Schlager, Lieder, Musik und der Film - die Bedeutung .....
Auf diesen Seiten wird die biografische Aufarbeitung der Zusammenhänge von Kultur und Politik der Jahre 1918 bis 1945 skizziert. Ab etwa der Hälfte der Seiten wird dem Film die größere Aufmerksamkeit gewidmet als der Musik bzw. den Liedern. Manche Filmlieder wurden zu Gassenhauern - aber erst, nachdem der Tonfilm den Durchbruch hatte. Viele Verweise und Zitate aus den dicken Film-Büchern von Curt Riess und auch von Heinrich Fraenkel kennen unsere Leser bereits. Weitere Bücher sind zum Verständnis der End-Zeit bis April 1945 von großem Informationsgehalt.
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1939
Nichtangriffspakt Deutschland / Sowjetunion - Beginn des 2. Weltkrieges: Hitler läßt Polen überfallen - Mißglücktes Bombenattentat auf Hitler im Münchner Bürgerbräukeller - Eugenio Pacelli wird Papst Pius XII. - Frank Buchmann gründet Caux-Bewegung (»Moralische Aufrüstung«) - Butenandt und Domagk Nobelpreisträger (Hormone; Sulfonamide) - Seghers >Das siebte Kreuz< - Steinbeck >Früchte des Zorns< - Rudolf Harbig läuft Weltrekord über 800 m mit 1:46,6 - 18.257 deutschsprachige Zeitschriften erscheinen
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Immer noch amerikanische Musikfilme im "Deutschen Reich"
So einfach ließ sich der Jazz-Bazillus im Dritten Reich allerdings nicht ausrotten. Zwar fiel die Zahl amerikanischer Importfilme von 64 im Jahr 1933 auf 20 im Jahr 1939. Darunter wurden auch eine Menge Musikfilme gezeigt: >Dancing Lady< (1933), >Broadway Melody of 1936<, >Born To Dance< (1936), >On The Avenue< (1937), Broadway Melody of 1937<, >Rosaly< (1937), >Hono-lulu< (1938).
Den antifaschistischen Film >Confessions Of A Nazispy< nimmt das Propagandaministerium 1939 zum Anlaß, den Import amerikanischer Filme einzustellen. Von dieser Regelung ist die Filmindustrie selbst nicht betroffen.
In einem Brief an Goebbels meint Hinkel am 12. Dezember 1944 (!) noch, daß die Filmschaffenden »über den Stand der Feindproduktion auf dem laufenden gehalten und dafür gesorgt werden muß, daß sie alle künstlerischen und technischen Fortschritte unserer Feinde studieren können.«
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Man brauchte dann doch einen modernen Sound
Und Lothar Prox konstatiert in >Wir tanzen um die Welt<: »Wollte man nicht hoffnungslos hinter den Standards der >Broadway-Melodies< zurückbleiben, mußten dem üblichen Revue-Programm (Walzer- und Folklore-Szenen) moderne Tanznummern beigegeben werden. Dazu brauchte man nicht nur flotte Musik, sondern auch einen modernen Sound.
Die deutschen Unterhaltungs-Komponisten, vor allem Franz Doelle, Friedrich Schröder, Peter Kreuder, Franz Grothe, Georg Haentzschel, Peter Igelhoff, Michael Jary, entwickelten bei dieser Aufgabe ein gewisses innovatives Verständnis, indem sie die Reizschwelle des offiziell Zumutbaren bis in die vierziger Jahre hinein eher erweiterten als reduzierten, sei es durch einen swingenden Stil, durch verpönte Instrumentierung (gestopfte Trompeten, Saxophone), sei es durch listigen Wechsel vom Fox-Rhythmus zur (verbotenen) Rumba.«
Und so entsteht die paradoxe Situation, daß mitten im Zweiten Weltkrieg das Propagandaministerium zur Stimmungsverbesserung etwa in Igelhoffs "Wir machen Musik, da geht euch der Hut hoch" den verpönten »Hot« durchgehen läßt, daß im selben Jahr Franz Grothes "Sing mit mir" swingt.
