Filmgeschichte(n) und Filmchronik(en) - Von 0 bis 1957
überarbeitet, korrigiert und kommentiert von Gert Redlich im Juli 2016 - Hier findenSie die bislang umfangreichste und detailierteste Historie der weltweiten Entwicklung des Films, der Filmwirtschaft (und des Kinos). Der Deutsch-Engländer Heinrich Fraenkel (geb. 1897) war hautnah dabei gewesen und beschreibt 1956/57 zwei weltweite Epochen des Films : Es beginnt mit -- Teil I -- "Von der Laterna Magica bis zum Tonfilm" und geht weiter mit -- Teil II -- "Vom Tonfilm bis zum Farbfilm"
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Teil II - KAPITEL 02
"DAS JAHR 1"
Vom Nutzen des Schwergewichts und von der Stämmigkeit der Ufa / Vom Reiz der Neuheit / Von kostspieligen Patentprozessen und von begrabenen Kriegsbeilen / Von den Groschen der Arbeitslosen und von klug investierten Millionen / Von der Großzügigkeit des Herrn Klitzsch / Von einer Rolle, die Jannings niemals spielen durfte / Von über Nacht errungenem Weltruhm / Von einem generaldirektorialen Krach mit Happy-End / Vom Trinkgeld eines Dichters / Von amerikanischem Kleingeld und von der Unnahbarkeit der Dollarmillionen
Die Umstellung auf Tonfilm und Deutschland und der Welt
Nicht alle Fragen lassen sich mit einem glatten Ja oder Nein beantworten, und manche durchaus „richtige" Bemerkung ist deshalb noch keineswegs „einwandfrei".
Es war zweifellos richtig zu behaupten, daß die technischen und finanziellen Probleme des Tonfilms erstaunlich schnell gemeistert wurden, und man könnte sogar hinzufügen, daß die Umstellung mehr oder minder in Jahresfrist vollzogen wurde; aber fast einwandfrei richtig wäre die Behauptung nur für die USA, in denen in der Tat schon im Jahre 1930 die Umstellung fast vollendet war.
Die UFA war in Deutschland eine (positive) Ausnahme
Auch in England ging es ziemlich schnell, und bei der UFA ging es sogar erstaunlich schnell; aber das war nicht nur für Deutschland, sondern so ziemlich für das ganze europäische Festland eine Ausnahme.
Unter den 223 deutschen Filmtheatern, die schon im Dezember 1929 Tonfilmapparatur besaßen, befanden sich fast alle UFA-Theater; aber ein Jahr später waren erst 1.864 deutsche Kinotheater tonfilmfertig, und im Dezember 1931 waren es erst 2.320.
Ende 1932 konnte man zwar mit 3820 deutschen Tonfilmtheatern die Umstellung als ziemlich abgeschlossen betrachten, aber es gab auch dann noch etwa 1.200 kleine Kinos, in denen nur Stummfilme vorgeführt werden konnten.
Über die Bedeutung der UFA in 1932
Die Ausnahmestellung der UFA war von filmhistorischer Bedeutung, weil sie in jener Übergangszeit durch ihre bloße Existenz und ihr eigenes Schwergewicht die deutsche Filmproduktion vor der Vernichtung und die deutschen Kinotheater vor völliger Überfremdung an die Amerikaner gerettet hat.
Eine filmgeschichtliche Leistung, die um so rühmenswerter ist, weil sie unter besonders schwierigen Umständen erfolgte, denn die UFA hatte ja erst kurz vorher eine schwierige Finanzkrise durchgemacht, und die Übernahme durch den Hugenberg-Konzem stellte die UFA nicht nur vor finanzielle, sondern auch vor organisatorische Probleme großen Ausmaßes.
Der neue Herr bei der UFA - Ludwig Klitzsch
Die neuen Herren saßen erst ein oder zwei Jahre im Sattel, als sie vor der neuen Hürde standen, die ihnen der Tonfilm hinstellte. Es war sogar eine ganze Serie von Hürden und fast noch unübersehbareren Hindernissen, aber glücklicherweise war der neue Herr im Hause nicht leicht aus der Ruhe zu bringen.
Wenn man ihn reden hörte, dann hielt man ihn für einen gemütlichen Sachsen. Das war zwar Ludwig Klitzsch, aber er konnte auch sehr ungemütlich werden, wenn er nicht seinen Willen bekam, und er wußte meistens sehr genau, was er wollte.
„König Ludwig" war seit Jahrzehnten der tüchtigste Organisator im Hugenberg-Konzern, und er hatte sich auch im Film schon in der Frühzeit seine Sporen verdient, als er lange vor der UFA-Gründung die "Deulig" aus der Taufe hob.
Er war bei der UFA der "neue Besen"
Der neue Besen hatte gut gekehrt; denn es war in der Verwaltung und vor allem in der Finanzierung der UFA mancherlei aufzuräumen und zu bereinigen. Der neue Mann straffte die Verwaltung, sparte und rationalisierte.
Aber er war kein Pfennigfuchser; er wußte, daß die UFA es sich jetzt wieder leisten konnte (und leisten mußte), ihren Anspruch auf Weltgeltung anzumelden.
Klitzsch war ein kluger Manager
Er wußte, daß man nicht knausern durfte, wenn man auf den Weltmärkten den Konkurrenzkampf mit Hollywood aufnehmen wollte; er wußte auch, daß zu solchem Zweck das Beste und Teuerste gerade gut genug ist, und er war sogar klug genug, um zu wissen, daß das Beste und das Teuerste nicht immer identisch zu sein brauchen.
Was er noch nicht wußte, war, daß er sehr bald vor einem ganz neuen und viel schwierigeren Problem stehen würde: vor der völligen Umstellung auf den Tonfilm.
Klitzsch wollte sich direkt in Hollywood kundig machen
Ludwig Klitzsch dampfte abermals nach Amerika, um sich die neue Bescherung an Ort und Stelle anzusehen (und anzuhören), und befahl prompt die sofortige Einstellung der Aufnahmen des Films "Melodie des Herzens"; und da dieser zur Herstellungsgruppe des gerade erst heimgekehrten Erich Pommer gehörte, war es einer der größten der für das Jahr 1929 geplanten „Großfilme", und Pommer befand sich mit dem gesamten Aufnahmestab schon seit Wochen bei den Außenaufnahmen in der ungarischen Pußta, als das Kabel des Chefs eintraf.
Nun galt es, das Beste draus zu machen
Glücklicherweise brauchte man nicht alles wegzuwerfen, was von diesem teuren Film schon abgedreht war. Man behalf sich, so gut es ging, mit Nachaufnahmen und Synchronisationen.
