Die kleine Geschichte des Films (verfasst im Jahr 1959)
1959 war es für Taschenbuchverlage noch sehr aufwendig, die Texte ausführlich und komfortabel lesefreundlich zu bebildern. Jedes Bild musste aufwendig positioniert werden und der Text hätte dann nicht mehr verändert werden können. Darum waren die raren Bilder oft in der Mitte auf 10 oder 20 Seiten am Stück gebündelt - so auch hier. Weiterhin wurden bei der Überarbeitung mißverständliche Formulierungen und sonstige Fehler verbessert sowie Kommentare ergänzt.
Kapitel IV
AMERIKANISCHE VERHÄLTNISSE
Als man in den europäischen Ländern schon längst dazu übergegangen war, drei- und mehraktige Filme zu drehen, bestanden die Amerikaner immer noch auf den Viertelstundenfilmen ihrer Nickel-Odeons. Die Produzenten hatten, wie wir noch sehen werden, dafür einen kühlen, geschäftlichen Grund, und für die Theaterbesitzer erwiesen sich diese Kurzfilme als das lukrativste Programm.
Zeit ist Geld, und je öfter am Tage das Publikum wechselte, desto besser für die Kasse. Waren die „langen" Filme aus Europa nicht zu umgehen, wurden sie hierzulande ungerührt in Episoden zerlegt, die Zuschauer mit „Fortsetzung folgt" vertröstet und für neue Ausgaben gewonnen. Doch der Import aus Europa war wichtig, denn die einheimische Produktion Amerikas vermochte noch nicht den auch dort sprunghaft wachsenden Bedarf zu decken. Frankreich stand an der Spitze der Filmeinfuhrländer der Vereinigten Staaten.
Der „Trust" - ( = das Monopol)
Die Entwicklung zum „ortsfesten" Kino setzte in Amerika einige Jahre früher ein als in Europa, denn das Vorhandensein von Automatenhallen und Burlesque-Theatern in den Stadtzentren und in den Arbeitervorstädten ersparte dem Film gleichsam die Epoche des Wanderkinos, er konnte sich dort ohne weiteres einnisten, er fand ohne Umweg die ihm gemäße Umgebung, in der er sich heimisch fühlen konnte.
Aus den meisten Nickel-Odeons und Burlesque-Theatern wurden Kinos gemacht; daneben entstanden aber auch neue, ausschließlich der Vorführung von Filmen dienende Schaustätten, und das im Jahre 1902 in Los Angeles eröffnete „Electric" darf den Ruhm beanspruchen, als das erste „Kino" der Welt zu gelten.
1905 - In den USA gab es weniger als 10 Kinos
Wenn eine statistische Angabe besagt, daß es im Jahre 1905 in ganz Amerika noch keine zehn Kinos gegeben habe, fünf Jahre nachher aber bereits zehntausend, so sind für 1905 die Nickel-Odeons nicht mitgezählt, während sie in der späteren Zahl enthalten sind.
Eine imponierende Zahl, zehntausend Kinos, zumal man bedenken muß, daß es zur Zeit der Hochblüte des Films (vor dem Einbruch des Fernsehens) in diesem kinofreudigen Land nicht mehr als fünfzehntausend Lichtspieltheater insgesamt gegeben hat. Da es hier nur darauf ankommt, das Tempo der Kinoausbreitung zu kennzeichnen, braucht auf die Zahl der Sitzplätze, welche die Relation verschieben würde, nicht eingegangen zu werden.
Carl Laemmle, Adolph Zukor und die Brüder Warner betrieben den größten Teil
Den Löwenanteil am Besitz jener zehntausend Theater hatten sich, wie gesagt, einige Geschäftsleute wie Carl Laemmle, Adolph Zukor oder die Brüder Warner gesichert, die das Prinzip der Kettenläden auf die Nickel-Odeons angewendet hatten. Es war naheliegend, daß sie den Programmhunger ihrer eigenen Kinos mit Filmen eigener Produktion zu stillen gedachten.
1907 - Edisons Patentkrieg in den USA
Jedoch Edison machte ihnen einen Strich durch diese Rechnung. Jede Herstellung von Filmen betrachtete er als eine Ausbeutung seiner Erfindung, und tatsächlich erreichte es die Edison-Gesellschaft in einem hartnäckig geführten Patentkrieg (besonders gegen die „Biograph"), daß im Jahre 1907 ein Chikagoer Gericht ihre doch wohl recht einseitige Auffassung teilte.
Edison schafft mit (s)einer I.G. ein Monopol
Von den europäischen abgesehen, gab es auch in Amerika Erfinder, die ihren unbestreitbaren Anteil an der technischen Entwicklung der Aufnahme- und Vorführapparate hatten. Doch das Urteil von 1907 war zugunsten Edisons ausgefallen, die Konkurrenz mußte sich fügen. Von der Höhe seines Triumphes herab bot Edison der amerikanischen Filmwirtschaft eine Art I.G. an, eine Interessengemeinschaft der Produzenten, Verleiher und Theaterbesitzer, mit denen er sein Monopol unter folgenden Bedingungen zu teilen gedachte:
- Die Produzenten hatten sich zu verpflichten, je Fuß eines jeden von ihnen belichteten oder kopierten Films einen halben Cent zu zahlen, die Verleiher eine jährliche Lizenzgebühr von fünftausend Dollars und die Theaterbesitzer für jedes von ihnen betriebene Kino eine Lizenz von fünf Dollars die Woche.
Harte Bedingungen, die eindeutig darauf angelegt waren, eine Million Dollars jährlich einzubringen, doch sie mußten angenommen werden.
„Biograph", „Vitagraph" und „Essanay" waren dabei
Der Edison-Trust kam zustande, es traten ihm, neben Edisons eigenen Produktionsfirmen, die großen Hersteller „Biograph", „Vitagraph" und „Essanay" bei sowie einige führende Verleiher und Theaterbesitzer. Für die letzteren war ein Beitritt nicht so zwingend, sie konnten es immer wieder auf Prozesse ankommen lassen, während sich die Produzenten einer Erklärung Eastmans gegenübersahen, die besagte, daß Rohfilme nur an die Mitglieder des „Trust" geliefert würden ...
Der „Trust" kontrollierte 57% aler US Kinos
Ein Widerstand schien nutzlos. Und zwei Jahre später, 1910, gelang dem „Trust" (dessen offizielle Bezeichnung „Motion Picture Patent Company" = MPPC lautete) auch ein entscheidender Vorstoß im Verleihergeschäft. Die von ihm begründete „General-Film Co." bekam siebenundfünfzig Prozent aller amerikanischen Kinos unter ihre Kontrolle.
Jetzt schien die Position des „Trust" so gefestigt zu sein, daß ihr niemand mehr den Vorrang streitig machen konnte, die Festung Edison schien uneinnehmbar.
Der „Trust" übersah die Zeichen der Zeit.
Die Stärke des „Trust" jedoch erwies sich als eine Schwäche. Verblendet von der Macht in ihren Händen, übersahen die Herren des „Trust" - zum geschäftsführeriden Direktor war der bisherige kaufmännische Leiter der „Biograph", I. P. Kennedy, bestellt worden - die Zeichen der Zeit.
