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1972 - Ein Blick in die Arbeit der Regisseure - Heft 7

März 2025 - Duch Zufall sind wir auf dieses Heftchen aufmerksam geworden. Denn nach dem Drehbuch haben die Regisseure den meisten Einfluß auf den Erfolg eines Films, ob im Fernsehen oder im Kino. Der Regisseur baut sich in seinem Kopf "seinen" Film zusammen, wählt Schauspieler, Kameramann (oder -Frau), Requisiten und Drehorte aus - und wenn die Kosten klar sind, legt er los. Bislang liegt uns nur das Heft 7 einer kleinen Serie von Biografien vor. Die anderen Hefte suchen wir noch.

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Regisseur-Biographie "Roger Vadim"

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Zur Biographie:

Roger Vadim wird am 26. Januar 1928 in Paris geboren. Sein Vater ist Russe und Diplomat (Vizekonsul), seine Mutter Französin. Sein voller Name ist Roger Vadim Plemmianikov. Sein Vater stirbt früh mit 35, die Mutter heiratet wieder.

Bei Kriegsausbruch leitet Sie ein Hotel nahe der Schweizer Grenze.

Anmerkung : Das paßt aber nicht, den nachdiesem Daten wäre er erst 12 Jahre alt gewesen.

Vadim fühlt sich in den Bergen zu Hause. Er wird ein ausgezeichneter Skifahrer und kennt die ganze Gegend. Er nutzt diese Kenntnis, um mehrere Male Flüchtlinge vor den deutschen Truppen in Sicherheit zu bringen (sorry, das war der Stiefvater). Am Ende des Krieges ist Roger siebzehn.

Er geht in Paris zur Schule und begegnet dem Kino. Lieber als seine Schulkurse sind ihm die dunklen Säle, wo sich Western seiner besonderen Vorliebe erfreuen. Wiederholt wechselt er die Schulen, seine Universitätszeit endet frühzeitig. Die Legende schreibt ihm Studien am Institut für politische Wissenschaften zu. Fest steht, daß er eine Schauspielerschule besucht und in einigen Stücken auftritt.

Im goldenen Zeitalter von Saint-Ger-main-des-Pres begegnet er Boris Vian und Alexandre Astruc. Zahllose Nächte verbringen sie dort und entdecken alle Sorten der Trunkenheit. Aber man muß auch leben; Vadim fängt als Journalist beim Paris-Match an. über Marc Allegret, den er seit langem kennt, bekommt er Kontakt zum Film.

Er wird nach und nach Szenarist, Dialogschreiber, endlich Regieassistent. Dabei begegnet er die 16 jährige Brigitte Bardot, heiratet sie mit 18 und erhebt sie in seinem ersten Film ET DIEU CREA LA FEMME zum Symbol. Er selbst eignet sich mit diesem Film über ein Mädchen, „totalement libre dans son comporte-ment sexuel", den Ruf als Libertinist an. Freilich ist er mit diesem Film auch einer der Wegbereiter der Nouvelle Vague.
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Weitere Filme

Nach der Scheidung von Brigitte Bardot lernt Vadim Annette Stroyberg kennen und stellt sie in LES LIAISONS DANGEREUSES und ET MOURIR DE PLAISIR heraus. LES LIAISONS DANGEREUSES ist seine erste Klassiker-Adaption. Es folgen weitere Literaturverfilmungen nach Vorlagen von sehr Unterschiedlichem Niveau. Vadims bevorzugte Hauptdarstellerin in seinen jüngsten Filmen wurde Jane Fonda, seine dritte Ehefrau. (*1)
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Filmographie:

Als Regieassistent von Marc Allegret:

1947 BLANCHE FURY (Unruhiges Blut)
1949 MARIA CHAPDELAINE (Das träumende Herz)
1951 LA DEMOISELLE ET SON REVENANT
1953 JULIETTA (Julietta)
1954 FEMMINA
1955 FUTURES VEDETTES (Reif auf junge Blüten)
1956 EN EFFEUILLANT LA MARGUERITE (Das Gänseblümchen wird entblättert)

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Als Szenarist:

1948 BLACKMAILED (Verbrechen ohne Schuld); Regie: Marc Allegret
1952 LE GOUFFRE DE LA PIERRE SAINT-MARTIN Kurzfilm
1955 CETTE SACREE GAMINE (Pariser Luft); Regie: Michel Boisrond
  Ballettinszenierung:
1957 LE RENDEZ-VOUS MANQUE von Francoise Sagan