Man mußte jetzt eben die Schweine quieken und die edlen Pußtahengste wiehern hören; das Czardasgetrampel mußte ebenso hörbar werden wie das Peitschengeknall, die Zigeunergeigen mußten schluchzen, und Willy Fritsch und Dita Parlo mußten ein paar Dialogsätze sprechen.
Die ersten Tonfilme waren keine Wunderwerke
Technisch ließ die sensationelle Neuerung noch sehr viel zu wünschen übrig. Es war zunächst nur der Reiz der Neuheit, der die Massen des Publikums anzog, und eben deshalb kam es vor allem darauf an, Zeit zu gewinnen und so schnell wie möglich mit Tonfilmen herauszukommen.
Auch die Gebrüder Warner hatten, nur weil sie der großen Konkurrenz um ein paar Nasenlängen voraus waren, das Rennen gemacht, denn technisch hatten sie eigentlich auf das falsche Pferd gesetzt; sie hatten nämlich die Patente des Vitaphone-Nadeltonverfahrens, nach dem die Tonaufnahme und die Bildaufnahme gesondert erfolgte.
Als man dann ziemlich bald erkannte, daß die Zukunft dem „Lichtton"-Verfahren gehörte, nach welchem der Ton auf den gleichen Streifen wie das Bild aufgenommen wurde, da hatten die Gebrüder Warner ihre eigene Stellung schon hinreichend gesichert, um sich anstandslos „umstellen" zu können.
Mit Vitaphone aufs falsche Pferd gesetzt
Zu den Leidtragenden gehörten die zahlreichen Kinobesitzer, die es so eilig hatten, den Singenden Narren des neuen Warner Stars AI Jolson vorzuführen, daß sie sofort langfristige Mietverträge für die kostspielige Wiedergabeapparatur der Vitaphone abgeschlossen.
Western Electric kontrollierte die Patente für „Movietone"
In Amerika machte inzwischen der Fox-Konzern, zwar etwas später, aber dafür mit dem besseren Pferd, sein eigenes Rennen; denn die Fox hatte sich die wesentlichen Patente des Lichtton-Verfahrens gesichert und besaß auch die amerikanische Lizenz des ursprünglich deutschen Triergon Verfahrens, das mit dem Umweg über die Schweiz an den amerikanischen Konzern gekommen war.
Wesentlich war, daß sich nunmehr der riesige amerikanische Elektro-Konzern Western Electric einschaltete, und daß nach einem kurzen aber heftigen Patentkrieg die gesamte amerikanische Filmindustrie sich auf das jetzt „Movietone" genannte Verfahren der von Western Electric kontrollierten Patente einigte.
Es begann ein Kampf um Patente und Lizenzen
Die entscheidende Rolle in diesem gewaltigen Konglomerat von Patenten und Lizenzen spielte der von Anfang an auf das siegreiche Lichtton-Verfahren eingestellte Fox-Konzern, aber auch die Gebrüder Warner ließen sich wegen ihres voreiligen Flirts mit dem auf die Dauer unzulänglichen Nadeltonverfahren keine grauen Haare wachsen.
Sie waren dank jener bereits berichteten Voreiligkeit finanziell so gut gepolstert, daß sie aus ihrer bescheidenen Stellung im Hintergrund in die allererste Reihe der Großkonzerne aufrückten. Die in der Übergangszeit verdienten Dollarmillionen verwandten sie dazu, sich den früher allmächtigen First National Konzern einzuverleiben.
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Die "Triergon" Patente gehörten jetzt Amerikanern
Was aber hatte es nun mit jenem deutschen Verfahren für eine Bewandtnis, dessen amerikanische Lizenz in der Entwicklung der Dinge eine so wichtige Rolle spielte ?
Es war das "Triergon Verfahren" jener drei unbeirrbaren Erfinder Vogt, Dr. Engl und Masolle. Und wir brauchen uns jetzt nur daran zu erinnern, wie man ihnen im Jahre 1926 in einem Anfall sehr falscher Sparsamkeit das bescheidene Eckchen wegnahm, das man ihnen bei der UFA für ihre Experimente eingeräumt hatte.
Sie gingen dann in die Schweiz, und da ja auch Erfinder ab und zu ein Butterbrot und eine neue Hose brauchen, so verkauften sie schließlich ihr Lebenswerk an ein Schweizer Konsortium für ganze 60.000 Franken.
Das Konsortium dürfte nicht schlecht dabei verdient haben, als ein paar Jahre später die amerikanische Lizenz der Triergon Patente - es waren immerhin etwa 600 - im „Patentkrieg" der Konzerne eine große Rolle spielte.
Auf jeden Fall haben US-Patentanwälte gigantisch verdient
Es muß eine glorreiche Zeit für Patentanwälte gewesen sein, denn die Gesamtheit der bei den jahrelangen Verhandlungen und Prozessen zu berücksichtigenden Patentansprüche wird auf etwa 3.000 geschätzt.
Viele davon waren zwar mehr oder minder unwichtig, aber manche waren um so wichtiger und einige waren unentbehrlich. Immerhin ergaben sich gerade aus dieser komplizierten Vielfalt der technischen und rechtlichen Voraussetzungen nicht nur Prozeßgründe, sondern auch zwingende Gründe zu gegenseitiger Verhandlungsbereitschaft.
Patentprozesse (vor allem in USA) dauern ja meistens sehr lange, aber in dieser Situation wollte keiner der Kontrahenten warten. Sie hatten es alle sehr eilig, mit Tonfilmen herauszukommen.
Die UFA hatte einen Fehler gemacht und war im Zugzwang
Der UFA-Chef befand sich jedenfalls in keiner beneidenswerten Lage, als er sich auf die Heimfahrt begab. Er hatte den Abbruch seines teuersten Stummfilms angeordnet. Er wußte, daß er eigentlich überhaupt keine Stummfilme mehr herstellen durfte, und daß er schleunigst die UFA-Ateliers und sämtliche UFA-Theater auf Tonfilm umstellen mußte.
Er wußte aber auch, daß die UFA für die technische Durchführung dieser Aufgaben vorläufig von den Amerikanern abhängig war, die alle Trümpfe in der Hand hielten und den Western-Electric-Vertreter erklären ließen, seine Firma sei nicht gesonnen, die kostbare Apparatur zu verkaufen, man könne sie nur mietweise beziehen.
Doch da gab es noch ein paar Dänische Patente von Wert
Klitzsch war zu neuen Verhandlungen mit dem unnachgiebigen Western-Electric-Mann nach Paris gefahren; und da hatte er einen europäischen Bundesgenossen gefunden, der ebenso wenig wie er selbst geneigt war, sich in dauernde Abhängigkeit von der amerikanischen Elektroindustrie zu begeben.
