Über die Blütezeit der Filmstadt Wiesbaden
Unter dem Titel "Rote Rosen und weißer Flieder" wurde 1995 eine begleitende "Retro"-Broschüre aus der Vergangenheit und der kurzen Episode Wiesbadens als Filmstadt erstellt. Eigentlich als Katalog zu einer Ausstellung gedacht, werden doch viele Tatsachen, Einzelheiten und Vorkommnisse der Wiesbadener Studios, der damals in Wiesbaden gedrehten Filmen und von den Wiesbadener Kinos bis Anfang der 1970er aufgezählt. Hier geht es zum Anfang.
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Helle Silberstreifen am Film-Himmel Wiesbadens
Das Fernsehen im "kleinen Hollywood zwischen Taunus und Rhein" von Harald Schleicher
Zum Ende der 19-fünfziger Jahre befindet sich die Medienlandschaft in Westdeutschland in einer Umbruchsituation: Die deutsche Filmproduktion ist rückläufig, das Kinosterben schreitet weiter voran, das Fernsehen hält verstärkt Einzug in bundesdeutsche Wohnzimmer, die Politik wird sich zunehmend des Machtfaktors Fernsehen bewußt und will ihren Einfluß verstärken.
Pläne für ein zweites, sogar für dritte Fernsehprogramme nehmen allmählich konkretere Gestalt an. Entwicklungen, die auch auf die "Filmstadt Wiesbaden" handfeste Auswirkungen haben werden.
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Endlich ist man sich nach Jahren einig .....
Zunächst zeichnet sich Ende 1958 eine Einigung zwischen Karl Schulz' Taunusfilm und der Stadt Wiesbaden bzw. dem UFI-Liquidationsausschuß ab.
Im Januar 1959 hat Schulz die Restkaufsumme von 300.000.- DM für den Grund und Boden bar auf den Tisch gelegt und Stadtrat Hammersen zeigt sich guter Hoffnung, daß die Landeshauptstadt zum "Kleinen Hollywood zwischen Taunus und Rhein" (1) avancieren wird.
Im April meldet "Der neue Film" : "Verkauf der Wiesbadener Ateliers perfekt" (2). Die Taunus-Film erwarb demzufolge am 31.3.1959 die Hallen und Kopieranstalt für 425.000 DM (225.000 DM bezahlt, restliche 200.000 DM durch Bankkredite abgesichert) und übernahm Verpflichtungen von etwa 400.000 DM. d.h. die Kaufsumme betrug insgesamt etwa 825.000 DM (ohne das bereits zuvor erworbene Grundstück).
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Unter den Eichen hofft man nun aufbessere Zeiten.
Als günstige Vorzeichen gelten, daß die Wochenschau "Blick in die Welt" in Wiesbaden zu bleiben gedenkt und damit dem Kopierwerk ein wichtiger Kunde erhalten wird, so daß man zuversichtlich ist, die 80 Arbeitsplätze im Kopierwerk sichern zu können. Auch die Taunus-Film, die die Ateliers verwaltet und vermietet, gibt sich optimistisch.
Die Kapazität liegt bei 8 Spielfilmen pro Jahr; wenn der fünfte Film abgedreht worden ist, beginnen sich die Ateliers zu rentieren. Pläne für Werbefilmproduktionen und Synchronisation werden geschmiedet.
Im November 1959 verkündet Karl Schulz: "Atelier- und Kopierbetrieb sind ausgelastet" (3). Produzieren darf die Taunus-Film nicht, aber dafür tritt die Schulzsche Bühne und Film als Produzent auf.
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1958 - ein zweites Fernsehprogramm ist beschlossen
Und schließlich wird als weiteres Indiz für eine ersprießliche Zukunft des Wiebadener Filmstandortes herausgestellt, daß sich die Chancen für die Genehmigung eines zweiten Fernsehprogrammes verbessern.
Bereits 1958 konstatierte das Wiesbadener Tagblatt: "Mehr Fernseh-Interesse für Wiesbaden" (4).
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Die Vorgesellschaft "Freies Fernsehen" in Wiesbaden ?
Noch im selben Jahr wird in Wiesbaden die Vorgesellschaft Freies Fernsehen gegründet. Zweck der Gesellschaft: Gestaltung und Darbietung eines Fernsehprogramms auf privatwirtschaftlicher Grundlage. Im Herbst 1959 ist dann von spektakulären Plänen die Rede: "UFA will Film-und Fernsehzentrum errichten" (5).
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Ein Projekt mit über 27 Millionen DM veranschlagt
Sie hat dieser Meldung zufolge den Magistrat gebeten, ihr ein Gelände zuzuweisen; gedacht ist zunächst an 90.000 qm, später gar an ein 250.000 qm großes Areal. Vorgesehen ist auch, das Gelände Unter den Eichen einzubeziehen.
