Teil einer Lebens-Biografie von Curt Riess
Der Journalist, Reporter, Auslandskorrespondent und Schriftsteller Curt Riess (1902-1993) hat in dieser in 1956/57 verfassten biografischen Zusammenstellung der Ereignisse in Berlin von 1945 bis 1953 eine Art von Roman-Form gewählt und sehr viele Daten, Personen und Einzelheiten aus der Film- und Kino-Welt untergebracht. Eigentlich ist es eine erweiterte Biografie aus seinem Leben. Sonst ist es ist es leider (im gedruckten Original) eine reine - nicht besonders lesefreundliche - Buchstabenwüste.
Zur Geschichte der Berliner Kinos gehört natürlich auch das Ende des 2. Weltkrieges in Berlin und die politische Entwicklung danach. Die einführende Seite beginnt hier.
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Soetwas gab's nur in Berlin
Der eben geschilderte Fall war im Augenblick wohl nur in Berlin möglich gewesen. Aber in Berlin passierte er in der einen oder anderen Variation täglich. Niemand vermochte genau zu sagen, wieviel Geheimdienste es damals im westlichen und östlichen Berlin gab.
Allein jeder der Alliierten hatte ja drei oder vier solcher Geheimdienste, die sich zum Teil schärfste Konkurrenz machten. Jedes, auch das kleinste Land, war mit mindestens einer Spionageorganisation in dieser Stadt vertreten, in der so viele Informationen auf der Straße lagen.
Aber gleichgültig, ob es sich nun um amerikanische oder sowjetische, um rotchinesische oder nationalchinesische Geheimdienste handelte, um einen dänischen oder italienischen -, die Agenten dieser Dienste waren immer Berliner. Ohne sie wären die Offiziere dieser verschiedenen Nachrichtendienste nicht in der Lage gewesen, etwas übereinander herauszubringen.
Falsche Bärte oder dunkle Brillen funktionierten nicht
Kein sowjetischer, amerikanischer oder britischer Nachrichtenoffizier betrat den gegnerischen Sektor von Berlin, auch wenn er noch so gut Deutsch sprach. Man kannte einander zu gut, um zu versuchen, sich falsche Barte zu kleben oder durch dunkle Brillen zu täuschen, mit geheimen Tinten zu arbeiten oder mit Kurzwellensendern. Man verließ sich auf die deutschen Agenten. Vielleicht verließ man sich ein wenig zu sehr auf sie.
Wie es alles begann? Wie Berlin ein Spionagezentrum wurde, daß manchmal mehr an eine Operette als an die Wirklichkeit gemahnte?
Es begann natürlich ab dem April 1945
Es begann, natürlich, 1945, als sich die westlichen Mächte mit den Russen in Berlin trafen. Die westlichen Nachrichtendienste waren damals vor allem daran interessiert, die noch versteckten Kriegsverbrecher aufzuspüren.
Sie waren nicht am sowjetischen Verbündeten interessiert. Der war um so mehr an den Westmächten interessiert.
Als die Russen sich im Sommer 1945 aus dem Westen Berlins zurückzogen, hatten sie ein ganzes Heer von deutschen Chauffeuren, Sekretärinnen, Superintendenten, Gärtnern in ihre Dienste genommen, die Englisch sprechen konnten und also eine Chance hatten, von den Amerikanern oder Engländern engagiert zu werden.
Erst allmählich verlor sich die Naivität des Westens. Als wir schließlich erkannt hatten, daß die Russen uns bereits als Feind betrachteten und alles über uns herauszubringen versuchten, wurden wir auch neugierig. Wir gingen daran herauszufinden, was sich hinter dem Eisernen Vorhang tat.
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Auch "unsere" Agenten mußten Deutsche sein
Wen konnten wir hinter den Eisernen Vorhang, in das östliche Deutschland schicken, wenn nicht Deutsche? Dies war die Zeit, in der man in Berlin alles für Zigaretten haben konnte, auch Nachrichten. In der Tat deckten die Chefs der westlichen Nachrichtendienste einen großen Teil ihres Budgets mit Zigaretten.
Seither wurden im Volksmund die Deutschen, die für diese Geheimdienste arbeiteten, »Zigarettenindianer« genannt.
