Ein Artikel aus Schneider-Kreuznach Hausmitteilungen 1959-74
Zu den Hausmitteilungen des Dr. Klarmann geht es hier lang. Die Schneider Kreuznach Hausmitteilungen gab es von 1949 bis 1974. Uns liegen sie leider erst ab 1959 vor. Die Inhalte sollten das Haus Schneider /ISCO nicht verlassen, so jedenfalls stand es fast immer hinten drauf.
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Rückblick auf Entwicklungen im Hause Jos. Schneider & Co.
von H. Klarmann, Bad Kreuznach - in der letzen Ausgabe 1974 (mit 33 Bildern)
Inhaltsangabe: Nach einigen Bemerkungen zur Gründung des Hauses SCHNEIDER, seinen Zielen und dem äußeren Rahmen wird an charakteristischen Beispielen die Entwicklung einiger SCHNEIDER-Objektive beschrieben, wie sie sich im Verlauf von 60 Jahren auf Grund neuer Erkenntnisse, neuer Werkstoffe, neuer Anwendungsmöglichkeiten und neuer Technologien ergeben hat.
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1. EINLEITUNG
Die Geschichte eines Unternehmens fängt dann an interessant zu werden, wenn seine Anfänge in Vergessenheit geraten sind. Was die Gründer des Hauses SCHNEIDER vor mehr als 60 Jahren letzten Endes veranlaßt hatte, in ihrer Heimatstadt Bad Kreuznach eine „Optische Anstalt" zu gründen, kann nur vermutet werden.
Die unternehmerischen Fähigkeiten des Vaters - Josef Schneider (1855-1933) -, der sich zuvor in einer anderen Branche sowohl in Rußland wie in USA erfolgreich betätigt hatte und die technischen - insbesondere optischen - Interessen des Sohnes - Josef August Schneider (1888-1950) - mögen dem oberflächlichen Betrachter ausreichende Argumente liefern. Die eigentliche Wurzel aber muß tiefer liegen.
Eine Landschaft, die eher zur Beschaulichkeit anregt als zum Errichten eines nüchternen Erwerbsunternehmens, kann zu dem einsam gefaßten Entschluß der Gründer auch keinen Beitrag geliefert haben. Bleiben noch philanthropische Beweggründe als Ursache. Sie sind aus heutiger Sicht in einer veränderten Welt kaum diskutabel.
Finden wir uns also mit dem Tatbestand ab, daß vor 60 Jahren in Bad Kreuznach sich zwei Männer - Vater und Sohn - entschlossen hatten, photographische Objektive zu entwickeln, herzustellen und zu vertreiben.
heute in 1974 - 60 Jahre - konsequent
Ist dieser Entschluß schon erstaunlich genug, noch erstaunlicher ist die Beharrlichkeit mit der an diesem Entschluß 60 Jahre lang festgehalten worden ist. Daran haben auch zwei Weltkriege, die das Unternehmen jedesmal zu neuen Anfängen gezwungen haben, nichts ändern können.
Methoden und Verfahren haben vielerlei Wandlungen durchgemacht, aber von dem Vorhaben, photographische Objektive zu entwickeln, herzustellen und zu vertreiben, ist das Haus SCHNEIDER in seiner 60jährigen Geschichte niemals abgewichen. Ihm galt jede Initiative. Und nun ist der Enkel - Hans Joseph Schneider - bereits dabei, diesen Weg konsequent fortzuführen.
Logische Folgerungen dieser Haltung sind sowohl in der Quantität als auch in der Qualität der hergestellten Erzeugnisse und der systematisch betriebenen Erweiterung und Vervollständigung des Programmen zu beobachten. Waren es zum Beginn zunächst nur Aufnahme-Objektive für die Stehbild-Photographie, so kamen bald Vergrößerungs-Objektive, Objektive für Laufbild-Aufnahmen und -Wiedergaben, Objektive für das graphische Gewerbe und schließlich solche für das Fernsehen hinzu.
2. DER ÄUSSERE RAHMEN
Die „Optische Anstalt", - wie das Unternehmen ursprünglich hieß -, von SCHNEIDER in Bad Kreuznach stand zunächst nur auf dem Papier. Zielstrebig mußten Fachleute angeworben, Werkstätten eingerichtet und Abnehmer gewonnen werden. Zu den Fachleuten zählten nicht nur Praktiker für die Fertigung, sondern von Anfang an auch Spezialisten für die Entwicklung optischer Systeme.
Bereits wenige Jahre nach der Gründung erfolgte die Herstellung von optischen Systemen nach eigenen Schutzrechten, deren erstes schon im Gründungsjahr erteilt worden ist. Aus dem Gründungsjahr stammen auch die Warenzeichen SYMMAR, COMPONAR und ISCONAR.
Kein Zufall sondern System
Auch der Ausbau der Werkstätten ist nicht dem Zufall überlassen worden. Deutlich sind hier drei Stufen zu erkennen. Der Anfang erfolgte bescheiden in notdürftig hergerichteten Räumen und leicht zu erweiternden Behelfsbauten. Erst 23 Jahre nach der Gründung - diese Verzögerung ist auf den ersten Weltkrieg und seine Folgen zurückzuführen - ist in der Universitätsstadt Göttingen als zweite Stufe ein sorgfältig geplanter, spezieller Fabrikbau errichtet worden, dem wenig später als dritte Stufe ein weiterer in Bad Kreuznach folgte. Das Göttinger Unternehmen erhielt die Bezeichnung ISCO, eine Abkürzung des Namens des Stammhauses JOS. SCHNEIDER & CO.
Grundlagen für eine Objektivfertigung großen Stils
Mit diesen beiden Fabrikbauten waren die Grundlagen für eine Objektivfertigung großen Stils geschaffen. Die Ausnutzung ihrer Kapazitäten war aber erst nach dem zweiten Weltkrieg möglich.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte das Haus SCHNEIDER in 35 Jahren zwei Millionen Objektive gefertigt, aber in den folgenden 25 Jahren mit ISCO zusammen siebzehn Millionen, so daß die SCHNEIDER-Gruppe bis jetzt nahezu zwanzig Millionen Objektive hergestellt hat.
Die große Zahl darf zumindest als ein Maßstab für die Perfektion der Objektiv-Fertigung bei SCHNEIDER angesehen werden. Nun besteht die eigentliche Leistung eines Unternehmens weniger in der Quantität sondern mehr in der Qualität der erzeugten Produkte. Gerade auf die Qualität seiner Erzeugnisse hat das Haus SCHNEIDER besonders geachtet und deshalb auch von Anfang an eigene Entwicklungen betrieben. Über einige dieser Entwicklungen wird im folgenden berichtet.
