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Will Tremper war 16 Jahre alt, als der 2. Weltkrieg zuende ging.

In seiner Biografie von 1993 beschreibt Will Tremper, wie er als überzeugter Hitlerjunge die Zeit ab 1939 erlebt hatte und was davon bei ihm unauslösch- lich im Kopf hängen geblieben war. Und er erzählt von seinen Erlebnissen in Berlin unter den Bomben. Lesenswert ist dazu auch "Als Berlin brannte" (Hans-Georg von Studnitz). Der Zusammenhang schließt sich über die Curt Riess'sche Biografie "BERLIN 1945-1953" und dessen beide dicken Film-Bücher, in der der Name Tremper aber nicht genannt wird. Will Tremper hingegen schreibt daher sehr genüsslich über "die anderen Seiten" bekannter Personen aus Politik und Film - natürlich auch über Curt Riess. Die einführende Seite steht hier.

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Die Korrespondenten

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Jan. 1947 - In München gibt's Würste!

Wenn ich die letzten Seiten noch einmal lese, fällt mir auf, daß der Eindruck entstehen könnte, ich hätte mich bereits 1947 nur noch mit den Filmheinis herumgetrieben; dem ist nicht so.

Ich suchte, fand und pflegte auch Kontakte zu anderen Presseerzeugnissen. Noch im eiskalten Januar 1947, der Temperaturen bis zu 28 Grad unter Null brachte, hatte mir mein französischer Freund Felix Bernard eine Reise mit dem französischen Militärzug nach Paris geschenkt, als ich ihm erzählte, M-D habe mir einen Urlaub verordnet.

Einen Zwangsurlaub, sozusagen, damit mir »der Kopf mal durchgelüftet wird«, wie M-D sich ausdrückte. Ich kannte so etwas wie Urlaub überhaupt nicht, obwohl ich auch damals schon jede Menge Leute traf, die ständig Urlaub beantragten.

Urlaub schien mir eine Erfindung der Sozis für Fließbandarbeiter zu sein, aber doch nichts für einen Reporter, der es gar nicht abwarten konnte, sich täglich neu ins Geschehen zu stürzen! Am liebsten hätte ich diesen »Urlaub« lesend im warmen Bett verbracht oder bei meinen Amis - aber nun winkte auf einmal »Paris, die Lichterstadt an der Seine«.
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Auf der Fahrt nach Paris meinen Dr. Zentner besuchen .....

Die Fahrt ging von Tegel erst mal nach Mainz, der großen französischen Garnison, und dann nach Baden-Baden, dem Hauptquartier General Koenigs. Kaum roch ich, aus dem Fenster schauend, die ersten badischen Frühlingsdüfte, da stand mein Entschluß fest, die Familie Zentner zu besuchen.

Ich würde einen Zug überspringen! Auf die Idee, schon in Mainz mal auszusteigen und meine eigene Familie in Braubach zu besuchen, kam ich gar nicht. Mein Vater war noch 1945 aus einer grausamen Hungergefangenschaft in Cherbourg entlassen worden und schrieb mir regelmäßig.

Darunter das erstaunliche Bekenntnis, daß er bei den Amerikanern in Cherbourg lange gehofft habe, in die USA gebracht zu werden, denn »so leicht würde ich nie mehr nach Amerika kommen!« - Was sagst du dazu, fragte ich mich.

Wollte er die Familie im Stich lassen? Als hätte er meine Reaktion vorausgesehen, hatte er hinzugesetzt: »Große Sorgen um Deine Mutter und Geschwister habe ich mir nie gemacht - nur um Dich! Daß meine Emilie ihre Kinder durch alle Fährnisse sicher hindurchsteuern würde, habe ich immer gewußt. Deine Mutter ist für Krisen wie geschaffen!«

Auch ich hatte regelmäßig von meinen Erlebnissen nach Hause berichtet, was der Familie höchst verwirrend vorgekommen sein muß. Wie hätten sie, da im idyllischen Braubach, begreifen können, was ich in Berlin erlebte? Meine Neugierde auf Dr. Zentner und was er so trieb, war jedenfalls größer als die Sehnsucht nach der eigenen Familie.
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Es gab viel Neues bei Dr. Zentner

Zentner empfing mich mit großer Begeisterung, wollte alles über den »Tagesspiegel« und die Situation in Berlin hören und zeigte mir, was er mit einem Haufen Layouter in seiner Werkstatt machte. Darunter das fertige Produkt einer handlichen, in die Tasche passenden Monatszeitschrift, die er »Das Beste« getitelt hatte - genau wie der »Reader's Digest« enthielt sie die besten Artikel aus deutschen und ausländischen Zeitungen.

