibt seine Erlebnisse auf, wobei er mit seinen ehemaligen Tanzpartnerinnen nicht allzu zart umgeht und sogar ihre Namen andeutet.

Die Geschichte erscheint unter dem Titel >Eintänzer im Edenhotel< in der »B.Z. am Mittag« in mehreren Fortsetzungen. Er bekommt ein großes Honorar und mehrere Beleidigungsprozesse an den Hals.
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Schöner Gigolo, armer Gigolo

Eintänzer zu sein erforderte offenbar höhere Diplomatie. Und deshalb rekrutierten sich die Gigolos zum großen Teil aus stellungslos gewordenen ehemaligen Offizieren, die hier mit ihren fabelhaften Manieren ein neues »Betätigungsfeld« fanden.

Julius Brammer kleidete diese Abstiegstragödie eines ganzen Standes in die bittersüß-ironischen Zeilen:

  • Schöner Gigolo, armer Gigolo,
  • denke nicht mehr an die Zeiten,
  • wo du als Husar, goldverschnürt sogar,
  • konntest durch die Straßen reiten.
  • Uniform passe, Liebchen sagt: Adieu!
  • Schöne Welt, du gingst in Fransen.
  • Wenn das Herz dir auch bricht,
  • zeig ein lachendes Gesicht,
  • man zahlt, und du mußt tanzen.


Die Entstehung dieses Liedes könnte aus einem musikalischen Abenteuerfilm stammen. Der Librettist und Textdichter Julius Brammer saß mit seiner Frau in einer Bar in Opatija, das damals noch Abbazia hieß, und hörte vom Pianisten eine Tango-Melodie, auf die er sofort reagierte.

Der Pianist hatte von einer Bleistift-Skizze gespielt, das Stück war nicht im Druck erschienen. Der Komponist sei ein Musiker aus Mailand - mehr wußte der Klavierspieler auch nicht. Brammer hatte eine phänomenale Spürnase.

Die Melodie läßt ihn nicht los: Er fährt nach Mailand, sucht einen Mann, dessen Namen er nicht kennt, in einer Millionenstadt. Sucht vergeblich, unsinnig nach der Stecknadel im Heuhaufen. Das Eheleben der Brammers wird sich in diesen Tagen und Wochen nicht ohne eine gewisse Gereiztheit abgespielt haben.

Und dann geschieht der unwahrscheinliche Zufall: Im Vorbeigehen hört Brammer aus einem Lokal die Melodie, er geht hinein - und trifft Leonello Casucci, den Komponisten, persönlich. Ein Text existiert nicht, Brammer schreibt auf Anhieb die >Gigolo<-Geschichte, fährt nach Wien. Casucci, der dem verrückten Österreicher die Euphorie wohl nicht so recht glaubt, muß zur Vertrags- unterzeichnung nach Wien geholt werden. Später hat er sich aus den >Gigolo<- Einnahmen in Mailand drei Häuser kaufen können ...
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»Denke nicht mehr an die Zeiten ...«

Auch dies ein Schlager, wie er typisch für die Zwanziger ist, mit einem Schuß Ulk und einer Dosis Persiflage.

  • »In seiner vergleichsweise realistischen Haltung ein getreues Spiegelbild jener reichbewegten Epoche. Politik und Mode, der Siegeszug der Technik und die Tanzmanie - all dies fand gerade damals im Schlager einen besonders lebendigen Niederschlag. Dem in einer volkstümlich kommerziellen Kunst latenten Drang, in eine vage Traumwelt zu flüchten, wurde jedenfalls auch durch das Verlangen entgegengewirkt, stets auf der >Höhe der Zeit< zu sein«.

(Hans Christoph Worbs)

»Denke nicht mehr an die Zeiten ...«
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Bilder Wurde nicht mehr gegrüßt: Erich Kaiser-Titz als General in > Ungarische Rhapsodien

Von wegen! Glanz und Glamour der alten Militärtradition waren alles andere als vergangen. 1928 wurden die Außenaufnahmen zur >Ungarischen Rhapsodie< in einer kleinen ungarischen Garnisionsstadt gedreht.

