Schlager, Lieder, Musik und der Film - die Bedeutung .....
Auf diesen Seiten wird die biografische Aufarbeitung der Zusammenhänge von Kultur und Politik der Jahre 1918 bis 1945 skizziert. Ab etwa der Hälfte der Seiten wird dem Film die größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Musik bzw. den Liedern. Manche Filmlieder wurden zu Gassenhauern - aber erst, nachdem der Tonfilm den Durchbruch hatte. Viele Verweise und Zitate aus den dicken Film-Büchern von Curt Riess und auch von Heinrich Fraenkel kennen unsere Leser bereits. Weitere Bücher sind zum Verständnis der End-Zeit bis April 1945 von großem Informationsgehalt.
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»ES LASTET AUF DIESER ZEIT DER FLUCH DER MITTELMÄSSIGKEIT« Kurt Tucholsky (1931)
1928 hatten nur 2,6 Prozent der Wähler für die Nationalsozialisten gestimmt. Während der Krise bis 1932 stieg die Zahl auf 37 Prozent.
- »Daß starke Kräfte der politischen Rechten, von romantischen Vorstellungen getragen, das Rad der Geschichte rückwärts drehen wollten und daß sie aus jenen hybriden Irrtümern heraus, die für die Historie kennzeichnend sind, häufig lebhaft auch von intellektuellen Kreisen der Linken, die eigentlich nichts gegen die Weimarer Verfassung hatten, in ihrem Kampf gegen die Republik unterstützt wurden, und zwar bis zu dem Augenblick, als es zu spät war, gehört zum Phänomen der ausgehenden Zwanziger Jahre und vielleicht auch zum deutschen Schicksal. Die erste deutsche Demokratie hatte am Ende ihres Lebens wenig Freunde.«
(Bruno E. Werner)
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Reichstagswahlen am 6. November 1932
Bei den Reichstagswahlen am 6. November 1932 - den sechsten (!) in diesem Jahr - verliert die NSDAP 2 Millionen Stimmen und 34 Mandate, bleibt aber mit 196 Sitzen im Reichstag die weitaus stärkste Partei.
Die SPD fällt von 133 auf 121 Mandate, die KPD erhöht von 89 auf 100 (in Berlin erreicht sie mit 830 837 Stimmen die höchste Stimmenzahl, die je eine Partei in einem noch völlig frei geführten Wahlkampf in der Reichshauptstadt errang).
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Die Lage für die Nationalsozialisten ist kritisch.
Die absolute Mehrheit konnten sie durch Wahlen nicht gewinnen, ihr Stimmenkontingent ist erschöpft. Da ernennt am 30. Januar 1933 der alte Hindenburg Hitler als den Führer der größten Partei zum Reichskanzler.
Die Deutschnationalen, die ihn nur als Marionette auf dem Weg zu einer antidemokratischen Staatsform zu benutzen glauben, verhalten sich abwartend.
Viktor Reimann:
- »Am Ende intrigierten sich die Barone und Generale gegenseitig aus ihren Positionen. Ihre historische Schuld besteht darin, daß sie den demokratischen Politikern den Kanzlersessel wegzogen und Hitler daraufsetzten.«
Hitler schaltet zunächst die gegnerischen, dann auch seine Koalitionsparteien aus. Konsequent, dennoch von der Öffentlichkeit nicht voll bemerkt, beseitigt er die Grundrechte und alle übrigen Grundlagen des Rechtsstaats.
Am 2. August 1934 nach dem Tod Hindenburgs vereinigt er als »Führer und Reichskanzler« die Ämter des Staatsoberhaupts und des Regierungschefs in seiner Hand und erlangt dadurch auch den Oberbefehl über die Wehrmacht, die sofort auf seine Person vereidigt wird.
