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Über die Blütezeit der Filmstadt Wiesbaden

Unter dem Titel "Rote Rosen und weißer Flieder" wurde 1995 eine begleitende "Retro"-Broschüre aus der Vergangenheit und der kurzen Episode Wiesbadens als Filmstadt erstellt. Eigentlich als Katalog zu einer Ausstellung gedacht, werden doch viele Tatsachen, Einzelheiten und Vorkommnisse der Wiesbadener Studios, der damals in Wiesbaden gedrehten Filmen und von den Wiesbadener Kinos bis Anfang der 1970er aufgezählt. Hier geht es zum Anfang.

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Nachwuchspflege für eine Filmstadt

Die "Akademie Bühne, Film und Rundfunk" in Wiesbaden - von Eberhard Spiess

Die nachfolgend zitierte wohl hauseigene Notiz mit der Archivnummer XIII 4 S eines mehr als 500 Blätter umfassenden Konvoluts des Hessischen Hauptstaatsarchivs in Wiesbaden liest sich schmuck- und schnörkellos wie der Epitaph eines kurzen, nicht sehr erfolgreichen Lebens.

Ein Eindruck, der bei Durchsicht des gesamten Materials voll bestätigt wird, zumal der quantitätsmäßigen Fülle keine qualitätsträchtige Bedeutung zur Seite steht:

"XIII4 S: Akademie für Bühne, Film und Rundfunk,

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  • a) Zeit bis zur vorläufigen Genehmigung am 20. November 1948.
  • b) Von der Eröffnung (Januar 1949) bis zur ersten Krise (März 1950).
  • c) Erste Krise (März 1950); Versuch einer Reorganisation (bis Dezember 1950).
  • d) Zweite Krise (Anfang Dezember 1950 bis 9. Februar 1951).
  • e) Erlöschen der Akademie am 9. Februar 1951

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1948/49 - Curt Oertel tat viel für Wiesbaden

Die Voraussetzungen, aus Wiesbaden eine Filmstadt zu machen, schienen in den Jahren 1948/49 nicht schlecht zu sein. Der Kulturfilmer Curt Oertel konnte den filmkulturoffenen Oberbürgermeister Hans Heinrich Redlhammer (1946-1953) interessieren, die deutsche Nachkriegs-Filmindustrie mit ihren Verbänden und Organisationen nach Wiesbaden zu leiten und ihnen im damals stark lädierten Schloß Biebrich ein Domizil zu schaffen.

So residierten neben der Spitzenorganisation der Film-Wirtschaft (SPIO) mit ihrer statistischen Abteilung und anderen Branchenverbänden in diesem von der baulichen Konstruktion her etwas potemkinsch anmutenden Bau auch das Deutsche Institut für Filmkunde, die Filmbewertungsstelle Wiesbaden (FBW, zuvor: FBL - Filmbewertungsstelle der Länder), die Redaktion der Zeitschrift "Der neue Film" und last not least die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK).
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Das strahlte auch ins gesamte Rhein-Main-Gebiet aus

Günstige Voraussetzungen für die Stadt Wiesbaden schufen auch dem Film verbundene Institutionen im gesamten Rhein-Main-Gebiet. Zu ihnen gehörten in Mainz die "Direction Generale des Affaires Culturelles" der französischen Besatzungsorgane auf der Mainzer Zitadelle mit ihrer Filmabteilung und dem Atelierbetrieb der "Internationalen Film-Union,, in Remagen, in welcher auch der bekannte Trickfilm-Spezialist Hans Fischer-Kosen nach dem Kriege neu anfing. In Frankfurt am Main hatten sich die in der MPEA (Motion Picture Export Association) zusammengeschlossenen USA-Verleihfirmen niedergelassen.
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Eine gute Ausgangsposition für eine Filmschule

Für eine Teilkonzentration des deutschen Nachkriegsfilmwesens in Wiesbaden war demnach eine gute Ausgangsposition vorhanden. Warum sollte nicht auch eine Filmschule, sprich "Akademie für Bühne, Film und Rundfunk", ins Leben gerufen werden?

Bei der beruflichen Vielfalt des aus einem Konglomerat von Wirtschaft, Technik und Kunst gebildeten Mediums Film war auch ein umfangreiches Programm für Nachwuchsförderung geboten.
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Die Filmakademie - 1938 bereits duch Führererlass initiiert

Ein Projekt, das bereits in den späten dreißiger Jahren vorgedacht und bereits in Anfängen verwirklicht worden war, und zwar durch den berühmten "Erlaß des Führers und Reichskanzlers über die Errichtung der Deutschen Filmakademie vom 18. März 1938", in dem es heißt: "Zur Sicherung der Fortentwicklung des Filmwesens, insbesondere der Filmkunst im Geiste des Nationalsozialismus, wird die 'Deutsche Filmakademie mit dem Arbeitsinstitut für Kulturfilmschaffen als Anstalt des Reichs errichtet".

