Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.
In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.
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Der Serienschreiber
Das war ja gut und schön mit der Filmerei, aber wie schwerfällig war das Ganze! Wie lange dauerte es, bis so eine Produktion in Gang gesetzt war! Wieviel Holzköpfe trieben sich in dieser Branche herum und redeten einen unglaublichen Stuß zusammen!
Ich hingegen meinte, alles über die Filmerei zu wissen, sprühte vor Ideen und hätte am liebsten selbst einen Film nicht nur geschrieben und inszeniert, sondern auch produziert, verliehen und, bitteschön, auch noch selbst vorgeführt!
Jedenfalls waren die Träume meiner Jugend schneller verblichen, als ich das je für möglich gehalten hätte, und ich konzentrierte mich nach diesen drei Drehbucharbeiten voll aufs Schreiben. Zumal der Name in der Branche nun langsam bekannt wurde und ich das Herumreisen und Anbieten nicht mehr nötig hatte.
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Eines Sonntagmorgens ein gewisser Karl-Eduard von Schnitzler
So rief mich eines Sonntagmorgens der gewisse Karl-Eduard von Schnitzler an, ob ich interessiert wäre, mit Wolfgang Kohlhaase, dem Drehbuchautor eines zur gleichen Zeit produzierten Halbstarkenfilms »Berlin - Ecke Schönhauser Allee«, vor den Mikrofonen des Deutschlandsenders in Adlershof über das Thema zu diskutieren. Cornelia Herstatts Kölner Vetter war zwar damals schon ein »Schandmaul«, aber noch nicht das Schandmaul des nach dem Mauerbau erst berüchtigt werdenden »Schwarzen Kanals« im Ost-Fernsehen.
Reine Neugierde trieb mich zu Schnitzlers Deutschlandsender, ich wollte den Osten schnuppern, die neuen Verhältnisse riechen, sehen, was sich seit meiner Reporterzeit dort getan hatte. Und Karl-Eduard von Schnitzler überraschte mich durch sachliche, betont neutrale Diskussionsleitung - am meisten aber wohl durch ein Honorar von sechshundert Ostmark, das mir gleich am Ende der Sendung ausgehändigt wurde.
Was sollte ich damit anfangen, bei einem Kurs von 1:5 ? Schnitzler führte mich am Ärmel durch die Gänge des alten Reichsrundfunkgebäudes zu einem Bücherkarren, und den habe ich dann leergekauft und alles in den Kofferraum und auf die Rücksitze meines Ford gepackt.
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Georg Reuter einer der talentiertesten österreichischen Produktionsleiter rief an
Martin Katz vom Münchner Opernespresso winkte mit dem Telefonhörer hinter der Theke. Ich flehte Ernst Neubach an, eine Pause zu machen, nahm das Telefon und hörte gar nicht richtig zu, als »Dschordschi« Reuter fragte, ob ich Zeit hätte, ein Drehbuch für die Knef zu schreiben - »Jajaja, ich besuche dich am Nachmittag! Neubach erzählt gerade!« -, und rannte zurück ins Hinterzimmer, wo eine ganze Traube von Zuhörern wieder einmal um den Ernstl herumhing.
Georg Reuter war einer der talentiertesten österreichischen Produktionsleiter, hatte Pech mit einer Eigenproduktion durch G. W. Pabst gehabt und kümmerte sich bei Herbert Tischendorfs Herzog-Filmverleih jetzt um neue Projekte. Der Herzog-Verleih in München war zum erfolgreichsten der Branche geworden, besonders durch die drei »Sissi«-Filme, die seit 1955 jährlich bei Tischendorf erschienen waren.
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»Dschordschi«, wie wir Georg Reuter nannten .......
»Dschordschi«, wie wir Georg Reuter nannten, ist ein Doppelgänger des französischen Komödianten Jean Rochefort, einschließlich Schnurrbart, ein Charmeur, wie er im Buche steht, der Mann, der dem Papst eine Drehgenehmigung für den Petersdom abgeluchst hat, was nicht einmal die Amerikaner fertig brachten.