Es war der Colonel Bromhead, Chef des sehr kapitalkräftigen und durch eigenen großen Theaterbesitz einflußreichen "Gaumont British" Konzerns. Wie wärs, wenn man sich zusammentäte, um gegen das sonst übermächtige amerikanische Monopol eine Art europäische Einheitsfront zustande zu bringen?
Gab es denn nicht gewisse dänische Patente, mit deren Kontrolle man sich vielleicht von den Amerikanern unabhängig machen könnte? Es gab sie, und die Patente waren verhältnismäßig billig zu haben, nur reichten sie leider technisch nicht ganz aus.
AEG und Siemens hatten die Klangfilm-Gesellschaft gegründet
Aber Klitzsch war nicht der Mann, sich so leicht geschlagen zu geben, und er hielt weiter Umschau in Europa und vor allem im eigenen Lande.
Die AEG und Siemens waren zwar nicht solche Mammutkonzerne wie Western Electric, aber schließlich konnten sie es zumindest an technischer Leistungsfähigkeit mit jeder Weltfirma aufnehmen; auch hatten sie schon, schnell entschlossen, die Klangfilm-Gesellschaft gegründet, die sich mit der Herstellung von Tonfilmapparaturen nach dem Lichtton-System befaßte.
Den Europäern fehlte die Weitsicht der Amerikaner
Leider aber wurde der Patentkrieg in Europa noch viel grimmiger geführt als in Amerika. Während man sich drüben zwar teuer, aber sehr schnell geeinigt und alle gemeinsamen Interessen unter den Riesenhut der Western Electric gebracht hatte, gab es in Europa noch wüste Konzernfehden und Patentprozesse und ein fast unübersehbares und kaum mehr entwirrbares Chaos von widerstreitenden Ansprüchen und Interessen.
Heinrich Brückmann - ein Großindustrieller und Bankmann
Dabei standen die Interessen eigentlich gar nicht im Widerspruch; und daß es viel vernünftiger für alle Interessenten wäre, am gleichen Strang zu ziehen, das hatte Heinrich Brückmann eingesehen: ein Großindustrieller und Bankmann, der sein Geld vorwiegend in der Ölindustrie verdient hatte, und der nun seine internationalen Beziehungen und sein großes Verhandlungsgeschick für den Tonfilm einsetzen wollte, in der Hoffnung, dabei nicht nur Geld, sondern auch Ruhm zu ernten.
Es gab den Vorwurf des Patentdiebstahls
Aber seine energischen Versuche, die für die Kontrolle der maßgeblichen Patente entscheidenden Gruppen an einen Verhandlungstisch zu bringen, scheiterten zunächst daran, daß gerade zwei der wichtigsten Gruppen in besonders scharfer Fehde standen und sich gegenseitig des Patentdiebstahls bezichtigten.
Die eine war eben jenes Schweizer Konsortium, das einige Jahre vorher den notleidenden drei Erfindern ihre Triergon Patente für einen Spottpreis abgekauft und die amerikanische Lizenz an Fox vergeben hatte, die andere war ein holländisches Konsortium, das sich zur Auswertung der Patente von Heinrich Küchenmeister gebildet hatte.
Endlich aber gelang es Brückmann doch, die beiden streitenden Gruppen, Holländer und Schweizer, und noch einige andere, zusammenzubringen; denn sie brauchten ja alle einander; und neues Kapital (das sie auch alle brauchten), war nur aufzutreiben, wenn sie sich einigten.
Die "Tonbild Syndikat A.G." (TOBIS) wurde gegründet
Das taten sie denn schließlich, und so wurde die Tonbild Syndikat A.G. geboren, die bald unter dem Firmenzeichen Tobis den Kinobesuchern mundgerecht gemacht und wohlvertraut wurde.
Ludwig Klitzsch begrüßte den Friedensschluß und die daraus erfolgte Einigung; denn niemand wußte besser als er, daß der amerikanischen Übermacht nur dadurch zu begegnen und die völlige Überfremdung des europäischen Films nur dadurch zu verhüten war, daß in dieser entscheidenden Übergangszeit die Europäer sich genauso vernünftig benahmen, wie es die Amerikaner schon längst getan hatten, als sie alle ihre für die Förderung des Tonfilms wesentlichen technischen und finanziellen Mittel in einen Topf warfen.
Die Gründung der aus so vielen „begrabenen Kriegsbeilen" zusammengeschweißten Tobis - das war schon ein tüchtiger Fortschritt auf dem richtigen Wege.
Es gab noch die Siemens-AEG Tochter, die Klangfilm A.G.
Aber da war ja auch noch die Klangfilm A.G., und gerade für diese Tochter der großen deutschen Elektrokonzerne hatte sich Klitzsch von Anfang an interessiert; denn für den UFA-Chef war es begreiflicherweise in diesem Wirrwarr von internationalen Konsortien und nicht immer sehr seriösen Finanzgruppen am sympathischsten, mit Firmen wie der AEG und Siemens zu verhandeln.
Daß es auch zwischen Tobis und Klangfilm sofort zu Kompetenzkonflikten und Patenprozessen kam, war unvermeidlich. Aber Klitzsch sorgte für schleunigen Friedensschluß, denn er wußte, daß er dann erst für die UFA die ersehnte Unabhängigkeit von Western-Electric sicherstellen konnte. Das war ein Erfolg, den man kaum noch zu erhoffen gewagt hatte, und er kam nicht nur der UFA zugute, sondern der gesamten deutschen Filmindustrie.
Klitzsch hatte für die UFA gut verhandelt
Für die UFA freilich hatte Klitzsch einige sehr bedeutende und später überaus nützliche Sondervorteile herausgehandelt und sie auch redlich dadurch verdient, daß er schon bald nach der Gründung, also im April jenes ereignisreichen Wendejahres 1929, mit der Klangfilm einen großzügigen und langfristigen Abschluß machte.
In jenem frühen Stadium gehörte dazu recht viel Weitblick und Mut sowie die Bereitschaft, sich von einigen seiner eigenen Vorstandskollegen als leichtsinnigen Hasardeur betrachten zu lassen.
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Tobis und Klangfilm einigten sich dann auch
Die ziemlich schleunige Einigung zwischen Tobis und Klangfilm wurde dadurch erleichtert, daß auch diese beiden - nicht anders als so mancher der übrigen Kontrahenten des bitteren Patentkrieges - auf einander angewiesen waren.