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1933
Machtübernahme durch die Nationalsozialisten - Adolf Hitler wird Reichskanzler - Konzentrationslager werden errichtet - Eine Reichsfilm-, eine Reichskultur-, eine Reichstheater-, eine Reichsrundfunk- und eine Reichsschrifttumskammer sorgen für zunehmende »Gleichschaltung« und »Ausrichtung« - Deutschland verläßt Völkerbund - Durch künstlichen Dünger Ernteerträge der deutschen Landwirtschaft gegenüber 1880 rund verdoppelt - Der 1. Mai zum Staatsfeiertag in Deutschland erklärt
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»SELBSTVERSTÄNDLICH KÖNNEN WIR NICHT VON FRÜH BIS SPAT IN GESINNUNG MACHEN« 1933-1945)
Im Winter 1921 sang Claire Waldoff in der Operette >Die Ehe im Kreise< von Eduard Künneke (Libretto von Herman Haller und Rideamus) als Verkörperung des Erdteils Europa :
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- Ich brauch 'nen Mann, 'nen starken Mann,
- der mich in Ordnung bringen kann;
- dann kommt Europa aufs neu in Schwung,
- dann wird der alte, alte Erdteil wieder jung!
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- »Gravierender als die Vertreibung oder Emigration bedeutender Künstler erwies sich die Zerstörung einer - vor allem in Berlin - blühenden Kabarett-, Revue- und Avantgardekultur, welche die historische Spaltung in U- und E-Bereiche noch einmal zu überbrücken schien. Die Vitalität solcher >Zwischenkunst< hatte sowohl die obere wie die untere Sphäre befruchtet.«
Lothar Prox (>Wir tanzen um die Welt<)
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- »Für uns ist jeder erb gesunde Volksgenosse musikalisch genug, um einfache Melodiebögen, eine gesunde Harmonik sowie solide, kraftvolle Rhythmik als akustische Phänomene einer inneren Haltung in sich aufzunehmen.«
W. Gerdes, Chorleiter in Braunschweig (1942)
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- »Operette sich, wer kann!«
Günther Schwenn
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>Das Testament des Dr. Mabuse< wird verboten
Im Sommer 1932 hat Fritz Lang einen neuen Mabuse-Film gedreht: >Das Testament des Dr. Mabuse<. Ein Gleichnis, das die Massenwirkung Hitlers auf eine Art Hypnose zurückführt. Als der Film endlich fertig geschnitten ist, ist er einer der ersten, die der neue Propaganda-Minister Dr. Joseph Goebbels verbietet.
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Goebbels bewundert den Juden Eisenstein und Fritz Lang
Am 27. März 1933 beruft Goebbels einen »Kongreß deutscher Filmschaffender« ins Berliner Hotel "Kaiserhof" ein. In seiner Rede nennt er seine Lieblingsfilme. Den >Panzerkreuzer Potemkin<, der trotz »seiner Tendenz ein Kunstwerk ist, ein Kunstwerk ohnegleichen und ein Vorbild dafür, wie weltpolitische Anschauungen mit allen Mitteln moderner Technik wirkungsvoll zum Ausdruck gebracht werden können«.
Abgesehen davon, daß dieser Film ein flammendes kommunistisches Revolutionsfanal setzt - sein Regisseur Eisenstein ist Jude. Ebenso wie Fritz Lang, dessen >Nibelungen< Goebbels nun preist.
Dann sagt Goebbels über die Unsicherheit in den Ateliers: »Sie können sich sicher fühlen, meine Herren! Die Zeit des ewigen Regierungswechsels ist vorbei. Wir sind jetzt da, und wir bleiben! Darauf können Sie sich verlassen! Selbstverständlich können wir nicht von früh bis spät in Gesinnung machen! Eine gewisse Bewegungsfreiheit muß herrschen!«
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Fritz Lang entkommt noch in derselben Nacht
Am nächsten Morgen bietet er Fritz Lang den Posten des Intendanten für die Abteilung Film an. Am Abend noch nimmt Lang den Zug nach Paris.
Und gleichsam über Nacht stampft Goebbels seine wirkungsvollste Propagandawaffe aus den Fabriken: den Volksempfänger, für alle da und für alle erschwinglich.