Jede der dem Edison-Trust angeschlossenen Filmproduktionsgesellschaft wurde ohne Rücksicht auf die Wünsche des Publikums als eine perfekte Filmfabrik technisch durchrationalisiert. Kein Film durfte länger sein als eine Rolle, also die Viertelstundendauer nicht überschreiten (womit man den Theaterbesitzern entgegenzukommen meinte), und keiner durfte viel mehr kosten als hundert Dollars. Um dies zu erreichen - mindestens drei bis vier Filme für jede Gesellschaft je Woche -, wurden, wie bei Gaumont, die Regisseure und Darsteller jeweils für ein ganzes Jahr fest angestellt.
Nun kann man nicht sagen, daß diese Art von Filmproduktion sich nicht ausgezahlt hätte, aber man kann sich an den fünf Fingern abzählen, daß innerhalb eines solchen Zwangskorsetts - die Spieldauer, die Kosten, die Darsteller, die Regisseure waren normiert - für filmischen Fortschritt, für neue Gedanken, für Wagnisse oder gar für Experimente kein Platz war.
Der Geschmack des amerikanischen Publikums wandelte sich
Und unter dem Einfluß der Filme, die aus Europa kamen, besonders der italienischen Kolossalgeschichtsbilder und der deutschen oder dänischen intimen Seelendarstellungen, welch beide Typen sich zur Zerlegung in Fortsetzung-folgt-Episoden ja äußerst schlecht eigneten und in ihrer originalen Länge auf einmal vorgeführt zu werden verlangten - unter diesen Einflüssen wandelte sich langsam aber sicher der Geschmack des amerikanischen Publikums.
Auch die Amerikaner wollten allmählich „abendfüllende" Filme sehen und nicht mehr wie in der Automatenhalle mit kurzem Allerlei abgespeist werden.
Gefährliche Konkurrenz für den "Trust"
Die Witterung für diese neuen Publikumswünsche besaßen die Konkurrenten des „Trust", die Zukor, Laemmle, Warner, Goldwyn, Fox, Mayer, Kessel, Bauman oder wie die findigen Geschäftsmänner sonst alle hießen, die auf die neue Branche gesetzt hatten. Sie schlossen sich ihrerseits zu einer wenn auch viel loseren Interessengemeinschaft zusammen, zur IMP („Independent Motion Picture"), zu den „Unabhängigen" (von Edisons Diktat) also.
Ihnen kam zugute, daß allein vom Bedarf aus gesehen der „Trust" nicht imstande war, den amerikanischen Markt ausreichend zu beliefern, und außerdem der Umstand, daß immer neue technische Verbesserungen entwickelt wurden, Verfahren, auf welche Edison kein Monopolrecht hatte.
Aus Deutschland kam der nichtentflammbare Film
Aus deutschen Laboratorien kam zum Beispiel der nichtentflammbare Film, der über französische Gesellschaften in die USA eingeführt wurde. Die „Unabhängigen" brauchten nur zuzugreifen, um so viele Meter Rohfilm zu bekommen, wie sie nur haben wollten. Eastmans Zwangsmittel, Rohfilme nur an die Mitglieder des „Trust" zu liefern, war allzubald illusorisch geworden.
Edisons Irrtum
Als entscheidend jedoch für den Aufstieg der „Unabhängigen" erwies sich Kennedys Mangel an Witterung für den neuen Geschmack der Masse. Edison hatte eine technische Erfindung gemacht, und die Art und Weise, wie er sie ausbeutete, erwies bald, daß er der geistigen Seite seiner Sache keine große Bedeutung zulegte. Kennedy, ganz in seinem Sinne handelnd, mußte nun erfahren, daß der Film nicht die x-beliebige Ware ist, die man wie andere Gebrauchsgüter auch am Fließband produzieren kann, mit einem Herstellungsmonopol in der Tasche und mit Vertriebslizenzen in der Hand. Der Film hat seine Launen, und sein Publikum hat sie erst recht.
Ein riesen Erfolg - der Sarah-Bernhardt-Film „Queen Elizabeth"
Erinnern wir daran, daß es Adolph Zukor von den „Unabhängigen" war, der den Sarah-Bernhardt-Film „Queen Elizabeth" in die Staaten einführte. Die vierzigtausend Dollars, die er dafür ausgegeben hatte, machten sich dreifach bezahlt. Dieser abendfüllende Film, bei dem sich die Amerikaner „wie im Theater" vorkommen durften (nur daß das Vergnügen billiger war), wurde ein Kassenerfolg.
Der „Trust" lernt immer noch nicht
Dieser Tatbestand zwang aber nicht, wie man erwarten sollte, die Leute vom „Trust" zum Nachdenken, das heißt zur Änderung ihrer Grundsätze. Dagegen wußte Zukor die richtigen Schlüsse aus dem Andrang vor seinen Kassen zu ziehen. Er übertrug das französische Rezept, nach welchem „Queen Elizabeth" hergestellt worden war, auf die amerikanischen Verhältnisse und rief eine eigene Produktionsgesellschaft ins Leben, die „Famous Players", ausschließlich, um „berühmte Darsteller in berühmten Stücken" zu zeigen. Damit war in Amerika der Starfilm und der Filmstar zugleich eingeführt. Auch in diesem Punkt sah sich der „Trust" auf einmal überrumpelt.
Den „Trust" verlassen ? Aber wie ?
Der Film hat seine Launen: das will besagen, daß er zwar berechenbar in seiner Eigenschaft als „Ware", als eines mit bestimmten Kosten herzustellendes Produkt ist, daß aber die Folgen seiner geistigen Seite, die auch noch der primitivste Wildwester zeigt, unberechenbar bleiben. Diese Erfahrung hat selbstverständlich auch der „Trust" gemacht, und unter den Gesellschaften, die sich ihm damals unter Druck und Zwang anschließen mußten, ließen es die meisten nicht an Versuchen fehlen, sich von der von Kennedy vorgeschriebenen Standardproduktion zu befreien. Auch auf sie waren die Erfolgsfilme aus anderen Ländern und das freie, eher improvisierte als vorgeplante Schaffen und Spielen der „Unabhängigen" nicht ohne Eindruck geblieben.
Die Änderungen im „Trust" kamen zu spät.
So sah sich der „Trust" gezwungen, allmählich seine einengenden Vorschriften zu lockern. Doch kam er zu spät; er hatte, kostbare Zeit verstreichen lassen. Jahr für Jahr seine Million an garantierten Lizenzgebühren einnehmend, versäumte er die größeren Chancen, die ihm geboten waren. Die Zeiten von 1909 bis 1912, da Edisons Wort einem Befehl gleich kam - sie waren unwiederbringlich vergangen.
Auch Eastman knickte ein .....
Schon hatte Eastman darauf verzichtet, nur den Mitgliedern des „Trust" Rohfilme zu liefern: das sichtbarste Zeichen des Nachgebens den Unabhängigen gegenüber.