Die Tobis brauchte zur Verbesserung der Apparatur eine von den Klangfilm-Ingenieuren entwickelte Verstärkerröhre und die Klangfilm war ebenfalls zum Frieden bereit. Hinfort übernahm die Klangfilm die Herstellung der Apparatur und die Tobis den Vertrieb sowie auch eigene Filmproduktion, die freilich zunächst finanziell noch recht beschränkt war.
Die Liaison der beiden Firmen kam auch dadurch zum Ausdruck, daß man das Aufnahmesystem hinfort „Tobis-Klangfilm" nannte und das Wiedergabeverfahren „Klangfilm-Tobis". So konnten alle Beteiligten zufrieden sein.
Klitzsch konnte mit alldem zufrieden sein
Am zufriedensten konnte Ludwig Klitzsch sein, denn er hatte auf Grund seiner alten Klangfilm-Verträge für die UFA das Sonderrecht erwirkt, die für die Tonausstattung der Ateliers und Theater nötige Apparatur zu kaufen und sich dadurch für alle Zeit von der Tobis unabhängig zu machen.
Sieben oder acht Jahre später sollten sich die alten Klangfilm-Verträge noch einmal als nützlich erweisen, da sie es Goebbels unmöglich machten, nach dem Erwerb der Tobis für das 3.Reich die UFA sozusagen auf dem Patentwege abzuwürgen.
Aber das konnte selbst der weitblickende Klitzsch nicht ahnen, als er Anno 1929 daranging, den Amerikanern des Tempo ihrer Umstellung nachzumachen und dadurch zunächst die UFA und auf längere Sicht die ganze deutsche Filmindustrie vor Überfremdung zu retten.
Die UFA hatte quasi das Monopol zum Gelddrucken
Warum auf längere Sicht ? Nun, eben weil für die kleineren Firmen die Umstellung mehrere Jahre dauerte und nicht einmal Ende 1932 ganz abgeschlossen war.
Aber auch das muß man, historisch gesehen, eigentlich als Glück im Unglück bezeichnen. Denn die UFA, die in den ersten paar Jahren in Deutschland praktisch ein "Tonfilmmonopol" hatte, konnte dadurch trotz allgemeiner Wirtschaftskrise sehr schnell die enormen Kredite zurückbezahlen, die für die Anschaffung der Tonfilmapparatur benötigt wurden.
Und für die Industrie als Ganzes war es ein Glück, daß es bei ihrem gemächlicheren Umstellungstempo möglich war, die zahlreichen noch auf dem Markt befindlichen oder gar erst 1929 in Angriff genommenen Stummfilme voll auszuwerten. Auch das Publikum war dabei keineswegs der Leidtragende, denn gerade unter den allerletzten deutschen Stummfilmen befanden sich einige von hervorragender Qualität, und man hatte die Wahl, entweder diese zu sehen oder in den schon umgestellten UFA-Theatern die zwar nagelneuen aber zumeist noch ziemlich primitiven Tonfilme.
Und das obwohl es eine schwere Wirtschaftskrise gab
Man darf auch, wenn man die Übergangszeit historisch betrachtet, nicht vergessen, daß diese drei oder vier Jahre gerade in eine der schlimmsten Wirtschaftskrisen der Neuzeit fielen.
Die Arbeitslosenziffer in Deutschland stieg von Jahr zu Jahr, und das galt auch, obschon nicht in ganz so schlimmem Ausmaß, für fast alle anderen Länder.
Unter solchen Umständen war das Kinogeschäft ohnehin schwer genug, denn es ist zwar eine oft bestätigte Tatsache, daß gerade in schlimmen Zeiten die Vergnügungsindustrie zu florieren pflegt, eben weil die Leute etwas Ablenkung nötiger brauchen als je.
In jenen Jahren aber hatte ein erheblicher Teil des deutschen Kinopublikums zwar leider gar keinen Mangel an freier Zeit aber einen um so empfindlicheren Mangel an Geld, und sogar an Kleingeld.
Die Kinos mußten die Arbeitslosenkarte akzeptieren
Selbstverständlich mußte auch die Filmindustrie auf diese Zeitumstände Rücksicht nehmen, denn die Kinobesitzer mußten, um nicht allzu leere Häuser zu haben, den leider nur allzu zahlreichen Inhabern der Arbeitslosenkarte ermäßigten Eintrittsplatz bewilligen.
Kein Wunder, daß unter solchen Umständen den vorsichtigen Hausvätern unter den Vorstandskollegen des Herrn Klitzsch angst und bange wurde, wenn sie an die Unsummen dachten, die der Chef für die brandeilige Beschaffung der Tonapparatur ausgab.
Die UFA Theater hatten einen außergewöhnlichen Zulauf
Aber Klitzsch wußte, was er tat, und der Erfolg gab ihm recht. Der außergewöhnliche Zulauf, den fast sämtliche UFA-Theater auf die neuen Tonfilme buchen konnten, brachte eben auch außergewöhnliche Einnahmen, und binnen weniger Jahre, viel schneller als man zu hoffen wagte, war die technische Umstellung von Babelsberg amortisiert.
Und dann wurde Babelsberg auf "Ton" umgebaut
Am 25.April begann der Abbau der Filmbauten, die noch auf dem für die neuen Tonfilmateliers bestimmten Gelände standen. Am l.Mai wurde der erste Spatenstich für die Ausschachtungsarbeiten getan, und da in ununterbrochenen Tag- und Nachtschichten gearbeitet wurde, war der Rohbau am 25. Juni fertig.
Viele Monate dauerte freilich noch die Ausstattung und Einrichtung der vier Ateliers, die in Kreuzform derart angeordnet waren, daß die Aufnahmeapparatur sich in der Mitte befand und jeweils an das Nord- und Südatelier (20 x 30m) oder an das Ost- und Westatelier (18 x 25m) angeschlossen werden konnte.
Die Beleuchtung wurde von der Neubabelsberger Betriebszentrale gespeist, die 25.000 Ampere lieferte; aber da die für den Stummfilm benutzten Kohle- (Lichbogen)-Scheinwerfer nicht geräuschlos brannten, mußte man sich für den Tonfilm auf Glühlampen umstellen.
Der Ton war eine der Sorgen jener Pionierzeit
Die Nebengeräusche gehörten überhaupt zu den Sorgen jener Pionierzeit. Man gewöhnte sich freilich schnell daran, während der Aufnahmen auch das leiseste Räuspern zu vermeiden; und wenn etwa ein Beleuchter es sich einfallen ließ, sein Stullenpaket von der einen in die andere Tasche zu befördern, dann war das deutlich vernehmbare Rascheln des Butterbrotpapiers ein unpassender akustischer Hintergrund für eine elegische Liebesszene.