Bild : Über Nacht aus den Fabriken gestampft und für alle erschwinglich: der Volksempfänger, im Volksmund Goebbels-Schnauze genannt
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Maximilian Jarczyk - VOM NIEDERGEBRÜLLTEN NEUTÖNER ZUM SCHLAGERKÖNIG
1928 kam Maximilian Jarczyk (als Sohn eines Bergmanns, der sich zum Ingenieur hocharbeitete, am 24. September 1906 im oberschlesischen Laurahütte - heute ist das in Polen - geboren - † Juli 1988) nach Berlin an die Hochschule für Musik. 1933, beim Abschlußkonzert des Avantgarde-Komponisten und Beethoven-Preisträgers Jarczyk, kommt es zu einem Skandal, der vom »Kampfbund für deutsche Kultur« arrangiert ist.
Und am nächsten Tag steht zu lesen:
- »Paul Graener, Direktor vom Sternschen Konservatorium, protestiert gegen das intellektuelle, bolschewistische Musikgestammle eines polnischen Juden.«
Daß Jarczyk Arier ist, nützt ihm nichts. Er wird »verladen«.
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Maximilian Jarczyk alias Michael Jary
Ein Glück für ihn, daß Paul Hindemith in der Hochschule eine Versuchsstelle für Film- und U-Musik eingerichtet hatte, die er nebenher besuchte. Nun kommt ihm das zustatten.
Er bekommt kleine Arrangieraufträge, spielt im Cafehaus. Darf sogar ein Chanson für Hilde Hildebrand schreiben. »Das gab dann jeweils fünf Mark, damals wurde nicht mehr bezahlt.«
Maximilian Jarczyk kann nur unter Pseudonymen arbeiten. Und so wird aus ihm allmählich - Michael Jary werden ...
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Franz Grothe - EIN WASCHECHTER BERLINER WIRD MISTER EVERGREEN
Franz Grothe, der ähnlich wie Jary über Jahrzehnte Evergreens produzieren wird, hat seine Lehr- und Wanderjahre bereits hinter sich. Einer der wenigen Berliner Berliner. Der Vater war Pianist und Vertreter der weltbekannten Klavierfirma Blüthner, die Mutter dramatische Sängerin.
Auf dem Weg zum E-Musiker hört der Vierzehnjährige 1922 ein Konzert des »king of jazz« Paul Whiteman. Und hat seinen eigenen Weg gefunden. Mit 18 wird er Pianist im Orchester "Dajos Bela" neben Mischa Spoliansky, dann sein Nachfolger. Er arbeitet als Arrangeur mit Franz Lehar, Emmerich Kalman und Robert Stolz.
Und wieder sorgt Richard Tauber für ein spektakuläres Komponistendebüt. Grothe schreibt seine erste Operette >Ehe auf Zeit<, die erst gar nicht aufgeführt wird. Doch ein Tango daraus, "Rosen und Frauen", wird von Tauber aufgenommen und macht den Namen Franz Grothe mit einem Schlag bekannt.
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Musiken für 167 Tonfilme
Und dann kommt der Tonfilm. Franz Grothe wird in den nächsten Jahrzehnten die Musiken für 167 Filme schreiben, manchmal im Jahr durchschnittlich fünf - ein heute fast unvorstellbares Arbeitspensum. Das erste Lied, das in das unvergängliche Evergreen-Repertoire eingegangen ist, und heute noch genau so wie damals von Star-Interpreten gesungen wird, stammt aus dem Film >Walzerkrieg< von 1933: "An der Donau, wenn der Wein blüht".
Ein Film, der den Kampf zwischen Johann Strauß Vater und Josef Lanner schildert und bei seiner Entstehung den Grundakkord für eines der tragischsten Schicksale des frühen Dritten Reichs setzt.
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Renate Müller - einen Schizophrenie der Diktatur
Schizophrenie der Diktatur: Zwar inszeniert der »nichtarische« Ludwig Berger, aber der heitere Publikums-Liebling Renate Müller muß Fröhlichkeit markieren, wo sie am liebsten weinen möchte. Sie hat einen jüdischen Freund, der nach London geflohen ist.