Nicht nur der „Trust" bröckelte langsam ab .....
Mit dem Niedergang des „Trust" (zwischen 1910 und 1915) bröckelte natürlich auch die Einheit der „Unabhängigen" ab; im gleichen Maße, als es ihnen gelang, den „Trust" zu schwächen, verfielen sie unter sich in den härtesten Konkurrenzkampf.
Zunächst hatten sie eine gemeinsame Verleihfirma gegründet, die „Sales Company", aus der aber nach kurzer Zeit zwei selbständige, sich einander bekämpfende Firmen hervorgingen, die „Universal" und die „Mutual". Den Haupteinfluß in der „Universal" übte Carl Laemmle aus, der es verstand, seinen Rivalen in diesem Geschäft, den Produzenten P.A.Powers (der mit einem Buffalo-Bill-Film innerhalb eines halben Jahres einen Reingewinn von fünfzigtausend Dollars herauszuholen imstande war) auszuschalten.
Neue Firmen kamen auf, alte verschwanden wieder
Auch innerhalb der „Mutual" kam es zu einer Teilung der Macht: die Produzenten Harry E. Aitken (Gründer der Triangle-Produktion) und John R. Freuler riefen die „Reliance-Majestic" ins Leben, während die Produzenten Charles O. Bauman und Adam Kessel ihre Produktion auf mehrere selbständige Tochterfirmen verteilten; die wichtigsten: die dem Regisseur Thomas Harper unterstellte „Bison"-Gesellschaft und die unter dem späteren Tausendkünstler des amerikanischen Films, Mack Sennett, arbeitende „Keystone".
Es war nur folgerichtig, daß diese aufblühenden neuen Firmen
versuchten, das beste technische und künstlerische Personal von den Gesellschaften des „Trust" wegzuengagieren. Mit den entsprechend höheren Gagen ist ihnen das auch in den meisten Fällen gelungen. Sogar Edwin S. Porter, Edisons ältester Mitarbeiter, der Leiter seines Laboratoriums, der Regisseur, der 1904 den „Großen Eisenbahn-Überfall" gedreht hatte, ging zu den „Unabhängigen", die ihm 1911 eine eigene „Rex"-Produktion anboten.
Kapitel IV
David Wark Griffith
Den besten Beweis dafür, daß nicht Monopole und Lizenzen einen Film machen, sondern die schöpferische Phantasie und die künstlerische Intuition, liefert das Beispiel des Regisseurs David Wark Griffith (1875 bis 1948), der seine Filmkarriere im Jahre 1907 als Schauspieler bei Edison begonnen hatte. Ein Jahr später wechselte er zur „Biograph" über, zu jener Firma, die, ehe sie gezwungen war, sich dem Chikagoer Urteil zu fügen, als die mächtigste Konkurrenz Edisons gegolten hatte.
Auch „Biograph" mußte in den „Trust"
Gezwungenermaßen gehörte sie jetzt dem „Trust" an. Nach fünfjähriger Tätigkeit als Regisseur bei der „Biograph", für die er einige hundert Filme gedreht hatte, sah Griffith dort keine Möglichkeit mehr, seine weit ausholenden Pläne zu verwirklichen. Immer noch - man schreibt das Jahr 1913 - durften seine Filme die Viertelstundendauer nicht überschreiten - und in seiner Phantasie spielten sich bereits die Vorgänge eines Riesenfilms von Dreistundenlänge ab ... Griffith ging zu den „Unabhängigen", künstlerisch der schwerste Verlust, den die „Biograph" und damit der „Trust" erleiden sollte.
Griffith machte fast 400 Filme
Griffith war ein genialer Regisseur, aber die „Biograph" hatte seinem Streben so strenge Zügel angelegt, daß er seine Fähigkeiten in den beinahe vierhundert Filmen, die er für sie drehte, nicht voll entfalten konnte; seinen Viertelstundenfilmen merkte man aber die „Klaue des Löwen" an. Zweifellos eine originale Begabung für den Film, bestand doch ein gut Teil von Griffiths Genialität darin, aus all jenen Erfahrungen und Verfahren Nutzen zu ziehen, die den Film in seiner bald zwanzigjährigen Geschichte vorwärtsgebracht hatten.
Aus der Not heraus mußten die Aufnahmetechniken verbessert werden
Das Zwangskorsett, das die „Biograph" ihm anlegte, hatte Griffith dazu gebracht, aus der Not der Viertelstundenfilme eine Tugend zu machen. Er mußte Abkürzungen, Symbole erfinden, „Verdichtungen", um auf so knappen Metern aussagen zu können, was ihm vorschwebte. Seine letzten Biograph-Filme sollen derart „verdichtet" gewesen sein, daß man die Absichten ihrer Handlung kaum noch erkennen konnte.
Daneben mußte er sich bei dem raschen Produktionstempo, das ihm die „Biograph" vorschrieb, das rein Handwerkliche der Aufnahmetechnik notwendigerweise auf das gründlichste aneignen; ja er mußte schließlich die bisherigen Aufnahmetechniken verbessern, um das gewünschte Soll in der gewünschten Zeit erfüllen zu können. Ein phantasievoller Routinier also, begann Griffith seine neue Laufbahn.
Ein Dreistundenfilm „Birth of a Nation"
Am 8. Februar 1915, zwei Jahre nach seinem Weggang von der „Biograph", setzte er seiner Karriere bereits das erste Glanzlicht auf. Es war der Tag der Uraufführung seines Dreistundenfilms „Birth of a Nation" nach dem buch „The Clansman" von Thomas Dixon. Dreißig Jahre vor „Vom Winde verweht" entstanden, enthält dieser Roman eines schriftstellernden Pfarrers schon alle jene Bestandteile - gut gemischt -, die imstande sind, die amerikanische Öffentlichkeit zu erregen: das Rassenproblem in den Südstaaten und eine in den Bürgerkrieg verflochtene Liebesgeschichte.
Pfarrer Dixon steht ganz eindeutig auf Seiten der weißen Pflanzer, und sein Buch läuft auf eine Lobpreisung der Taten des politischen Geheimbundes Ku-Klux-Klan aus. Diese Tendenz, die damals zehn Millionen schwarze amerikanische Bürger ins Unrecht setzte, ist auch dem Film „Geburt einer Nation" geblieben - kein Wunder, daß er schon heftig diskutiert wurde, noch bevor er fertiggestellt war.
44 Wochen - gigantische Laufzeiten für die damalige Zeit
„Birth of a Nation" lief in New York vierundvierzig Wochen, in Chikago fünfunddreißig Wochen,in Los Angeles zweiundzwanzig Wochen; der Film wurde dann immer wieder gespielt, und er blieb fünfzehn Jahre lang auf dem normalen Programm der amerikanischen Lichtspieltheater - ein Rekord, den noch kein anderer Film erreicht hat.
Bis zum Jahre 1930 haben ihn, wie man schätzt, einhundert Millionen Zuschauer gesehen; bis zum Jahre 1949 - der Film wird auch heute noch gezeigt, wenn auch jetzt mehr aus filmhistorischem Interesse - soll er einen Reingewinn von insgesamt achtundvierzig Millionen Dollars eingebracht haben.