Auch in Hollywood mußte man (beim Ton) dazulernen
In Hollywood erzählte man sich, daß in einem der allerersten Tonfilme eine ganze Tagesarbeit von sonst vorzüglichen Aufnahmen sich als unbrauchbar erwies, weil es aus einem unerfindlichen Grunde so klang, als ob im Nebenraum ab und zu ein kleiner Kanonenschuß abgefeuert wurde.
Als am nächsten Tage die Szenen nachgedreht wurden, befahl der erboste Regisseur, daß jeder nach Möglichkeit den Atem anhalten sollte. Aber wieder gab es bei der Vorführung die unerklärlichen „Kanonenschüsse".
Endlich fand man des Rätsels Lösung: der Regisseur hatte, wenn er nervös war, die Angewohnheit mit den Fingern zu knacken, und da er während dieser Aufnahmen sehr nervös war und sich in ziemlicher Nähe des Mikrophons befand, so klang das jedesmal wie ein Kanonenschuß. Der Regisseur mußte sich seinen nervösen Tick schleunigst abgewöhnen.
Die neuen Tonfilmateliers der UFA waren mustergültig
Die in jener Pionierzeit so schnell erbauten Tonfilmateliers der UFA waren von einer für die damaligen technischen Begriffe schon recht bemerkenswerten Qualität.
Um die Echowirkungen auszuschalten, die sich in der ersten Zeit als besonders störend erwiesen hatten, wurden die Atelierwände verkleidet und mit Vorhängen ausgestattet; und man hatte auch schon automatische Signalanlagen, um eine lautlose Verständigung zwischen dem Atelier, dem Apparateraum und dem Abhörraum zu ermöglichen.
Auch für eine schalldichte Abschließung der Ateliers von den Büroräumen und den zweiundsiebzig Garderoben war gesorgt, und man hatte sogar schon eine fast moderne Klima-Anlage, die in den hermetisch abgeschlossen Ateliers stündlich zehnmal für Lufterneuerung sorgte.
Die neuen Ateliers wurden Frühjahr 1930 in Betrieb genommen, aber bis dahin waren schon einige Tonfilme unter technisch weniger günstigen Bedingungen in Arbeit, und schon im Dezember dieses ereignisreichen Jahres 1929 kam es zur Premiere von "Melodie des Herzens", jenem so schleunig „auf Ton umgestellten" Sorgenkind.
Das interessanteste (Ton-) Werk - "Die letzte Kompanie"
Aber das interessanteste Werk aus jener Frühzeit des deutschen Tonfilms war "Die letzte Kompanie", von Hermann Kosterlitz nach einem Stoff von Ludwig v. Wohl geschrieben, von Kurt Bernhardt inszeniert, und mit Conrad Veidt und Karin Evans in den Hauptrollen.
In diesem Film wagte man es zum erstenmal, ein ernstes Thema „tonfilmisch" zu gestalten. Bisher hatte man sich mit musikalischem „Klaumauk" begnügt und allenfalls mit dem Hintergrund einer möglichst geräuschvollen Tonkulisse.
Aber hier ging es um einen anspruchsvolleren Stoff. Es galt, den Todeskampf einer preußischen Kompanie in der Schlacht von Jena zu schildern. Zwölf Grenadiere und ihr Hauptmann, die Müllerfamilie und ihre Pflegetochter und des Mädchens Liebe für den todgeweihten Helden - das war der ganze Stoff; und bei aller Primitivität bekam man doch schon einen Hauch der künstlerischen Möglichkeiten zu spüren, die in der Großaufnahme eines menschlichen Gesichts und im Flüstern einer Menschenstimme gegeben sind, immer vorausgesetzt, daß echtes Schicksal in lebendiger Sprache gestaltet und echte Menschendarsteller am Werke sind.
Das Fazit jenes ersten deutschen Tonfilmjahres
Was ist, historisch gesehen, am Fazit jenes ersten deutschen Tonfilmjahres bemerkenswert ? Nichts geringeres als daß sich sofort die Umbewertung oder vielmehr die Neubewertung der Persönlichkeit bemerkbar machte.
Vorbei war die Zeit der nur bildhaft eindrucksvollen Gestalten; man mußte jetzt schon ein ganzer Künstler sein, ein echter Menschendarsteller, man mußte eine ganze „Persönlichkeit" sein, um von der Tonfilmleinwand zu wirken.
Conrad Veidt war in den letzten Stummfilmjahren schon nahe daran, in der ihm aufgezwungenen Schablone des „Dämonischen" zu erstarren. Jetzt, da man ihm die Stimme wiedergegeben hatte, war er der Gefahr entronnen. Er war ja schon ein bedeutender Bühnenkünstler gewesen, bevor man ihn zum Filmstar und Backfischschwarm machte. Jetzt konnte er wieder beweisen, daß er mehr zu geben hatte.
Neues von Willy Fritsch und Gustav Fröhlich und Liane Haid
Von den Stars, die in den letzten Jahren der Stummfilmzeit in die vorderste Reihe gerückt waren, hatten auch Willy Fritsch und Gustav Fröhlich sich gehalten, weil man ihnen Aufgaben stellte, denen sie gewachsen waren: Fritsch in der "Melodie des Herzens" und Fröhlich in einem schnell nach ähnlicher Schablone hergestellten Operettenfilm "Der unsterbliche Lump", dessen geräuschvollen Hintergrund man diesmal nicht in die ungarische Pußta sondern in die Tiroler Berge verlegte.
Auch Liane Haid, die schon vor ihrer Stummfilmkarriere Tänzerin und Soubrette gewesen war, fand damit den Übergang zum leichteren Genre des neuen Mediums, und Fröhlich sollte sich bald auch an anspruchsvolleren Aufgaben echter Menschendarstellung versuchen und sich damit den im Stummfilm errungenen Ruhm bewahren.
Andere ehemalige Stars waren bald vergessen
Andere blieben am Wege und waren bald vergessen, denn das Publikum ist wankelmütig. Von manchen berühmten Stars des Stummfilms hat man sich im zweiten oder dritten Tonfilmjahr kaum noch des Namens erinnert, und Bruno Kastner - der schöne Bruno, der ewig lächelnde Kastner - nahm sich den Absturz vom Ruhmesglanz so zu Herzen, daß er seinem Leben ein Ende machte.