Regie

1956 ET DIEU CREA LA FEMME (Und immer lockt das Weib)
1957 SAIT-ON JAMAIS (Spuren in die Vergangenheit)
1958 LES BIJOUTIERS DU CLAIR DE LUNE (In ihren Augen ist immer Nacht)
1959 LES LIAISONS DANGEREUSES (Gefährliche Liebschaften)
1960 ET MOURIR DE PLAISIR (Und vor Lust zu sterben)
1961 LA BRIDE SUR LE COU (In Freiheit dressiert); Co-Regie mit Jean Aurel
  LES SEPT PECHES CAPITAUX (Die sieben Todsünden)
  Episode L'ORGUEIL (Der Hochmut)
1962 LE REPOS DE GUERRIER (Das Ruhekissen)
  LE VICE ET LA VERTU (Laster und Tugend)
1963 UN CHATEAU EN SUEDE (Ein Schloß in Schweden)
1964 LA RONDE (Der Reigen)
1966 LA CUREE (Die Beute)
1967 BARBARELLA (Barbarella)
  HISTOIRES EXTRAORDINAIRES
  Episode METZENGERSTEIN

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Bedeutung:

Vadims erster Film ET DIEU CREA LA FEMME war in Frankreich ein guter, im Ausland, insbesondere in den USA, sogar ein hervorragender kommerzieller Erfolg. Selten wurde gleichzeitig ein junger Regisseur nach seinem ersten Films so von der Kritik gelobt.

„Unser einziger moderner Cineast", schrieben u. a. die „Cahiers du cinema" und „Vadim endlich hat das neue Kino erschaffen." Jacques Rivette sagte 1957 über ET DIEU CREA LA FEMME: „Ich habe dieses Jahr nur einen einzigen lebendigen französischen Film gesehen, das war der Film von Vadim." (*2)

Jean-Luc Godard äußerte später einmal: „Vadim kam genau im richtigen Augenblick." Doch dieser positiven Aufnahme durch Kritik und Publikum standen von Anfang an heftige Angriffe der Zensur sowie der bürgerlichen und konservativen Presse gegenüber, der sich später auch linksgerichtete Publikationen anschlossen. Heute haben sich auch viele derer, die Vadim anfänglich feierten, gegen ihn gekehrt.

Die „Cahiers du cinema" im Jahre 1967: „Vadim, Roger, gefährliche Person, die mit dem letzten Schund, den sie hervorgebracht hat (gemeint ist LA CUREE und BARBARELLA), die Träume eines guten Teiles der Bevölkerung dieses Landes nährt. Ohne Zweifel viel gefährlicher, als er auf den ersten Blick erscheinen könnte." (*3)

Pierre Billard sagte über Vadims Kritiker schon 1963: „Man vergibt Vadim nicht, daß er so sehr recht gehabt hat, indem er seinen ersten Filmen jene nonchalante Eleganz gab, jene Unbefangenheit im Dialog und in der Moral, jene amoralische Sinnlichkeit, all das, was drei Jahre später den Ton in der
Nouvelle Vague bestimmte. Noch weniger hat man Vadim seinen Erfolg vergeben. Als er verfemt wurde, hat man ihn bewundert, als er erfolgreich war, wurde er verachtet." (*4)

Es scheint also notwendig zu sein, sich mit Vadim etwas näher zu befassen.
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Arbeitsbedingungen:

Zunächst muß festgehalten werden, daß Vadim, wie Roger Tailleur einmal schrieb, der ihn mit Regisseuren wie Welles, Bergman, Fellini, Antonioni oder Visconti in einem Zug nennt, seine „Revolution innerhalb der strengen Begrenzungen der traditionellen Produktionsmaschinerie vollzog" oder, wie ein anderer Autor es ausdrückte, „sich erlaubte, mit Millionenbeträgen ein Werk ohne Konzessionen zu realisieren". (*5)

Roger Vadim drehte seinen ersten Film zu einer Zeit, da die französische Filmproduktion neuen und jungen Regisseuren eher feindlich gegenüberstand. Die „jungen" Talente der Mittfünfziger waren Hossein, Boisrond, Camus oder Boissol, alles Leute, die schon eine lange Laufbahn als Regieassistenten hinter sich hatten und der Tradition französischen Filmschaffens verpflichtet waren.