3. ENTWICKLUNGEN IM HAUSE SCHNEIDER
Die Entwicklung optischer Systeme auf breiterer Basis hat erst nach der Bekanntgabe der Entdeckung der Photographie am 7. Januar 1839 durch Arago vor der Französischen Akademie der Wissenschaften eingesetzt. Dabei bildeten die Euklidische Geometrie und das Brechungsgesetz von Snellius aus dem Jahre 1615 die Grundlagen.
Der Optik-Konstrukteur mußte durch Variation der Krümmungsradien der Linsen, ihrer Dicken, Abstände und Materialkonstanten (Brechzahl und Farbzerstreuung) eine möglichst vollkommene Vereinigung der von einem Objektpunkt ausgehenden und in das optische System eintretenden Strahlen in ein und demselben Bildpunkt hinter dem Objektiv anstreben, und das für einen Wellenlängenbereich einer knappen Oktave.
In der Praxis bedeutete das die immer wiederholte Anwendung des Brechungsgesetzes, d. h. die laufende Wiederholung eines im Prinzip einfachen Rechenvorgangs. Da es sich um sehr viele solcher übereinstimmenden Rechenvorgänge handelte, lagen die Schwierigkeiten bei der Berechnung photographischer Objektive nicht nur im Wissen dessen, was man tun sollte, sondern auch in den Rechenverfahren, d.h. wie man es tun sollte, um mit der Zeit zurechtzukommen.
Die elektronisch gesteuerten Rechenmaschinen
Die letzte Frage ist durch den Einsatz elektronisch gesteuerter Rechenmaschinen in jüngster Zeit geradezu ideal gelöst worden. Dabei übersehe man aber nicht, daß zwischen den acht k.u.k.-Kanonieren Petzvals - dem ersten Errechner photographischer Objektive aus dem Jahre 1839 - und einem modernen Computer kein prinzipieller sondern nur ein gradueller Unterschied besteht.
Die erste Frage, nach dem was man tun soll, um ein optimal korrigiertes optisches System zu entwickele ist nach wie vor ein Problem, das der Computer allein nicht bewältigen kann.
Der erfolgreiche Optikkonstrukteur muß neben der Unbestechlichkeit gegenüber Realitäten auch noch Sinn für einen harmonischen Ausgleich haben. Er muß durch geschicktes Abwägen widersprechender Einflüsse das rechte Maß im Kompromiß finden. Seine Tätigkeit erinnert etwas an die eines Geigenvirtuosen, der geschriebene Noten auf seine Art interpretiert.
Eine eigene Entwicklungsabteilung
Die Gründer des Hauses SCHNEIDER waren sich darüber im klaren, daß eine unabhängige Produktion eine eigene Entwicklung voraussetzt. Eine solche ist auch gleich zu Beginn des Unternehmens eingerichtet worden.
Es ist im Hause SCHNEIDER zu keiner Zeit Lizenzfertigung in nennenswertem Umfang betrieben worden. Dagegen sind schon immer Lizenzen für photographische Objektive an andere - zum Teil namhafte - Unternehmen vergeben worden.
Von den z. Z. in Bad Kreuznach und Göttingen gefertigten Objektivtypen - es handelt sich dabei um über 200 verschiedene optische Systeme, von denen beim kleinsten der Glasanteil weniger als 1g beträgt und beim größten 3,6kg, in ca. 1.000 unterschiedlichen mechanischen Ausführungen - fällt der weitaus größte Teil unter eigene Schutzrechte. Für Objektive mit veränderbarer Brennweite gilt das sogar zu 100%.
Entwicklungen sind nie abgeschlossen
In der Technik kann eine Entwicklung nur in den seltensten Fällen als abgeschlossen angesehen werden. Für optische Systeme gilt das ganz besonders. Hier ist ohnehin jede Lösung eines Problemes immer nur eine auf mehreren Kompromissen beruhende Näherungslösung. Bei dieser Sachlage ist verständlich, wenn der Optik-Konstrukteur laufend auf der Suche nach geeigneteren Lösungen ist, wobei die Ursache für eine fortschreitende Entwicklung ganz verschiedene Wurzeln haben kann, wie z. B.:
- neue Erkenntnisse,
- neue Werkstoffe,
- neue Technologien,
- neue Anwendungsmöglichkeiten usw.
Dabei ist das Ziel stets das gleiche: etwas Besseres zu schaffen. Dies wollen wir an einigen ausgewählten Beispielen erläutern.
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4.1. Zur Entwicklung des SCHNEIDER-SYMMARS
Die SYMMAR-Objektive haben in der Fachphotographie ihren festen Platz. Es sind Objektive mit einem Bildkreis, der weit über dem eines Normal-Objektivs gleicher Brennweite liegt. Der große Bildkreis auf der einen Seite und die hohe Leistungsfähigkeit bis zum Rand auf der anderen erlauben große Verstellungen des Objektivs aus der Symmetrieachse der Kamera.
Die Brennweiten der SYMMAR-Objektive sind so gestuft, daß bei voller Öffnung die eingeführten Aufnahmeformate ohne starke Bildwinkelbeanspruchung ausgezeichnet werden. Bei Abblendung aber steht dann ein größerer Bildwinkel - bis 70° - zur Verfügung, so daß die mechanischen Verstellmöglichkeiten der Großformat-Kameras optisch auch genutzt werden können.
Das SYMMAR zählt zu den ältesten Objektiven des Hauses SCHNEIDER. Unter den ersten 25.000 SCHNEIDER-Objektiven befanden sich schon mehrere SYMMAR-Typen mit Brennweiten von 60mm bis 480mm. Der optische Aufbau war allerdings ein anderer als der der heutigen. Man hatte seinerzeit den DAGOR-Typ gewählt (Bild 1), der sich für größere Bildwinkel besonders eignet, allerdings unter Verzicht auf höhere Öffnungen.
Der DAGOR-Typ erlaubt eine gute Korrektion der Verzeichnung und eine für die damalige Zeit beachtliche Verringerung der sphärischen Aberration und des Astigmatismus (Bild 4).
Bilder 1 bis 3:
Linsenschnitte der SCHNEIDER-SYMMAR-Objek-
tive. Von links nach rechts:
135 mm f/6,8 aus dem Jahre 1920,
135 mm f/5,6 von 1952 und SYMMAR-S
135 mm f/5,6 aus dem Jahre 1972 (Maßstab 1:1).
