LEITARTIKEL aus FERNSEH- UND KINO-TECHNIK Nr. 9/1971
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AV: Die AV-Euphorie mit 50dB Dämpfung
von Chefredakteur: Wilhelm Roth
Die Internationale Funkausstellung Berlin 1971 hat den traditionellen Rahmen "Rundfunk - Fernsehen - Phono - Antennen" gesprengt und zum ersten Male jetzt auch den Bereich der "audiovisuellen Technik" mit in ihr vielseitiges Programm einbezogen.
Beim Lesen dieser Nachricht wenige Wochen vor Ausstellungsbeginn mag mancher Zweifel gehabt haben, ob es sinnvoll sei, den so oft in völliger Verkennung der Tatsachen hochgespielten Bereich AV nun auch hier noch zu einem Ausstellungsthema zu machen.
Noch in zu lebhafter Erinnerung ist bei vielen die kaum noch zu überbietende Euphorie auf der photokina 1970, auf der man sich einer Fülle von Systemen und Geräten gegenübersah, denen jedoch das Wichtigste fehlte: die ausgewogene Software, das heißt Programme.
Die Software-Ausstellung und -Messe in der Schweiz
Hatte man gehofft, auf einer im Frühjahr 1971 groß angekündigten Software-Ausstellung und -Messe in der Schweiz endlich auch diesen bisher meist zu sehr vernachlässigten Bereich zu seinem Recht kommen zu sehen, so sahen sich die Besucher getäuscht.
Was dort präsentiert wurde, war viel mehr ein systemloses Neben- und Durcheinander von Programmen und Unterrichtsfilmen jeder Art, bei denen man den doch so wichtigen didaktischen Faden vergeblich suchte. So ist es nicht verwunderlich, daß viele Besucher harte Kritik übten.
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Sie träumen immer noch
Heute ist ganz sachlich festzustellen, daß die überschwenglichen Prophezeiungen von „Milliarden-Geschäften" mit Sicherheit noch nicht in den nächsten Jahren in Erfüllung gehen werden. Der Countdown hat gerade erst begonnen, und vom Kommando „zero fire" sind wir noch weit entfernt. Möglich, daß wir uns diesem Punkt in vier bis fünf Jahren genähert haben.
Nach der jetzt mit einem ungewöhnlichen, auch wirtschaftlichen Erfolg zu Ende gegangenen Funkausstellung kann man mit Genugtuung feststellen, daß diese Ausstellung den AV-Gedanken nicht hochgespielt hat.
Im Gegenteil: Sie hat dämpfend gewirkt und mit dazu beigetragen, die übertriebenen Hoffnungen vom steilen Höhenflug der AV auf ein vernünftiges Maß zurückzuführen.
Man sah in Berlin die neusten Entwicklungen der AV-Systeme, die sich des Bildschirms für die Wiedergabe bedienen. Gleichzeitig erfuhr man aber auch Termine für die Lieferung dieser Geräte:
- VCR nicht vor Frühjahr 1972 in kleinen Stückzahlen,
- Bildplatte und spectra-colorvision nicht vor Frühjahr 1973.
- EVR-Filme in Schwarz-Weiß sollen bis Ende dieses Jahres in größeren Mengen aus der europäischen Kopieranstalt in Großbritannien lieferbar sein; für EVR-Filme mit Farbaufzeichnung konnten noch keine Termine genannt werden. EVR-Farbfilme in kleinen Stückzahlen kommen vorläufig nur aus den USA.
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Die VCR-Recorder kommen aus der Wiener Philips-Fabrik
Farb-Video-Cassetten-Recorder nach dem VCR-System werden zunächst im wesentlichen nur in der Wiener Philips-Fabrik hergestellt. Dort hat man das Stadium der Arbeitsvorbereitung und der Werkzeugherstellung nahezu abgeschlossen, so daß im Herbst mit dem Aufbau der Serienfertigung begonnen werden kann.
Um die Jahreswende erwartet man die ersten Geräte aus der Nullserie und im Frühjahr 1972 dann die ersten Seriengeräte. Nahezu alle namhaften deutschen Firmen haben sich diesem VCR-System angeschlossen.