Als Kurator sollte der "Deutschen Filmakademie" der Bürgermeister a.D. Dr. h.c. Max Winkler, die sogenannte "Graue Eminenz" des deutschen Films der NS-Zeit, vorstehen. Zum Präsidenten wurde Wilhelm Müller-Scheld vom "Führer und Reichskanzler" mit Wirkung vom 20. April 1938 ernannt.

Er stammte aus Grebenroth an der hessischen Bäderstraße, seine Qualifikation hatte er sich als Zeitungs- und Theaterwissenschaftler, Gau-Redner und Gau-Propagandaleiter der NSDAP im Gau Hessen-Nassau erworben.
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Die meisten der nachfolgenden Namen waren "belastet"

Beim Durchblättern des höchst umfangreichen Grundlagenpapiers zur Errichtung der Filmakademie in Babelsberg stößt man bei den für den Lehrbetrieb vorgesehenen Dozenten auf Persönlichkeiten, die eng mit dem Nationalsozialismus verbunden waren und zum Teil im filmwirtschaftlichen wie auch im filmkünstlerischen Bereich dann in der Nachkriegszeit eine wichtige Rolle spielten.

Im Zusammenhang mit den späteren Dozenten der Wiesbadener Akademie seien Dr. Heinrich Jonen, als Diplomkaufmann und Produktionsleiter ausgewiesen, und Dr. Eckart von Naso. Chefdramaturg des Schauspiels der Preußischen Staatstheater in Berlin, zu nennen.

Beide waren jedoch nicht fest berufen worden und zeigten damals nur ihre Bereitschaft zu eventueller Mitarbeit an der Babelsberger Filmakademie.
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Einer vorläufige Lizenz als private Fachschule

Die Wiesbadener "Akademie für Bühne, Film und Rundfunk" erhielt vom Hessischen Ministerium für Kultur und Unterricht Ende des Jahres 1948 ihre vorläufige Lizenz als private Fachschule über ihren Träger und Schulleiter Lothar Bär nach seinen Anträgen vom 3. April 1947 und 20. Oktober 1948.

Dieser vorläufigen Genehmigung war im Juli 1948 seitens des Ministeriums ein Gesetzentwurf vorausgegangen "Über das Privatschulwesen und den Privatunterricht (Privatschulgesetz)", der 13 Seiten umfaßte und in dem die §§ 1,2 und 3 die Abhängigkeiten von einer staatlichen Genehmigung festlegten.

Lothar Bär war außer einer Vorstandsmitgliedschaft im Verband Deutscher Bühnenschriftsteller und Bühnenkomponisten keine Befähigung zur Leitung einer solchen Ausbildungsstätte im allgemeinen oder gar im besonderen, was den Film anbelangte, nachzuweisen.

Selbst bei den damals üblichen Positionsfindungsbestrebungen bleibt die Berufung Bars unverständlich, zumal auch keine Qualifikationsbelege in der Archivakte auffindbar sind.

So muß allein die mündliche Überzeugungskraft - die wenigen vorhandenen schriftlichen Zeugnisse Bars lassen keine Schlüsse zu - bewirkt haben, daß das Projekt die ministerialen Weihen erlangte.
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Mitte 1949 gings dann los

Mit diesen ministerialen Weihen und der Einschreibegebühr von DM 40.-sowie einer für die damalige wirtschaftliche Situation beträchtlichen Semestergebühr von DM 480.- konnte der Lehrbetrieb mit den ersten etwa 20 Studenten Mitte des Jahres 1949 in einem Gebäude in der Friedrichstraße 16 aufgenommen werden.

Von den in einer Liste genannten 15 Dozenten können nur Dr. Heinrich Jonen, Arthur von Schwertführer und Eckart von Naso als Fachleute mit Filmerfahrung genannt werden.

Bei den anderen berufenen Ausbildern sind Qualifikationen im filmischen Bereich nicht nachzuweisen. Während Dr. Heinrich Jonen, von dem gesagt wird, er sei seiner Lehrtätigkeit an der Akademie nur sehr sporadisch nachgekommen, schon im November 1949 ausschied, sind auch die beiden anderen vorgenannten Dozenten bereits ab der zweiten Hälfte 1950 in Namenslisten nicht mehr ermittelbar.
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Warum war Curt Oertel nicht mit dabei ?

Es nimmt Wunder, daß Curt Oertel, dem ja die Konzentrierung des Films und seiner Sparten auf Wiesbaden initiativ zu verdanken war, ungeachtet seines Bekanntheitsgrades in der Filmbranche und in der Kunstwelt, nicht in den Kreis der Dozenten miteinbezogen wurde.

Die Nichtbeachtung eines solchen Fachmannes läßt zwei Vermutungen zu: Zum einen war Lothar Bär zu wenig über das Medium Film und die darin Tätigen orientiert, zum anderen waren Oertels eigene Bestrebungen, im Biebricher Schloß, wo er auch wohnte, eine Art Kameraschule entstehen zu lassen, von der er immer als "Filmhütte', in Anlehnung an die Dombauhütten des Mittelalters sprach, zu dieser Zeit noch aktuell.