Ich konnte damit noch nicht viel anfangen, aber als im nächsten Jahr die Währungsreform kam, die Mark wieder interessanter wurde und die Amerikaner mit ihrem »Reader's Digest« auf den deutschen Markt wollten, stellten sie fest, daß es bereits eine Kopie ihrer Idee gab, die sich erfolgreich verkaufte.

Sie waren gezwungen, Zentners »Das Beste« zu kaufen, und seitdem heißt ihre deutsche Ausgabe »Das Beste aus Reader's Digest«.
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Im übrigen riet Zentner mir dringend davon ab, nach Paris zu fahren: »Unser Geld ist da noch weniger wert, alle Franzosen leben nur vom schwarzen Markt, es herrschen grausame Zustände, Sie sprechen nicht Französisch, Sie kommen im Handumdrehen unter die Räder - fahren Sie lieber nach München! Da tut sich was! Da gibt's noch Würste zu essen! Ich schreibe Ihnen eine Empfehlung für meinen Freund Bernd Lohse, der macht in der Schellingstraße, wo früher der >Völkische Beobachter< saß, die Illustrierte >Heute<, die zur >Neuen Zeitung< der Amerikaner gehört!«
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Fast zehntausend Reichsmark in der Tasche

Ich hatte fast zehntausend Reichsmark in der Tasche und fühlte mich frei wie ein Vogel, der überall hinfliegen kann. Vor Paris bekam ich, wegen der Sprache, bereits Manschetten, aber die »Neue Zeitung«, und was Dr. Zentner mir von der dazugehörigen Illustrierten erzählte, interessierte mich.

Diese von einer amerikanischen Chefredaktion gemachte Tageszeitung wurde auf den Maschinen des »Völkischen Beobachters« gedruckt und hatte dementsprechend auch das große Format.

In Berlin saßen bereits lauter Schlauköpfe bei der »Neuen Zeitung«, wie Egon Bahr, Peter Boenisch, Karl Heinz Hagen, neuerdings auch Friedrich Luft, bekamen reichlich amerikanisch zu essen und blickten auf die Hungerleider vom »Tagesspiegel« herab, die immer noch von der Gulaschkanone der Army lebten.

Zentner hatte es geschafft, seine ältesten Kinder in diesem Hungerjahr 1947 in die Schweiz zu schicken. Seine Frau saß mit dem neugeborenen Töchterchen Corinna in Badenweiler, also gab es für mich nichts weiter zu tun in Baden-Baden.

Ich verbrachte die Nacht im Christlichen Hospiz, fuhr am nächsten Morgen mit der Seilbahn zum Merkur hinauf, saß am 15. Januar 1947 mit bloßem Oberkörper in der Sonne und kaufte mir abends eine Fahrkarte nach München.

An das Datum kann ich mich so genau erinnern, weil ich Dutzende von Ansichtskarten schrieb: »Es ist der 15. Januar, und ich sitze in der Sonne...«
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Eine Leica II nur so zum Fotografieren

Mein Mentor hatte nicht zuviel versprochen: In München gab es auf Fleischmarken wirklich schon ein ganzes Sortiment köstlicher Würste zu kaufen. Der Chefredakteur Bernd Lohse erwies sich als überaus hilfreich, vertraute mir gleich eine Leica II an und schickte mich »fotografieren, was einem Berliner in München so auffällt«.

Da er selber früher als Bildberichter für Zentner in Berlin gearbeitet hatte, harmonierten wir vorzüglich, gingen jeden Mittag in Hitlers Lieblingsrestaurant »Osteria« auf der anderen Seite der Schellingstraße essen, in welchem ich am vierten Tag einen Mann namens Pelikan kennenlernte, der für DENA, die amerikanisch lizenzierte Nachrichtenagentur, als Fotograf arbeitete und einen »zweiten Mann« brauchte.

Die Feude währte nur kurz - zurück nach Berlin

Er schickte mich zu Willy Birgel in Steinebach am Wörthsee, ich interviewte den berühmten Schauspieler - »Wie haben Sie das Kriegsende erlebt? Wie geht es weiter?« - und hatte innerhalb einer Woche so viele ähnliche Aufträge, daß ich meine eigene Agentur aufmachen und die Endlos-Serie »Was ist aus unseren Leinwand-Lieblingen geworden?« hätte produzieren können.

Leider wollte Bernd Lohse seine Leica II wieder zurückhaben, und ich wurde es leid - Würste hin oder her -, jede Nacht auf einem anderen Sofa zu schlafen.