Wann immer sie zwei oder drei Tage erübrigen kann, fliegt sie ins Ausland, um ihn zu treffen. Die Ausreden werden im Lauf der nächsten Zeit immer schwieriger. Als sie die dritte Einladung Hitlers ausschlägt, beginnt die Hetzjagd der Gestapo. Irgendwann werden ihr Fotos präsentiert, die sie mit ihrem Freund in Paris zeigen.
Renate Müller stirbt am 10. Oktober 1937. Mehr tot als lebendig hatte man sie immer wieder in die Ateliers geholt. Sie verletzte sich an der Kniescheibe, wurde in einer Klinik in Gips gelegt. Dort stirbt sie an Gehirnschlag - oder an gebrochenem Herzen, an Sehnsucht.
Das Gerücht, sie habe sich aus dem Fenster gestürzt, hat Curt Riess glaubwürdig widerlegt: »Weit davon entfernt, Abscheu für die >Selbst-mörderin< zu empfinden, flüstern die Menschen einander zu: >Sie war eben unglücklich!!! Sie liebte, und Goebbels machte es ihr unmöglich, ihren Freund zu sehen ... Deshalb wollte sie nicht weiterleben ... Deshalb nahm sie Rauschgift! Deshalb stürzte sie sich aus dem Fenster!< Die Verleumdung hatte keineswegs den gewünschten Erfolg.«
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1934
Deutsch-polnischer Nichtangriffspakt - Himmler Chef der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in Preußen - Hitler macht sich zum diktatorischen »Führer und Reichskanzler« (Volksabstimmung ergibt angeblich 90 Prozent Zustimmung). - In den USA beginnt schärfster Kampf gegen das organisierte Gangsterunwesen - Knöchellange Kleider in Deutschland - Schalke 04 erstmals deutscher Fußballmeister - Kulturfilmpflicht für deutsche Lichtspielhäuser
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SO ODER SO IST DAS LEBEN...
1934 spielt Brigitte Horney in dem Film >Liebe, Tod und Teufel< ein lockeres Mädchen aus der Hafengegend. Sie singt
- So oder so ist das Leben,
- so oder so ist es gut.
- So wie das Meer ist das Leben,
- ewige Ebbe und Flut.
- Heute nur glückliche Stunden,
- morgen nur Sorgen und Leid.
- Neues bringt jeder Tag,
- doch was auch kommen mag,
- halte dich immer bereit.
- Du mußt entscheiden,
- wie du leben willst,
- nur darauf kommts an, -
- und mußt du leiden,
- dann beklag dich nicht,
- du änderst nichts dran.
- So oder so ist das Leben.
- Ich sage: Heute ist heut.
- Was ich auch je begann,
- das hob ich gern getan,
- ich hab es nie bereut.
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Die Menschen glauben die Dietrich zu hören
Sie singt das Lied mit angerauhter Stimme so lakonisch, als ob sie als "Norne" an ihrem eigenen Schicksalsfaden weben würde. Die Menschen glauben die Dietrich zu hören, wie sie "Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt" vortrug.
Das Lied macht die Horney und Theo Mackeben über Nacht in ganz Europa berühmt. Es ist Mackebens erste Filmmusik, der Umgang mit Kurt Weill klingt nach. (1928 war unter Mackebens Leitung im Theater am Schiffbauerdamm die »Dreigroschenoper« uraufgeführt worden.)
Sein Debüt gibt auch der Textdichter Hans Fritz Beckmann. In älteren Jahren löst er das Problem, daß der Wortschöpfer noch viel weniger als der Tonschöpfer mit den Zeilen, die jeder im Kopf hat, in Verbindung gebracht wird, auf seine Weise. Kokett läßt er sich eine Karte drucken, auf der steht:
»Ich erlaube mir hiermit höflichst Ihnen mitzuteilen, daß ich u. a. folgende Lieder geschrieben habe ...« Und nun folgen 69 Titel von "Bel Ami" bis "Ich wollt, ich war ein Huhn". ».. sowie weitere 500 Lieder. Weil ich so oft gefragt werde: Manchmal entsteht zuerst der Text, manchmal die Musik. Ich kann nicht Klavier spielen.«
Ein Prachtbeispiel dafür, wie sich berechtigte Eitelkeit als lässiges Understatement tarnt.