Als ich am Nachmittag zu ihm ins Büro auf der Sonnenstraße kam, klärte er mich auf, daß die Knef aus Amerika zurück käme, dort hatte sie in Cole Porters »Silk Stockings« auf dem Broadway Triumphe gefeiert, und daß sie bereit zu einem deutschen Film wäre. »Aber es muß etwas Besonderes sein«, beschwor mich »Dschordschi«, »sie will nur etwas Heutiges, Aktuelles machen, und schauspielerisch muß es auch etwas hergeben!«
Ich fühlte mich geehrt, nahm den Vorschuß und zahlte bei Schmidt am Maximiliansplatz eine cremefarbene Corvette mit roten Ledersitzen an, das damals schönste Auto der Welt; mit dem Rest mietete ich mich im Conti ein, in dem auch Hildegard Knef absteigen sollte.
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Die Geschichte von den Ost-West-Zwillingen
Innerhalb einer Woche hatte ich die Geschichte von Ost-West-Zwillingen entworfen, die eine arbeitet bei der Bundesbahn als Zugsekretärin, was damals etwas ganz Neues war, die andere für die Leipziger Messe. Aus Gründen, die zu erzählen an dieser Stelle zu weit führen würde, gerät die Westschwester in die Bredouille, aus der nur die Schwester aus dem Osten ihr helfen kann: Sie übernimmt ihren Job bei der Bundesbahn, und daraus entwickelt sich der überraschende Höhepunkt und das Happy-End.
»Dschordschi« schien über den Stoff nicht gerade glücklich zu sein, bezahlte aber noch ein Honorar von ein paar tausend Mark, und dann hörte ich nichts mehr vom Herzog-Verleih.
Aber Hildegard Knef wußte eine schöne Geschichte aus New York: Sie hatte Henri Nannen zu einem Cocktail eingeladen, dessen erstes Titelbild sie als »Sünderin« gewesen war - nein, es muß »Nachts auf den Straßen« gewesen sein, die »Sünderin« kam ja erst später.
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Die Geschichte von Henri Nannen und Rudolf Augstein
Nannen befand sich gerade zu einer Bootsausstellung in New York und brachte noch zwei prominente Deutsche mit, die er auf der Fifth Avenue getroffen hatte: Falk Volkhardt, den Besitzer vom Bayerischen Hof, und Rudolf Augstein vom »Spiegel«. Dem hatte er eingeredet, daß die Knef ganz verrückt nach ihm sei, sich aber nicht zu offenbaren traute.
»Mit dem Ergebnis«, erzählte mir die Knef, »daß ich, nachdem ich spät in der Nacht alle Partygäste rausgeschmissen hatte, den Augstein mit diesem gewissen Blinzeln in den Augen alleine in meinem Schlafzimmer vorfinde! Ich hatte die allergrößte Mühe, ihn in die Küche zu bugsieren und noch mal Kaffee zu kochen! Am nächsten Morgen ruft der Nannen an und fragt: Na, wie hat sich Rudolf benommen?«
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Diese Geschichte mit dem Pimmel fand großen Anklang
Die beiden populärsten Hamburger Journalisten kabbelten sich gern auf diese Weise, und wahrscheinlich handelte es sich um eine Retourkutsche, als im Jahr darauf, nachdem ich reichlich von der Knef-Geschichte Gebrauch gemacht hatte, der Nannen während eines unserer hastigen Mittagessen bei Fiete Meltzer, gegenüber dem Neuen Pressehaus, den Löffel in die Erbsensuppe fallen ließ und mich anherrschte: »Ach, da fällt mir ein - wie kommen Sie dazu, dem Augstein zu erzählen, Sie wären mit mir in der Sauna gewesen, und ich hätte einen sooo kleinen -!«
Und er zeigte auch noch mit Daumen und Zeigefinger, wie klein. Worauf ich auch meinen Löffel fallen ließ und aufsprang: »Unerhört! Nie habe ich mit Augstein über Ihren Pimmel gesprochen! Das soll er mir ins Gesicht hinein wiederholen!« Sprang auf und rannte ins Neue Pressehaus und über die Brücke ins Alte Pressehaus, wo unterm Dach der »Spiegel« hauste.