In Anbetracht des nur sehr langsam anlaufenden Marktes verzichten aber die meisten Firmen vorerst auf eine eigene Produktion - weil sie bei den zu erwartenden kleinen Serien völlig unwirtschaftlich wäre - und beziehen deshalb vernünftigerweise komplette Chassis für den eigenen Einbau oder nur Laufwerke für die im eigenen Haus entwickelte Elektronik.
Der Preis für den farbtüchtigen Video-Cassetten-Recorder wird bei etwa 2.800 DM liegen; eine Kassette mit 520m Videoband für 60 Minuten Spielzeit kostet 140 DM.
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Und wieder die Euphorie mit der Telefunken Bildplatte
In Berlin stellte AEG-Telefunken das System der TED Bildplatte zum ersten Male der Öffentlichkeit vor. Während die ersten Demonstrationen vor einem Jahr sich noch auf die Schwarz-Weiß-Wiedergabe beschränkten, ist die Bildplatte inzwischen für alle internationalen Farbsysteme geeignet. Man hat in der Zwischenzeit alle praktisch in Frage kommenden Farb-Codierungssysteme untersucht.
Bei den auf der Funkausstellung vorgeführten Bildplatten war die Farbinformation mit einem modifizierten Tripal-System aufgezeichnet worden, das heißt, man tastet zeilenweise R,G und B ab und führt die drei Farbinformationen über Laufzeitglieder wieder zusammen. Abspielgeräte für die Schwarz-Weiß-Wiedergabe werden etwa 600 DM, für Farbwiedergabe etwa 1.200 DM kosten.
Anmerkung von Gert Redlich : Das war alles nur ein Alptraum, wie mir ein Entwickler im vertraulichen Gespräch erzählte.
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Der Super-8 Film-Abtaster von Nordmende
Den auf der Stuttgarter Funkausstellung 1969 vorgestellten Abtaster für Super-8-Filme hat Nordmende inzwischen völlig neu konzipiert. Man ist vom intermittierenden Filmtransport mittels Greifersystems abgegangen und hat auf kontinuierlich laufenden Film umgeschaltet.
Der Ausgleich der Filmbewegung erfolgt aber nicht optisch über Spiegel oder Polygonprisma, sondern rein elektronisch, indem das Ablenkfeld der Lichtpunkt-Abtaströhre zusätzlich proportional zum Filmvorschub abgelenkt wird.
Für das jetzt „spectra-colorvision CCS" (colorvision constant speed) genannte System wird nach heutiger Kalkulation ein Preis zwischen 2.600 und 2.800 DM genannt.
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Es war der Anfang der AV-Euphorie mit 50dB Dämpfung
Die Internationale Funkausstellung Berlin 1971 ist die erste große öffentliche Veranstaltung gewesen, auf der man Gelegenheit hatte, die für die Zukunft wichtigsten AV-Systeme nebeneinander zu sehen. Sie hat erfreulicherweise mit dazu beigetragen, die überschäumenden Wogen der AV-Euphorie zu dämpfen. Nicht um 60dB, denn das wäre völlige Unterdrückung, also Stillstand; aber eben doch um die in der Überschrift genannten 50dB. Und das scheint im Augenblick ein realistischer Wert zu sein.
Wann die anzustrebenden 0 dB erreichbar oder greifbar nahe sein werden, das zeigen die nächsten vier oder fünf Jahre.
W. Roth
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LEITARTIKEL aus FERNSEH- UND KINO-TECHNIK Nr. 12/1971
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Professor Dr. Fritz Schröter 85 Jahre - eine Laudatio
Am 28. Dezember 1971 vollendet Professor Dr. phil. Dr.-Ing. E. h. Fritz Schröter das 85. Lebensjahr. In einem oft als biblisch bezeichneten Alter fühlt er sich mit Herz und Seele der Wissenschaft gleichermaßen wie der Technik verbunden.
Ebenso wie vor Jahrzehnten, ist er auch heute immer noch der Typ des von der Idee besessenen Forschers, dessen Gedankengänge oftmals der Zeit und ihrer technischen Möglichkeiten weit vorauseilen. Niemals vergißt er darüber aber die Erfordernisse der Gegenwart.
Kommerzielle Direktive seines rastlosen Forscherdranges ist, nicht nur Märkte zu erforschen, sondern auch neue Märkte zu schaffen. Als einer der maßgebenden Pioniere des Fernsehens ist der Name "Fritz Schröter" in aller Welt bekannt geworden.