Sämtliche Offiziere des Honved-Husaren-Regiments stellten sich dem Film zur Verfügung, betrachteten den schneidigen Willy Fritsch als ihresgleichen, machten der schönen Lil Dagover den Hof.

Und wenn Erich Kaiser-Titz, der einen General spielte, durch die Straßen marschierte, salutierten die Mannschaften, grüßten die Offiziere, präsentierten die Posten. Bis der »General« eines Tages bei Drehbeginn in voller Parade-Uniform und in Filzlatschen aus dem Auto stieg. Seither wurde er von den Militärs eisig geschnitten. ... Nicht nur für die »kleinen Leute« war der Film Wunsch-Realität.
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DER MANN, DER SICH MIT DREISSIG ZUM EVERGREEN ENTSCHLOSS

Robert Gilbert

Jean Gilbert aus dem Dreier-Gestirn der Berliner Operetten-Könige hat einen »mißratenen« Sohn, dem die ganze Branche nicht paßt. Robert Gilbert studiert Philosophie, techtelt mit kommunistischen Kreisen, schreibt mit dem Komponisten Hanns Eisler für Ernst Busch, den Star unter den proletarischen Sängern, das ungemein schlagkräftige Stempellied.

Über diese Zeit sagt er: »Ich dachte, ich könnte die Welt ändern. Später ist mir und meinen Freunden aufgefallen: Wir haben nicht die Welt verändert, die Welt hat uns verändert.«

Schon vor dieser Veränderung, kurz vor seinem dreißigsten Geburtstag, lassen sich die angeborenen Erbanlagen nun doch nicht mehr unterdrücken. Nach dem Stempellied (»Wenn dein Leichnam plötzlich umfällt, wird keen Ooge naß«) schreibt er "Am Sonntag will mein Süßer mit mir segeln gehn". Schreibt die Texte für's >Weiße Rössl< und komponiert auch noch die Melodie zu "Was kann der Sigismund dafür, daß er so schön ist".
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Robert Gilbert wird für drei Jahre zum erfolgreichsten Texter des deutschen Tonfilms werden.
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Und ab 1950 wurde er noch erfolgreicher

Im >Weißen Rössl<

Und ab 1950 der Übersetzer von über zwanzig amerikanischen Musicals (>Annie Get Your Gun<, >My Fair Lady<, >Hello, Dolly<, >Der Mann von La Mancha<). Und bleibt sein Leben lang ein hochkarätiger Lyriker von ätzender Poesie.

Kein Wunder, daß er geschliffene Begründungen für seine »Ausrutscher« in den Schlager fand:
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  • Sang nachts das Stempellied, ritt
  • Zum Schrecken von Horst Wessel morgens früh
  • Mit Hegel und dem Weltgeist hottehüh
  • Auf einem Weißen Rössl.

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Und als Spätling des Schlager-Zeitgeists ist er Mitbegründer eines Lebensgefühls, das den Schlager der "Dreißiger" prägen wird. Sein Statement von 1974 bringt Jahreszahlen und Entwicklungen durcheinander:

  • 1974 - Robert Gilbert kommentiert rückbickend :
    »In den Zwanziger Jahren vor und während der Inflation gab es eine ganze Reihe von Schlagern, die entsprechend der Abwertung aller Dinge selber zynisch, obszön waren. Das Leben war nichts wert, die Dinge waren nichts wert. Und dann trat etwas Seltsames ein. Die Inflation wurde gestoppt, die Dinge bekamen einen anderen Wert, und das Seltsame - auch der Schlager erholte sich. Man wurde wieder romantisch, treu und freundlich, auch im Rahmen des Schlagers. Es gab auch da so irgendwas wie ein Grundgesetz, das die geistigen Produktionen (verzeihen Sie mir, daß ich zu Schlagern geistige Produktionen sage) irgendwie in einen Zusammenhang bringt mit wirklichem Leben, und das war so mit den Schlagern, ich selbst habe es erlebt.«


Gilbert irrt sich in den Daten, im Schlager-Trendwandel ab 1929 (in diesem Jahr komponierte Walter Jurmann "Deine Mutter bleibt immer bei dir", auf das noch zurückzukommen ist) irrt er nicht. Robert Gilbert ist, was zu seinem widersprüchlichen Schaffen paßt, mit Wegbereiter der »weichen Welle«.
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