Als wir einmal wissen wollten, ob sich zu einer bestimmten Zeit der damalige Kommandant der Sowjetzone, Marschall V. Sokolowsky, in Moskau befände, wurden mehr als zwei Dutzend Agenten herausgeschickt.
Sie alle erzählten sehr interessante Geschichten, die einander allerdings widersprachen. Und am gleichen Tage brachte eine kommunistische Berliner Zeitung ein Foto von Sokolowsky, der gerade dabei war, einen Kranz am Sarge eines bekannten Berliner Kommunisten niederzulegen, der am Tage vorher beerdigt worden war. So einfach wäre es gewesen, herauszufinden, wo Sokolowsky sich befand.
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Man(n) könnte ja als Spion für beide Seiten ....
Wenn es schon ein gutes Geschäft war, bei einem Nachrichtendienst zu arbeiten, so war es ein besseres Geschäft, gleich für zwei oder drei tätig zu sein. In Spionageromanen gibt es den Agent double - einen Spion, der für zwei gegnerische Spionagedienste arbeitet.
Die meisten Berliner waren keine Agents doubles. Das wäre zu gefährlich gewesen. Sie begnügten sich damit, für die Spionagedienste zweier oder dreier befreundeter Nationen zu arbeiten oder sogar für zwei oder drei Spionagedienste der gleichen Macht.
Man hätte glauben sollen, daß zumindest der Westen seine Informationen austauschte, aber weit gefehlt. Die Dienste waren dazu viel zu eifersüchtig aufeinander.
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Ein Beispiel - ein Doppel- oder Dreifach- Agent
Ein deutscher Agent lieferte vor einiger Zeit eine gewisse Information bei einer amerikanischen Stelle ab. Man bezahlte ihn. Er war schon im Begriff zu gehen, als man ihn fragte, ob er herausfinden könne, ob der stellvertretende sowjetische Ministerpräsident Malenkow an einem gewissen Tage in Berlin gewesen sei. Der Agent ersah daraus sofort, daß die amerikanische Stelle zwar etwas wußte, aber nicht ganz sicher war.
Er ging also schnurstracks zu einer britischen Stelle und erzählte dort, Malenkow sei an dem bewußten Tage in Berlin gewesen. Die Briten waren begeistert. Sie hatten bereits von anderer Seite eine solche Nachricht bekommen - vermutlich von der gleichen, die die Amerikaner informiert hatte, und nahmen nun die Nachricht als Bestätigung.
Hierauf ging unser Agent zu einer zweiten amerikanischen Stelle, von der er wußte, daß sie mit der obengenannten nicht besonders gut stand und erzählte, er habe aus guter sowjetischer Quelle, daß das Mitglied des Politbüros Lavrenti P. Berija in Berlin gewesen sei, daß man dies aber aus bestimmten Gründen verheimlichen wolle und überall ausstreue, Malenkow sei in Berlin gewesen.
Diese zweite amerikanische Stelle hatte natürlich auch schon von der Sache Malenkow gehört, war nun begeistert, die Konkurrenz im eigenen Lager wieder einmal geschlagen zu haben und zahlte unserem Agenten ein fürstliches Honorar.
So erhielt er zwei Honorare für zwei Nachrichten, die vermutlich beide falsch waren, und die er nicht einmal zu erfinden brauchte.
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Es war schwierig mit den Nachrichten aus dem Osten
Es war in den meisten Fällen ziemlich schwer herauszufinden, ob die Nachrichten aus der Welt hinter dem Eisernen Vorhang echt oder falsch oder ein Gemisch von beiden waren, was meistens der Fall gewesen sein dürfte.