Vor etwa 45 Jahren schon sind es seine grundlegenden Arbeiten gewesen, die mitgeholfen haben, die Idee Fernsehen technisch zu realisieren. Seine Tätigkeit bei Telefunken, bei der er 1923 als Direktor der Technischen Abteilungen unter Graf Arco eintrat, bot ihm die Möglichkeit, die damals bei der Entwicklung der Bildtelegraphie gesammelten Erkenntnisse weiter fortzuführen.
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Das Zeilensprung-Patent
Schon 1926 hatte Schröter erkannt, daß die drahtlose Übertragung von Fernsehbildern nur im Ultrakurzwellenbereich möglich ist. Zwei Jahre später bereits beschäftigte er sich mit der Katodenstrahlröhre als trägheitslosem elektrooptischem Wandler für die Wiedergabe von Fernsehbildern, und wiederum nur zwei Jahre später erhielt er das grundlegende Patent für das Zeilensprungverfahren.
Aufbauend auf die Arbeiten des russischen Amerianers Zworykin, entstand unter seiner Leitung das Superikonoskop, das wegen der zehnmal höheren Empfindlichkeit gegenüber dem Ikonoskop der elektronischen Fernsehkamera neue Möglichkeiten bot.
Professor Schröter ist es auch wesentlich zu verdanken, daß man sich in der Fernsehentwicklung zunehmend wissenschaftlicher Methodik bediente. Schon damals hat er den gesamten Übertragungsvorgang von der Aufnahme des Bildes bis zur Wiedergabe auf der Bildröhre als System behandelt.
Anmerkng :
Die Tätigkeiten während der NS-Zeit wird ausgeblendet,
Die Zeit (oder er) war einfach nicht da. Schröter war bei Telefunken ganz ganz oben im Topmanagement und Telefunken baute das Würzbug Radargerät. Eduard Rhein erzählt von seiner "Einberufung" zu Telefunken in Schröters Büro, derer er sich nicht entziehen konnte. Die Alliierten haben das nach Kriegsende im April 1945 bei Schröter nicht durchgehen lassen und ihm Arbeistverbot bis etwa 1950 auferlegt. Diese Zeit musste er unfreiwillig in Frankeich "verbringen".
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Auch heute noch beschäftigt sich Professor Schröter als Wissenschaftlicher Mitarbeiter bei AEG-Telefunken mit Fragen der Technik von morgen. Im Oktober dieses Jahres konnten wir einen seiner in die Zukunft weisenden Beiträge in dieser Zeitschrift veröffentlichen.
Er behandelte darin Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Fernsehbildes unter Ausnutzung der hohen Autokorrelation normaler Bildfolgen mit Hilfe der Sichtspeicherung zur Nachbildung der Überblendungswirkungen und beschrieb dazu geeignete, nach dem Bildwandlerprinzip arbeitende Röhren sowie Möglichkeiten der Verflechtung von Teilrastern. Wenngleich die Realisierung dieser Ideen heute noch nicht in greifbare Nähe gerückt ist, so werden die Schröterschen Gedankengänge doch für viele Forscher und Entwickler Anlaß sein, sich zumindest gedanklich damit zu beschäftigen.
„Ich habe es immer als Pflicht empfunden, gute Kräfte heranzubilden und über hundert geschult" - das hat Professor Schröter vor einigen Jahren mit Stolz erklärt. Wer mit ihm als Kollege, Mitarbeiter oder Schüler zusammengearbeitet hat, ist stets fasziniert gewesen von seinem minuziösen Gedächtnis und der Klarheit seiner Formulierungen.
Wissenschaftfer und Ingenieure in aller Welt gedenken am 28. Dezember 1971 in Ehrfurcht und Verehrung des Mannes, der über die Fernsehtechnik hinaus auch auf vielen anderen Gebieten mitgeholfen hat, wissenschaftlich fundiertes Wissen zur Grundlage zukünftiger Techniken zu machen.
Möge es Professor Fritz Schröter vergönnt sein, in diesem Sinne für uns alle noch viele Jahre bei bester Gesundheit tätig zu sein.
W. Roth
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