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Ein letztes Andenken an den "Luftkrieg über England"
Ausgelöst hatten diese »Gegenrevolution en miniature« die deutschen Flieger. Ende 1940 sprach es sich in den Stäben und in den Kasinos der Luftwaffe herum, daß man auf dem Rückflug vom Einsatz grundsätzlich BBC und seine englischen Kapellen hörte.
Als von höchster Stelle die Asse Mölders und Galland befragt wurden, bestätigten sie, daß nahezu niemand in der Truppe an dem langweiligen Gedudel aus Deutschland Gefallen finde.
So kam es zur Gründung des >Deutschen Tanz-und Unterhaltungsorchester< durch Franz Grothe und Georg Haentzschel, die zwischen Reichsministerien und der Reichsmusikkammer einen Hochseilakt administrativer Schritte ausbalancieren mußten, bevor sie erstklassige Instrumentalisten, erstklassige Jazzer zusammen hatten.
Mit Sitz in Berlin produzierte das Deutsche Tanz- und Unterhaltungsorchester (nachdem es 1941 nach einem inoffiziellen Erst- und Abnahme-Konzert im Propagandaministerium seinen Segen bekam, sich dann offiziell den Hörern in der Philharmonie vorstellte) für den Rundfunk einen Sound, der sich auch im Vergleich zur internationalen »Konkurrenz« hören lassen konnte.
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MODELLFALL: NUR NICHT AUS LIEBE WEINEN
Sie waren noch Herren, die Herren Komponisten von damals, die sich weder vom Interpreten was dreinreden ließen, noch Schlager-Dutzendware produzieren wollten.
Franz Grothe: »Mich interessiert nicht nur der Schlager, mich interessiert vor allem - abseits vom Eingängigen, Reißerischen - die musikalische Bewältigung einer in der Handlung, in der Psyche der sie belebenden Figuren beschlossenen Problematik.«
Und Theo Mackeben: »Solche >Schlager<, denen immer eine dramaturgische Notwendigkeit zugrunde liegt, sind darum keineswegs bloße >Einlagen<, sondern ein organisch verbundener Bestandteil der Handlung.«
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1939 - >Es war eine rauschende Ballnacht<
Modellfall für den dramaturgischen Effekt einer richtig plazierten »Nummer« ist Mackebens "Nur nicht aus Liebe weinen" in dem Film >Es war eine rauschende Ballnacht< von 1939.
Die schöne Katharina Alexandrowna (Zarah Leander) liebt Tschaikowsky (seine Gegenliebe ist dabei reine Filmerfindung). Ihr Mann Michael Iwanowitsch Murakin (Aribert Wäscher) weiß alles und behält unter der Hand mit dräuendem Blick und dräuenden Andeutungen die Oberhand und Katharina in seinem Besitz.
Das Melodram wird perfekt, als Zarah bei einem Empfang auf Murakins Gut ein Lied singen muß und ihm ihren ganzen Abscheu zwischen den Zeilen entgegenschleudert:
- Wir kamen von Süden und Norden mit Herzen so fremd und so stumm.
- So bin ich die deine geworden und ich kann dir nicht sagen: Warum!
- Denn als ich mich an dich verloren, hab ich eines andern gedacht -
- so ward die Lüge geboren, schon in der ersten Nacht.
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- Nur nicht aus Liebe weinen,
- es gibt auf Erden nicht nur den einen.
- Es gibt so viele auf dieser Welt,
- ich liebe jeden, der mir gefällt!
- Und darum will ich heut dir gehören.
- Du sollst mir Liebe und Treue schwören.
- Wenn ich dann fühle, es muß ja Lüge sein,
- ich lüge auch, und bin dein!
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Es war die Schlagzeile des Refrains .....