Für das Projekt werden über 27 Millionen DM veranschlagt. Realisiert werden sollen Sonderproduktionen der UFA (Werbe-, Industrie-, Dokumentär- und Kulturfilmproduktion) sowie Fernsehfilme, Wochenschauen, Trick-und Synchronisationsarbeit.
Als Gründe für den anvisierten Standort Wiesbaden werden die günstige Lage der Landeshauptstadt und die Erwartung, daß das benachbarte Frankfurt Sitz des Deutschlandfernsehens werden wird, genannt. Die örtliche Presse bezeichnet diese Pläne als einen "hellen Silberstreifen am Film-Himmel Wiesbadens - den hellsten, der hier je sichtbar war" (6).
Wie so mancher Silberstreifen zuvor wird auch dieser bald verblassen. Auch zu dem von der Filmwoche Anfang 1960 für den April 1961 erwarteten Sendebeginn des zweiten Fernsehprogramms wird es so nicht kommen. (7)
In diesen Jahren überschlagen sich Vorankündigungen, Mutmaßungen und Spekulationen - aber es gibt auch konkrete Veränderungen in der "Filmstadt Wiesbaden" zu vermelden.
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- Anmerkung : Wie immer werden nur die Lobeshymnen und Sonnenseiten publiziert. Natürlich hatte in Wiesbaden niemand ein Interesse daran, die Schattenseiten des Geländes "Unter den Eichen" irgendwie zu thematisieren. Das größte Manko ist die Zufahrt, die immer mitten durch die Stadt führte oder aber über die Taunus-Berge. Das ist in Mainz und anderswo wesentlich verkehrsgünstiger.
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Die taunus-Film und der Hess. Rundfunk machen halbe halbe
So ist das Hessische Fernsehen bereits seit einiger Zeit ständiger Gast Unter den Eichen. 1960 wird zwischen der Taunus-Film und der "Werbung im Rundfunk GmbH", einer Tochtergesellschaft des Hessischen Rundfunks, ein Vertrag geschlossen, wonach sich die "Werbung im Rundfunk" zu 50% an der Taunus-Film beteiligt.
Noch im selben Jahr wird man in Wiesbaden aktiv, um den Ansprüchen des Fernsehens gerecht zu werden. Neu gebaut werden eine Aufnahmehalle, ein Synchronstudio. Schneide- und Vorführeinrichtungen sowie ein Flachbau für 250 (!) Komparsen mit Schminkräumen und Duschen. Die Kosten für vier neue Atelierhallen sollen allein 8 Millionen DM betragen.
Ein Dreiersystem mit Bauten für einen Film in mehreren Hallen soll erlauben, Filme künftig zügiger abzudrehen. Angesichts dieser Entwicklungen verkündet Karl Schulz euphorisch, daß die Schlange der Interessenten, die 1960 bei ihm drehen wollen, vom Dürerplatz bis Unter die Eichen reicht. Anmerkung : Das wären ja fast 2 Kilometer.
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Jetzt Fernsehen mit Otto Höpfner und Heinz Schenk
Zu den Nutzern der Studios zählen Firmen wie die Neue Film-Produktion und die Commercial-Filmgesellschaft, die hauptsächlich Werbefilme drehen. An der Spitze der Interessenten liegt in jenen Jahren jedoch der Hessische Rundfunk mit seinen ambitionierten bzw. unterhaltenden Fernsehproduktionen.
1959 entsteht in Wiesbaden die fünfteilige Unterhaltungssendung HÖPFNER ZWEIMAL KLINGELN mit Otto Höpfner, dem ehemaligen Wirt zum BLAUEN BOCK. Unter der Regie des Wiesbadeners Ekkehard Böhmer tritt Höpfner als charmanter Junggeselle, umgeben von einem Schwärm entzückender Mädchen, in heiteren Sketchen auf.
Als Gäste begrüßt er die Eiskunstlaufmeisterin Marika Kilius, und auch die Mannschaft des Deutschen Fußballmeisters Eintracht Frankfurt findet sich in seiner Junggesellenbude ein.
Trotz all' der Mühen wünscht sich eine Fernsehzeitschrift Höpfner wieder als Wirt vom BLAUEN BOCK, denn: "Da ist er originell, wirtig und humorig, da ist er der echte Otto Höpfner!" (8).
Mit ihm vor der Kamera steht auch Heinz Schenk als rastloser Erfinder, der nur Chaos verursacht. Schenk erscheint bald wieder in AUF DER GRÜNEN WIESE, einer Unterhaltungssendung, die ihrerseits ein Pendant zum BLAUEN BOCK sein sollte.