Ende Januar war ich wieder zurück in Berlin. »Und so was nennt sich Urlaub!« sagte Meyer-Dietrich.
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Ein Liebesleben, das den Namen verdient

In der Buggestraße 10, hinterm Breitenbachplatz, saß die Information Control der Amerikaner und saß auch Armin Schönberg, der Berliner Leiter des »Heute«-Büros.

Seine Sekretärin war ein wunderschönes Mädchen mit langem, dunkelblondem Haar, grünen Augen und einer rassigen Nase, das Ingrid Weymann hieß. Sie behauptete, mich vom »Tagesspiegel« her zu kennen, wo sie die Sekretärin des Feuilletonchefs Dr. Karl Walter Kluger gewesen war, aber ich sei da ja der »rasende Reporter« gewesen und hätte nicht nach links und rechts geschaut.

Mir schien es unfaßbar, daß ich so etwas Aufregendes übersehen haben könnte, denn im »Heute«-Büro dauerte es genau eine göttliche Sekunde, und ich hatte mich in Ingrid fürchterlich verknallt.

Meine erste »große Liebe«

Alles andere war Sex gewesen. Zum erstenmal empfand ich Herzschmerzen beim Gedanken an eine Frau, und die wurden nur noch heftiger, als ich mitbekam, daß meine Angebetete etwas mit ihrem früheren Chef, dem Dr. Kluger, hatte.

Das war ein charmanter Bursche, eine »lustige Haut«, ein wahrer Kumpel, der nur einen Fehler hatte: Er besoff sich jeden Abend, den Gott werden ließ, und zwar sinnlos. Und wenn er einen »auf der Lampe« hatte, zündete er Kneipen an oder stahl doppelstöckige BVG-Busse. Ich bekam das schnell mit, weil die schöne Ingrid mich immer öfter zu Hilfe rief, wenn der liebe Karl-Walter wieder einmal auf ein Baugerüst geklettert war und nicht mehr runterkommen wollte. Sie hatte mich fest am Haken, wie man so sagt. Wenn ich während des Tages eben mal reinschaute, da der Weg mich immer öfter über den Breitenbachplatz führte, und ich hinter sie trat, um meine Nase in ihr herrlich riechendes Haar zu versenken, schob sie mich sachte weg und sagte: »Wir wollen doch Freunde sein, ja? Nur gute Freunde!«
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Ganz schnell zum Tatort Kluger

Abends dann die Notrufe in der Redaktion, die stets mit den Worten begannen: »Sind wir noch Freunde? Ich stehe hier auf dem Polizeirevier in der Leibnizstraße... auf der Feuerwache in der Rankestraße... auf der Schleusenbrücke im Tiergarten und weiß mir nicht mehr zu helfen!« Und schon ließ ich alles stehen und liegen, verpaßte M-D die Lüge von einem Großfeuer oder einer wilden Schießerei, die sich hinterher als »die übliche Falschmeldung« herausstellen mußte, und eilte zum Tatort Kluger.
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Und endlich wurde ich erhört

Mit der Zeit bürgerte sich ein, daß meine Ingrid schon mittags anrief und fragte: »Hätten Sie abends Zeit, mit uns spazierenzugehen?« An einem solchen linden Aprilabend ließen wir den Feuilletonchef des »Tagesspiegel« an der Ecke Schorlemer- und Podbielskiallee in Dahlem auf einer Straßenlaterne sitzen und spazierten allein in den Grunewald - wo Ingrid dann wirklich »die meine« wurde.

Es begann der himmlischste Sommer meines Lebens, und das war, wie ältere Berliner sich erinnern werden, wahrhaftig ein »Jahrhundertsommer«, vergleichbar nur mit dem von 1992. Die Sonne schien ununterbrochen, und ununterbrochen trieb ich mich in Armin Schönbergs Büro in der Buggestraße herum und ließ den »Tagesspiegel« endgültig sausen.

Ich nahm »Urlaub« um zu leben

Ich nahm erneut »Urlaub«, meldete mich »krank« und schenkte M-D schließlich reinen Wein ein. Der wackelte nur mit seinen großen Ohren und stöhnte: »Die Jugend! ... Die Jugend!« Aber er behielt den Kopf, den ich verlor, und sagte: »Ich werde dich erst mal auf unbezahlten Urlaub schicken. Ich will dir die Chance lassen, jederzeit zurückkehren zu können!« Der Gute, der beste Lokalchef, dem ich je begegnet bin.

Ich packte meine Klamotten in Neu-Tempelhof zusammen und zog in die Nähe von Ingrid, die in der Schorlemerallee wohnte. Bei Frau General Reuthe in der Königin-Luise-Straße 29, in der Nähe des U-Bahnhofs Dahlem-Dorf, fand ich ein schmales Zimmerchen im ersten Stock, hübsch möbliert, mit einer riesigen Terrasse, die mir allein gehörte.