»Geniale Vorstrophen wie etwa diese von Hans-Fritz Beckmann«, jubelt Walter Haas 1957 in seinem Schlagerbuch, »waren es nicht, die den Schlager zum Erfolg machten. Nein, es war die Schlagzeile des Refrains: Nur nicht aus Liebe weinen. Hier ist die allgemein gültige Pointe! Hier ist das raffiniert sentimentale Erlebnisschema, das jeder aus Erfahrung zu kennen glaubt. Hier ist der Chorus, den jeder mitsingen möchte, weil er die Zeile bejaht.«
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ZARAH STIFTET EINE EHE
Nur was wirklich einschlägt, wird parodiert. So wie in den 19fünfziger Jahren Kurt Pratsch-Kaufmann seine Leander-Travestie mit den Blödel-Worten »Es war eine rasende Saalschlacht« beginnen wird, so glossierte Loni Heuser das Leander-Fieber in einem Kabarett-Chanson geistreich mokant unter der Devise »Man singt immer tiefer«. In einer Vorstellung war Theo Mackeben, er war begeistert - Loni Heuser wurde seine zweite Frau.
Mackeben - ein Gentleman, »der weltläufigste unter den deutschen Evergreen-Schreibern« (Karl Robert Brachtel). Als er 1953, erst 56-jährig, in Berlin starb, schrieb ihm Günther Schwenn als Nachruf:
»Für alle warst Du ein Halt, ein fester Punkt des guten Gewissens in böser Zeit! Du warst ein Schwergewicht der leichten Musik<, eigenwillig, oft schwierig, immer Du in jeder Harmonie, schonungslos gegen Dich selbst - aber um 18.00 Uhr, wenn für Dich die blaue Stunde begann, konnte Dich nichts, kein Krieg und keine R-Mark-Zeit - nichts konnte Dich daran hindern, für Deine Freunde und für Dich den Becher der Lebensfreude zu mischen. Ob Du im Frack die Philharmoniker dirigiert oder in einer bürgerlichen Küche ein duftendes Etwas veredelt hast, in jedem Fall warst Du mit Leidenschaft dabei. Und dann noch eins, das wir Dir nie vergessen werden: In einer Welt der kleinen Geschäftemacher, der zu jedem Kompromiß Bereiten, warst Du unser Stolz. Du trugst die weiße Weste und Du warst ein Herr.«
Zarah Leander erinnert sich ganz genau, wie sie mit Mackeben ganze Nächte hindurch »wie die Profis« pokerte: »Wenn wir nach einer nächtlichen Runde ins Atelier kamen und gefragt wurden, wie die Musik-Proben gewesen seien, zuckte ich nur mit den Achseln und sagte, wir seien nicht so recht in Form gewesen.« Hervorragende Kondition tat da not, und ungefährlich war es auch nicht - denn Glückspiele waren auch verboten.
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August 1939 - WIR LASSEN UNS DAS LEBEN NICHT VERBITTERN
Am ersten August 1939 hat der Film >Paradies der Junggesellen< Premiere. Heinz Rühmann, Hans Brausewetter und Josef Sieber schmettern voll von Junggesellen-Optimismus (Helden sind sie nun alle drei wirklich nicht) von der Leinwand:
- Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern,
- keine Angst, keine Angst, Rosmarie!
- Wir lassen uns das Leben nicht verbittern,
- keine Angst, keine Angst, Rosmarie!
- Und wenn die ganze Erde bebt
- und die Welt sich aus den Angeln hebt:
- Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern,
- keine Angst, keine Angst, Rosmarie.
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Der 2.Weltkrieg beginnt ..........
Einen Monat nach der Filmpremiere >Paradies der Junggesellen< marschierte Hitler in Polen ein. Und bald bekam das »Seemanns«-Lied eine politische Aktualität, von der die Autoren Jary (Melodie) und Balz (Text) nichts geahnt hatten.
Zur »Militarisierung« der Schlager trug vor allem eine Aktion des Rundfunks bei. Im September 1939 schon wurde über alle Sender Reklame gemacht :
- »Euer Wunsch sei uns Befehl! Am 1. Okt. 1939 veranstaltet der großdeutsche Rundfunk von 16-20 Uhr das erste große Wunschkonzert für euch an allen Fronten.«
Das Wunschkonzert für die Wehrmacht war geboren. Nach einer Woche lagen 28 811 Briefe und 103 Pfund Postkarten-Wünsche vor.