Das Fernsehen versucht also schon in jenen Jahren erfolgreiche Konzepte fortzuschreiben.
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1960 - Produktionen für die HR-Unterhaltung aus Wiesbaden
Aber man betritt auch Neuland. So entsteht 1960 in Wiesbaden HEUTE LETZTER TAG. Mit dieser Produktion will man versuchen, vom überlebten 'Bunten Abend' mit seiner stereotypen Nummernfolge wegzukommen" (9), indem man rund um eine Revue eine Spielhandlung mit kriminalistischem Einschlag konstruiert.
Unter dem programmatischen Titel IHNEN BLEIBT NICHTS ERSPART wird 1961 in Wiesbaden eine "Deutsche Crazy-(Total-verrückt)Show" mit Jonny Buchardt gedreht. Im Löwenkäfig, umgeben von schönen Blondinen und verfolgt von Irrenhauswächtern, hat er nur ein Ziel: "Vorzeitig eingeschlafene Fernsehzuschauer werden durch Explosionen liebevoll geweckt" (10).
Auch in den folgenden Jahren werden in Wiesbaden Produktionen für die HR-Unterhaltung hergestellt - wenngleich nicht mehr in diesem Umfang. Erwähnenswert sind hier vor allem die "Einspielfilme" für die Samstagabend-Show EINER WIRD GEWINNEN.
Hans Joachim Kuhlenkampff tritt in einer Doppelrolle auf: als Quizmaster und Hauptdarsteller kleiner Rätselfilme: Kuli mimt einen US-Astronauten, der sich beim Betreten eines fremden Planeten plötzlich einem Sowjet-Kosmonauten gegenübersieht, er tritt neben Dunja Rajter als feuriger Torero auf, sucht uns als Künstler heim - sei es als Bildhauer aus der Antike oder im legendären Streifen als Pilzkopf der sechziger Jahre; Gerhard Wendland. Willy Berking und Bully Buhlan komplettieren die ''Beatles".
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Ambitionierte Fernsehproduktionen des Hess. Rundfunks
Neben solcher Unterhaltungsware stellt der Hessische Rundfunk in diesen Jahren in Wiesbaden aber auch eine Reihe ambitionierter Fernsehproduktionen her.
Neben Übertragungen von den Wiesbadener Maifestspielen sind hier zunächst zwei Ballettproduktionen des Hessischen Rundfunks zu erwähnen. 1960 entsteht ZWISCHEN BROOKLYN UND MANHATTAN, ein Fernsehfilm, der das Leben und Werk von George Gershwin zum Inhalt hat. Die Idee stammt von Gisela Deege und die Primaballerina der Städtischen Oper Berlin übernimmt auch die Hauptrolle.
In den Studios Unter den Eichen werden die "Regent Bar" und das Hafenviertel von Charleston nachgebaut. Zum Ensemble gehören Sänger aus London und eine leibhaftige Prinzessin von den Fidschi-Inseln - also, wie man stolz vermerkt, "ein internationaler Film" - der auch in Holland und Belgien ausgestrahlt wird. Die Kritik ist angetan, die Rede ist von einem "geglückten Unternehmen, bei dem sich Text, Tanz und Melodie, die Lehensbeschreibung eines Komponisten und die Interpretation seines Werkes zu einer so geschlossenen und harmonischen Einheit verbanden, wie wir sie bisher selten gesehen haben. Ausgezeichnet!" (11).
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1961 - Wer kennt noch Gisela Deege
Nach diesem Erfolg steht Gisela Deege 1961 erneut in Wiesbaden vor der Kamera. In DIE FÜNF ETAGEN tritt sie in einem Ballett nach einem Gedicht von Pierre-Jean Beranger (Musik Henri Sauguet) auf. Inhalt: "Ein hübsches, leichtfertiges Mädchen tanzt und liebt sich die fünf Stockwerke eines Mietshauses hinauf" (12). Für die Regie zeichnet wiederum Ekkehard Böhmer, für das Szenenbild erneut Horst Klös verantwortlich.
In den fünfziger und sechziger Jahren griff man vor allem auf Theaterstücke als Vorlagen für Fernsehspiele zurück. Daneben diente der Spielfilm als Anregung für die frühen Fernsehspiele. Bereits 1959 inszenierte Rolf Hädrich, beim Hessischen Rundfunk angestellter Regisseur und Spielleiter, erste abendfüllende Fernsehfilme für den Frankfurter Sender.
