Rudi Czech ist heute fast 95 Jahre alt und er erzählt gerne :
Am 25 März 2021 war es soweit, Hermann Schäfer (sen. - 85) und seine Frau haben" uns" alle eingeladen zum Zeitzeugen-Schwatz. "Uns", das sind aber nur Rudi Czech und Gert Redlich, denn wir haben in uns - alle über 70 - immer ein klein wenig Corona Angst vor einer Ansteckung.
Und Rudi hat erzählt und erzählt, nahezu 3 Stunden lang, von den alten Zeiten direkt nach dem 2. Weltkrieg und den Anfängen mit allen seinen Höhen und Tiefen. Die Aufzeichnung dieses Vortrages kommt noch. Herr Schäfer kam in den 3 Stunden fast nicht zu Wort, aber das holen wir auch noch nach. Hier lesen Sie einen (Hintergrund-) Artikel aus dem Februar 2021.
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Das "PASTORI"-Kino - erst Saalbau, dann Silo und dann Kino
Seit 1919 gibt es die alten "Saalbau Lichtspiele" bzw. jetzt das "Pastori-Kino" in Weilmünster. Es ist eines der ältesten Lichtspielhäuser Deutschlands. - Von Dorothee Henche (Fotos) und Rudi Czech aus Weilmünster.
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GESCHICHTEN AUS DER HEIMATSTUBE
WEILMÜNSTER. Das Kino in Weilmünster gehört zu den ältesten Lichtspieltheatern in Deutschland. Der „Saalbau" ist 1907 von der Familie Friedrich Buchholz sen. gebaut worden. Der Beginn des Lichtspielhauses liegt jedoch weiter zurück und ist eng verbunden mit dem Bau der Heil- und Pflegeanstalt Weilmünster in den Jahren 1895 bis 1897.
Dort arbeiteten die beiden Vettern Wilhelm Buchholz als Bautechniker und Friedrich Buchholz als Betreiber der Kantine. Nach Fertigstellung der Heil- und Pflegeanstalt kauften sie in Weilmünster die sogenannten Beerenhecken und die Schulgärten. Es waren die Parzellen, die auf der linken Seite der damaligen Bahnhofstraße (heute Hauptstraße) in Richtung Weilburg gelegenen Flächen. 1899 begann Friedrich Buchholz mit dem Bau eines Gasthauses im Stil eines Fachwerkhauses.
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1907
Im Jahr 1907 beschloss die Familie Friedrich Buchholz, einen großen Saal für Veranstaltungen zu bauen. Diesen Saalbau errichtete man neben dem damaligen Gasthaus „Zur Eisenbahn" in Form eines Tonnengewölbes mit aufwendiger Holzkonstruktion. Ausgewählt wurde diese Bauart, damit man damals auf Stützpfeiler im Innenraum des Gebäudes verzichten konnte.
Bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges wurde im Saalbau getanzt, geturnt und gesungen. Der Festsaal war genau das Haus, das die vielen gesellschaftlichen Ereignisse des Marktfleckens beherbergen konnte.
1914
Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, endeten die geselligen Vergnügungen. Die Familie Friedrich Buchholz war über das Angebot der damaligen Heeresverwaltung glücklich, den Saal als Lager beziehungsweise Silo anzumieten, um ihn mit Getreidevorrat zu füllen.
1918
Nach Ende des Krieges, 1918, als der Silo-Saal wieder geleert worden war, stellte man fest, dass das lagernde Getreide die Wände des Saales etwa 30 Zentimeter nach außen gedrückt hatte. Nun war guter Rat teuer.
Der älteste Sohn der Familie, Albert Friedrich Buchholz, ein guter Handwerker, installierte mehrere stählerne Zugzwingen und zog damit die Wände des Gebäudes wieder ins rechte Lot. Diese Stahlzwingen sind heute noch im restaurierten Kinosaal als historisches Denkmal sichtbar.
1919
Schon 1919, nach Wiederherstellung des Saales, begannen erneut alle möglichen Lustbarkeiten. Dabei erlebte Weilmünster eine Besonderheit: Frau Buchholz eröffnete in dem Saal ein Kino und zeigte dem Publikum die ersten Stummfilme. Die Besucher bestaunten mit offenen Mündern das bildhafte Geflimmer - die Geburtsstunde des Lichtspielhauses.
Eine Kabine zum Vorführen der Filme errichtete man an der gegenüberliegenden Seite der Bühne, dort wo der Froschgraben, ein kleines Bächlein, das Grundstück querte. Manchmal gerieten die Filme im Projektor durch die starke Hitzeentwicklung in Brand, dann diente das Wasser des Froschgrabens zur schnellen Brandlöschung (Anmerkung : Das ist absolut unglaubwürdig, Nitrofilme konnte man nicht löschen, mit Wasser schon gar nicht !!!) und Schadensbegrenzung. Albert Buchholz war der erste Filmvorführer, später teilte er sich diese Aufgabe mit seinem jüngsten Bruder Fritz.