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1935
Friedensnobelpreis an Carl von Ossietzky - Arbeitsdienst- und allgemeine Wehrpflicht in Deutschland - Italien überfällt Abessinien - Eliot >Mord im Dom< - Gershwin >Porgy And Bess< - Kurt Tucholsky stirbt (Selbstmord in der Emigration) - 5,5 % der deutschen Industriebetriebe vereinigen 76,1 % des gesamten Jahresumsatzes auf sich - Modetanz: Rumba - Regelmäßiges Fernsehprogramm in Berlin (Anmerkung : In 1935 ?? - das ist sehr übertrieben !!)
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WAS DER BUSEN DER SANDROCK ALLES AUSHÄLT
Schon bekommt die Exportabteilung der UFA zu spüren, welche künstlerischen Lücken die Emigration ihrer besten Regisseure gerissen hat. Das Auslands-Filmgeschäft geht zurück. Vor allem der neue Chefproduzent Hugo Correll leistet erbitterten Widerstand. So ist es zum Beispiel möglich, für den »rassisch nicht tragbaren« Reinhold Schünzel bis auf weiteres eine Arbeitsbewilligung zu erhalten (Schünzel flieht erst 1938 nach Hollywood!).
1935 wird >Amphitryon< gedreht, trotz massiver Längen auch heute Musterbeispiel für den jüdischen Esprit, der die Filmkomödien noch in der ersten Hälfte der Dreißiger Jahre auszeichnete (und den Ernst Lubitsch in Hollywood über zwei Jahrzehnte als internationale trademark kultivierte).
Schwergewichtig ist außer dem bereits erwähnten Jungfrauenballett nur ein Kleid für Adele Sandrock, deren dröhnendes »Juppi« (das sie als Juno ihrem Göttergatten Jupiter entgegenschleudert) zum beliebtesten Sandrock-Zitat geworden ist. Das Kleid wiegt 80 Pfund. Man will die alte Dame mit einem fahrbaren Kleiderständer entlasten. Darauf die Sandrock: »Dieses Ungeheuer werde ich mir umschnallen? Nein, das tue ich nicht! Auf meinem Busen trage ich das Kleid, der hält's aus!«
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Fita Benkhoff und der Berliner Polizeipräsident Graf Helldorf
Ein neues Gesicht erscheint in diesem Film. Fita Benkhoff. Eigentlich hat der Berliner Polizeipräsident Graf Helldorf, bekannt durch viele private Skandale und durch seine antisemitischen Exzesse am Kurfürstendamm, die Rolle einer seiner Freundinnen zugedacht. Und doch geht auch in diesen Zeiten Qualität vor Protektionismus.
(Graf Helldorf wird ein tragisches Schicksal haben. Nach dem 20. Juli 1944 steht er als Mit-Verschwörer vor dem Volksgerichtshof. Als Freisler ihn geifernd wie ein elender Schmierenschauspieler an den Führereid erinnert, wirft er als einziger noch Ungebrochener unter den Angeklagten einen unsäglichen Blick zum Himmel.)
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Franz Doelle
Franz Doelle fällt zum >Amphitryon< eine besonders beschwingte neue Form der Filmmusik ein. Schünzels nicht unwitzige Reime, in denen sich die Figuren meist unterhalten, sind pfiffig melodramatisch unterlegt, Jupiter und Merkur kommen an einem Schirm zu Onestep-Rhythmus vom Himmel, ganz Theben scheint Musik zu sein.
Den Amphitryon-Walzer, der heute noch zu den beliebtesten Konzert-Walzern der gehobenen Unterhaltung gehört, hat der damalige Ufaton-Lektor Walter Bordiert aus der Überfülle des Doelle-Materials nachträglich zusammengestellt.
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(FAST) ALLE WEGE FÜHREN ZU ROBERT STOLZ
In >Zwei Herzen im Dreivierteltakt hatte ein Schauspieler (wie schon öfter in Filmen) eine kleine Rolle gespielt, den Alfred Kerr im Berliner Tageblatt als »wahrhafte Weaner Parkettwonne« apostrophiert hatte. Ohne damit die Filmbranche auch nur im geringsten hellhörig zu machen.