„Vom Winde verweht", der nächste Filmbestseller aller Zeiten .....
..... hat es nur auf vierunddreißig Millionen gebracht ... Seinem Thema allein ist, wie gesagt, der Erfolg dieses Films nicht zuzuschreiben. Gewiß, die Amerikaner sahen zum erstenmal, nach Jahren der Entbehrung, die ihnen der „Trust" aufgezwungen hatte, einen überdimensionalen Dreistundenfilm (nach dem Vorbild der italienischen Filmkolossalgemälde) mit einer Handlung, die ihrer eigenen, noch ziemlich nahen geschichtlichen Vergangenheit entnommen war - doch dieser Reiz allein genügt nicht, die Anziehungskraft zu erklären.
Erfolge, weil es Kunstwerke waren
„Birth of a Nation" war als Kunstwerk gelungen - seine künstlerischen Offenbarungen waren es, die ihn so entschieden aus der Menge hervorhoben. Der Regisseur (und zugleich der Produzent) D.W.Griffith hatte gezeigt (auch den Europäern), zu welchen Wirkungen der Film fähig war, wenn man es nur verstand, den technisch-optischen Möglichkeiten nachzudenken und nachzugehen, die ihm innewohnten.
Das sogenannte „flash-back"-Verfahren
Griffith wandte zum Beispiel das „flash-back"-Verfahren an, das heißt, er überlegte sich, daß man einen Film nicht in der genauen zeitlichen Reihenfolge aufzunehmen brauche, die seine Handlung erfordert. Hatte man bisher die Filmhandlung so aufgenommen, als ginge sie auf einer Bühne vor sich, also den ersten Akt zuerst und das Ende zuletzt, so entdeckte Griffith die „Allgegenwärtigkeit" der Kamera. Er konnte, wenn es ihm nur bequem erschien, das Ende zuerst aufnehmen, die Mitte am Schluß und den Anfang in der Mitte. Das alles war nur eine Frage der Organisation und später, beim Zusammensetzen der einzelnen, unabhängig von ihrem Ablauf im Film aufgenommenen Szenen, eine Frage des Schnitts.
Jedoch auch hier, bei diesem Zusammensetzspiel brauchte man nicht pedantisch zu sein, man konnte zum Beispiel Vorahnungen haben, das heißt, deutlich machen, indem man Szenen, die etwa zum dritten Akt gehörten, schon am Ende des ersten Aktes „einblendete", um die Spannung zu erhöhen.
Neue Techniken : Filmschnitt und Filmmontage
Kurz, mit dem Filmschnitt wurde zugleich auch die Filmmontage entdeckt. Die eine Überlegung fordert zur anderen heraus - wenn man nicht soweit gehen will, Schnitt und Montage überhaupt nur als eine Funktion zu sehen.
Griffith hatte bereits in einem seiner ersten Filme für die „Biograph", in „The Adventure of Dolly", 1908, das Flash-back-Verfahren und in dessen Konsequenz Schnitt und Montage angewandt. Doch weder in diesem noch in späteren Viertelstundenfilmen konnte die neue Methode ihre Vorzüge, das heißt ihre künstlerischen Wirkungen beweisen. Für einen Viertelstundenfilm lohnte sich die Organisation der „flash-back", deren Voraussetzung ein exaktes Drehbuch ist, nicht, und Schnitt und Montage am Gegenstand so kurzer Filme demonstriert, mußten den Zuschauer eher
verwirren als ihn beeindrucken. Deshalb die Klage über die „Unverständlichkeit" der Kurzfilme Griffiths.
Jetzt, bei „Birth of a Nation", durfte Griffith endlich Herr seiner selbst sein, und er zögerte nicht, alle Einengungen zu sprengen und seiner überströmenden optischen Vorstellungskraft freien Lauf zu lassen.
Ein Meilenstein auf dem Weg des Films zur Kunst
Die Filmhistoriker stimmen darin überein, dieses Werk als einen Meilenstein auf dem Weg des Films zur Kunst zu bewerten, sie streiten sich aber über die Originalität dieses oder jenes Verfahrens, dieser oder jener Einzelszene, dieser oder jener Kameraeinstellung. Griffith hat Großaufnahmen verwendet, und ganz gewiß nicht als erster Regisseur, er hat mit Gegenlichtaufnahmen gearbeitet, und dies ziemlich sicher als erster.
Wer soll nun die Lorbeeren für Kunst und Technik ernten ?
Jedoch - wer will unterscheiden, wie hoch dabei die Mitarbeit seines Kameramannes, Billy Bitzer, den er von der „Biograph" mitgebracht hatte, zu bewerten und wie weit Griffiths Adoption fremder Ideen gegangen ist?
Ausschlaggebend war doch die Tatsache, daß er einen Film schuf, der zum erstenmal alle Technik und alle Kunst zusammenfaßte, die die Pioniere während der zwei Jahrzehnte seit Bestehen des Films angewendet hatten und daß er, selbst ein Pionier, ein gut Teil aus eigenem Ideenreichtum beisteuerte. Später hat man Griffith den ehrenden Beinamen „Vater der Filmkunst" gegeben; er verdient ihn mit dem gleichen Vorbehalt, wie man Edison den „Erfinder des Films" nennt.
1914 - Der Krieg in Europa ändert vieles
Wie zu Edisons Zeiten die Idee des bewegten Lichtbildes in der Luft lag und wie man die Techniker und Fotografen aller Länder gleichzeitig an der Arbeit sah, so war jetzt die Zeit für den künstlerischen Film gekommen, und jene Reihe von Zufällen, die das Gemeinschaftswerk Film immer braucht, um aus den gewohnten Grenzen auszubrechen, kam Griffith entgegen.
Das waren zum Teil Umstände, die mit seinem Film direkt nichts zu tun hatten, wie zum Beispiel die besondere Situation der Zeit: der Krieg in Europa, der erst ausgebrochen war, als Griffith seinen Film schon ein Jahr lang vorbereitet hatte. Jetzt gewann er plötzlich eine Aktualität, die nicht vorauszusehen gewesen war.
Griffith Mißerfolg
In seinem nächsten Film, „Intolerance", 1916, zeigte Griffith die Größe und die Grenzen seiner filmschöpferischen Phantasie. Er wagte ein Werk, das so kühn in seiner geistigen Konzeption und so maßlos in seinen materiellen Voraussetzungen war, daß es mißlingen mußte.
Auch diese Erfahrung war einmal nötig. Inzwischen hat man gelernt, daß Filmexperimente mit billigen Mitteln gemacht werden müssen und daß man für Kolossalfilme den geistigen Anspruch möglichst bescheiden halten soll. Griffith glaubte beides vereinigen zu können: Geist und Masse.