"Das kann doch einen Seemann nicht erschüttern" wurde zum meistgewünschten und meistgespielten Wunschkonzertschlager.
Brausewetter, Rühmann, Sieber wurden wie alle anderen Stars zu Live-Auftritten befohlen, auf denen sie dann »spontan« erschienen. Und der Moderator Heinz Goedecke reimte:
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- »Und diese drei kennt auch ein jeder,/
- hier zieh'n sie wieder mal vom Leder -/
- sie bringen ihren Seemann an,/
- den niemals nichts erschüttern kann.«
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Goedecke reimte auch sonst unsäglich dämlich:
- »Wo alles dient dem guten Zweck,/
- da fehlt auch nicht Marika Rökk.«
Oder:
- »In alle Herzen - alle Häuser/
- bringt Heiterkeit die Grethe Weiser.«
Diese »Heiterkeit« muß Grethe Weiser nicht wenig gekostet haben. Ihr Mann war nämlich Jude, ihr Sohn also Halbjude. Irgendwie schaffte sie es (wie Henny Porten mit ihrem Mann), die beiden bis zum Zusammenbruch des Dritten Reichs zu schützen.
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1940
Kapitulation Frankreichs - Beginn des Luftkrieges gegen Großbritannien - Hemingway >Wem die Stunde schlägt< - Greene >Die Kraft und die Herrlichkeit< - Landsteiner und Wiegner entdecken den Rhesusfaktor des menschlichen Blutes - Paul Klee stirbt - >Der Diktator«, Film von und mit Charles Chaplin - »Winterhilfswerk« (seit 1933) bringt 916 Millionen Reichsmark - Entdeckung der steinzeitlichen Höhlenmalereien bei Lascaux (Südfrankreich) - Ersatz von Dampf- durch Diesellokomotiven in den USA (1953 ca. 50 Prozent
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1939/1940 - MARIKA ALS WASSERLEICHE
Schon 1937 wollte Goebbels seinen ersten Farbfilm haben. Technisch, meinten die UFA-Leute und die Firma Siemens, sei es möglich, aber unwirtschaftlich. Erst müßten eine größere Anzahl Filmtheater mit den entsprechenden Projektoren ausgestattet werden.
Im Juni 1939 war es soweit. Inzwischen wurde das Agfa-Color-Verfahren entwickelt und soweit vervollkommnet, daß die UFA die Produktion eines abendfüllenden Spielfilms beschließt.
Der für das Programm 1939/40 vorgesehene Kostümfilm >Frauen sind doch bessere Diplomaten< scheint dafür besonders geeignet. Der Drehbeginn ist für den 10. Juli 39, die Ablieferung für den 10. September 1939 angesetzt. Die Premiere aber findet erst am 31. Oktober 1941 im Berliner Capitol am Zoo statt.
Marika Rökk erinnert sich :
- »Bei Babelsberg stand ein altes Schloß. Eine herrlich grüne Wiese lag davor. Wir waren hingerissen. Auf der Wiese drehten wir unseren großen Clou, Einen Walzer für dich und für mich. Im Freien, mal etwas anderes. Und diese Farben!
- Erwartungsvoll sahen wir uns die Kopie an. Die Wiese war gelb wie eine Butterblume... Schminke wurde an mir ausprobiert. Mal trug ich den Teint mausgrau, mal mehr chinesenfarben, plötzlich wurde ich als Wasserleiche zurechtgemacht - es gehörte schon viel Selbstvertrauen dazu, flüchtige Blicke in den Spiegel zu überstehen.«
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- Anmerkung : Eine umfangreiche Sammlung von (geschönten und positiven) Berichten über die Entwicklung des deutschen Farbfilms bei AGFA Wolfen lesen Sie in den einzelnen Ausgaben der damaligen Zeitschrift Film und Kinotechnik. Die Jahregänge ab 1935 sind bereits verfügbar.