Eine Akademie wie die in Wiesbaden, die sich derart dezidiert der Ausbildung filmischer Berufe verschrieben hatte, war im Jahre 1949 in Deutschland eine einmalige Plattform für alle Filminteressierten und Filmbesessenen.

Ob die Akademie jedoch in der Lage war, eine optimale, zukunftsichere, künstlerische oder praktisch-technische Ausbildung zu garantieren, war von Beginn an in Frage gestellt.
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Ein einziger Werbeprospekt vom Juli 1949

Dem wohl ersten und einzigen Werbeprospekt vom Juli 1949, für den auch der Lizenzträger verantwortlich zeichnete, war folgender Satz vorangestellt: "Zugelassen zum Studium wird jeder, der die geistigen und menschlichen Voraussetzungen mitbringt, die für eine Betätigung im künstlerischen Fach notwendig sind".

Die drei Abteilungen mit ihren verantwortlichen Leitern, für die Bühne Lothar Bär, für den Film Dr. Heinrich Jonen und für den Rundfunk P. Müller-Franken, wurden mit ihren jeweils angebotenen beruflichen Ausbildungslehrgängen zwar vorgestellt, aber kein einziger Fachausbilder mit detaillierten Angaben zu seiner beruflichen Herkunft genannt.

Eine Unterlassung, deren Motiv man zwar erahnen kann (alle Namen waren im 3. Reich bekannt) , deren Gegebenheit aber gleichzeitig auf die Unwissenschaftlichkeit des ganzen Unternehmens hinwies. Denn von ihrer Qualifikation im Verbund mit einer guten Organisation dürfte der Erfolg oder Mißerfolg eines solchen Lehrbetriebs mehr abhängen als von den expressis verbis geforderten "geistigen und menschlichen Voraussetzungen".
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  • Anmerkung : Will Tremper analysiert bissig und scharfzüngig in seinem Buch "Meine wilden Jahre" die Suche bzw. Sucht der Deutschen nach den sogenannten befreienden "Persilscheinen" für erheblich belastete Nationalsozialisten (Alt-Nazis).

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Versäumnissen, Fehlleistungen und Inkompetenzen

So ließen denn auch die ersten Proteste seitens der Studentenschaft nicht lange auf sich warten. Die organisatorischen, fachlichen und natürlich auch die materiellen Mängel waren so eklatant, daß man aus den Akten den Eindruck gewinnen muß, das ganze Unternehmen setze sich aus Versäumnissen, Fehlleistungen und Inkompetenzen zusammen, die letztendlich nur dem einen Zweck dienten, einem ehrgeizigen und nicht ganz ungeschickten Ignoranten sein "Spielzeug" zu erhalten.

Zu einem solchen Schluß kann das Studium des Aktenkonvoluts führen; allerdings wird diese Einschätzung auch bestätigt von den damals gewonnenen Eindrücken eines Studenten der Akademie (W.F.Rediess, Waukesha, Wisconsin), der in den USA noch angetroffen und schriftlich befragt werden konnte und von den Ausführungen eines von Studenten vorgetragenen Memorandums über die Unzuträglichkeiten im Lehrbetrieb. Es war u.a. mitunterschrieben vom späteren Regisseur und Schauspieler Claus Landsittel.
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Die Dokumente des Akademie-Versuchs

Das durchgesehene Konvolut war für eine endgültige Betrachtung dieses Akademie-Versuchs nur begrenzt brauchbar. Wo noch anderes Material aufzufinden wäre, konnte nicht eruiert werden, zudem auch über den weiteren Lebensweg von Lothar Bär nichts bekannt ist.

Wichtige Jahres- und Geschäftsberichte, Bilanzen und listenmäßige Zusammenstellungen der Studenten oder Dozenten nach Semestern waren nicht erhalten.

Der Stadt selbst hätte man eine dauerhaftere Verbindung mit dem Film und einen erfolgreicheren Platz als Produktionsstätte gewünscht. Wenn auch die Gesamtentwicklung, vor allem die Krise des deutschen Nachkriegsfilms und die spätere Konkurrenz zwischen Film und Fernsehen nicht außer acht gelassen werden soll, so war an der Entwicklung, die zum Verlust der Bedeutung Wiesbadens als ein Filmzentrum führte, sowohl die Stadt als auch die Filmwirtschaft mit ihren Verbänden nicht unschuldig.

Erstere, weil in der Kulturpolitik vieler Jahre hier nur die Schulpolitik eine Rolle spielte, der Film also trotz der Handreichung von Branchenseite außen vor blieb; letztere, weil sie versäumte, mit ihrem Pfund unter Nutzung aller diesem Metier zur Verfügung stehenden werbeträchtigen, attraktiven Möglichkeiten zu wuchern.

Damit wäre auch eine wechselseitige Attraktion zwischen dem Berufszweig Film und dem Freizeitangebot des täglichen Stadtlebens möglich gewesen. In einem so umfassenden Zusammenhang muß im nachhinein auch der "Flop" einer "Akademie für Theater, Film und Rundfunk" gesehen werden, um bei einem Ausdruck der Medienbranche zu bleiben.
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