Gemeinsam mit dem Dramaturgen Helmut Krapp verfilmt Hädrich 1960 in Wiesbaden DIE FRIEDHÖFE nach einer Erzählung von Mark Hlasko, in der es um die Geschichte eines Kommunisten geht, der aus nichtigem Anlaß aus der Partei ausgestoßen wird, für die er ein Leben lang gekämpft hat; zunächst glaubt er noch an ein Mißverständnis, dann gerät er unversehens ins Triebwerk eines totalitären Staatsapparates.
Das Fernsehspiel mit Rene Deltgen, Heinz Reincke und Friedrich Joloff stößt auf unterschiedliche Beurteilungen: Die Süddeutsche Zeitung spricht von einer "fernsehgerechte(n) Verfilmung" (13). "Wir genieren uns nicht, die 'Friedhöfe'- Inszenierung von Rolf Hädrich schon heute für die beste dieses Jahres zu halten" (14), lobt Der Abend, Berlin.
Auch die Hannoversche Zeitung zeigt sich von dem Niveau angetan "... das diesem Fernsehfilm erlaubt, in Konkurrenz mit Spitzen-Spielfilmen der deutschen Produktion zu treten" (15). Kritisch dagegen die Berliner Morgenpost'. "Rolf Hädrich wühlte wie ein Kleingärtner im Garten der weltanschaulichen Gedanken" (16).
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1961 - BRENNPUNKT und NACHRUF AUF JÜRGEN TRAHNKE
1961 entsteht in Wiesbaden der Fernsehfilm BRENNPUNKT nach Arthur Millers Roman "Focus". Er spielt 1944 in New York: Ein Personalchef, verkörpert von Hans Caninenberg, wird für einen Juden gehalten und erfährt dann am eigenen Leibe, wie sich rassistische Vorurteile auswirken können und daß fanatisierte Menschen vor nichts zurückschrecken.
1962 dreht Rolf Hädrich erneut in Wiesbaden. Unter den Eichen hat Szenenbildner Horst Klös für NACHRUF AUF JÜRGEN TRAHNKE Teile der Freien Universität Berlin nachgebaut. Der Fernsehfilm basiert auf Motiven aus dem Roman "Studenten von Berlin" von Dieter Meichsner.
Er schildert das Schicksal eines Mannes, der nach aktivem Widerstand in der Sowjetzone in den fünfziger Jahren aus politischen Gründen die DDR verläßt. Als Student in West-Berlin hat er kein Interesse mehr an antikommunistischem Engagement - er sehnt sich nach privatem Glück.
Dann nimmt er doch noch einen Auftrag an, reist in die "Zone" und kehrt nicht mehr zurück. Das Schicksal des Jürgen Trahnke vor dem Hintergrund der deutschen Spaltung erntet Lob, vor allen Dingen dank der schauspielerischen Leistungen von Ernst Jacobi, Anneli Grangel, Hans Körte und Harald Leipnitz. Dieses Fernsehspiel, so die Frankfurter Rundschau, "... macht dem Deutschen Fernsehen und dem Sender Frankfurt a. M. alle Ehre " (17).
Seit dem 18. März 1961 sendet der Hessische Rundfunk ein zweites Fernsehprogramm - zunächst zwei Stunden täglich. 50%, so das Ziel, sollen durch Eigenproduktionen bestritten werden. Das verspricht einige Aufträge für die Wiesbadener Studios. Aber das zweite Programm, das dann nach Wiesbaden kommen wird, hat ganz andere Väter.
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Quellen und Verweise
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- (1) Wiesbadener Kurier. 27.1.1959
- (2) Der neue Film. Nr. 27/28. 4.4.1959
- (3) Filmblätter Nr. 37. 12.9.1959
- (4) Wiesbadener Tagblatt. 13.12.1958
- (5) Filmwoche (FW) 42. 17.10.1959
- (6)zit. FW 42, 17.10.1959
- (7) FW 8. 20.2.1960
- (8) Fernsehzeitschrift, aus dem Archiv H. Klös. genaue Quellenangaben liegen nicht vor
- (9) ebd.
- (10) Hör Zu, aus dem Archiv H. Klös. Datum liegt nicht vor
- (11) Hannoversche Zeitung, 1.5.1960
- (12) Fernsehzeitschrift, aus dem Archiv H. Klös, genaue Quellenangaben liegen nicht vor
- (13) Süddeutsche Zeitung. 18.10.1960
- (14) Der Abend, aus dem Archiv H. Klös, Datum liegt nicht vor
- (15) Hannoversche Zeitung. 30.10.1960
- (16) Berliner Morgenpost, aus dem Archiv H. Klös. Datum liegt nicht vor
- (17) Frankfurter Rundschau. 6.4.1962
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