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1940 - Der deutsche Farbfilm - laut Goebbels : >eine Schande<
Der UFA-Vorstand vergleicht die Muster mit Szenen aus amerikanischen Farbfilmen. Nach- aufnahmen müssen gemacht werden, sind im Augenblick jedoch nicht möglich, da der Beginn der Dreharbeiten zu >Kora Terry< Vorrang hat.
Im Juli 1940 Schlierenbildung an den bisherigen Negativen. Neue Störungen »durch andersartige über die ganze Bildfläche verteilte Schäden«. Die Neuaufnahmen haben immerhin eine »außerordentlich verbesserte Farbqualität«.
Veit Harlan schreibt, Goebbels habe verhindern wollen, daß der Film in die Kinos kommt: »Er fand seine Farben >abscheulich bunt und unnatürlich.
Er sagte, das Gras sei braun, die Menschen sähen aus wie Puppen, und die amerikanischen Farbfilme, die mit gekaperten Schiffen >erobert< wurden, seien tausendmal besser. Unter anderen Farbfilmen hatte er uns den Film >Vom Winde verweht< gezeigt. Goebbels hatte nach der Vorführung an die Zuschauer eine Rede gehalten, in der er behauptete, daß der deutsche Farbfilm im Gegensatz zum amerikanischen Technicolor-Film >eine Schande< sei.«
Und der amerikanische Filmhistoriker David Steward Hüll zitiert Goebbels mit den Worten: »Bringt diese Seh... raus hier und verbrennt sie!«
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Über die Original-Lieder in einem neuen Film
Wie entscheidend es damals war, daß ein Film Original-Lieder enthielt, sagt (über die Grothe-Titel "Einen Walzer für dich und für mich" und "Wenn ein junger Mann kommt") eine Presseanweisung vom 1. November 1941: »Die Tatsache, daß Lieder und Musik aus dem Film >Frauen sind doch bessere Diplomaten< schon vor Uraufführung des Films im Rundfunk und bei anderen Gelegenheiten gesungen und gespielt wurden, darf nicht zu dem Trugschluß verleiten, daß die Musik von Hans (sie) Grothe etwa alt oder nicht für diesen Film bestimmt gewesen sei.«
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HEINZ RÜHMANN HAT EINEN SCHWIPS
Glück gehört zu allen Zeiten mit zum Erfolg. Erst muß die Chance da sein, erst danach kann sich das Können behaupten. Neben den Patriarchen, den Herren, den flotten Lebenskünstlern, denen wir unter den Komponisten bisher begegnet sind, gibt es einen, der so ganz und gar nicht ins Bild paßt.
Eine Art junger Rühmann, der unter musikalische Menschen- fresser geraten ist. Und in der Tat - wie der Zufall so spielt - sind mit die größten Erfolge von Werner Bochmann mit dem Namen Rühmann verbunden.
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Bochmann und der Zufall.
1900 in der sächsischen Industriestadt Meerane als Sohn eines angesehenen Textilkaufmanns geboren, muß er Anfang der Dreißiger zwei Jahre lang erfolglos in Babelsberg musikalisch antichambrieren.
Irgendwann, als er wieder einmal unermüdlich vorspielt, kommt ein Kurzfilm-Produzent am offenen Fenster vorbei und gibt ihm den ersten Auftrag. Der Kurzfilm kommt gut an, und Bochmann darf weiterkomponieren - für Kurzfilme.
1938, inzwischen ist er auch als Spielfilm-Komponist bewährt, glaubt man ihm nicht, daß er für den Film >Kautschuk< eine »echte« lateinamerikanische Musik schreiben kann. Ohne daß Bochmann es weiß, holt man einen der Komparsen, einen waschechten Indio. Und als Bochmann seine Rumba vorspielt, hüpft der plötzlich frenetisch barfuß durch die Gegend.