Keiner von ihnen repräsentierte zudem die Generation der Zwanzig- bis Dreißigjährigen. Der Erfolg, der Vadim gleich mit seinem ersten Film zufiel, trug nicht wenig dazu bei, das Vertrauen der Produzenten in die junge Generation zu stärken, risikofreudiger zu werden, und jungen Regisseuren eine Chance und freie Hand zu gewähren. Dies kann als ein Punkt gelten, in dem Vadim als Wegbereiter der Nouvelle Vague anzusehen ist.
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Schauspieler:

Vadim ist dafür bekannt, mit Brigitte Bardot ein Symbol geschaffen zu haben, das lange Jahre hindurch nicht nur das internationale Filmgeschäft, sondern auch die Gesellschaft beeinflußt hat. Weniger bekannt dürfte aber sein, daß er in seinen Filmen von Anfang an eine für das französische Kino neue Art der Schauspielerführung praktizierte und eine ganze Reihe von neuen Schauspielern populär machte.

„Vadim hat es verstanden, im französischen Film eine Art der Schauspielerführung einzuführen, die von den Methoden des New Yorker Actors Studio inspiriert ist. (...) Er hat nicht nur buchstäblich B. B. erfunden, sondern auch Schauspieler wie Jean-Louis Trintignant, Christian Marquand und Robert Hossein dem französischen Film gegeben. (...)

Die Schauspieler interpretieren nicht mehr eine Rolle, sie liefern sich ihr aus. Diese Methode führt zu einem gewissen Exhibitionismus (wie bei B. B.), aber auf jeden Fall bedeutet sie Abwendung von der Tradition der theatralischen Komposition von Gesten und Diktion und Wiederfindung einer realistischen Darstellung des Verhaltens.

Bei Vadim sind die Charaktere wahrhaftiger, weil die Schauspieler ihre Persönlichkeit aus sich selbst heraus entwickeln, anstatt sich eine andere, künstliche Persönlichkeit zu schaffen." (*6)

Diese neue Wahrhaftigkeit in Darstellung und Dialog ist ein weiterer Punkt, der später in der Nouvelle Vague zum Tragen kam und von verschiedenen Ansatzpunkten aus weiterentwickelt wurde.
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Die Welt Vadims:

Farbe und Breitwand (Anmerkung : War das bereits Cinemascope??) standen dem französischen Film schon seit längerem als Möglichkeiten bereit. Vadim war es, der ihnen durch seine exzellente Beherrschung beider in Filmen wie ET DIEU CREA LA FEMME, SAIT-ON JAMAIS - formal einer seiner reizvollsten Filme - oder auch LES BIJOUTIERS DU CLAIR DE LUNE zum Durchbruch verhalf.

Abgesehen von dem vermehrter Gebrauch dieser „Möglichkeiten" ist Vadim kein Erneuerer des Films in formaler Hinsicht. „Technisch gesehen ist schon fast alles gemacht worden. Es handelt sich also heute nicht mehr darum, die Kameras zu bewegen, sondern die Schauspieler zu inspirieren." (Vadim) (*7) Wenn auch kein Erneuerer, so ist Vadim doch ein perfekter Meister im Umgang mit der Kamera. Sein Interesse jedoch gilt der Verwirklichung seiner persönlichen Welt in seinen Filmen.
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Themen:

Vadim hat gelegentlich betont, daß er in seinen Filmen immer wieder auf ihm Vertrautes zurückgreife. Dies mag sich in erster Linie auf die Dialoge, die in ihrem Ansatz natürlich sind, und auf die Verhaltensweisen seiner Personen beziehen, die immer wieder in Konflikten mit den heutigen gesellschaftlichen Normen, oder aber - gewissermaßen als utopische Ergänzung dazu - außerhalb dieser Gesellschaft ihre individuellen Glücksvorstellungen zu verwirklichen suchen.

Ein kurzer Blick auf die Reihe der Autoren der Romanvorlagen zu Vadims Filmen kann genügen: Choderlos de Laclos, de Sade, Sagan, Rochefort, - Libertinage, gestern und heute. Bei Vadim liegt die Betonung in den Themen auf der Gegenwart. Historische Vorlagen transponiert er meist in unsere Zeit, so etwa in LES LIAISONS DANGEREUSES oder in LE VICE ET LA VERTU.