Henri Nannen hatte alle Mühe, mich von einer Konfrontation mit Augstein abzubringen, wahrscheinlich fürchtete er, vor dem »Spiegel«-Chef noch die Hose herunterlassen zu müssen. Ich konnte so unerschrocken auftreten, weil ich Augstein nichts von Nannens Männlichkeit erzählt hatte, aber ich wußte sofort, woher der Spiegel-Herausgeber sein Wissen bezog: Ich hatte meiner Freundin Ute Kuntze-Just davon erzählt, und deren beste Freundin war Frau Katrin Augstein ...
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Doch der Reihe nach ........
Noch kannte ich weder Henri Nannen noch Rudolf Augstein, als ich in München und Berlin und im Hamburger »Bellevue« für Augsteins »Star-Revue« eine Fortsetzungsserie nach der anderen schrieb.
Heinz Kuntze-Just hatte mich bewogen, einen Roman aus dem »Halbstarken«-Film zu machen, und er kitzelte auch einen Roman »Nasser Asphalt« aus mir heraus. Unvergeßlich wird mir ein weiterer Romantitel bleiben, der mir nach einem langen Mittagessen mit Heinz im Bayerischen Hof einfiel, nachdem wir uns darin einig geworden waren, daß der Titel das halbe Geschäft ist.
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Schwimm mit mir um Mittemacht
Ich sagte: »Einer, der zum Beispiel "Schwimm mit mir um Mitternacht" heißt, den würde ich lesen!« Der Chefredakteur der »Star-Revue« buchte ihn sofort, ohne auch nur nach der Handlung zu fragen.
Acht Jahre später besuchte ich Karl-Heinz Hagen, Günter Prinz und Horst Fust, die in München inzwischen die »Quick« machten, durch den Verkauf des Kindler & Schiermeyer Verlages aber auf einmal auch »Twen« und »Bravo« am Hals hatten.
»Die Auflage der >Bravo< fällt, wir brauchen unbedingt einen heißen Stoff, Bill!« sagte Karl-Heinz. »Hast du nicht einen?« Ich antwortete: »>Schwimm mit mir um Mitternacht.« Hagen sagte: »Kannst du sofort damit anfangen?«
Und dann erst: »Was ist das? Ein Roman?«, und ich schrieb unter demselben Titel eine ganz andere Geschichte, und als die »Bravo«-Auflage sich wieder fing, gleich noch etwas, das zuerst auch nur ein Titel war: »Das Tagebuch einer Siebzehnjährigen«.
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Josef von Ferenczy sollte mein neuer Agent werden
Ich litt nicht unter Arbeitslosigkeit, im Gegenteil. Schon 1957 war ich im Opernespresso einem eleganten Ungarn vorgestellt worden, der ein drolliges Deutsch sprach, aber behauptete, fließend lesen zu können:
»Möchte ich Sie unter Vertrag nehmen! Habe ich schon von Ihnen gehört! Können wir Geschäfte machen, Herr Tremper! Wie ist erster Name, bittäschön?« Ich sagte »Will«, und er starrte mich zweifelnd an: »Heißen alle Autoren in Deutschland Will?« Ich war der zweite, dem er sich als Agent empfahl, der erste war Will Berthold gewesen.
Ich fand ihn lustig, den Josef von Ferenczy, hatte aber keine blasse Idee von den Geschäften, die er mit mir machen wollte. »Danke«, sagte ich, »aber ich brauche keinen Agenten. Ich bin selbst mein bester Agent, glauben Sie mir!« Doch der Mensch ließ nicht locker und behauptete, jeder Schriftsteller brauche einen Agenten.
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Zahlen Sie auch Vorschuß?
Ich wußte, wie ich ihn loswerden konnte: »Zahlen Sie auch Vorschuß?« Ohne mit der Wimper zu zucken, griff Josef von Ferenczy nach einem Scheckbuch der Dresdner Bank und fragte: »Wieviel?«
Na, dachte ich, zier dich nicht, und verlangte »Zweitausend!« Seelenruhig malte er die Zahl mit den drei Nullen in den Scheck, überzeugte sich davon, daß die Tinte trocken war, und überreichte ihn mir.