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Heinz Rühmann, Hertha Feiler und Rolf Weih
Ganz zufällig entdeckt Bochmann Ilse Werner (sie hat um 1940 ihre größten schauspielerischen Erfolge) und ihre speziellen Fähigkeiten - er hört sie durch eine Garderobentür pfeifen. »Das heißt, pfeifen war gar kein Ausdruck für diesen flötenähnlichen Klang und diese unerhörte musikalische Präzision.«
Zufall, daß Bochmann ein Peugeot-Cabriolet erwirbt, das Heinz Rühmann beim Kauf eines größeren Wagens in Zahlung gegeben hat, und daß sie Nachbarn am Kleinen Wannsee sind. Aus dem Kontakt entsteht eine langjährige Zusammenarbeit.
Sie beginnt 1940 mit dem Film >Lauter Liebe<. Hertha Feiler und Rolf Weih singen bei einer Film-Autofahrt "Mir gehts gut". Die Nummer gefällt dem Ehepaar Feiler/Rühmann so gut, daß sie sie gemeinsam auf Platte singen. Ein Studio-Musiker verspätet sich, man verkürzt sich die Wartezeit in einer Bar.
Bochmann:
- »Die daraus resultierende Stimmung kam der Aufnahme zugute. Darunter litt freilich die gesangliche Qualität - aber wer erwartet schon von Heinz Rühmann eine Opernarie...«
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Der nächste Film mit Heinz Rühmann ist >Quax, der Bruchpilot<. Und daraus stammt Bochmanns international berühmtestes Lied, das heute noch Stationszeichen deutschsprachiger Auslandssender ist, obwohl oder vielmehr gerade weil es deutscher gar nicht sein kann:
"Heimat, deine Sterne". Den Text, den ganz und gar volksliedhaft deutschen Text, schreibt Erich Knauf, ebenso 1943 für >Sophienlund< (Rühmann führt Regie) zu Bochmanns Musik die unbeirrbar optimistischen Worte "Mit Musik geht alles besser". Ein Durchhaltetext? In der Tat - aber ganz anders, als diese Bezeichnung verstanden wird. Erich Knauf kommt wenig später im KZ um.
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1941
Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion - die USA treten in den Krieg ein - Rudolf Heß springt mit Fallschirm über Großbritannien ab - Einführung des Judensterns im Reichsgebiet - Brecht >Mutter Courage und ihre Kinder< - Filme: »Citizen Kane< von Orson Welles - >Verdacht< von Alfred Hitchcock - »Eisernes Sparen (Spareinlagen steigen von 301 auf 940 RM pro Kopf und werden durch die Währungsreform 1948 auf 5 Prozent entwertet) - Picasso >Wie man Wünsche beim Schwanz packt< (sein einziges Bühnenstück)
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ILLUSIONEN - SOLCHE UND SOLCHE
1941 dreht der russische Regisseur Viktor Tourjansky mit Johannes Heesters und Brigitte Horney. Heesters:
»Biggi und ihr Mann, der Kameramann Konstantin Irmen-Tschet, hatten uns zum Essen eingeladen. An diesem Abend haben wir gemeinsam den Titel unseres Films gefunden: >Illusion<. Und da meinte Tourjansky: >Ich brauche aber einen schönen Walzer, einen Walzer für zwei verliebte Menschen !<
Franz Grothe setzte sich an den Flügel und improvisierte. Biggi und ich tanzten, und ich muß sagen, wir tanzten sehr animiert.
Tourjansky konnte nicht übersehen, daß er sich mit uns beiden ein sehr attraktives Liebespaar eingekauft hatte. Als der Abend zu Ende war, war auch der Walzer geboren.«.
Grothe hielt übrigens die berühmt gewordene Titelmusik des Films nicht für wichtig. Illusion wurde erst 1944 gedruckt. Und war in ihren gebrochen impressionistischen Anklängen, in den Modulationen, die ein wenig an die tieftraurige Verlorenheit eines späten Richard Strauss erinnern, ein Abgesang...