»Wer kann mir das Gegenteil beweisen«, erzählte mir ein Agent, »wenn ich behaupte, dieser oder jener sowjetische Marschall sei in einer geheimen Mission hier oder dort gewesen, an dieser oder jener Stelle, inmitten der Tschechoslowakei oder Polens, in der man diese oder jene neue geheime Waffe ausprobiert? Mag sein, daß manche Nachrichtendienste mir das nicht glauben - aber wenn ich meine Geschichte lange genug erzähle, kauft irgendeiner mir sie doch ab.«
»Die Erfahrung lehrt«, sagte mir ein amerikanischer Nachrichtenoffizier, »daß einer, der eine tolle Information bringt, so toll, daß Sie am liebsten alles stehen und liegen lassen und zu Ihrem Vorgesetzten laufen, um ihm darüber Bericht zu erstatten, nur ein Schwindler ist. Aber trotzdem müssen wir jedem Tip nachgehen.«
Und dann fügte er hinzu: »Und wenn es sich herausstellt, daß eine Nachricht echt ist, dann bliebe immer noch die Frage, ob die Russen uns diese echte Nachricht zugespielt haben aus dem einen oder anderen Grund, den nur sie wissen.«
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Zurück zum Krieg in Korea und in Berlin
ZUM Unterschied von den westdeutschen Militärexperten, die keinen Zweifel daran ließen, daß der Krieg in Korea für die Demokratie verloren sei, allein durch die Schuld der Amerikaner natürlich, wußten die Berliner zumindest eines, daß nämlich die ersten Wochen oder Monate, ja vielleicht Jahre eines Krieges nicht für den Ausgang des Krieges entscheidend sein müssen.
Und um diese Zeit begannen die Berliner zu begreifen, daß auch der Krieg um Berlin noch sehr lange dauern würde. Die Blockade war aufgehoben. Aber dieser Sieg des Westens und der Berliner war eben, vom Herbst 1950 aus gesehen, wenig mehr als eine gewonnene Runde.
Andere Runden wurden gewonnen und verloren.
Das Entscheidende war, daß man den Kampf nicht aufgeben durfte. So dachten die Berliner jedenfalls. Denn um diese Zeit setzten sie ein Werk in Szene, das etwas Rührendes hatte und doch, so gering die Mittel waren, die man zur Verfügung hatte, nicht ohne Wirkung blieb.
Die Westberliner Zeitungen
Eigentlich ist es unmöglich, ein Buch über das Berlin der letzten Jahre (1945 bis 1950) zu schreiben, ohne ausführlich über die Westberliner Zeitungen und ihre einzigartige Rolle zu sprechen, über die Redakteure und Reporter, die den großen Gefahren trotzend - viele von ihnen waren von den Russen verschleppt worden - der Bevölkerung immer wieder das Neueste vom Tage brachten, die in den ersten Nachkriegsjahren und dann insbesondere während der Blockade unter den unfaßbarsten Schwierigkeiten arbeiteten ... aber das alles zu beschreiben würde ein eigenes Buch erfordern ... die Westberliner Zeitungen also, deren Auflage und Einnahmen aus Inseraten enorm zurückgegangen waren - Berlin wurde ja von Tag zu Tag ärmer - bauten am Potsdamer Platz einen sehr hohen Turm, der alle dort noch stehenden Häuser weit überragte.
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- Anmerkung : Hier ist mir nicht klar, warum Riess nicht direkt vom neuen Springerhochhaus - direkt an der Zonengrenze - spricht und so drum rum redet von einem hohen Turm. Kam das Haus erst 1959 ?
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Ganz Ostberlin sollte die Leuchtschrift lesen können
Von hier aus sollten mit Leuchtschrift die neuesten Nachrichten verbreitet werden. Von hier aus konnten die Bewohner von Ostberlin erfahren, was in der Welt vor sich ging und wie die Ereignisse, über die ihre eigenen Zeitungen ihnen nur das mitteilten, was Moskau für richtig hielt, sich in Wahrheit abspielten.
Die Ostzeitungen waren im Augenblick damit beschäftigt, eine Kampagne zu eröffnen, die sich der Propagandaminister Eisler ausgedacht hatte. Sie ging natürlich gegen die Amerikaner.
Eisler ließ ihnen durch seine Presse allen Ernstes vorwerfen, daß sie die ostdeutsche Bevölkerung durch einen bösartigen Krieg dem Hunger überliefern wollten.