Auf dieser Terrasse spielte sich zwei Monate lang ein Liebesleben ab, das den Namen verdiente. Seitdem kann mir keiner mehr erzählen, daß Geschlechtsverkehr mit leidenschaftlichen Gefühlen das gleiche ist wie ohne. Wir brannten sozusagen lichterloh, wir paßten einfach zusammen, als hätte Amor Maß genommen.

Und: Ich hatte Zeit, traf mich, während Ingrid arbeitete, mit meinem Franzosen und den Amerikanern, brachte Ingrid aus dem Commissary die gute Eiscreme mit, kaufte Blumenläden leer und hing, bis Armin Schönberg mich hinauswarf, im »Heute«-Büro herum.
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Meine Geschichte mit Hans Huffzky

Bei diesem Armin Schönberg, der im Krieg natürlich auch PK-Mann gewesen war, trafen sich die seltsamsten Leute, vor allem die ganze Clique um John Jahr, die in Belgrad die Soldatenzeitung »Süd-Ost-Kurier« herausgegeben hatte.

Einer der alten Kameraden hieß Hans Huffzky und bemühte sich, eine amerikanische Lizenz für eine Frauenzeitschrift zu bekommen. Vor dem Krieg hatte er in Berlin schon »Die junge Dame« gemacht, doch den US-Kontrolloffizieren war Huffzky zu unpolitisch, den Briten hingegen, bei denen er es auch versuchte, zu politisch.

Ich betrat gerade Schönbergs Vorzimmer, als Huffzky durchdrehte und »Dann gehe ich eben zu den Russen!« schrie. »Moment mal!« sagte Armin Schönberg. »Der junge Tremper hier hat ganz fabelhafte Verbindungen zu den Franzosen! Warum gibst du ihm nicht dein Layout mal mit?«

So geschah es: Beim nächsten Treff drückte ich Felix Bernard ein umfangreiches Paket mit sämtlichen Entwürfen für eine neue Frauenzeitschrift in die Hand - und konnte es nie wiederbekommen, auf dem bürokratischen Dienstweg ging es einfach verloren. Wütend fuhr Hans Huffzky nach Hamburg, traf dort John Jahr wieder, und der erhielt von den Briten schließlich eine Lizenz für die Zeitschrift »Constanze«.

Wann immer ich aber in den folgenden Jahren Huffzky begegnete, verdächtigte er mich, seine schöne Probenummer in den nächsten Müllkasten geworfen zu haben, statt sie den Franzosen zu zeigen.
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Stars and Stripes Forever

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Und auf einmal verhaftet - von den Amerikanern

Am 25. Juni 1947 überquerte ich, von Ingrid kommend, den Breitenbachplatz, um in die U-Bahn zum Wittenbergplatz zu steigen. Ich war von Kinski zum Tee bei seinem sagenhaften Fürsten Kropotkin eingeladen. Es war halb fünf am Nachmittag.

Neben mir bremste ein Jeep mit einem amerikanischen Offizier am Steuer, den ich nicht kannte. Er rief in schauderhaftem Deutsch: »Sie sind Tremper? Will Tremper?« Und deutete mit einer herrischen Geste auf den Sitz neben sich.

Ich war viel zu neugierig, um groß zu fragen, wieso und warum. Es roch nach Mystery. Ich stieg ein, der Typ raste los und hielt erst wieder vor einem grauen eisernen Tor in der Söthstraße 7 in Lichterfelde. »What's cooking?« fragte ich, auf die Uhr schauend.

»I have an appointment!« Das Tor öffnete sich, der Jeep rollte durch, das Tor schloß sich wieder, und ich befand mich auf dem Hof des amerikanischen Untersuchungsgefängnisses. »You are under arrest!« hörte ich jetzt.

Ich war so arglos, daß ich noch nach einem Telefon fragte, als ich schon Gürtel und Schnürsenkel abgeben mußte. Ich wollte diesem Sascha Kropotkin doch sagen, daß ich mich verspäten würde.
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Sechs volle Monate

Es dauerte sechs volle Monate, bis ich wieder ein freier Mann war. Meine amerikanischen Freunde sperrten mich einfach in eine Einzelzelle und ließen mich schmoren.

Ich verlangte nach einem Anwalt, forderte zu wissen, warum ich hier einsaß. Der deutsche Justizbeamte, der mir dreimal am Tag etwas zu essen brachte, sagte immer nur: »Jaja, det wirste schon früh jenuch erfahren, Jungchen!« oder »Mach hier keen Aufstand, sonst jibs wat!«

So vergingen Tage, in denen ich die Wände anstarrte und an Ingrid dachte, an nichts anderes. Wieder einmal befand ich mich in einem deutschen Amtsgerichtsgebäude. Aber anders als in Naumburg an der Saale sah ich, wenn ich mich am winzigen Zellenfenster hochhangelte, nur die umliegenden Dächer und keine Menschenseele.