Bilder 4 bis 6:
Sphärische Aberration, Verzeichnung und Astigmatismus in der von Rohrschen Darstellung des 1920er (links), 1952er (mitte) und 1972er SYM-MARS (rechts).
Bilder 7 bis 9:
Auflösungsvermögen des 1920er (links), 1952er (mitte), und 1972er SYMMARS (rechts), ermittelt mit panchromatischen Emulsionen mit einem Auflösungsvermögen von 125 Linienpaaren je Millimeter auf Platten bei voller Objektivöffnung und einem Abbildungsmaßstab von 1:20.
SCHNEIDER hat an diesem Typ bis in die fünfziger Jahre festgehalten. Dann erlaubten die Fortschritte in der Entspiegelungstechnik die Aufspaltung des zweigliedrig-sechslinsigen DAGORS in einen viergliedrig-sechslinsigen Typ nach der Art des PLASMATES (Bild 2). Diese Aufspaltung brachte nicht nur eine Vergrößerung der Ausgangsöffnung, sondern erlaubte darüber hinaus auch eine bessere Korrektion der spärischen Aberration (Bild 5). Dieser Objektiv-Typ ist - abgesehen von kleinen Verbesserungen - zwei Jahrzehnte gefertigt worden. Während dieser Zeit ist die Bedeutung des SYMMARS für die Fachphotographie weiter gewachsen.
Große Fortschritte nach 1945
Nun sind in der Zeit nach 1945 in den Korrektionsverfahren für optische Systeme so große Fortschritte erzielt worden, daß bei der Anwendung derselben auf das SYMMAR eine weitere Leistungssteigerung zu erwarten war. Der Einsatz neuer Optimierungsverfahren brachte in der Tat einen Fortschritt.
Den neuen Linsenschnitt zeigt Bild 3 und die dazu gehörenden Kurven für die sphärische Aberration, die Verzeichnung und den Astigmatismus das Bild 6.
Der eigentliche Fortschritt in der Leistung dieser drei SYMMAR-Objektivtypen geht auch sehr anschaulich aus den Bildern 7, 8 und 9 hervor. In diesen Bildern ist das meridionale (gestrichelt) und sagittale (ausgezogen) Auflösungsvermögen dieser drei Typen zu sehen.
Die Zahlenwerte für diese drei Kurven sind Aufnahmen auf Platten mit panchromatischen Emulsionen mit etwa 125 Linienpaaren pro Millimeter bei voller Öffnung des Objektivs und einem Abbildungsmaßstab von 1 :20 entnommen. Man sieht deutlich, wie das Auflösungsvermögen von Typ zu Typ gesteigert worden ist.
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4. 2. Die Fortschritte beim SCHNEIDER-XENON
Im Gegensatz zum SYMMAR mit seinen verhältnismäßig geringen Öffnungen ist das XENON ein hochgeöffnetes System. Es ist eine Weiterentwicklung des PLANARS von Rudolph. Dem Alter nach ist das XENON etwa 5 Jahre jünger als das SYMMAR. Ein erstes Schutzrecht auf ein SCHNEIDER-XENON stammt aus dem Jahre 1925. Bild 10 zeigt einen typischen Linsenschnitt.
XENON-Ob-jektive sind in den Brennweiten von 16mm bis 300mm für Schmalfilm-, Fernseh- und Kleinbildkameras entwickelt worden. Ihre Ausgangsöffnungen lagen über 1:2,0. Sie werden heute noch in größeren Stückzahlen gefertigt.
Bild 10: Prinzipieller optischer Aufbau des SCHNEIDER XENONS 50 mm f/1,9 (Maßstab 2 : 1).
Auch das XENON hat im Laufe der Zeit verschiedene Entwicklungsstadien durchlaufen. Während die Entwicklung der SYMMAR-Objektive schwerpunktmäßig den Fortschritten in der rechnerischen Korrektionstechnik zugeschrieben werden darf, lag die Ursache für die Weiterentwicklung des XENONS in erster Linie auf der Werkstoffseite. Hierbei hat sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Glashersteller, dem Jenaer Glaswerk Schott & Co. in Mainz, als besonders fruchtbar erwiesen.
Um Marktbeunruhigungen zu vermeiden, sind die verbesserten Objektive dieses Typs meistens stillschweigend eingeführt worden. Die Ablösung eines Objektivtyps durch einen besseren der gleichen Art ist nach außen nicht bekannt gegeben worden, es sei denn, es konnte dabei auch die Öffnung vergrößert werden. Die im Laufe der Zeit beim XENON erzielten Fortschritte können den Bildern 11, 12 und 13 entnommen werden. Hier sind die Kurven für die sphärische Aberration und den Astigmatismus für das XENON 50mm aus den Jahren 1950, 1960 und 1970 dargestellt.
Bild 11 : Sphärische Aberration und Astigmatismus des SCHNEIDER XENONS 50 mm f/2,0 aus dem Jahre 1950 (oben links).
Bild 12 : Sphärische Aberration und Astigmatismus des SCHNEIDER-XENONS 50 mm f/1,9 aus dem Jahre 1950 (oben mitte).
Bild 13 : Sphärische Aberration und Astigmatismus des SCHNEIDER-XENONS 50 mm f/1,8 aus dem Jahre 1970 (oben rechts).
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4.3. SCHNEIDER-Weitwinkel-Objektive
4.3.1. WEITWINKEL-OBJEKTIVE FÜR MITTEL- UND GROSS-FORMAT-KAMERAS
Die Bedeutung von Weitwinkel-Objektiven für die Bildnisphotographie muß den Gründern des Hauses SCHNEIDER von Anfang an bekannt gewesen sein, denn nur wenige Monate nach dem Erscheinen der SYMMARE wurden bereits Weitwinkel-Objektive angeboten.
Die ersten Weitwinkel-Objektive mit dem Markennamen DASYKAR erschienen 1920. Es handelte sich um nahezu symmetrische, zweigliedrig-vierlinsige Systeme mit einer Ausgangsöffnung von 1:12,5.
Nur wenige Jahre später setzte zielstrebig ihre Weiterentwicklung ein, die 1930 zum ANGULON mit der Öffnung 1:6,8 führte. Dies war ein zweigliedrig-sechslinsiger Typ, ebenfalls von nahezu symmetrischer Bauart. Die beiden Komponenten des ANGULONS 1:6,8 waren jeweils für sich auskorrigiert. Die Brennweite des Gesamtobjektivs verhielt sich zu der der einzelnen Komponenten wie 1:1,5:2,0. Das ANGULON 1:6,8 war also ein „Satzobjektiv".