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Sie sind mein Agent, Herr von Ferenczy!
»Okay«, sagte ich, »Sie sind mein Agent, Herr von Ferenczy!« Und wartete darauf, daß er fragen würde, wann und was er als Äquivalent für das Geld bekäme. Aber er sagte nur: »Joschka, bittä!« und fragte nicht weiter. Mehr und mehr gefiel mir dieser Ungar, um mit Franz Werfel zu sprechen.
Bei meinem nächsten München-Aufenthalt traf ich ihn wieder im Opernespresso und fragte ihn, versuchsweise, wieder nach Vorschuß - er zückte das Scheckbuch. So gingen die Monate ins Land, und als der gute Joschka endlich bei mir zum Zuge kam, hatte er mindestens schon zwanzigtausend Mark in Zukunftsmusik investiert.
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Habe ich Auftrag für Sie vom >Stern<
Ich war gerade aus Berlin in Hamburg eingetroffen, saß in meinem Zimmer im »Bellevue« am Schreibtisch und spannte das erste Blatt Papier ein, um für irgend jemand irgendwas zu schreiben, als »Joschka« aus München anrief: »Sind Sie schwerer zu erreichen als Adenauer!« sagte er.
»Habe ich Auftrag für Sie vom >Stern< - was wollen Sie verdienen? Einen Serie, bittäschön!« Ich glaubte ihm zwar kein Wort, sagte aber wie aus der Pistole geschossen: »Tausend pro Folge!« Und als er zu rechnen anfing, wieviel Prozente dabei für ihn herausspringen müßten, unterbrach ich ihn: »Tausend Mark für mich! Das kriege ich auch ohne Agent - wenn Sie mehr herausholen, gehört der Rest Ihnen!«
Damit war er einverstanden, und als gleich darauf Pitt Severin anrief, der als Chefreporter des »Stern« im Impressum stand, aber Nannens Vorzimmerchef geworden war, hatte ich das Gefühl, bei ihm brenne es auf den Nägeln, und verlangte keß »Zwölfhundertfünfzig« für eine Folge.
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So lernte ich Henri Nannen kennen
Fünf Minuten später kurvte ich mit meiner weißen Corvette auf den Parkplatz des Neuen Pressehauses und lernte Henri Nannen endlich kennen. Der Typ gefiel mir auf Anhieb, zumal er meine Schimpfkanonaden am Telefon großzügig vergessen zu haben schien und gleich zur Sache kam:
In Hannover hatte ein Zuhälter ein Mädchen namens Inge Marchlowitz als Lockvogel abgerichtet, das Autofahrer auf einsame Feldwege dirigierte, wo die Opfer bereits von ihrem Freund, einem ehemaligen Fallschirmjäger, mit dem Klappmesser erwartet wurden.
»Das Problem ist die Zeit«, sagte Henri Nannen. »Ich brauche das Manuskript morgen früh!« Da lachte ich noch: »Achtzehn Seiten bis morgen früh? Wo soll da das Problem sein?«
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Mit Wolfgang Löhdes Recherchenberichte völlig überfordert
Das Problem hieß Wolfgang Löhde und war der Chef der Dokumentation des »Stern«, ein Mann, der seine Aufgabe verinnerlicht hatte. Er dokumentierte selbst das Papier, auf dem seine Dokumentationen standen. Noch nie hatte ich einen so ausführlichen Recherchenbericht gelesen. Ich saß in seinem Zimmer und wälzte Akten, in denen die furchtbaren Bluttaten des Liebhabers der Inge Marchlowitz zu Bauplänen geronnen waren.
»Der Raum im Bunkerhotel, in dem die beschriebene Person übernachtete, mißt dreieindrittel Quadratmeter. Die linke Seite ist 2,22 Meter lang, die rechte nur 2,18 Meter, die Höhe...«
Ich ertrank in Kilometern nebensächlicher Beschreibungea Ich verzweifelte, als es acht Uhr abends wurde und noch immer kein Land in Sicht war.