Während er den Roman von Choderlos de Laclos in ein gesellschaftskritisches Zeitbild der französischen Gegenwartsgesellschaft umdeutet, stehen bei dem, von der Kritik in Deutschland als anti-deutsche Vergangenheitsbewältigung völlig mißverstandenen, Film LE VICE ET LA VERTU persönliche Leidenschaften im Vordergrund. Dieser Film, neben SAIT-ON JAMAIS und ET MOURIR DE PLAISIR, einer von Vadims besten, kann vorzüglich dazu dienen, die Welt Vadims zu verdeutlichen:

Individuen, in deren Leben Erotik ein bestimmender Faktor ist, auf einem stilisierten Hintergrund (der leidenschaftliche Schachspieler Vadim durchzog den Schwarz-weiß-Film auf eine schon monomanische Art mit dem Schachbrettdekor), Wechselspiel zwischen individuellen Gefühlen und Dekor, eines das andere bedingend und erzeugend. Ein Aspekt, unter dem Vadim Visconti vergleichbar ist.

Vadim selbst äußerte sich einmal in einem Interview zu den beiden Begriffen Gesellschaft und Erotik, deren Behandlung für sein Werk bestimmend ist. Beides Punkte, die immer wieder die Kritiker der verschiedensten Richtungen gegen ihn aufbrachten.
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Gesellschaft:

„Ich bin ein Mann der Linken, ich glaube, daß ich diese Definition für mich akzeptieren kann, wie vague sie auch sein mag. Diese vague Definition entspricht genügend meiner Position. Meine politische Überzeugung findet sich ohne Zweifel sehr wenig in meinen Filmen, es sei denn in einer respektlosen oder auch grausamen Zeichnung eines Teiles der bürgerlichen Gesellschaft, wie auch in einer sympathisierenden Beschreibung meiner liebenden Hauptgestalten.

Diese kämpfen nicht gegen eine traditionelle Moral, sondern, was nach meiner Auffassung stärker ist, leben, indem sie die christliche Moral völlig vergessen, ignorieren oder gar nicht kennen. Ich plädiere nicht für eine Substitution der Moral, sondern versuche aus meinen Hauptgestalten alle Bezüge zur traditionellen Moral zu tilgen.

Nur unter diesem Blickpunkt geben meine Filme meine gesellschaftliche Position wieder. Abgesehen davon habe ich keine Konzeption, die präzis genug wäre, um versucht zu sein, sie zu vermitteln oder gar durch meine Filme zu propagieren. Außerdem bin ich ein entschiedener Gegner von allem, was an Propaganda erinnert."
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Erotik:

„Ich interessiere mich sehr für die Erotik. Ich finde Liebe in all ihren Formen sehr schön, und ich finde, daß die Liebe in dem dummen, langweiligen und wirren Leben, das man uns zwingt zu führen, eine der seltenen möglichen Freuden bleibt.

Weiterhin glaube ich, daß die Erotik den solidesten und kaum anzweifelbaren Kern der Liebe bildet. Wenn ich von der Oberfläche der Spannung ausgehe, die zwischen zwei Menschen besteht, um ihre Psyche zu erforschen, bin ich näher an wahrhaftigen Gefühlen, als wenn ich den umgekehrten Weg gehe, wie es in der Regel in der klassischen Psychologie geschieht.

Ich leugne nicht Liebe oder Gefühle, aber ich leugne, daß die Liebe, so wie sie den Leuten in der Moral, in der Literatur vorgeführt wird, eine natürliche und notwendige Art der Beziehungen zwischen Männern und Frauen ist.

Ich glaube, daß die traditionelle Konzeption der Liebe ganz und gar ein Produkt unserer abendländischen und christlichen Kultur ist, daß sie aber nicht wirklicher Bestandteil unserer menschlichen Natur ist wie etwa die Furcht, der Hunger, der Durst, die Hoffnung, das Verlangen." (*4)
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Vadim und die Zensur:

Vadims Einstellungen brachten ihn konsequenterweise häufig in Konflikte mit der Zensur. Er selbst dazu: „Nun, die Zensur hat schließlich, nicht ohne Schwierigkeiten, die Szene des Hochzeitsmahles in ET DIEU CREA LA FEMME akzeptiert, aber sie würde nie eine Szene akzeptieren, die mit jener Gewalt gegen die soziale Ordnung ist, wie es jene Sequenz in bezug auf die moralische war.