Erst der >Zwei Herzen<-Produzent Julius Haimann und sein Regisseur Geza von Bolvary entdeckten ihn als Hauptdarsteller: Willi Forst.
1935 komponiert Franz Doelle für Forst in dem Film >Königswalzer< das Lied "Wie ein Wunder kam die Liebe". Wie in >Viktor und Viktoria< und >Amphitryon< ist Doelles Textdichter wieder Bruno Balz, der eigentlich Kaufmann werden wollte, Journalist wurde und erst 27-jährig zum Start des Tonfilms 1929 mit der Musik in Verbindung kam.
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Bruno Balz - hier eine verklärte Version von "Ungnade"
Gleich darauf fällt Bruno Balz in Ungnade. In der Reihe »Funk-Kabarett« hat er allzu kesse Töne riskiert, und Hans Hinkel, der Beauftragte für das Rundfunkwesen, legt ihm einige Hinkelsteine in den Weg. Balz wird nicht mehr beschäftigt. (Anmerkung : Homosexualität war im 3. Reich ein fürchterlicher Straftatbestand und das wurde irgendwie lanziert.)
In dieser Not kommt ein Anruf aus Wien. Am Apparat ist Robert Stolz. Er hat von den "Schwierigkeiten" gehört und lädt Balz nach Wien ein. Gleich der erste Film >Herbstmanöver< markiert einen Höhepunkt in beider Schaffen. Leo Slezak singt "Auf der Heide blühn die letzten Rosen", ein Lied im Volkston, das ein Volkslied geworden ist.
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1936
Olympiade in Berlin - Beginn des spanischen Bürgerkrieges - Preisstop in Deutschland - Mitchell >Vom Winde verweht< - Reichspropagandaministerium verbietet Kunstkritik, läßt nur positive »Kunstberichte« zu - Bernd Rosemeyer gewinnt Großen Preis auf dem Nürburgring - Vorführung plastisch-wirkender Probefilme unter Verwendung von Polarisationsbrillen - Filme: >Moderne Zeiten< von und mit Charles Chaplin; >San Francisco< mit Clark Gable und Spencer Tracy
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31. März 1936 - totale Zensur von Musikfilmen
Am 31. März 1936 schiebt das Propaganda-Ministerium dann auch den letzten Möglichkeiten einer »Überraschung« den Riegel vor. Die Zensur wird bis ins Letzte reglementiert. Bei Musikfilmen müssen Partitur und Gesangstexte zehn Tage vor Drehbeginn zur Überprüfung vorliegen.
Ab nun wird es viele Lieder geben, die je nach ideologischer Ausrichtung so oder so gehört werden können. Daß diese Lieder, die - und darauf wird noch ausgiebig zurückzukommen sein - zu Propagandazwecken mißbraucht wurden, nicht als »Durchhalte-Lieder« entstanden, beweist ihr ungebrochener Dauer-Erfolg auch nach dem Zweiten Weltkrieg.
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Politsongs und »Durchhalte-Lieder«
Ein Politsong, wie der internationale Saison-Hit "The Bailad Of The Green Barrets", mit dem die USA im Vietnam-Krieg ihre Ledernacken-Jungs verherrlichten, findet sich unter den übriggebliebenen Evergreens von 1933 bis 1945 nicht.
(Lieder wie "Denn wir fahren gegen Engeland" und - aus einem UFA-Film - "Unsre Fahne flattert uns voran" konnten, weil sie Propaganda-Lieder waren, nicht überdauern.)
In der GEMA-Festschrift von 1953 definierte Walther Kiaulehn dieses Phänomen, das die ideologischen Thesen radikaler Soziologen widerlegt, so :
- »Tatsächlich hat man auch schon versucht, Schlagerdichter und auch Komponisten zu reglementieren. Merkwürdigerweise gelang dieser Versuch nicht, weil man wohl Gemütswirkungen, die einen politischen Effekt auslösen sollen, nicht so steuern kann, daß ausschließlich die gewünschte, nicht auch eine andere Wirkung eintritt.«
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NACHFOLGE FÜR GARBO UND DIETRICH
Ralph Benatzky hat nach dem >Weißen Rössl< mit >Bezauberndes Fräulein< und >Meine Schwester und ich< weiter den Musical-Kurs verfolgt. 1936 bereitet er für das Theater an der Wien, das übrigens kurz vor dem Konkurs steht, >Axel an der Himmelstür< vor.