1916 - „Intolerance" - enthält viele Meilensteine der Technik
Griffith selbst hatte die Idee zu dem Film, er schrieb auch das Buch, und der Diktator, der er für dieses Werk sein durfte (wer hätte gewagt, ihm nach dem Erfolg von „Birth of a Nation" dreinzureden?), hielt er sich während der Dreharbeiten nicht an sein Buch und überließ sich oft genug der Lust an der Improvisation. Sein Gedanke war es, an vier Episoden aus der Geschichte der Menschheit - dem Fall Babylons, der Passion Christi, der Pariser Bluthochzeit und einem Konflikt aus der modernen Sozialgeschichte („Die Mutter und das Gesetz") die Intoleranz, die Unduldsamkeit zu brandmarken, jene verdammenswerte Haltung, die „die Liebe und die Barmherzigkeit bekämpft".
" Griffith erläuterte: „Meine vier Geschichten werden sich abwechseln. Anfangs werden ihre Welten getrennt, langsam und ruhig fließen; aber allmählich werden sie einander näher kommen und immer schneller anschwellen, bis zur Lösung, wo sie sich in einer einzigen flutgewaltigen Erregung vereinen." Dementsprechend laufen im Film die einzelnen Episoden zunächst noch ohne Verbindung mit den anderen ab, dann vermengen sie sich, und schließlich werden nur noch Überschneidungen gebracht.
Griffith zeigt sich als meisterlicher Beherrscher des Schnitts und der Montage, doch der Zuschauer kann ihm dabei kaum folgen, so rasch wechseln die Schauplätze, die Handlungen, die Jahrhunderte. Zwar ist für eine gewisse Unterscheidung dadurch gesorgt, daß jede der vier Episoden in einem eigenen filmischen Stil aufgenommen und jede für sich also unverwechselbar ist, doch kommt der Zuschauer gar nicht dazu, solche Unterscheidungen machen zu können, denn auch jede der vier Handlungsepisoden wird für sich wiederum in eine Anzahl von Parallelhandlungen aufgelöst.
Griffith's Filmphantasien - Ein Bombenangriff auf New York
Die tragende Idee des Films wird eigentlich erst in seiner Schlußvision deutlich: Griffith führt die Notwendigkeit des „durch die vollkommene Liebe gesicherten Weltfriedens" durch realistische Bilder eines Krieges der Zukunft vor Augen, unter denen ein Bombenangriff auf New York eine große Rolle spielt. Filmphantasien, die während der Jahre 1915 / 1916 nicht ganz aus der Luft gegriffen waren.
Doch auch hier hat Griffith einen jener Fehler gemacht, die einmal gemacht werden mußten: er war noch naiv genug, zu glauben, daß ein Film mit einer derartig, radikalen pazifistischen Tendenz in einer von Haßgesängen aufgewühlten Welt Chancen haben könnte. Die Alliierten verboten ihn oder sie ließen ihn nur in zensierter, das heißt in verstümmelter Form vorführen, den Franzosen war außerdem die „Pariser Bluthochzeit" ein Dorn im Auge, und zu den kriegführenden Mittelmächten drang der Film überhaupt nicht vor. Filmisch Griffiths kühnstes Werk, wurde „Intolerance" ein finanzieller Mißerfolg sondergleichen.
„Intolerance" - knapp zwei Jahre und 15 Millionen Dollars
Griffith, immer noch berauscht von den Kassenerfolgen von „Birth of a Nation", hatte keineswegs gespart, denn der Größe seiner Ideen sollten die Dimensionen seiner Bauten und die Massen von Mitwirkenden, die er aufbot, entsprechen. Die Gesamtkosten beliefen sich - nach der heutigen Kaufkraft des Dollars berechnet - auf rund fünfzehn Millionen.
Die Herstellung dauerte knapp zwei Jahre; während dieser Zeit wurden so viele Meter Film abgedreht, daß ihre Vorführung zusammengenommen siebenundsiebzig Stunden erfordert hätte. Man kann sich denken, wieviel geschnitten und montiert werden mußte, um daraus einen Film von dreieinhalb Stunden Spieldauer zusammenzustellen. Griffith rühmte sich, innerhalb einer einzigen Schlachtenszene (der Perser-Armee der Babylon-Geschichte) nicht weniger als sechzehntausend Komparsen auf einmal ins Bild gebracht zu haben. Sein Kameramann Billy Bitzer war zu diesen Aufnahmen in einen Fesselballon gestiegen ...
Doch von diesem Ruhm blieb wenig übrig; zuletzt fehlte es Griffith, der sein eigenes Vermögen in den Film gesteckt hatte, an Geld, die riesigen Gipsfassaden der Städte Babylon, Jerusalem oder Paris wieder abreißen zu lassen.
Keine Konkurrenz mehr aus Europa - dort war Krieg
Dessen ungeachtet rückte mit diesen beiden Griffith-Filmen Amerika in die erste Reihe der Filmländer auf, wenn auch hierbei wieder berücksichtigt werden muß, daß sich zur gleichen Zeit die alten europäischen Filmländer Frankreich, Italien, England und Deutschland im Krieg befanden, von ihnen also keine Konkurrenz zu befürchten war. Von nun an befand sich Hollywood im Aufstieg.
Griffith hatte seine beiden Riesenfilmwerke in Hollywood gedreht, und er hatte die traurigen Gipsüberreste von „Intolerance" auf dem Gelände von Hollywood zurückgelassen. Wie war Hollywood, bisher eine Vorstadt von Los Angeles in Kalifornien, zu der Ehre gekommen, das Zentrum der amerikanischen Filmwirtschaft zu bilden ?
Kapitel IV
Hollywood
Nun, auch die Karriere dieser Stadt hing mit Edisons Trustmaßnahmen zusammen. Man erinnert sich, daß das Chikagoer Gerichtsurteil vom Jahre 1907 Edison das Recht gab, jedes Filmaufnahme- und jedes Filmwiedergabegerät zu kontrollieren, das heißt, Lizenzgebühren für ihren Gebrauch zu verlangen.
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Weg aus New York und jederzeit fluchtbereit
Die „Unabhängigen", die keine Lust verspürten, sich dem Diktat Edisons zu fügen, andererseits aber ihre kostbaren Aufnahmegeräte, die sie sozusagen illegal benutzten, vor jedem möglichen polizeilichen Zugriff retten wollten, waren auf den Gedanken gekommen, sich so weit wie möglich von New York abzusetzen. In Kalifornien, in der Nähe der mexikanischen Grenze, sahen sie das ideale Ausweichgebiet. Notfalls konnten sie in Mexiko Zuflucht finden.
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"It never rains in California"
Noch ein anderer Grund kam hinzu, ohne Zweifel der ausschlaggebende: das Klima in Kalifornien erwies sich für Filmaufnahmen geradezu als ideal. Konstantes Sonnenwetter, beinahe das ganze Jahr über, keinerlei Nebel und auch im Winter wenig Regen. Für Außenaufnahmen konnte man sich keine besseren Vorbedingungen wünschen.
Ein kleiner Filmvorführer aus New York - Al Christi
Den Weg hat ein kleiner Filmvorführer aus New York gebahnt, Al(fred) Christi mit Namen, der auf Long Island ganz im Jahrmarktstil sein bescheidenes Kinogeschäft betrieb. Unbekümmert um die Machtkämpfe der Großen der Filmwirtschaft, sagte er sich, daß es für ihn billiger sein würde, die Filme, die er vorführte, selber herzustellen, statt sie zu kaufen.