Ich zermarterte mir den Kopf, warum sie mich eingesperrt hatten, dachte immer nur: eine Verwechslung! Gleich werden sich Schritte nähern, mein Geheimdienst-Guide von G2, dieser schnauzbärtige Tom, wird in der Tür stehen und sich entschuldigen.

Was bloß Ingrid sich denken mag? Es dauerte vielleicht eine Woche, bis ich erlöst wurde, und in dieser Woche passierte etwas Komisches mit mir: Ich saß, stand und lag, ging auf den Eimer in der Ecke, wälzte mich schlaflos auf der Matratze, wurde einmal am Tag allein zu einem Rundgang für zehn Minuten auf einen von hohen Mauern umgebenen Innenhof geführt - und brach pünktlich jeden Morgen um sieben Uhr in Tränen aus!
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Eine Army-Band spielte den »Stars & Stripes«-Marsch!

Ich hatte mich innerlich abgeschottet gegen jede Emotion, schmiedete nur Rachepläne gegen die Amerikaner, ahnte langsam, daß ich weichgekocht werden sollte, fing sogar an zu begreifen, was passiert sein mußte, und verkrampfte innerlich immer mehr.

Bis um sieben Uhr morgens, an jedem gottverdammten Tag, etwas Unfaßbares meine Gefühle umrührte: Eine Army-Band spielte in den nahen McNair Barracks, in der früheren Kaserne der Leibstandarte, den »Stars & Stripes«-Marsch!

Tä-Tä-Tarätä - und mir stieg das Wasser in die Augen. Können Sie sich so etwas vorstellen? Den ganzen Tag lang starrte ich in den schmalen Spalt des ewig blauen Himmels am Zellenfenster und spürte Ingrids Haut und Geruch, sah uns auf der Terrasse herumtoben und träumte mit zusammengebissenen Zähnen von all dem, was ich draußen verpaßte. Aber erst dieser dämliche Marsch des Herrn Sousa, das bißchen Musike jeden Morgen, warf mich um!
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Nach einer Woche kam mein Freund Ulrich Büttner

Nach einer Woche wurde ich ins Besucherzimmer geführt und stand meinem Freund Ulrich Büttner gegenüber. Der studierte Jura oder war wahrscheinlich schon Referendar und arbeitete frei auch für den »Tagesspiegel«, ein ernster, etwas trockener, aber ungemein sympathischer Mensch, etwas älter als ich.

»Ingrid schickt mich«, sagte er, »du hast irgendeine Dummheit begangen und sollst fünfzehn bis zwanzig Jahre dafür bekommen. Ingrid hat mir Waschzeug für dich mitgegeben und einen Brief...«

Ungewöhnlicherweise sprachen wir ohne Aufsicht miteinander, auch keine eingebauten Mikrofone waren erkennbar. Ich flüsterte Uli zu, daß Ingrid sich an Felix wenden solle. Dann mußte er wieder gehen, versprach aber, mit dem amerikanischen Gerichtsoffizier noch einmal zu reden und den »Habeas Corpus Act« anzumahnen.

Das war etwas Neues damals: ein amerikanisches Gesetz, das innerhalb von 48 Stunden die Vorführung eines Inhaftierten vor einen Richter und damit eine Haftprüfung vorschrieb.

Knall Bumm - abführen

Uli schien Erfolg damit zu haben, denn am nächsten Morgen wurde ich vom Gerichtsoffizier verlangt und hörte den Grund meiner Festnahme: »Sie haben eine wissentlich falsche Aussage gegenüber einem Beauftragten der amerikanischen Streitkräfte in Europa gemacht!«

Was für eine falsche Aussage? »Das ist alles, was ich Ihnen zu sagen habe - abführen!«

Mein "Freund" Tom vom Army-Abwehrdienst G2

Ich will nicht länger mit Einzelheiten langweilen: Der Hintergrund der Geschichte war, daß die Amerikaner mich offenbar für einen sowjetischen Agenten hielten. Mein schnauzbärtiger Freund Tom vom Army-Abwehrdienst G2 hatte mir das eingebrockt.

Der Kerl war schon lange nicht mehr zufrieden mit Stimmungsberichten aus dem russischen Sektor oder internen Informationen von der Kriminalpolizei. Er verlangte immer öfter, ihm diese oder jene militärische Information zu beschaffen, wozu ich gar nicht in der Lage war.