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Ein blasser Jüngling Namnes Gerd Heidemann
Die Rettung nahte durch einen blassen Jüngling, der ab und zu den Kopf zur Tür hereinstreckte und mit einer leisen, fast scheuen Stimme fragte, ob ich zurechtkäme. Ich nickte nur immer geistesabwesend, aber er schien meine Verzweiflung zu spüren, denn auf einmal kam er herein und setzte sich zu mir.
Er hieß Gerd Heidemann und war der Fotograf der Geschichte, hatte das meiste selbst recherchiert und seinen Sinn für das Wesentliche behalten. Mit ein paar Sätzen skizzierte er, was ich wissen mußte, um endlich mit dem Schreiben anfangen zu können.
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Guter Gerd Heidemann (der mit dem Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher 1983)
Ohne "Gerdchen" wäre ich gleich bei meiner ersten Arbeit für den »Stern« elend eingebrochen. Ich lieferte pünktlich am nächsten Vormittag die erste Folge bei Niklas von Fritzen ab, dem grauhaarigen österreichischen Ressortleiter für Serien; der rannte gleich damit zu seinem Chef und kam hochbeglückt wieder: Dem Nannen gefiel es, dem gefiel es sogar ganz besonders gut, und er ließ mich das wissen, im Gegensatz zu so manchen kleinen Geistern, die sich seine Kollegen nennen durften.
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11. Oktober 1958 - Der Fall Inge Marchlowitz
Am 11. Oktober 1958 erschien die erste Folge im »Stern«: »Der Fall Inge Marchlowitz«. Zwei Wochen später rief Pitt Severin mich zu Nannen, und sie fragten mich, ob ich noch eine zweite Serie neben der Marchlowitz schreiben könnte.
Na klar, warum denn nicht? Sie staunten ein bißchen, offenbar hatten ihre Serienautoren ihnen beigebracht, daß das Schreiben einer einzelnen Folge von 18 Seiten nur unter größter Anstrengung und Mühe in sieben Tagen zu schaffen sei.
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Die Affäre Ludwig
Die zweite Serie hieß »Die Affäre Ludwig« und sollte ein Dokumentarbericht über einen aus der Ostzone stammenden Kapitänleutnant der Marineflieger werden, der als Stasi-Agent entlarvt worden war. Ich stellte nur eine Bedingung: Gerd Heidemann müßte recherchieren und mir täglich berichten, unter Umgehung der Abtlg. Dokumentation Löhdes und ihrer Vordrucke und Beschreibungen unsinnigster Einzelheiten.
So und nicht anders begann Gerd Heidemanns Reporterkarriere beim »Stern« - bis dahin war er nur ein fester freier Fotograf gewesen.
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Gerd mit seinem überwältigend harmlosen Auftreten
Wir arbeiteten wunderbar zusammen, der Gerd mit seinem überwältigend harmlosen Auftreten schaffte die unglaublichsten Informationen herbei, hatte einen messerscharfen, von Logik beherrschten Verstand, kapitulierte vor keiner Schwierigkeit, sprühte vor Einfällen und verblüffte mich immer wieder mit seinem Sinn für das Nächstliegende - Sie wissen schon: Guck doch einfach ins Telefonbuch!
In einer vergleichsweise kleinen Redaktion von damals vielleicht 35 Leuten, die alle Wind zu machen verstanden und extrovertiert waren, fiel er durch introvertierte Unauffälligkeit auf. Was den Frauen, aber nicht den Männern gefiel.
Mein Gerdchen, wie ich ihn bald nur noch nannte, konnte mit seinen himmelblauen Hans-Albers-Augen so verzagt aus der Wäsche gucken, daß selbst die hartgesottensten Weiber plötzlich Mutterinstinkte entwickelten und für ihn zu kochen begannen, sich seiner Wäsche annahmen und sich beide Beine ausrissen, um ihn zum Lächeln zu bringen.