Ein eigenes Atelier konnte er sich nicht leisten, deshalb zog er der Sonne nach, die es ihm ersetzen sollte. Er verfiel auf Hollywood und begann dort seine ersten Aufnahmen zu drehen: man schrieb den 27.Oktober 1911.
Wenige Monate später folgte ihm Samuel Goldfish
Schon wenige Monate später folgte ihm eine Produzentengruppe, die sich aus dem ehemaligen Saxophonspieler und nunmehrigen Tingeltangelbesitzer Jesse Lasky, seinem Schwager, dem ehemaligen Reisenden in Handschuhen und nunmehrigen Besitzer von Nickel-Odeons, Samuel Goldfish (später Goldwyn genannt) und Cecil Blount de Mille, einem bisher noch unbekannten Mann, der den Ehrgeiz hatte, Filmregisseur zu werden, zusammensetzte.
Bis jetzt qualifizierte ihn nur die Tatsache, daß er wiederum der Schwager eines der Geldgeber für jene Firma war, die diese drei Männer gründeten, die „Jesse L. Lasky Feature Play Company" (eine der Stammfirmen der späteren Paramount). Die neue Firma hatte die Verfilmungsrechte eines am Broadway erfolgreichen Theaterstücks „The Squaw-Man" recht teuer erworben. Als „unabhängige" Gruppe drehte sie diesen Film möglichst weit von Edisons Zugriff, sie mietete in Hollywood einen Feldschuppen, der ihr als Atelier diente.
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Und nochmehr Nachfolger kamen nach Hollywod
Al Christi sollte bald noch weitere Nachfolger bekommen. Hatte sich de Mille noch mit einem gemieteten Schuppen begnügt, so ging Carl Laemmle, kaufmännisch der energischste Kopf der „Unabhängigen", sofort nachdem er die Vorteile der Lage Hollywoods erkannt hatte, aufs Ganze: er baute dort eine richtige Filmstadt auf, die „Universal City" - von der man nicht ohne Bewunderung erzählt, daß sie mehr Bauten und mehr „Einwohner" (das heißt Beschäftigte) zählte als Laemmles Heimatstädtchen, Laupheim im Württembergischen.
Der „Trust" verlor von Jahr zu Jahr an Schrecken
Hollywoods Vorzüge bewährten sich auch noch, als die „Unabhängigen" nicht mehr auf dem Sprung sein mußten, sich mit Mann und Maus nach Mexiko flüchten zu müssen. Der „Trust" verlor von Jahr zu Jahr an Schrecken, die „Unabhängigen" gewannen an Macht, und es ist schon beinahe tragikomisch, daß bald auch die „Trust"-Firmen nichts Besseres wußten, als nach Hollywood überzusiedeln.
Eine von ihnen, die W.N.Selig, Chikago, hatte mit Wildwestserienfilmen, deren Held Tom Mix war, große Erfolge - wo ließen sich solche Filme besser drehen als unter der Sonne und in den Bergen Kaliforniens ? Und auch Griffith hatte schon in Hollywood gedreht, als er noch bei der „Biograph" war - selbstverständlich, daß er „Birth of a Nation" und „Intolerance" in Hollywood produzierte.
Hollywood ist der Beweis der „Standorttheorie" von Alfred Weber
Die „Standorttheorie" für Industrien des deutschen Nationalökonomen Alfred Weber läßt sich am Beispiel Hollywoods glänzend beweisen. Alle Versuche New Yorks, sich zum Zentrum der amerikanischen Filmindustrie zu machen, schlugen fehl. Hollywoods „standortgebundene" Vorzüge behaupteten sich; es kam nur insofern zu einer Gewaltenteilung, als die Verwaltungshäuser der großen Filmfirmen nach New York kamen (in der Wallstreet hatten sie ja viel zu tun) und als sie ihre großen Uraufführungstheater in New York erbauten.
Das Zentrum der Filmproduktion - und damit der Magnet für alle Filmehrgeizigen, Autoren, Regisseure, Darsteller - blieb Hollywood. Daß diese Konzentrierung auf einen immer erbarmungsloser geführten Konkurrenzkampf der einzelnen Firmen mit allen häßlichen Nebenerscheinungen hinauslief, lag in der Natur der Sache.
Hollywood - Mittelpunkt der Weltfilmindustrie und der Weltskandale.
Hollywood wurde, wie zum Mittelpunkt der Weltfilmindustrie so nun auch Mittelpunkt der Weltskandale. Zu Ende der Stummfilmzeit wurden achtzig Prozent aller amerikanischen Filme in Hollywood produziert, war die amerikanische Filmindustrie wertmäßig weit nach vorn gerückt, sie rangierte gleich nach Eisen, Stahl und Chemie und kam noch vor den Automobilen ...
Diesen Aufschwung hätte der amerikanische Film nicht nehmen können, wenn er sich damit begnügt hätte, Filme für das eigene Land herzustellen; aber Hollywood konnte - und wollte - exportieren.
Von Mary Pickford und Douglas Fairbanks bis Charles Chaplin
Nach dem ersten Weltkrieg war der Export der europäischen Filmländer beinahe auf den Nullpunkt gesunken, Hollywood konnte diese Lücke nicht nur quantitativ ausfüllen, sondern auch qualitativ. Griffith und Cecil B. de Mille waren nicht die einzigen Regisseure von Rang, die es verstanden, Filme herzustellen, die in aller (Stummfilm-)Welt Beachtung fanden, es waren auch Stars aufgetaucht, die auf allen Leinwänden der Welt erschienen und leidenschaftlich verehrt wurden: Mary Pickford und Douglas Fairbanks (ihr späterer Gatte) und, neben diesen Größen ihrer Epoche, „das einzige Genie, das der Film bisher überhaupt hervorgebracht hat" (das sind Worte von G. B. Shaw), Charles Chaplin.
Kapitel IV
Charly Chaplin
Chaplin hatte, ehe er seine Filmkarriere begann, als Darsteller von komischen pantomimischen Szenen in Musik-Halls fünfzig Dollars die Woche verdient, schon das Honorar einer Spitzenkraft; das war um das Jahr 1912. Chaplin,, 1889 in London geboren., hatte ein schweres Leben hinter sich, bis es soweit war. Beide Eltern verdienten als Sänger auf kleinen Vorstadtbühnen ein kärgliches Brot.
Charles mußte bereits als Fünfjähriger die Bühne betreten, um mitzuverdienen. Nach dem frühen Tode des Vaters sank die Familie in die tiefste Armut hinab; Jahre sollte es dauern, bis der junge Charles entdeckte, daß ihm die Eltern außer Not und Armut auch noch etwas anderes auf den Lebensweg mitgegeben hatten: die mimische Begabung.