Die Besucher bestaunten mit offenen Mündern das bildhafte Geflimmer - die Geburtsstunde des Lichtspielhauses.
1929, als der Farbfilm kam
Gezeigt wurden Stummfilme von kurzer Dauer. Die kleinen Filmchen waren für die ländliche Bevölkerung eine Sensation. Von weit her kamen die Leute, um dieses Ereignis zu genießen. Musiker spielten zu den Stummfilmen auf dem Klavier, ab und zu trat auch mal ein Geiger auf.
Die Familie Friedrich Buchholz tat in dieser Zeit sehr viel für die Weiterentwicklung ihres Kinos. Als man später mit dem Kino Geld verdienen konnte, wurde sogar eine Musikbox angeschafft. Die gesamte Filmbranche steckte damals noch in den Kinderschuhen, die Filme flimmerten lautlos über die Leinwand.
1929 kam der erste Tonfilm und Familie Buchholz musste eine neue Vorführ-Apparatur und eine neue (Ton-) Leinwand anschaffen. Das Kino entwickelte sich prächtig.
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1945
Als 1945 der schreckliche Zweite Weltkrieg mit all seinen Grausamkeiten ein Ende gefunden hatte, mussten die verbliebenen Mitglieder der Familie Buchholz den Amerikanern Platz machen. Ihre Gebäude wurden von den Besatzern als Truppenquartier in Beschlag genommen.
Nach dem Tod des Vaters Friedrich im Jahr 1946 baten die Familienmitglieder den jüngsten Bruder Fritz (er war das schwarze Kind der Familie und lebte dort in der "familiären" Verbannung), der an der Bergstraße wohnte und auch ein Kion betrieb, in Weilmünster mit dem väterlichen Kino in eine neue Zukunft zu starten.
Obwohl die Menschen in der Nachkriegszeit nur wenig Geld hatten, wurde das Kino gut angenommen, um wenigstens für ein paar Stunden die Sorgen des Alltags zu vergessen.
Juni 1948
Am 21. Juni 1948, dem Folgetag der Währungsreform, erhielt jeder Bürger ein Startgeld von 40 DM. Die Kinokarte kostete damals 80 Pfennige. Mit dem neuen Geld gönnten sich einige Weilmünsterer schöne Stunden im wiedereröffneten Kino. Anfang der 1950er Jahre flimmerten große Filme, wie zum Beispiel „Grün ist die Heide" mit Sonja Ziemann und Rudolf Prack in den Hauptrollen, über die Leinwand in Weilmünster.
Im Laufe der Jahre veränderten die „Saalbau-Lichtspiele" ihr Gesicht. Anfang der 1950er Jahre errichtete Fritz Buchholz einen einstöckigen Vorbau mit Foyer. Damit konnte der bisher im Hofbereich des Anwesens liegende Eingang zum Kinosaal direkt an die Straße verlegt werden. Über dem Foyer-Eingang warben Kinoplakate für die Filme, die in naher Zukunft gezeigt werden sollten. Sowohl die Innenarchitektur des Foyers als auch die technische Ausstattung gehörten zum Modernsten auf diesem Gebiet. - Die obigen Artikel stammen von Rudi Czech, Heimatverein Weilmünster.
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Joachim Buchholz, Sohn von Elfriede und Fritz Buchholz, übernahm in den 1960er Jahren mit seiner Frau Dora das Lichtspieltheater. Zu dieser Zeit ließ das Interesse am Kino nicht nur in Weilmünster nach. - Um den Besuch wieder attraktiver zu machen, entschied sich die Familie 1976/77 für eine komplette Umgestaltung des Kinosaals.
1976
Die alten Sitzbankreihen wurden entfernt, die Anzahl der Sitzplätze von fast 400 auf 126 reduziert. Die roten, dick gepolsterten Lehnsessel, in Sitzgruppen aufgeteilt und mit einem kleinen Tisch verbunden, schufen eine behagliche Klubatmosphäre, zu der auch die in den Kinosaal integrierte Bar beitrug. Es entstand ein modernes Filmtheater, das Seinesgleichen suchte.
2010 - der (sogenannte) Showdown - es geht nicht mehr
Familiäre Veränderungen erschwerten den Fortbestand des Kinos zusehends. Daher war es ein echter Glücksfall, dass die Gemeinde Weilmünster den heimischen Bauunternehmer Hermann Schäfer begeistern konnte, dieses Kulturgut zu erhalten.
Hermann Schäfer und sein Sohn Jörg haben das Anwesen von Grund auf neu gestaltet und dabei den eigentlichen Saalbau unter Wahrung der historischen Gegebenheiten mit neuester Technik und Ausstattung zu einem kleinen Juwel der Unterhaltungsbranche gemacht.
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