Mein französischer Freund Felix Bernard warnte mich jedesmal, wenn ich ihm davon berichtete. Als Tom vor gut vier Wochen verlangt hatte, für ihn nach Leipzig zu fahren, mich an einer bestimmten Straßenecke aufzustellen und die Nummern aller sowjetischen Militärfahrzeuge aufzuschreiben, die an diesem Tag von Süd nach Nord die Kreuzung passieren würden, hatte Felix Bernard »Mon dieu de dieu!« gerufen.

»Das ist ja schon richtige Spionage! Das dürfen Sie auf keinen Fall machen, dafür können Sie von den Russen fünfundzwanzig Jahre Sibirien bekommen! Ich gebe Ihnen die Autonummern, die die Amerikaner wollen!«

Und das hatte er getan, eine ganze Liste von mindestens zweihundert russischen Militärnummern. Die Jungs von G2 waren damit aber wahrscheinlich auf die Nase gefallen, hatten sich höheren Ortes blamiert, was weiß ich, und rächten sich jetzt an mir.
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Jetzt halfen mir meine echten Freunde, daß es weiter geht

Als Uli Büttner wiederkam, murmelte er, Felix ließe mir durch Ingrid ausrichten, daß er alles tun würde, um mich herauszuholen, aber ich dürfte kein Wort über ihn, oder die Franzosen überhaupt, verlauten lassen.

Um diese Zeit, Anfang Juli, traf sich im Haus meiner Zimmerwirtin in der Königin-Luise-Straße jede Woche eine Bridgerunde, zu der auch US-Major Sabo gehörte, ein Richter vom Unteren Militärgericht - daneben gab es ein Mittleres und ein Oberstes Militärgericht, die entsprechend höhere Strafen verhängen durften.

Meine liebe Generalswitwe, die ihres Untermieters Freundin gern hatte, litt mit ihr und arrangierte, daß Ingrid bei der nächsten Bridge-Runde neben Major Sabo zu sitzen kam, einem freundlichen Weißhaarigen.

Über Nacht hatte Ingrid Bridge gelernt, machte aber natürlich jede Menge Fehler und fing an zu weinen. »Aber, aber, Kindchen!« sagte der alte Major Sabo, »das ist doch kein Grund zu weinen!« Und da klärte ihn meine liebe Frau General Reuthe auf, daß Ingrids Freund im Gefängnis schmachte, ohne zu wissen, warum. Major Sabo versprach den Damen, sich meinen Fall anzusehen.
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Ich wurde in ein anderes "Gefängnis" verlegt

Zwei Tage später brachte mich ein Jeep der Militärpolizei von der Söthstraße in Lichterfelde in ein nur mit Stacheldraht umwickeltes Barackenlager am Teltow-Kanal in Zehlendorf, das mir ungemein bekannt vorkam - es war das alte Heim der SS-Standarte Kurt Eggers, das ich vor knapp drei Jahren schon einmal unerlaubt verlassen hatte.

Hier lagen lauter jugendliche Straftäter unter deutscher Bewachung unter freiem Himmel herum, sprangen zum Schwimmen in den Kanal und krochen bei jeder Gelegenheit durch den Stacheldraht, um sich etwas außerhalb zu besorgen. Es war ein wahrhaft fideles Gefängnis, überhaupt nicht mit meiner Einzelzelle zu vergleichen. Meine Lebensgeister erwachten schlagartig wieder.
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Nächtens 12 Kilometer "zur Liebe" gerannt

Wer mich heute sieht und liest, daß ich damals, der Liebe wegen, jede Nacht zum Marathonläufer wurde, wird's nicht glauben wollen.

Eine Woche lang rannte ich barfuß, nur in Turnhose und Unterhemd, nach 22 Uhr die ganze Goerzallee in Lichterfelde hinauf, den Hindenburgdamm entlang und bis zur Schloßstraße in Steglitz, über den Fichteberg, wo ich einst den Werwolf gesucht hatte, zur Grunewaldstraße und Englerallee und diese hinauf bis zum Erlenbusch, hinter der Schorlemerallee, wo ich mich im Unterholz des kleinen Parks mit meiner heißgeliebten Ingrid traf, drei Stunden der köstlichsten Leibesübungen vollführte - und den ganzen Weg bis zum Teltow-Kanal wieder zurückrannte.

Eine Dauerlauferei von hin und her zwölf Kilometern jede Nacht, die mir mühelos erschien, denn das Ziel war jede Anstrengung wert. Die Kraftnahrung, mit der Athleten heute gefüttert werden, bestand für mich damals aus einem Marmeladebrot morgens und abends und einer wäßrigen Kohlsuppe mittags.