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Goebbels falsche Illusionen
Einige Illusionen, die Goebbels sich über das Bleiben von Künstlern gemacht hatte, begrub er erst spät. Robert Stolz, der nach dem »Anschluß« Österreichs 1938 freiwillig seinen Freunden und Kollegen von Wien nach Paris gefolgt und inzwischen längst in Amerika war, wurde erst am 28. März 1942 ausgebürgert, sein gesamtes Vermögen beschlagnahmt.
Und im September 1941, vor Drehbeginn des Films >Die große Liebe<, nennt der Pressedienst der UFA noch Ralph Benatzky für die Musik, die dann von Michael Jary komponiert wird.
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In diesem Film kulminiert alles, was sich über Illusion und Desillusion im Film und im Schlager des Zweiten Weltkriegs zusammentragen läßt.
Zarah Leander spielt die dänische Varietesängerin Hanna Holberg, die von dem deutschen Afrikaflieger-Oberleutnant Paul Wendtland zuerst auf höheren Befehl, dann durch den Krieg immer wieder getrennt wird.
Zarah Leander ist diesmal nicht das leidende Muttertier, sie ist leidenschaftlich, strahlend, rätselhaft. »Sternbergisiert« nennt sie David Stewart Hüll.
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Die Überfrau von erotischen Wunschvorstellungen
Und die Menschen in Deutschland und an den Fronten können sich mit diesem Schicksal identifizieren. Für die Soldaten, die von Frau und Freundin getrennt sind, ist sie die Überfrau ihrer erotischen Wunschvorstellungen, für die Frauen daheim Identifikationsmodell aller Wartenden.
3,2 Millionen RM hat der Film gekostet und spielt bis November 1944 9,2 Millionen ReichsMark ein. Er erreicht 27,8 Millionen Besucher und gehört zu den drei erfolgreichsten Filmen der Nazizeit.
Zarah Leander singt "Mein Leben für die Liebe" und "Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn". Und - "Davon geht die Welt nicht unter".
Karsten Witte in >Wir tanzen um die Welt<:
- » Fälschlicherweise hat man die Lieder der Leander als Durchhalte-Lieder bezeichnet, was für die Nach-Stalingrad-Produktionen zutreffender wäre. >Davon geht die Welt nicht unter, die wird ja noch gebraucht!<, - diese Hyperbel gilt weniger der Untergangsvision, sondern eher der grandiosen Verheißung und speist sich aus naivem Größenwahn einer Kolonialmacht, die 1942 schon Rittergüter für den Friedensschluß verteilt.«
Karsten Witte hat offenbar nicht genau genug hingeschaut. Bruno Balz versichert zwar glaubhaft:
- »Wir haben Angst gehabt, daß die Nazis das Lied als gegen sie gerichtet verstehen, so war es auch gedacht«
(wir erinnern uns an Kiaulehns These vom Gegen-Effekt »bestellter« Gemütswirkungen) - doch ist Jary und Balz unbewußt etwas unterlaufen, auf das keine der drei vorgenannten Thesen paßt.
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Zarah Leander - der nordische Todesengel
Im Film singt Zarah Leander das Lied auf Truppenbetreuung in einem Theater in Frankreich. Sie singt es nicht als »Marschierer« wie in späteren Jahren - eher weich. Und als die Soldaten glänzende Augen bekommen, mitschunkeln, wechselt sie mit ihrem Pianisten Paul Hörbiger einen Blick, den die Zensur übersehen hat.
Eine Szene, die etwas Mystisches hat, quasi ein Schlagerpendant zur Todesverkündigung der Wagnerschen Walküre. Der nordische Todesengel, der noch einmal den Helden die kühlende Hand auflegt, bevor sie fallen.
Eine fatalistische Sanftmut, in so unmittelbarer Nähe zur germanischen »Gemütlichkeit« (für die die Amerikaner kein eigenes Wort haben), daß sie als Stimmungsnummer durchging.
Musikalisches Morphium, das das Sterben erleichtert - ein Effekt, der gewiß nicht erwünscht sein konnte .....
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