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Der Spruch »an jedem Finger zehn Frauen« traf zu
Wenn ich je einen kannte, auf den der Spruch »an jedem Finger zehn« zutraf, dann war das Gerd Heidemann. Viele seiner »Stern«-Erfolge verdankte er seinem Softie-Charme, indessen wir Männer den Macho herauskehrten, wo es nur ging. Was für alberne Etiketten!
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Alle Männer, von Nannen abwärts, waren Kriegskamraden
Die Männer in der Redaktion, von Nannen abwärts, waren alle noch Kriegsteilnehmer, alte Kameraden des Chefredakteurs aus seinen Luftwaffen-PK-Jahren, wie Viktor Schuller, der sich endlich freigekämpft zu haben glaubte, als ich erschien, und nach München übergesiedelt war - nur um von Nannen bei nächster Gelegenheit wieder zurückgeholt zu werden.
Wie Niklas von Fritzen, der ein auffallend schöner Soldat gewesen sein mußte und eine Seele von Mensch war, mit dem ich auskam wie sonst nie wieder mit einem Ressortchef.
Wie Günter Dahl, der in der Nürnberger Straße in Berlin lange verschüttet war, der humpelte und Sprachschwierigkeiten hatte, aber die besten Texte des Hauses schrieb.
Wie Reinhard Stalmann, ein Infanterie-Oberstleutnant und Ritterkreuzträger, der aus seinen Kriegserlebnissen unter dem Pseudonym Stefan Olivier einen beachtlichen Stern-Roman nach dem anderen machte und mit der reizend-betulichen Doralies Hüttner das Roman-Ressort leitete.
Wie die beinharten Fotografen Rolf Gillhausen und Eberhard Seeliger, der unerschütterliche Layouter Franz Kliebhan, der großartige Zeichner Günter Radtke, der temperamentvolle Bildredakteur Günther Beukert.
Die waren nicht alle mit Henri Nannen im Feld gewesen, aber alle Soldaten - der Krieg war ja gerade mal 13 Jahre vorbei.
Eine Männerredaktion, in der ich mich auf Anhieb wohl fühlte, in der Frauen nur hinter den Kulissen eine Rolle spielten.
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1958 war ein tolles Jahr für mich
Im »Stern« also laufen bis zum Jahresende 1958 und darüber hinaus meine beiden Serien »Der Fall Inge Marchlowitz« und »Die Affäre Ludwig« nebeneinander her. Mein Zimmerchen im »Bellevue« quillt über vor Papier, ich komme kaum noch dazu, mit meiner weißen Corvette-Rakete mal ein Wochenende nach Berlin zu brausen, verbringe meine wenigen freien Stunden mit Gerd Heidemann oder gehe mit Rolf Gillhausen essen, der ein neuer, lebenslanger Freund wird und mich mitnimmt zu den Stalmanns, Reinhart und Mine, in Großhansdorf bei Ahrensburg.
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Wenn Henri Nannen schreit, wirds ernst
Kurz vor Weihnachten bugsierte mich Pitt Severin wortlos vom Flur der »Stern«-Redaktion ins Zimmer Henri Nannens, der bei meinem Anblick »Nein! Das geht doch nicht!« schrie.
Vor ihm lag das Manuskript eines Kollegen, der Beginn eines Romans, mit dem Nannen im letzten »Stern«-Heft des Jahres die Leser ins neue Jahr locken wollte, und er fand es »unmöglich!«
Ebenso unmöglich wie Severins Ausweg, einfach vor die Tür zu treten und Tremper hereinzuholen. »Was soll er denn noch alles schreiben!« erregte sich Nannen, aber da auch ihm niemand einfiel, der wieder einmal »auf die Schnelle« einen »packenden Zeitroman« aus dem Hut zaubern könnte, mußte er sich schließlich geschlagen geben:
»Mensch, Tremper, schaffen Sie denn das? Heute Nacht um drei Uhr drucken wir an! Was könnten Sie denn schreiben?«
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»Menschen im Netz« begann im Dez. 1958
Ich war damals auf Flüchtlingsschicksale fixiert und hatte mit Helmut Ashley in München an einem Stoff herumgeknobelt, der ihm, dem Kameramann, zu seiner ersten eigenen Filmregie verhelfen sollte, die Geschichte eines Rußlandheimkehrers, der nur freigelassen worden war, weil er sich verpflichtet hatte, für den sowjetischen Spionagedienst tätig zu werden.