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Die Ostberliner Story mit den Kartoffelkäfern
Die »Berliner Zeitung« schrieb: »Die Behörden in der Republik sind einem ungeheuren verbrecherischen Anschlag auf die Spur gekommen In der vergangenen Nacht wurden von amerikanischen Flugzeugen, die sich außerhalb der üblichen Flugzone bewegten ... Kartoffelkäfer in großen Mengen abgeworfen.«
Eine andere Zeitung schrieb: »Während amerikanisch inspirierte Zeitungen Krokodilstränen über die angeblich hungernde Bevölkerung in der ostdeutschen Demokratischen Republik vergießen, versuchen amerikanische Flugzeuge durch Abwurf von Kartoffelkäfern unsere Lebensmittelversorgung zu gefährden ...«
Die ganze Ostpresse brachte Überschriften wie: »Heute Kartoffelkäfer - morgen Atombomben!«
Diese Propaganda war einfach zu dumm, um zu verfangen.
Im übrigen war sie nicht einmal neu. Berliner Journalisten fanden heraus, daß im August 1944 eine wissenschaftliche Tagung in Wien stattgefunden hatte, auf der man sich mächtig aufregte.
Grund der Aufregung waren Funde von Kartoffelkäfer-Herden, die nicht natürlichen Ursprungs gewesen sein sollten; und zwar wurden sie in den meisten Fällen dort gefunden, wo vorher amerikanische Flugzeuge gesichtet worden waren.
Gewöhnlich taten die Berliner die neue Propaganda mit einem Witz ab. Der Witz lautete wie folgt: »Wissen Sie das Neueste von den Amerikanern? Diese Luftgangster werfen jetzt sogar Kartoffeln über der Ostzone ab! Warum? Aber natürlich doch, weil die Kartoffelkäfer sonst infolge Nahrungsmangels verhungern würden!«
"Propagandaminister" Eisler wurde nicht gewählt
Und Gerhart Eisler erlitt eine weitere Niederlage. Er wurde weder in das Politbüro noch in das Zentralkomitee der Partei gewählt, obwohl er vorgeschlagen worden war. Er war nur noch dem Namen nach Propagandaminister, in Wahrheit hatte er keine Macht mehr.
- Anmerkung : Hier versäumt es Riess, darauf hinzweisen, daß erstaunlicher Weise manche Wahlen in Ost-Berlin sowie in der Ortzone - wie diese ZK Wahlen - immer noch stattfanden.
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Berlin sah sich selbst als Frontstadt.
Und vom Turm (nicht dem Springerhaus ? - nein, das kam erst 1959) am Potsdamer Platz sandten die freien Berliner Zeitungen die wichtigsten Nachrichten nach Ostberlin hinüber. Berlin sah sich selbst als Frontstadt. Und auch die westliche Welt sah Berlin als Frontstadt, sah sie wieder als Frontstadt, nachdem der kurze Traum der Normalität endgültig ausgeräumt war.
Am 19. September 1950 fand in New York eine Konferenz der drei westlichen Außenminister statt, in der besonders unterstrichen wurde, daß auch ein Angriff auf Westberlin von ihnen als ein Angriff auf die Westmächte angesehen würde.
Am 14. Oktober 1950 kamen zusätzliche amerikanische Truppen und auch General Clay
Am 14. Oktober wurden die amerikanischen Truppen in Berlin durch das neu aufgestellte 6. Infanterie-Regiment verstärkt. Zehn Tage später, am 24. Oktober, kam General Clay wieder nach Berlin zurück. Er kam diesmal in Zivil, er war nicht mehr in der Armee, aber für die Berliner bedeutete das keinen Unterschied.
Mehr als 400.000 Westberliner, also jeder sechste, Kinder, Kranke und Greise mit eingerechnet, standen auf dem Platz vor dem Rathaus Schöneberg und jubelten dem kleinen, schmalen, grauhaarigen Mann zu, von dem sie wußten, daß sie ihm mehr als irgendeinem anderen ihre Freiheit, wenn nicht ihr Leben verdankten.
General Clay kam zum fünften Jahrestag der UN-Charta, um der Einweihung der Freiheitsglocke beizuwohnen, die von dem von Clay ins Leben gerufenen Freiheits-Komitee gestiftet worden war. Er hielt eine kurze Rede, in der er sagte, der Klang dieser Glocke solle von nun an allen Unterdrückern eine Warnung sein. Der General war so gerührt, daß er kaum zu Ende sprechen konnte!