Eine neue Zeit für Charakterdarsteller und Episodenspieler
Dafür begann eine gute Zeit für tüchtige Bühnenkünstler, auch für Charakterdarsteller und Episodenspieler, die im Stummfilm nicht viel zu tun gehabt hatten; und es begann eine sehr gute Zeit für diejenigen Stars des Stummfilms, die, wie etwa Conrad Veidt, Werner Krauß, Heinrich George und Paul Wegener, auch Bühnenkünstler von Format waren.
Eine gute Zeit begann natürlich auch für Emil Jannings, der die letzten zwei Jahre der Stummfilmzeit in Hollywood zugebracht hatte und eben jetzt im Jahre 1929 zur UFA heimgekehrt war.
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Emil Jannings war in Hollywood nicht unglücklich
Nicht als ob Emil sich in Hollywood unglücklich gefühlt hätte. Keineswegs. Denn „Pinkus der Waldspecht", der im Hause Jannings den dort nie unterschätzten Begriff des Geldes symbolisierte, lebte immer noch und er lebte sogar besser als je; denn wenn „Pinkus fröhliche Lieder flötete", (um Emils Lieblingsausdruck zu zitieren), dann flötete er in Dollars.
Die Tagesgage von 1.000 Mark, die Jannings vor der Abreise bezogen hatte, waren, ins Amerikanische übersetzt, noch keine 2.000 Dollar die Woche. In der letzten Zeit war Emils Wochenscheck mehr als doppelt so groß gewesen, und davon konnte man schon eine ganze Menge sparen, selbst wenn man in einer schönen Villa in Beverly Hills lebte, den ganzen Berliner Haushalt nebst Köchin und treuem Diener König mit hatte und sich alljährlich den jeweilig neuesten Mercedes von daheim nachschicken ließ.
In Hollywood gabs ja die „deutschen Kolonie"
Jannings fühlte sich sehr wohl in Hollywood, und da er in der ziemlich großen „deutschen Kolonie" viele gute Freunde hatte, so hatte er auch nie Grund, sich zu langweilen. Nur Englisch lernte Emil nicht.
Wozu die Anstrengung, da doch Frau Gussy sowohl wie Tochter Ruth die Landessprache fließend beherrschten, und die meisten Gäste des Hauses, auch die dort gern gesehenen Schweden wie Mauritz Stiller und Greta Garbo, ohnehin Deutsch sprachen.
Auch die Zeitungen brauchte Emil nicht selbst zu lesen, da jeden Morgen punkt sieben der treue Sekretär Henius erschien, um die wichtigsten Nachrichten aus der „Los Angeles Times" und dem „Examiner" auszuschneiden, sauber auf große Bogen zu kleben und die deutsche Übersetzung daneben zu schreiben.
Diese Zeitungslektüre war bequem beim Frühstück erledigt, obgleich die wichtigsten Nachrichten - also jede den Schauspieler Jannings betreffende Notiz - viel Raum einnahmen.
Wäre Jannings in Hollywood geblieben ?
Es ist heute nur noch eine akademische Frage, ob Emil Jannings, wenn er Englisch gelernt hätte, in Hollywood geblieben wäre; vermutlich wäre er früher oder später ohnehin heimgekommen, denn er hatte immer ein wenig Heimweh, und vor allem reizte es ihn, sich in seiner eigenen Sprache im Tonfilm zu versuchen.
Er war von der Kunst der Filmschauspielerei leidenschaftlich besessen, aber immer hatte ihm die Sprache gefehlt, um sich vor der Kamera richtig ausleben zu können.
Nur deshalb hatte er ab und zu Theatergastspiele gegeben, aber er ging nicht allzu gern auf die Bühne, es war ihm zu anstrengend, sich allabendlich in die gleiche Rolle hineinsteigern zu müssen. Jetzt endlich durfte er auch im Film sprechen, und nie hatte er sich auf eine Rolle so gefreut wie auf seine erste Tonfilmrolle.
Die UFA bereitete Emil Jannings einen großen Empfang
Die UFA hatte dem heimgekehrten Weltstar einen großen Empfang bereitet, so fürstlich wie es einem Emil Jannings zukam. Großer Presseempfang schon in Bremerhaven, Sonderzug nach Berlin, noch größerer Presseempfang im Adlon.
Alles was gut und teuer war. Die UFA hatte auch mit der Gage für Emils ersten Tonfilm nicht geknausert. 300.000 Mark, das war die größte Gage, die man in Europa je für eine Rolle bezahlt hatte. Für Emils amerikanische Begriffe und in die Sprache von Hollywood übersetzt, war es zwar nur ein Dutzend Wochenschecks, aber für die UFA war es keine Kleinigkeit.
Die neue UFA - mehr bieten als die paar Operettenfilme
Trotzdem war Ludwig Klitzsch recht froh über diesen Vertrag. Er wußte sehr genau, daß die UFA, um auf dem Weltmarkt konkurrenzfähig zu bleiben, etwas mehr bieten mußte als die paar Operettenfilme, mit denen man in die Tonfilmepoche gegangen war.
Er hatte erst auf der letzten Amerikareise mit den dortigen Chefs ein ernstes Wörtchen über dieses Thema gewechselt, und die hatten ihm kühl lächelnd gesagt: ja, wenn die UFA mit Tonfilmen aufwarten könnte, die auf einen erstklassigen Weltstar gestellt seien und von einem erstklassigen Regisseur unter einem Produzenten von Weltformat inszeniert, dann ließe sich darüber reden, dann würden vielleicht auch die prunkvollen New Yorker Kinopaläste wieder einmal das UFA-Zeichen in ihrer feenhaften Lichtreklame blicken lassen, dann könnte man eventuell ins Geschäft kommen, ebenso wie in jener Blütezeit der UFA, als Mr. Eric Pommer "The Last Laugh" und andere erstklassige Janningsfilme herstellte.
Inzwischen hatte man Pommer und Jannings - jetzt auch Sternberg
„Das letzte Lachen" - so sagte sich Herr Klitzsch - nun, das war ja der amerikanische Titel für den von Friedrich Wilhelm Murneu inszenierten Janningsfilm "Der letzte Mann"; und der Mister Eric Pommer war ja immer noch Herr Erich Pommer, den man gerade wieder zur UFA zurückgeholt hatte; und den Weltstar Emil Jannings hatte man ja nun auch wieder zurückgeholt.
An einem „erstklassigen" Regisseur sollte es also nicht fehlen. Murnau war freilich noch drüben in Hollywood, oder vielmehr auf irgendwelchen Südsee-Inseln, tief verstrickt in seinen Tabu-Film.
Die entscheidende Anregung kam dann von der anspruchsvollen amerikanischen Kundschaft selbst: Joseph v. Sternberg zu nehmen, einen „erstklassigen" Mann der Paramount, der schon einen großen Jannings-Film inszeniert hatte.