Sein Linsenschnitt diente als Vorlage für das Warenzeichen des Hauses (vgl. Bild 14). Der Bildwinkel des ANGULONS 1:6,8 betrug 80°. Es ist bis in die jüngste Zeit in den Brennweiten 65, 90, 120, 165 und 210mm gefertigt worden.
Bild 14: Linsenschnitt der vorderen Komponente des SCHNEIDER-ANGULONS f/6,8 als Vorlage für das Warenzeichen des Hauses.
Um 1955 wurden dem ANGULON 1:6,8 mit 80° Bildwinkel zunächst das viergliedrig-sechslinsige SUPER-ANGULON mit der Öffnung 1:8 und einem Bildwinkel von 100° zur Seite gestellt und wenige Jahre später das viergliedrig-achtlinsige SUPER-ANGULON 1:5,6 mit einem Bildwinkel von 105° (vgl. Bild 15). Bei diesen neuen Typen mit größeren Bildwinkeln hat man auf die Verwendbarkeit der Einzelkomponenten zugunsten des Ganzen absichtlich verzichtet.
Bild 15 : Linsenschnitt des SCHNEIDER-SUPER-ANGULONS 47 mm f/5,6 (Maßstab 1:1).
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4.3.2. NAHEZU SYMMETRISCHE WEIWINKEL-OBJEKTIVE FÜR KLEINBILD-KAMERAS
Die bisher beschriebenen Weitwinkel-Objektive waren für Mittel- und Großformate bestimmt. Aber auch bei der Kleinbild-Photographie bestand Interesse an Objektiven mit größeren Bildwinkeln. Wohl gab es dafür Objektive bis zu einem Winkel von 74°. Da gelang dem Hause SCHNEIDER 1957 ein großer Sprung nach vorn mit einem SUPER-ANGULON von 21mm Brennweite für das Kleinbild-Forinat mit einem Bildwinkel von 90° (vgl. Bild 16). Dieses Objektiv ist später von 1:4,0 auf 1:3,4 aufgeöffnet worden. Trotz größerer Öffnung konnte dabei - ohne jede Leistungseinbuße - der optische Aufwand noch verringert werden. Das SUPER-ANGULON 21mm f/3,4 entsprach in seinem Aufbau etwa dem von Bild 15.
Bild 16: Linsenschnitt des SCHNEIDER-SUPER-ANGULONS (Maßstab 1:1).
In einer Übersicht über Weitwinkel-Objektive in der Zeitschrift PHOTO-TECHNIK UND -WIRTSCHAFT (Heft 4. 1964) sind diese beiden SCHNEIDER-Objektive als „Meilensteine der Photographie" bezeichnet worden. Der Londoner Korrespondent Michael J. Langfort der New Yorker Zeitschrift „Industrial Photography" zählt in seinem Bericht über die technologische Entwicklung das SCHNEIDER-SUPER-ANGULON 21mm f/3,4 zu den drei bedeutendsten Objektivkonstruktionen des Jahres 1963.
4. 3. 3. UNSYMMETRISCHE WEITWINKEL-OBJEKTIVE
Die bisher beschriebenen Weitwinkel-Objektive sind von nahezu symmetrischer Bauart, d. h. sie haben alle Schnittweiten, die etwas kürzer sind als ihre Brennweiten. Der Einbau solcher Objektive stößt sowohl bei Spiegelreflex-Kameras als auch bei Film-Kameras auf Schwierigkeiten. Diese benötigen zwischen dem letzten Linsenscheitel und der Bildebene einen größeren Abstand.
Außerdem sind für Laufbild-Kameras Objektive mit höherer Öffnung erforderlich. Bei symmetrischen oder nahezu symmetrischen Objektiven sind höhere Offnungen durchaus realisierbar, aber keine Schnittweiten, die wesentlich länger sind als die Brennweiten. Um dies zu erreichen, mußten neue Wege gesucht werden.
Diese fanden sich im Prinzip in der Kombination eines hochgeöffneten Gauß-Objektivs mit einem zerstreuenden Vorsatz. Die Entwicklung derartiger Kombinationen - bekannt unter dem Namen „inverted telephoto lens" - konnte im Hause SCHNEIDER erst nach 1945 aufgenommen werden. Ein erstes Objektiv dieser Art aus dem Hause SCHNEIDER war das CINEGON 20mm f/2,0 (vgl. Bild 17) aus dem Jahre 1950.
Es war für Unterwasseraufnahmen entwickelt worden, hatte einen Bildwinkel von 65° und eine Schnittweite, die um 1/3 länger war als seine Brennweite. Sphärische Aberration und Astigmatismus dieses Objektivs sind im Bild 18 dargestellt.
Nur wenige Jahre später ist dieser Typ durch das CINEGON 18mm f/1,8 abgelöst worden (vgl. Bild 19). Das CINEGON 18mm hat nicht nur eine höhere Ausgangsöffnung und einen größeren Bildwinkel von 74°, es ist auch kleiner in seinen Abmessungen und besser korrigiert (vgl. Bild 20). Dieser Objektivtyp wird heute noch in mehreren Variationen für Schmalfilm, und Fernsehkameras gefertigt.
Bild 17: Optischer Aufbau des SCHNEIDER CINEGONS 20 mm f/2,0 (Schnittweite: 27 mm, Bildwinkel: 65°) (Maßstab 1 : 2).
Bild 19: Optischer Aufbau des SCHNEIDER-CINEGONS 18 mm f/1,8 (Schnittweite: 22 mm, Bildwinkel: 74°) (Maßstab 1 :2).
Bild 18: Sphärische Aberration und Astigmatismus beim SCHNEIDER-CINEGON 20 mm f/2,0 (oben links).
Bild 20: Sphärische Aberration und Astigmatismus beim SCHNEIDER-CINEGON 18 mm f/1,8 (oben rechts).
Bild 21: Linsenschnitt des SCHNEIDER-PA-CURTAGONS 35 mm f/4,0 (Maßstab 1 : 1,25).
