1972 - Ein Blick in die Arbeit der Regisseure - Heft 7
März 2025 - Duch Zufall sind wir auf dieses Heftchen aufmerksam geworden. Denn nach dem Drehbuch haben die Regisseure den meisten Einfluß auf den Erfolg eines Films, ob im Fernsehen oder im Kino. Der Regisseur baut sich in seinem Kopf "seinen" Film zusammen, wählt Schauspieler, Kameramann (oder -Frau), Requisiten und Drehorte aus - und wenn die Kosten klar sind, legt er los. Bislang liegt uns nur das Heft 7 einer kleinen Serie von Biografien vor. Die anderen Hefte suchen wir noch.
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Regisseur-Biographie "Hans Rolf Strobel"
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Biographie: Hans Rolf Strobel
Hans Rolf Strobel wurde am 23. 4. 1929 in Falkenstein im Vogtland geboren. 1947 machte er sein Abitur an der Wirtschaftsoberschule in Plauen. Anschließend war er im „Kulturbund" tätig, sowie in der Ost-CDU.
Im Januar 1948 kam Strobel nach München. Er arbeitete als Feuilletonredakteur bei einer Wochenzeitung und als Filmkritiker für den „Bayerischen Rundfunk" und die „Abendzeitung". Er war Herausgeber einer „Korrespondenz für Filmkunst". Weitere Tätigkeiten als Assistent bei Spielfilmen und Drehbuchmitarbeit.
1954 wurde Strobel Mitarbeiter bei der „Münchener Abendschau" des Fernsehens und begann zusammen mit Bodo Blüthner Fernsehfilme herzustellen. Seit 1956 ist Strobel zusammen mit Heinrich Tichawsky tätig als Autor, Regisseur und Produzent von Fernseh- und Kinofilmen.
In verschiedenen Artikeln, u. a. in der Zeitschrift FILM nahm Strobel zur Situation des jungen deutschen Films Stellung. Sein besonderes Interesse galt dabei immer der Filmförderung und den Verleih- und Produktionsbedingungen.
1967 gehörte er zusammen mit Alexander Kluge und Edgar Reitz zu den Initiatoren des „Mannheimer Manifestes" gegen das Filmförderungsgesetz in seiner bestehenden Form.
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Biographie: Heinrich Tichawsky
Da der größte Teil der Filme Strobels in Zusammenarbeit mit Heinrich Tichawsky entstand, hier eine Kurzbiographie Tichawskys: HEINRICH TICHAWSKY, geb. 31.5.1924 in Teschen, Abitur 1942 in Teschen, im Krieg Bordfunker, nach Gefangenschaft Studium der Pharmazie, Leitung eines Studentenkinos an der Universität München. Ab 1954 Produktion von Kurzfilmen (Buch, Regie, Kamera, Schnitt) und von Filmreportagen und Dokumentarfilmen für das Fernsehen, „Münchener Abendschau".
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Filmografie:
1954 | LOPAR (Jugoslawien), Fernsehfilm zusammen mit Bodo Blüthner. |
1955 | EIN TAG IN WEISSENBURG, Fernsehfilm zusammen mit Blüthner. |
BIER FÜR PARIS, Fernsehfilm zusammen mit Blüthner. | |
(Von hier an alle Filme in Zusammenarbeit mit Heinrich Tichawsky.) | |
1956 | DIE ABENTEUERLICHE REISE DES GIOVANNI FARINA, Fernsehfilm. |
1957 | ALBEROBELLO, Kurzfilm. |
DER GROSSE TAG DES GIOVANNI FARINA, Kurzfilm. | |
1959 | STOCKHOLM OHNE BEISPIEL, Fernsehfilm. |
ORFF-SCHULWERK, Kurzfilm. | |
DEN SCHLÜSSEL UM DEN HALS, Kurzfilm. | |
1960 | IVAN HELLBERG, BAGGERFÜHRER IN KIRUNA, Kurzfilm. |
1961 | NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL, Kurzfilm. |
VIA MARGUTTA, Fernsehfilm. | |
PROTOKOLL AUF RHEIN-MAIN, Fernsehfilm. | |
HOCHZEIT AUF ISCIIIA, Fernsehfilm. | |
1962 | PONTE VECCHIO, Kurzfilm. |
LA SCAMPAGNATA, Kurzfilm. | |
DIE ZUKUNFT WIRD SCHON VERBAUT, Fernsehfilm. | |
NOTABENE MEZZOGIORNO, langer Dokumentarfilm. | |
1964 | ZUM BEISPIEL INGOLSTADT, Kurzfilm. |
1966 | ZWISCHEN BOOM UND KRISE - NORDITALIEN, Kurzfilm. |
SIENA, langer Dokumentarfilm | |
1967 | DIE WUNDER VON MAILAND, langer Dokumentarfilm. |
BAUEN FÜR MORGEN, Fernsehfilm. | |
MUSIKPRODUKTION I, Fernsehfilm. | |
MÄDCHEN VON MAILAND, Fernsehfilm. | |
1968 | ABITURIENTINNEN, Fernsehfilm. |
EINE EHE, Spielfilm. | |
(EINE EHE, Fernsehfilm, 30 Minuten gekürzt) | |
In Arbeit: EINE LIEBE, Spielfilm. |
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Bedeutung:
Ein Kennzeichen des sogenannten „Jungen Deutschen Films" zu Beginn der 19sechziger Jahre, das auch auf Strobel und Tichawsky zutraf, war zweifellos, daß eine große Anzahl seiner Regisseure keineswegs zur jungen, sondern eher zur mittleren Generation zu zählen war. Die Mehrzahl dieser Regisseure und Produzenten, die dann 1962 mit dem Slogan „Der alte Film ist tot. Wir glauben an den neuen" sich selbst zu den Erneueren ernannten, kam aus dem Kurzfilmbereich: Alexander Kluge, Haro Senft, Edgar Reitz, Peter, Ulrich und Thomas Schamoni, Hans-Jürgen Pohland, Walter Krüttner, Rob Houwer, Herbert Vesely, Franz-Josef Spieker und eben auch Hans Rolf Strobel und Heinrich Tichawsky.