Man braucht bloß daran zu denken, daß LE REPOS DU GUERRIER auf persönliches Verlangen des Premierministers geschnitten werden mußte. Es handelte sich um folgenden Dialog zwischen Renaud und Genevieve: ,Du weißt ja, daß man in Hiroshima die Atomverseuchten in ein hermetisch gepanzertes Blockhaus gesteckt hat und daß man sie durch eine Röhre mit Nahrung versorgt hat. Kommst du mit mir in mein Blockhaus?' Es schien, daß dieser Satz die Amerikaner und Japaner hätte irritieren können. Da zeigte sich also z. B. ein Gebiet, über das man in Frankreich wirklich nichts sagen kann." (*4)

Zensurproblem 1959:

Louis Marcorelles schrieb zum Zensurproblem 1959: „Die sogenannte (neue) Welle der Unmoral, die zur Zeit über die Leinwand geht, steht zur Zeit unter Feuer aus allen Richtungen. Ein so bedeutender Schriftsteller wie Francoise Mauriac schreibt in der einflußreichen linksgerichteten Zeitschrift ,L'Express':

,Mein Innerstes revoltiert gegen diese Welt der Chabrols und Vadims.,J' (Gemeint ist u.a. Vadims LES LIAISONS DANGEREUSES) (...) Marcorelles fährt fort: „Unter der Behauptung, die öffentliche Ordnung sei bedroht, traten die Autoritäten am Premierenabend des Films LES LIAISONS DANGEREUSES in Aktion. Das geladene Publikum - Rene Clair, Audrey Hepburn, Mel Ferrer usw. - mußte draußen vor dem Kino warten, während die außergewöhnlichste je versammelte Zensorentruppe das Streitobjekt besichtigte. Unter den Zensoren: M. Frey, Informationsminister, der den Film schließlich freigab, M. Soustelle, Minister für Nordafrika, M. Michelet, Justizminister, und M. Couve de Murville, Außenminister. (...)

Nach der Freigabe griff ein Teil der Presse den Film heftig an, besonders das gaullistische Wochenblatt ,Carrefour', das seine Meinung in Tönen verbreitete, die an die Moralkampagnen des Vichy-Regimes erinnerten. (...)

In der Provinz gab es weitere Schwierigkeiten, die konservativen Städte Tours und Rouen verboten den Film. Schließlich wurde, um das Gesicht gegenüber den Moralisten zu wahren, der Export des Films verboten. Gleichzeitig wurde die allgemeine Jugendfreigabegrenze von 16 auf 18 Jahre erhöht." (*8)
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Erzählweise:

Die erwähnte Behandlung von Personen und Dekor bedingt die Erzählweise Vadims, auch sie ein Punkt, der von der Nouvelle Vague aufgegriffen und weiterentwickelt wurde.

Vadim: „(...) Ich habe die Charaktere (ET DIEU CREA LA FEMME) nicht durch den Dialog ,erklären' wollen, weil ich das unehrlich finde. Man darf überhaupt nie die Charaktere sich selbst erklären noch sich gegenseitig werten lassen. Sie sind da, sie existieren einfach. Es ist die Sache des Publikums ihnen zuzuschauen, sie zu verstehen und sich für sie zu interessieren oder es auch nicht zu tun.

In meiner Arbeit bemühe ich mich nicht, Geschichten zu erzählen. Ich mag das nämlich nicht. Ich möchte ausschließlich Bilder von Personen entwerfen, die kleinen Details dabei so reich und so wahrhaftig wie möglich ausmalen. Ich bevorzuge Sujets, die einfach und linear verlaufen, und die einen nicht verpflichten, sich mit einer Geschichte abzugeben. Ich möchte nicht Türen aufstoßen und wieder schließen. Mich interessiert es, zu zeigen, wie sich ein Mensch unter bestimmten Umständen verhält.