Dem Prinzip nach von gleichem Aufbau sind die folgenden Weitwinkel-Objektive mit Schnittweiten über 37mm für einäugige Spiegelreflex-Kameras des Kleinbild-Formates:
- SCHNEIDER-CURTAGON 28mm f/4,0
- SCHNEIDER-CURTAGON 35mm f/2,8 und das
- SCHNEIDER-PA-CURTAGON 35mm f/4,0
Während die beiden ersten Objektive nur das (KLeinbild-)Format 24mm x 36mm auszeichnen, hat das SCHNEIDER-PA-CURTAGON 35mm f/4,0 einen Bildkreisdurchmesser von 57mm (vgl. Bild 21). Seine optische Achse kann deshalb bis zu 7mm von der Kameraachse weg in jede Richtung verschoben werden, ohne daß eine Abschattung im Bildfeld eintritt. Die Bezeichnung PA bedeutet: Perspectivity Adjusting. Mit diesem Objektiv können die Vorteile der Objektiv-Verschiebungen bei Großbild-Kameras auch bei Kleinbild-Kameras genutzt werden. Bei der Entwicklung dieses Objektivs waren nicht nur optische, sondern auch mechanische Probleme zu lösen.
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4.4. SCHNEIDER-Tele-Objektive
Die Entwicklung von Tele-Objektiven ist im Hause SCHNEIDER ebenfalls von Anfang an mit Sorgfalt betrieben worden. Dabei waren die Schwierigkeiten wegen der kleineren Bildwinkel zweifellos geringer. In den ersten 10 Jahren behalf man sich sogar mit „Tele-Vorsätzen". Das waren zweifach verkittete Negativglieder, die vor Normal-Objektive geschaltet wurden.
Durch Variation des Abstandes dieses Negativgliedes von dem Grundobjektiv konnte der Abbildungsmaßstab von 2 1/2- bis zu 7fach vergrößert werden. Die Abstandsänderung zwischen dem Grundobjektiv und dem Tele-Vorsatz erfolgte damals schon über einen Schneckengang.
Bereits 1926 bot SCHNEIDER speziell errechnete Tele-Systeme an. Sie bestanden aus einer sammelnden Komponente, der in größerem Abstand eine zerstreuende Komponente folgte. Diese echten Tele-Systeme zeigten nicht nur eine gesteigerte Leistungsfähigkeit gegenüber den Kombinationen aus Grundobjektiven und Tele-Vorsätzen, sie waren bei gleicher Öffnung und Brennweite auch kleiner und benötigten nur einen geringeren Auszug der Kamera.
Gerade die überlegene Handlichkeit hat den echten Tele-Systemen ein so großes Anwendungsgebiet verschafft, daß sie nicht mehr wegzudenken sind. Infolgedessen mußte auch die Weiterentwicklung dieser Objektive betrieben werden
Bild 22: Schnitt durch ein SCHNEIDER-TELE-ARTON 5,5/270 aus dem Jahre 1963 mit einem „Floating-Element" zur Kompensation des Astigmatismus bei Veränderungen des Abbildungsmaßstabes (Maßstab 1 : 2).
Ihre Leistungsfähigkeit ist im Laufe der Zeit ganz allgemein gesteigert worden. Der für ältere Tele-Systeme charakteristische Verzeichnungsfehler konnte eingeengt werden. Schließlich erreichte man vor etwa 10 Jahren einen Stand, bei welchem die Abhängigkeit der Leistung vom Abbildungsmaßstab störend auffiel.
Das Problem des Astigmatismus
Tele-Systeme nach Bild 22, die für große Arbeitsabstände korrigiert waren, zeigten eine geringere Leistung bei geringeren Arbeitsabständen (vgl. Bilder 23 und 24 mit 25 und 26). Das war im wesentlichen eine Folge des Anwachsens des Astigmatismus mit der Vergrößerung des Abbildungsmaßstabes.
Dieser Fehler konnte unterdrückt bzw. gänzlich vermieden werden, wenn man neben der Verschiebung des Gesamtsystems zur Veränderung der Entfernungseinstellung zusätzlich noch den Luftabstand zwischen den Linsen 4 und 5 vergrößerte bzw. die Linse 5 gegenüber der Linse 4 verschob (vgl. Bild 27).
Kombiniert man also die Gesamtverschiebung des Systems beim Fokussieren mit einer Relativbewegung der Linse 5, können die Bildfehler gegenüber Änderungen des Abbildungsmaßstabes invariant gehalten werden. In letzter Zeit ist dafür der treffende Ausdruck „Floating-Focusing" geprägt worden.
Bild 23: Sphärische Aberration, Verzeichnung und Astigmatismus ARTON 5,5/270 nach Bild 22 beim Abbildungsmaßstab 1:oo
Bild 24: Kurven des Auflösungsvermögens beim SCHNEIDER-TELE-ARTON 5,5/270 nach Bild 22 beim Abbildungsmaßstab 1 : oo (Prüfemulsion 125 Linienpaare pro mm).
Bild 25: Sphärische Aberration, Verzeichnung und Astigmatismus beim SCHNEIDER-TELE-ARTON 5,5/270 nach Bild 22 ohne zusätzliche Verschiebung der Linse 5 beim Abbildungsmaßstab 1 : 10.
Bild 26: Kurven des Auflösungsvermögens beim SCHNEIDER-TELE-ARTON 5,5/270 nach Bild 22, ohne zusätzliche Verschiebung der Linse 5 beim Abbildungsmaßstab 1 : 10.
Bild 27: Sphärische Aberration, Verzeichnung und Astigmatismus beim SCHNEIDER-TELE-ARTON 5,5/270 nach Bild 22, mit zusätzlicher Verschiebung der Linse 5 (Floating-Focusing) für alle Abbildungsmaßstäbe zwischen 1 : oc und 1 : 10. In diesem Fall entspricht die Auflösungskurve derjenigen in Bild 24.
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4.5. Wechsel-Objektive für Kleinbildkameras mit fest eingebautem Zentral-Verschluß
Kameras mit auswechselbaren Objektiven bieten wegen der bequemen Änderung des Abbildungsmaßstabes wesentlich mehr Möglichkeiten als Kameras mit fest eingebautem Objektiv. Nun können aber auch Kameras mit fest eingebautem Objektiv einen ganz wesentlichen Vorzug haben, wenn sie mit einem Zentralverschluß ausgestattet sind.
Beim Zentral-Verschluß als Zwischenlinsen-Verschluß werden während der Belichtung alle Stellen des Films praktisch zur gleichen Zeit belichtet. Beim Schlitz-Verschluß erfolgt die Belichtung des Filmes zeitlich nacheinander, weil der Schlitz sich über dem Film bewegt. Das führt bei schnellbewegten Objekten zu Verzerrungen. Außerdem eignet sich der Zentral-Verschluß - insbesondere, wenn er als Zwischenlinsen-Verschluß eingesetzt ist - wesentlich besser für Blitzaufnahmen, als der Schlitz-Verschluß, insbesondere bei „langsamen" Blitzen, die zu Beginn der Blitzlicht-Photographie vorherrschten.