Ein schwieriges Problem würde die Stoff- oder Themen-Frage
Blieb die Stoff-Frage, die bei so groß angelegten Filmen eines Weltstars meistens ein schwieriges Problem ist. Aber diesmal gab es darüber gar keine Debatte.
Selbstverständlich „Rasputin", denn das war ein Stoff, den Emil sich schon seit Jahren gewünscht hatte. Es wäre seine Lieblingsrolle geworden, aber er ist nie dazu gekommen, sie zu spielen.
Es wurde zwar viele Wochen lang an Drehbuchentwürfen gearbeitet, aber dann ergaben sich die bei diesem Stoff üblichen Schwierigkeiten. Das juristische Büro hatte ernste Bedenken, und wie berechtigt sie waren, ergab sich viele Jahre später, als MGM - ohne Jannings - einen Rasputinfilm machte und Fürst Jussupoff, der damals noch lebende Mörder Rasputins, das Verbot des Films durchsetzte und überdies noch 100.000 Dollar einklagte; ganz zu schweigen von den Gerichtskosten des durch sämtliche Instanzen geschleppten Beleidigungsprozesses.
Ein erstaunlicher Einfall, „Professor Unrat"
Da stand man also wieder vor der leidigen Stoffwahl, aber diesmal hatte man in der dramaturgischen Abteilung der UFA den rettenden Einfall; und wer immer etwa beim Übergang der UFA an Hugenberg gefürchtet hatte, der größte deutsche Filmkonzern würde nunmehr im politischen Kielwasser des Scherlverlags und der Deutschnationalen Partei schwimmen, mußte über die Stoffwahl für den neuen Janningsfilm freudig überrascht sein und ehrlich zugeben, daß es ein erstaunlicher Einfall war, „Professor Unrat".
Die grimmige Persiflage des verknöcherten deutschen „Paukers"
Das war doch Heinrich Manns Jugendroman, im Erscheinungsjahr (1905) wegen seiner schneidend satirischen Schärfe abgelehnt und erst nach dem Weltkrieg zu literarischem Ruhm gekommen.
„Professor Unrat", das war die grimmige Persiflage des verknöcherten deutschen „Paukers", dessen Weltbild von syntaktischen Regeln und der tyrannischen Disziplin einer Schulklasse bestimmt wurde; das war die Geschichte des sturen und machthungrigen Pedanten, der einer Tingeltangel-Chansonette hörig wird und sie heiratet, um seine scheinheilige Umwelt zu brüskieren und zu korrumpieren.
Jannings war begeistert von dieser Aufgabe, und sowohl Pommer wie Sternberg sahen sofort die großen filmischen, nein, die tonfilmischen Möglichkeiten und holten sich für die Bearbeitung den Ästheten Carl Vollmöller, den handfesten Dramatiker Karl Zuckmayer und den routinierten Drehbuchtechniker Robert Liebmann.
Die Zeit hatte sich nach 25 Jahren geändert
Natürlich mußte der Stoff „gemildert" werden. Für die grimmige Zeitsatire war kein Raum, und auch der Professor mußte etwas „sympathischer" werden; den Hauptakzent mußte man auf das Motiv der Hörigkeit legen, denn so etwas konnte ja Emil musterhaft spielen. Blieb die Besetzungsfrage für die Tingeltangel - Chansonette.
Die weibliche Hauptrolle besetzen . . .
Heinrich Mann hätte die Rolle gern mit der ihm lange befreundeten Trude Hesterberg besetzt gesehen, Emil dachte an Lucie Mannheim. Beides waren durchaus annehmbare Besetzungsvorschläge, aber Sternberg entschied sich schließlich für eine noch nie in einer tragenden Rolle herausgestellte Schauspielerin, die er zufällig in einem Berliner Kabarett gesehen hatte.
Sie hatte schon seit Jahren Episodenrollen auf der Bühne gespielt, hatte ab und zu eine kleine Filmrolle, und „tingelte" ziemlich häufig in den besseren literarischen Kabaretts. Ihr Mann war ein in der Filmindustrie seit Jahren renommierter Aufnahmeleiter, und die beiden saßen fast jeden Abend im Klub „Bühne und Film", allgemein beliebt und mit niemandem verfeindet.
Marlene Dietrichs einmalige Chance
Jedermann in der „Branche" oder „beim Bau" kannte Marlene Dietrich, aber niemand war je auf die Idee gekommen, ihr die „große Chance" zu bieten. Dazu mußte erst Joe Sternberg vom Hollywood Boulevard zum Kurfürstendamm kommen.
Es ist schon mancher Weltruhm durch eine einzige „große Chance" begründet worden, aber noch nie hat sich das so märchenhaft schnell und überzeugend abgespielt wie im Falle Marlene Dietrichs.
Sie wurde buchstäblich über Nacht weltberühmt, und schon am Tage nach der Premiere sprach man - sehr zu Unrecht gegen Emils hervorragende Leistung - nicht (mehr) von dem Janningsfilm "Der blaue Engel", sondern von dem Dietrichfilm; und überall hörte man das Chanson „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt. . .", das Friedrich Hollaender für Marlene geschrieben hatte.
Die Premiere war ein rauschender Erfolg
Aber noch am Vormittag gab es eine Verstimmung im UFA-Haus. Man erzählte sich, einige Aufsichtsratsmitglieder und sogar einige Herrn des Vorstands hätten bis kurz vor der Premiere angenommen, daß es sich bei dem Autor des Stoffes um Thomas Mann handelte, nicht aber um den ihnen politisch sehr viel unsympathischeren Bruder Heinrich; und angeblich soll es, als der Irrtum sich herumsprach, erregte Kontroversen darüber gegeben haben, daß man sich vom politischen Gegner ein Kuckucksei ins eigene Nest habe legen lassen.
Die Kritik im „Berliner Lokalanzeiger"
Wie immer dem sein mag - der Film war ja schließlich im Gegensatz zu seinem Autor und dessen Roman durchaus unpolitisch - am Morgen des Premierentages erschien im „Berliner Lokalanzeiger" (also dem Hauptorgan des Scherlverlags im Hugenbergkonzern) ein Leitartikel des führenden politischen Redakteurs Friedrich Hussong; und zwar in dem Sinne, daß man die UFA dazu beglückwünschen dürfe, dem Werke eines notorisch vaterlandsfeindlichen Autors seine zersetzende Schärfe genommen zu haben.