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Der „Junge Deutsche Film" .....
Der „Junge Deutsche Film", weniger noch als NOUVELLE VAGUE oder FREE CINEMA, bot durchaus kein homogenes Bild. Nach Intentionen, Arbeitshinweisen und Stilen verschiedene Gruppierungen und Einzelgänger fanden sich damals auf den Kurzfilmfestivals in Oberhausen und Mannheim zusammen, um in einigen Punkten gemeinsame Sache zu machen:
Frontstellung gegen herkömmliche Produktionen und Produktionsbedingungen, Zugang zu neuen Finanzierungsmöglichkeiten für die eigene Arbeit und die neuer Talente, kritischere und gegenwartsbezogenere Filme. Die Rangfolge dieser Punkte wurde von den einzelnen nicht immer gleich bewertet und heute bereits unterscheiden sich einige Arbeiten derselben Leute, die damals protestierten, nur noch unwesentlich von dem gegen das man damals zu Felde zog.
Strobel und Tichawsky nun gehörten zu denen, die in ihren Kurzfilmen schon lange das übliche Schema der erbaulichen Kulturfilme durch kritischere und engagiertere Betrachtungsweisen ersetzten. Durch ihre Arbeiten für das Fernsehen bot sich ihnen ein zusätzliches Betätigungsfeld für sozial engagierte Dokumentationen.
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Eine dezidiert empiristisch- soziologische Sehweise
Eine Sehweise, die durch die „Filmkritik" lange vertreten wurde, nämlich eine dezidiert empiristisch- soziologische, fand im zunehmendem Maß Eingang in ihre Arbeiten. Der Kommentar der Filme reichte desto mehr bis fast an die Bösartigkeit, um so weniger die vorgefundenen Tatbestände den als wünschenswert erachteten Vorstellungen der Autoren entsprachen. Verwandt sind ihnen in diesem Punkt Kurzfilme wie BEAT - MADE IN GERMANY (Hilgert) oder ES MUSS EIN STÜCK VON HITLER SEIN (Krüttner).
Bekanntestes Beispiel von Strobel/Tichawsky dürfte NOTIZEN AUS DEM ALTMÜHLTAL sein, in dem sie nach eigenen Worten „anhand der harten Tatsachen die heiligen Begriffe Fortschritt, Tradition, Patriotismus und Volkskunst richtigstellen" wollten.
Mit unterschiedlicher Intonation und Zielrichtung wurde ihnen von verschiedenen Seiten stark Subjektivität der Perspektive und heftiges soziales Engagement bescheinigt, wobei die einen Kritiker dies als wünschenswert, die anderen es als verzerrend empfanden.
Unabhängig von der Qualität der einzelnen Arbeiten dürfte die Bedeutung von Strobel/Tichawsky in dem Versuch liegen, der Soziologie entlehnte Methoden für den Kurz- und später auch den Spielfilm zu entwickeln.
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Intentionen:
Zu ihren eigenen Intentionen haben sich sowohl Strobel als auch Tichawsky wiederholt programmatisch geäußert.
„Der erste (Spiel)film wird technisch und in der Betrachtungsweise kontinuierlich unsere Arbeit weiterführen. Die drei projektierten Spielfilme beschäftigen sich mit Menschen, die sich mit unserer Geselltschaft auseinandersetzen und einen Weg in eine bessere Zukunft suchen. Die Trilogie soll die geistige und moralische Situation unserer Gesellschaft dokumentieren und die Diskussion über die notwendigen Veränderungen unserer gesellschaftlichen Verhältnisse provozieren" (1966).