Lösungssuche
Bei dieser Sachlage ist verständlich, wenn man auch für Kameras mit fest eingebautem Zwischenlinsen-Zentral-Verschluß nach Möglichkeiten der Änderung des Abbildungsmaßstabes suchte.
Da ein Objektivwechsel in solchen Kameras nicht vorgesehen ist, haben zunächst Vorsatzlinsen für kürzere Arbeitsabstände zum Photographieren im Nahbereich gedient und anschließend auch afokale Vorsätze nach der Art eines Galileischen Fernrohres.
Diese LONGAR-Vorsätze haben die Brennweite verlängert unter Umständen bis zum Doppelten. Mit Vorsätzen nach der Art eines umgekehrten Galileischen Fernrohres - CURTAR-Vorsätze - konnte man die Brennweite verringern, unter Umständen bis zum halben Wert. Diese Vorsätze beeinflußten weder die relative Öffnung noch die Schnittweite. Solche Vorsätze boten also auch Kameras mit fest eingebauten Objektiven Möglichkeiten zur Änderung des Abbildungsmaßstabes.
Nun sind aber alle Kombinationen von auskorrigierten optischen Systemen mit Vorsatzlinsen oder Vorsätzen grundsätzlich mit Leistungseinbußen gekoppelt. Außerdem reichen Vorsätze nur für ein kleines Bildfeld. Das Haus SCHNEIDER fand aber einen Weg, diesen Nachteil zu vermeiden.
Ausgangsbasis war dabei ein SCHNEIDER-XENON in einem Zentral-Verschluß als Zwischenlinsen-Verschluß. Der betreffende Verschluß war in die Kamera fest ein. gebaut. Er enthielt, ebenso fest eingebaut, die hintere Komponente des XENONS.
Diese fest eingebaute hintere Komponente des XENONS war für sich allein nicht auskorrigiert. Die Korrektion mußte jeweils mit der vorderen Komponente ergänzt und vollendet werden. Das war die entscheidende Idee.
Die Ergänzungsteile hatten also zwei Aufgaben zu erfüllen:
l.Sie mußten mit der hinteren Komponente zusammen ein komplettes, auskorrigiertes System ergeben.
2. Alle Kombinationen mußten mit dem im Verschluß und damit in der Kamera verbliebenen Objektivteil zwar zu unterschiedlichen Brennweiten, aber gleichen Schnittweiten führen.
Diese Aufgabe hat das Haus SCHNEIDER mit dem XENON C - C steht für Change - gelöst.
Das XENON C besteht aus einer hinteren Komponente - zwei Glieder mit drei Linsen -, die in einem Zentral-Verschluß unmittelbar hinter den Verschluß- und Blendenlamellen eingebaut ist. Diese fest eingebaute Komponente kann mit drei auswechselbaren vorderen Komponenten jeweils zu einem kompletten auskorrigierten System vervollständigt werden. Es sind drei Ergänzungsvorsätze entwickelt worden, die folgende Systeme ermöglichten (vgl. Abb. 28):
CURTAR-XENON C 35 mm f/5,6 und f/4,0
CURTAR-XENON C 50 mm f/2,0 und
LONGAR-XENON C 80 mm f/4,0
Die Leistungsfähigkeit der Kombinationen entsprach durchaus jener kompletter Systeme.
Bild 28: Linsenschnitt des: CURTAR-XENON C 35 mm f/4,0
XENON C 50 mm f/2,0 und des LONGAR-XENON C 80 mm f/4,0 (Maßstab: 1 : 1,5)
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4. 6. Zur Entwicklung von Objektiven mit veränderbarer Brennweite im Hause SCHNEIDER
Die Entwicklung von Objektiven mit veränderbaren Brennweiten hat das Haus SCHNEIDER um 1957 aufgegriffen und damit ein Betätigungsfeld betreten, das noch heute in starker Expansion begriffen ist.
Bereits zwei Jahre später lief ein erster Prototyp - ein Variogon 1:2,8/10-40 mm (13 Linsen in 9 Gruppen, vgl. Bild 29) - für das 8mm-Format in Serie. Es war das erste deutsche (Zoom-) Objektiv dieser Art nach dem zweiten Weltkrieg. Nur wenige Monate später wurde es durch ein Objektiv mit höherer Ausgangsöffnung und größerem Brennweitenbereich bei gleicher Abbildungsqualität, dem Variogon 1,8/8-48mm (13 Linsen in 10 Gruppen), abgelöst. Dieses Objektiv war bereits mit einer Einrichtung zur elektrischen Verstellung der Brennweite ausgerüstet.
Bild 29: Optischer Aufbau des SCHNEIDER-VARIOGON 10 - 40 mm f/2,8 (Maßstab 1 : 1,25).
Zu diesem Zeitpunkt kam die Einführung des Super-8-Formats. Dafür ist eine ganze Palette von Objektiven entwickelt worden:
- VARIOGON 1,8/10-30 10 Linsen in 10 Gruppen
- VARIOGON 1,8/ 9-36 11 Linsen in 10 Gruppen
- VARIOGON 1,8/ 8-48 13 Linsen in 12 Gruppen
- VARIOGON 1,8/ 7-56 13 Linsen in 12 Gruppen
- VARIOGON 1,8/ 7-80 16 Linsen in 14 Gruppen
- VARIOGON 1,8/ 6-66 13 Linsen in 12 Gruppen usw.
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11fache Vergrößerung des Brennweitenbereiches
Trotz gleicher Ausgangsöffnung ist der Brennweitenbereich vom dreifachen bis auf den elffachen erweitert worden. Dabei hat das VARIOGON 1:1,8/6-66mm (vgl. Abb. 30) bei gleicher Bildqualität nicht mehr optische Bauelemente als das erste VARIOGON 1:2,8/10-40mm (jeweils 13 Linsen) mit seinem geringeren Bildfeld, seiner geringeren Öffnung und seinem geringeren Brennweitenbereich.
Bild 30: Optischer Aufbau des SCHNEIDER-OPTIVARON 6 - 66 mm f/1,8 (Maßstab 1 : 1,25).