Die Idee war von mir natürlich - mit der größeren Idee dahinter, daß einer, der Regisseur werden will, am ehesten dazu kommt, wenn er mit den Rechten an einem Stoff in der Hand auftritt.
Ich erzählte Nannen davon, und er war sofort begeistert. Ein Bote der Redaktion erschien stündlich im »Bellevue«, um Seiten abzuholen, indessen Nannen mit Günter Radtke bereits die Illustration einer Doppelseite entwarf: »Menschen im Netz« -mit der zuckrigen Unterzeile:
»Diese Geschichte begann am 18. Dezember des vorigen Jahres. Sie geschah mitten unter uns. Und wir alle haben nichts davon gewußt.«
So war ich auch in der Nr. 52, im letzten Heft des »Stern« im Jahre 1958, mit mehreren Fortsetzungsserien gleichzeitig vertreten.
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Im Dezember 1958 - ein Hunderttausendmark-Vertrag
Pitt Severin ging, kurz vor meiner geplanten Abreise nach Berlin, am Alsterufer mit mir spazieren und fragte nach meinen Zukunftsplänen. Ich antwortete: »Ich werde nächstes Jahr einen Film inszenieren und produzieren - und natürlich auch schreiben!«
Darüber konnte er nur lachen. Er war mit Irene von Meyendorff verheiratet gewesen, dieser schönen, aristokratisch aussehenden Schauspielerin, die ihm mit dem gewaltigen britischen Charakterdarsteller James Robertson Justice davongelaufen war, und glaubte sich auszukennen im Filmgeschäft.
»Okay«, sagte Pitt »und was wollen Sie bis dahin verdienen?« Keine Ahnung. Im Stehen und Gehen rechneten wir bei naßkaltem Wetter dort am Alsterufer aus, was ich bisher beim »Stern« verdient hatte - ohne die Nebenbeigeschäfte.
Ich weiß nicht mehr, auf was wir gekommen sind, hatten beide kein allzu großes Rechentalent, jedenfalls bot er mir zum Schluß einen Hunderttausendmark-Vertrag an, was heute noch viel Geld ist, damals aber eine überwältigende Summe war.
»Die Bedingung ist: Sie fahren nicht nach Berlin, Sie kommen am ersten Weihnachtsfeiertag zu Nannen nach Hause, wir beschaffen Ihnen eine gute Wohnung in Hamburg, und Sie hören auf, für irgend jemand anderen sonst zu arbeiten, sind nur noch für den >Stern< da!«
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Innerhalb von 24 Stunden verlor ich meine beiden Lieblingsbehausungen
Ich überlegte nicht lange, sagte ja - und fuhr schnell nach Berlin, um ein paar Klamotten abzuholen und mich im Cafe Bristol feiern zu lassen.
Doch das Bristol hatte sich verändert, aus der schönen offenen Terrasse war ein winterfester Bau aus Glas und Stahl geworden. Ich wollte es nicht glauben und empfand so viel Abscheu vor der Veränderung, daß ich kehrtmachte und mein Lieblings-Cafe nie wieder betrat.
Am nächsten Morgen saß ich im Hamburger »Bellevue« wieder beim Frühstück - Nannen erwartete mich erst um zehn Uhr -, und der Kellner fragte plump vertraulich: »Na, wie war denn die Blondine heute nacht?« Offenbar sah er meinem Gesicht an, daß ich ihm gleich die heiße Kaffeekanne über den Schädel hauen würde, denn er trat schnell einen Schritt zurück und sagte: »Oh, Verzeihung - das war ja der andere Herr mit der Brille!«
Ich ging zum Portier, verlangte die Rechnung und bat ein Zimmermädchen, alles zusammenzupacken. Innerhalb von 24 Stunden verlor ich meine beiden Lieblingsbehausungen, und etwas Neues begann.
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