Was den Schluß zuläßt, daß es die Psyche ist, die motiviert werden muß, um Bärenkräfte zu entwickeln. Leider ängstigte sich Ingrid beim Abschied jedesmal zu Tode, ob ich auch heil wieder »nach Hause« kommen würde, sonst hätten meine nächtlichen Marathonläufe den ganzen Sommer hindurch dauern können, bis ich tot umgefallen wäre.
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Und dann erwischten sie mich doch

Um also Ingrid zu beruhigen, beging ich eines morgens den Fehler, eine Scheibe in der Wachtbude einzudrücken, hinter der im ersten Licht ein Telefonapparat schimmerte. Der Legal Adviser von General Clay erzählte mir ein Jahr später, was sich bei der Army Intelligence tat, als das Tonband abgehört wurde, das alle Telefongespräche meiner Freundin aufzeichnete:

Morgens um 4.22 Uhr hätte es »Knack« gemacht, und die unverwechselbare Stimme des offiziell in Einzelhaft sitzenden Untersuchungsgefangenen Tremper hätte »etwas atemlos« gerufen: »Bin wieder drin!«, Knack Mittags fuhr gleich eine ganze Kolonne von Jeeps am Teltow-Kanal vor, und sechs schwerbewaffnete Militärpolizisten transportierten mich aus dem Freiluftlager ab und brachten mich zurück in die Einzelzelle. Major Sabo sagte bei der nächsten Bridge-Runde, zu der Ingrid nicht mehr erschien: »This friend of hers is a bad, bad boy, my dear!«

Ich blieb bis zum 20. Oktober 1947 in dieser 2,80 X 1,80 Meter großen Einzelzelle, wurde alle zwei Wochen vom Gerichtsoffizier befragt, ob ich eine Aussage zu machen hätte, und bekam zum Abschied regelmäßig zu hören: »Unter zwanzig Jahren kommen Sie hier nicht mehr heraus, Tremper!«

Ich weigerte mich standhaft, ein Geständnis abzulegen, glaubte unbeirrt an Felix' Versprechen, mich herauszuholen. Doch die Isolation wurde etwas gelockert, ein Bücherkalfaktor durfte mich einmal die Woche besuchen, und ich lieh mir jedesmal denselben dicken Wälzer aus, die Pickwickier von Charles Dickens, um Englisch weiterzulernen.
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Der Bücherkalfaktor Werner Asendorf

Der Bücherkalfaktor war ein bebrillter 30jähriger mit Halbglatze und hieß Werner Asendorf. Er war ein ehemaliger Fähnleinführer des Jungvolks, der 1937/38 als Austauschstudent in die USA geschickt worden war, um auf dem Campus für den Nationalsozialismus zu werben - so dürfte es sich sein Reichsjugendführer Baldur von Schirach, der selbst eine amerikanische Mutter hatte, wohl vorgestellt haben.

Aber es kam genau umgekehrt: Werner Asendorf lernte eine umwerfende Blondine kennen, die aussah wie eine junge Grace Kelly, und wurde von ihr weltanschaulich völlig umgedreht. Er nahm sie mit nach Großdeutschland und heiratete sie, kaum daß der Krieg ausgebrochen war, sowohl vor einem deutschen Standesamt als auch vor dem amerikanischen Konsul.
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Einen Freund gewonnen

Und als Hitler dann Ende 1941 den USA den Krieg erklärte, erreichte Asendorf, daß seine schwangere Frau nach Dänemark gehen durfte, wo ihre Vorfahren herkamen, während er selbst für die Auslandspresseabteilung des Auswärtigen Amtes u. k gestellt wurde und heimlich für die Navy Intelligence der Amerikaner zu arbeiten begann.

Das alles erzählte mir Werner bei seinen wöchentlichen Besuchen, während wir über seinem Bücherkasten die Köpfe zusammensteckten und der deutsche Justizwachtmeister gelangweilt in der offenen Zellentür lehnte.

Als der Krieg vorbei war, wurde Werners Frau, nach der Geburt einer Tochter, in die USA repatriiert, obwohl Werner sie auf häufigen Dienstreisen nach Dänemark erneut geschwängert hatte, und seitdem wartete der arme Kerl auf seine Ausreiseerlaubnis nach Portland/Oregon, im dritten Friedensjahr nun schon.

Im Vertrauen auf seine amerikanische Bindung hatte er den Fragebogen ein bißchen nachlässig ausgefüllt und sechs Monate Gefängnis bekommen, was ihn maßlos deprimierte, denn nun durfte er für lange Zeit überhaupt nicht mehr auf ein Visum hoffen. Seine Frau, die ihm noch eine zweite Tochter gebar, arbeitete indes an der Genehmigung, wieder zu ihrem Mann nach Deutschland reisen zu dürfen. Some Fate!