Parallel zur Entwicklung von Objektiven mit veränderbaren Brennweiten für Super-8-Kameras liefen auch Entwicklungen solcher Objektive für 16mm-, Kleinbild- und Fernseh-Kameras.
Auch für die Projektion von Laufbildern sind in dieser Zeit Objektive mit veränderbarer Brennweite im Hause SCHNEIDER entstanden.
Bis auf Vario-Systeme für die Projektion sind alle Objektive dieser Art nach dem gleichen Prinzip aufgebaut (vgl. Bild 31)
Zwischen zwei feststehenden, positiven Wirkungsgruppen 1 und 4 befinden sich zwei in axialer Richtung verschiebbare, negative Wirkungsgruppen 2 und 3. Durch die Bewegung des ersten Schiebegliedes (2) wird im wesentlichen die Brennweite des Gesamtsystems geändert und durch die Bewegung des zweiten Schiebegliedes (3) die Schnittweite s' - d. h. der Bildort B - konstant gehalten (mechanischer Schnittweitenausgleich).
Für die Dimensionierung solcher Systeme ist neben der Ausgangsöffnung auch die Lage der Eintrittspupille und damit die Verteilung der Brechkräfte aller Wirkungsgruppen untereinander maßgebend. Daraus resultieren Grenzen für die mechanischen Abmessungen, die von der Öffnung und dem Brennweitenbereich abhängen.
Ein TV-Zoom VARIOGON mit 30facher Variation
Das Haus SCHNEIDER hat als erstes diese Grenzen mit einem neuen Grundprinzip für Objektive mit veränderbarer Brennweite durch Einführung eines zweiten Variatorteils überschritten. Dabei werden insgesamt sieben Wirkungsgruppen benötigt (vgl. Bild 32).
Bild 31 : Prinzip eines optischen Systems mit veränderbarer Brennweite.
Bild 32: Prinzip eines optischen Systems mit veränderbarer Brennweite nach SCHNEIDER mit zwei Variatoren.
Drei davon (1, 4 und 7) stehen fest, vier (2, 3, 5 und 6) sind axial verschiebbar. Nach diesem Prinzip ist ein Objektiv entwickelt worden, dessen Brennweite um den Faktor 30 verändert werden kann. Bild 33 vermittelt einen Eindruck von dem optischen Aufwand (31 Linsen in 22 Gliedern), der hierbei erforderlich geworden ist. Aufgrund dieses Konstruktionsprinzips für Objektive mit veränderbaren Brennweiten von SCHNEIDER (Bild 32) konnten die mechanischen Abmessungen und das Gewicht eines 30fachen VARIOGONS in den gleichen Grenzen gehalten werden wie bei einem VARIOGON mit elffachem Bereich nach dem ersten Prinzip (Bild 31), und zwar ohne Kompromiß an die Bildqualität (vgl. K. Macher, FERNSEH- und KINO-TECHNIK, Band 28 (1974), Hefte 1 und 2).
Die Objektive mit veränderbaren Brennweiten sind ein charakteristisches Beispiel dafür, wie neue Anwendungsmöglichkeiten die Entwicklung solcher optischen Systeme beeinflussen und fördern können. Dabei ist der Einsatzbereich optischer Systeme mit veränderbarer Brennweite noch stark im Wachsen.
Es wird große Umwälzungen geben
Sie werden auf manchem Sektor geradezu umwälzend wirken. Vergrößerungsgerate können starr ausgeführt werden. Optische Kopiergeräte und Reproduktions-Kameras können vielseitiger verwendet werden. In Lichtsetzgeräten sind heute schon von SCHNEIDER gebaute Systeme mit veränderbaren Brennweiten eingesetzt, die einen Buchstaben als Vorlage nicht nur mehr als siebenfach verkleinern und mehr als siebenfach vergrößern können - das bedeutet Maßstabsänderungen von über 50fach - sondern, die auf optischem Weg diesen Buchstaben auch drehen und verzerren können und das alles bei konstantem Arbeitsabstand und ohne die Vorlage selbst zu ändern oder zu bewegen.
Bild 33: Optischer Aufbau eines SCHNEIDER-TV-VARIOGON 20 - 600 mm f/2,1 . . . 6,3 bei kürzester Brennweite und Einstellung auf Unendlich (Maßstab 1 : 5).
Allerdings erfordern Objektive mit veränderbarer Brennweite auch die Lösung mancherlei mechanischer - insbesondere kinematischer - Probleme. Die Verschiebung optischer Komponenten in axialer Richtung muß trotz geringer Reibung frei von Verkippungen und Umkehrspannen streng reproduzierbar erfolgen. Hierbei ist dem Hause SCHNEIDER die von seiner Optikfertigung her gewohnte Präzision zugute gekommen (vgl. P. Himmelsbach, FERNSEH-und KINO-TECHNIK, Band 28 (1974), Heft 1).
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4.7. Die Bedeutung der Entspiegelung für die
Entwicklung optischer Systeme im Hause SCHNEIDER
Die Steigerung der Leistung photographischer Objektive in den letzten 30 Jahren kann auf drei Ursachen zurückgeführt werden:
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- 1. Neue Erkenntnisse in der Korrektionstechnik in Verbindung mit dem Einsatz elektronischer Rechenanlagen,
- 2. neue optische Werkstoffe mit höherer Brechzahl und geringerer Farbzerstreuung und
- 3. reflexmindernde Schichten auf wirksamen Glasoberflächen.
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Der letzte Umstand ist von besonderer Bedeutung geworden, als die Steigerung der Leistung bei optischen Systemen eine Erhöhung der Anzahl der Linsen erforderte. Dabei störten weniger die Verluste an durchgehender Lichtintensität aufgrund der Reflexionen an den Grenzschichten als das Anwachsen des Streulichtanteils, der sich im Bildfeld dem abbildenden Licht überlagerte und den Kontrast herunterdrückte.
Bei viellinsigen Systemen - insbesondere solchen mit veränderbaren Brennweiten für das Fernsehen - genügt die übliche Reflexminderung mit Einfach-Schichten nicht. Hier war die Entspiegelung mit Mehrfach-Schichten notwendig. Systeme, wie das im Bild 33 gezeigte TV-VARIOGON 1:2,1/20-600mm mit 44 Glas-Luft-Flächen, wären ohne Reflexminderung mit Mehrfach-Schichten niemals einsatzfähig gewesen.
Das Haus SCHNEIDER hat deshalb seine Objektive mit veränderbarer Brennweite für das Fernsehen von Anfang an (1967) mit Mehrfach-Schichten entspiegelt, auf diesen hohen Stand seiner Erzeugnisse - weil für SCHNEIDER selbstverständlich - aber nie besonders hingewiesen.