Ein Film, in dem alle Aktionen zu einem festen Punkt hinführen müssen, weil es die dramatische Konstruktion so verlangt, ein Film also, in dem etwas demonstriert wird, ist vollkommen uninteressant. Ich bevorzuge auch deswegen die einfachen Geschichten, weil in gewissen durch die Konvention bestimmten Situationen der Gegensatz zwischen den Verhaltensweisen der Personen und dem, was sie sagen und tun wollen, sich am besten ausdrücken kann.
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Keine Zeit für Erklärungen

Ich hoffe, daß manche Zuschauer ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich ein Sujet behandele, wie ich von einer Szene zur anderen wechsele, ohne auf ,Auftritte' und ,Abgänge' zu achten, ohne eine Verkettung zu verwenden, die eine Szene im Ablauf nach der anderen erklärt. Ich hasse es, meine Zeit mit Erklären zu verbringen.

Ich höre mitten in einer Szene auf, um in einer anderen, sechs Monate späteren, die Konsequenz dessen wieder aufzugreifen, was eine Person gesagt oder getan hat, ohne jede andere Verbindung. Das ist nicht eine Frage des Erzähltempos, sondern des Stils. Genausogut kann ich in einer Szene verweilen und sie für den Geschmack des Publikums sogar fast zu langsam drehen. Denn manchmal ist diese Verlangsamung des Tempos für das Verständnis der Personen notwendig." (*7)
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Vadim über seine Filme:

1962 sagte Vadim über seine Arbeit: „In der Karriere eines Regisseurs gibt es Filme, die er macht, weil es sein Metier ist und persönliche Filme. Es wäre unmenschlich, immer nur Filme zu machen, die zutiefst aus einem selbst kommen.

Ich z. B. zähle nur vier meiner Filme zu den wirklich persönlichen: ET DIEU CREA LA FEMME, SAIT-ON JAMAIS, ET MOURIR DE PLAISIR, LE REPOS DU GUERRIER.

Im wesentlichen habe ich mich wenig verändert. Wie vor sechs Jahren interessiere ich mich für die Beziehungen zwischen Mann und Frau, für ihre speziellen Ausdrucksweisen. ET DIEU CREA LA FEMME, das war die Welt eines jungen Mädchens, SAIT-ON JAMAIS, die Welt der jungen Männer, LE REPOS DU DUERRIER, die Welt eines Paares.

Wie vor sechs Jahren interessiere ich mich sehr für psychologische Analysen (der Verhaltensweisen, nicht der Zustände der Seele). Wie vor sechs Jahren halte ich nichts vom Realismus in den Bildern: ich muß zwar moderne Menschen in einem modernen Kontext verwenden, aber ich muß das Ganze durch eine lyrische oder romantische Behandlung transponieren, stilisieren." (*4)

Zum Schluß möchte ich Godard zitieren. Das Zitat ist von 1957, gilt aber meiner Meinung nach noch heute: „Zum Schluß bleibt noch für die, die immer noch nicht vom Talent Vadims überzeugt sind, das, was ich den Beweis durch die Photographie nennen möchte. Ich habe oft bemerkt, daß französische Kameraleute - im Gegensatz zu italienischen und amerikanischen, die immer auf ihrem persönlichen Niveau bleiben - sich in der Zusammenarbeit mit guten Regisseuren brillant entwickeln, unter anderer Regie aber enttäuschen. Armand Thirad widerlegt diese Regel nicht. Die Bilder von ET DIEU CREA LA FEMME und SAIT-ON JAMAIS sind unvergleichlich besser als alles, was Clouzot mit demselben Thirad fotografiert hat." (*2)
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Literaturverzeichnis:

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Maurice Frydland, Roger Vadim, Paris 1963

(1) Hartmut Engmann, Roger Vadim, Dokumentation zu LE VICE ET LA VERTU, Arbeitsgemeinschaft für Filmfragen an der Universität zu Köln
(2) L'Avant-Scene, Nr. 20, 15. November 1962
(3) Cahiers du Cinema, Nr. 187, Februar 1967
(4) Cinema 63, Nr. 72, Januar 1963
(5) Roger Tailleur, Et Vadim crea le cinema nouveau, Presence du Cema, Nr. 1, Juni 1959
(6) Jacques Siclier, Nouvelle Vague?, Collection 7e Art, Paris 1961
(7) Pierre Lherminier, L'Art du Cinema, Paris 1960
(8) Sight and Sound, Winter 1959-1960, Vol. 29, Nr. 1

geschrieben von Bodo Fründt, März 1970
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