Auch die Engländer stockten auf
Wiederum einige Wochen später verstärkten die Briten ihre Berliner Garnison durch neue Tanks. Kurz, es geschah viel, um dem Osten zu beweisen, daß die westliche Welt die Bedeutung Berlins in dem Kampf um die Freiheit der Welt nicht zu unterschätzen gewillt war.
Neid oder Dummheit oder ein schlechtes Gewissen?
Die Entwicklung im westlichen Deutschland verlief umgekehrt. Je näher die New Yorker, Londoner, ja selbst Pariser sich den Berlinern fühlten, desto weiter weg rückte Berlin für die Münchner, Kölner, Hamburger.
Chefredakteure und Zeitungsbesitzer bauten ihre Berliner Korrespondenten ab oder instruierten sie dahin, nur noch die allerwichtigsten Nachrichten zu senden. »Unsere Leser wollen nichts mehr von Berlin wissen«, sagten sie. Und: »Aus Berlin kommt nur Unruhe, Berlin macht nur Unfrieden!«
Man fand im westlichen Deutschland, Berlin sei recht rückständig geworden. »Berlin lebt noch im Jahre 1945«, sagte mir ein Politiker in Bonn. »In Berlin sieht man die westlichen Besatzungsmächte ja geradezu als Bundesgenossen an!«
Wenn die Westdeutschen an Berlin dachten, hatten sie ein schlechtes Gewissen.
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Winter 1950 - eine Viertelmillion Arbeitslose in Berlin
In Berlin gab es nun eine Viertelmillion Arbeitslose, das heißt, ein Drittel der Westberliner lebte von Arbeitslosenunterstützung. In Westdeutschland gab es nicht einmal zehn Prozent Arbeitslose.
Also dachte man lieber nicht so häufig an Berlin. Irgendwie glaubten die Menschen, daß, wenn sie von Berlin nicht mehr redeten, ja, Berlins nicht einmal mehr gedachten, die Russen sich schon beruhigen würden. »Aus Berlin kommt nur Unruhe!«
Diesen an sich nicht falschen Satz verstanden viele in Westdeutschland nicht etwa dahin, daß die Russen ihre Anwesenheit in Berlin benutzten, um Unruhe zu schaffen, sondern dahin, daß die Berliner diese Unruhe schafften.
Manche glaubten, daß, wenn Berlin abgeschrieben würde, sich die Russen beruhigen würden und nahmen es den Amerikanern jetzt nachträglich übel, daß sie Berlin nicht schon zu Beginn der Blockade abgeschrieben hatten.
»Stellen Sie sich vor«, sagte mir ein bayerischer Journalist, »daß morgen ein Krieg wegen Berlin entstände! Jeder Bayer würde erklären, daß die Berliner am Krieg schuld sind!«
Wenn ein Bayer "Radio" macht ....
Einer der einflußreichsten Männer Westdeutschlands, der gescheite, ja brillante Walter von Cube, Chefredakteur des Münchner Rundfunks, erklärte wörtlich vor vielen Millionen Zuhörern:
»Ich habe seit Jahren die gleiche politische Ansicht vertreten und spreche sie auch heute aus: Wenn das Glied eines Körpers von einem Bazillus befallen ist, dann sollte man es amputieren, um den ganzen Körper zu retten!«
Ich fragte Cube, was er unter dem vom Bazillus befallenen Glied verstehe. Er antwortete: »Berlin. Man sollte eben den Eisernen Vorhang endlich dicht machen!«
Merkwürdige Denkweisen und Gedanken in Westdeutschland
Nun plötzlich war vieles, wenn nicht alles verdächtig, was die Amerikaner und die Briten in den letzten Jahren unternommen hatten, um den Berlinern auf die Beine zu helfen.
Selbst die gewaltige Anstrengung der Luftbrücke erfüllte viele west- und süddeutsche Nationalisten nun nachträglich mit Mißtrauen. »Die Amerikaner versorgten Berlin wohl nicht um der schönen Augen der Berlinerinnen willen«, erklärten sie.
Immer wieder hörte man, amerikanische Prestigepolitik werde »auf dem Rücken der Deutschen« ausgetragen. Wenn man den Marshall-Plan in die Debatte warf, mußte man hören, es handele sich hier um einen Geschäftstrick von ungeheuren Ausmaßen.