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4.8. Zur Prüfung optischer Systeme im Hause SCHNEIDER
Qualität kann nicht erprüft werden. Sie muß aber durch Kontrollen überwacht werden. Das Haus SCHNEIDER hat auf die Qualität seiner Erzeugnisse zu jeder Zeit größten Wert gelegt und deshalb auch entsprechende Aufwendungen dafür gemacht.
über den üblichen Rahmen an Prüfgeräten und Lehren hinaus ist für die Fertigung von Optikteilen ein umfangreicher Satz an Probegläsern hergestellt und - zum Teil unter Heranziehung in- und ausländischer staatlicher Eichämter - vermessen worden, über die gleichen Ämter sind auch die Brennweiten einiger Objektive ermittelt und als Normalien für Vergleiche im hauseigenen Archiv reserviert worden.
Für die photographische Prüfung der Leistungsfähigkeit von Objektiven ist die Entwicklung und Herstellung einer speziellen panchromatischen Prüfemulsion höherer Auflösung auf Platten veranlaßt worden. Diese Prüfplatten sind später auch von anderen Objektiv-Herstellern verwendet worden.
Von besonderer Bedeutung bei der Prüfung eines Objektivs ist die Kenntnis der Lage seiner besten Bildebene. Unter Ausnutzung des Moire-Effektes ist ein Gerät entwickelt und hergestellt worden, mit dem man die Lage der Bildebene auf wenige [im genau ermitteln kann.
Dieses Gerät erlaubt darüber hinaus eine sehr exakte Bestimmung des Farblängsfehlers, der sphärischen Aberration und der Blendendifferenz (vgl Chr. Ullrich, diese HAUSMITTEILUNGEN Band 9).
Schließlich ist noch zu erwähnen, daß sich das Haus SCHNEIDER sehr früh um objektive Prüfmethoden für die Abbildungsleistung photographischer Objektive bemüht hat. Schon seit dem Jahre 1959 kann im Hause SCHNEIDER die optische Übertragungsfunktion photographischer Objektive gemessen und aus den gemessenen Kurven eine hauseigene Gütezahl hergeleitet werden (vgl. Chr. Roth, diese HAUSMITTEILUNGEN Band 16).
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5. SCHLUSS
Als die Gründer des Hauses SCHNEIDER sich vor mehr als sechzig Jahren entschlossen hatten, photographische Objektive zu bauen, ist die Strahlenoptik - mehr benötigte man damals nicht - bekannt gewesen. Bekannt war auch die Wellenoptik.
Jüngeren Datums ist lediglich die Quantenoptik. Sie spielt aber bei der Entwicklung und Herstellung photographischer Objektive noch keine Rolle. Natürlich sind Strahlenoptik und Wellenoptik im Laufe der Zeit weiterentwickelt worden. Beide Disziplinen werden heute im Hause SCHNEIDER genutzt und bilden gemeinsam mit der Rechentechnik eine der Grundlagen der Objektiventwicklung.
Neben der laufenden Ausnutzung dieser mehr wissenschaftlichen Erkenntnisse kommen auch die Fortschritte auf der Werkstoffseite zur Anwendung, d. h. der Einsatz neu entwickelter Gläser, z. B. solcher mit höheren Brechzahlen und geringerer Farbzerstreuung, die die Entwicklung hochgeöffneter Systeme besonders günstig beeinflußt haben.
Die enge Zusammenarbeit mit dem Glashersteller ist hierbei von großem Nutzen. In diese Richtung fällt auch die Anwendung der Fortschritte auf dem Gebiet der Entspiegelung, ohne die viellinsige Systeme nicht möglich gewesen wären.
Schließlich sind auch im Laufe der Zeit erhebliche Umstellungen in der Fertigung erfolgt. Die Anforderungen an die Objektive sind gestiegen. Höhere Qualität bedeutet engere Toleranzen und das sowohl für die Materialkonstanten als auch für die geometrischen Abmessungen, und damit für die Fertigungsverfahren. Das gilt für Passe und Laufgenauigkeit der Linsen genauso wie für die Länge der Krümmungsradien der Linsen, deren Dicken und Abstände voneinander und die Maße der Linsenhalterungen.
Das Erkennen oder Messen kleiner mechanischer Größen ist in der feinmechanisch-optischen Industrie kein Problem. Die Bestimmung einer Länge auf 0,01mm ist eine alltägliche Angelegenheit. Die Dicken von Linsen kann man auf 0,001mm erfassen, ohne dabei die Linsen zu berühren. Unterschiede bei Krümmungsradien erkennt man bereits bei 0,0001mm. Die Dicken der Entspiegelungsschichten beherrscht man bis auf wenige Atomlagen.
Schwierigkeiten entstehen erst bei einer Serienfabrikation mit so hohen Genauigkeitsforderungen, insbesondere wenn dabei das Gebot der Wirtschaftlichkeit nicht außer acht gelassen werden darf.
Nun, was einmal an einem Muster gelungen ist, was einmal in einem Laboratoriumsversuch erreicht worden ist, was einmal logisch durchgedacht worden ist - sozusagen als einmaliger schöpferischer Akt -, das muß auch an einer Maschine wiederholbar sein.
Bei der modernen Fertigung muß im Hinblick auf Qualität und Wirtschaftlichkeit an die Stelle des Zufalls das vorausberechnete Ergebnis treten. Zum Erreichen dieses Zieles sind Werkzeuge und Maschinen geschaffen worden, die exakt und gleichzeitig rationell arbeiten.
Es dürfen aber auch die Menschen nicht übersehen werden, die hinter diesen Maschinen stehen. Der oberflächliche Besucher mag den Eindruck gewinnen, daß diese Menschen für die Maschinen da sind, diese Maschinen bedienen.
In Wahrheit aber sind diese Maschinen für die Menschen da, die sich ihrer bedienen, um Leistungen zu vollbringen, die sonst nicht möglich wären. Nahezu zwanzig Millionen SCHNEIDER-Objektive beweisen dies.
Auch in Zukunft wird im Hause SCHNEIDER - wie in seiner mehr als sechzigjährigen Geschichte - die eigene Entwicklung unter Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse, neuer Werkstoffe, neuer Technologien und neuer Anwendungsmöglichkeiten für optische Systeme als Brückenköpfe zum Fortschritt eine entscheidende Rolle spielen.
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