Strobel hatte Schwierigkeiten mit den Verleihern bei seinem ersten Spielfilm und sagte damals: „Wem die Qualität des deutschen Films wichtig ist, für den muß es so unerheblich sein, wie es ist, ob ein neuer deutscher Film seine Premiere im Fernsehen hat oder im Kino .... . Wir machen Filme um zu wirken, um zu informieren und zu agitieren. Man wird uns nicht abhalten können, unser Publikum zu erreichen" (1968).
Strobel stellte EINE EHE mit Hilfe des WDR fertig und brachte eine längere Fassung im eigenen Verleih heraus.
Strobel 1968: „Einsichten und Erkenntnisse sind dem Zuschauer Nutzen und Belohnung für die beim Ansehen geleistete Arbeit, die wir von ihm verlangen" und im Drehbuch zu EINE LIEBE heißt es: „Dem Zuschauer wird keine Geschichte erzählt, sondern er wird in die Lage versetzt, eine Geschichte kritisch zu erleben."
Diese Äußerungen dokumentieren nur eine Art von Filmverständnis, nämlich eines, das den Film in letzter Konsequenz zum Vehikel für begriffliche Thesen werden läßt, mit deren Brauchbarkeit und Qualität der Film auch sofort fällt oder steigt, und bei dem sinnliche Erfahrung und Erlebnis, und das heißt hier nicht zuletzt Optisches, - denn auch aus sinnlich Erfahrenem lassen sich ebenso wie aus Begrifflichem Erkenntnisse ableiten -, in den Hintergrund tritt oder nicht von Interesse ist.
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Arbeitsweise: Drehbücher .....
Strobel bevorzugt eine improvisierte Arbeitsmethode, er arbeitet langsam und der Zeitaufwand ist oft groß. Ein Drehbuch, das alle Details genau fixiert betrachtet Strobel höchstens als Mittel, um einem Produzenten Kalkulation und Finanzierung eines Films zu erlauben oder um Drehbuchprämien zu erlangen. Im übrigen stellt es für ihn eine „lästige Fleißarbeit" dar.
Genaue Fixierung von Details vor Beginn der Dreharbeiten empfindet er eher als „stark belastende Fessel" für den Fall, daß man gezwungen ist, sich an das Drehbuch zu halten. Er selbst zieht es deshalb vor, seine Drehbücher mit „größtmöglicher Undeutlichkeit" zu schreiben.
Im übrigen ist er der Meinung, daß Drehbücher, Arbeitsmanuskripte, Entwürfe und ähnliches grundsätzlich sehr verschieden aussehen müssen, der jeweiligen Arbeitstechnik des jeweiligen Regisseurs entsprechend.
„Ein gutes Drehbuch war dann ein gutes Drehbuch, wenn ein guter Film daraus geworden ist" (Strobel).
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Schauspieler
Strobel verwendet selten Schauspieler. In EINE EHE agieren außer Heidi Stroh nur Laien. Der Inhalt der Szenen war den Darstellern vorgegeben, den Rest erfanden sie selbst. Die Aufnahmen wurden oft wiederholt. Die Texte wurden von den Tonbändern dieser Aufnahmen geschrieben und der endgültige Text hergestellt. Der Film wurde dann nachsychronisiert. Dabei nahm man keine Rücksicht auf Lippensynchronität, sondern suchte jeweils nach den am besten erscheinenden Bildfassungen.
Geplant war EINE EHE als Spielfilm mit dokumentarischen Teilen, so sollten Befragungen von geschiedenen Frauen über die Scheidungsursachen, Befragungen von Abiturientinnen über Glücksvorstellungen und Befragungen beim Münchner Fasching über eheliche Treue eingeschoben werden.
Doch das Konzept wurde während der Dreharbeiten verändert. Die Befragung der Abiturientinnen wurde zu einem eigenen Film. ABITURIENTINNEN und auch ein Film über Scheidungsursachen ist in Arbeit. Für ihren nächsten Spielfilm jedoch EINE LIEBE haben Strobel und Tichawsky bereits wieder ein ähnliches Konzept angekündigt: Diesmal sollen Teile einer tatsächlichen Begebenheit von Schauspielern nachgespielt werden und an der Begebenheit Beteiligte dazu interviewt werden .
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Literaturhinweise:
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FILMKRITIK 12/1968, S. 825 ff.
FILM 12/1968 vollständiges Protokoll von EINE EHE.
FILM 10/1969 Interview mit Strobel.
FILM 9/1968 Kolumne von Strobel.
geschrieben von Bodo Fründt im Mai 1970
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