Dies war zwar nicht zu beweisen, aber doch nur deshalb, weil man »den Amerikanern nicht ganz hinter ihre Schliche gekommen« sei.
Das Ressentiment gegen die Amerikaner wuchs schneller als das gegen die Briten und Franzosen, nicht zuletzt, weil die Briten und die Franzosen in ihren Heimatländern, wie aus den auswärtigen Berichten zu ersehen war, selbst nicht auf Rosen gebettet waren.
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Die Amerikaner hingegen wären so unglaublich reich
Die Amerikaner hingegen waren so reich, daß sie schon allein deswegen unsympathisch waren. Und hier kam es zu einer psychologisch sehr interessanten Entwicklung.
Man hatte in Westdeutschland zwar Todesangst vor den Russen, freute sich aber trotzdem, wenn man in der Zeitung von amerikanischen Niederlagen in Korea las. Oft hörte man Sätze wie: »Die Russen zeigen den Amerikanern doch wenigstens einmal, daß sie nicht ganz allein auf der Welt sind!«
Die Berliner lachten über solche Dummheiten. Und sie wandten ein altes Berliner Wort auf ihre Landsleute im Westen, Süden und Norden an, die nichts mehr von Berlin wissen wollten. Sie sagten »Dummheit ist eene Jabe Jottes, aber man darf ihr nich mißbrauchen.«
Die Amerikaner hatten es den Russen gezeigt ......
Die Berliner wußten es besser als ihre Landsleute. Nicht die Russen waren es, die den Amerikanern zeigen mußten, daß sie nicht allein auf der Welt waren. Die Amerikaner hatten es den Russen gezeigt, daß sie nicht allein in Europa waren.
Für die Berliner waren die westlichen Soldaten, die sie vor den Russen schützten, längst keine Besatzung mehr, sondern ein Schutzwall.
Der Kreis schloß sich. Schon einmal, im Juli 1945, hatten die Berliner sehnlichst auf den Einmarsch der Westmächte gewartet. Damals hatten sie nicht verstanden, daß die amerikanischen und britischen Soldaten es nicht als den Sinn ihres Sieges ansahen, die Berliner vor den Russen in Schutz zu nehmen.
Inzwischen war manches geschehen. Inzwischen hatte es viele Mißverständnisse zwischen den westlichen Besatzungsmächten und den Sowjets einerseits, den westlichen Besatzungsmächten und den Westdeutschen andererseits gegeben; und die Mißverständnisse rissen nicht ab.
Aber in Berlin verstand man sich.
DENN es gab immer wieder neue Schwierigkeiten von Seiten der Russen und der (ost-)deutschen Kommunisten. Es gab Grenzzwischenfälle, sei es auf dem Potsdamer Platz, sei es bei Helmstedt.
Einmal wurde der Schiffsverkehr lahmgelegt, einmal der Autobusverkehr, weil ein Autobusschaffner verhaftet worden war und die anderen ein gleiches Schicksal nicht erleiden wollten.
Es gab wieder verschärfte Zugkontrollen und die willkürliche Zurückhaltung von Postpaketen oder ganzen Güterwagen.
Die Kreativität der Ostzonenregierung kannte keine Grenzen
Und in den letzten Tagen des Jahres 1950 brachte die Deutsche Demokratische Republik, das heißt, die in Ostberlin konstituierte Satellitenregierung, das »Gesetz zum Schutz des Friedens« heraus, das die Freiheit der Westberliner weiterhin einschränkte.
Nach diesem Gesetz war strafbar, »wer eine Aggressionshandlung, besondere einen Angriffskrieg propagiert, oder in sonstiger Weise zum Krieg hetzt«. Das gleiche sollte für Personen gelten, die Deutsche zur Teilnahme an kriegerischen Handlungen »anwerben, verleiten oder aufhetzten«, oder »die die Einbeziehung Deutschlands in einen aggressiven Militärpakt propagieren«.
Es war klar, daß aufgrund eines solchen Gesetzes jeder verhaftet werden konnte, der in einer Westberliner Zeitung gegen die Willkür der Russen oder Kommunisten Stellung nahm.