Woraufhin es noch mehr Zoff gab
Pommer ging schon in früher Morgenstunde zu Klitzsch und verlangte, daß der Leitartikler sich in der Abendausgabe, also immerhin noch vor der Galapremiere des Films, bei Heinrich Mann in aller Form entschuldige.
Klitzsch versuchte Pommer zu beruhigen und erklärte schließlich ziemlich kühl, er wäre zwar auch im Scherlverlag Generaldirektor, aber er müsse es grundsätzlich ablehnen, die Leitartikel seiner Redakteure zu beeinflussen.
Worauf Pommer stracks zu Theodor Wolff in die Redaktion des „Berliner Tageblatt" (also zur Medialen Konkurrenz jener Tage) fuhr, um eine geharnischte Erklärung in die Abendausgabe zu bringen, eine Ehrenerklärung für Heinrich Mann, und eine scharfe Polemik gegen die im „Berliner Lokalanzeiger" geäußerten Ansichten.
Ein großes Lob vom UFA-Chef unter vier Augen
Als Erich Pommer sich auf seinen Platz in der Direktionsloge setzte, begegnete er begreiflicherweise kühlen Blicken. Er hatte aber ohnehin hinter der Bühne zu tun und erst nach dem rauschenden Premierenerfolg machte er sich auf den Rückweg in die Loge, um Hut und Mantel zu holen. Aber schon auf dem Wege begegnete er Ludwig Klitzsch, der gerade durch die Bühnentür gekommen war, um Pommer „abzufangen".
„Ich wollte Sie einen Moment allein sprechen," sagte der UFA-Chef, „ich hoffe natürlich trotz allem, Sie heute abend noch in meinem Hause zu sehen. Aber da ist große Gesellschaft, und es werden nur die üblichen Phrasen gedroschen werden. Jetzt, unter vier Augen, möchte ich Ihnen sagen, daß der Film ein Meisterwerk ist."
Die beiden Männer schüttelten sich die Hand, und Pommer (der fest entschlossen gewesen war, abzusagen), erschien nun doch zur Premierenfeier im Hause Klitzsch.
Eine Randepisode, die sich da buchstäblich „hinter den Kulissen" abspielte, aber da sie beiden Männern Ehre macht, und da beider Namen mit der Filmgeschichte für alle Zeiten verbunden bleiben, sei die kleine Episode vorm Vergessenwerden bewahrt.
Der Romanautor Heinrich Mann wurde ebenfalls geehrt
Auch Heinrich Mann konnte zufrieden sein, denn er durfte sich nicht nur an dem Welterfolg erfreuen, der seiner Romanverfilmung beschieden war, sondern er wurde auch am Tage nach der Premiere durch einen besonders freundlichen Brief des UFA-Vorstandes geehrt; und dieser Brief enthielt nicht nur freundliche Worte, er hatte auch eine „Anlage" in Gestalt eines Schecks über 10.000 Mark.
Daß ein für die Verfilmungsrechte seines Werkes schon angemessen bezahlter
Autor nach der Premiere noch ein so freundliches „Trinkgeld" bekommt, gehört immerhin zu den Seltenheiten, aber schließlich ist ja ein Erfolg wie "Der blaue Engel" auch kein alltägliches Ereignis.
Und der finanzielle Erfolg im Ausland ?
Bleibt die Frage, ob sich die finanziellen Hoffnungen erfüllt haben, die den UFA-Chef dazu bewogen, so großzügig auf die von seinen amerikanischen Geschäftsfreunden gemachten Vorschläge einzugehen. Haben sich also die in die „Weltmarkt"-Chancen des Films investierten Riesenhonorare gelohnt?
Sie haben sich gelohnt, denn der riesige Erfolg dieses Films brachte der UFA natürlich nicht nur großen Prestigegewinn, sondern auch finanziellen Erfolg in ganz Europa.
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Wo aber blieb der redlich verdiente Dollarsegen?
Er blieb aus. Genauer gesagt, er hielt sich in sehr bescheidenen Grenzen.
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Die US Filmkonzerne wollten gar keine europäischen Filme promoten
Nicht etwa, als ob der Film nie über einen amerikanischen Vorführungsapparat gelaufen wäre: ich war selbst bei seiner ersten Vorführung in Hollywood zugegen, und da war nicht nur die gesamte „Deutsche Kolonie", da waren auch sämtliche amerikanische Produktionschefs, da war die Elite der in Hollywood versammelten Regisseure, Schauspieler und Filmtechniker aus aller Welt.
Sie konnten von diesem Film gar nicht genug bekommen, und das galt auch für ein paar andere Spitzenfilme der späteren deutschen Tonfilmproduktion. Sie sahen sich das immer wieder an und gaben gern zu, viel davon gelernt zu haben.
Warum aber hat die Paramount sich damit begnügt, schleunigst Marlene Dietrich zu engagieren? Warum hat weder dieser noch ein anderer amerikanischer Großkonzern den Film selbst übernommen und so wie einen ihrer eigenen Großfilme ausgewertet?
Das ist eine nicht nur für die europäische Handelspolitik sondern auch für die Filmgeschichte wichtige Frage, und die Antwort ist leider die, daß die amerikanischen Großkonzerne sich von jeher dagegen gesträubt haben, einen europäischen Film gebührend auszuwerten.
Die Amerikaner hätten groß einsteigen müssen
Die Voraussetzung wäre, daß der Film zunächst einmal in einem der großen Kinopaläste von New York, Chicago und Los Angeles - also an den Schlüsselpunkten im Osten, im Mittelwesten und im Westen - mit entsprechend großer Propaganda herausgebracht wird und dann durch die Hunderte von sehr großen, großen und mittleren Theatern geschleust wird, die zu dem betreffenden Konzern gehören.
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Auch der "Blaue Engel" lief nur in "Spezialtheatern"
Auch dem "Blauen Engel" war das nicht beschieden. Auch da mußte die UFA sich mit dem Prestigegewinn begnügen und mit den verhältnismäßig bescheidenen Einnahmen aus den Vorführungen in gewissen großstädtischen Spezialtheatern für „literarische" Filme.
Da solche Theater sich fast ausschließlich an ein künstlerisch anspruchsvolles und zumeist sprachenkundiges Publikum wenden, können dort europäische Filme in der Originalfassung, allenfalls mit einkopierten Titeln vorgeführt werden.
Eine sehr unzulängliche Behelfslösung, und da wären wir also wieder bei jenem Grundproblem, das der Filmindustrie schon vor der Umstellung so viele Sorgen machte: dem Problem der "Entinternationalisierung", die in mehr oder minder hohem Maße unvermeidlich war, als die stummen Schatten an der Wand zu sprechen begannen.