Die Rolle einer zickigen Hollywood-Diva ist ursprünglich für eine Soubrette geschrieben. Man findet keine passende. Der Däne Max Hansen, der die männliche Hauptrolle spielt, schlägt eine Schwedin vor - die bislang im eigenen Land vor allem als „Lustige Witwe" (Lehar hatte die Genehmigung zum Transponieren der Partie gegeben) bekannte Zarah Leander. Sie wird zu den Proben nach Karlsbad "bestellt" (Anmerkung : es sollte besser heißen : "eingeladen").
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Mela Benatzky, die Witwe des Komponisten, erinnert sich
Mela Benatzky, die Witwe des Komponisten, erinnert sich auch heute noch leuchtenden Auges: »Sie kam. Und ... na ja, die Riesenbrille, flammendes Haar. Ralph sagte: >I never heard your voice.< Vorsingen - das war ihr noch nie passiert. Nach großem Protest hat sie es dann doch getan. Mir hat sie sofort gefallen, ich war weg, begeistert.
Ich saß hinten im Zuschauerraum. Ralph stieg über sämtliche Reihen - er hatte ja lange Beine - und sagte: >Was sagst du, was uns der Max da geschickt hat! Ich glaub, da singt der König Marke !< Ich hab nichts gesagt, ich wollte ihn nicht beeinflussen. Er schaut mich an: >Die gefallt dir am End?< Und ich: >Ja, sehr.<«
Später, in ihren Memoiren, erwähnt Zarah Leander, daß Benatzky sie als erster nicht einen Baß schimpfte, sondern ebenso galant wie treffend zum Contra-Alt ernannte. Der König Marke, der nachtschwarze Baß aus dem >Tristan<, blieb also Familiengeheimnis.
Benatzky sagte nach dem Vorsingen nur: »Frau Leander, Sie gehen jetzt acht Tage nicht aus dem Haus, kein Reporter und nichts. Ich muß alle Lieder umschreiben!« Mela Benatzky: »Als dann der Premierenabend kam - so was von siegen, schon beim ersten Auftritt, habe ich nie erlebt. Am nächsten Tag war sie in Wien berühmt.« - und bewahrte das Theater an der Wien vor dem Bankrott.
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Die UFA holt Zarah Leander nach Babelsberg
Zarah Leander wird sofort für einen österreichischen Film engagiert. Es gibt ein Angebot aus Hollywood. Und Hugo Correll von der UFA bemüht sich nach Wien und macht das Rennen. Ihr erster UFA-Vertrag ist eine Pauschal-Gage von 400.000 Reichsmark für elf Monate, wovon 53 Prozent in Devisen nach Stockholm überwiesen werden (und als das nicht mehr klappt, verläßt die Leander 1943 Nazi-Deutschland).
Goebbels, der noch 1934 Marlene Dietrich unbedingt für Deutschland zurückgewinnen wollte, ist am Anfang von dem Schweden-Import alles andere als begeistert. Ausnahmsweise erkennt er nicht, daß die Leander die Dietrich- und Garbo-Lücke füllt, wie es den Zeiten nicht besser entsprechen könnte. (In ihren Memoiren >Es war so wunderbar !< bescheinigt sie ihm 1973 sehr mutig, daß er »intelligente Ansichten über den Film an sich« hatte.)
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Mein Kameramann Franz Weihmayer konnte zaubern
Was ist das Faszinierende an ihr? Sie ist zu groß (schon in >Axel an der Himmelstün sitzt sie meist, wenn sie mit Max Hansen zusammen spielt), ihre Füße haben das Format von Wikinger-Booten; sie ist zwar nicht dick, aber zwanzig Pfund weniger erst würden sie auf Hollywoodformat bringen.