Jeder Politiker, ja, jeder Polizist im Westen Berlins stand jetzt gewissermaßen mit einem Fuß in Sibirien, wenn er versuchte, aus Berlin heraus nach Westdeutschland zu fahren und die »Grenze« zu passieren.
1951 - Und wieder pieksten die Russen, wo sie nur konnten
Die willkürlichen Störungen des Berliner Verkehrs hielten auch im Jahre 1951 an, und es kam schließlich Ende des Jahres dahin, daß die Russen bei der Ausfuhr von Fertigware aus Berlin nach Westdeutschland zu wissen verlangten, woher die Rohmaterialien stammten, die verarbeitet worden waren.
Das bedeutete nicht mehr und nicht weniger, als daß sie die Warenausfuhr aus Westberlin auf sozusagen legalem Wege zu stoppen versuchten. Denn es war unabsehbar, welche neuen Forderungen sie aufgrund der eingereichten Papiere stellen würden, sie konnten so die Auslieferung der Waren zumindest auf Wochen oder Monate verzögern.
Erneut gab es eine "kleine Luftbrücke"
Es wurde also eine sogenannte Kleine Luftbrücke eingerichtet, um die Güter von und nach Berlin zu transportieren. Und am 2. November 1951 erklärte Bürgermeister Ernst Reuter, die Berliner Situation sei wieder einmal sehr ernst, wieder einmal würden Verkehrsbeschränkungen als politische Druckmittel benutzt; aber zum Unterschied von der Zeit vor der Blockade besitze Berlin diesmal genügend Vorräte, um die Versorgung der Stadt auf Monate hinaus zu sichern.
Hinter den Kulissen der beiden "Polizeien"
Besonders interessant war in diesem Zusammenhang die Situation der Westberliner Polizei. Es verging kein Tag, ohne daß die östliche Presse sie nicht als »Mörder« und »Gangster« bezeichnete.
Die westlichen Polizisten waren dem Osten in der Tat unangenehm, sie regelten ja nicht nur den Verkehr, verfolgten nicht nur die Verbrecher und sorgten für die Sicherheit der Bürger, wie die Polizisten dies in allen Städten tun, sondern hatten auch die Funktion des Grenzschutzes.
Wären sie nicht gewesen, dann hätten Banden aus dem Osten nach Westberlin einfallen können, dann wären die Feinde der Sowjets auch in Westberlin vogelfrei gewesen, hätten auch aus ihren Wohnungen heraus entführt werden können.
Auf der anderen Seite fand, wohl ohne daß die hohen kommunistischen Funktionäre etwas davon wußten, eine ausgesprochen enge Zusammenarbeit zwischen Ost- und Westpolizei statt, ohne die, wie mir der Polizeipräsident Dr. Stumm versicherte, die Ergreifung von Verbrechern unmöglich gewesen wäre.
Verbrecher hätten ja sonst nur in einen anderen Sektor der Stadt flüchten müssen, um in Sicherheit zu sein.
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Herbst 1951 - Ostberlin sollte abgeriegelt werden
Im Herbst 1951 sah es eine Zeitlang so aus, als ob jede Verbindung zwischen Ost und West innerhalb Berlins unterbunden werden sollte. Von den unzähligen Straßen, die von der einen Seite Berlins in die andere führten, wurden viele durch Panzersperren unpassierbar oder doch nur zu Fuß passierbar gemacht.
Eine Zeitlang glaubten wir, es handele sich um eine neue Blockade von Berlin, um eine Blockade, die gewissermaßen innerhalb von Berlin stattfinden sollte.
Hatten die Russen wirklich die U-Bahn vergessen ?
Wenn die Russen sie planten, mußten sie übersehen haben, daß die Untergrundbahn, die S-Bahn und zahllose Straßenbahnen durch sämtliche Sektoren fuhren und daß, wenn diese Verkehrsmittel gestoppt worden wären, man den ganzen Verkehr der Viereinhalb-Millionenstadt - also auch den östlichen Verkehr - lahmgelegt hätte.
Vielleicht hatten die Russen das wirklich übersehen, denn eines Tages begannen Arbeiter von Ostberlin die Verkehrshindernisse, die ohne Angabe von Gründen aufgerichtet worden waren, wiederum ohne Angabe von Gründen zu entfernen.