In Paris sieht er die ersten Filme
Er hat nie eine reguläre Schule besuchen können, Schreiben, Lesen und Rechnen mußte ihm seine Mutter selbst beibringen. Als Vierzehnjähriger war er schon Mitglied einer reisenden Theatertruppe, fünfzehnjährig tritt er als Clown in eigenen Solonummern auf. Während einer seiner Auslandsgastspiele in Paris sieht er die ersten Filme, und besonders die Lustspiele des eleganten Komikers Max Linder faszinieren ihn.
„Ich habe viel von diesem Pionier des komischen Films gelernt", wird er später bekennen... Es dauert noch eine gute Weile, bis er Gelegenheit hat, es diesem Vorbild gleichzutun. Er tritt in New York auf, eine erste Varietekraft, wie gesagt, honoriert mit fünfzig Dollars die Woche.
Mack Senneth und die „Slapstick-Komödien"
Chaplins Ruf war ins entfernte Hollywood gedrungen. Mack Senneth, der 1912 mit Adam Kessel und Charles Bauman die Keystone-Produktion (zur Gruppe der „Unabhängigen" gehörend) gegründet hatte, spezialisierte sich mit sicherem Sinn für Publikumswirkung auf die sogenannten „Slapstick-Komödien". Das sind Filmhandlungen, deren Witz darin besteht, daß ein Polizist den Gummiknüppel mit Fug - und Unfug handhabt.
Mack Senneth, ein gelernter Kupferschmied aus Kanada (eigentlich Michael Sinnott), im Besitz einer leidlichen Stimme, wollte zum Sänger umsatteln. Aber über das Engagement an kleinen Burlesque-Theatern kam er nicht hinaus. Gelegentlich fand er bei der „Biograph" eine Tagesbeschäftigung, die mit fünf Dollars bezahlt wurde. Das war seine erste Berührung mit dem Film. Als einfallsreicher Kopf, der er war, begriff er bald, wo es dem Film fehlte, und er verkaufte ihm Lustspielideen, die auch besser honoriert wurden als seine Darstellungskunst.
Der Polizist mit dem Gummiknüppel - eine Filmfigur
Vom Drehbuchverfasser war es nur noch ein kleiner Schritt zum Regisseur. Während dieser Beschäftigung verstand er es, den Polizisten mit dem Gummiknüppel zur unentbehrlichen Lustspielfigur zu machen. Nach Gründung der Keystone ist diese Filmfigur als „Keystone-Cop" weltberühmt geworden.
In seiner Autobiographie „King of Comedy" erzählt Mack Senneth freimütig, wieviel er von Grifflth, dessen Stab er seit 1909 angehörte, gelernt und übernommen hat. Grifflth, sagte er, „war meine Volksschule, mein Fortbildungsunterricht, meine Universität". Jetzt bei der Keystone trat Senneth weder selbst als Darsteller auf, noch führte er Regie. Er wurde im reinsten Sinne das, was man einen „producer" nennt, ein Anreger, ein Schöpfer, ein Herausgeber von Filmen, die oberste, entscheidende Instanz, als solche noch über den Regisseur gesetzt.
Eine Spürnase für Filmkomik
Neben seiner Spürnase für kommende Begabungen - er ist der Entdecker von Gloria Swanson, Bebe Daniels, Marie Prevost - war Senneths beste Eigenschaft sein Sinn für Filmkomik. Er war es z. B., der seinem Büro als erster ein eigenes „Gag-Department" anschloß, eine Abteilung, die sich nur zu überlegen hatte, mit welcher unversehens eingebauten Überraschungsszene man die Komik der Situation noch erhöhen könne.
Und Komiker bildeten Mack Senneths Spezialität. Er holte nicht nur Chaplin zum Film, sondern auch Buster Keaton, Harald Lloyd und Bing Crosby. Als er von Chaplins Auftreten in New York hörte - fünfzig Dollars die Woche -, schickte er ein berühmt gewordenes Telegramm an einen dortigen Theateragenten: „Treibt sofort einen Burschen auf, der Chapman oder so ähnlich heißt."
Chaplin wurde aufgetrieben, sagte zu und ging für das Dreifache seiner bisherigen Gage zum Film, nach Hollywood, zur Keystone, zu Mack Senneth.
Gehrock und Zylinder recihten nicht, die Komik fehlte
Man schrieb Dezember 1913. Chaplins erster Film „Making a Living", 1914, war kein Erfolg; er hatte die Maske, die ihn charakterisieren sollte, noch nicht gefunden. Man sah ihn in Gehrock und Zylinder, einen überlangen Schnurrbart im Gesicht. Dann stutzte er den Schnurrbart, und an die Stelle des Zylinders trat die „Melone" - und allmählich, nach einem halben Dutzend von Filmen, gelingt ihm die endgültige Kostümierung.
Sie ist, wenn man will, eine Parodie auf die Eleganz eines Max Linder, den der junge Chaplin damals in Paris so bewundert hatte. Ausdruck der Sehnsucht des kleinen Mannes nach den Gewohnheiten der großen Welt - und zugleich der Vergeblichkeit seines Strebens. Chaplin wollte bewußt nur für den „kleinen Mann" spielen, er wollte gar nichts anderes sein als ein „Groschenkomiker".
Chaplin und seine „Charlie"-Figur
Viele Jahre später hat Chaplin die Kostümierung seiner „Charlie"-Figur erläutert:
- „Der kleine Lippenbart? Das ist das Kennzeichen seiner Eitelkeit. Sein enges Jackett, seine lächerlich weiten und formlosen Hosen ? Sie sind die Karikatur unserer Exzentrizität, unserer Torheit, unserer Geschmacklosigkeit. Der Einfall, ein Spazierstöckchen dazuzunehmen, war vielleicht meine beste Inspiration, denn gerade dieses Stöckchen hat wahrscheinlich am meisten dazu beigetragen, mich schnell bekannt zu machen. Obendrein konnte ich so viel damit anstellen, daß es sozusagen ein Eigenleben gewann. Oft erlebte ich, daß sich der Stock um das Bein eines Mitspielers gehakt hatte oder an dessen Schulter hängengeblieben war. So wurde das Publikum zum Lachen gebracht, wo ich selber überhaupt keine Wirkung einkalkuliert hatte. Ich glaube auch, daß ich damals schon begriffen hatte, wie sehr ein Spazierstock einem Menschen das Zeichen des Gecken aufprägt. Ich war also, wenn ich mit meinem kleinen Stöckchen auftrat, zunächst einmal eine Figur, die den Eindruck von >Würde< zu geben bemüht war, das allein war meine Intention."
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Chaplins Lebensphilosophie war die Würde des Menschen
Chaplins Kunst als Pantomimiker, so souverän er sie auch spielte, hätte nicht genügt, sie so einzigartig zu machen, wäre sie nicht mit jenem Bestreben, die Würde zu wahren, verbunden geblieben. Drückt sich in der Kostümierung der Anspruch des kleinen Mannes auf Würde aus, so im Spiel seine Behauptung der Würde.