- Ein Leserbrief:
»Stimmt es, daß Zarah Leander früher so häßlich war, daß sie nur mit einem Schleier singen konnte?«
Zarah Leander zitiert das und kommentiert: - »Mein Kameramann Franz Weihmayer zauberte oft mit mir, denn so schön wie auf seinen Filmbildern bin ich in Wirklichkeit nie gewesen, nicht einmal in meinen allergünstigsten Augenblicken.«
Ein Grund für ihren Erfolg hängt nach Curt Riess
- »mit den Schlagbäumen zusammen, die sich rings um Deutschland gesenkt haben. Man spürt den Atem der großen Welt. Dutzende von deutschen Schauspielerinnen könnten eine Szene auf Puerto Rico spielen. Und doch wüßte der letzte Besucher in Pirmasens, daß dieses Puerto Rico in Babelsberg oder Tempelhof angesiedelt ist. Bei der Leander spürt man das nicht. Man hat einfach das Gefühl - und darauf kommt es in der Kunst immer und immer wieder an: Es könnte so gewesen sein. Und daß die Leander es immer wieder fertig bringt, einen davon zu überzeugen, beweist ihre Größe, ihre Stärke, ihre Einmaligkeit.«
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Zarah Leander selber meint, daß sie nie eine Schauspielerin war. Und der schwedische Journalist Teddy Nyblom schrieb: »Ihr Genre ist nicht das vornehmste, aber sie ist die Vornehmste ihres Genres.« Beides stimmt ebenso, wie es nicht stimmt. Die Fähigkeit der Leander, Chansons zu dramaturgischen Höhepunkten einer Filmhandlung zu gestalten und ebenso (wer würde ihr das zutrauen) eine hingebende Ärztin zu spielen, frappiert. Da ist nicht nur die Schönheit, nicht nur die Stimme, nicht nur die Ausstrahlung - Zarah ist ein großes Film-Tier.
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Ihr erster UFA-Film ist >Zu neuen Ufern<.
Benatzky komponiert für sie ihre ersten großen Filmlieder. Das heißt, eines davon ist bereits vorher in London entstanden, in einem Badezimmer, in dem die Dusche getropft hat.
Der Ostinato-Rhythmus hat Benatzky nicht genervt, sondern inspiriert. Er schrieb darauf eine Melodie und den »Tropfen«-Text, der dann übertragen zum Leidens-Motiv der deportierten Diva im Film wird: "Ich steh im Regen".
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Das zweite Lied ist ihr allerdings auf den Leib geschrieben:
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- Man nennt mich Miß Yane, die berühmte, bekannte, yes, Sir!
- Die nicht sehr beliebte, bei Onkel und Tante, no, Sir!
- Man fürchtet, ich könnt' die behüteten Neffen
- im Himmelbett oder im Spielsalon treffen,
- ich könnt' sie verführen mit tausenden Listen,
- zu etwas, was sie vielleicht doch noch nicht wüßten, yes, Sir!
- So bin am ganzen Leibe ich, so bin ich und so bleibe ich. Yes, Sir!
Genau die Mischung aus brav verrucht und ladylike, mit der die Leander (wenn sie nicht gerade wohltuend edel leidet) ihr Publikum begeistert.
Ein Allzwecklied: Im Film spielen es die Berliner Philharmoniker, in Köln wird es zweimal Karnevalslied. Und im September 1949 beendet es im Stockholmer Konzerthaus den sechsjährigen Boykott der Leander in Schweden:
- Voilä, ich bin's, berühmt und viel geschmäht - yes, Sir!
- doch für mein Comeback ist es nicht zu spät - no, Sir!
- Ich wusch mein Haar mit weinrotem Burgunder.
- Jetzt steh ich hier und wart auf ein Wunder -yes, Sir!
»Im Stockholmer Konzerthaus öffnete sich keine Tür - ich riß eine Wand ein. Als sie eingestürzt war und der Staub sich gelegt hatte, sah die Welt hinter den Ruinen neu aus.«
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