Werner Asendorf wurde mein bester Freund. Unter den Zetteln, die er mir bei jedem Besuch zusteckte, befand sich einer, auf den er geschrieben hatte: »Melde dich umgehend bei Curt Riess, Hotel am Zoo, wenn du herauskommst!«
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Zwei Minuten unter Ausschluß der Öffentlichkeit

Am 20. Oktober 1947, ich war seit vier Wochen neunzehn Jahre alt, wurde ich »Unter Ausschluß der Öffentlichkeit« vormittags dem Unteren amerikanischen Militärgericht vorgeführt, das nur Urteile bis zu zwei Jahren verhängen konnte.

Aber nicht der Richter Sabo saß ihm vor, sondern ein Lieutenant-Colonel slawischen Namens, Swoboda oder so ähnlich, und das war einer der obersten Richter, wie man mir zuflüsterte, der auch lebenslänglich verordnen konnte. Da sank mir das Herz wirklich in die Hose.

Aber alles war nur Show, der letzte Versuch, mich einzuschüchtern. Dieser Richter fragte mich nach meinen Personalien, und als die festgestellt waren, nach der Anklage. Ein mir unbekannter Offizier erhob sich und las den Satz vor: »Der Angeklagte hat sich einer wissentlich falschen Aussage gegenüber einem Beauftragten der amerikanischen Streitkräfte in Europa schuldig gemacht!« - und setzte sich wieder.

Darauf der Richter: »Bekennen Sie sich schuldig?« Und mein Anwalt, wie vorher abgesprochen: »Yes, Sir!« Swoboda oder so ähnlich schlug mit dem Hammer auf den Tisch und rief: »Acht Monate Jugendgefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft!« Und fragte schon nach dem nächsten Fall. Das Ganze hatte keine zwei Minuten gedauert.
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Hunger begünstigt jedes Verbrechen

Nur die »Neue Zeitung«, als offizielles Blatt der amerikanischen Besatzungsmacht, erschien am Tag nach meinem Blitzprozeß mit der Meldung »Tremper verurteilt«, als ob ich ein bekannter Name gewesen wäre, bei dem man aufhorcht.

Das war wohl auch die Absicht des amerikanischen Geheimdienstes - die Russen sollten zusammenzucken. Als ich für dieses Buch im »Tagesspiegel«-Archiv nach meinen alten Veröffentlichungen forschen ließ, entdeckte die Sachbearbeiterin auf meiner Akte den handschriftlichen Vermerk: Am 21. Oktober 1947 ausgeschieden.
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Meine Freunde hatten mir also die Treue gehalten

Ich war gerührt: Bis mein Name in der »Neuen Zeitung« stand, hatten mir meine Freunde also die Treue gehalten! Kurioserweise hatte ich nie etwas Schriftliches über mein Ausscheiden erfahren. Helmut Meyer-Dietrich, den ich 1948 wiedertraf, erklärte mir, warum ich nicht schon vorher rausgeschmissen worden war: »Als deine Verhaftung in der Redaktionskonferenz diskutiert wurde, sagte Erik Reger: Man schickt einem Mann, der bloß in Untersuchungshaft sitzt, doch nicht gleich eine Kündigung!... Später ist es dann wohl vergessen worden«

Die Jugendstrafanstalt Plötzensee im Herbst 1947, das war kein Honiglecken. Ich bezweifle, ob das viele der dort einsitzenden Jugendlichen überlebt haben. Sie hatten zum Teil entsetzliche Verbrechen begangen, Geschäftsleute wie harmlose Nachbarn überfallen und beraubt, Banden gebildet und wahllos gemordet. Fast alle hatten keine Väter mehr, viele auch keine Mutter.

Auffallend, daß die meisten noch 1947 sagten: »Der Alte ist Soldat... in Gefangenschaft... irgendwo in Rußland«, und die wenigsten das Wort »gefallen« benutzten. Sie wußten offenbar gar nicht, was mit dem Vater passiert war, hatten sich in Flüchtlings-Trecks aus dem Osten befunden, waren total entwurzelt und in einer fatalen gesundheitlichen Verfassung.

Zumal es in Plötzensee wieder einmal nur die bekannte, wäßrige Kohlsuppe und morgens und abends ein Marmeladebrot gab. Verglichen mit meinen Mithäftlingen, kam ich in bester Verfassung dort an, wog bei einer Größe von 1,72 Meter am Anfang noch 62 Kilo, aber sieben Wochen später auch nur noch 52 Kilo.
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