Chaplins Lebensphilosophie geht auf die Unantastbarkeit des Individuums aus. Der Reiche weiß sich der Beleidigungen, Demütigungen und Erniedrigungen des Lebens wohl zu erwehren, der arme Kerl aber, gleich, ob ihm seine Freundin fortläuft oder ob man ihm nur eine Portion Schlagsahne ins Gesicht wirft, kann die Tücken und Banalitäten des Alltags nur überstehen, indem er mit den Achseln zuckt und davonwatschelt. Zwar lauert an der ersten Ecke schon die nächste Gefahr, doch jetzt und niemals gibt sich Charlie selbst auf.
Er rückt sich zurecht, säubert sich mit grotesker Sorgfalt - seine Würde ist behauptet, seine Seele hat keinen Schaden genommen. Diesem Chaplin kommt es, wie man sieht, nicht darauf an, das soziale Problem zu lösen, er sieht das tiefere, das sich dahinter verbirgt: das humane.
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Chaplins komische Filme über den tolpatschigen kleinen Mann
Hat es auch in dem Jahrzehnt von Chaplins Aufstieg in den Kulturländern jenen Proletarier des vierten Standes nicht mehr gegeben, den die materialistische Geschichtsphilosophie so dringend als Tat- und Augenzeuge benötigte, so war es dem dauernden Gerede von der grauen Masse doch gelungen, dieser das Selbstbewußtsein zu nehmen. Chaplin hat einfach und eindringlich gezeigt, daß man diesen Raub nicht hinzunehmen braucht.
Seine komischen Filme stellen ganz ernsthaft die Reputation des armen, verachteten, unglücklichen oder auch nur tolpatschigen kleinen Mannes auf der untersten Stufe der Gesellschaft wieder her. Sie machen aus dem Massenmenschen wieder ein Individuum, aus der Kreatur des Hinterhofes wieder ein Geschöpf Gottes, berechtigt, sich eine weiße Nelke ins Knopfloch zu stecken, selbst wenn diese Blume einem Hochzeitsstrauß oder einer Mülltonne entnommen wird ...
Über den Hintergrund des Erfolges
Nur vor diesem Hintergrund erklärt sich der Erfolg der Chaplin-Filme : hier wurde ein dringend benötigtes Seelen-Elixier verkauft. Die ersten Chaplinfllme (1913-1918) lassen diese Tendenz bereits erkennen, unterscheiden sich schon von Senneths Gummiknüppelsujets. Sie sind immer nur kurz, bestehen aus einer, höchstens zwei Rollen (zu je einer Viertelstunde) und gelten immer noch als „Beiprogramm". Hier einige ihrer Titel, denen man entnehmen kann, was sie aussagen:
Chaplin auf der Walze
Chaplin als Sträfling
Chaplin klaut einen Schirm
Chaplin schiebt Klaviere
Chaplin als Anstreicher
Chaplin als Hüter der öffentlichen Ordnung.
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Chaplins Film "Goldrausch"
1925 „Goldrausch", ein klassisches Filmwerk, von der Kritik, vermutlich zurecht, als der beste Stummfilm bezeichnet, der je gedreht worden ist.
„Mit diesem Film möchte ich im Gedächtnis der Welt weiterleben", hat Chaplin gesagt, wohl wissend, daß seine späteren Meisterwerke „Zirkus", 1927, „Lichter der Großstadt", 1931, „Modern Times", 1936, „Rampenlicht", 1952, die Aussagekraft und künstlerische Einheitlichkeit dieses Films nicht wieder erreicht haben. Die Fabel von „Goldrausch" ist einfach genug: inmitten der rücksichtslosen Abenteurer, die sich auf die Kunde der Goldfunde von Alaska dort einfinden, befindet sich der zarte, hilflose Charlie, der außerdem zusehen muß, wie man ihm die angebetete Freundin entreißt. Ohne an Würde zu verlieren, erträgt er Hunger und Kälte, Unduldsamkeit und Verlassenheit, doch am Ende sieht er sich mit dem größten Goldfund belohnt und darf seine Geliebte heimführen.
Das sind dürre Worte für eine unermüdliche Folge raffiniert ausgedachter und doch wie zufällig wirkender Szenen, von denen der berühmte „Brötchentanz" nur eine unter vielen anderen ist. Charlie vollführt hier - während er auf die Freundin wartet - mit Hilfe zweier Gabeln, auf denen er Brötchen aufgesteckt hat, entlang der Tischkante einen Tanz, der schließlich in eine Parodie seines eigenen watschelnden Ganges ausläuft.
Einmalig: Eine Szene doppelt bringen
Heinrich Fraenkel berichtet, daß diese Szene mit so absoluter Sicherheit einen Applaussturm erregte, daß man sie zweimal zu kopieren und „da capo" zu bringen pflegte - ein Fall, der sich in der ganzen Filmgeschichte nicht mehr wiederholt hat.
Entsprechend seiner Erfolge stiegen Chaplins Honorare. Er verdiente wöchentlich:
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- 1913/14 bei der Firma Keystone 150 Dollars
- 1915 bei der Firma Essunay 250 Dollars
- 1916 bei der Firma Mutual 10.000 Dollars - (dazu kamen 150.000 Dollars bei Vertragsabschluß extra)
- 1917 bei der First National 1.000.000 Dollars für acht Filme in achtzehn Monaten (und 15.000 Dollars bei Vertragsabschluß extra).
Diese Aufstellung gibt zugleich Auskunft über den Wechsel Chaplins von einer Firma zur anderen und darüber, wie diese sich in ihren Angeboten übertrafen. (Und keine Gesellschaft hat diese Gagen - die höchsten, die jemals gezahlt wurden - zu bereuen gehabt.)
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1919 - Chaplin macht sich unabhängug
Im Jahre 1919 machte sich Chaplin von den Produktionsgesellschaften insofern unabhängig, als er gemeinsam mit D.W.Griffith, Douglas Fairbanks und Mary Pickford die „United Artists" gründete; jetzt hatte er auch künstlerisch mehr Bewegungsfreiheit, und seine ersten abendfüllenden Filme konnten gedreht werden. Später machte er sich auch von den United Artists unabhängig und produzierte seine Filme auf eigene Rechnung.
Schon vor dem Jahr 1915 - seit dieser Zeit inszenierte er alle seine Filme selbst - hatte er Drehbücher geschrieben, stand er an der Kamera, hatte er Regie geführt. Diese Erfahrung kam ihm zugute; auch deshalb erscheinen seine Filme wie aus einem Guß. Für „Modern Times", „Monsieur Verdoux", 1947, und „Rampenlicht" schrieb Chaplin sogar die Filmmusik selber.
Von den privaten und öffentlichen, den persönlichen wie den politischen Affären, die Chaplins Laufbahn begleiteten, braucht hier nicht die Rede zu sein. Als Darsteller ein „genialer Clown" (wie ihn Thomas Mann genannt hat), als Regisseur bei allem gewollten Verzicht auf technische Raffinesse ein Hexenmeister im Aufspüren neuer künstlerischer Möglichkeiten, bleibt er eine der ganz wenigen Persönlichkeiten, die von sich sagen dürfen, daß sie den Film, so wie er heute geworden ist, „gemacht" haben.